Mathilda Grace

BLIND IST DER, DER NICHT LIEBEN WILL

 

 

Blind ist der, der nicht lieben will

2. Auflage, November 2018

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

© 2018 Mathilda Grace

Am Chursbusch 12, 44879 Bochum

Text: Mathilda Grace 2010

Foto: coparisienne; Pixabay

Coverdesign: Mathilda Grace

 

Web: www.mathilda-grace.de

 

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.

 

Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Drama & Romance

 

 

Liebe Leserin, Lieber Leser,

 

ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.

 

Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.

 

Dankeschön.

 

Liebe Grüße

Mathilda Grace

 

 

Nick Kendall ist ein erfahrener Anwalt, der glaubt, aufgrund seines Berufes eine gute Menschenkenntnis zu besitzen. Aber seit einiger Zeit versteht Nick, obwohl er mit seiner Anfang des Jahres gegründeten Anwaltskanzlei eigentlich schon genug zu tun hat, nur noch Bahnhof, wenn es um seinen besten Freund Tristan Bennett geht, denn der benimmt sich nicht nur ihm gegenüber äußerst merkwürdig.

 

 

Prolog

 

 

 

 

Er würde zu spät kommen.

Was leider nichts Neues war, in letzter Zeit kam er ständig zu spät, egal worum es ging. Nick stöhnte genervt, während seine Finger ungeduldig auf das Lenkrad trommelten und er darauf wartete, dass die Ampel auf grün sprang. Dabei war es heute nicht mal seine Schuld. Was konnte er für einen Auffahrunfall direkt vor dem Gerichtsgebäude? Nichts. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass der betrunkene Autofahrer eingeklemmt gewesen war und von der Feuerwehr mit Großgerät aus seinem Wagen hatte befreit werden müssen.

Der Verkehr rund um das Gericht war dadurch völlig zum Erliegen gekommen. Und das mitten im täglichen Wahnsinn der Rush Hour und ausgerechnet heute, wo er verabredet war. Nick konnte von Glück reden, wenn ihn der finstere Blick seiner Sekretärin Linda nicht gleich an der Tür seiner Kanzlei zu Boden streckte. Den Blick seiner Verabredung, der entweder geduldig auf ihn wartete oder bereits wutentbrannt gegangen war, wollte er sich im Augenblick lieber gar nicht genauer vorstellen. Das hätte vermutlich einen weiteren Stau durch einen Autounfall ausgelöst, mit ihm als Opfer im Wagen.

Als er eine halbe Stunde später endlich an seiner Kanzlei eintraf, waren das Vorzimmer sowie sein Büro hell erleuchtet. Nick nahm seine Tasche, verschloss sein Auto und atmete einmal tief durch, bevor er ins Haus trat. Jetzt erwartete ihn ein Donnerwetter. Das war so sicher, wie das Amen in der Kirche.

Im Vorzimmer saß seine Sekretärin an ihrem Schreibtisch und sah auf, als er eintrat. Nick ließ ihr keine Gelegenheit, zu ihrem tadelnden Blick die passenden Worte zu finden. »Linda, meine treue Seele. Immer da, wenn ich Sie brauche. Ich könnte Sie küssen. Ist er noch da?« Statt zu antworten, schüttelte Linda den Kopf, was weit besser wirkte, als jeder ausgesprochener Tadel es hätte tun können. Nick räusperte sich verlegen. »Ich stand im Stau. Da war ein Unfall ...«

»Vor dem Gericht, ich weiß. Es kam schon in den Nachrichten. Und das ist Ihr Glück, Mister Kendall«, erklärte Linda rigoros und deutete mit dem Kopf in Richtung seines Büros. »Er wartet seit einer Stunde auf Sie. Neben einem Stapel neuer Fälle, die der Staatsanwalt Ihnen zugeschickt hat.«

»Heute?« Nick stöhnte frustriert auf. »Lassen Sie mich raten. Er will bis möglichst gestern Bescheid wissen.« Er bekam keine Antwort, was in dem Fall auch eine war. »Na toll.« Nick fuhr sich durch die Haare. Damit war die geplante Clubtour gestorben.

Linda räusperte sich, während sie sich ihrem Computer zuwandte. »Das war noch nicht alles, denn wenn ich richtig mitgezählt habe, dürfte ...« In dem Moment klingelte das Telefon. »Pünktlich auf die Minute. Nehmen Sie das Gespräch an, Mister Kendall, sonst kündige ich auf der Stelle.«

»Bloß nicht.« Nick schauderte allein bei dem Gedanken. »Wer ist es denn?« Linda schenkte ihm ein schadenfrohes Lächeln, was ihn erneut stöhnen ließ. »Oh nein.«

Keine zehn Minuten später verdrehte Nick theatralisch die Augen, während das Gezeter seiner Mandantin weiterhin sein Ohr strapazierte. Streitereien unter Nachbarn waren lästig und nervend, aber vor allem waren sie zeitaufwendig. Zeit, die er viel lieber bei seinen Freunden verbracht hätte, aber nein, seit er sich vor sechs Monaten mit einem eigenen Büro und seiner Sekretärin Linda, die in ihrem Beruf ein Ass war und auf über dreißig Jahre Berufserfahrung zurückgreifen konnte, selbstständig gemacht hatte, blieb ihm für derartige Vergnügungen kaum noch Zeit.

