Mathilda Grace
NACHTSCHWÄRMER
Band 2 der Nacht – Trilogie
Nachtschwärmer
1. Auflage, November 2016
Impressum
© 2016 Mathilda Grace
Am Chursbusch 12, 44879 Bochum
Text: Mathilda Grace 2015/2016
Foto: bstrupp, Pixabay
Coverdesign: Mathilda Grace
Korrektorat: Corina Ponta
Web: https://mathilda-grace.blogspot.de/
Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.
Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden. Diese Geschichte spielt in einer fiktiven Kleinstadt in den USA.
Nachtschwärmer enthält homoerotische Beschreibungen.
- Roman -
Jasper Baker ist Arzt aus Leidenschaft und hat seine Stelle im Krankenhaus an den Nagel gehängt, um eine eigene Praxis zu eröffnen. Alles wäre perfekt, gäbe es nicht seinen neuen Nachbarn Greg Rivers, mit dem Jasper eine wahre Hassliebe verbindet. Er kann dem ehemaligen Schauspielagenten nicht verzeihen, was er getan hat, und fühlt sich gleichzeitig unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Dass Greg seine Liebe zu Schmetterlingen teilt, macht es Jasper nicht leichter, sich von dem Mann fernzuhalten, der keinen Hehl daraus macht, dass er ihn in seinem Bett haben will.
Prolog
- Greg -
»Ich verstehe dich einfach nicht, Gregory. Du hattest alle Möglichkeiten, die einem Boudreaux auf seinem Lebensweg zur Verfügung stehen, und du wirfst sie gedankenlos weg, um brotlose Schauspieler zu unterstützen.«
»Mein letzter brotloser Schauspieler hat vor Kurzem einen Oscar gewonnen, Mutter.«
»Das ändert nichts an der Tatsache, dass dies kein Beruf für einen echten Boudreaux ist«, wischte die Frau, die ihn geboren und vor fünfundzwanzig Jahren aus dem Haus geworfen hatte, Trents Erfolg zur Seite, als wäre er ein sie störendes Insekt. »Du gehörst zur Familie, Gregory.«
»Schon lange nicht mehr, das habt du und Vater mir vor vielen Jahren sehr deutlich mitgeteilt.«
»Sei nicht theatralisch«, widersprach seine Mutter mit einer Kälte in der Stimme, die ihn frösteln ließ. »Ein Boudreaux ist und bleibt ein Boudreaux.«
Wie oft hatte sie ihm diesen Satz eigentlich vorgebetet, ehe sie an seinem zwanzigsten Geburtstag entschied, dass er für die Familie untragbar geworden war? Wie oft hatten sein Bruder und er sich anhören müssen, was ein Boudreaux zu tun und zu lassen hatte? Wie oft hatte er sich, still und heimlich in seinem Bett weinend, gewünscht, wenigstens einmal von ihr in die Arme genommen zu werden, wie all die anderen Mütter es immer taten, wenn sie seine Klassenkameraden von der Schule abholten? Wie oft hatte er sich gewünscht, nur um seiner selbst willen geliebt zu werden? Wie oft war er diesbezüglich von ihr enttäuscht worden?
»Und jetzt ziehst du auch noch nach Maine?«, fragte seine Mutter mit einem abschätzigen Tonfall. »Dort leben doch nur Versager und Menschen zweiter Klasse. Wie kannst du mir das antun? Unser Ruf, Gregory.«
Warme Feuchtigkeit breitete sich in Gregs Handfläche aus. Sie war ebenso willkommen wie der Schmerz, denn nur durch ihn würde es ihm gelingen ruhig zu bleiben. Nur der Schmerz würde verhindern, dass sich das bekannte Herzrasen einstellte, das mittlerweile jeden ihrer Anrufe begleitete, weil er sich von Mal zu Mal mehr dafür schämte, unfähig zu sein, ihr die Stirn zu bieten. Er, ein gestandener Mann von 45 Jahren, war nicht in der Lage, sich gegen seine eigene Mutter zu behaupten. Es war so erbärmlich. Er war erbärmlich. Greg holte tief Luft.
»Dieses Gespräch ist ebenso sinnlos, wie die anderen zuvor, und wir würden es nicht führen, hätte Konstantin sich nicht im vergangenen Monat dazu entschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen, Mutter. Du solltest dich lieber fragen, warum er das getan hat, statt deinen zweiten Sohn mit Anrufen zu belästigen, obwohl er dir vollkommen egal ist.«
»Wie kannst du es wagen, Konstantins Erbe in den Schmutz zu ziehen? Es war ein schrecklicher Unfall.«
»Auf einer trockenen Fahrbahn, bei völlig freier Sicht und einem Alkoholspiegel von über zwei Promille«, konterte Greg und für einen sehr langen Moment genoss er das schockierte Einatmen am anderen Ende der Leitung. »Er hat getan, wozu ich nie den Mut hatte.«
»Du bist ein grausamer Sohn.«
Greg verbiss sich das in seiner Kehle aufsteigende zynische Lachen. »Das weiß ich, aber ich bin auch der Einzige, der euch geblieben ist und den ihr nicht so einfach enterben könnt, nicht wahr?«
»Gregory! Wie kannst du das denken?«, kreischte seine Mutter hörbar entsetzt, doch auf diese schäbige Tour fiel er nicht mehr herein, seit er als Teenager ein Gespräch belauscht hatte, indem es darum ging, ihn in ein Internat zu schicken, um ihm seine sexuellen Unzüchtigkeiten, wie seine Mutter es genannt hatte, nachdem er mit einem Lehrer in dessen Büro erwischt worden war, notfalls mit Prügel wieder auszutreiben.
»Die Wahrheit zu hören oder zu sagen, war noch nie deine Stärke«, antwortete Greg trocken und bohrte seine Fingernägel stärker in die kleinen Wunden in seiner Handfläche. Er spürte das Blut zwischen seinen Fingern entlanglaufen.
»Wie kannst du es wagen!«
»Ich wünsche dir einen Guten Tag, Mutter.« Greg legte auf und hängte den Hörer betont vorsichtig auf die Gabel zurück, bevor er seine leere Kaffeetasse nahm, die neben ihm auf dem Esstisch stand, und sie schweigend an die Wand warf.
Kapitel 1
- Jasper -
Eines Tages würde er Rick dafür umbringen, dass er ihm ausgerechnet diesen Mistkerl als Nachbarn zugewiesen hatte. Oh ja, er würde Rick Malloy in den verschneiten und dunklen Wald hinaus locken, ihm mit einem dicken Ast eins überbraten und dann …
Jasper seufzte leise und hob einen neuen Holzscheit auf den Klotz, als ihm wieder einfiel, dass Rick ihr Rudel führte, ihm sowieso haushoch überlegen war und ihm, falls er es wirklich wagen sollte ihn herauszufordern, mit einem eiskalten Lächeln den Hintern versohlen würde. Keine sonderlich erhebende Vorstellung, vor allem, da er wusste wie es sich anfühlte, von dem Bären eine Abreibung zu bekommen.
Und nicht nur von ihm, denn Sebastian und Trent würden sich freudig lächelnd direkt hinter Rick anstellen, um ihm den verlorenen Verstand wieder einzubläuen, den er, wenn es nach den erbosten Worten seiner Mutter ging, mit dem Einzug von Greg Rivers Anfang März, offensichtlich in seinem eigenen Klo heruntergespült hatte.
