Peggy Lancaster, Teresa Carpenter, Helen Bianchin, Elizabeth Bevarly
ROMANA EXTRA BAND 88
IMPRESSUM
ROMANA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
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Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: kundenservice@cora.de |
Geschäftsführung: | Jürgen Welte |
Leitung: | Miran Bilic (v. i. S. d. P.) |
Produktion: | Jennifer Galka |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
© 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
für Peggy Lancaster: „Die heimliche Sehnsucht des Italieners“
© 2014 by Teresa Carpenter
Originaltitel: „Her Boss by Arrangement “
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Simone Fischer
© 2017 by Elizabeth Bevarly
Originaltitel: „Baby in the Making“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Gisela Blum
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRA
Band 88 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© 2010 by Helen Bianchin
Originaltitel: „The Andreou Marriage Arrangement“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: SAS
Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe JULIA EXTRA, Band 323
Erste Neuauflage in der Reihe ROMANA EXTRA
Band 88 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Abbildungen: Biggunsband / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 11/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733744861
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY
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Die Frauen reißen sich um den italienischen Unternehmer Antonio. Aber er will nur eine: die hübsche Giulia – die ihn für einen skrupellosen Immobilienhai hält! Wie kann er sie von sich überzeugen?
Liebe kennt Studioboss Garrett Black nur aus Filmen. Bis er in Hollywood mit der schönen Eventplanerin Tori Randall zusammenarbeitet. Sie weckt in ihm ein sehr reales Verlangen …
Entsetzt erfährt Alesha: Ihr Vater hat in seinem Testament verfügt, dass sie Loukas Andreou heiraten muss. Niemals! Doch das Feuer in den Augen ihres Feindes lodert verführerisch …
Kein Berg ist ihm zu hoch, kein Sturm zu wild: Yeager liebt das Abenteuer über alles. Doch was die hübsche Hannah mit ihm macht, wird zu einem nie gekannten Risiko: Sie bringt sein Herz in Gefahr!
Giulia hakte ihre Freundin Melanie unter, und sie stürmten die Treppenstufen des Büros in einem schicken Altbau mitten in Notting Hill herunter, als wollten sie keine Sekunde ihrer Mittagspause verpassen. Das überraschend warme Aprilwetter hatte die beiden jungen Frauen ermutigt, zum ersten Mal nach dem langen Winter frühlingshafte Kleider zu tragen. Giulias olivfarbener Teint und ihre makellose Haut erlaubten es ihr, jetzt schon ohne Strumpfhose hinauszugehen, auch wenn um sie herum erst die Tulpen und Narzissen aus den Beeten ihre Blüten emporstreckten.
Anders als an ihre Beine ließ Giulia an ihr Dekolleté keinen einzigen Sonnenstrahl. Ihr rotes Kleid war hochgeschlossen, und die nackten Arme bedeckte ein dunkelgrauer Cardigan.
„Giulia, ich kann es kaum glauben, dass du bald meine Chefin bist!“, sagte Melanie strahlend und fügte dann etwas besorgter hinzu: „Aber ich hoffe, das ändert nichts an unserer Freundschaft, oder?“
Giulia hielt auf dem Treppenabsatz an, stemmte ihre Hände in die Hüften und sah ihrer Freundin in die Augen: „Mamma mia! Das ist doch nicht dein Ernst, oder? Wir arbeiten seit Jahren zusammen in diesem Haifischbecken! In einem schönen Haifischbecken wohlgemerkt, aber du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich meine beste Freundin hängen lasse, nur weil ich Abteilungsleiterin werde?“
Sie warf ihre schwarzen langen Haare zurück und ignorierte die bewundernden Blicke der Kollegen, die gerade aus der Pause oder einem Meeting zurückkamen. Als Italienerin fiel sie in London immer noch auf, aber vielleicht lag das daran, dass sie einfach umwerfend hübsch war.
„Nein, Giulia, du hast recht. Eine bessere Freundin und Chefin kann ich mir nicht vorstellen. Aber sag mal, hast du nicht gerade gesehen, wie John aus der Grafikabteilung dich angeschaut hat? Und zwar nicht das erste Mal!“, wechselte Melanie das Thema. Sie konnte nicht verstehen, warum ihre Freundin immer noch Single war.
„Ach, John, der ist ganz nett, aber nicht mein Typ“, antwortete Giulia in einem leichten Ton, obwohl ihr schwer ums Herz wurde. Nicht mal Melanie wusste, warum sie sich von einer ernsthaften Beziehung fernhielt.
„Genau wie all die anderen Typen“, lachte Melanie, die selbst glücklich verlobt war. „Lass uns jetzt lieber um etwas Wichtigeres kümmern! Ich habe Hunger! Was hältst du von dem Chinesen, bei dem wir letztens den köstlichen Reis mit süßsaurem Hühnchen verspeist haben?“
Da waren die beiden Freundinnen sich schnell wieder einig, hakten sich wieder unter und gingen durch das beliebte und belebte Londoner Viertel, das nicht zuletzt durch den gleichnamigen Film Notting Hill mit Julia Roberts und Hugh Grant berühmt geworden war.
Als sie das kleine Chinarestaurant betraten und ihnen am Eingang die bunt bemalte Glückskatze zuwinkte, begrüßte Mrs. Chang, eine alte Chinesin im rotgoldenen Kleid, ihre Stammkundin Giulia freundlich. Der Duft von asiatischen Gewürzen und zartem Reis ließ einem das Wasser im Munde zusammenlaufen. Bis auf die Entenleber hatte Giulia schon jedes Gericht probiert.
Als ihnen Mrs. Chang wenig später eine dampfende Schüssel Reis und zwei Schalen mit kross gebratenen Shrimps in frischem Gemüse auf die Wärmeplatten stellte, stürzten sich die beiden jungen Frauen auf das Essen, als hätten sie eine Bergwanderung hinter sich. Dabei hatten sie nur über einem Werbekonzept für ein angesagtes Duschgel gebrütet, das nicht nur Frische auf der Haut, sondern auch ein Glücksgefühl verleihen sollte.
„Die Beförderung wird auch dringend nötig“, sagte Giulia augenzwinkernd. „Nicht nur meine winzige Wohnung hier in Notting Hill ist teuer, auch das Essen verschlingt die Hälfte meines Einkommens.“
Melanie, die mit ihrem Verlobten etwas weiter draußen wohnte und sich für die Mittagspause normalerweise Sandwiches von zu Hause mitbrachte, konnte ohnehin nicht verstehen, warum die sonst durchaus sparsame Giulia jeden Mittag essen ging.
