Die Idee zu diesem Buch entstand, als ich nach etwa 20 Jahren Berufspraxis die Gelegenheit bekam, als Dozentin für Dolmetschen und Notizentechnik tätig zu werden. Viele der Übungen, die ich in den ersten Semestern im Unterricht durchführte, sind hier ebenso zu finden wie zahlreiche Erkenntnisse aus praktischer Anwendung und die Ergebnisse intensiver Literaturrecherche. 2014 wurde die 1. Auflage von „Zwischen den Zeichen“ erstmals im Unterricht eingesetzt, und die Erfahrungen hieraus sind in diese 2., überarbeitete Auflage eingeflossen. Ich danke allen ehemaligen Studentinnen und Studenten für die Kreativität, Inspiration und Motivation, die ich durch sie erfahren habe.
Judith S. Farwick, M.A., Dipl.-Dolm.
Titel: Zwischen den Zeichen
Notizentechnik ohne Worte
Ein Lehr- und Übungsbuch
Autorin: Judith S. Farwick
Layout und Umschlaggestaltung: Annette Wolf
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
2., überarbeitete Auflage
ISBN: 9783748169260
© 2015 Judith Farwick
Notizentechnik ist ein sehr nützliches Werkzeug, um Gesprochenes und Gehörtes ohne Worte auf dem Papier festzuhalten. Sie parallel zum praktischen Dolmetschunterricht zu erlernen ist im Rahmen einer Ausbildung oder eines Studiums sinnvoll. Es wird von Hand auf einem Block notiert, ohne besondere technische Hilfsmittel.
Entscheidend für erfolgreiche Notizen ist sowohl die Auswahl dessen, was notiert wird, als auch die Art und Weise des Notierens. Es geht nicht darum, jedes Wort festzuhalten, vielmehr werden sinntragende Elemente herausgegriffen.
Diese Auswahl schon beim Zuhören zu treffen – WAS notiere ich überhaupt, was nicht? –, muss gelernt und trainiert werden, idealerweise vor der Arbeit mit diesem Buch oder parallel dazu. In den folgenden Erläuterungen und Übungen geht es darum, WIE etwas notiert werden kann.
Die vorgeschlagenen Notizzeichen sind kein Standard, sondern praxisbewährte Vorschläge.
Individuelle Alternativen sind nicht nur zulässig, sondern wünschenswert. Notiervorschläge für ganze Sinnabschnitte sind in diesem Buch überproportional zu den Notizblättern dargestellt; der Maßstab auf einem echten Notizblock darf deutlich kleiner sein.
Die in diesem Buch vorgestellte Notizentechnik ist sprachunabhängig und damit international nutzbar, aber sie unterliegt Konventionen, die nicht in allen Kulturen gültig oder dominant sind. Eine solche Konvention ist die Schreibrichtung von links nach rechts. Hieraus ergibt sich auch die entsprechende Leserichtung, und zwar nicht nur für Schrift, sondern auch für Zeitstrahlen, Diagramme usw.
Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte – dieser Satz fasst das Hauptprinzip der Notizentechnik wunderbar zusammen. Wer dieses Bild sieht, weiß sofort, worum es geht: Ein Ball und 22 Spieler, ein Rasen und zwei Tore, ob wir das nun Fußball, soccer oder die schönste Nebensache der Welt nennen. Viele Wörter sind mögliche Benennungen des Bildinhaltes, aber auch das Bild allein steht ohne Worte für eben diesen Inhalt.
Wie ein Bild bietet Notizentechnik die Möglichkeit, durch visuelle Eindrücke Inhalte wortlos zu kommunizieren. Somit können Inhalte ohne Bindung an eine bestimmte Sprache gespeichert und anschließend wieder abgerufen werden. Dies gehört zu den Anforderungen beim zeitversetzten, auch konsekutiv genannten Dolmetschen. Hier wird Gesprochenes mündlich in eine andere Sprache übertragen, wobei mehrere Arbeitsabläufe koordiniert werden müssen:
Es geht also nicht nur um den Transfer zwischen den Arbeitssprachen, sondern auch um den Transfer von Lautsprache in den Zwischenspeicher und von dort wieder zurück in Lautsprache.
Die Zwischenspeicherung kann kognitiv oder materiell erfolgen. Bei der kognitiven Speicherung nutzen wir das Kurzzeitgedächtnis, für die materielle Speicherung bietet sich die hier vorgestellte Notizentechnik an. Anschließend werden die notierten Inhalte (also die Informationen aus dem materiellen Speicher) mit den gemerkten Inhalten (den Informationen aus dem kognitiven Speicher) verbunden.
Je mehr Inhalte in Notizenform festgehalten werden, desto weniger muss im Kurzzeitgedächtnis zwischengespeichert werden und umgekehrt. Beide Speicher entlasten sich also gegenseitig, aber beide verbrauchen auch Kapazitäten, denn sowohl das Notieren als auch das Merken von Inhalten bindet Aufmerksamkeit. Damit ist insgesamt weniger Aufmerksamkeit zum Zuhören und Verstehen übrig. Es gilt also, die Zwischenspeicherung so effizient wie möglich zu gestalten. Hierzu dienen zum Einen Gedächtnisübungen und zum Anderen eine routinierte Notizentechnik, die es ermöglicht, viel Inhaltliches mit nur wenigen Notizzeichen klar und eindeutig festzuhalten.