Sehr zum Verdruss seines besten Freundes Tristan, der gerade damit beschäftigt war, ihm gegenüber auf seinem Besucherstuhl eine bequemere Sitzposition zu finden, während er ihm nebenbei finstere Blicke zuwarf.

»Nein, Misses Murphy. Sie können Ihre Nachbarin nicht verklagen, weil sie im Bikini ihre Blumen gießt ... Nein, es gibt kein Gesetz, das von ihr verlangt, dabei einen Bademantel zu tragen. Dass ihre Figur mit achtundfünfzig Jahren nicht mehr die Straffeste ist, ist dabei völlig unerheblich.«

Nick wusste nicht, ob er sich selbst eine Runde leidtun oder sich lieber bei Tristan entschuldigen sollte, denn der Aktenberg auf seinem Tisch war zu hoch, als dass er ihn ignorieren konnte. Ihm würde nichts anderes übrig bleiben, als ihre seit drei Wochen geplante Clubtour für heute Abend ins Wasser fallen zu lassen. Es war nicht die erste. Und mittlerweile nahm Tristan das Ganze nicht mehr mit Humor.

»Nein, Misses Murphy, ich kann auch keine einstweilige Verfügung  erwirken. Einen schlechten Geschmack zu haben, ist in diesem Land kein Verbrechen«, erklärte Nick ihr zum gefühlten tausendsten Mal, da er diese Art Gespräch nicht zum ersten Mal führte und die alte Lady mit Sicherheit nur ein paar Tage brauchen würde, um etwas Neues zu finden, mit dem sie ihn belästigen konnte. »Ja, Sie können mich jederzeit wieder anrufen. Auf Wiederhören.«

Nachdem das Tuten in der Leitung bewies, dass aufgelegt worden war, ließ Nick den Hörer geräuschvoll auf die Gabel fallen, atmete erleichtert ein und vergrub danach den Kopf in seinen Händen. In seiner alten Kanzlei hatte er solche Anrufe immer an die Neulinge abgeben können, jetzt musste er allein damit fertig werden. Normalerweise war das kein großes Problem für ihn, aber durch die Vorbereitung seines ersten eigenen Prozesses, saß er seit Wochen bis tief in die Nacht im Büro und war dementsprechend müde. Und dank der neuen Akten würde er auch heute nicht vor Mitternacht nach Hause kommen, denn morgen früh stand in seinem aktuellen Fall der erste Verhandlungstag vor Gericht an. Danach folgte ein Termin im Gefängnis mit seinem Mandanten und nachmittags war er mit dem Staatsanwalt verabredet.

Wie Nick es auch drehte und wendete, er musste seine Verabredung, mit Tristan zu Ians Pub zu gehen, verschieben, was neuen Ärger nach sich ziehen würde, denn Ian, der alte Vietnamveteran, der den Laden führte, hatte sich bereits vor Wochen bei ihm darüber beschwert, dass er ihn kaum noch zu Gesicht bekam. Aber er konnte es nicht ändern und deswegen schwieg Nick. Wie so oft in letzter Zeit, wenn ihm kein gutes Argument für eine Absage einfiel. Ganz zu schweigen davon, dass Tristan seine Worte ohnehin als Ausrede deklarieren und abschmettern würde.

»Soll ich dein Schweigen als Entschuldigung betrachten, dass du unsere Verabredung bei Ian zum vierten Mal in Folge sausen lässt?«

Ja, Tristan war genauso sauer, wie sein Gesichtsausdruck es ihn zuvor schon hatte ahnen lassen. Die Zeichen standen auf Sturm und Nick seufzte leise. Er wollte sich nicht schon wieder mit Tristan streiten. Seit er seine Kanzlei eröffnet hatte, stritten sie für seinen Geschmack viel zu viel. Nick wusste, dass es seine Schuld war und irgendwie konnte er Tristan ja auch verstehen, aber er erstickte derzeit einfach in Arbeit. Außerdem wollte er diese Kanzlei, aber vor allem wollte Nick mit ihr erfolgreich werden. Das konnte er allerdings nicht, wenn er an den Abenden ständig durch die hiesigen Clubs zog, wie er es noch vor weniger als einem Jahr mit Begeisterung getan hatte.

Nick musste Prioritäten setzen und im Augenblick lagen die eindeutig nicht bei seinem Privatleben. Wenn er genauer darüber nachdachte, hatte er nicht mal mehr eines. Jämmerlich, aber nicht zu ändern. Wieso konnte Tristan ihn nicht wenigstens ein bisschen verstehen? Er hatte doch selbst genug zu tun. Warum war es bei seinem Freund in Ordnung, wenn der eine Verabredung sausen ließ, während er überall nur noch als der große böse Wolf dastand?

