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Anton de Kom

WIR SKLAVEN VON SURINAME

Aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann

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Der Verlag bedankt sich sehr für die Förderung dieser Publikation durch die Niederländische Literaturstiftung.

Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds unterstützt.

Erstdruck 1934

21. Auflage Dezember 2020

© 1999 Erven A. Kom

© 2020 Vor- und Nachworte:

Tessa Leuwsha, Mitchell Esajas, Duco van Oostrum

Originalausgabe:

Anton de Kom, Wij Slaven van Suriname

Uitgeverij Atlas Contact Amsterdam/Antwerpen 2020

© 2021 für die deutsche Ausgabe:

TRANSIT Buchverlag

Postfach 120307, 10593 Berlin

www.transit-verlag.de

Umschlagentwurf © David Drummond

Layout: © Gudrun Fröba

eISBN 978 - 3- 88747 - 404-1

INHALT

Vorbemerkung des Verlages

Tessa Leeuwsha: Frimangron

Judith de Kom: Vorwort zur dritten Auflage 1981

ANTON DE KOM: WIR SKLAVEN VON SURINAME

SRANAN, UNSER VATERLAND

 

DAS ZEITALTER DER SKLAVEREI

Die Ankunft der Weißen

El Dorado

Die ersten Siedlungen

Die holländische Herrschaft

Der Sklavenhandel

Der Markt

In Sklaverei

Die Sklavin

Die Herren

Die Strafen

Die Geschichte des Vaterlands

Van Aerssen van Sommelsdyck (1683-1688)

Das Gesindel

Die Waldzüge

Mr. Johan Jacob Mauricius (1742-1751)

Gouverneur Crommelin (1752-1768)

Gouverneur Nepveu (1770-1779)

Buku (zu Staub zerfallen)

Das letzte Kapitel des Widerstands

Suriname unter britischer Herrschaft

Das große Feuer

Das Los der Ethiker

Weiße Kolonisation

Ein aussichtsloser Kampf

Die Parade der Gouverneure

Die Abschaffung der Sklaverei

Die Freiheit?

Der große Ausverkauf

DAS ZEITALTER DER »FREIHEIT«

So leben wir

Das Wesen der Autonomie

Fin de siècle

Vertragsarbeit

Freie Arbeit

Die Jagd nach Gold

Die großen Kulturen

Wo sind die Millionen?

Bilanz

WIEDERSEHEN UND ABSCHIED

Anmerkungen

Duco van Oostrum: Der Atem der Freiheit

Mitchell Esajas: Wie Anton de Kom seit jeher Generation um Generation inspiriert

Biografische Angaben

BIBLIOGRAFIE

Douglass, Frederick. Narrative of the Life of Frederick Douglass, An American Slave, Written by Himself. London: W.W. Norton, 2016; c1845.

The Life and Times of Frederick Douglass (1892). In The Oxford Frederick Douglass Reader. Ed. William L. Andrews. Oxford: oup, 1996, S. 226-311.

Du Bois, W.E.B. The Souls of Black Folk. W.W. Norton: Londen, 1999; c1903. Die 1903-Edition wurde unter seinem vollständigen, teilweise niederländischen Namen publiziert: W.E. Burghardt Du Bois.

Equiano, Olaudah. The Interesting Narrative of the Life of Alaudah Equuiano, or Gustavus Vassa, The African. Written by Himself. London: Penguin, 1995; c1789.

Jacobs, Harriet. Incidents in the Life of a Slave Girl, Written by Herself. Ed. L. Maria Child. Londen, Harvard up, 1987; c1861.

Gates, Henry Louis. The Signifying Monkey: A Theory of AfricanAmerican Literary Criticism. Oxford: Oxford, up, 1988.

Gilroy, Paul.The Back Atlantic: Modernity and Double-Consciousness . London: Verso, 1993.

Hughes, Langston. The Negro Artist and the Racial Mountain. The Nation. June 23, 1926. Online: https://www.thenation.com/issue/june-23-1926/

Kom, Anton de. Wij slaven van Suriname. Atlas Contact: Amsterdam, 2017; c1934.

Locke, Alain. The New Negro: Voices of the Harlem Renaissance. New York: Simon and Schuster, 1999; c1925.

Morrison, Toni. Playing in the Dark: Whiteness and the Literary Imagination. Londen: Harvard up, 1992.

Stedman, John Gabriel. Narrative of a Five Year’s Expedition against the Revolted Slaves of Suriname. Ed. Richard Price en Sally Price. London: Johns Hopkins up, 1988; c1790; c1796.

Wolbers, Juie. Geschiedenis van Suriname. Londen: British Library, Historical Print Editions, 2011; c1861.

Stowe, Harriet Beecher. Uncle Tom’s Cabin. W.W. Norton: London, 1994; c1852.

Wekker, Gloria. White Innocence: Paradoxes of Colonialism and Race. London: Duke up, 2016.

Woortman, Rob en Alice Boots. Anton de Kom Biografie 1898-1945 | 1945-2009. Amsterdam: Atlas Contact, 2009.

Wright, Richard. The ethics of living Jim Crow: An autobiographical sketch. In Uncle Tom’s Children. New York: Harper & Row, 1993; c1938. 3-15. Library book: S. 14.

X, Malcolm with Alex Haley, The Autobiography of Malcolm X. Londen: Penguin, 2001; c1965.

ANMERKUNGEN

1    Jan Jacob Hartsinck, Beschrijving van Guiana of de wilde kust in Zuid-Amerika enz., Amsterdam, 1770.
Eines der ältesten und wichtigsten Werke über Suriname, in dem die wesentlichsten Briefe, Gutachten, Erlässe, Abkommen und Verträge wörtlich zitiert sind. Hartsinck, dessen Vater 25 Jahre als Direktor einen Sitz bei der Sozietät von Suriname innehatte, erfreute sich bei diesem Buch der Mitarbeit des Kolonialsekretärs van Meel und anderen angesehenen Einwohnern von Suriname, während es ihm darüber hinaus ermöglicht wurde, Archive zu konsultieren und Resolutionen, Plakate und Erlässe der Kolonialregierung einzusehen. Hierdurch kann sein Werk Anspruch auf vollkommene Zuverlässigkeit erheben.