„Tja, vielleicht sollte ich doch mal einen Kochkurs machen“, witzelte Giulia und stocherte in dem Reisgericht herum, das ihr gerade noch so köstlich geschmeckt hatte. Selbst Melanie wusste nicht, dass Giulia sich bei ihren ersten Kochversuchen als Kind mehr als nur die Finger verbrannt hatte. Und so gerne sie Melanie mochte, der Teil ihrer Geschichte, der mit diesem Unfall zu tun hatte, blieb selbst vor der Freundin verschlossen. Außer Giulias Eltern und Marias Familie wusste niemand davon.
„Alles Gute den beiden Damen“, sagte Mrs. Chang und legte ihnen jeweils einen Glückskeks auf den Tisch.
Beide rissen das Papier auseinander und waren dankbar, das unangenehme Thema zu umschiffen und sich stattdessen den Glückssprüchen zu widmen.
Giulia faltete den weißen Zettel auseinander, nachdem sie ein Stück des knackigen Kekses in den Mund gesteckt hatte.
Du wirst das Glück im Schoß deiner Familie finden, stand dort in schwarzer Druckschrift. Giulia schüttelte den Kopf: „Meine Eltern sind weit weg, Geschwister habe ich keine und eine eigene Familie zu gründen, habe ich erst recht nicht vor. So ein blöder Aberglaube.“
Giulia konnte immer noch nicht verstehen, weshalb ihre Eltern, als sie das Rentenalter erreicht hatten, wieder zurück in ihre Heimat Sizilien gezogen waren. Als ob das Meer, ein paar Zitronenbäume und alte Verwandte das Leben mit ihrer Tochter im modernen London aufwiegen konnten! Dann komm doch mit, hatte ihre Mutter gejammert, doch Giulia liebte die Freiheit in London, ihren Job und all die Möglichkeiten, der Enge zu entfliehen, die es für Frauen in den dörflichen Gegenden der italienischen Insel immer noch gab.
Du triffst eine große Liebe, wo du es niemals erwartet hättest, las Melanie vor. „Du hast recht, elender Aberglaube. Ich habe meine Liebe doch längst gefunden und möchte mit ihr das Glück in der Familie finden. Ich glaube, unsere Kekse sind einfach vertauscht worden.“
Melanie schob ihren Zettel zu ihrer Freundin. „Hier, die große neue Liebe schenke ich dir!“
Giulia nahm den Zettel und wollte ihren ebenfalls der Freundin schenken. Doch er war unbemerkt in ihre Handtasche gerutscht, sodass sie ihn nirgends fand.
„Egal, du brauchst keinen faulen Zauber, um mit Robert eine glückliche Familie zu gründen. Ihr seid einfach so ein zauberhaftes Paar, dass es kein bisschen Magie von außen braucht!“, sagte Giulia und meinte es auch genau so. Ob sie sich irgendwann auch auf die Liebe einlassen konnte?
Giulia sah aus dem Küchenfenster auf die hübsche Ziegelwand vom Haus gegenüber, die zum Glück nicht ganz verhinderte, dass etwas Abendlicht in ihre winzige Wohnung fiel. Das Basilikum im Topf auf der Fensterbank wuchs dennoch nur kümmerlich, aber es reichte aus für den Insalata Caprese. Die italienische Vorspeise war ihr Lieblingsgericht und ließ sich außerdem kalt zubereiten. Die Tomaten aus dem Supermarkt waren leider nicht mit denen zu vergleichen, die sie in ihrer Heimat als Kind direkt vom Strauch genascht hatte. Meine Güte, waren die süß und aromatisch gewesen. Da kitzelte ihr Gaumen ja schon, wenn sie nur daran dachte! Über die Treibhaustomaten auf ihrem Teller musste sie schon ordentlich Salz und Pfeffer und natürlich Olivenöl und Balsamicoessig kippen, damit sie nach etwas schmeckten. Öl und Essig hatte sie zu Weihnachten in einem Paket von Mama und Papa geschickt bekommen. Und dickfleischige, sonnengelbe Zitronen waren auch dabei gewesen. Zitronen ernteten ihre Eltern das ganze Jahr in ihrem Garten, weil diese Frucht ständig erntereif war. Die Zitrone hielt sich an keine Jahreszeit, sondern ließ Blüten und Früchte einfach gleichzeitig sprießen.
Giulia seufzte. Sie vermisste ihre Eltern. Es war schon fast wieder ein Jahr her, dass sie sich zuletzt gesehen hatten. In London. Schließlich hatten ihre Eltern als Rentner ja mehr Zeit. Ihr Chef machte ihr immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie überhaupt mal Urlaub machte. Überstunden waren in der Werbebranche einfach normal, und dass sie heute ausnahmsweise mal vor 20.00 Uhr zu Hause war, eine seltene Ausnahme. Ihr Handy klingelte. Mist, ich hätte es leise stellen sollen, dachte Giulia. Das war bestimmt wieder Mr. Smith, der eigentlich an jedem Abend oder Wochenende noch eine Frage hatte. Und heute hatte er im Meeting vor allen Kollegen noch mal betont, dass Giulia als neue Abteilungsleiterin auf jeden Fall immer erreichbar sein musste.
Einmal war ein Großkunde abgesprungen, weil ein anderer Kollege erst nach dem Wochenende auf einen Änderungswunsch reagiert hatte. Das durfte bei der großen Konkurrenz nicht noch einmal passieren!
Aber es war nicht ihr Chef. Das Display zeigte den eingehenden Anruf von Maria an. Maria war die Nachbarin ihrer Eltern und für Giulia seit Kindertagen wie eine liebe Tante. Was hatte sie geweint, als Maria sie am Flughafen verabschiedete, weil die Eltern beschlossen hatten, dass das kleine Mädchen in England eine bessere Schulbildung genießen sollte als in Sizilien. Außerdem gab es damals in der Heimat keinen Job für ihren Vater, der sich in London in einem Restaurant bald vom Kellner zum Koch hocharbeitete. Und heute war Giulia froh, dass ihre Eltern diesen Schritt gewagt hatten.
Aber wenn Maria anrief, war es meist etwas Ernstes. Mit klopfendem Herzen nahm sie das Gespräch an.
„Giulia, wie gut, dass ich dich erreiche! Mein Mädchen, es ist etwas Schreckliches passiert!“, schluchzte die Frau, die rund zwanzig Jahre älter war als sie.
„Mein Gott, Maria, was ist los? Leben meine Eltern noch?“ Sie ließ sich auf den Boden sinken und lehnte sich an die Wand.
„Gerade noch! Dein Vater hat dem Tod schon in die Augen geschaut und deine Mutter war kurz davor!“, schrie Maria aufgeregt ins Telefon. Natürlich auf Italienisch, was Giulia perfekt sprach.
„Maria, sag mir bitte ganz in Ruhe, was passiert ist!“, antwortete Giulia ebenfalls auf Italienisch. Sie hoffte, dass Maria es wie immer übertrieb.
