Der Naturwissenschaftler Dipl.-Math. Klaus-Dieter Sedlacek, Jahrgang 1948, studierte in Stuttgart neben Mathematik und Informatik auch Physik. Nach fünfundzwanzig Jahren Berufspraxis in der eigenen Firma widmet er sich nun seinen privaten Forschungsvorhaben und veröffentlicht die Ergebnisse in allgemein verständlicher Form. Darüber hinaus ist er der Herausgeber mehrerer Buchreihen unter anderem der Reihen 'Wissenschaftliche Bibliothek' und 'Wissen gemeinverständlich' .
Webseite: https://klaus-sedlacek.de
Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über
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Neuauflage des ursprünglich unter dem Titel „Der Widerhall des Urknalls“ herausgegebenen Werks. Herausgeber: Klaus-Dieter Sedlacek https://klaus-sedlacek.de
© 2012, 2019
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt.
ISBN: 9783749487776
In diesem Buch geht es um die Austreibung der spukhaften Mächte, die trotz unseres 21. Jahrhunderts überall in der Naturwissenschaft ihr Unwesen treiben. Dabei denke ich nicht nur an Einsteins spukhafte Fernwirkung. Das ist jenes physikalische Phänomen, bei dem ein Teilchenpaar so miteinander verschränkt ist, dass nach der Messung eines der Teilchen, das andere schneller als mit Lichtgeschwindigkeit einen komplementären Zustand annimmt, obwohl es sich an einem weit entfernten Ort befindet und keine Kommunikation möglich ist. Trotz seines vehementen Eintritts gegen den Spuk musste Einstein kapitulieren. Die empirischen Nachweise, die eine Quantenverschränkung bestätigten, waren so mächtig, dass sie das Spukhafte der Natur zur Regel erhoben.
Erfolgreicher agierte der Theologe und Astrophysiker Georges Lemaître als er für unser Universum einen Anfang, nämlich den Urknall postulierte. Heute gehört die Urknall-Theorie zur Standardtheorie der Astrophysiker. Lemaître zeigte zwar dem naiven Wunderglauben an die Schöpfung von Adam und Eva die Rote Karte, aber nicht dem Wunderglauben an jene höhere Macht, die alles gestartet und feinabgestimmt haben soll.
Spukhafte Mächte wirken auch im Bereich der nichtmateriellen Einflusszonen, nämlich den Feldern der Physik. Felder gelten als die grundlegende physikalische Wirklichkeit, denn sie sind bisher die letzte Erklärungsebene. Teilchen sind Manifestationen dieser Wirklichkeit. Bei den Schwingungen der Felder handelt es sich um Schwingungen abstrakter Feldgrößen. Und schon spukt es, denn niemand kann erklären, wie es möglich ist, dass Schwingungen abstrakter Feldgrößen Energie transportieren. Und niemand kann erklären, wie aus abstrakten Feldgrößen messbare Teilchen werden.
Spukhaft geht es sogar beim menschlichen Bewusstsein zu, wenn man sieht, wie Inselbegabte unglaubliche Leistungen vollbringen und schneller als ein am Computer angeschlossener Textscanner ganze Bücher in sich aufnehmen und behalten können. Als Paradebeispiel für diese Fähigkeit gilt der Amerikaner Kim Peek. Schätzungsweise zwei Millionen Menschen haben ihn bei seinen öffentlichen Auftritten an Universitäten bestaunt. Kim hat sich den Inhalt von 7600 Sachbüchern Wort für Wort gemerkt. Kein Neurowissenschaftler oder Bewusstseinsforscher hat bisher das Spukhafte seiner Fähigkeiten mit einer naturwissenschaftlichen Theorie rational erklären können.
Das sind nur einige wenige Beispiele, wo es überall in der Naturwissenschaft spukt. Diesen Spuk zu vertreiben und das spukhafte Geschehen rationalen Erklärungen zuzuführen, habe ich mir als Aufgabe gestellt. Das ist eine gewaltige Aufgabe, und es wäre vermessen zu glauben, ich könnte sie alleine lösen. Doch ich habe einige Lösungsansätze, Theorien und passende empirische Belege gefunden, die hilfreich sind, Licht in das Dunkel zu bringen. Meine Ideen beschreibe ich in den Kapiteln 5 bis 8. Inwieweit mir damit sogar die Vertreibung der einen oder anderen spukhaften Macht gelungen ist, mag der Leser selbst entscheiden.