Kopfschüttelnd schob Nick seinen letzten Gedanken beiseite. Er führte sich auf wie ein schmollendes Kleinkind und das war wirklich erbärmlich. Er hatte heute keine Zeit, um auszugehen, basta. Ob Tristan das gefiel, oder wohl eher nicht gefiel, ändern konnte er es ohnehin nicht.

»Es tut ...«

»Sag es nicht!«, fuhr Tristan ihm über den Mund und im nächsten Moment verkündeten energische Schritte, dass Connors Bruder aufgestanden war und zu Tür lief. »Ich habe keine Zeit, ich muss arbeiten«, äffte Tristan seine eigenen Worte abfällig nach, woraufhin Nick das Gesicht verzog. »Ich kann es nicht mehr hören, Nick. Solltest du irgendwann in diesem Jahr ein oder zwei Stunden deiner ach so kostbaren Zeit für deinen angeblich besten Freund erübrigen können, ruf mich an.«

Das war beleidigend und es tat weh. Sehr sogar. Nick sah auf. »Tris ... Bitte. Dieser Fall ist wichtig für mich.«

Tristan schnaubte nur und riss die Tür auf. Die Hand an der Klinke drehte er sich um und sah ihn enttäuscht an. »Jeder Fall ist dir seit Monaten wichtiger als deine Freunde. Aber das solltest du besser Daniel und Connor erklären, die bei Ian auf uns warten. Happy Birthday, du Vollidiot.«

Das Zuknallen der Bürotür riss Nick aus seinem Entsetzen und im nächsten Moment bemerkte er ein in silbernes Papier gewickeltes Päckchen, dekoriert mit dunkelblauem, gekräuselten Geschenkband, das auf dem zweiten Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch lag.

Das war jetzt nicht wahr. Er hatte nicht wirklich seinen eigenen Geburtstag vergessen, oder?

Nicks Blick fiel auf den großen Kalender an der Wand gegenüber, in dem der heutige Montag, der 14. Juni 2010, mit roten Tinte dick umrandet war. So ein verdammter Mist. Er hatte seinen Geburtstag tatsächlich vergessen und als wäre das nicht schon schlimm genug, konnte er Tristans Ärger auf ihn plötzlich noch viel mehr nachempfinden, denn die Clubtour zu Ian war offensichtlich eine heimlich geplante Geburtstagsfeier für ihn. Welchen Grund sollten Daniel und Connor sonst haben, spontan in die Stadt zu kommen?

Diese Überraschung hatte er Tristan gerade gründlich verdorben und das würde er auch mit einer Entschuldigung nicht so einfach wieder gutmachen können. Frustriert und wütend auf sich selbst, ließ Nick seinen Kopf laut stöhnend auf die polierte Tischplatte sinken und schlug dann mit der rechten Faust neben seinem Kopf auf das Holz.

»Scheiße!«

 

 

1. Kapitel

 

 

 

 

Nick ignorierte das einsetzende Telefonklingeln, bis Linda an den Apparat ging. Er hörte sie kurz reden und anscheinend war der Anrufer wichtig oder wenigstens energisch genug, um ihn in seinem Elend zu stören, wenn er ihre leisen Schritte richtig deutete, die wenig später auf seinen Schreibtisch zukamen.

»Will ich es wissen?«, fragte er gedämpft, weil er mit dem Gesicht immer noch auf der Tischplatte lag.

»Staatsanwalt Quinlan, Mister Kendall.«

Na wunderbar, dachte Nick sarkastisch. Adrian Quinlan, der Oberstaatsanwalt von Baltimore, hatte ihm zu seinem Glück heute noch gefehlt. »Danke, Linda.« Etwas raschelte vor ihm und Nick hob den Kopf, um direkt auf ein Päckchen zu schauen, eingewickelt in gelbes Geschenkpapier. Er seufzte. »Linda, Sie sollten mir lieber eins mit der Pfanne überbraten, statt mir etwas zum Geburtstag zu schenken.« Ihre Antwort bestand aus ihrer flachen Hand, mit der sie ihm tadelnd auf den Hinterkopf schlug. »Aua.«

»Das geschieht Ihnen recht, Mister Kendall«, erklärte seine Sekretärin rigoros und strich ihm dann sanft durch die Haare. »Ich hätte Ihnen gleich gratulieren sollen, hm?«

Nick grinste schief. »Er wäre trotzdem sauer.«

»Wohl wahr«, stimmte Linda zu und bedachte ihn anschließen mit einem Kopfschütteln. »Sie wissen, was Sie jetzt zu tun haben?«

»Vor Tristan auf Knien rutschen und hoffen, dass er Gnade walten lässt?«, stellte Nick mit Grabesstimme eine Gegenfrage, was seine Sekretärin leise lachen ließ.

»Ja. Aber vorher reden Sie noch mit dem Staatsanwalt.«

»Welche Leitung?«, fragte er und nickte, als Linda schlicht ihren Daumen hochhielt. »Danke. Wollen Sie nicht schon Feierabend machen? Ich schließe dann ab.«

Ihr Blick wurde streng. »Nur wenn Sie versprechen, heute nicht die halbe Nacht hier zu sitzen. Es ist Ihr Geburtstag.«

»Ich versuche es«, meinte Nick, obwohl sie beide wussten, dass diese Bitte ein Wunschtraum war.