2    J. Wolbers, Geschiedenis van Suriname, Amsterdam, 1861, S.17.
Wir werden in diesem Buch noch oft auf dieses vortreffliche Standardwerk über Suriname verweisen, dessen Objektivität und sein Sinn für Recht und Wahrheit umso mehr ins Auge fallen, wenn man bedenkt, dass es in einer Zeit geschrieben wurde, als die Sklaverei in Suriname noch nicht abgeschafft war.

Dem Vorwort dieses wahrlich gottesfürchtigen und liberalen Schriftstellers, der energisch für die Abschaffung der Sklaverei eingetreten ist, entnehmen wir folgende Passagen, um die Glaubwürdigkeit der von Wolbers angegebenen Fakten hervorzuheben: »… Vor allem eröffnete sich mir eine reiche Quelle im Rijks-Archief. Dort fand ich in den Protokollen von Gouverneuren und Räten, in den Tagebüchern der Gouverneure und in anderen offiziellen Schriftstücken die wichtigsten Einzelheiten … Wohl war es eine anstrengende Arbeit, diese große Anzahl dickleibiger Folianten (Manuskripte) durchzulesen, doch diese Mühe hat sich mehr als gelohnt, wenn man auf Einzelheiten stieß, die ein helleres Licht auf die bis dahin dunklen Punkte warfen« (S.II.).

»Man wird mich nimmer zu Recht beschuldigen können, die Unwahrheit geschrieben oder die Fakten verdreht oder sie in ein falsches Licht gestellt zu haben« (S.IV.).

3    Werner Sombart, Der Bourgeois, Leipzig, 1913, S.96 ff.

4    Wolbers, S. 26 f.

5    Bartolomé de Las Casas war ein spanischer Priester, der geraume Zeit in Amerika verbrachte. Erfüllt von Mitleid mit dem elenden Leben der Eingeborenen, die vor allem in den Goldminen von ihren neuen Herren auf unmenschliche Weise geschunden wurden, schlug er vor, Negersklaven zu importieren. Sein Werk Brevissima relación de la destruccíon de las Indias (1552) wurde in nahezu alle europäischen Sprachen übersetzt. [Kurz gefasster Bericht über die Verwüstung der Westindischen Länder, Frankfurt am Main, 2005]

6    Hartsinck, Bd. II., S. 585.

7    Wolbers, S. 837. Das vollständige Patent findet sich wortwörtlich bei Wolbers abgedruckt, S. 834-846.

8    Art. XVIII., Wolbers, S. 844.

9    Tagebuch von Gouverneur J.J. Mauricius, Wolbers, S. 121.

10  Siehe auch W. Bosman, Nauwkeurige beschrijving van de Guinese Goud-, tand- en slavekust enz., t’ Amsterdam, bij Isaak Stokmans, 1709, S. 149 ff. »Diese Handlung [das Brandmarken], glaube ich, kommt Ihnen etwas grausam, halb barbarisch vor; doch weil es aus Notwendigkeit geschieht, muss es so weitergehen.«

11  Letter from Pinson Bonham to Earl Bathurst, 9. Februar 1814, Wolbers, S. 567. (Bonham war während der englischen Herrschaft Gouverneur von Suriname 1812-1815.)

12  Letter from Pinson Bonham to Earl Bathurst, 14. Juli 1831; Wolbers, S. 567.

13  Genesis, Kapitel IX., Vers 25. Siehe auch Vers 27: »Raum schaffe Gott für Jafet, in Sems Zelten wohne er, Kanaan aber sei sein Knecht.«

14  Johan Picardt, Korte beschrijvinge van eenige vergetene en verborgene Antiquiteiten enz., te Amsterdam, bei Gerrit van Goedesbergh, 1660, S. 9.

15  Protokolle von Gouverneur und Räten, 24. Dezember 1745, Wolbers, S. 131 f.

16  Wolbers, S. 288 f.

17  Protokolle von Gouverneur und Räten, 4. August 1761, Wolbers, S. 290.

18  So teilt Hartsinck mit: »Van Sommelsdijck bestimmte, dass niemand mehr seine Sklaven verstümmeln oder mit dem Tode bestrafen darf – es bliebe also noch ein wenig Spielraum.« Bd II., S. 646.

19  Protokolle von Gouverneur und Räten, 30. August und 18. September 1799, Wolbers, S. 494.

20  Wolbers, S. 494 f.

21  Journal von Gouverneur J.J. Mauricius, 6. September 1750. Bemerkenswert ist auch, was er weiter schreibt: »Aus diesen Dokumenten ist wiederum ersichtlich, wie es aufgrund einer schlechten Direktion regelmäßig zu solchen Unglücken auf einer Plantage kommt.« Wolbers, S. 132.

22  Protokolle von Gouverneur und Räten. 1. Dezember 1800, Wolbers, S. 494.

23  Mauricius, in: Receuil van egte stukken en bewijzen, door Salomon du Plessis, geweeze Raad van Policie en Crimineele Justitie, tegens Mr. Jan Jacob Mauricius; alsmede door de Sociëteit van Suriname, en der selve Gouverneur Mauricius tegen den gemelde du Plessis enz., MDCCLII., Teil II., § 107, S. 517.

24  Receuil van egte stukken, Teil II., § 16, S. 185.

25  John Gabriel Stedman, Reize naar Surinamen en door de binnenste gedeelten van Guiana, 4 Bde., Amsterdam 1799.
Teil II., S. 281: »Den Verurteilten, einmal festgebunden, werden die Peitschenhiebe ohne Unterschied verabreicht, ob sie Männer, Frauen oder Kinder sind. Solange die Bestrafung andauert, rufen die Unglücklichen wiederholt: ›danky masera‹ (ich danke Ihnen, Meister), und der Plantagenbesitzer spaziert mit seinem Aufseher umher, ohne auf das gehörte Geschrei zu achten.«
Stedman war von Geburt Schotte, der im Rang eines Hauptmanns als Freiwilliger von 1772-1777 unter Fourgeaud an der Expedition gegen die Marrons teilnahm. Von seinem Buch erschienen außer der oben genannten ungekürzten holländischen Übersetzung auch eine französische und eine gekürzte deutsche und holländische Fassung. Stedmans oftmals sehr scharfes Urteil über die Zustände in Suriname wurde ihm von den Holländern sehr übel genommen. Deshalb ist es von Belang, was der gottesfürchtige Schriftsteller M.D. Teenstra hierzu in seinem Buch De negerslaven van Suriname anmerkt: »Aber auch wenn dieser britische Kapitän viele Dinge übertrieben hat, entspricht vieles doch der Wahrheit; Wahrheiten, die man in Suriname nicht hören will, Schmähreden aus Undankbarkeit nennt man es dort, und weil man manche Gäste wohl und gastfreundlich empfangen hat, sollten diese nicht öffentlich machen, wie die Sklaven behandelt werden: Das ist das Problem.« S. 322 f.

