„Am Anfang war das Wort“

„…Schenk den Frauen Opferfülle

und den Jungen Pflicht und Zucht.

Spreng aus der versteinten Hülle

wundertätig Kern und Frucht.

Gib dem Pflug der deutschen Waffen

neue Ehre, neuen Ruhm.

Laß die Männer wagend schaffen

gegen Haß und Krämertum

… mach zum letzten Schlage

scharf und glühend unser Schwert.

Keine Klage, keine Frage...

hart sei, wer den Sieg begehrt!“1

Dr. Fritz Michel, Hauptschriftleiter


1 Michel, Fritz, „Deutsches Kriegsgebet“ in Deutsche Zeitung im Ostland Nr. 18 vom 22.08.1941

Abb.1 (Titel): Schreibmaschine der 30er Jahre, Bild: Jens Nielsen

Mein Dank für die Unterstützung bei der Arbeit an diesem Buch geht an:

Andy Franke — Korrekturlesen

Kirsten Freienstein — Korrekturlesen, Beratung und Unterstützung in jeder Lebenslage

Wolfgang Funk — Korrekturlesen und Beratung

Dr. Andrea Graw-Teebken — Korrekturlesen und Beratung

Wiebke Hansen — Korrekturlesen und Beratung

Jochen Meyer – Korrekturlesen, Beratung und Bildweitergabe

Gunnar Nielsen – Layout und Druckdatenerstellung mit Abschlusslektorat

Jörg Nielsen – grundlegendes Lektorat und Beratung

Jens Petersen – Korrekturlesen

Dr. Falk Ritter – Korrekturlesen und Beratung

Uwe Schröder – Korrekturlesen und Weitergabe von Fotos

Gerd Tams – Bildweitergabe und Kontaktherstellung

Gudrun Treumer – Zurverfügungstellung umfangreicher Archivmaterialien

Impressum

Autor: Verlag:

Jens Nielsen Books on Demand GmbH

Gerhardstraße 64 In de Tarpen 42

24105 Kiel 22848 Norderstedt

ISBN: 9783753467689

www.agentour-zeitensprung.dejens@agentour-zeitensprung.de

Inhalt

  1. „Am Anfang war das Wort“ – Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Schleswiger Nachrichten – Einführung und persönliche Annäherung an das Thema
  2. „… dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ – Die Bücherverbrennung auf dem Stadtfeld in Schleswig am 23.06.1933
  3. Der Hauptschriftleiter der Schleswiger Nachrichten Dr. Fritz Michel in der Zeit des Nationalsozialismus in Schleswig
  4. Das Buch „Schleswig 1836–1945 Eine Stadt und ihre Bürger…“ im Kontext der Berichterstattung der nationalsozialistischen Geschichte der Stadt Schleswig
  5. Jugendarbeit in Schleswig – Das in den Schleswiger Nachrichten propagierte Bild der deutschen Jugend
  6. „Triumph des Willens“ – Die ganze Stadt Schleswig als Propagandainstrument in den Diensten des Nationalsozialismus
  7. „…wo diesen Hetzern und Saboteuren einer wahren Volksgemeinschaft das Handwerk gelegt wird…“ – Wie in den Schleswiger Nachrichten mit „Feinden der nationalsozialistischen Bewegung“ umgegangen wurde
  8. „Krankenheilanstalt für Unfruchtbarmachung“ – Die in den Schleswiger Nachrichten propagierte Ideologie der „erbgesunden Rasse“ und die in Schleswig wahrnehmbaren Veränderungen in der medizinischen Versorgung
  9. Die Olympiade 1936 – Ein propagandistisches Großereignis in den Schleswiger Nachrichten
  10. Die Schleswiger Nachrichten nach dem Weggang von Dr. Fritz Michel – Die propagandistische Berichterstattung in der Zeitung in Verbindung mit den Kriegsvorbereitungen und dem Verlauf des Krieges
  11. Das Wirken von Dr. Fritz Michel in den Jahren 1937–1945
  12. Alte Auseinandersetzungen nach dem Krieg – Interne Streitigkeiten bei den Schleswiger Nachrichten im Kontext mit der Funktion der Zeitung als „Partei- und Propagandablatt“
  13. „Dr. Michel und was kommt danach?“ – Die Hauptschriftleiter der Schleswiger Nachrichten nach Dr. Fritz Michel ab 1937
  14. „Was bleibt...”
  15. Literaturliste
  16. Quellen zum Thema