Ich glaube jedoch, dass bei meinen Bemühungen etwas herauskam, was besser ist, als der schönste Wunderglaube je fähig ist, den Menschen vorzugaukeln. Es ist eine faszinierend rationale Erklärung für die Existenz eines transzendenten physikalischen Bereichs jenseits von Raum und Zeit, die durch die strenge Prüfung der Kriterien einer wissenschaftlichen Theorie gegangen ist. In diesem Bereich wirken informationsverarbeitende Prozesse, die alle Kriterien für Bewusstsein erfüllen. Es ist eine Realität, die so wirklich ist, wie die physikalische Welt nur wirklich sein kann und es ist eine Realität, die wegen ihrer Unabhängigkeit von Raum und Zeit ewig existiert.
Einige wenige Textteile habe ich bereits im Laufe der letzten Jahre in dem einen oder anderen Internetblog veröffentlicht. Meine Theorien über die Äquivalenz von Information und Energie, das kosmologische Hintergrundfeld und die Definition von Bewusstsein sind aus meinen Veröffentlichungen in der Buchreihe wissenschaftliche Bibliothek entnommen. Viele Teile wie »Der Anfang des Seins in der Kosmologie.«, »Sein und Werden.«, »Wo es sonst noch spukt.« oder die »Die Vakuum-Theorie.« habe ich eigens für dieses Buch neu geschrieben. Unter Auslassung fast aller Formeln ist ein allgemeinverständliches abgerundetes Sachbuch entstanden, das überraschende Lösungen bereithält. Ich darf Sie lieber Leser nun zu einer wundersamen Reise durch die spukhaften Gefilde der Naturwissenschaft einladen.
Klaus-Dieter Sedlacek
Vor wenigen Jahrhunderten schleuderten sie noch Blitze gegen uns Menschen. Heute ist ihr Zuständigkeitsbereich stark geschrumpft. Die Rede ist von den übernatürlichen Mächten.
Als Erklärungsmodell sind höhere Mächte immer dann gefragt, wenn es um scheinbar Unerklärliches oder um nicht beeinflussbare Dinge geht. Krankheiten, Naturkatastrophen, Geburt und Leben, die Kosmologie oder auch nur das Wetter waren zumindest in der Vergangenheit die Bereiche in denen überirdische Mächte im Denken der Menschen ihr Betätigungsfeld fanden. Denn Stürme, Regen oder sonstige Wetterphänomene ließen sich in früheren Zeiten nicht auf bekannte Ursachen zurückführen. Die anscheinend logische Schlussfolgerung in solchen Fällen war dann immer, dass nur eine übernatürliche Macht der Verursacher der Phänomene sein konnte.
Göttliche Strafgerichte wie Überschwemmungen lehrten die Menschen, die überirdischen Mächte zu fürchten. Eine gerechte Verteilung von Regen und Sonne, die zu reichen Ernten führte, empfanden die Menschen dagegen als Zeichen göttlicher Gunst. Die Tage göttlicher Wettermacher waren aber spätestens seit der Einführung von Thermometer und Barometer gezählt.
Ab dem 17. Jahrhundert bildeten sich neue Ansätze in der Wetterforschung heraus. So mussten auf dem Gebiet der Meteorologie die übernatürlichen Mächte der Wissenschaft weichen.
Ein großes Schlachtfeld zwischen rationalem Denken und dem Glauben an überirdische Mächte waren die Schicksalsschläge und Krankheiten. Soweit es um die Heilung eines gebrochenen Beines oder einer Infektionskrankheit geht, werden Überirdische heute nicht mehr benötigt. Die moderne Medizin richtet es und die Bezeichnung »Halbgötter in Weiß« für die Ärzte ist deshalb eher ironisch zu werten. Die übernatürlichen Mächte verloren die Schlacht und mussten auf dem Gebiet der Medizin den Rückzug antreten. Die Wissenschaft füllt nun die entstandene Lücke aus.
Das geheime Wissen der Götter.
Die abendländischen Alchemisten, deren fortschrittliche Apparatetechnik eine wissenschaftliche Leistung war, bezogen alten Überlieferungen zufolge ihr Wissen von den Göttern. Die geheime Anleitung der Alchemisten, die »Tabula Smaragdina« wurde vermutlich im 11. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt und soll ursprünglich vom griechischen Gott Hermes stammen. Im 17./18. Jahrhundert wurde der Einfluss der Götter zurückgedrängt und die Alchemie allmählich von der modernen Chemie und Pharmakologie abgelöst.