26  Hartsinck, Teil II., S. 741 ff.

27  Wolbers, S. 182.

28  Stedman, Nachrichten von Surinam, Hamburg 1797, S. 24.

29  Wolbers, S. 187.

30  Wolbers, S. 292. Crommelin regte ein paar Bestimmungen an, um die Misshandlungen der Sklaven zu zügeln, unter anderem dass jeder, der »den Tod eines Sklaven verschuldet, an Leib oder Leben bestraft werden soll«. Die Ratsherren konnten dies nicht billigen. Zwar gaben sie zu, dass es Plantagenbesitzer gab, »die ein so böses Wesen hatten, dass sie sich nicht schonten, gegen ihr eigenes Kapital zu wüten«, doch diese widernatürlichen Menschen bildeten die Ausnahme. Weiter urteilten sie, »dass es von äußerster Wichtigkeit ist, dass die Sklaven nicht die Einstellung verlieren, ihre Herren hätten das Jus vite denecis inne und sie nicht zu mäßigen wären, wenn ihnen bewusst wäre, dass ihr Herr für das Totschlagen eines Sklaven an Leib oder Leben bestraft werden könnte«. Wolbers, S. 293 f.

31  Laut dem Patent von 1682 war der Polizei- und Kriminalgerichtshof mit der Rechtspflege beauftragt. Vorsitzender war der Gouverneur, ferner bestand das Kollegium aus dem Kommandeur als erstem Rat und aus neun unbesoldeten Räten, die aus den angesehensten Einwohnern gewählt wurden. Außerdem gehörte dem Kollegium der Fiskalrat als beratendes Mitglied an. Er war der einzige Jurist und mit der öffentlichen Anklage betraut.

32  Protokolle Gouverneur und Räten, 1. Mai 1729, Wolbers, S. 133 f.

33  Protokolle Gouverneur und Räten, 2. August 1737, Wolbers, S. 133 f.

34  Protokolle Gouverneur und Räten, 29. April 1732, Wolbers, S. 133 f.

35  Protokolle Gouverneur und Räten, 14. Dezember 1730, Wolbers, S. 145 f.

36  Protokolle Gouverneur und Räten, 16. und 18. Dezember 1762, Wolbers, S. 290 f.

37  Protokolle Gouverneur und Räten, 27. Februar und 12. September 1747, Wolbers, S. 287 f.

38  Protokolle Gouverneur und Räten, 2. Mai 1731, Wolbers, S. 130 f.

39  Wolbers, S. 135.

40  Surinamisches Plakatbuch vom 7. Juli 1685, 10. Juli 1687, 8. November 1698, 20. Februar 1717, 18. Mai 1718 und Protokolle Gouverneur und Räten, 7. Dezember 1742. Wolbers, S. 138 f.

41  Hartsinck, Bd. II., S. 757, schätzte ihre Zahl auf fünf- bis sechstausend.

42  Hartsinck beschreibt diese Invasion ausführlich. Ihm entnehmen wir folgende interessante Zahlen: 734 Negersklaven wurden à 350 Gulden ausgeführt, nebst einer Anzahl an Indianern für insgesamt 2300 Gulden. Bd. II., S. 700-722.

43  Hartsinck, Bd. II., S. 740.

44  Wolbers, S. 140 f.

45  Hartsinck, Bd. II., S. 768-771.

46  Wolbers, S. 149; auch bei Stedman erwähnt.

47  Zu den Friedensverträgen siehe Hartsinck, Bd. II., S. 755-813 und auch Stedman, Bd. I., S. 78-96.

48  Wolbers, S. 159 f.

49  Wolbers, S. 159 f.

50  Protokolle Gouverneur und Räten, 25. September 1772, Wolbers, S. 331 f.

51  Protokolle Gouverneur und Räten, 30. Juni 1772, Wolbers, S. 338.

52  Stedman, Bd. I., S. 303.

53  Ein ausführlicher Augenzeugenbericht über diese Expedition findetman bei Stedman, Bd. III., S. 1-53.

54  Wolbers, S. 352.

55  Wolbers, S. 352 f.

56  P.F. Roos, Surinaamse Mengelpoëzy, das Gedicht »Suriname verheerlijkt«, S. 297, Amsterdam, 1804. Roos war Vorsitzender der surinamischen Literaturfreunde. Von oben stehendem Gedicht zitieren wir noch:
»Lehrt euern Kindern die wahren Bürgerpflichten.
Lehrt euern Kindern, Freiheitstempel zu errichten!

Jauchzet, Bürger! Jauchzet! Jauchzet, Bürgerinnen!
Jauchzet, wer einander Mann und Frau! Jauchzet mit euren Herzensgebieterinnen und der ganzen Kinderschar, dem Heile zu, das Suriname zugedacht!
Des Pflanzers Hoffnung sprießt: die Frucht der Äcker üppig lacht,
der Handel, der verkümmert ward, wird wieder neu erblühen,
die Schifffahrt bläht die Segel; man sieht die Völker ziehen.
Es ist, als suchte sich der Wohlstand hier ein neues Heim.
Die Küste Afrikas, wieder aufgebaut, dem Früher gleich, sei uns für kräft’ge Sklaven ein unerschöpflich Reich.

57  Wolbers, S. 455.

58  Brief von G. Gramstown an Archer, 23. Februar 1806. Wolbers, S. 555.

59  M.D. Teenstra, De Negerslaven in de kolonie Suriname, Dordrecht, 1842, S. 267 f. und S. 287-292. Prozess und Strafen, die Teenstra als »die Gräueltaten des barbarischen Mittelalters wert« erachtete, sind hier ausführlich beschrieben.