Seit drei Wochen lebte diese Kakerlake neben ihm und mit jedem weiteren Tag verschlechterte sich Jaspers Laune. Dabei hatte Rivers bisher nichts getan, um seinen Zorn zu verdienen. Im Gegenteil. Er war höflich, grüßte jedes Mal, sobald sie sich über den Weg liefen, und hatte ihm erst gestern seinen Einkauf gerettet, als ihm eine übervolle Tüte aus der Hand zu rutschen drohte und Trents Freund zur Stelle gewesen war, um die vier Packungen Eier zu retten, die er für seine Mutter besorgt hatte.
Zum Kuchen backen für die Hochzeit von Adam und Paul nächstes Wochenende. Jasper grinste bei der Erinnerung daran, wie verdattert der Panther die Frauen im Ort angesehen hatte, die die Partyplanung in die Hand genommen hatten, nachdem Adam gepetzt hatte, dass sie keine Feier wollten, sondern nur im kleinsten Kreise heiraten würden. Der Plan war definitiv vom Tisch und nicht nur Jasper verdächtigte Adam, das Ganze absichtlich ausgeplaudert zu haben, um eine anständige Hochzeitsfeier zu bekommen. Was diese Hochzeit betraf, geriet das Paar nämlich immer noch in unschöner Regelmäßigkeit aneinander, und das alles nur, weil Paul nicht aus seinem Machofell herauswachsen konnte. Das hatte er gestern auf Adams Junggesellenabschied wieder einmal deutlich bewiesen, als sein Verlobter so lange dicht mit Eduardo getanzt hatte, bis Paul ihn am Schlafittchen gepackt und aus der Bar gezerrt hatte.
Grinsend legte sich Jasper den nächsten Holzscheit zurecht. Diese beiden waren ein verrücktes Paar, das sich unübersehbar liebte, ständige Streitereien hin oder her. Ein schöner Anblick, der ihn ein kleines bisschen wehmütig machte, denn da nun auch Sebastian vom Markt war, gingen ihm langsam die Optionen aus, was ungebundene Wandler betraf. Der Großteil der Männer in der Stadt war entweder vergeben oder hetero. Oder beides.
Bill hatte zwar nie etwas gegen ein nettes Schäferstündchen einzuwenden, aber Jasper war schon beim letzten Mal bewusst geworden, dass ihm das nicht länger genügte. Er wollte mehr, doch dafür war Bill leider nicht der Richtige. Und Eduardo war so hetero, dass Jasper sich falsche Brüste in Größe Doppel D hätte aufkleben müssen, um überhaupt von dem Wolf bemerkt zu werden. Der verbliebene Männerbestand war indes viel zu jung für Jasper und daher unter 'Finger weg, sonst wütende Väter oder ältere Brüder am Arsch' abgeheftet worden.
Um der schnöden und nicht sehr willkommenen Wahrheit die Ehre zu geben, es wohnte im Moment nur ein einziger Kerl in Sanoro, der frei und kein Tabu war, doch den würde Jasper nicht mal mit der Kneifzange anfassen. Greg Rivers, diese fiese, hinterhältige Made von einem Agenten, der Trent lieber seine Drogen besorgt hatte, statt ihm zu helfen, und das Schlimmste daran war, dass ihm das niemand übel nahm. Abgesehen von Jasper selbst, was ihm völlig unverständlich war.
Na gut, Trent konnte er es nachsehen, bei eigenen Freunden wurde man gerne mal blind, aber selbst Sebastian verteidigte Rivers jedes Mal, wenn dieses Thema auf den Tisch kam. Sogar seine eigene Familie tat es und warf ihm dabei vor, nicht über den Tellerrand schauen zu wollen. Unglaublich.
»Na? Schmollen wir mal wieder?«
Jasper zuckte erschrocken zusammen und seine Axt landete mit einem garstigen Fluch über herumschleichende Bären und nervende Alphamännchen im Holzklotz. Nicht, dass Rick sein Gefluche sonderlich beeindruckt hätte, denn sein Rudelführer lachte nur und trat neben ihn, um den Holzscheit aufzuheben, den er eben zu Boden gestoßen hatte, und ihn wieder auf den Klotz zu stellen. Dabei trafen sich ihre Blicke und Jasper senkte sofort den Kopf, als er die unverhohlene Wut in Ricks Augen erkannte.
»Ich habe nichts gemacht.«
»Ach nein?«
»Nein«, antwortete Jasper, obwohl er garantiert irgendwas angestellt hatte, sonst wäre Rick nicht hergekommen.
»Wie man so hört, hast du dich geweigert, Greg bei seinem Umzug zu helfen.«
Aha. Eduardo hatte ihn also verpetzt. Jasper schnaubte und holte mit der Axt aus. Die Wucht des Schlages zog bis in seine Schultern hoch, nachdem er den dicken Scheit gespalten hatte und nach einem weiteren griff. Bloß nicht kommentieren, war sein Motto, denn dann würde Rick erst so richtig unangenehm werden. Man ärgerte als unterwürfiger Wandler keinen Alpha, der ohnehin schon sauer auf einen war.
»Man hört ebenfalls, dass deine liebevolle, immer höfliche Mutter seit Tagen deinen Verstand in der Kloschüssel sucht.«
»Pfft«, platzte aus Jasper heraus, bevor er sich zurückhalten konnte, und bei dem folgenden Knurren zog er den Kopf noch ein Stück tiefer zwischen die Schultern.
»Des Weiteren wirst du mich gefälligst ansehen, wenn ich mit dir rede, und zwar sofort, Jasper!«
Oha. Jasper ließ nervös schluckend die Axt sinken und hob langsam den Kopf. Es fiel ihm mehr als schwer Ricks Blick standzuhalten, weil er viel zu devot war, um sich gegen einen so dominanten Wandler wie ihren Boss durchzusetzen. Nur in seinem Arztmodus, wie die Jungs es immer mit einem Lächeln nannten, sobald jemand verletzt wurde, fiel diese unterwürfige Art komplett von ihm ab. Aber im Augenblick war er hier der Einzige, der Gefahr lief, verletzt zu werden, falls Rick zu dem Schluss kam, dass er umgehend eine Tracht Prügel nötig hatte, um ihm den Kopf geradezurücken.