Abb. 2: Schleswiger Nachrichten vom 5.5.1945

1. „Am Anfang war das Wort“ – Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Schleswiger Nachrichten – Einführung und persönliche Annäherung an das Thema

Bis in unsere Zeit stellt sich die Frage, wie es passieren konnte, dass die rechtsextremen Kräfte im Schatten der Weimarer Republik in einem relativ kurzen Zeitraum so erstarken und als NS-Staat derartig viel Macht über die deutsche Bevölkerung in allen Lebensbereichen gewinnen konnten. Was brachte die Bevölkerung dazu, die Nationalsozialisten nicht nur zu unterstützen und ihre Ideologie mitzutragen, sondern vor allem auch zuzulassen, dass die noch junge Republik innerhalb kürzester Zeit zu einem totalitären Führerstaat umgewandelt und ausgebaut wurde? Wenn man heute in der Generation derer herumfragt, die in dieser Zeit gelebt haben, oder deren Eltern von ihren Erlebnissen als Kinder in der Nazizeit berichten konnten, dann war auffälligerweise niemand an den Geschehnissen im sogenannten Dritten Reich direkt beteiligt. Niemand hat diese Zustände und politischen Veränderungen aktiv mit herbeigeführt. Niemand hat von irgendetwas gewusst. Diese hinlänglich bekannte kollektive Erinnerungslücke scheint sich flächendeckend über unser Land ausgebreitet zu haben und findet sich in sehr vielen Familien wieder. Doch schon ein Blick in alte private Familienfotoalben gewährt schnell tiefere Einblicke und füllt Erinnerungslücken, sieht man doch auch hier zum Teil die Uniformen mit den obligatorischen Hakenkreuzarmbinden. Das gilt auch für meine eigene Familie. Man fragt sich, wie das „Von-nichts-gewusst-haben” sowohl bei persönlichen als auch bei kollektiven Erinnerungen meiner Heimatstadt Schleswig aufrecht zu erhalten ist, wenn man vorhandenen Quellen deutlich entnehmen kann, dass zum Beispiel am 14.09.1944 fast siebenhundert Patienten und Patientinnen aus dem ehemaligen Landeskrankenhaus bzw. aus der psychiatrischen Anstalt mit ihren laut klappernden Holzpantoffeln durch die Stadt geführt wurden. Sie wurden im Kontext mit der sogenannten „Rassenhygiene“ deportiert und außerhalb Schleswigs in der Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde ermordet.2

Abb. 3: Französische Kriegsgefangene Stalag XA Schleswig, 1941. Bildrechte: Sylvain Latouche

Wenn solche Vorgänge nicht heimlich passierten, wie konnte man übersehen, dass jüdische Nachbarn aus ihrem Zuhause in der Stadt Schleswig vertrieben und nie wiedergesehen wurden, weil sie zum Teil ins Exil gehen mussten oder in Konzentrationslagern grausam ermordet wurden?3 Wie konnte man das Schicksal von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen in unmittelbarer Nachbarschaft, die in Schleswig zu Tode kamen, nicht mitbekommen?4 Wie kam man allgemein in dieser Zeit an Informationen? Wie und wo fand Meinungsbildung statt?5

Man mag in der Überschrift über die frühe Datierung der Ausbreitung des Nationalsozialismus in den Anfang der 1920 Jahre verwundert sein, wenn man die typischen Daten des zwölf Jahre lang bestehenden Dritten Reiches von 1933 bis 1945 im Hinterkopf hat. Die weitere Darstellung wird aber zeigen, dass die in dieser Zeit und in dieser Region bestehenden deutsch-nationalen, rassistischen und antisemitischen Positionen bei einem Teil der Bevölkerung bereits lange vor Beginn der 30 Jahre zu suchen sind und hier ihre Wirkung taten.

Ich bin als Forschender und Angehöriger einer nachfolgenden Generation weit davon entfernt anzuklagen, aber um diese Zeit besser zu verstehen, habe ich mich mit diesem Buch auf Spurensuche begeben. Es scheint nach unzähligen Befragungen und Auswertung von Quellenmaterial tatsächlich so zu sein, als müsste es einen Zeitpunkt direkt nach dem Krieg gegeben haben, an dem sich die überlebende Bevölkerung der späteren Bundesrepublik Deutschland und so auch in meiner Heimatstadt Schleswig im stillen Einvernehmen entschied, das Erlebte zu verdrängen. Die in der NS-Zeit aktiv Agierenden fanden deshalb Strukturen vor, die es ihnen leicht machten, schnell wieder Fuß zu fassen, ohne für ihre Taten zur Verantwortung gezogen zu werden. Ihre Arbeitsleistung wurde für die junge Bundesrepublik schnell wieder gebraucht.