60  A. Halberstadt, Kolonisatie van Europeanen te Suriname. Nachdem Halberstadt viele Jahre vergeblich nach einem Verleger für sein Buch gesucht hatte, gab er es letztlich auf eigene Kosten heraus. Das Buch ist eine bittere und sehr scharfe Anklage gegen die Kolonialverwaltung. Von ihm erschienen auch Een standbeeld voor de Graaf van den Bosch (Ein Denkmal für Graf van den Bosch) und Vrijmaking der slaven in Suriname (Befreiung der Sklaven von Suriname).

61  Wolbers, S. 691.

62  Bittgesuch von Amsterdamer Kaufleuten an den Kolonialminister, 31. Oktober 1843. Wolbers, S. 693.

63  Wolbers, S. 693 f.

64  Wolbers schreibt hierzu u.a.: »Dieses Schriftstück ist eine Aneinanderreihung von Unwahrheiten. Man heuchelte Unkenntnis von Dingen, die jeder wusste. Man äußerte Vermutungen, die bei niemandem bestanden. Die Sache wurde verdreht, verzerrt …« (S. 696).

65  Wolbers, S. 699.

66  Wolbers, S. 707 f.

67  Wolbers, S. 714-717. Siehe auch: Bericht der Staatskommission über die Maßnahmen, die die Sklaven in den niederländischen Kolonien betreffen, 1855.

68  Bericht der Kommission der Zweiten Kammer, Sitzung vom 8. Mai 1861. Wolbers, S. 754.

69  In diesem Rundbrief schrieb Tank u.a.: »Ich meine, ich würde tadelnswert handeln, meine Herren, wenn ich meine Überzeugung nicht frank und frei vor Ihnen kundtun würde, wie es sich für freie Niederländer geziemt. Deshalb möchte ich auch dies nicht für mich behalten … dass ich die Sklaven nirgends einer so schlechten Behandlung unterworfen gesehen habe wie in Suriname. Wo anders als bei uns muss der Neger eine Strafe erleiden, nur weil er eine Klage eingereicht hat; wo anders als bei uns wird so unmenschlich bestraft.« Wolbers fügt hinzu: »Beeindruckte Tanks männliche Sprache in den Niederlanden, war man in Suriname darüber sehr ungehalten.« (S. 719).

70  Wolbers, S. 720.

71  Maria Vlier, Geschiedenis van Suriname, S. 213.

72  Dem fünften Teil von S.H.N. Linguets (1736-1794) Théorie des Loix Civiles entlehnt, zitiert von H.P.G. Quack, De socialisten, Bd. 1, S. 346 f. Dieses Werk, das sich vor allem gegen Montesquieus Esprit des Lois richtete, zog die Aufmerksamkeit von Karl Marx auf sich, der in Das Kapital dazu anmerkte: »Linguet warf Montesquieu’s illusorischen Esprit des Lois mit dem einen Wort über den Haufen: l’Esprit des Lois c’est la propriété.«

73  In Amerika wurde 1865 mit dem Verfassungszusatz Sklaverei und Zwangsarbeit abgeschafft. Die Plantagen im Süden wurden allmählich verlassen, wodurch ein empfindlicher Mangel an Arbeitskräften entstand. Die Folge war, dass die Plantagenbesitzer kapitulierten und Arbeitsverträge mit den befreiten Sklaven abschlossen und Löhne zwischen 10 und 15 Dollar pro Monat zahlten, so dass die früheren Sklaven immerhin genug zum Leben hatten. Wie sehr sich diese Lage doch von der abhob, in der die Surinamer nach der Abschaffung der Sklaverei steckten.

74  Wolbers, S. 776 f.

75  Wolbers, S. 775.

76  Siehe auch das Arbeitsprotokoll von J.W. van Lynden, die in Paramaribo im Dienst der Herrnhuter Brüdergemeinde war, erschienen in Ons Suriname, Missionsblatt der Herrnhuter Brüdergemeinde, Juli 1933.

»… Die Unterzeichnete war nicht nur von der überall in der Stadt sichtbaren Armut tief betroffen, sondern vor allem auch davon, dass die Kirche an und für sich wenig tat oder tun konnte, um sie wirksam zu mildern …

… Wollen Sie mich bei einem meiner täglichen Gänge durch das ›schwarze Paramaribo‹ begleiten? Keine Angst, ich bringe Sie nicht in enge Gassen, in die nur der mutigste Heilsarmist vordringt. Das schwarze Paramaribo findet sich in den sonnigen Straßen unserer Stadt. Hinter den Häusern, in denen die mit irdischen Gütern Gesegneten wohnen, liegen die ›Höfe‹ mit den vielen, vielen Wohnungen der Armen. Es sind die ehemaligen Sklavenwohnungen.
Als Transportmittel nehmen wir das Fahrrad. Laufen ist zu anstrengend. Aber seien Sie darauf gefasst, dass unsere Straßen nicht asphaltiert sind. Eine starke Lunge und ein gut gefederter Sattel sind von Vorteil. Manche Straßen ähneln den unbefestigten Wegen in Gelderland oder Brabant. Doch in der Trockenzeit muss man oftmals lange Strecken zu Fuß gehen, da Sand oder Staub ein Vorankommen verhindern. Wenn sich der Regen einstellt, bessert sich das schnell. Doch nach kurzer Zeit wissen Sie nicht mehr, was besser ist. Denn es kann passieren, dass Sie bis zu den Pedalen im Schlamm versinken.
… Die Anzahl meiner Hausbesuche beträgt durchschnittlich 100 pro Monat, nach Möglichkeit verteilt auf fünf Nachmittage die Woche. Diese Besuche lindern für ein paar Tage den Hunger. Hunderte Familien leiden wirklich Hunger; unter den Kindern von 1-3 Jahren kommt oft die Leberkrankheit vor, die Kinder sind dann mager, viel zu leicht und viel zu klein, arme Tröpfe, als Folge von Unterernährung oder von der Unterernährung der Mutter, da sie das Kind meist über ein Jahr stillt …
… Freunde, es ist jetzt 70 Jahre her, dass die Negersklaven von Suriname als frei erklärt wurden. Erst 70 Jahre, dass die Niederlande eingesehen haben, dass an dem in Suriname verdienten Geld Blut klebt. Stehen wir nicht in der Schuld? Niemand kann behaupten, unschuldig zu sein, da er ja keine Anteile von surinamischen Plantagen besessen hat. Es gibt eine kollektive Schuld! Sollten wir nicht alle daran mitwirken, diese Schuld, deren Folgen noch immer auf solch grässliche Weise zum Ausdruck kommen, wieder gut zu machen? …
Doch was tun wir, wir Niederländer, wir niederländische Christen?«

