Ein Solist müsse von seinem Publikum fordern können: »Entweder Sie husten oder ich spiele«, sagte einmal der Pianist Alfred Brendel.
Musiker erzählen nicht nur unentwegt Geschichten, ihr Humor und ihr künstlerischer Überschwang sorgen auch zuverlässig für heitere Anekdoten. Hans Martin Ulbrich hat allerlei unbekannte wie auch berühmt-berüchtigte Pointen aus der Musikwelt aufgestöbert und neu erzählt.
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Andere sammeln Gegenstände. Hans Martin Ulbrich sammelt Anekdoten, schon ein Musikerleben lang. Dass ihm da über die Jahrzehnte eine reiche Fülle von wundersam bunten (Musik-)Geschichten im ausgeworfenen Netz hängen geblieben ist, erstaunt nicht. Er hat die besten eingesammelt, nacherzählt, ihre Pointen gespitzt – und er macht die Leserin und den Leser schon von der ersten Seite an neugierig auf das vielfältige Kulissengeflüster.
Paavo Järvi
Der sechsjährige Sepperl, Joseph HaydnHaydn, Joseph, wurde von seinen Eltern nach Hainburg an die Donau geschickt. Dort lernte er Lesen und Schreiben, Katechismus, Singen und fast alle Blas- und Saiteninstrumente sowie das Paukenschlagen. Rückschauend berichtete er: »Ich verdanke diesem Manne [dem Schuldirektor] noch im Grabe, dass er mich zu so vielem angehalten hat, wenngleich ich dabei mehr Prügel als zu essen bekam.«
Wolfgang Amadé MozartMozart, Wolfgang Amadé schrieb am 13. November 1777 an seinen Vater, er sei enttäuscht, weil er für seinen Auftritt beim Intendanten Graf Louis Aurel Savioli kein Honorar erhalten habe und fügte hinzu: »… Es war so wie ich mir es eingebildet habe: nichts in Geld, eine schöne goldene Uhr, welche man mit Ketten und Devisen auf 20 Carolin schätzt. Auf der Reise braucht man Geld. Nun habe ich mit dero Erlaubnis 5 Uhren. Ich habe auch kräftig im Sinn, mir an jeder Hosen noch ein Uhrtaschl machen zu lassen, und wenn ich zu einem großen Herrn komme, beide Uhren zu tragen (wie es ohnehin jetzt Mode ist), damit nur keinem mehr einfällt, mir eine Uhr zu schenken.«
Über Ludwig van BeethovenBeethoven, Ludwig van erzählte sein Schüler Ferdinand RiesRies, Ferdinand: Im Wiener Gasthof zum Schwanen habe der Komponist beim Anblick einer »unrechten Schüssel mit einem Lungenbratel mit reichlicher Brühe« recht unmanierliche Worte zum Kellner gerufen, welche dieser »nicht eben bescheiden erwiderte«, worauf BeethovenBeethoven, Ludwig van ihm mit einem Hieb gegen die Schüssel die Brühe ins Gesicht spritzte. Ein lautstarker Streit entstand. Die Gäste lachten, wohl weniger über den peinlichen Vorfall als über den Kellner, der zugleich noch »mit Wiener Geschick« andere Schüsseln balancierte und sich inzwischen, Grimassen schneidend, die Brühe aus dem Gesicht leckte.
BeethovenBeethoven, Ludwig van, der mit seinen Freunden launisch umging, schrieb im Januar 1823 an seinen Vertrauten und Biografen Anton Schindler in Wien: »Sehr Bester! Gemäß folgendem Hati Scherif* habt ihr euch um halb 4 heute Nachmittag im Mariahilfer Kaffehaus einzufinden, um euch über verschiedene strafbare Handlungen zu vernehmen. Sollte dies[e]r H. S. euch heute nicht finden, so seid ihr morgen um halb 2 uhr verpflichtet, euch bei mir einzufinden, wo ihr nach genossenem Wasser u. Brot euch in einen 24-stündigen Arrest zu begeben habt. –
L. V.!! = :: Bthven«
(*Mit »Hatt-i-Scherif« wurden Kabinettsorder der türkischen Sultane bezeichnet, gegen die keine Kritik erhoben werden durfte.)