Seine Sekretärin seufzte. »Sie sind unverbesserlich.«

»Und Sie sind ein echter Schatz«, konterte Nick, was Linda schmunzeln ließ.

»Charmeur. Bis morgen, Mister Kendall.«

Nick grinste und wartete, bis das Klappen der Tür im Flur ihm anzeigte, dass Linda das Büro verlassen hatte, bevor er ans Telefon ging. »Hallo Adrian.«

Schweigen.

Nick konnte beinahe sehen, wie jetzt eine Augenbraue gen Haaransatz wanderte. »Was hast du angestellt?«, kam dann die unvermeidliche Frage, denn Adrian hielt sich nie mit langen Vorreden auf.

Nick lehnte sich zurück. »Meinen Geburtstag vergessen, was die für mich geplante Überraschungsparty von Freunden und meiner Familie ziemlich torpediert hat.«

»Du machst nie halbe Sachen, nicht wahr, Nick? Wenn ein Fehler, dann auch gleich so richtig in die Vollen.«

»Danke für diese wertvolle Information, Herr Anwalt. Es wäre mir glatt entgangen«, zischte Nick und wusste nicht, über wen er sich gerade mehr ärgerte. Sich selbst oder Adrian. »Ach, lass mich doch in Frieden.«

Adrian seufzte am anderen Ende, bevor er befahl: »Schließ die Kanzlei ab und komm in dein Apartment!«

»Ich kann nicht«, wehrte Nick mit finsterem Blick auf seinen übervollen Schreibtisch ab. »Falls du es vergessen haben solltest, auf meinem Tisch liegt ein Stapel Akten aus deinem Büro, der bis möglichst letzte Woche bearbeitet werden will.«

»Und diese Akten werden morgen auch noch daliegen«, erklärte Adrian völlig unbeeindruckt, was Nick dazu brachte, erneut mit der Faust auf den Tisch zu schlagen.

»Bist du taub? Ich sagte ...«

»Du hast dreißig Minuten, Nick!«

Adrian legte auf, bevor er darauf reagieren konnte. Wutentbrannt starrte Nick den Hörer ein paar Sekunden lang an, dann knallte er ihn auf die Gabel und stand auf, um sein Jackett anzuziehen. Sauer oder nicht, Adrian Quinlan warten zu lassen, war niemals eine gute Idee, und deswegen stieg Nick kurz darauf in seinen Wagen und machte sich auf den Heimweg.

 

»Du wirst dir eine gute Entschuldigung wegen dieser Party einfallen lassen müssen«, meinte Adrian einige Stunden später und griff nach seinem Duschgel, das in der Ablage hinter ihm stand, um sich ein wenig davon auf die Hand zu geben.

Nick sah ihm schweigend zu, ließ derweil heißes Wasser auf seine verspannten Schultern prasseln und wünschte sich eine Massage. Ihm tat alles weh und das kam nicht von dem Sex, den er und Adrian bis vor ein paar Minuten gehabt hatten. Er verbrachte eindeutig zu viel Zeit damit, sich seinen Hintern auf dem Bürostuhl platt zu sitzen. Tristan hatte recht mit seinem Vorwurf, Nick wusste nur nicht, wie er das in den nächsten Wochen ändern sollte. Woher sich die Zeit nehmen, wenn sie nicht stehlen?

»Adrian? Als du damals deine Kanzlei eröffnet hast, dauerte es wie lange, bis du dir das erste Mal Urlaub nehmen konntest?«

Adrian hörte auf sich einzuseifen und sah ihn eine Weile forschend an, bevor er fragte: »Was willst du mir gerade durch die Blume mitteilen?«

Nick seufzte. »Gar nichts. Es war nur eine Frage.« Ein leises Lachen war die Antwort, die er erhielt, und die ihn innerlich fluchen ließ. Adrian kannte ihn einfach zu gut. »Ich habe in der letzten Zeit zu viele Verabredungen sausen lassen und ich will von dir wissen, wie lange ich meine Freunde vor den Kopf stoßen muss, bis das wieder besser wird.«

Adrian zuckte lässig die Schultern. »Du solltest dich schon mal an den Gedanken gewöhnen, dass du am Ende diesen Jahres vermutlich ein paar Freunde weniger hast.«

»Du bist ein Arschloch.«

Nick drängte sich an Adrian vorbei und verließ die Dusche, um wütend nach einem Badetuch zu greifen, das er sich um die Hüfte schlang, ehe er das Badezimmer verließ und in sein Schlafzimmer stürmte. Er hatte geahnt, dass Adrian ihm so etwas in der Art an den Kopf werfen würde und im Augenblick verfluchte er ihn für die Ehrlichkeit, die er sonst immer schätzte. Nick wollte keinen Preis dafür bezahlen müssen, nur weil er eine eigene Anwaltskanzlei eröffnet hatte. Und er wollte schon gar nicht Tristan verlieren. Auf sich selbst, Adrian, Tristan und irgendwie auch auf den Rest der Welt wütend, pfefferte Nick sein Badetuch in die nächste Ecke und nahm sich frische Sachen aus dem Schrank.