Doch dann musste sie erfahren, dass ihr Vater bei der Tomatenernte im Garten einen Herzinfarkt erlitten hatte, und ihre Mutter daraufhin mit einem Nervenzusammenbruch ebenfalls ins Krankenhaus eingeliefert worden war.
Giulia schossen die Tränen in die Augen, als sie hörte, dass ihr Vater darauf bestanden hatte, die Tochter erst zu informieren, wenn beide über den Berg waren. Sie wollten ihr keine Sorgen machen. Wie konnten sie nur so denken!
„Giulia, ich habe deine Eltern jeden Tag im Krankenhaus besucht, aber wenn sie wieder zu Hause sind, brauchen sie jemanden, der sich um sie kümmert! Ich schaffe das einfach nicht, weil ich selbst jeden Tag noch in der Trattoria meines Schwagers arbeite. Und du kennst meinen Mann, der ist selbst wie ein kleines Kind, dem kann ich zu Hause nicht mal die Verantwortung für die Topfpflanzen übertragen“, sagte Maria, und Giulia wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, bevor sie überhaupt ein Wort sagen konnte. Ihr war beim letzten Besuch schon aufgefallen, dass ihre Eltern zunehmend gebrechlich wurden, obwohl sie erst Mitte sechzig waren.
„Giulia, du musst kommen! Deine Eltern brauchen dich! Sie brauchen ihre Tochter und nicht nur jemanden aus der Nachbarschaft“, sagte Maria.
Giulia sackte in sich zusammen. Sie hatte jetzt keine Zeit zu überlegen, ob sie in der Agentur fehlen würde. Sie musste sofort ein Flugticket buchen.
Drei Tage später landete Giulia auf dem Flughafen in Palermo, der Hauptstadt Siziliens, die früher verschrien war als Hochburg der Mafia. Tatsächlich hatte sich in Giulias Kindheit kaum einer dort nachts noch auf die Straße getraut, aber jetzt erblühte die Stadt immer mehr zu ihrer ursprünglichen Schönheit. Einflüsse aus allen Jahrhunderten ließen die Stadt an manchen Stellen wirken wie aus Tausendundeiner Nacht, an anderen versetzte sie einen ins Mittelalter. Wo sonst auf der Welt gab es Kathedralen und Kirchen, die an arabische Paläste oder Moscheen erinnerten, weil maurische Architekten christliche Kirchen in islamische Gotteshäuser umgebaut hatten? Angesichts der rot gefärbten Kuppeln der Kirche San Cataldo hätte es nicht verwundert, wenn auch beladene Kamele durch die Straßen gelaufen wären. Doch vielerorts war die größte Stadt Siziliens genauso modern wie London. Das Leben pulsierte in der Metropole, auch wenn alte Leute wie Giulias Eltern davon nichts mitbekamen und nur für Arztbesuche oder Behördengänge in die Großstadt fuhren.
Der Flughafen lag etwa dreißig Kilometer außerhalb der Stadt, und Giulia war froh, als sie Maria endlich erblickte.
„Meine süße kleine Giulia!“, rief sie und umarmte Giulia, sodass sie sich fast wieder wie ein kleines Mädchen fühlte.
„Geht es ihnen einigermaßen?“, fragte Giulia, und natürlich wusste Maria gleich, wen sie meinte.
„Ach, ich habe zwei Tage die Wohnung geputzt und vorgekocht, damit sie es zu Hause schön haben. Und es geht einigermaßen, aber du kannst sie nicht länger als einen halben Tag alleine lassen. Nachdem ich sie aus dem Krankenhaus geholt habe, habe ich zwei Tage auf ihrem Sofa geschlafen. Ich hatte Angst, einer von ihnen bekommt einen Rückfall. Mein Mann hat sich schon beschwert“, kicherte sie nun, obwohl das Thema nicht witzig war. Aber genau so kannte Giulia ihre Maria. Bei ihr gab es immer große Emotionen, die manchmal schneller wechselten als das Wetter im April. Maria war etwas füllig und stets adrett gekleidet. Auch jetzt trug sie ein seidenes Halstuch über dem etwas zu eng anliegenden Pulli, der ihre üppige Brust betonte.
Resolut nahm sie Giulias Gepäck und wuchtete es in den Kofferraum, als sie an ihrem Fiat angekommen waren. Der ganze Parkplatz schien übersät mit diesen berühmten italienischen Kleinwagen.
Und auf der Fahrt bemerkte Giulia wieder, dass es hier ganz normal war, alle drei Minuten zu hupen oder sich beim Abbiegen oder Überholen einfach in die engste Lücke zu quetschen.
Nachdenklich blickte sie aus dem Fenster auf die Mietshäuser vor der Stadt, die eher ärmlich als modern aussahen. Und überall säumten zum Teil mannshohe Feigenkakteen und Wolfsmilcharten die Straßen. Die Gewächse, die sie von zu Hause nur als kümmerliche Pflänzchen auf der Fensterbank kannte, schienen hier erst zu ihrer wahren Größe aufblühen zu können. Das helle Grün sah aus der Ferne harmlos aus, aber Giulia hatte sich als Kind oft genug die Finger gestochen, um zu wissen, dass sie sich in Acht nehmen musste. Ihr fröstelte es einen Moment, obwohl es hier schon sommerlich heiß war. Wahrscheinlich, weil Maria die Klimaanlage im Auto voll aufgedreht hatte.
„Es ist toll, dass du so schnell kommen konntest! Deine Eltern werden sich freuen“, sagte Maria und tätschelte Giulias Knie.
„Ja, das ist doch selbstverständlich. Es war ja nur eine Frage der Zeit, dass sie nicht mehr ganz alleine klar kommen. Ich habe schon nach Wohnungen in London Ausschau gehalten, die für Ältere geeignet sind. Mama kommt mit ihren Knien doch kaum eine Treppe hoch. In London könnte ich sie jeden Abend besuchen, und ich verdiene bald mehr, sodass ich etwas zur Miete beisteuern könnte“, sagte Giulia müde, weil sie die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte.
Sie fuhren jetzt schon durch die kurvigen Straßen zwischen dem Meer und einer Gebirgskette. Links und rechts standen immer mehr Kakteen, Zitronenbäume, aber auch Mauern, die die Grundstücke vor ungebetenen Gästen abschotteten. In den vergangenen Jahren waren immer mehr Grundstücke, die zum Großteil eigene Zugänge zum Meer hatten, von reichen Leuten aufgekauft, neubebaut worden und dienten nur noch als Urlaubsdomizil. Hatten ihre Eltern nicht über einen Immobilienmogul geredet, der aus ihrem Heimatort Asparo ein Ferienparadies für reiche Leute machen wollte?