Nachdem ich mich als Autor und Forscher auf die Suche begeben hatte, Quellen auch zu den dunklen Punkten meiner eigenen Familiengeschichte aufzutun, stieß ich immer wieder auf gravierende Ungereimtheiten und Verschleierungen aus dieser Zeit, die nicht nur meine Familie direkt, sondern auch die gesamte Stadt Schleswig betrafen. Bei der intensiven Auseinandersetzung mit dem Quellenmaterial dieser Zeit wurde mir schnell klar, welche hervorgehobene Bedeutung die Berichterstattung der Medien in der NS-Zeit für die Meinungsbildung hatte. Ich beschloss, um die Manipulation der Menschen durch die Presse ab dem Vorabend des Dritten Reiches besser nachvollziehen und speziell für Schleswig klarer herausarbeiten zu können, mich ganz dem Studium des vorhandenen Quellenmaterials zu widmen, wobei eine direkte Kausalität zwischen dem Wirken der Presse und der Meinungsbildung der Bevölkerung letztendlich kaum nachweisbar sein kann. Bei der umfassenden Recherche ergaben sich für mich erklärende Momente, die mich das Gefühl haben ließen, dass es an der Zeit wäre, den Schleier des Vergessens gänzlich zu lüften, vorbehaltlos über die Vergangenheit zu schreiben und auch die Quellen konkret zu benennen, aus denen das Wissen um die Gedankenwelt und die Taten der NS-Zeit in Schleswig zu entnehmen sind. In diesem Zusammenhang bot sich unter anderem ein intensives Studium der Schleswiger Nachrichten als führende Zeitung dieser Zeit an.

Die Schleswiger Nachrichten waren das einzige Organ der öffentlichen Meinung in der Stadt. In den Blättern dieser Zeitung spiegelt sich die Geschichte der Stadt Schleswig wider. Vielleicht kann dieses Buch mit dazu beitragen, die Stadt- sowie Pressegeschichte Schleswigs in der Zeit des Nationalsozialismus neu zu bewerten und zu beleuchten, denn: „Am Anfang war das Wort“.

Der aus der Bibel entnommene Satz „Am Anfang war das Wort“ als Titel des Buches ist in diesem Kontext ganz bewusst gewählt und soll die nicht zu unterschätzende Macht des geschriebenen oder gesprochenen Wortes in politischen Zusammenhängen hinweisen, welches in so vielen Fällen dramatische Handlungen der Weltgeschichte vorweggenommen hat. Nicht umsonst spricht man in diesem Zusammenhang von Schreibtischtätern und „geistigen Brandstiftern“. Doch wird der Anteil der Beeinflussung der Leserinnen und Leser ausschließlich durch die Presse dieser Zeit nicht explizit zu beziffern sein.

Die Veröffentlichung „Am Anfang war das Wort“ bietet einen Einblick in das Wirken der Schleswiger Nachrichten mit ihren Mitarbeitern in der Zeit des Nationalsozialismus unter Hinzunahme noch neuer, nicht ausgewerteter Quellen und stellt gleichzeitig eine teilweise Bündelung der bisher bekannten Forschungsergebnisse dar.

Jens Nielsen im Januar 2021

Abb. 4: „Tag der Arbeit“ vor der Fleischfabrik Rasch Ecke Königsstraße/Plessenstraße, 1935(?) Foto: Roswitha Heimerl


2 Siehe auch: Fuchs, Thorsten, 2016 „Die vergessenen Toten“, Hannoversche Allgemeine, Ausgabe vom 02.09.2016.

Vgl. Philipsen, Bernd, „Der Todesengel im Arztgewand“, Schleswiger Nachrichten, Ausgabe vom 22.11.2012.

3 Schwarz, Rolf, Hoch, Gerhard, 1985 „Verschleppt zur Sklavenarbeit. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein“ Alveslohe, Hoch, Gerhard.

4 Siehe auch: Forschungsgruppe “Zwangsarbeit in Schleswig-Holstein” (FGZSH). www.zwangsarbeiter-s-h.de.

5 Siehe dazu auch: Meyn Herrmann, 2004: „Massenmedien in Deutschland“. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin. UVK. Verlagsgesellschaft. Konstanz.