»Wenn dir eine Lüge lieber gewesen wäre, hättest du es mir vorher sagen müssen.«

Nick schnaubte zwar, drehte sich aber nicht zu Adrian um. Es gab nichts zu sagen und einen Streit wollte er auch nicht anfangen. Da war Schweigen die angenehmere Alternative. Allerdings kannte er im Gegenzug Adrian ebenfalls gut genug, um zu wissen, dass dieser ihn damit nie und nimmer durchkommen lassen würde, was seine nächsten Worte auch deutlich bewiesen.

»Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!«

»Nein«, murrte er beleidigt und trat ans Fenster. »Ich habe keine Lust, mich schon wieder zu streiten, denn darauf wird es hinauslaufen. Lass mich in Ruhe, Adrian.«

»Willst du, dass ich gehe?«

Nick ließ leise seufzend den Kopf hängen. Nein, das wollte er nun auch wieder nicht, denn im Moment war Adrian wirklich der einzige, der einem Freund noch am nächsten kam und der nicht sauer auf ihn war. Und Adrian spürte wie immer genau, was in ihm vorging. Nick ließ zu, dass er von hinten umarmt und an einen warmen Körper gezogen wurde. So standen sie eine Zeit lang eng beieinander und Adrians Anwesenheit beruhigte ihn, wie sie es seit vielen Jahren tat.

»Du bist ein verdammt guter Anwalt, Nick, und du kannst es sehr weit bringen, das Zeug dazu hast du. Ich frage mich allerdings, ob es wirklich das ist, was du für dich und deine Zukunft willst.«

»Ich habe die Kanzlei, oder nicht?« Nick war durchaus klar, dass er sich anhörte wie ein schmollendes Kind, aber er konnte sich nicht zurückhalten. »Wie sicher kann ich wohl sein?«

Adrian lachte, ehe er ihm ins Ohrläppchen biss und danach trocken erklärte: »Nur weil man etwas getan hat, bedeutet das noch lange nicht, dass man auch davon überzeugt ist.«

 

Nick hasste es, sich entschuldigen zu müssen. Ganz besonders, wenn er wirklich Mist gebaut hatte, so wie in diesem Fall, und mit leichter Vergebung nicht zu rechnen war. Tristan Bennett war so ein Fall und er hatte ganz offensichtlich nicht vor, ihm zu vergeben. Weder heute noch in eintausend Jahren. Seit einer Woche ignorierte Tristan bereits seine Anrufe und Mails, und gestern Nachmittag hatte sich der Sturkopf sogar im Theater verleugnen lassen, als er unangemeldet da aufgetaucht war, um diese Sache zwischen ihnen aus der Welt zu schaffen.

Tristan, seit zehn Jahren sein allerbester Freund, konnte unglaublich dickköpfig sein, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte oder er verärgert war, und langsam aber sicher gingen Nick die Ideen aus. Wie sollte er sich denn bei diesem unmöglichen Kerl entschuldigen, wenn der jedem Gesprächsversuch aus dem Weg ging? Einfangen und Fesseln wäre eine Möglichkeit. Dann könnte er zumindest nicht mehr vor ihm flüchten. Allerdings kannte Nick Tristan gut genug, um zu wissen, dass der sich dafür rächen würde. Und das ließ ihn von der zugegebenermaßen verlockenden Idee Abstand nehmen, seiner eigenen Gesundheit zuliebe.

Tristans Familie würde ihm für einen dermaßen dämlichen Plan nämlich die Hölle heißmachen. Allen voran Daniel Hanson, der mit den Worten 'einfangen' und 'fesseln' so einige Probleme hatte, seit ein perverses Pärchen ihn vor ein paar Jahren einen Monat lang als Sexsklave in ihrem Club gefangengehalten und immer wieder an genauso perverse Kunden verkauft hatte. Es kam ihm heute noch wie ein Wunder vor, dass Daniel trotzdem den Schritt gewagt und mit Connor ein neues Leben begonnen hatte. Mit dem wollte Nick sich übrigens auch nicht anlegen. Tristans jüngerer Bruder war zwar, dank des Erbes seiner Eltern, der liebevollste und geduldigste Mann, den er je kennengelernt hatte, aber wenn man ihn reizte, was passieren würde, sollte er sich in irgendeiner Form an Tristan vergreifen, war es besser, sehr weit weg zu sein, sobald Connor davon erfuhr. Die Bennetts hielten zusammen und sie waren allesamt echte Sturköpfe.