»Dass du wütend auf ihn bist, verstehe ich, Jasper, und ich war auch bereit, dein lächerliches Verhalten Greg gegenüber bis zu einem gewissen Punkt zu tolerieren. Den hast du allerdings gestern überschritten.«
»Gestern?«, echote Jasper empört. »Ich habe den Blödmann auf Adams Junggesellenabschied nicht mal gesehen.«
»Das konntest du auch nicht, weil er damit beschäftigt war, Trent davon abzuhalten dir die Augen auszukratzen, nachdem du beschlossen hast, deinen Frust beim Tanzen mit Sebastian abzuladen. Und hätte ich es ihm nicht verboten, wäre er längst bei dir aufgetaucht, um dir eine reinzuhauen, in der Hoffnung, dass du dadurch endlich wieder zu Verstand kommst.«
Wie bitte? Also das war ja wohl die Höhe. Jasper tippte sich vielsagend gegen die Stirn. »Ich habe Bast gestern Abend kaum angefasst. Wir haben ein einziges Mal miteinander getanzt, das war alles.«
»Du hast ihn benutzt, Jasper«, konterte Rick betont ruhig, doch seine Stimme wurde mit jedem Wort einen Tick eisiger. »Du hast deinen besten Freund ausgenutzt, um deine Wut auf Greg Rivers loszuwerden, und es war dir völlig gleichgültig, wie das bei Trent ankommt.« Rick nahm ihm die Axt ab und schleuderte sie zur Seite, ehe er dicht auf ihn zutrat. »Herrgott, Jasper, wach' endlich auf! Du warst so heiß, dass jeder Wandler in der Bar dich riechen konnte. Sogar Trent ist es aufgefallen. Jeder von uns hat es bemerkt, nur du nicht!«
Jasper starrte Rick sprachlos an und schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich bin nicht ...«
Er verstummte hastig, als Rick warnend brummte, bevor er ihren Blickkontakt unterbrach, weil er ihn nicht mehr aushielt, was eine Beleidigung ohne gleichen war. Dem Rudelführer sah man in die Augen, wenn der einem den Kopf zurechtrückte. So war es schon immer gewesen, ohne Ausnahme, doch Jasper fühlte sich auf einmal so unwohl in Ricks Gegenwart, dass er am liebsten vor ihm geflüchtet wäre.
»Jasper, du kassierst gleich Prügel.«
»Ich will nichts von Bast«, murmelte er in einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Unglaube, während er gegen die in ihm aufsteigende Übelkeit ankämpfte. »Ich weiß, dass er Trent liebt. Ich würde nie ...«
»Das habe ich auch nicht behauptet«, fuhr Rick ihm etwas versöhnlicher ins Wort. »Ich rede davon, dass du heiß bist und das nicht mal begreifst. Stattdessen schießt du dich völlig auf Greg ein, der dafür nicht das Geringste kann. Und jetzt will ich von dir wissen, wann du das letzte Mal Sex hattest.«
Wo war das Schwarze Loch, wenn man es brauchte. Jasper stöhnte zu Tode verlegen auf. »Das kann doch nicht dein Ernst sein. Ich werde das nicht beantworten.«
»Soll ich Bill anrufen?«
»Nein, du sollst gar ...«
Jasper verstummte abrupt und erstarrte förmlich zu Stein. Woher wusste Rick von seinen Nächten mit Bill? Davon wusste nicht mal Sebastian, denn sowohl Bill als auch Jasper hatten es seit jeher vorgezogen, ihre Techtelmechtel für sich zu behalten. Bill ging ohnehin nicht mit seinen Eroberungen hausieren. Er hatte zwar unzählige, aber er behandelte seine Partnerinnen und Partner immer mit dem nötigen Respekt. Nur darum hatte Jasper sich überhaupt mit dem Wolf eingelassen.
»Ich werde vergessen, dass ich davon weiß. Allerdings gilt mein Angebot nur, wenn du mir hier und jetzt sagst, wie lange du dich nicht mehr ausgetobt hast.«
Jasper zog eine Grimasse. »Zu lange.«
»Ich nehme an, Bill kommt für dich nicht länger infrage?«, hakte Rick nach und Jasper beließ es bei einem Kopfschütteln. »Gut, dann wirst du dir freinehmen. Zur Hochzeit von Adam und Paul erwarte ich dich zurück.«
»Zurück?« Jasper suchte verblüfft Ricks Blick. »Was meinst du damit?«
»Ich schaffe dich aus der Schusslinie. Trent, Sebastian und deine Familie sind stinksauer auf dich, da sie nicht wissen, was los ist. Das werde ich ändern und du wirst dafür sorgen, dass es sich nicht wiederholt. Fahr' in die Stadt. Rüber nach Bangor, Lewiston oder Portland. Meinetwegen miete dir einen Callboy, wenn du in den Clubs niemand Passenden findest, das ist mir völlig egal. Aber kümmere dich darum. Und zwar noch heute.«
»Ich kann doch jetzt nicht weg«, wehrte Jasper ab. »In zwei Tagen kommen die restlichen Gerätschaften für die Praxis. Ich muss alles aufbauen, anschließen und ...«
»Das kann auch noch bis nächste Woche warten. Ich werde das Zeug entgegennehmen und in die Praxis stellen lassen. Du hast Urlaub und das ist ein Befehl, wenn es einer sein muss, ist das klar?« Rick legte eine Hand an seine Wange und Jasper senkte betreten den Kopf, als er merkte, wie sein Körper schon auf diese kleine Berührung reagierte. Großer Gott. »Du hast es wirklich nicht bemerkt, oder?«
»Nein«, gab Jasper zu und verfluchte sich umgehend dafür. Wozu war er eigentlich Arzt, wenn er selbst das Offensichtliche nicht rechtzeitig erkannte? Du liebe Güte.
»Mach' dir nichts draus. Das passiert gelegentlich sogar den Erfahrensten von uns«, konterte Rick trocken und nahm seine Hand runter, ehe er einen Schritt zurücktrat und es Jasper damit spürbar angenehmer machte. »Ich gebe dir eine Stunde, bevor ich dich an Bast verpetze und du weißt, was er mit dir machen wird, wenn du dann noch hier bist.«
»Mich höchstpersönlich ins nächste Freudenhaus schleifen und sich dann selbst dort mit Trent vergnügen, wetten?«
Rick lachte und wandte sich ab, um die Axt zu holen. »Du warst schon als Kind ein frecher Rotzlöffel. Nun hau' endlich ab. Wenn du zurückkommst, hat jeder in Sanoro den Kopf mit der Hochzeit voll und das Ganze längst vergessen.«
»Danke, Boss.«
»Ich kümmere mich um mein Rudel, Kleiner«, sagte Rick und deutete mit finsterem Blick zum Haus. »Jetzt zieh' endlich Leine. Dein Geruch hängt an dir, wie eines von diesen billigen, aufdringlichen Duftwässerchen. Furchtbar.«
»Du bist ja nur neidisch, weil ich so gut rieche. Hey!«
Der Schneeball traf ihn an der Schulter und Jasper flüchtete lachend ins Haus, bevor Rick einen weiteren nach ihm werfen konnte. Als er eine halbe Stunde später mit vollem Rucksack aus dem Haus trat, stieg Greg Rivers gerade aus seinem Auto. Ein kurzer Blick auf den Mann reichte aus, um Jasper innerlich stöhnen zu lassen. Jetzt reagierte er schon auf einen Menschen, der überhaupt nicht sein Typ war.
Es war wirklich an der Zeit, dass er sich jemanden für ein paar heiße Nummern suchte und er wusste auch schon genau, wo er diesen Jemand finden würde.
»Eines meiner Mädchen ist weg.«
Das Aufglimmen von Jonahs Feuerzeugs, während er sich eine Zigarette anzündete, beleuchtete dessen kantiges Gesicht neben ihm für einen Moment, als Jasper ihn fragend ansah und sich, als keine Erklärung kam, auf die Seite drehte. Er kannte den rothaarigen Bordell- und Clubbesitzer lange genug, um zu wissen, dass nachzufragen nichts bringen würde.