1.1. „Von schlafenden Hunden – eine Problemanalyse

Wer sich nicht scheut, einen kritischen Überblick über die Ausgaben der zahlreichen Zeitungen in Schleswig-Holstein ab der Nachkriegszeit bis in unsere Tage gewinnen zu wollen, wird ernüchternd feststellen, dass in den Verlagen Schleswig-Holsteins kaum eine wahrnehmbare kritische öffentliche Selbstreflexion oder gar erkennbare Distanzierung von den Vorgängen in der NS-Zeit erfolgt ist. Auch sind 75 Jahre nach Kriegsende in Buchveröffentlichungen, Dokumentationen und in Medienbeiträgen nur wenige umfassendere Auseinandersetzungen über belastete Journalisten zu finden. Doch nicht das allein ist das eigentlich Brisante an dieser Thematik. Bei genauerer Recherche stellen sich die Vorgänge im Schleswig-Holstein der Nachkriegszeit so dar, dass nicht nur bekanntermaßen Politiker und Ärzte, sondern auch ein Teil der in der NS-Zeit belasteten Journalisten nach dem Krieg wieder in ihren alten Redaktionen eingesetzt worden sind. Gegenseitige Entschuldigungen und „Persilscheine“ in den Entnazifizierungsprozessen verhalfen den jeweiligen Journalisten sehr schnell wieder dazu, dass die Seilschaften und Verbindungen der alten Zeit neu aktiviert werden konnten.6

Eine Aufarbeitung der eigenen Zeitungsgeschichte, so sie denn gewollt gewesen wäre, wurde für so manches Blatt durch diese neue und eben doch alte Stellenbesetzung erheblich erschwert oder zum Teil unmöglich gemacht. Die Frage nach einer Mitschuld und nach aktiver Propaganda der betreffenden Zeitungen im Dritten Reich konnte für einige Blätter bisher nicht umfassend geklärt werden. Schon Veröffentlichungen über die Verstrickungen einzelner Politiker und Ärzte der Nachkriegszeit in die Machenschaften des NS-Terrors in Schleswig-Holstein und im ehemaligen Deutschen Reich sind schwer zu finden, für die Journalisten dieser Zeit fehlen sie meistens ganz.7

Abb. 5: Dr. Fritz Michel, Hauptschriftleiter8 der Schleswiger Nachrichten (Bildrechte: Stadtmuseum Schleswig)

Bei den Schleswiger Nachrichten in der Stadt Schleswig, welche vor 1945 noch Landeshauptstadt der Preußischen Provinz Schleswig-Holstein war, scheint, nach Durchsicht der Quellenlage, das Maß der noch aufzuarbeitenden Einflussnahme durch Hetze und durch Propaganda in der NS- Zeit besonders groß gewesen zu sein. Natürlich ist dabei zu berücksichtigen, dass alle Zeitungen im Deutschen Reich nach der Machtergreifung im Jahre 1933 gleichgeschaltet wurden. Alle Nachrichten gingen anschließend durch den gleichen Filter des von Joseph Goebbels geführten Ministerium für Propaganda. Obwohl einer Zeitung kaum Möglichkeiten des Widerstandes oder einer möglichen oppositionellen Meinungsverbreitung geblieben wären, scheint die Menge und Intensität der tendenziösen, ideologisch eingefärbten Berichterstattung bei den Schleswiger Nachrichten besonders zwischen den Jahren 1929 und 1945 vergleichsweise hoch gewesen zu sein. Schon seit ca. 1930 hatte sich die Zeitung offen zum Nationalsozialismus bekannt und sehr schnell zum Sprachrohr der NSDAP in der Stadt entwickelt.

Das Wirken der Schleswiger Nachrichten in der Stadt trug maßgeblich zur weiteren Ausbreitung der Parteiideologie der NSDAP in der Region und zur Mehrheitsfähigkeit des Nationalsozialismus bei.9

Neben dem von 1923 bis 1937 und dann wieder von 1949 bis 1965 aktiven Hauptschriftleiter und in der NS-Zeit überzeugten Nationalsozialisten Dr. Friedrich (Fritz) Michel sind auch noch weitere Personen zu benennen, die als Journalisten der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus als Propagandisten in Schleswig Vorschub geleistet haben. Das wird hier zu belegen sein. Dr. Michel war, den Quellen zufolge, ursprünglich in jungen Jahren nationalliberal eingestellt und ist in den 1920er Jahren Mitglied der Deutschen Volkspartei als auch Freimaurer gewesen. Sein Werdegang, seine Hinwendung zum Nationalsozialismus und seine Wiederanstellung nach dem Krieg scheinen in diesem Zusammenhang besonders überprüfenswert zu sein, da er nach seiner Tätigkeit in Schleswig und nach einem relativ kurzen Gastspiel in Kiel von 1941 bis 1944 nach Riga überwechselte. Hier war er, bevor er 1949 nach Schleswig als Schriftleiter zurückkehrte, als Propagandist im Hintergrund an zahlreichen Gräueltaten, insbesondere an Menschen jüdischen Glaubens, beteiligt.