Spätestens mit der Entstehung der Quantentheorie vor 100 Jahren und der Entdeckung des Periodensystems der Elemente hörten die Götter mit der Unterstützung alchemistischer Goldmacher auf. Denn nun wusste die Wissenschaft so viel über den Aufbau der Atome, dass die Herstellung von Gold durch alchemistische Methoden, als ein Ding der Unmöglichkeit entlarvt wurde.
Trotz der Niederlage für die übernatürlichen Mächte profitierte die Wissenschaft von den zahlreichen Errungenschaften der Alchemie. Diese sind unter anderem die Erfindung des Porzellans oder des Schwarzpulvers in Europa. Aber auch weniger Spektakuläres wie die Herstellung von Phosphoreszenz-Farbstoff oder die Entdeckung der Chemilumineszenzreaktion, die in der forensische Chemie Eingang fand, gelang den Alchemisten.
In der Wetterkunde, der Medizin, der Kosmologie und bei sonstigen unerklärlichen Phänomenen, überall mussten die ursprünglich überirdischen Mächte Niederlagen einstecken, zurückweichen und der wissenschaftlichen Welterklärung Platz machen. Umso erbitterter werden deren scheinbar verbliebenen Bastionen von manchen Gläubigen, die häufig aus Amerika stammen, verteidigt. Mit Begierde stürzen sich diese Wundergläubigen auf die tatsächlichen oder vermeintlichen Lücken in der Wissenschaft.
Sind die Arten durch Zufall entstanden?
Eines der Hauptargumente der Wundergläubigen ist das Unwahrscheinlichkeitsargument. Es sei unwahrscheinlich, dass sich unser Universum durch Zufall entwickelt habe. Es sei unwahrscheinlich, dass biologische Moleküle durch Zufall entstanden sind. Oder es sei unwahrscheinlich, dass sich komplizierte menschliche Organe durch Zufall entwickelt haben. Dabei glaubt diese Bodenmannschaft der höheren Mächte, dass es nur zwei Alternativen gäbe: Schwarz oder Weiß, Zufall oder Schöpfer und nichts anderes. Wenn der Zufall zu Fall gebracht wird, dann gibt es nach dieser Denkweise nur noch den Schöpfer.
Es ist allerdings so, dass die Evolutionsbiologen gar nicht behaupten, die Arten seien durch Zufall entstanden. Entsprechendes gilt für die Wissenschaftler anderer Fachbereiche, in denen evolutionäre Prozesse vorkommen. Die Evolutionsbiologie führt das Prinzip der »natürlichen Selektion« an, welches die Natur anwendet, um bei harten äußeren Lebensbedingungen die fittesten Individuen überleben zu lassen. Dies führt genauso wie bei der Züchtung von Pflanzen oder Haustieren, nach und nach zu neuen Arten. Die natürliche Auswahl der Fittesten hat nichts mit blindem Zufall zu tun. Wie gut und manchmal auch rasend schnell dieses Prinzip besonders in der gezielten Anwendung funktioniert, beweist die Pharmaindustrie, die jährlich neue Impfstoffe gegen mutierte Grippeviren entwickelt. Ohne den Begründer der Evolutionstheorie, Charles Darwin, würden Pandemien regelmäßig auftreten und könnten nicht schon im Keim erstickt werden.
Ist der Organismus in der Eizelle vorgebildet?
Auch die Vorstellung, dass sich der Mensch nicht allmählich im Mutterleib entwickelt, sondern von einem Gott geschaffen wird und der gesamte Organismus im Spermium bzw. in der Eizelle praktisch vorgebildet ist, verträgt sich nicht mit den Fakten. Zumindest seit es Mikroskope gibt, kann sich jeder Biologe oder Mediziner, vom Gegenteil überzeugen.