Was genau ist nun Notizentechnik?
Notizentechnik ist eine Art Symbolschrift oder Bilderschrift. Sie arbeitet nicht mit Wörtern, sondern mit Bildzeichen, Linien und Pfeilen, kleinen Grafiken, Kürzeln usw.
Notizentechnik wurde entwickelt, um beim Dolmetschen angewendet zu werden, denn dabei geht es naturgemäß nicht um bestimmte Wörter, sondern um die mit diesen Wörtern ausgedrückten Inhalte. Daher können mit Notizentechnik keine Wortprotokolle erstellt werden, denn im Gegensatz zu Notizen in Form von Wörtern, Stenografie usw. ist dieses Verfahren nicht an eine bestimmte Sprache gebunden. Das macht es zu einem sehr nützlichen Werkzeug für das Dolmetschen: Ich kann einen fremdsprachigen Vortrag hören, die Inhalte in Notizentechnik festhalten und die Notizen anschließend beim Lesen unmittelbar in deutsche Worte fassen.
Bild-Notizen haben beim Dolmetschen im Vergleich zu Wort-Notizen große Vorteile:
Die Rolle des Gedächtnisses
Das wichtigste Werkzeug, das wir beim Dolmetschen haben, ist unser Gedächtnis. Die Notizen kommen dort ins Spiel, wo das Kurzzeitgedächtnis an seine Grenzen stößt.
Grundsätzlich sollten wir so wenig wie möglich und so viel wie nötig notieren. Wer seinem eigenen Gedächtnis nicht so recht traut, sollte sich bewusst machen, mit welcher Leichtigkeit wir wichtige Gespräche, Handlungen von Kinofilmen und auch die Inhalte ganzer Romane noch nach Tagen wiedergeben können, ohne uns irgendwelche Notizen gemacht zu haben.
Parallel zum Erlernen der Notizentechnik empfehle ich Gedächtnisübungen ohne Notizen. Dies hat den Vorteil, dass das Kurzzeitgedächtnis trainiert wird und zudem ein Gefühl dafür entwickelt wird, wie weit die eigene Merkfähigkeit reicht und wann Notizen notwendig sind.
GEDÄCHTNISÜBUNG FÜR GRUPPEN:
Ein Text wird abschnittsweise vorgelesen, zunächst nur jeweils ein Satz. Dabei werden keine Notizen gemacht. Anschließend wird das Gehörte wiederholt. Am Ende wird der gesamte Text noch einmal stichpunktartig zusammengefasst. Fortgeschrittene wählen für die Textwiedergabe eine andere als die Ausgangssprache. Um die Schwierigkeit zu steigern, werden zwei oder sogar drei Sätze ohne Pause vorgelesen und anschließend wiedergegeben. Zusätzlich kann das Lesetempo erhöht werden.
GEDÄCHTNISÜBUNG FÜR EINZELNE:
Nehmen Sie sich Listen mit Namen und Zahlen, etwa die europäischen Großstädte und deren Einwohnerzahlen. Versuchen Sie sich die Angaben durch einmaliges Lesen einzuprägen, legen Sie die Liste weg und schreiben Sie auf, was Sie sich gemerkt haben. Vergleichen Sie anschließend Ihre eigene Liste mit dem Original.
Machen Sie es sich leicht, überlasten Sie Ihr Gedächtnis nicht mit unwichtigen Details. Ob nun 5,12 oder 5,21 Millionen, es reicht, wenn Sie sich „gut 5 Mio.“ merken.
Probieren Sie spezielle Merktechniken aus, denken Sie beispielsweise bei jedem Städtenamen an eine berühmte Persönlichkeit aus dieser Stadt und verknüpfen diese mit der Zahl zu einem Merksatz.
Beispiele:
London: 8,3 Mio. Einwohner
„Die Queen lebt in einem Palast mit 8 Mio. qm.“
Vatikanstaat: 557 Einwohner
„Der Papst sieht aus, als sei er über 500 Jahre alt.“
Es gibt zahlreiche Bildzeichen, die nicht an Wörter und somit auch nicht an einzelne Lautsprachen gebunden sind, sondern international verstanden werden. Ein sehr prominentes Beispiel sind die für die Olympischen Spiele entwickelten Piktogramme, ebenso wie die an Flughäfen, Bahnhöfen usw. gebräuchlichen bildhaften Hinweisschilder. Überall dort, wo sich viel internationales Publikum bewegt, ist es besonders effizient, dank bildlicher Sprache auf Wörter verzichten zu können.
Jede Sprache, ob in Worten, Gebärden oder Bildern, muss als Kommunikationsinstrument sowohl Abstraktes, wie Gefühle, Gedanken oder Zusammenhänge, als auch konkrete Gegenstände oder Personen, Zustände oder Geschehnisse bezeichnen können. Unsere Wörter werden aus Lauten gebildet, unsere Schriften aus Buchstaben, welche diese Laute mehr oder minder eindeutig bezeichnen. So benötigen wir für das Wort „Liebe“ beim Schreiben vier verschiedene Buchstaben in der richtigen Abfolge, beim Lesen dann die Kenntnis der Verabredung, welche Laute von dieser Buchstabenfolge repräsentiert werden. Um das Gefühl der Liebe zu bezeichnen, können wir aber auch ein einzelnes, sehr schlichtes Bildzeichen nutzen.
starker Zuneigung