77  Siehe auch Dr. Lampe, Suriname, Sociaalhygiënische Beschouwing, S. 5: »Der Zuwachs der javanischen Bevölkerung ist in Suriname dann auch so gering, dass diese Rasse, sich selbst überlassen, ohne weitere Immigration also, zugrunde gehen wird und das in relativ kurzer Zeit.«

78  Bei dem kürzlich geschlossenen Vertrag mit der All Line für eine Expressverbindung mit Curaçao hat die Regierung ausdrücklich bestimmt, dass die Tarife der genannten Gesellschaft, die die Entfernung in vier Tagen zurücklegt, nicht niedriger sein dürfen als die der KNSM, die dafür zehn Tage braucht.

79  In Gouverneur Lelys Erläuterungen zu den Bacoven-Plänen wurden ƒ 750 000 als maximales Saldo genannt, den der Staat diesem Bacoven-Experiment bereitstellen würde. Die Beilage VI. der bereits erwähnten Note des Finanzsekretärs vom 28. Oktober 1910 zeigt, wie es sich in Wahrheit mit diesen Ausgaben verhielt:

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80  Im West-Indische Gids vom Januar 1934 schreibt Herr A. J. Simons in dem Artikel »Der Verfall von Suriname« (S. 299-308):

»In der Sklavenzeit wurde die Legende vom ›faulen Neger‹ erfunden. Nun verweist man auf dessen Weigerung, in der Landwirtschaft zu arbeiten. Dies alles soll dazu dienen, den Verfall dieses Landes dort zu suchen, wo er gerade nicht zu finden ist …«
Als Ursache dieses Verfalls führt der Autor zahlreiche Punkte an, von denen wir hier einige nennen:
I. Der völlige Wissensmangel in den Niederlanden über Suriname, nicht zuletzt bei der Hohen Regierung. Wenn Minister Colijn sagt, »selbst wenn er die Millionen hätte, wüsste er nicht, was er mit Suriname anfangen sollte«, verkündet er nichts Neues, sondern bleibt der Tradition treu und setzt als Folge der Unkenntnis über dieses Land eine falsche Verwaltungspolitik fort, wodurch wir immer tiefer im Sumpf versinken.
II. Die Aussendung ostindischer Beamter. Ein berühmter niederländischer Staatsmann sagte: »Es wäre besser, man vertraute die Verwaltung Surinames dem erstbesten Dorfbürgermeister an, er wäre in der Regel immer noch geeigneter als die aufgeklärtesten ostindischen Beamten.«
III. Unser mit übertriebenem Pomp ausgestattetes Verwaltungssystem. Suriname sei eine Beamtenkolonie, wird manchmal behauptet und das trifft vollkommen zu. Denn sagt es nicht alles, wenn jährlich über 3 Millionen Gulden oder etwa 70 Prozent der veranschlagten Haushaltsgelder zugunsten der Beamten gehen – und das bei einer Bevölkerung von 150 000 Seelen? Solange wir von ostindischen Beamten regiert werden, die gewohnt sind, auf großem Fuß zu leben und die sich wie orientalische Herrscher mit einer Dienerschar umgeben, wird man wohl kaum den Gürtel enger schnallen und Suriname wird immer tiefer sinken …
VIII. Die hohen Steuern, die in schlechten Zeiten noch einmal angehoben werden.
IX. Die veralteten Arbeitsmethoden in der Landwirtschaft.
Der Autor beendet seinen Artikel mit den Worten: »Ich hoffe, hiermit den Verfall Surinames deutlich gemacht zu haben, um die Meinung zu widerlegen, diesen Verfall der Bevölkerung in die Schuhe schieben zu können.«

81  De Surinamer, Nr. I, 1933, schreibt dazu: »Nur wenige wussten von de Koms Ankunft, aber er wurde als Kommunist angesehen und das machte das Interesse vieler verständlich. Dieses Interesse an der Person de Kom wuchs noch, weil die Polizei es bei seiner Ankunft nötig fand, ungewöhnlich großen Aufwand zu betreiben … Wo der Mann ging, stand oder war, wurde er auf lästigste Weise beschattet, abwechselnd von den aus dem Polizeidienst entlassenen Agenten Baal, Leeuwin und Kolf, die für diesen Spezialauftrag angeheuert waren … Allgemein wurde dieses Auftreten missbilligt.«

82  Dieses Etikett ist unzutreffend: Ich war und bin kein Mitglied der Kommunistischen Partei.

83  Selbst der Suriname-Korrespondent des Algemeen Handelsblad (7. Februar 1933) urteilt:

»Jahrelang haben die Behörden gehandelt und getan, als wäre tout est pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles. Hat die Regierung je mit Worten und Gesten bewiesen, dass ihr die Zukunft am Herzen liegt? Es brodelt in Suriname und das tut es schon lang. Aber die Regierung kümmert es nicht und verweist die Ursachen aller Konflikte auf die Gegenseite.« Und Herr Putscher, Mitglied der Kolonialstaaten, sagte in seiner Rede in Den Haag am 12. Juli 1933 (S. 6 des Berichts): »Hätte die Regierung begriffen, dass Verwaltung konstruktive Initiative und Vorausschauen bedeutet, hätte zweifellos vermieden werden können, dass Suriname nun im Zeichen von Arbeitslosigkeit, Unzufriedenheit, Störung der öffentlichen Ordnung und Blutvergießen steht …«

84  De Surinamer, Nr. 10, 1933: »Niemand wusste, worüber de Kom reden wollte, aber er ist Kommunist und das ist mehr als ausreichend, ihm zu verbieten, was jedem Bürger per Gesetz erlaubt ist. … Gegen jede Aktion de Koms wurde eine Gegenaktion eingeleitet.«

85  »Dass die Lohnsenkung nicht mit dem nötigen Takt durchgeführt wurde, wagen wir nicht zu behaupten, aber man bekommt schon den Eindruck, dass etwas an der Art und Weise nicht ganz richtig war.« (Algemeen Handelsblad, 6. Juli 1933).