Womit Nick wieder bei seinem derzeitigen Problem angekommen war. Nein, er musste die Sache anders angehen. Und das möglichst bald, denn sein schlechtes Gewissen wuchs von Tag zu Tag, was ihn immer mehr ablenkte und das hatte ihn gestern Nachmittag vor Gericht in eine äußerst peinliche Situation gebracht, als er, komplett in Gedanken versunken, seinen Einsatz verpasste. Gott sei Dank hatte ihm Adrian, der zuständige Staatsanwalt in diesem Fall, unter die Arme gegriffen. Geholfen hatte es nicht, denn auch die spätere Nachbesprechung mit seinem Mandanten, der des Überfalls und der schweren Körperverletzung genauso schuldig war wie Gary Ridgway des Massenmordes, hatte Nick nur mit Ach und Krach über die Bühne gebracht. Adrians späterer Besuch in seinem Apartment, um ihm für seinen stümperhaften Auftritt im Gericht den Kopf zu waschen, war dann der nächste Tropfen in einem bis zum Rand gefüllten Fass gewesen. Dabei hatten sie vor einer Woche noch ganz andere Sachen in seinem Apartment getan, als sich anzubrüllen. War dieser Abend wirklich schon sieben Tage her? Wo blieb eigentlich die Zeit?

Nick schüttelte den Kopf. Er musste dringend sein Privatleben auf die Reihe bekommen, sonst würde er mit seinem ersten großen Fall als Strafverteidiger sang und klanglos untergehen. Und dann hätte er keine Verwendung mehr für Tristans Geburtstagsgeschenk. Nick musste unwillkürlich lächeln, als er sich daran erinnerte, wie er das Päckchen nach dem wütendem Abgang von Tristan zwei Tage lang angestarrt hatte, bevor er endlich den Mut fand es zu öffnen, um danach seinen Kopf erneut auf die Tischplatte zu schlagen. Seit Monaten hatte er für die Kanzlei Visitenkarten drucken lassen wollen, war aber nie dazu gekommen. Jetzt hatte er welche, inklusive einem wirklich wunderschönen gefertigten Etui aus Silber. Wie oft hatte er sich bei Tristan darüber beschwert, dass er für diesen ganzen Kleinkram, wie er es nannte, keine Zeit fand. Tristan war ein sehr guter Zuhörer, das bewies sein Geburtstagsgeschenk. Er selbst hingegen war ein verdammt schlechter Freund.

Womit er ebenfalls wieder beim Thema war. Beide Hände tief in den Taschen seines Jacketts vergraben, seufzte Nick leise und sah kurz auf, als vor ihm auf der Straße mehrmals gehupt wurde. Warum standen in Baltimore sogar mitten in der Nacht die Ampeln ständig auf rot? Wobei mitten in der Nacht ein wenig übertrieben klang, wenn man bedachte, dass es gerade erst elf Uhr abends war. Aber unterhalb der Woche wurden in einigen Ecken der Stadt ab acht Uhr die Bürgersteige hochgeklappt und Ians schummriger Pub, den er auf direktem Wege ansteuerte, lag in so einer Ecke.

Vielleicht freute sich der alte Vietnamveteran, ihn nach einiger Zeit der Abstinenz wieder bei sich zu haben. Es war einen Versuch wert, und wenn er großes Glück hatte, bekam er bei Ian nicht nur dessen freundliches Gesicht zu sehen, sondern auch noch ein paar Whisky und ein gutes Essen vor die Nase gestellt. Nick wollte sich heute Abend entspannen. Seine Fälle, die Akten auf dem Tisch und die damit verbundene Arbeit, aber vor allem seinen Streit mit Tristan, wenigstens für ein paar Stunden vergessen.

Hoffentlich gelang es ihm, denn sein Magen knurrte seit einer gefühlten Ewigkeit, seine Laune war jenseits von Gut und Böse und morgen musste er um Punkt neun Uhr bei Adrian im Büro antanzen, um den weiteren Verlauf seines aktuellen Falls zu besprechen.

Er hatte weder auf Adrian noch auf eine todlangweilige Besprechung Lust, deren Ausgang ohnehin vorbestimmt war, da sein Mandant schuldig war. Aber Staatsanwalt Quinlan gehörte nun mal nicht zu der Sorte Mann, die eine Absage klaglos akzeptierten. Besonders nicht, wenn sie von ihm kam, wobei Nick die Worte »Leck mich am Arsch!« in dem Fall weitaus lieber gewesen wären. Da bei Adrian allerdings die Gefahr bestand, dass der so eine Aufforderung wörtlich nahm, hatte er sich die beleidigende Äußerung verkniffen und stattdessen mit einem Nicken sein Kommen zugesagt. Eine andere Reaktion hätte Adrian ihm mit sehr großer Wahrscheinlichkeit heimgezahlt.

Was Rachsucht anging, konnte sich Staatsanwalt Quinlan mit Sturkopf Bennett die Hand reichen, nur dass sie ihre Rache auf unterschiedlichen Ebenen vollführten. So unterschiedlich wie Tag und Nacht, um genau zu sein. Aber Nick hatte nicht vor, Tristan zu erzählen, welche Art von Beziehung ihn mit Adrian Quinlan verband. Manche Dinge gingen auch den besten Freund nichts an.

Mit den Gedanken bei Tristan, zog Nick die Tür vom Pub auf und tauchte in das schummrige Licht ein, welches den Laden beherrschte, seit Ian ihn vor zwanzig Jahren eröffnet hatte. Ians Pub war klein, vollgestopft mit allem möglichen und unmöglichen Kram, den sein Besitzer mit Begeisterung sammelte, und trotzdem war er gemütlich. Deshalb kam Nick seit vielen Jahren hierher. An diesem Ort konnte man sich zu jeder Tages- und Nachtzeit wohlfühlen und bekam oftmals noch einen Rat fürs Leben mit auf den Weg, wenn man den Pub verließ.