Jonah Kad war genauso wild und aufbrausend wie das Tier in ihm und er redete nur, wenn er reden wollte. Zudem war er ebenso diskret, was seine wechselnden Liebschaften anging, wie Jasper selbst. Darum kamen sie auch seit mehreren Jahren gut miteinander aus und aus diesem Grund lag er heute zum wiederholten Male in Jonahs Bett. Ein überaus befriedigendes Arrangement für beide Seiten, obwohl Jonah nicht alle Saiten an ihm zum Klingen brachte, aber das hatte ohnehin noch nie jemand geschafft. Jasper hatte gelernt damit zu leben.
Allerdings sorgte er besser dafür, dass Sebastian niemals Wind davon bekam, dass er mit diesem Waffenverkäufer und Schmuggler ins Bett ging, sonst drohte ihm weit mehr als eine verdiente Tracht Prügel, die er sich in speziellen Clubs ab und zu ganz gerne verpassen ließ.
»Sie war nicht die Erste. Die Jungs und Mädels gehen jagen und kommen nicht zurück. Manchmal finden wir ihre Körper ohne Kopf, in den meisten Fällen finden wir gar nichts.«
Ein Unbekannter, der möglicherweise Gestaltwandler tötete und ihre Leichen beiseiteschaffte? Es wäre nicht das erste Mal. Jasper schauderte unwillkürlich. »Wieso erzählst du mir das?«, fragte er schließlich, als das erneute Schweigen zwischen ihnen drückend wurde.
Jonah drehte den Kopf zu ihm. »Keeley wollte nach Sanoro, in eure Wälder, um zu laufen. Sie ist ein Reh. Harmlos und für niemanden eine Gefahr. Das ist zwei Tage her und ich erzähle dir das, weil ich weiß, dass Rick Malloy mit ihrem alten Herrn befreundet ist.« Jasper klappte schockiert die Kinnlade runter, als der Groschen fiel, von wem Jonah gerade sprach, was den Wandlerlöwen an seiner Seite nicken ließ. »Ich sehe schon, wir verstehen uns.«
»Keeley Oswald ist eines deiner Mädchen?«
Jonah grinste überheblich. »Nicht so. Sie arbeitet an der Bar. Zumindest hat sie das getan.« Er nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette, drückte sie aus und setzte sich auf. »Rede mit deinem Boss. Noch weiß ihr Vater nichts davon, aber das wird sich bald ändern. Irgendwas ist im Busch, seit Monaten wie es aussieht, vielleicht schon seit Jahren, und es spielt sich offenbar in euren Wäldern ab. Oder zumindest in deren Nähe.«
»Moment mal«, fuhr Jasper auf und verließ das Bett. »Willst du etwa behaupten, dass wir damit zu tun haben?«
»Ich behaupte gar nichts. Ich habe dir nur Fakten genannt, Jasper. Seit Jahren verschwinden Wandler überall auf der Welt, das weißt du ebenso gut wie ich. Aber diese Fälle konnte man bislang problemlos unter den Teppich kehren. Bei der Tochter eines Senators sieht die Sache anders aus, und ich werde nicht zulassen, dass mein Club in diese Sache reingezogen wird. Sie hat unter falschem Namen für mich gearbeitet, also wird sie in drei Tagen offiziell wegen Fehlens entlassen und durch einen neuen Mitarbeiter ersetzt.« Jonah griff nach seiner Shorts und zog sie über, ehe er aufstand und ihn über das zerwühlte Bett hinweg ansah. »Ich mag dich, Jasper, deshalb wirst du meinen Club noch heute Nacht verlassen. Du wirst nicht zurückblicken und nie wieder herkommen. Falls du es doch tust, wirst du für immer von der Bildfläche verschwinden.«
Das war deutlich und es war eine ernst gemeinte Drohung, die er besser nicht ignorierte. Jonah kannte in dieser Hinsicht keinerlei Skrupel und er hatte zu viel zu verlieren, um Mitleid mit einem Gestaltwandler zu zeigen, der ihm im Weg war oder seine Sicherheit und seine Geschäfte bedrohte. Jasper nickte und begann sich anzuziehen.
»Als du das letzte Mal hier warst, hast du geträumt«, sagte Jonah nach kurzem Schweigen, während Jasper in seine Hose stieg. »Es war ein guter Traum, dem Lächeln in deinem Gesicht nach zu urteilen. Du hast im Schlaf einen Namen genannt und für einen Moment habe ich mir damals gewünscht, du würdest mich nur ein einziges Mal mit dem gleichen Lächeln bedenken wie Sebastian Monroe.«
Jasper erstarrte und hob langsam den Kopf. Jonahs Augen hatten einen zu ernsten Ausdruck, um jetzt mit einem seichten Witz zu reagieren, wie er es zu gern getan hätte, um sich selbst davon abzulenken, dass er in letzter Zeit offensichtlich jedes Fettnäpfchen mit Anlauf nahm, ohne es zu merken. Erst sein irrationales Verhalten Greg Rivers gegenüber, dann sein Tanz mit Sebastian und jetzt Jonah, der ihn soeben und für immer aus seinem Bett geworfen hatte. Tja, wenigstens kannte er jetzt den wahren Grund dafür.
»Jonah, Bast und ich …« Jasper überlegte, wie er es nennen sollte, aber ihm fiel nichts Beschönigendes ein, weshalb er sich für die unverblümte Wahrheit entschied. »Das war nur Sex.«
»Du meinst, wie es bei dir und mir nur Sex war?«
»Er liebt jemand anderen«, antwortete Jasper, weil er nicht wagte, auf Jonahs Frage zu antworten, denn irgendwie sah der Wandler plötzlich schwer danach aus, als stünde er kurz davor ihm den Hals umzudrehen.
»Ich tue es nicht.«
Ach du Scheiße. Jonah war nicht nur ein bisschen verknallt in ihn, er liebte ihn. Du lieber Gott, auch das noch. Und wieder hatte er nichts bemerkt. Was war er eigentlich für ein unfähiger Gefühlstrampel? Jasper fehlten die Worte. »Jonah ...«
»Geh! Du hast fünf Minuten.«
»Du hast dich mit Jonah Kad eingelassen? Bist du jetzt von allen guten Geistern verlassen? Der Mann hat in mehr illegalen Geschäften seine Finger drin, als ich zählen kann.«
Es war allein Rick zu verdanken, dass Sebastian ihm nicht vor den Augen aller das nicht vorhandene Fell über die Ohren zog, nachdem Jasper am Abend darauf seinen Bericht über die verschwundenen Wandler beendet hatte und dabei leider nicht daran vorbeigekommen war, preiszugeben, woher er seine Informationen hatte.
»Jaspers private Beziehungen stehen hier nicht zur Debatte und das werden sie auch nicht, sobald ihr unter euch seid, hast du mich verstanden?«
»Was? Aber ...«
»Keine Diskussion!«, wies Rick Sebastian eisig zurecht. »Er ist ungebunden und kann tun und lassen was er will, mit wem und wo er das will. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
Rick ließ seinen Blick langsam durch den Raum wandern, damit auch jeder der im Augenblick hier anwesenden Wächter begriff, dass das Thema damit vom Tisch war. Das würde ihm allerdings nicht lange helfen, denn der Einzige in dieser Stadt, der Sebastian wirklich zurückhalten konnte, war Trent und der gehörte nicht zu den Wächtern des Rudels, war also bei dieser Versammlung in Ricks Haus nicht anwesend.