Der Evolutionsbiologe und Philosoph Ernst Haeckel zeigte bereits vor mehr als hundert Jahren, dass das Dogma der Präformation aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht haltbar ist:
In engem Zusammenhange mit der Präformationslehre und in berechtigter Schlussfolge aus derselben entstand im 17. Jahrhundert eine weitere Theorie, welche die denkenden Biologen lebhaft beschäftigte, die sonderbare »Einschachtelungslehre«. Da man annahm, dass im Ei bereits die Anlage des ganzen Organismus mit allen seinen Teilen vorhanden sei, musste auch der Eierstock des jungen Keimes mit den Eiern der folgenden Generation darin vorgebildet sein, und in diesen wiederum die Eier der nächstfolgenden u. s w., in infinitum! Darauf hin berechnete der berühmte Physiologe Haller, dass der liebe Gott vor 6000 Jahren - am sechsten Tage seines Schöpfungswerkes - die Keime von 200000 Millionen Menschen gleichzeitig erschaffen und sie im Eierstock der ehrwürdigen Urmutter Eva kunstgerecht eingeschachtelt habe. (Ernst Haeckel: Die Welträtsel)
Mit Haeckel wendet sich das Argument der Unwahrscheinlichkeit gegen die Verteidiger der übernatürlichen Mächte selbst, denn die Schöpfung der Keime durch einen Gott ist aus wissenschaftlicher Sicht mehr als unwahrscheinlich.
So bleibt den übernatürlichen Mächten nichts anderes übrig, als sich weiter zurückzuziehen. Aussterben werden sie wohl nie. Denn falsch angewendete Argumente der Unwahrscheinlichkeit führen immer wieder zu neuen Anhängern eines Wunderglaubens.
In der Antike wohnte Zeus, der mächtigste Gott der Griechen, auf dem Olymp. Heutige Neurowissenschaftler haben dagegen einen obersten Lenker im Hippocampus des menschlichen Gehirns aufgespürt. Haben sie dort die Wurzeln des Glaubens gefunden?
Ins Grübeln kamen die Forscher schon vor Jahrzehnten, als der US-amerikanische Psychologe Burrhus F. Skinner seine Untersuchungen zur Entstehung des Aberglaubens Ende der 1940er Jahre durchführte und veröffentlichte. Laut der Fachzeitschrift »Monitor on Psychology« ist Skinner der bedeutendste Psychologe des 20. Jahrhunderts.
Die Psychologie versteht unter Aberglauben keineswegs eine von den Dogmen der Kirche abweichende Glaubensform. Vielmehr gilt ein irrationales Regelwissen, das sich nicht objektiv bestätigen lässt, als Aberglaube. Irrationale Verhaltensformen zählen ebenfalls dazu. Zum Aberglauben gehört, dass Menschen an einem Freitag, den 13. nicht aus dem Haus gehen wollen, damit ihnen kein Unglück passiert oder dass sie glauben, ein persönlicher Talisman sei ursächlich für ihr Glück.
Aberglaube und Glaube hängen eng zusammen. Unter Glauben im nichtreligiösen Sinn versteht man, dass ein Sachverhalt hypothetisch für wahr gehalten wird. Das lässt im Gegensatz zum Aberglauben die Möglichkeit des Irrtums zu, ganz nach dem Motto: »Es könnte auch anders sein«. Glauben im religiösen Sinn lässt dagegen nicht zu, dass es auch anders sein könnte. Insofern gleichen religiös motivierter Glaube und die daraus folgenden Verhaltensformen dem unbestätigten Regelwissen, das in den nächsten Abschnitten näher beleuchtet wird.
Wie Glaube und Aberglaube anfangen.
Skinner untersuchte zunächst, wie Belohnung das Verhalten von Ratten oder Tauben konditioniert. Seine Lernexperimente hatten folgenden prinzipiellen Ablauf: Das Versuchstier wurde in einen Testkäfig gesetzt, der mit einem speziellen Mechanismus oder einen Hebel ausgestattet war (Skinner-Box). Ein bestimmtes Verhalten, wie die Betätigung des Hebels oder das Lösen einer Aufgabe führte dazu, dass das Versuchstier automatisch eine kleine Menge Futter erhielt. Ein mehrmaliges Zusammentreffen des bestimmten Verhaltens mit der Futterausgabe führte zu einer Konditionierung derart, dass das Versuchstier die Regel lernte, deren Befolgung belohnt wurde. Es wiederholte danach ständig die zum Erfolg führende Verhaltensweise1.
In einer weiteren Versuchsreihe änderte Skinner die Regel. Er wollte wissen, was unkonditionierte Tauben lernen, wenn die automatisierte Futterausgabe mit zufälligem Zeitabstand erfolgt. Die Regel lautet in diesem Fall, dass es keine Regel gibt. Kein Verhalten konnte den zeitlichen Abstand bis zur nächsten Futterausgabe beeinflussen. Die Tauben brauchten nur zu warten, aber sonst nichts zu tun. Es geschah dennoch etwas Seltsames.