Ian hatte in Vietnam zwar ein Bein verloren, dafür aber einen schier unerschöpflichen Vorrat an Weisheiten für sich gewonnen, und die teilte er gern.

Nick ließ die Stimmen der Gäste und den Geruch von Zigarren und Essen auf sich wirken, ehe er die Tür hinter sich zuzog, um sich einen Platz an der Bar zu suchen. Der Tresen begann direkt zu seiner Linken und zog sich durch den ganzen Pub, während rechts von ihm Tische, auf denen je ein Windlicht stand, den restlichen Raum ausfüllten. Zwischen ihnen war gerade so viel Platz, dass Ians Bedienungen mit vollen Tabletts und schwingenden Hüften die Tische erreichen konnten. Irgendwo weiter hinten, neben der Tür zu den Toiletten, stand eine alte Musikbox, die eigentlich immer in Betrieb war. Nick konnte sich zumindest nicht daran erinnern, dass in Ians Pub einmal keine Musik gespielt hatte.

Nachdem er sich auf einen Barhocker geschwungen hatte, ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen und entdeckte Ian ein Stück weiter hinten in ein angeregtes Gespräch mit einem der Gäste vertieft. »Hey, Soldat. Bekommt man hier etwas zu trinken oder muss ich mich selbst bedienen?«

Verhaltenes Gelächter folgte seinen Worten, während Ian herumfuhr und ihn einen Moment überrascht anschaute, bevor er mit einer für sein Alter erstaunlichen Behändigkeit auf ihn zukam, um ihn vom Hocker zu reißen und in einer so heftigen Umarmung zu versenken, dass Nick nach Luft schnappte.

»Ich glaub's ja nicht. Der verlorene Paragraphenreiter kehrt in meine bescheidene Hütte zurück. Dass ich das noch erleben darf.«

Nick musste lachen. Genau so hatte er sich das vorgestellt. »Hey Ian. Schön, dich zu sehen.«

»Pah«, brummte der und schob ihn ein Stück von sich, um ihn anschauen zu können. »Schläfst du mittlerweile in deinem Büro oder warum siehst du so Scheiße aus? Tristan hatte offenbar recht, als er mir erzählte, dass es bei dir drunter und drüber geht.«

»Tut es definitiv«, stimmte Nick ihm zu und sah den alten Mann näher an. Ians schlohweißes Haar war mittlerweile genauso lang wie sein Bart, den er mit derselben Begeisterung trug, wie er seinen Krimskrams sammelte. An Kraft schien er jedoch nichts eingebüßt zu haben. »Irgendwann brichst du mir noch mal die Rippen.«

»Jammerlapper«, neckte Ian ihn gutmütig, bevor er ihn losließ. »Was führt dich her, Junge?«

»Deine Gesellschaft?«, stellte Nick grinsend eine Gegenfrage und wurde mit dafür mit herzhaftem Gelächter belohnt. Als Ian sich wieder beruhigt hatte, sah Nick verstohlen in den hinteren Bereich des Pubs, wo eine kleine Küche zu finden war. »Habe ich Glück und in deiner Küche ist ein Herd an?«

Ian nickte verstehend. »Du hast Glück, Anwalt. Setz dich. Willst du was trinken?«

»Whisky?«, fragte er hoffnungsvoll.

»Auf leeren Magen?« Ian sah ihn entrüstet an. »Vergiss es und setz dich endlich. Zuerst gibt es etwas zwischen die Zähne, danach kannst du meinetwegen auch was trinken.«

Er nickte und sah Ian schweigend nach, wie der Richtung Küche verschwand, bevor er den Barhocker wieder in Beschlag nahm, um im nächsten Moment zu erstarren, als er durch den großen Spiegel an der Wand über der Bar im hinteren Teil des Pubs Tristan entdeckte, der ihn mit einem sehr wütenden Blick bedachte, ehe er sich demonstrativ wieder seinen zwei Kollegen aus dem Theater zuwandte, die mit ihm am Tisch saßen.

Adieu ruhiger Abend.

Nick rutschte vom Barhocker und ging zu Tristan hinüber. »Tristan?«

»Was willst du hier?«, fragte der und sah ihn kalt an. »Hast du nicht mindestens eine Million Akten auf deinem Tisch liegen, die dringend bearbeitet werden müssen?«

Nein, Tristans Laune hatte sich nicht im Geringsten gebessert und dass der Raum voller Menschen war, die sich ihnen nun neugierig zuwandten, um ihr Gespräch zu belauschen, da Tristan seine Frage nicht gerade leise gestellt hatte, schien ihm völlig egal zu sein.

Nick war es das allerdings nicht. »Können wir irgendwo hingehen und reden?«, fragte er leise.