Zum 70. Geburtstag Gioachino RossinisRossini, Gioachino sammelte sein Freundeskreis die enorme Summe von zwanzigtausend Francs, um dem gefeierten Komponisten ein Denkmal zu errichten. Als RossiniRossini, Gioachino dies hörte, rief er wütend: »Welche Verschwendung! Gebt mir das Geld – ich stelle mich selber hin.«
RossiniRossini, Gioachino probte in Paris seine Oper Der Barbier von Sevilla. Weil der Oboist Henri Brod sich an einer Stelle verspielt hatte, meinte der dirigierende Komponist: »Es ist mir lieber, wenn Sie f blasen. Ihr fis ist zweifellos auch schön, aber lassen Sie uns doch eine Stelle suchen, wo es hinpasst.«
César FrancksFranck, César Erfolge als Komponist hielten sich lange in Grenzen. So wurde auch die Uraufführung seiner einzigen Symphonie in d-Moll am 17. Februar 1889 von Ewiggestrigen verunglimpft. Einer der Lästerer, ein Professor des Conservatoire de Paris, hatte gegenüber Vincent d’Indy maliziös verlauten lassen: »Das soll eine Symphonie sein? Mein Herr, hat man je gesehen, dass jemand in einer Symphonie ein Englischhorn verwendet hätte? Nennen Sie mir eine Symphonie von HaydnHaydn, Joseph oder BeethovenBeethoven, Ludwig van mit diesem Instrument … Somit sehen Sie, dass diese Musik Ihres Franck niemals eine Symphonie sein kann.«
Am 19. April 1890 wurde FrancksFranck, César Streichquartett in D-Dur im Rahmen der Société Nationale, in der Pariser Salle Pleyel, aufgeführt. Das Publikum applaudierte stürmisch, erhob sich von den Sitzen, forderte das Erscheinen des belgischen Komponisten auf dem Podium. Anderntags, Monate vor seinem Tod, meinte Franck: »Endlich beginnt mich das Publikum zu verstehen!«
Albert LortzingLortzing, Albert verbrachte sein letztes Schaffensjahr in Berlin. Sein Salär als Kapellmeister des Friedrich-Wilhemstädtischen-Theaters war bescheiden, weshalb ihn Existenzsorgen plagten. Eines Tages hörte er einen Leierkastenmann, der gerade ein Stück aus einer Oper herunterleierte. Als LortzingLortzing, Albert dem Musikanten einen Groschen in die Kasse warf, meinte dieser: »Mehr ha’m Se nicht übrig für diese scheene Musike?« LortzingsLortzing, Albert Antwort: »Eigentlich müsste ich die Hälfte des Groschens für mich behalten. Sie haben die Musik zwar zum Klingen gebracht, ich aber habe sie komponiert.« Der Musikant spielte nämlich nichts anderes als seinen Holzschuhtanz aus Zar- und Zimmermann.
Antonín DvořákDvořák, Antonín spielte seinem Freund Josef Bohuslav Foerster am Klavier sein Requiem vor. Da erschien unerwartet Anna DvořákováDvořáková, Anna, die Gattin des Komponisten.
»Um Himmels Willen«, rief sie. »Was treibt ihr denn da?«
Tief versunken sagte DvořákDvořák, Antonín: »Wir stecken im Rauch.«
Seine Gattin schraubte den Docht einer Petrollampe nieder – DvořákDvořák, Antonín spielte unbeirrt weiter. Doch bald donnerte die Gattin erneut: »Um Himmels Willen, merkt ihr denn nicht, dass die Lampe schon wieder qualmt?! Wo habt ihr denn eure Nasen hingetan?« Dann raunte sie: »Sie spielen und spielen drauflos, die reinen Narren …«
Diesmal schraubte Foerster den Docht zurück. Nach seiner Schilderung sah DvořákDvořák, Antonín inzwischen aus, »wie der Mohr in der Zauberflöte«. Die Fenster wurden aufgerissen, die Noten, Klaviertasten und das Pult abgewischt – schon wollte sich DvořákDvořák, Antonín wieder ans Klavier setzen – da sagte seine Gattin: »Geht euch waschen!« Also wurden Gesichter und Hände in der Küche »einer gründlichen Reinigung unterzogen«. Danach überwachte Anna DvořákováDvořáková, Anna das weitere Geschehen – während ihr Ehemann sein Requiem zu Ende spielte.