Gut, dass das Grundstück ihrer Eltern schon seit vielen Generationen im Familienbesitz war. Mittlerweile konnten sich die Einheimischen selbst die Grundstücke nicht mehr leisten, die früher wegen der Hanglage kaum jemand haben wollte. Die meisten, die hier aufgewachsen waren, kannten nichts anderes als die Arbeit als Fischer oder Bauern, die ihre Ware auf dem Markt im Dorf anboten.
„Giulia, was redest du da! Deine Eltern gehören hier hin! Genau wie du! Und eine Frau in deinem Alter sollte nicht die Karriere, sondern einen Mann suchen! Du willst doch nicht als alte Jungfer enden, oder?“, regte Maria sich auf.
„Was heißt hier alt? Ich bin gerade mal sechsundzwanzig Jahre alt!“, entrüstete sich Giulia, obwohl sie genau wusste, dass Maria es nicht böse meinte.
„Was, so alt schon? Für mich bist du immer noch ein kleines Mädchen“, widersprach Maria sich selbst und bog in die Straße ein, in der sich immer noch das kleine Café befand, in dem Giulia schon früher Limonade oder Eis gekauft hatte. Wie damals saßen einige alte Leute auf der Terrasse, man trank Kaffee und spielte Karten. Ob ihr Vater auch manchmal dort saß? Vom Café aus waren es nur noch hundert Meter bis zu dem Haus ihrer Eltern.
„Gibt es denn wenigstens schon einen Anwärter?“, fragte Maria beharrlich nach.
„Nein, gibt es nicht!“, sagte Giulia genervt.
„Dann suchen wir dir hier einen. Dann hast du einen Grund mehr hierzubleiben. Ein Kind gehört zu seiner Familie“, sagte sie theatralisch, und Giulia musste an den Spruch aus dem Glückskeks denken. Sie kurbelte das Fenster herunter. Stickige Luft hatte sie auf dem Flug schon genug gehabt.
Vor dem Café fuhr Maria Schritttempo, weil ein paar Kinder auf der Straße Ball spielten.
„Ich kann mir schon selbst einen suchen, wenn ich das will. Der da hinten, der mit der Sonnenbrille auf der Stirn, der würde mir gefallen“, sagte Giulia provokativ, um endlich Ruhe vor dem Thema zu haben. „Wenn du magst, kannst du ja anhalten und ihn fragen, ob er mit mir ausgehen möchte.“
Giulia grinste, und Maria bremste, um sich den Mann genauer anzusehen. Als sie ihn erkannte, zog sie ihre Augenbrauen zusammen und sah Giulia entsetzt an.
„Von dem musst du dich fernhalten, mein Kind! Das ist der Teufel persönlich. Antonio Giordano bringt nur Unglück. Er ist nicht nur ein eitler Herzensbrecher, sondern er macht unser ganzes Dorf kaputt!“, warnte Maria.
Giulia musterte den Typen durch das offene Fenster genauer, und da lächelte er zu ihr herüber. Sie erschrak. Der Mann mit den fast schwarzen Haaren hatte blaue Augen. Das war eine seltene Kombination, und Giulia erinnerte sich an ein Kinderbuch, in dem ein Junge mit blauen Augen und schwarzen Haaren insgeheim ein Zauberer war. Ging ihr sein Lächeln deshalb durch Mark und Bein, weil dieser Fremde vielleicht auch über magische Kräfte verfügte?
„Siehst du, Giulia, da grinst er dich schon so frech an und glaubt, im nächsten Moment bist du Butter in seinen Händen!“, schimpfte Maria und trat aufs Gas, als die Kinder sich an die Seite gestellt hatten.
Giulia drehte den Kopf, um den Blickkontakt zu halten und lächelte ebenfalls. Alles war ihr recht, um sich vor der ersten Begegnung mit ihren Eltern abzulenken. Sie hatte Angst davor, ihnen zu begegnen und sehen zu müssen, dass sie alt und hilflos geworden waren.
Antonio Giordano sah auf seine Armani Uhr, die er sich selbst zum Studienabschluss geschenkt hatte. Sie erinnerte ihn daran, dass er das Studium mit Bestnoten in Rekordzeit durchgezogen hatte. Und auch jetzt hasste er jede Art von Zeitverschwendung. Er fragte sich, wie lange diese unnütze Diskussion noch dauern sollte! Er saß im Besprechungsraum von PalermoParadise, einem erfolgreichen Immobilienunternehmen, dessen Leitung er vor drei Jahren von seinem Vater übernommen hatte.
Der große Raum im Erdgeschoss des Palazzos mitten in Palermo wirkte eher wie der Festsaal eines vergnügungssüchtigen Königs und nicht wie ein Ort sachlicher Arbeit. In der Mitte des Raumes stand ein runder Tisch aus wertvollem Mahagoniholz, der mit Tee und Köstlichkeiten gedeckt war, die der englischen Queen alle Ehre gemacht hätten. Scones, Sandwiches und eine Kanne mit Earl-Grey-Tee standen auf dem Tisch. Seine Mutter Anita hatte ein paar Jahre in London gelebt, und Antonio vermutete, dass sie dort eine Affäre gehabt hatte. Natürlich vor ihrer Ehe mit seinem Vater Angelo, dem strengen Patriarchen. Anders konnte er sich nicht erklären, warum sie die Sitten aus dieser Zeit auch dem Rest der Familie aufzwang.
„Warum nutzt ihr nicht euren Einfluss, um sie zwangsräumen zu lassen? Ihr kennt doch genug Leute im Bauamt, die euch helfen könnten, sie loszuwerden. Wer so dumm ist, eine großzügige Abfindung auszuschlagen, dem ist nicht anders zu helfen. Von dem Geld könnten sie sich locker eine moderne Hütte leisten. Selbst schuld, wenn sie in dieser Bruchbude sitzen bleiben möchten“, wetterte Antonio. Von dem Landstreifen in Asparo, der direkt an der Steilküste am Meer lag, gehörten ihm schon fast alle Grundstücke. Es war wie eine Sucht für ihn, heruntergekommene Gegenden mit schöner Landschaft in lukrative Paradiese zu verwandeln. Und es war wie bei dem berühmten Gesellschaftsspiel Monopoly. Nur wenn einem alle Häuser einer Straße gehörten, brachten sie das große Geld. Eine ärmliche Hütte würde den Gästen links und rechts ein Dorn im Auge sein.
„Ich möchte aus gutem Grund vorsichtig vorgehen“, sagte sein Vater ungewöhnlich sanft, wobei seine Miene an den gealterten Schauspieler Al Pacino erinnerte. Seine Frau hingegen zuckte sauertöpfisch mit den Mundwinkeln. Sie rückte von ihm ab und nippte an ihrem Tee, als wäre das ihr einziger Trost.