86  »Von Ausschreitungen und aktivem Widerstand gegen die Polizei konnte nicht die Rede sein, die Räumung der Straße ging natürlich nicht ohne Zwischenfälle vor sich, viele Schläge von Seiten der Polizei, was natürlich unvermeidlich war.« (De Surinamer, 5. Februar 1933).

87  »Mit großer Wahrscheinlichkeit ließ sich vorhersagen, dass die Ruhe nicht wieder einkehren würde, bevor es nicht Schläge setzte und es am Dienstag, dem 7. Februar, zu einem Zusammenstoß käme. Am Abend des 6. Februar wurden darum, in Rücksprache mit dem Generalanwalt und dem Truppenkommandanten, die nötigen Maßnahmen von mir getroffen, um die Autorität aufrechtzuerhalten und für die Sicherheit von Personen und Gütern zu sorgen.« (Regierungsbericht)

88  Putscher (S. 8 des Protokolls seiner Rede) schreibt hierzu:
»Trotz aller schmerzhafter Geschehnisse gibt es doch noch Personen, die versuchen, die wahre Ursache der Unzufriedenheit, die so stark ist, dass man Tod und Verletzungen beim Protest hinnahm, zu vertuschen und die Schuld dem Einfluss der Person de Koms zuzuschreiben. … Aber das schluckt kein einziger vernunftbegabter Mensch. Alle, die die Zustände in Suriname kennen, wissen es besser, zum Beispiel der Korrespondent des Algemeen Handelsblad. Er schreibt: ›Es ist eine Tragödie, dass in einem Land mit vielen glänzenden Möglichkeiten es nicht allein am Volk und nicht nur an de Kom liegt, sondern wahrlich an der Regierung, an den Europäern, auch am Mutterland.‹ So ist es! Die Rolle, die die Person de Kom spielte, war die des Tropfens, der das Fass zum Überlaufen brachte, der Funke, der den durch die Schuld anderer angehäuften Brennstoff zur Explosion brachte … Und dann behauptet man eben, dass die Weltkrise und de Kom die Ursachen der Unruhestiftung sind! Nein! Die Misswirtschaft der surinamischen Verwaltung ist der Grund, und sofern de Kom irgendeinen Einfluss darauf gehabt hat, ist auch das auf die Angstpsychose und die falschen Maßnahmen, die die Verwaltung getroffen hat, zurückzuführen!« (S. 20)

89  »Wie … die Regierungsbeamten in Suriname sind, das wurde auf erstaunliche Weise durch die ungeheure Taktlosigkeit zur Schau gestellt, der Polizei mit Blumen zu danken und ein vergnügtes Essen und Trinken auszurichten, fast genau zu derselben Stunde, in der die Toten beigesetzt wurden (Putscher, S. 8).

90  »Wie sollte die Verbitterung im Gemüt jener nicht auflodern, die an die Unschuld de Koms glaubten, die mit zwei Toten und Strömen von Blut und unermesslichem Leid für ihre Überzeugung bezahlen mussten, dass er nichts Falsches getan hatte, jetzt da die Regierung die Unmöglichkeit bekennen musste, seine Schuld zu beweisen und ihn also doch freilassen musste, wie man es anfangs gefordert hatte?« (Putscher, S. 6)

BIOGRAFISCHE ANGABEN

ANTON DE KOM, 1898 in Suriname als Enkel von Sklaven und Sohn eines Goldgräbers und einer Kleinbäuerin geboren, arbeitete als kaufmännischer Angestellter, wurde wegen seiner politischen Aktivitäten gegen die kolonialistischen Zustände nach Holland verbannt und engagierte sich dort als Autor, Journalist und politischer Aktivist.

Sein Buch Wir Sklaven von Suriname (1934) erregte großes Aufsehen, durfte aber nur in zensierter Form erscheinen und in Suriname sowie den anderen holländischen Kolonien überhaupt nicht vertrieben werden. 1936 wurde es auf Deutsch in der Schweiz und in einem Exilverlag in der Sowjetunion veröffentlicht.

Nach der Besetzung Hollands 1940 durch deutsche Truppen wurde das Buch verboten, de Kom schloss sich dem holländischen Widerstand gegen das NS-Besatzungsregime an, wurde an die Gestapo verraten und in das in Holland gelegene KZ Kamp Vught gebracht. Von dort wurde er wie viele holländische politische Gefangene zu Zwangsarbeit erst ins KZ Sachsenhausen, dann ins KZ Neuengamme bei Hamburg transportiert, wo er kurz vor der Befreiung des KZ’s wahrscheinlich auf dem Todesmarsch zum Lager Sandbostel im April 1945 ums Leben kam. Er, der sein ganzes Leben lang gegen Sklaverei und Zwangsarbeit gekämpft und geschrieben hatte, starb an Entkräftung und Krankheit nach schwerster Zwangsarbeit in einem deutschen KZ. 1960 wurden in einem Massengrab bei Sandbostel seine sterblichen Überreste gefunden – und erst dann erfuhr auch seine Familie von seinem Tod.

Diese deutsche Ausgabe folgt dem unzensierten Original, das die Familie Anton de Koms aufbewahrt hat. Vor- und Nachworte gehen auf seine Biographie, die Wirkungsgeschichte des Buches und dessen aktuelle Bedeutung (»Black lives matter«) ein.

Anton de Kom ist eine der wichtigsten Stimmen innerhalb der antikolonialistischen Bewegung des 20. Jahrhunderts. »Freiheitskämpfer, Widerstandsheld, Gewerkschafter, Aktivist, Schriftsteller und Verbannter« steht auf dem Sockel seines Denkmals in Amsterdam.