Die Nádraží cisaře Františka Josefa, Praha – der Kaiser-Franz-Josef-Bahnhof in Prag übte eine fast magische Anziehung auf Antonín DvořákDvořák, Antonín aus. Sein täglicher Morgenspaziergang führte stets in diesen Bahnhof, wo er mit Kennerblick die dort stationierten Lokomotiven in Augenschein nahm. Er notierte sich die »Opuszahl« der Dampfrösser sowie die Namen der Lokomotivführer. Später, als Professor am Konservatorium, schickte er sogar Studenten hin, die ihm zu berichten hatten, welche Lokomotiven welchen Expresszügen vorgespannt worden waren. Als DvořáksDvořák, Antonín Lieblingsschüler, der spätere Schwiegersohn Josef Suk, versehentlich die Nummer des Kohlentenders nannte, statt jene der Lokomotive, scherzte der Komponist mit seiner Tochter: »… und einen solchen Menschen willst du heiraten?«
Johannes BrahmsBrahms, Johannes war oft zur Stelle, wenn es galt, Not zu lindern oder Freunden beizustehen. Seinem Vater legte er einmal zwischen ein paar Bibelseiten einige Banknoten, mit der Anmerkung, er möge in Notzeiten in der Heiligen Schrift Trost suchen.
Johannes BrahmsBrahms, Johannes
Friedrich HegarHegar, Friedrich, Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich von 1868–1906, erzählte, BrahmsBrahms, Johannes habe bei ihm ein paarmal in der Gemeindegasse in Zürich-Hottingen »auf dem Sofa genächtigt«, weil er spätabends sein Wohnquartier am Zürichberg nicht mehr aufsuchen wollte. Als einmal gleichzeitig ein anderer Gast HegarHegar, Friedrich um ein Nachtquartier bat, trat ihm BrahmsBrahms, Johannes sein Sofabett ab und legte sich auf den Parkettboden unter dem Flügel. Bereits um fünf Uhr stand er wieder auf und verkündete, herrlich geschlafen zu haben.
Je berühmter BrahmsBrahms, Johannes wurde, desto raffinierter gingen Autogrammjäger vor, um zumindest in den Besitz eines kleinen Schriftstücks des Meisters zu gelangen. Eines Tages erhielt er einen Brief aus Solingen, indem es hieß: »Die von Ihnen bestellte Sendung von zehn Dutzend echten Solinger Klingen wird demnächst bei Ihnen eintreffen. Den Betrag erlauben wir uns durch Postnachnahme demnächst zu erheben.«
BrahmsBrahms, Johannes durchschaute den Schwindel. Er reagierte nicht und die Sendung traf nie ein.
Im Lehrbuch der Geographie für gehobene und höhere Lehranstalten von Carl Baenitz und Ferdinand Kopka von 1884 wird die Abbildung eines »typischen Kaukasiers« präsentiert. Gezeigt wird ein würdiger älterer Herr mit zielbewusstem Blick und einem mächtig herabfließenden Bart. Die Schüler konnten allerdings nicht wissen, dass ihnen Johannes BrahmsBrahms, Johannes entgegenblickte.