„Tja, den guten Grund kenne ich. Ich sehe es aber auch wie unser Sohn. Wir brauchen uns von diesen Leuten nicht auf der Nase herumtanzen zu lassen. Die kommen doch gar nicht alleine klar! Angelina aus dem neuen Bungalow hat mich erst gestern angerufen. Sie sagt, dass der Anblick der maroden Hütte ihre Augen beleidige, wenn sie von der Straße zu ihrem Haus gehe. Sie könne doch keine exklusiven Gäste empfangen, wenn es nebenan so ärmlich aussieht“, regte sich Anita auf.
„Ich werde die Salvatores noch einmal aufsuchen. Diese Sturheit ist wirklich unerträglich. Im Grunde ist es doch das Beste für die alten Leute, wenn sie das Haus aufgeben. Wie rückschrittlich kann man nur sein!“ Antonio trank den Tee, obwohl ihm ein Ramazotti lieber gewesen wäre. Auch wenn er als Lebemann galt, hielt er sich mit dem Alkohol zurück. Schließlich wollte er nie wieder die Kontrolle über sich verlieren. So wie sein Bruder damals. Und wie er selbst. Die Ohnmacht der schlimmsten Stunde seines Lebens holte ihn immer wieder ein, wenn er sich nicht mit der Arbeit, Partys oder seinem Hobby, dem Segelfliegen ablenkte. Am meisten Befriedigung zog er aus seinem Beruf. Ja, darin spürte er wirklich die Macht, etwas zu verändern.
Er strich sich die schwarzen Haare zurück und spürte den Blick seiner Mutter. Er hasste es, wenn sie ihn so anschaute, weil er wusste, dass sie dann nur seinen Bruder Claudio in ihm suchte. Tatsächlich hatten sie sich sehr ähnlich gesehen, und Claudio würde heute die gleiche markante Nase und die hohen Wangenknochen haben. Nur in der Augenfarbe hatten sie sich von Anfang an unterschieden. Hexenkind hatte seine Oma ihn wegen der blauen Augen manchmal genannt.
„Und wenn sie nicht einsichtig sind, werden wir sie zu ihrem Glück zwingen“, sagte seine Mutter, und die Zärtlichkeit, die für einen Augenblick in ihrem Blick gelegen hatte, verschwand. Auch wenn diese Regung nicht ihm, sondern seinem verstorbenen Bruder gegolten hatte, schmerzte es Antonio, dass ihr Gesichtsausdruck wieder hart wurde. Antonio konnte sie verstehen, schob er seine Gefühle doch auch sofort beiseite, wenn sie drohten, sein Herz zu verunsichern. Herr über seine Gefühle zu sein, bedeutete mächtig zu sein.
„Ich kümmere mich um die Salvatores“, sagte er abschließend, um diese Debatte endlich zu beenden. Bei der Gelegenheit könnte er auch gleich herausfinden, wer diese junge Frau war, die bei Maria Messina im Auto gesessen hatte. In dem kleinen Fischerdorf kannte jeder jeden, und ein anonymes Leben gab es dort nicht. Diese Nervensäge von Maria hatte ihn bei einem der Besuche auf der Baustelle mit einem Schwall an Beschwerden überfallen. Sie wohnte in der Nähe der Salvatores und hatte etwas davon geschwafelt, dass sie es nicht zulassen würde, wenn er mit seinem Mafiaclan das ganze Dorf kaputt machen würde. Antonio hatte nicht mal zugehört, sondern sich einfach seine Sonnenbrille aufgesetzt und sich dem Leiter der Baustelle zugewandt. Sollte das Volk doch froh sein, wenn er für neue Arbeitsplätze und Touristen sorgte! Und diese hübsche Schwarzhaarige mit dem frechen Lächeln könnte ihn vielleicht von seinem Stress ablenken. Sie war nicht von hier, das hatte er gleich gesehen. Und so, wie sie ihn angeschaut hatte, konnte man mit ihr bestimmt eine Menge Spaß haben.
Emilia und Carlo Salvatore hatten schon am Tor gewartet, und Giulia war ihnen erleichtert in die Arme gefallen. Zwar hatte sich ihr Vater auf seinen Stock gestützt und die Knie der Mutter hatten vom langen Stehen gezittert, doch sie strahlten, als sie ihre Tochter endlich wieder bei sich hatten. Giulia spürte, dass die beiden sich nicht anmerken lassen wollten, wie schwach sie noch waren, doch sie waren dankbar, dass Giulia ihnen nun zur Hand gehen würde.
Besonders die Arbeit im Garten, der im Hang lag, war zu viel für die Eltern. Giulia hatte schon immer ein Händchen für Pflanzen und Tiere gehabt, auch wenn die weiße Ziege Bella es ihr heute nicht gerade leichtmachte.
„Jetzt bleib doch stehen, du Diva!“, rief sie, als Bella meckerte und mit den Hinterbeinen ausschlug, während Giulia versuchte, sie zu melken. Einen halben Liter frische Milch hatte sie schon aus dem Euter gepresst. Die Bewegungen gingen ihr leicht von der Hand, obwohl es lange her war, dass sie eine Ziege gemolken hatte.
Als sie fertig war, nahm sie einen Schluck von der warmen Milch, die viel besser schmeckte, als die abgepackte aus dem Supermarkt. Sie hatte Hunger, und hier war sie darauf angewiesen, das zu essen, was der Garten hergab und was ihre Mutter zubereitete. Ein Restaurant gab es hier fußläufig nicht. Aber es reiften Früchte im Garten, die es in London nicht mal zu kaufen gab. Sie hatte sich schon ein paar Mispeln gegönnt. Diese gelbe fleischige Frucht, die an eine riesige Mirabelle erinnerte, würde den Transport im Flieger überhaupt nicht überstehen. Ebenso die Maulbeeren, die man leicht mit Brombeeren verwechseln konnte.
Sie streichelte die Ziege und ließ sie dann wieder laufen. Und das freche Tier hatte nichts anderes zu tun, als die Hühner aufzuscheuchen, die gackernd mit den Flügeln schlugen.
Als Giulia sah, wie ihr Vater, obwohl er die meiste Zeit noch im Bett verbringen sollte, um sich von seinem Herzinfarkt zu erholen, die Gießkanne schleppte, als wäre sie so schwer wie ein Sack Zement, nahm sie ihm diese aus der Hand.
„Lass mich das machen, Papa. Und warum nimmst du nicht den Gartenschlauch?“, fragte sie, während sie die dicken, fast reifen Tomaten bewässerte.
„Solange Wasser im Brunnen ist, nehmen wir das! Wasser aus der Leitung ist viel teurer“, antwortete er und ließ sich auf die Bank auf der kleinen Terrasse fallen, als hätte ihn die Gartenarbeit schon mehr als erschöpft. Schweißperlen standen auf seiner faltigen Stirn. Giulia machte sich wirklich Sorgen um ihre Eltern.