»Mich würde eher interessieren, woher du diesen Mann so gut kennst, mein Junge«, mischte sich Norman Monroe ein und sorgte damit für einige Belustigung, als Sebastian seinen Vater wütend ansah, es allerdings vorzog zu schweigen. »Ich denke, darüber reden wir später.«
»Darüber reden wir gar nicht. Kad ist kein Unbekannter, da kannst du jeden von hier bis New York City fragen.«
»Unter anderem deine ehemaligen russischen Bosse, nehme ich an«, konterte Norman trocken und daraufhin war es nicht nur Rick, der sich merklich anspannte.
Allerdings besaß Sebastian eine wirklich erstaunliche Selbstbeherrschung, fand Jasper, denn während er selbst wohl spätestens jetzt die Krallen ausgefahren und losgebrüllt hätte, wurde Sebastian zwar sichtlich blasser, blieb aber ruhig auf der Couch sitzen. Sein Blick sprach dafür ganze Bände. Das würde für Sebastians Vater noch ein Nachspiel haben und dessen war sich auch Norman Monroe bewusst, denn er seufzte.
»Herrgott, Bastian, mach' bitte die Augen auf. Der Kerl liebt ihn und Jasper hat es nicht bemerkt, bis er gestern vor die Tür gesetzt wurde. Was er garantiert nicht braucht, ist ein Vortrag von dir darüber, dass dieser Verbrecher kaum einen passablen Gefährten für ihn abgegeben hätte, der das offenbar selbst am besten weiß, darum hat er Jasper schließlich rausgeworfen.«
Sebastian schnaubte. »Der Mistkerl hat ihn bedroht!«
»Was hätte er sonst machen sollen? Ihn ans Bett fesseln und darauf hoffen, dass Jasper seine Gefühle vielleicht irgendwann erwidert?«, erwiderte Norman ruhig. »Dieser Wandler mag ein Gangster sein, aber seine Entscheidung verdient Respekt und Anerkennung. Er hat Jasper gehenlassen, anstatt weiter an dem Mann festzuhalten, den er liebt, der ihm aber niemals gehören wird. Dafür braucht es eine Menge Mut. Gerade du müsstest das verstehen.«
Damit war das Thema endgültig vom Tisch und Sebastians verletzter Gesichtsausdruck brachte Jasper dazu, aufzustehen und sich dann ungeniert auf seinem Schoß niederzulassen. Er zwinkerte Norman zu, als Sebastian mürrisch knurrte, ihn aber gleichzeitig fest umarmte, und damit alle übrigen Wandler im Raum zum Lachen brachte.
Rick räusperte sich. »Okay, zurück zu dem Grund unseres Treffens. Wenn wir davon ausgehen, dass Jonah Kad recht hat, und das tue ich, denn er ist nicht der Erste, der von seltsamen Vorfällen in den Wäldern berichtet, steht uns neuer Ärger ins Haus. Aus diesem Grund habe ich noch jemanden hergebeten, aber offenbar hält er nichts von Pünktlichkeit und ...«
Ein lautes Klopfen an der Tür unterbrach ihn und da sich die Frauen für letzte Hochzeitsvorbereitungen in Wilsons Bar verabredet hatten, konnte das ja eigentlich nur Ricks erwarteter Gast sein. Jasper sah ihrem Boss nach und runzelte die Stirn, als sich plötzlich jeder im Wohnzimmer spürbar verkrampfte.
»Was ist denn?«, fragte er leise und suchte Sebastians Blick, der jedoch zur Tür sah, die Stirn in tiefe Falten gelegt.
»Rate mal, wer zum Essen kommt«, murmelte Eduardo mit einem Schnauben und verschränkte die Arme vor der Brust, als Norman missbilligend schnalzte.
»Du hast zu oft Star Trek gesehen«, murmelte Adam und zeigte Eduardo den Stinkefinger, nachdem der ihn prompt als Depp betitelt hatte. »Stehst wohl auf große Kerle, was?«
»Arschloch.«
»Lasst den Quatsch«, zischte Sebastian verärgert und schob Jasper auf den Platz neben sich, ehe er sich erhob und halb vor ihm postierte. Paul und Adam machten es ihm nach, schützten damit den wichtigsten Menschen im Raum, das wusste Jasper, denn als Arzt war er wertvoller als die Wächter, weil er Leben retten konnte. Es gefiel ihm trotzdem nicht, so abgeschirmt zu werden, denn im Notfall würde das auch nichts nützen.
Jedenfalls nicht gegen jenen Gestaltwandler, der gerade vor Rick das Zimmer betrat, ihren Boss dabei aber keine Sekunde aus den Augen ließ. Wie Stellan Archer das schaffte, war Jasper ein Rätsel, doch da dieser Tiger selbst ein einziges Rätsel war, fiel das kaum mehr auf.
»Außer Norman kennst du ja alle. Stellan Archer, Norman Monroe, mein neuer Stellvertreter. Er weiß bereits, wer du bist und akzeptiert deine Eigenarten ebenso wie ich.«
Der dunkelhaarige Riese erinnerte ihn mit seinem sperrigen Gesicht ein wenig an Gerard Butler, allerdings war er noch um einiges größer und breiter als der Schauspieler, den er sich nur zu gern oben ohne ansah. Jasper hüstelte, als Adam ihm einen belustigten Blick zuwarf, und erhob sich, um den Tiger besser ansehen zu können. Der gönnte Sebastians Vater immerhin ein Nicken als Begrüßung und lehnte sich danach direkt neben der Tür gegen die Wand.
»Was willst du von mir wissen?«, fragte Archer mürrisch an Rick gewandt und verschränkte die Arme vor der Brust, um im nächsten Moment die Zähne zu fletschen, da Bill ihm offenbar zu dicht auf die Pelle rückte.
»Meine Güte, ich wollte nur in die Küche«, beschwerte sich Bill und sah Archer trotzig an.
Rick, dem natürlich nicht entging, dass die Stimmung von einem Moment auf den anderen zu kippen drohte, wischte den Einwand mit einer lässigen Handbewegung einfach zur Seite. »Geh' später und halt' Abstand. Du weißt genau, dass ich keine Provokationen dulde!«
Jasper bekam eine Gänsehaut, die leider nichts mit einer zu niedrigen Zimmertemperatur zu tun hatte, denn anstatt es jetzt sein zu lassen, ließ Bill ein abfälliges: »Pfft.« hören und dachte offenbar nicht im Traum daran, auf Ricks Befehl zu hören. Für Jasper keine Überraschung, denn es war nicht das erste Mal, dass einer der Wächter heftig auf Stellan Archer reagierte.
Dieser Tiger war eine Bedrohung für jedermann, so wie alle Einzelgänger, die zu lange auf sich allein gestellt und in ihrer Tiergestalt durch die Gegend zogen. Jasper verstand bis heute nicht, was Rick dazu bewogen hatte, einem Sibirischen Tiger in den Wäldern um Sanoro Unterschlupf zu gewähren, obwohl in ihrer kleinen Stadt unzählige Kinder und Teenager lebten, aber scheinbar sah ihr Boss irgendetwas in dem Einsiedler, was den restlichen Mitgliedern ihres Rudels, einschließlich seiner selbst, entging.
»William! Es reicht jetzt!«
Rick trat zwischen die Männer und nach einem drohenden Blick zu dem Wolf, zog sich Bill endlich mit gesenktem Blick zurück und nahm einen Sessel beim Fenster in Beschlag, weit weg von dem Tiger und von Rick.