BIRGIT ERDMANN wurde 1969 in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Studium der Kunstgeschichte und Niederlandistik in Marburg, Berlin und Amsterdam war sie einige Zeit für die Kulturabteilung der Niederländischen Botschaft Berlin tätig. Seit 2010 ist sie selbstständige Literaturübersetzerin. Für den Transit Verlag übersetzte sie den Roman Das indonesische Geheimnis von Hella S. Haasse. Birgit Erdmann lebt in Berlin.

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Hella S. Haasse

DAS INDONESISCHE GEHEIMNIS

Roman

Aus dem Niederländischen übersetzt von
Birgit Erdmann und Andrea Kluitmann

Hella S. Haasse zu entdecken ist aufregend. Man ist einerseits verzaubert von diesem Buch und andererseits politisch empört zu hören, auf welche Weise Indonesien von den Kolonialherren tatsächlich ausgeplündert worden ist. Diesen Spannungsbogen entfaltet sie. Und es gibt sehr schöne Naturbeschreibungen. Schön ausgestattet, ein wunderschönes Cover – Sie möchten das Buch sofort lesen.

Annemarie Stoltenberg, Norddeutscher Rundfunk

eISBN 978-3-88747-326-6

Literarische Werke und ihre Urheber sind ein Produkt ihrer Zeit. Obwohl Anton de Kom seiner Zeit weit voraus war und Wir Sklaven von Suriname ein zeitloses Meisterwerk ist, bilden er und sein Buch hier keine Ausnahme. Gesellschaften und Kulturen verändern sich, und dies drückt sich auch in der Sprache und im Vokabular aus. Einige Wörter haben mittlerweile einen anderen Gefühlswert und sind anno 2021 einfach unpassend, so z.B. das von de Kom häufig gebrauchte Wort »Neger«. Der Verlag ist sich dessen bewusst, meint aber, ein historisches literarisches Werk sollte unangetastet bleiben.

Deshalb haben wir uns dafür entschieden, Anton de Koms Text aus dem Jahr 1934 in seiner ursprünglichen Fassung übersetzen zu lassen.

Zu den Anmerkungen: Die im Text mit Sternchen markierten Anmerkungen stammen in der Regel von der Übersetzerin. Wenn nicht, wird der Name des jeweiligen Autors genannt. Die mit Ziffern markierten Anmerkungen von Anton de Kom befinden sich am Ende seines Textes.

Tessa Leuwsha

FRIMANGRON

Ich stehe in Paramaribo vor Anton de Koms Geburtshaus. Es ist ein Eckhaus im Stadtviertel Frimangron. Auf dem Gehweg davor befindet sich ein Gedenkstein mit einer Plakette, auf der ein Zitat des berühmten surinamischen Widerstandskämpfers eingraviert ist: »Sranan, mein Vaterland, einmal hoffe ich, dich an dem Tag wiederzusehen, an dem alles Elend von dir abgewendet sein wird.« Das halb verfallene Holzhaus besteht aus einem Erdgeschoss und einem Obergeschoss. Die grau gewordenen vertikalen Holzbretter hängen schief an den Nägeln, das Wellblechdach ist teilweise eingestürzt. Ein Fensterladen steht offen, die Gardine ist zur Seite geschoben: Das Haus ist bewohnt. Nebenan verbirgt sich hinter einem Bananenbaum ein weiteres kleines Haus. Auf dem Weg zwischen den Häusern taucht ein hagerer schwarzer Mann auf. Sein Haar und der Bart sind grau. Er trägt ein T-Shirt, das ihm genau wie die Badelatschen viel zu groß ist. In der Hand hält er eine in Zeitungspapier eingewickelte Blume. Er setzt sich auf den Gehweg vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie de Kom. Für wen diese Blume wohl bestimmt ist? Um mich kümmert er sich nicht – schließlich stehen viele Menschen vor diesem Haus, um es zu fotografieren.

In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts warteten hier hunderte Menschen darauf, mit Anton de Kom zu sprechen. Arbeitslose und Arbeiter, die mit ihrem kargen Lohn über die Runden kommen mussten. Nach Abschaffung der Sklaverei 1863 hatte der niederländische Staat im ehemaligen Britisch- und Niederländisch-Indien Vertragsarbeiter für die Plantagen in Suriname angeworben. Mit dem Niedergang der Landwirtschaft strömten diese Arbeiter, gleich den ehemaligen Versklavten, nach Paramaribo. Aber auch in der Hauptstadt mangelte es an Arbeit und herrschte große Armut. Dennoch hofften sie, am Tisch hinter dem Haus von dem Mann empfangen zu werden, der mit dem frischen Wind des Widerstands aus Holland zurückgekehrt war.

Cornelis Gerhard Anton de Kom wurde 1898 in Paramaribo geboren. Er erwarb ein Buchhalterdiplom und arbeitete für einige Zeit im Büro der Balata Compagnie, einer Firma, die den Abbau von Balata, einer Kautschuksorte, vorantrieb. De Kom nahm sich dem schweren Los der Balata-Bleeders an, der überwiegend kreolischen Arbeiter, die im erstickend heißen Urwald die Gummibäume abzapften. 1920 kündigte de Kom, fuhr in die Niederlande und heiratete dort die Niederländerin Petronella Borsboom. Als einer der wenigen Schwarzen in den Niederlanden kam er schließlich mit nationalistischen Javanern in Kontakt, die die Unabhängigkeit Niederländisch-Indiens anstrebten: Indonesien. De Kom übernahm diesen Freiheitsgeist und begann, Artikel für De Communistische Gids zu schreiben, das Sprachrohr der Kommunistischen Partei der Niederlande, die damals die einzige politische Partei mit einem Bekenntnis zum Antikolonialismus war. Seine Artikel, aber auch der revolutionäre Tenor seiner Rede fanden ihren Weg zur Arbeiterbewegung in Suriname. Besonders seine Kritik an der Lohnkürzung für Vertragsarbeiter machte ihn bei dieser Gruppierung populär.