Nach dem mehrmaligen zufälligen Zusammentreffen von Flügelspreizen mit der Futterausgabe hatte die eine Taube irrtümlich »gelernt«, dass Flügelspreizen zu Futter führt. Fortan hörte sie nicht mehr auf, ihre Flügel zu spreizen, obwohl das keinerlei Einfluss darauf hatte, wann die Futterausgabe erfolgte. Eine andere Taube, deren Halsverrenkungen mehrmals mit einer Futterausgabe zusammentrafen, wollte von ihrem Tun nicht mehr lassen. Auch sie hatte ein Regelwissen gelernt, das durch nichts begründet war. Eine dritte Taube schließlich drehte sich nach kurzer Zeit immer im Kreis, weil bei ihr zweimal eine Körperdrehung mit der Futterausgabe zusammenfiel. Jede dieser Verhaltensweisen war durch keinen realen Zusammenhang begründet, aber die armen Tiere glaubten offensichtlich an ihr Regelwissen und sahen sich immer wieder bestätigt, als nach einer zufälligen Zeitdauer tatsächlich Futter kam. Die Tauben waren abergläubisch geworden.
Auch wir Menschen können sehr schnell im psychologischen Sinn abergläubisch werden. Jeder hat wahrscheinlich schon einmal Kinder vor einem Aufzug warten sehen. Die Kinder haben irgendwann einmal gelernt, dass Drücken auf dem Aufzugknopf dazu führt, dass der Aufzug kommt. Einige drücken immer wieder und wieder, obwohl der Aufzug dadurch nicht schneller kommt. Dennoch können sie von ihrem abergläubischen Tun nicht lassen. Und wenn dann der Aufzug mal schneller kommt als erwartet, fühlen sie sich in ihrem Tun bestätigt. Das Magazin »Gehirn & Geist« (Heidelberg) fasste Anfang 2009 die Ursachen von abergläubischem Verhalten so zusammen: »Menschen neigen zu der Vorstellung, gleichzeitige Ereignisse seien kausal miteinander verknüpft, obwohl sie in Wirklichkeit voneinander unabhängig sind.«
Fiktive Gesichter in verrauschten Bildern.
Das menschliche Gehirn birgt weitere Überraschungen. Es neigt nicht nur dazu Regeln zu suchen und zu finden, wo es keine gibt, es glaubt auch dort Muster zu erkennen, wo gar keine vorhanden sind. Das bekannteste Beispiel für diese Tatsache ist das Gebilde auf einem Foto von der Marssonde Viking 1 im Jahr 1976. Die Medien gaben der entdeckten Struktur die Bezeichnung »Marsgesicht«. War es das Werk intelligenter Wesen? Noch 1998 rätselte der Astronom Prof. Harald Lesch in einer Sendung des Bildungsfernsehens Alpha-Centauri: »Was ist dran am Marsgesicht?«
Im Jahr 2001 kam dann die Lösung. Die neuerliche Marssonde Global Surveyor schickte ein detailreiches Foto vom »Marsgesicht« zur Erde. Nun konnte jeder erkennen, dass das Gesicht überhaupt kein Gesicht ist, sondern eine verwitterte Felsformation, die anscheinend durch natürliche Prozesse entstand.
Manche Menschen neigen regelrecht dazu, in Zufallsmustern oder total verrauschten Bildern am Bildschirm Gesichter zu erkennen, wie der Züricher Neuropsychologe Dr. Peter Brugger im Rahmen von Experimenten nachwies. Er bezeichnete diese Menschen nach einem Bibelspruch (Matthäus 25, 32) als »Schafe«. Brugger konnte auch nachweisen, dass die zusätzliche Einnahme der Vorstufe des Botenstoffs Dopamin (L-Dopa), dazu führt, dass mehr fiktive Gesichter im Rauschen erkannt werden2.
Offensichtlich scheint die Biochemie des Gehirns einen erheblichen Einfluss auf die Entstehung von Glauben bzw. Aberglauben zu haben. Und Aberglaube entsteht schnell, wie wir weiter oben gesehen haben. Diesen wieder zu verlieren bedarf es ungleich größerer Anstrengungen. Eine einfache Aufklärung genügt da selten. So kann es nicht verwundern, dass zahlreiche Menschen weiterhin glauben, beim Marsgesicht handele sich um das Werk intelligenter Wesen.