Tristans Blick war genauso ablehnend wie seine folgende Antwort. »Wozu? Ich habe gesagt, was ich sagen wollte.«

Nick verdrehte genervt die Augen und verfluchte sich im nächsten Augenblick dafür. Mit Ungeduld würde er bei Tristan nicht weiterkommen, dafür war der zuständig. »Du kannst mich nicht ewig ignorieren.«

»Kann ich wohl«, hielt Tristan dagegen und stand auf, um seine Jacke von der Stuhllehne zu nehmen. Nick wusste, was das bedeutete und versuchte dagegen anzukommen.

»Tristan, bitte ...«

»Was?«, fuhr Tristan ihm harsch ins Wort. »Es gab nur diese eine Party für dich, noch eine Überraschung kannst du mir also nicht verderben. Aber keine Sorge, in Zukunft richte ich keine mehr für dich aus, du Arsch.«

Nick stöhnte innerlich auf, als ihm bewusst wurde, dass er dieses Gespräch längst verloren hatte. »Es tut mir leid.«

»Wer es glaubt, wird selig«, zischte Tristan hämisch und Nick verlor die Geduld.

»Ich habe es einfach vergessen. Ich weiß selbst, dass das bescheuert war, okay? Du musst es mir nicht ständig wieder unter die Nase reiben.«

»Du bist ein dämlicher Egoist.« Tristan schob sich wutentbrannt an ihm vorbei. »Man vergisst seine Klamotten, wie ich es dauernd tue, verlegt ein Buch, seine Geldbörse, das Handy oder sonst etwas, aber man vergisst nicht den eigenen Geburtstag. Und man vergisst vor allem nicht seine Freunde.«

Tristan war manchmal so ekelhaft ehrlich, dass es wehtat. Aber es waren nicht die Worte direkt, die Nick noch wütender machten, sondern Tristans Stimme, die immer herablassender und trotziger wurde, was er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Miteinander streiten war okay, aber nicht auf diese miese Art und Weise. Ja, er hatte einen Fehler gemacht, einen großen sogar, aber wieso ritt Tristan so dermaßen darauf herum und blockte jeden Versuch einer Entschuldigung ab? Das war doch gar nicht seine Art. Nick verstand langsam aber sicher die Welt nicht mehr.

»Was ist in letzter Zeit bloß mit dir los?«, fragte er und folgte Tristan zur Tür. Als der schwieg, ergriff er ihn am Arm und riss ihn zu sich herum. »Verdammt, rede mit mir!«

»Lass mich sofort los!«, forderte Tristan und sah ihn mit einem so drohenden Blick an, dass Nick eine Gänsehaut bekam und einen Schritt zurückwich, nachdem er Tristans Arm freigegeben hatte. »Du verstehst es wirklich nicht, oder? Seit du deine Kanzlei eröffnet hast, gibt es nichts mehr für dich, außer der Arbeit. Du solltest endlich damit anfangen deine Prioritäten zu überdenken.«

»Was ist falsch daran, dass ich in meinem Beruf Karriere machen will? Ich rede dir schließlich auch nicht in deine Arbeit rein«, konterte Nick beleidigt, sammelte damit aber keine Pluspunkte.

»Zu welchem Preis denn? Dein Leben? Deine Familie? Deine Freunde?«, schrie Tristan ihn abrupt an, was das Gerede im Pub auf der Stelle verstummen ließ. Nick war viel zu verblüfft, um darauf antworten zu können, aber offenbar erwartete Tristan auch gar keine Antwort, denn im nächsten Moment schüttelte er den Kopf und zog seine Jacke über. »Du willst es einfach nicht verstehen.«

Tristan verließ den Pub, bevor er die Gelegenheit hatte, auf die letzte Äußerung zu reagieren. »Scheiße«, stöhnte Nick frustriert, als sich die Tür hinter seinem besten Freund schloss, und ließ sich auf einen Barhocker sinken. »Verdammter Dickschädel. Wie soll ich mich entschuldigen, wenn er mir ständig ausweicht und ich nicht weiß, was er überhaupt von mir will?«

Ian tauchte vor ihm auf und stellte einen mit Salat, Steak und einer riesigen Portion Pommes gefüllten Teller vor ihm ab. Daneben fand eine Tasse Platz, aus der es dampfte. Nick sog den Geruch ein und sah ungläubig zu Ian auf. »Tee?«

»Du siehst aus, als könntest du ihn brauchen«, antwortete Ian und gab ihm Besteck in die Hand. »Jetzt iss erst mal und denk dabei in Ruhe nach. Dann fällt dir bestimmt ein Weg ein, wie du den Dickschädel wieder für dich gewinnen kannst.«

»Ja, Dad«, murrte er, woraufhin Ian leise lachte.

»Du bist wirklich blind, Junge«, tadelte der alte Vietnamveteran ihn daraufhin amüsiert. »Aber das ist ja nichts Neues für mich. Versuch es mit einem Geschenk.«

»Geschenk?«, fragte Nick und wickelte das Besteck aus der mit großen Sonnenblumen gemusterten Serviette. Sein Magen knurrte angesichts des volles Tellers laut und drängend. »Sein Geburtstag war vor vier Monaten.«

»Und soweit ich weiß, warst du an dem Abend leider verhindert«, konterte Ian schonungslos.