Dr. Fritz Michel war in dieser Zeit dem ebenfalls von Kiel nach Riga übergewechselten Gauleiter bzw. Oberpräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein Hinrich Lohse unterstellt worden. Lohse, der von 1941 bis 1944 zusätzlich höchster Verwaltungschef der Zivilverwaltung des Reichskommissariates Ostland in Riga war und somit direkt dem Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg unterstand, gilt als einer der Hauptverantwortlichen des Völkermordes unter anderem an der jüdischen Bevölkerung in der NS-Zeit.10 Auch über ihn wird hier noch zu berichten sein. Die systematische Propaganda zu den schrecklichen Taten in den im Zweiten Weltkrieg besetzten Ostgebieten lieferte Dr. Fritz Michel, der vorherige und spätere Chefredakteur der Schleswiger Nachrichten, der die Zeitung in der Dauer seines Wirkens intensiv persönlich prägte.11


6 Vgl. dazu: Oddey, Markus, 2006: „Unter Druck gesetzt. Presse und Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein. Struktur-Wahrnehmung-Herrschaftsakzeptanz, Eutin.

7 Vgl. dazu: NDR Fernsehbeitrag. Sendung: ZAPP, 2014, „Belastete Pressevertreter in Schleswig-Holstein: Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ungenügend“. Ausgestrahlt am Mittwoch, d. 26.2.2014

8 Seit dem am 1.1.1934 in Kraft getretenen Schriftleitergesetz waren Schriftleiter für die Kontrolle der Presseinhalte im nationalsozialistischen Deutschen Reich verantwortlich.

9 Siehe dazu auch: Ueck, Almut, 1984: Die politische Schleswig 1929–1934. Wissenschaftliche Hausarbeit für das Lehramt an Gymnasien. Einzusehen in der Kieler Landesbibliothek.

1.2. Die Schleswiger Nachrichten in den Jahren 1812 bis 1923 Vom unpolitischen „Intelligenzblatt“ zum „Steigbügelhalter“ des Nationalsozialismus in Schleswig – Eine Zeitung im Wandel

Der dänische König Friedrich VI. hatte Ende November des Jahres 1811 dem Verlagsbuchhändler, Verleger und Senatoren Cai Franz Christiani das Privileg zur Herausgabe einer Zeitung in Schleswig verliehen. Mit diesem Privileg soll die Geschichte der späteren Schleswiger Nachrichten beginnen, so ist es in unterschiedlichen Quellen zu lesen. Mittlerweile weiß man aber, dass auch die ab dem 1. Januar 1812 in Schleswig erscheinende Zeitung mindestens fünf mit Unterbrechungen hintereinander erschienene Vorgänger gehabt hat und so das Gründungsdatum der Schleswiger Nachrichten, damals noch als Wochenblatt herausgegeben, wohl sehr viel früher zu suchen ist.12 Die Vorgängerzeitungen haben aber in diesem Kontext keinerlei Bedeutung. Daher beschränken wir uns auf das von Christiani 1812 in Schleswig veröffentlichte Blatt, welches zunächst den Namen „Königlich privilegiertes Intelligenzblatt“ trug und ab 1841 „Königlich privilegiertes Schleswiger Intelligenzblatt“ hieß.

Es erschien damals noch im Oktavformat und enthielt vor allem die sogenannten „Intelligenznachrichten“, die sowohl aus amtlichen Mitteilungen und Verordnungen als auch aus Bekanntmachungen und Familiennachrichten bestanden. Doch auch belehrende Aufsätze waren hier zu finden. Wiederholt werden ausschweifende Lobeshymnen auf das Königshaus in dem Blatt abgedruckt. Ein königliches Privileg zu erhalten, bedeutete für die Zeitungsgründer in der Regel die Verpflichtung, sich jedweder politischen Äußerung zu enthalten. (!) So begann der letzte Vorläufer der späteren Schleswiger Nachrichten als Zeitung, die auf höhere Anweisung hin gänzlich frei von Politik zu sein hatte. Hinter jeder Berichterstattung der Zeitung konnte eine Kritik an den herrschenden Verhältnissen verborgen sein, so argwöhnten die Zensoren der Obrigkeit in jenen Tagen. So wurde über wichtige die Stadt Schleswig direkt betreffende Ereignisse, wie beispielsweise Brandkatastrophen oder eventuelle Besuche namhafter Künstler, gar nicht berichtet.