Auch ihre Mutter war noch fahrig und unkonzentriert nach dem Zusammenbruch. Die Sorge, dass ihr Ehemann den Herzinfarkt nicht überstehen könnte, hatte sie komplett aus der Bahn geworfen.
Giulia konnte sich ihre Eltern nicht ohne einander vorstellen. Ihr Leben war nicht aufregend, aber sie schienen völlig damit zufrieden zu sein, einander und dieses bescheidene Häuschen am Meer zu haben. Selbst geerntetes Obst und Gemüse, Milch und Käse von der Ziege und Eier von den Hühnern machten ihr Glück perfekt. Zum ersten Mal konnte Giulia verstehen, weshalb sie England verlassen hatten.
Ob es einen Partner geben würde, mit dem sie auch so einfach leben könnte? Giulia konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen.
„Essen kommen!“, rief ihre Mutter aus der Küche. „Und bringe bitte noch etwas Basilikum, Minze und Petersilie mit!“
Giulia zupfte von dem üppigen Basilikumbusch, der niemals auf ihrer Fensterbank Platz gefunden hätte, eine Handvoll ab, genauso wie von den anderen Kräutern, die in einem Hochbeet wuchsen.
In der kleinen Küche spülte sie die Kräuter ab und suchte nach einem Messer, um sie zu hacken. Ein paar der orangebraunen Kacheln an der Küchenwand hatten Risse, der Herd hatte nur zwei Kochstellen, eine Tiefkühltruhe gab es nicht. Und doch war die Pasta Primavera trotz der bescheidenen Kücheneinrichtung das Beste, was sie seit Langem gegessen hatte.
Ihre Mutter stellte den Topf dampfende Pasta auf den Tisch, die mit Tomaten und Mozzarella, Zwiebeln, Thunfisch und den frischen Kräutern vermischt war. Das Ganze war mit ordentlich Olivenöl und Knoblauch gewürzt. Und der Parmesan war natürlich selbst gerieben.
Giulia lief das Wasser im Mund zusammen, während sie sich die Hände wusch. Allein wegen Mamas Essen hatte es sich schon gelohnt, London für eine Zeit zu verlassen. Ihr Chef Mr. Smith hatte ihr netterweise zwei Wochen Urlaub zugestanden.
„So gehst du mir aber später nicht aus dem Haus“, sagte ihre Mutter und musterte Giulia wie zu deren Teenagerzeiten, während sie drei tiefe Teller und Besteck auf dem Resopaltisch verteilte.
Giulia seufzte. Die ungewohnte Nähe zu den Eltern war nicht immer einfach! Sie schaute an sich herunter. Okay, die Jeans waren schon sehr kurz, aber meine Güte, es war heiß hier! Und ihr Top glich das doch wieder aus. Die Ärmel waren zwar kurz, aber der dünne schwarze Stoff hatte einen kleinen Stehkragen, der über das Schlüsselbein hinausging.
Giulia wollte keinen Streit und lenkte ein: „Mama, das war nur für die Arbeit draußen, ich ziehe mich gleich um.“
Die Mutter strich über den feinen Stoff des Oberteils. „So was Teures zur Gartenarbeit, du weißt wohl nicht, dass man die guten Sachen schonen muss. Ich habe jetzt noch das Kleid, das ich zu unserer Verlobung getragen habe“, sagte sie und stemmte die Hände in die Hüften. Die Kittelschürze kannte Giulia schon aus ihrer Kindheit. Sie bewunderte ihre Eltern für deren Sparsamkeit, und doch wollte sie immer gutes Geld verdienen, weil sie als Kind und Jugendliche auf viele Dinge verzichten musste, die für ihre Mitschüler selbstverständlich waren.
Das köstliche Essen war ihr durch die Kommentare ihrer Mutter ein wenig verleidet worden. So schön es hier auf der einen Seite war, aber die Ärmlichkeit des alten Hauses und der bescheidene Lebensstil ihrer Eltern schnürten ihr manchmal die Kehle zu. Wie würde ihre eigene Zukunft aussehen? Sie konnte nicht ewig hierbleiben. Der Rückflug in knapp zwei Wochen war schon gebucht. Zwischendrin musste sie die E-Mails ihres Chefs beantworten, er fragte jetzt schon, ob sie gegen eine extra Zahlung früher nach Hause kommen könnte.
„Was haltet ihr davon, wenn ihr euch eine Haushaltshilfe besorgt? Ich habe kein gutes Gefühl, wenn ihr auf euch ganz allein gestellt seid, wenn ich wieder weg bin“, sprach Giulia das heikle Thema an, nachdem sie sich noch etwas Parmesan auf die Pasta gestreut hatte.
„Wir kommen schon klar, wenn ich mich erholt habe. Und Maria kommt doch auch jeden Tag und guckt, ob wir noch leben“, wiegelte ihr Vater ab und versuchte, unbeschwert zu klingen.
„Es ist schon schöner, wenn das einzige Kind nicht so weit weg wohnt. Marias Kinder wohnen alle nur eine Autostunde entfernt“, machte ihre Mutter ihr ein schlechtes Gewissen.
„Es war nicht meine Entscheidung, als Kind Sizilien zu verlassen, aber ich habe das Beste daraus gemacht! Ich habe eine tolle Arbeit, Freunde, eine sichere Zukunft!“, entgegnete Giulia und hätte am liebsten ihr Glas auf den Tisch geknallt. „Ihr könnt doch wieder nach London kommen! Wir könnten das Haus hier verkaufen und euch etwas in London suchen. Dann wärt ihr nicht allein!“
„Lieber sterbe ich“, sagte ihre Mutter und verschränkte die Arme vor der fülligen Brust. „Wenn du hierbleiben würdest, wäre alles besser für uns!“
Giulias Herz schlug ihr bis zum Halse. War sie wirklich eine schlechte Tochter, wenn sie bald wieder nach London zurückkehren würde?
Giulia hasste dieses theatralische Auftreten, auch wenn sie das selbst ganz gut konnte. Sie schob den letzten Löffel Pasta in den Mund und sprang auf. Hastig spülte sie ihren Teller und stellte ihn wieder in das offene Regal.
„Nehmt es mir nicht übel, aber ich brauche etwas frische Luft!“, sagte sie und trocknete sich die Hände ab.
„Frische Luft! Hier am Meer hast du immer frische Luft!“ Ihre Mutter riss das kleine Küchenfenster auf. „In London atmest du nur Dreck ein, wenn die Fenster offen stehen!“
Giulia lief in ihr altes Kinderzimmer und holte ihren Badeanzug aus dem Koffer. Sie streifte Jeansshorts und Top ab und zog den hochgeschlossenen Badeanzug an, der sie aussehen ließ, wie eine Wettkämpferin bei den Olympischen Spielen. Fehlte nur noch die schnittige Schwimmbrille. Sie wickelte sich ein großes Badetuch um den Körper und schlüpfte in ihre Flip-Flops.