Rick sah zurück zu Archer. »Sag' uns, was du mir neulich am Telefon erzählt hast. Und wenn möglich, bitte mit ein paar mehr Worten, als deinem überaus höflichen: 'Schaff' diese Jäger aus meinem Revier, sonst fresse ich sie.'«
»Fünf Männer. Zwei Jäger, drei dumme Schläger. Sie waren etwa eine halbe Stunde nördlich von meinem Unterschlupf im Wald unterwegs. Westlich von Monroes Revier. Gewehre und Messer, zwei Geländewagen. Sie schossen mit Schalldämpfern, erlegten einen Bären, der nicht zu deinem Rudel gehörte, und zogen wieder ab. Kümmert euch um die Jäger.«
»Was ist mit diesen Schlägern?«, fragte Rick und bekam ein Schulterzucken zur Antwort. »Stellan!«
»Komplette Idioten. Werden gut bezahlt, schätze ich. Keine Bedrohung.«
»Für dich oder uns?«
Statt einer Antwort grinste Archer überheblich und wurde dafür aus mehreren Kehlen angeknurrt, was sein Grinsen noch einen Tick in die Breite wachsen ließ. Dieser arrogante Tiger wusste genau, dass man ihm nur im Rudel gefährlich werden konnte. Einzeln hätte nicht einmal Rick eine Chance gegen den Mann, sollte der je auf die Idee kommen, ihren Boss herauszufordern, was hoffentlich niemals passierte. Für Jasper war Rick Malloy der perfekte Rudelführer und daran würde sich, wenn es nach ihm ging, in den nächsten Jahren auch nichts ändern.
Rick hob eine Hand und augenblicklich kehrte wieder Ruhe ein. »Der Bär. War er ein Wandler?«
Archer nickte.
»Die Eindringlinge?«
»Menschen.«
»Sicher?«
Archer schnaubte abfällig, was Rick Antwort genug war, da er sich ihm zuwandte. »Jasper, hat Kad noch etwas über andere Verschwundene gesagt? War ein Bär dabei?«
»Weiß ich nicht.« Jasper umarmte Sebastian von hinten, der sich daraufhin merklich entspannte. »Er hat nur von Oswalds Tochter erzählt, meinte aber auch, dass seit Jahren Wandler auf der ganzen Welt verschwinden, was wir bereits wissen. Und er sagte, dass Keeley Oswald nicht die Einzige war, die in letzter Zeit jagen oder laufen ging und nie wieder aufgetaucht ist.«
Sein Boss nickte und sah zurück zu Archer. »Wie oft hast du diese Jäger in unseren Wäldern gesehen?« Der Tiger hob einen Finger, doch damit gab sich Rick nicht zufrieden. »Einmal nur? Das kaufe ich dir nicht ab. Okay, ich frage anders … Waren sie schon früher da? Konntest du sie riechen? Gab es Spuren, auch außerhalb deiner Reviergrenzen?«
»Ja.«
»Du blöder Scheißkerl!«, fuhr Bill aus der Haut und sprang auf. »Wann hattest du vor, uns davon zu erzählen? Wenn sie in Sanoro einfallen und unsere Familien abschlachten?«
»Dieser Bastard ist ein verdammtes Sicherheitsrisiko!«
»Wir sollten ihn aus der Stadt jagen!«
»Du hättest ihm nie erlauben dürfen zu bleiben!«
»Genug!«, übertönte Rick die folgenden Beleidigungen und Flüche in Archers Richtung, und Jasper atmete erleichtert aus, da er es mit seiner energischen Stimme tatsächlich schaffte, die Wächter zu beruhigen und ein Blutbad zu verhindern. »Stellan hat meine Erlaubnis zu bleiben. Das wisst ihr und daran halte ich auch jetzt fest. Wer etwas dazu sagen will, kann mich nach dieser Versammlung ansprechen. Privat. Kapiert?« Ricks Blick suchte den von Archer. »Du bist hiermit zum Essen eingeladen. Ich will alles wissen, was du mir über diese Jäger und ihre drei Handlanger sagen kannst. Wirklich alles, Stellan.«
»Essen? In diesem Haus? Heute?«
»Nein, morgen. Sieben Uhr abends. Sei pünktlich.«
Archers verdatterter Blick reizte Jasper ungewollt zu einem heiteren Kichern, das er versteckte, indem er das Gesicht hastig in Sebastians Nacken vergrub. Irgendjemand stach ihm neckend mit dem Finger in die Seite und Jasper schlug blind zu. Adams folgendes Glucksen verriet ihn und Jasper holte erneut aus. Ein empörtes Schnauben später fand er sich auf der Couch wieder, in die Sebastian ihn geschubst hatte und jetzt tadelnd zwischen ihm und Adam umhersah.
»Manchmal frage ich mich ernsthaft, wie alt ihr beide seid.«
»Zwölf, höchstens«, grollte Paul und zog Adam eifersüchtig zu sich, was Jasper mit einer herausgestreckten Zunge in seine Richtung kommentierte. »Dir gehört der Arsch versohlt.«
»Seit wann stehst du denn auf Spanking, mein Schatz?«
Paul fletschte die Zähne. »Nenn' mich nicht Schatz!«
»Herrje, nehmt euch ein Zimmer.« Bill wich lachend aus, als Paul nach ihm trat und legte grinsend einen Arm um Eduardo. »Na, Schatz, stehst du auch auf Spanking?«
»Bin ich denn nur von Perverslingen umgeben?« Eduardos gespielt resignierte Worte wurden von einem Grinsen begleitet, das allerdings gleich darauf von einem verlegenen Blick ersetzt wurde. »Äh … Ja, Boss?«
Jasper zuckte ertappt zusammen und sah zur Tür, wo Rick und Norman kopfschüttelnd nebeneinander standen und sie mit einer Mischung aus Belustigung und Resignation ansahen. Von Archer war nichts mehr zu sehen, was mit Sicherheit auch das Beste war. Jasper wollte gar nicht wissen, was dieser Tiger von ihnen allen hielt, aber nachdem sie sich gerade dermaßen zum Affen gemacht hatten, war es wohl kaum etwas Gutes.
Rick seufzte gespielt und sah zu Norman. »Und? Fragst du dich immer noch, wieso ich einen Stellvertreter wollte?«
»Nein, seit eben nicht mehr.«
»Gut«, erklärte Rick trocken und machte kehrt. »Kümmere du dich um den Kindergarten. Ich rufe Oswald an und bringe ihn auf den neuesten Stand. Bast?«
»Ja?«
»Bring Jasper nach Hause.«
Oh nein, bloß nicht. Jasper sprang von der Couch auf. »Ich bin sehr wohl alt genug, um ...«
»Mache ich«, fuhr Sebastian ihm ins Wort und bevor Jasper seinen Widerspruch beenden konnte, hatte sein bester Freund ihn schon in den Flur gezerrt und hielt ihm ganz gentlemanlike seine Winterjacke hin, in die er dann mit einem nachgebenden Stöhnen schlüpfte. Er konnte einem bittend dreinschauenden Sebastian Monroe einfach nichts abschlagen.