Abb. 6: Die Schleswig-Holsteinischen Anzeigen waren als Amtsblatt eines der ältesten Periodika des Landes S.-H. Hier eine Ausgabe von 1823. Die Erstausgabe dieses Blattes stammt aus dem Jahr 1750. (Bild: Jens Nielsen)

Erst als der Advokat und spätere Justizrat Joseph Christian Gustav Franz Johannsen (1833–1882) lange nach dem Tod Christianis im September 1864 zunächst als Mitinhaber und später als verantwortlicher Redakteur der Zeitung einstieg, erfuhr das Blatt eine beträchtliche Veränderung. Es wurde nicht nur im Folio- statt im Oktavformat herausgegeben, auch der Status eines „Wochenblattes“ wurde umgewandelt und in ein zunächst dreimal wöchentlich erscheinendes Nachrichtenblatt geändert.

Christianis unverheiratet gebliebene Tochter Louise hatte das „Intelligenzblatt“ direkt von ihrem Vater nach seinem Ableben übernommen und bot als Inhaberin Johannsen nun die Möglichkeit, seine Vorstellung von Zeitung zu verwirklichen. Johannsen sah in der Zeitung allerdings nicht so sehr ein wirtschaftliches Unternehmen, sondern eher ein Instrument zur Verbreitung seiner politischen Ansichten. Seine Absicht war es, „seine Zeitung“ zum Parteiorgan des 1861 gerade erst gegründeten holsteinischen Zweiges des Nationalvereins zu machen und dem Blatt langfristig eine nationalliberale Richtung zu geben. So hatte die Zeitung schon ab dem 1. Juli 1864 nicht nur seinen neuen Namen Schleswiger Nachrichten erhalten, sondern es wurden auch wirtschaftliche und erstmalig politische Themen gedruckt.

Johannsen war es dann auch, der, zusammen mit dem Schleswiger Bürgermeister von Gusmann, dem Lederfabrikanten Firjahn und dem Domschulkonrektor Dr. Momsen, den „Verein von 1866“ in Schleswig gründete. Ziel dieses Vereins war es, die Bevölkerung der Stadt durch entsprechende Vorträge zielgerichtet politisch „aufzuklären“. Ab 1867 übernahm Johannsen die Schleswiger Nachrichten allein, jetzt nicht nur als Redakteur, sondern auch als Inhaber. Louise Christiani blieb allerdings weiterhin Geschäftsführerin und Herausgeberin der Zeitung. Mit dem Umzug der Kanzlei Johannsens vom Schleswiger Kornmarkt in den Stadtweg 54 zog auch die Redaktion und die Anzeigenaufnahme der Zeitung mit. Noch bis in unsere Tage ist der Sitz der Zeitung an diesem Ort. Ab dem 1. Januar 1869 erschienen die Schleswiger Nachrichten erstmalig jeden Tag.

In einer von Johannsen mehrseitig beschriebenen „Abmachung“ mit dem Redakteur Weißpflog, einem seiner Nachfolger in der Redaktion, lernen wir die von Joseph Johannsen formulierten Richtungsvorstellungen seiner Zeitung in Schleswig konkreter kennen. Johannsen hatte wegen seiner Ernennung zum Rechtsanwalt beim „Oberappellationsgericht für die neuen Provinzen in Berlin“ und aufgrund der folgenden Arbeitsüberlastung erst dem jungen Dr. phil. Cajus Möller und dann dem Redakteur Weißpflog die redaktionelle Arbeit überlassen müssen, auch wenn er Inhaber der Zeitung blieb. Dieser „Abmachung“ mit Weißpflog ist zu entnehmen, dass es Johannsens Vorstellung von Zeitungsarbeit war,

„… daß die Richtung des Blattes vor allen Dingen national ist und bleibt um jeden Preis…“ Weiterhin ist hier zu lesen: „…von den gegenwärtigen Parteien fällt der rechte Flügel der nationalliberalen Partei mit dieser Richtung wesentlich zusammen…die Freikonservativen bilden dabei keinen prinzipiellen Gegensatz… bekämpft werden die Sozialdemokraten und Ultramontanen (Zentrum)…die Deutschkonservativen sind unsere Gegner…“13

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