Hoffentlich hat unser Streit meinen Vater nicht zu sehr belastet, dachte sie, als Carlo zusammengesackt auf dem Küchenstuhl saß.
„Ich habe euch lieb und freue mich hier zu sein. Aber bitte behandelt mich nicht wie ein kleines Kind“, sagte sie und schaute ihre Eltern an.
„Aber du uns auch nicht“, konterte ihre Mutter. „Ihr jungen Leute aus der Stadt denkt immer, nur ihr wüsstet, wie das Leben funktioniert.“ Sie schaute auf Giulias Badeanzug, der unter dem Handtuch bis zum Hals hervorlugte. „Aber pass gut auf, die Wellen sind manchmal ziemlich unberechenbar!“
Sie mussten nicht erklären, warum sie nun alle drei lachten. Es würde einfach dauern, bis die Eltern akzeptierten, dass Giulia längst eine erwachsene Frau war.
Eine Minute später lief Giulia durch den Garten bis zu der schmalen Betontreppe, die nach unten zum Meer führte. Sie schlängelte sich entlang des steilen Felsens hinab und führte unten auf ein kleines Plateau aus Beton, das die Großeltern angebracht hatten, weil Giulias Oma auch so gerne geschwommen war.
Andächtig stellte sie sich auf das Plateau und betrachtete das Mittelmeer, das sich heute vollkommen ruhig präsentierte. Auf dem endlosen Blau glitzerte es hier und da silbern. Aufgeregte Möwen flogen dicht über Giulias Kopf hinweg, als wollten sie ihre Jungen, die sich mit ihrem grauen Gefieder perfekt in den Nischen der Felsen versteckten, vor Giulia beschützen. Eltern waren wohl überall gleich, dachte sie und schmunzelte in sich hinein. Dann ließ sie das Handtuch auf den Boden der Plattform gleiten und schlüpfte aus den Flip-Flops. Vorsichtig stieg sie die Badeleiter hinab und war im Meer.
Es kostete Giulia einen winzigen Moment der Überwindung, in das noch recht kühle Wasser einzutauchen. Und dann war es da, dieses unendlich wunderbare Gefühl der Freiheit. Des Getragenseins. Sie schwamm dem Horizont entgegen. Viel furchtloser, als sie es war, wenn sie festen Boden unter den Füßen hatte. Beim Schwimmen vergaß sie alle Sorgen, selbst die um ihre Eltern. Alles würde gut werden. Das Meer existierte schon seit einer Ewigkeit, und es würde weiter bestehen, ganz egal was an Land passierte. Erst als sie merkte, wie ihre Kraft etwas nachließ, steuerte sie wieder das Ufer an. Bei aller Vertrautheit mit dem Wasser hatte sie von klein auf gelernt, dass das Meer auch unbarmherzig sein konnte. Die letzten Meter zum Plateau tauchte sie und reckte dann ihren Kopf aus dem Wasser. Plötzlich erfasste sie eine unerklärliche Unruhe. Sie musste zurück zu ihren Eltern. Nicht, dass in der Zwischenzeit etwas passiert war? Tropfnass wickelte sie sich in das Handtuch und schlüpfte wieder in die Schuhe. Ihren Vater machte Streit immer so hilflos, nicht dass sein Herz ihm wieder übel mitgespielt hatte.
Sie rannte die Treppe nach oben und eilte dann über die Terrasse ins Haus. In der Küche waren ihre Eltern nicht mehr, obwohl die benutzten Teller vom Mittagessen noch auf dem Tisch standen. Ihre Mutter verließ nie ohne Not die Küche, bevor sie nicht alle Arbeit erledigt hatte! Irgendwas stimmte nicht! Sie hörte Gemurmel. Eine unbekannte Stimme war dabei. Hatten ihre Eltern einen Arzt gerufen?
Panisch hastete sie in das kleine Wohnzimmer und sah, dass dort ein Mann ihren Eltern gegenübersaß. Immerhin saßen sie wach und lebendig auf dem Sofa und schauten sie an.
Ihre Mutter schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund und forderte Giulia auf: „Zieh dir was an, Kind!“
Bevor sie aus dem Zimmer verschwinden konnte, drehte sich der unbekannte Mann zu ihr um. Jetzt schlug Giulia vor Schreck ihre Hände vors Gesicht, was dazu führte, dass ihr das Handtuch entglitt.
Dort bei den Eltern saß dieser Antonio Giordano, der laut Maria alle Mädchen ins Unglück stürzte und der mit den Grundstücken im Dorf Monopoly spielte. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Doch Antonio sah sie mit seinen blauen Augen an, lächelte ohne jedoch preiszugeben, ob er sie erkannte. Er sprach mit tiefer Stimme: „Entschuldigen Sie bitte“, und drehte sich wieder um, um ihr die Möglichkeit zu geben, diskret zu verschwinden.
„Giulia, könntest du dich bitte gleich zu uns setzen, wenn du umgezogen bist“, hörte sie ihren Vater rufen.
Zum Glück hat mich Maria vorgewarnt, dachte sie, während sie sich das Haar bürstete. Dann zog sie sich ihr schlichtes graues Leinenkleid an. Sie betrachtete sich kurz im Spiegel und war zufrieden, weil sie in dem unscheinbaren, aber perfekt geschnittenen Kleid gut aussah. Genauso wusste sie aber auch, dass sie schrecklich aussehen würde, sobald sie sich ihrer Kleidung entledigte. Sie straffte ihre Schultern und schritt erhobenen Hauptes wieder in das kleine Wohnzimmer. Egal was dieser Typ wollte, er würde es nicht bekommen. Jedenfalls nicht von ihr.
„Darf ich vorstellen, das ist unsere Tochter Giulia, die später einmal alles erben wird und deshalb ein Wörtchen mitzureden hat“, kam ihr Vater direkt zum Punkt. Da er nach dem Herzinfarkt dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen war, ließ ihn nun wohl keine Zeit mehr für überflüssiges Geplänkel verlieren.
„Giulia, das ist Antonio Giordano. Seine Familie hat Interesse an unserem Anwesen“, ergänzte er.
Antonio stand auf, und reichte Giulia die Hand. Die eine Sekunde, die er ihre Hand länger hielt als üblich, ließ einen Schauer durch ihren Körper laufen. Rasch zog sie ihre Hand zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ihre Mutter deutete mit einem Nicken an, dass sie sich setzen sollte. Sie folgte und nahm auf dem abgewetzten Sessel neben Antonio Platz. Am liebsten hätte sie ihn auf die andere Seite gerückt, aber das wäre dann doch unhöflich gewesen. Sie musste einfach einen kühlen Kopf bewahren, wie sie das bei Verhandlungen in der Werbeagentur auch tat.