»Also?«, fragte er, als sie kurz darauf die Hauptstraße von Sanoro entlang stapften. »Willst du mir jetzt die Leviten wegen Jonah lesen?«
Sebastian grinste schief. »Nein. Ich will mich entschuldigen, weil Rick mir sonst eine verpasst … Und ich schätze, du auch. Es tut mir leid, Jas. Ich übertreibe manchmal, ich weiß.«
Jasper musste ungewollt grinsen, denn Rick hatte gar keine Zeit gehabt, Sebastian Schläge anzudrohen. »Trent hat dich zur Minna gemacht, oder?«
»So ungefähr«, gab Sebastian zu und legte dann einen Arm um seine Schultern. »Mein sturer Verlobter ist der Meinung, du brauchst keinen großen Bruder, der dir auf die Nerven geht, sondern deinen besten Freund. Ich soll also aufhören, um dich herumzuschwirren, wie ich es bei ihm nach der Entführung gemacht habe, bevor du und er ernsthaft sauer werdet.«
»Ich werde ihm dafür danken.«
»Pfft. Verbrüdern gilt nicht. Ich bin eben gerne ein nerviger Bruder«, nörgelte Sebastian wie erwartet und Jasper boxte ihm dafür lachend in die Seite. »Du bist ein brutaler Kerl. Aber ich mag dich trotzdem.«
»Dein Glück.«
»War er gut zu dir?«
»Bast ...«, murmelte Jasper warnend und erntete ein leichtes Schulterzucken dafür. »Lass es sein, okay?«
»Ich frage doch nur.«
»Ja, er war gut zu mir. Nein, ich werde keine weitere Frage über ihn beantworten. Und bevor du dir was Neues überlegst, erinnere ich dich besser daran, dass ich Trents Handynummer auf Kurzwahl im Speicher habe.«
»Willst du heute zu uns zum Abendessen kommen?«
Jasper grinste über den plumpen Ablenkungsversuch, gab aber nickend nach. So blieb er zumindest mit seinem neuen Nachbarn verschont und bestimmt hatte Trent wieder ein paar amüsante Anekdoten von ehemaligen Dreharbeiten auf Lager. Jasper hakte sich grinsend bei Sebastian unter und ließ seinen Blick gemütlich durch ihre kleine Stadt streifen.
Es schneite schon wieder und daran würde sich so schnell auch nichts ändern. Laut dem Wetterbericht von heute Morgen nahm der Winter gerade erst richtig Fahrt auf, dabei hatten sie bereits Ende März. Dass sie Ostern im tiefsten Schnee feierten, war in Sanoro allerdings nichts Besonderes, was man von der Winterhochzeit ihres momentanen Traumpaares natürlich nicht behaupten konnte.
Apropos Traumpaar …
»Habt ihr euch schon einen Termin überlegt?«
»Termin?«
»Für eure Hochzeit«, sagte Jasper und Sebastian schüttelte den Kopf, bevor er seine freie Hand in die Jackentasche schob.
»Trent will Adam und Paul nicht die Show stehlen, es hat schließlich lange genug gedauert, die zwei vor den Altar zu kriegen. Außerdem sucht er derzeit sich selbst oder eher nach etwas, was er in Zukunft tun kann. Beruflich gesehen, meine ich. Mir ist es ohnehin egal, er ist mein Gefährte und das bleibt er. So oder so.«
Was das betraf, konnte er kaum widersprechen, immerhin waren Rick und Annie das beste Beispiel dafür, dass man auch ohne Trauschein zusammenleben konnte. »Hat er denn schon eine ungefähre Vorstellung, was er machen will?«
»Nein, und das ärgert ihn unheimlich.« Sebastian verdrehte die Augen gen Himmel. »Erst letzte Woche hat er mir erklärt, dass ich mir einen Idioten zum Partner gesucht habe, weil er ja, abgesehen vom oscarreifen Lügen vor laufenden Kameras, nichts kann.«
Jasper stöhnte frustriert. »Ich hoffe, du hast ihm ordentlich die Meinung gesagt.«
»Habe ich und durfte dafür auf der Couch übernachten.«
»Oha«, machte Jasper, doch Sebastian gluckste.
»Keine Sorge, er hat sich am nächsten Morgen ausführlich bei mir dafür entschuldigt.«
»Bitte keine Details. Obwohl … Leihst du mir Trent mal für eine Nacht aus?«, fragte Jasper frech und begann zu lachen, als Sebastian ihn prompt anfauchte. »Reingefallen.«
Kapitel 2
- Greg -
Greg grinste unwillkürlich, als er durch das Ladenfenster sehen konnte, wie Sebastian seinen launischen Nachbarn laut lachend über eine Schulter hob und Jasper danach kurzerhand in eine tiefe Schneewehe am Straßenrand warf. Der Rudelarzt fluchte und lachte zugleich, drohte Sebastian mit der Faust und bekam dafür umgehend eine große Ladung Schnee in die Jacke gestopft. Der darauffolgende entrüstete Schrei von Jasper war sogar durch die geschlossene Ladentür zu hören und brachte den Besitzer des Geschäfts, der sich ihm als Caruso vorgestellt hatte, zum Lachen.
»Die zwei benehmen sich manchmal kindischer als meine Jungs.« Caruso zog schmunzelnd seine Nudelpackungen über den Scanner und legte sie danach in eine der beiden Tüten, die neben ihm auf dem Tresen standen. »Hast du eigene Kinder, Greg, oder willst du mal welche?«
»Nein und Ja.«
»Guter Mann.« Greg sah den Wandler verwundert an, der daraufhin anfing zu grinsen. »Nicht falsch verstehen, ich liebe meine drei Miesmuscheln, aber nicht jeder ist dafür geschaffen und ich mag es, wenn ein Mann genau weiß, was er will oder eben nicht ... Also? Hat unser Boss dich schon zum Arbeiten verdonnert?«
»Nein«, antwortete Greg und bekam fast einen Schlag auf die Finger, als er Caruso beim Einpacken des Toastbrots helfen wollte. Er zuckte bei dessen tadelndem Blick amüsiert mit den Schultern und ließ den Mann dann allein weiter einpacken. »Ich habe noch Schonfrist, um mich zu Ende einzurichten, sagt Rick. Derzeit bin ich ohnehin damit beschäftigt Trents Karriere abzuwickeln. Papierkram dauert seine Zeit.«
»Aber du kommst zur Hochzeit am Wochenende?«
»Als wenn ich mir die entgehen lassen würde«, antwortete Greg belustigt und Caruso lachte.
»Wo ich dich gerade so dezent aushorche … Frau, Freundin oder Freund? Jemanden zum Mitbringen?«
Typischer Kleinstädter. Trent hatte ihn schon vor mehreren Wochen gewarnt, dass man ihm auf den Zahn fühlen würde, sobald er sein Haus bezogen hatte, aber entweder hatte Malloy ein Machtwort gesprochen oder das eisige Winterwetter hielt die Einwohner von neugierigen Fragen und Besuchen ab, denn bis auf Caruso hatte man ihn bislang in Ruhe gelassen.
Nicht, dass die Bewohner von Sanoro unhöflich oder zurückhaltend wären, im Gegenteil. Bei seinem Einzug war das Haus voller Gestaltwandler gewesen, die beim Tragen seiner Möbel geholfen und ihm die als Dankeschön gesponserten Bierkästen und Pizzen innerhalb von wenigen Minuten förmlich aus den Händen gerissen hatten. Doch das war bereits drei Wochen her und seither genoss er es in vollen Zügen, jeden Morgen ohne Wecker aufzustehen und in aller Ruhe ein Zimmer nach dem anderen wohnlich zu machen.