Als de Kom 1932 gemeinsam mit seiner Frau und ihren vier Kindern per Schiff nach Suriname zurückkehrte, um seine kranke, jedoch noch während der Reise verstorbene Mutter zu besuchen, sahen seine Genossen im Geiste der Ankunft sehnsüchtig entgegen. Hinter dem elterlichen Haus richtete er eine Beratungsstelle ein und notierte gewissenhaft die Beschwerden der unzufriedenen Surinamer. Vor allem Javaner, die sich durch die anderen Bevölkerungsgruppen benachteiligt fühlten, suchten Rat bei »Papa de Kom«, ein Spitzname, den sie ihm schnell verpasst hatten. De Kom würde sie wie ein Messias zurück nach Java führen, so das glühende Verlangen. In Wir Sklaven von Suriname schreibt de Kom: »Unter dem Baum aber, an meinem Tisch vorbei, zieht die Parade des Elends. Parias mit eingefallenen Wangen. Hungerleider. Menschen ohne genügend Widerstand. Offene Bücher, in denen sich die mühsam erzählte Geschichte von Unterdrückung und Entbehrung sogleich lesen lässt.« (S. 178) De Kom wollte die gesammelten Beschwerden der Kolonialverwaltung vorlegen, doch die Unruhe, die er mit seinem Büro auslöste, missfiel Gouverneur Abraham Rutgers. Am 1. Februar 1933 zog Anton de Kom mit einigen Anhängern zum Gouvernement. Dort wurde er wegen des Verdachts, einen Umsturz zu planen, verhaftet.

Von der Straße aus kann man den Hinterhof nicht einsehen. Die Seitenwand des Hauses ist mit Zinkblech zugenagelt, ein großer Mangobaum stützt sich zum Teil auf das Dach. Vor dem Nachbarhaus fegt eine Frau Laub und Fallobst zusammen. Sie trägt einen rosafarbenen Rock, einen engen Pulli, eine Kappe und eine Sonnenbrille. Wahrscheinlich hat sie wie der größte Teil der Surinamer das Outfit in einem der billigen chinesischen Klamottenläden gekauft, die Paramaribo überschwemmen. Der kleinere Teil der Bevölkerung mit einem größeren Einkommen kauft seine Kleidung im Ausland oder im Internet. In mancher Hinsicht scheint sich zwischen dem Paramaribo, in dem de Kom Anfang des vergangenen Jahrhunderts aufgewachsen ist, und der Stadt von heute nicht viel verändert zu haben. Nur dass die Reichen nicht mehr in den weißgrünen Herrenhäusern im alten Stadtzentrum wohnen, sondern in modernen Steinvillen der grünen Wohnviertel wie Mon Plaisir und Elisabeths Hof.

Dass gerade ein Arbeiterviertel wie Frimangron einen Revolutionär wie de Kom hervorgebracht hat, ist nicht verwunderlich. Schon in der Sklavenzeit zogen die Versklavten, denen es gelungen war, sich freizukaufen, in das damals brachliegende Gebiet am Stadtrand. Früher hatte das ehemalige Hauspersonal in Sklavenbaracken hinter den Herrenhäusern gehaust. Frimangron bedeutet »Erdboden der freien Menschen«. An den langen Sandstraßen zimmerten sich die neuen Bürger einfache Häuschen und übten Handwerksberufe aus. Die Pontewerfstraat war die wichtigste Straße des Viertels. Aus den kleinen Werkstätten klangen das Sägen der Zimmerleute und das Klopfen und Ticken von Schuhmachern, Gerbern und Blechschmieden. Die Frauen arbeiteten als Wäscherinnen und Büglerinnen für die weiße und hellhäutige Elite, die in der niederländischen Kolonie das Sagen hatte. In dieser Straße, die seit Anfang der achtziger Jahre nach Anton de Kom benannt ist, steht sein Geburtshaus.

Auf dem Gehweg, auf dem der alte Mann sitzt, wird auch Anton de Kom in seiner Jugend regelmäßig Zeit verbracht haben. Sein Vater war noch Sklave gewesen, seine Großmutter erzählte ihren Enkelkindern »vom Leid der Sklaverei«, wie de Kom es in seiner scharfen Klageschrift Wir Sklaven von Suriname schreibt. Er publizierte das Buch 1934, ein Jahr, nachdem die Kolonialverwaltung ihn aus Suriname verbannt hatte.

De Kom war ein guter Schüler und hatte schon in jungen Jahren die Fähigkeit entwickelt, Unrecht nicht als Selbstverständlichkeit anzusehen. Die Kinder in seinem Viertel mussten meist barfuß laufen, sie waren in Lumpen gekleidet und trieben sich auch nach der Dämmerung draußen herum. Zwar gab es eine Schulpflicht, doch die wenigsten Eltern hatten die Mittel, das Schulgeld aufzubringen, geschweige denn, anständiges Schuhwerk und Schulkleidung zu kaufen. Es kostete die Eltern schon größte Mühe, ihren Kindern täglich etwas Reis mit gesalzenem Fisch aufzutischen. Wer die Gelegenheit bekam, stellte sein Kind als kweekje zur Verfügung: bei einer gut situierten Familie gegen Kost und Logis das Haus fegen, den Garten rechen und Wassereimer schleppen. Kinderarbeit war üblich. Anton de Kom hatte es vermutlich ein wenig besser. Seinem Vater gelang es als Kleinbauer, mit der Landwirtschaft ein halbwegs gutes Auskommen zu haben. Zudem arbeitete er als Goldgräber. Der junge Anton muss allerdings gelegentlich auf dem imposanten Oranjeplein gewesen sein, in dieser anderen Welt im Herzen der Stadt, wo vor dem vornehmen Gouverneurspalast das Denkmal von Königin Wilhelmina stand, auch wenn sie ihre Kolonie niemals besuchte. Unter den Tamarinden am Platz flanierte das wohlhabende Bürgertum, herausgeputzt in Kostümen oder langen weißen Kleidern. In Frimangron waren alle schwarz. Und daran hat sich bis heute nicht viel geändert.

Eines Sonntagmorgens fahre ich über den Anton Dragtenweg, den hübsche Häuser mit Aussicht auf den Suriname-Fluss säumen, zum Viertel Clevia. Seite an Seite stehen dort Bruynzeelhäuser mit kleinen Vor- und Hintergärten. Ich parke vor einem frisch geschmirgelten Zaun. »Ich streiche gerade die Haustür«, hatte Cees de Kom am Telehalb