Sie bemerkte, wie Antonio die Familienfotos an der Wand betrachtete. Sie als kleines Mädchen mit ihren Eltern am Strand. Unbeschwert und fröhlich. Sie auf der Abschlussfeier der Schule in London, die Eltern stolz und Giulia sehr ernst, obwohl sie mit Bestnoten abgeschlossen hatte.
„Liebe Signorina Salvatore. Es freut mich, Sie kennenzulernen. Ihre Eltern überlegen, ob es sinnvoll wäre, das mühsam zu pflegende Anwesen aufzugeben, um sich einen entspannten Lebensabend gönnen zu können“, sagte Antonio, als täte er ihren Eltern einen Gefallen, wenn er das Häuschen samt Grund und Boden kaufen würde! Giulia versuchte den Blick ihrer Eltern zu fangen, doch sie sahen nur betreten auf das geblümte Tischtuch. Hatte ihre Mutter nicht vorhin noch gesagt, sie wolle lieber sterben, als ihr Zuhause verlassen?
„Ach, Sie sind also der Wohltäter unseres Dorfes, der armen alten Leuten hilft?“, schoss es aus ihrem Mund.
Nun hob ihre Mutter doch den Blick, allerdings mit einem tadelnden Ausdruck in den müden, alten Augen. „Giulia, wie behandelst du unseren Gast?“
„Schon gut, ich finde es gut, wenn Menschen die Dinge hinterfragen“, entgegnete Antonio Giordano.
Giulia war sich sicher, dass dieser Schönling sie mit dieser Scheinheiligkeit nur um den Finger wickeln wollte.
„Was würden Sie denn bieten?“, fragte sie deshalb direkt.
„200.000 Euro“, antworte er und hypnotisierte sie fast mit seinem Blick.
„Für dieses Grundstück am Meer? In der Größe? Vergessen Sie es“, konterte Giulia. Dieser Mann war gefährlich. Das spürte sie sofort. Es passierte selten, dass ein Mann sie aus dem Konzept brachte, aber dieser tat es. Er saß hier wie ein Löwe vor ein paar wehrlosen Antilopen. Er glaubte, seine Zähne nicht zeigen zu müssen, weil er sowieso als Sieger aus der Schlacht hervorgehen würde.
„Giulia“, mischte sich ihr Vater ein, „vielleicht müssen wir doch zumindest darüber nachdenken, ob wir unser Haus hier aufgeben. Irgendwann kommt der Tag ohnehin. Du hast dein Leben in London. Wir haben alles dafür getan, um dir eine gute Ausbildung zu ermöglichen, nun hast du schon so viel erreicht. Wir dürfen das nicht kaputt machen, nur weil wir uns nicht mehr verändern wollen.“
Jetzt sollte sie auch noch an allem schuld sein! Giulia fühlte ein schlechtes Gewissen. Wäre sie nicht gewesen, wären ihre Eltern nie ausgewandert. Sie wären mit dem Leben hier zufrieden gewesen. Und der böse Blick, den ihre Mutter ihrem Ehemann zuwarf, zeigte ganz deutlich, dass sie nicht einmal darüber nachdenken wollte, ihr geliebtes Zuhause zu verlassen.
„Mama, Papa, es gibt auch andere Möglichkeiten und Hilfestellungen, als euer Zuhause zu verkaufen!“, flehte sie ihre Eltern fast an. Bevor sie vorhin das erste Mal nach vielen Jahren wieder ins Meer getaucht war, hätte sie ihren Eltern sofort geraten, zu verkaufen. Aber jetzt, wo dieser Antonio es ernst machen wollte, wollte sie das Haus ihrer Eltern mit allen Mitteln halten.
„Signor Giordano, Sie wissen genauso gut wie ich, dass allein das Grundstück viel mehr wert ist. Unsere Nachbarin hat mich schon darüber informiert, dass Sie den gesamten Küstenstreifen umgestalten wollen. Und Sie gehen davon aus, dass so ein paradiesischer Ort immer ausgebucht sein wird – zu Ihren Gunsten“, wendete sie sich wieder an Antonio. Meine Güte, hatte er schöne starke Hände! Und in seinem Blick lag für einen winzigen Moment tief versteckt, aber doch sichtbar für jemanden, der selbst schon Schmerzen erlitten hatte, eine große Verwundung. Sie sahen sich an, als wüssten sie beide, dass sie aus demselben Holz geschnitzt waren, auch wenn dieser Antonio es zeit seines Lebens bestimmt leichter gehabt hatte. Ein Luxussohn. Einer, dessen Eltern sich nicht abrackern mussten, um ihm ein Studium zu finanzieren.
Antonio wandte den Blick ab und schaute ihren Vater an. „Wenn es nur um den Preis geht, können wir handeln.“
Giulia hätte schreien mögen ob dieser Überheblichkeit, die aussagte, dass Geld keine Rolle spielte. Aber sie hatte auch ihren Stolz!
„Meine Eltern haben es nicht nötig, ihr Zuhause zu verkaufen. Sollten sie einen bequemen Altersruhesitz brauchen, werde ich dafür aufkommen und dieses Haus“, sie machte eine ausladende Geste wie ein Großgrundbesitzer, der seinem Sohn zeigt, was er mal erben wird, „für uns alle als Urlaubsdomizil erhalten!“, sagte sie und sah Antonio fest in die Augen. Sie glaubte, ein Zucken in seinen Mundwinkeln gesehen zu haben. Er nahm sie nicht ernst. Und auch ihre Eltern sahen aus, als wollten sie widersprechen, doch glücklicherweise überlegten sie es sich anders.
Antonio erhob sich aus dem Sessel und zog eine Visitenkarte aus seiner Hosentasche. In Jeans und weißem Hemd wirkte er leger und überhaupt nicht wie ein profitorientierter Geschäftsmann. Aber das war mit Sicherheit genauso nur Tarnung wie seine vordergründig freundliche Art.
„Falls Sie es sich anders überlegen oder Fragen haben, können Sie sich jederzeit wieder an mich wenden“, sagte er und überreichte Giulia die Visitenkarte.
Interessiert betrachtete Giulia das cremeweiße, aufwendig gestaltete Kärtchen, doch bevor sie die Adresse entziffern konnte, riss ihr Vater es ihr aus der Hand und warf Antonio das erste Mal in dieser Unterredung einen bösen Blick zu.
„Ich werde mich bei Ihnen melden, falls wir es uns überlegt haben“, sagte er und gab Antonio die Visitenkarte zurück. „Wir brauchen Ihre Telefonnummer kein zweites Mal!“
„Meine Güte, erst soll ich über das Haus mitentscheiden, dann habt ihr Angst, ich komme auf dumme Gedanken, wenn ich seine Telefonnummer und Adresse habe!“ Giulia war mit ihren Eltern wieder in die Küche gegangen, nachdem Antonio sich verabschiedet hatte.