»Nichts davon«, sagte er schließlich und kramte nach seiner Geldbörse. Im nächsten Moment fiel ihm etwas ein. »Nehmt ihr Kreditkarten?«
Caruso schlug lachend eine Hand auf den Tresen. »Typisch Großstädter. Ja, du Snob, wir nehmen sogar Kreditkarten, auch wenn die meisten lieber mit Bargeld zahlen. Aber nachdem Trent mal zwei Packungen Reis mit seiner goldenen Irgendwas bezahlen wollte, sehr erheiternd übrigens, hat meine Frau mir befohlen, moderner zu werden.«
»Gott sei Dank«, murmelte Greg und wurde dafür prompt ausgelacht.
»Ja, ja«, feixte Caruso und zwinkerte ihm zu. »Was ist nun? Keine Beziehung in Sicht?«
»Wieso? Willst du mir deine Tochter überlassen?«
»Selbst wenn ich eine hätte, würde ich dich eher erschießen, als sie in dein Bett zu lassen. Und jetzt raus damit. Bist du nun Single oder nicht?«
Greg seufzte leise. »Hilft es, wenn ich dich böse ansehe und dir erkläre, dass dich das nichts angeht?«
»Nein.«
»Das hatte ich befürchtet. Ich tue es trotzdem«, sagte Greg mit einem Schmunzeln, wofür er ein weiteres Mal ausgelacht wurde, während seine übrigen Einkäufe nach und nach in den Papiertüten landeten. Als Caruso fertig war und ihn abkassiert hatte, stieß er einen lauten Pfiff aus und Greg, der ahnte, wem jener gegolten hatte, sah aus dem Fenster, direkt in Sebastians fragendes Gesicht.
»Kommt her, ihr Spinner. Greg braucht Hilfe beim Tragen.«
Sebastian nickte und sagte etwas zu Jasper. Das folgende Mienenspiel in dessen Gesicht war eindeutig und brachte nicht nur Greg zum Seufzen.
»Lass ihn damit nicht zu lange durchkommen«, murmelte Caruso im nächsten Moment und tippte sich vielsagend gegen die Stirn, als Greg sich unschuldig gab. »Das zieht nicht, Greg Rivers. Sanoro ist ein kleiner Ort und jeder weiß, was er mit dir abzieht. Als ich den Grund erfuhr, habe ich ihn für eine Weile sogar verstanden. Aber er muss lernen über seine Nasenspitze hinauszusehen. Es gibt nicht immer nur schwarz oder weiß.«
»Mit seiner Vorbelastung wird das schwer werden.«
Caruso nickte. »Ich weiß, aber genau deswegen muss unser Doc verstehen, dass du damals alles für Trent getan hast, was zu jenem Zeitpunkt möglich war. Wie gesagt, es gibt nicht nur eine Sichtweise.«
Die Klingel über der Ladentür bimmelte, als Sebastian und Jasper eintraten, letzterer verdrehte gleich die Augen, nachdem er einen Blick auf seine Einkäufe geworden hatte. »Wegen zwei läppischen Tüten störst du uns?«
»Jasper, treib' es nicht zu weit«, antwortete Caruso in einem Tonfall, der schwer zu beschreiben war, aber seine Wirkung tat, denn Jasper wurde augenblicklich rot und griff sich murrend eine der Tüten, während Sebastian mit einem Schulterzucken, das seine Hilflosigkeit deutlich zeigte, die andere nahm.
Der Weg zu seinem Haus war kurz und schweigsam, aber Greg störte sich nicht daran, denn so bekam er die Gelegenheit, Jasper das erste Mal genauer betrachten zu können, der einige Schritte vor Sebastian und ihm lief und dabei so steif wirkte, als hätte er ein Brett im Kreuz. Es war amüsant anzusehen, doch Caruso hatte recht. Er musste Jasper aus dem Schneckenhaus locken, damit sie das Ganze vom Tisch bekamen und neu anfangen konnten, und genau das würde er gleich tun.
»Schuhe aus«, verlangte Greg, nachdem er aufgeschlossen hatte, und trat in seine geräumige Diele, von der vier Türen in die übrigen Räume vom Erdgeschoss abgingen, während links von ihm eine Treppe nach oben zu einer offenen Galerie führte.
Auch im oberen Stockwerk hatte er vier Zimmer, wovon er eines als Bibliothek einrichten wollte. Dazu kamen ein großes Bad, ein Arbeitszimmer, das er momentan kaum benutzte, und sein Schlafzimmer. Das Erdgeschoss war ihm allerdings lieber. Er liebte seine offene Küche und die Mischung von Ess- und Wohnzimmer in einem. Außerdem gab es ein kleines WC und einen Hauswirtschaftsraum, ähnlich jenem von Sebastian. Im Sommer würde ihm seine ausgebaute Terrasse mit Sicherheit gute Dienste leisten, aber noch ließ der anhaltende Schneefall es nicht zu, überhaupt einen Blick auf seinen Garten zu werfen. Er sah bislang nur, dass er Bäume hatte, doch irgendwo unter dem Schnee sollte es angeblich Blumenbeete geben.
»Wieso soll ich meine Schuhe ausziehen? Ich habe nicht vor, deine Hütte zu besichtigen oder zum Kaffeetrinken zu bleiben, also nimm dein Zeug und ...«
Jasper verstummte abrupt, als Greg sich zu ihm umdrehte. Er hatte genug von diesem verzogenen Kerl, Arzt hin oder her. Es reichte, und zwar endgültig. »Du wirst keinen Schnee ins Haus schleppen. Zieh die Schuhe aus!«
»Ist ja schon gut ... Meine Fresse«, fauchte Jasper und stellte die Tüte mit den Einkäufen auf den Boden, während Sebastian neben ihm bereits seine Stiefel auszog und dabei unübersehbar gegen ein Grinsen ankämpfte. Kein Wunder, denn selbst Greg fand es mehr als lustig, dass Jasper offenbar gar nicht auf die Idee kam, die Tüte einfach stehenzulassen und kehrtzumachen. Äußerst interessant.
»Langsam sieht es richtig gemütlich aus.« Sebastian begann sich umzusehen. »Die Wände sind noch ziemlich kahl. Wann kommen deine Bilder an?«
»Laut Lieferdienst morgen oder übermorgen. Allerdings ist das vom Wetter abhängig, also gibt es keine Garantie.«
Sebastian lachte. »Wie jeden Winter. Ich setze Kaffee auf.«
Greg nahm die von Jasper abgestellte Tüte und folgte ihm in die Küche, ohne sich noch einmal nach Jasper umzusehen. Sollte der ruhig noch eine Weile schmollen, damit hatte er ja dank Trent genug Erfahrung. Er schüttelte den Kopf, als Sebastian die Kaffeedose nahm, die immer griffbereit neben der Kaffeemaschine stand, was ihm einen irritierten Blick einbrachte.
»Erfinde eine Ausrede und lass uns allein«, bat er leise und stellte seine Einkäufe auf die Arbeitsplatte neben dem Herd.
Sebastian begriff sofort. »Wird auch langsam Zeit«, erklärte er ebenso leise und kramte in seiner Hosentasche. Es folgte ein übertrieben lautes Stöhnen, dann meinte Sebastian in normaler Lautstärke. »Mist, das habe ich total vergessen. Ich muss los.«