Der Komponist Leoš JanáčekJanáček, Leoš hatte einen speziellen Humor. Im August 1927, ein Jahr vor seinem Tod, schrieb er seiner Frau Zdenka aus Luhačovice: »Heute gehe ich, um den Arzt zu bezahlen und festzustellen, ob alles sauber ist. Die Hosentasche ist sauber […]. So werde ich ganz bestimmt am Freitagnachmittag kommen. Womit wirst Du mich empfangen? Mit Kartoffeln und Sauermilch? Mit einem jungen Hasen oder einer jungen Gans? Und mit einem Glas guten Biers? Für den Sonntag brate eine Gans.«
Eine Pressenotiz ging um die Welt: Giacomo PucciniPuccini, Giacomo habe sich bei einem Autounfall ein Bein gebrochen. Der Komponist nahm den Unfall nicht tragisch, er war dankbar, dass ihm nichts Schlimmeres widerfahren war. Als er im Krankenhaus eingegipst wurde, scherzte er: »Es wird bereits an meinem Denkmal gearbeitet. Das rechte Bein wird bald fertig gestellt sein.«
Nach einer Schilderung des Soziologen Wolf Lepenies bat Richard StraussStrauss, Richard 1905 seinen Freund Romain RollandRolland, Romain eindringlich, ihm bei seiner Arbeit an der französischen Fassung seiner Oper Salome behilflich zu sein. RollandRolland, Romain sagte zu und korrigierte nahezu zweihundert Textstellen. Als an der Generalprobe dieser Oper Clément Armand FallièresFallières, Armand Clément, Präsident der Republik, und vier weitere Minister teilnahmen, flüsterte jemand StraussStrauss, Richard zu, der Präsident habe die Absicht, ihn mit dem Verdienstorden ›Officier de la Légion d’Honneur‹ auszuzeichnen. Darauf antwortete der Komponist: »Ich hätte es wirklich verdient.«
Anlässlich seines 70. Geburtstags im Jahr 1934 dirigierte StraussStrauss, Richard in Basel seine Oper Arabella. Als er nach einer Orchesterprobe auf die Bühne kam, fragte ihn ein Kapellmeister: »Wie gefällt Ihnen unsere Einstudierung? Wir haben uns bemüht, alles sehr exakt zu erarbeiten.«
StraussStrauss, Richard entgegnete: »Ja, exakt, sehr exakt – aber sagen Sie, lieber Freund, warum wollen Sie es denn so exakt haben?«
In London machte sich jemand in einer Abendgesellschaft über die Kompositionen des letzten deutschen Kaisers, Wilhelm II.Wilhelm II., lustig. Da mischte sich der anwesende Richard StraussStrauss, Richard ein, um zu verkünden: »Es ist unvorsichtig und auch unklug, sich über die Kompositionen gekrönter Häupter zu belustigen, weil man nie weiß, wer diese Werke komponiert hat.«
Richard StraussStrauss, Richard
Vor der Dresdner Uraufführung von StraussStrauss, Richard’ Die schweigsame Frau monierte der Komponist in einer Probe: »Das Orchester ist zu laut!« Der angesprochene Dirigent, Karl BöhmBöhm, Karl, hielt dagegen: »Herr Doktor, schauen Sie sich die Partitur an! Wie soll die Cebatori da durchkommen?«
Über Richard StraussStrauss, Richard’ Reaktion wird berichtet: »Er murmelte etwas, nahm aber brav die Partitur … ergriff eine rote Feder, strich Verdoppelungen weg, machte aus einem mezzoforte ein piano. Und schließlich waren die Sänger zu verstehen.«
Der Komponist Erik SatieSatie, Erik, mit 21 Jahren des familiären Lebens in Honfleur überdrüssig, bezog in der Pariser Rue Condorcet im 9. Arrondissement ein bescheidenes Zimmer. Laut seinem Freund Patrice Contamine de Latour nahm er dort seine Kleider, schnürte sie zu einem Ballen, zog ihn über den Fußboden, trampelte darauf herum, übergoss ihn mit verschiedenen Flüssigkeiten, zerfetzte die Stoffe. Dann zerschnitt er seinen Hut, zerstörte seine Schuhe, zerriss seine Krawatte. Fortan war er ein Bohemien, trug Kleidung aus groben Baumwollstoffen, ließ sich Bart und Mähne wachsen und verdiente sich im Café de la Nouvelle Athène an der Place Pigalle und im Cabaret Le Chat Noir mit Klavierspielen ein paar Francs.
In reiferen Jahren war SatieSatie, Erik ein kreativer Experimentator. In seinen Kompositionen verzichtete er gelegentlich auf übliche Satzbezeichnungen. Stattdessen setzte er Titel wie:
Drei Stücke in Form einer Birne
Schlaffes Präludium für einen Hund
Vergraben Sie den Ton in Ihrer Magengrube
Öffnen Sie den Kopf
Wie eine Nachtigall mit Zahnschmerzen
Unappetitlicher Choral
Max RegerReger, Max sandte Freunden ein Foto von sich, das sie als Kopie bereits besaßen. Als sie der Komponist danach einmal besuchte, hatten seine Freunde die beiden Porträts nebeneinander auf einen Karton geklebt. Das eine Foto war auffallend dunkel, das andere hell. RegersReger, Max Kommentar: »Max RegerReger, Max vor und nach dem Bade.«
Der Maler Max OppenheimerOppenheimer, Max berichtete über den Komponisten Arnold SchönbergSchönberg, Arnold