Was sind das für Gehirnfunktionen, die einerseits die Bildung von Aberglauben fördern, andererseits seine Auflösung erschweren. Seit wenigen Jahren zeichnen Hirnforscher die Umrisse eine Theorie, die allerdings erst durch Einzelfälle oder wenige Studien belegt ist. So können die Forscher nun durch die modernen bildgebenden Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) dem Gehirn bei der Arbeit zusehen und sind auf erstaunliche Dinge gestoßen. Die fMRI ist eine relativ junge Weiterentwicklung der klassischen Magnetresonanztomographie. Durchblutungsänderungen im Gehirn stehen mit neuronaler Aktivität im Zusammenhang. Mit dem neuen Bildgebungsverfahren können diese Änderungen nun sichtbar gemacht werden, indem der Blutgehalt des Gewebes während des Experiments mit dem eines anderen Zeitpunkts verglichen wird.
Der oberste Lenker im Hippocampus.
Nach der Theorie werden Sinnesreize, die ins Gehirn dringen, zunächst in verschiedenen Arealen des Großhirns analysiert. Bei visuellen Reizen geschieht das beispielsweise in der Sehrinde des Hinterkopfs. Anschließend werden alle Informationen dem Schläfenlappen zugeführt. Dort wird Sprache verarbeitet, den Informationen Bedeutung verliehen und Inhalte mit der Gefühlswelt verwoben. In den tieferen Regionen dieses Hirnlappens werden wertfreie Informationen beispielsweise mit Wut, Ekel, Glück oder auch nur Gleichgültigkeit verknüpft. Die alles entscheidende höchste Verarbeitungsstufe sitzt aber noch ein kleines Stück tiefer im Inneren, nämlich in einem Gebilde, das wegen seiner Form Hippocampus (Seepferdchen) getauft wurde.
Das Gehirn wird mit einer Unmenge von Daten überschwemmt, wichtigen und unwichtigen, sinnvollen und widersprüchlichen. Die Aufgabe des Hippocampus ist es das auszuwählen, was plausibel und wichtig ist. Das muss blitzschnell geschehen. Um der Aufgabe gerecht zu werden, vergleicht der Hippocampus das Wahrgenommene unentwegt mit Hypothesen, die parallel an anderer Stelle des Gehirns aufgestellt wurden. Beispielsweise werden halb verstandene Wortfetzen oder bruchstückhaft gehörte Sätze mit Hypothesen über das ganze Wort oder den ganzen Satz solange verglichen, bis eine der Hypothesen als die plausibelste Erklärung erscheint. Erst danach dringt das Ergebnis ins Bewusstsein. Wenn man so will, ist der Hippocampus der oberste Lenker oder Zensor im menschlichen Gehirn.
Wenn die Theorie stimmt, dann muss man davon ausgehen, dass der Plausibilitätsfilter im Hippocampus zwar effektiv arbeitet, aber auch fehleranfällig ist. Beispielsweise können Drogen oder ein Über - maß am Botenstoff Dopamin dazu führen, dass sich abergläubische Inhalte, Visionen und Halluzinationen leichter im Kopf bilden. Umgekehrt führt Dopaminmangel zu einer fantasielosen, rationalen Betrachtung der Welt.
Parkinson-Patienten, bei denen die Dopamin produzierenden Nervenzellen im Gehirn allmählich absterben, sind in ihrer Planungsfähigkeit beeinträchtigt, ohne dement zu sein. Ihre Religiosität ist stark vermindert gegenüber Patienten mit anderen schweren Krankheitsverläufen. Planungsfähigkeit ist aber die Voraussetzung für die Bildung jener Hypothesen, die der Hippocampus für die Wahl der plausibelsten Alternative benötigt.
Gott im Kopf eines Erleuchteten.
Ein weiteres Beispiel trug der renommierte US-amerikanische Hirnforscher Vilayanur Ramachandran vor. Eines Tages erschien der stellvertretende Leiter eines Heilsarmeebüros in seinem Labor an der University of California. Ramachandran gab ihm den Namen Paul. Der Patient erlebte immer wieder Momente großer Erleuchtung. Er fühlte sich dabei höchstbeglückt und eins mit dem Schöpfer.
Die genauere Untersuchung ergab, dass Paul in jenem Teil seines Gehirns regelmäßig von elektrischen Stürmen heimgesucht wurde, in dem Informationen Bedeutung erhalten und mit Emotionen verwoben werden, nämlich dem Schläfenlappen. Paul litt unter einer Schläfenlappenepilepsie, die ihn nicht bewusstlos werden ließ, sondern Halluzinationen bescherte. »Ramachandran und seine Mitstreiter suchen nun nach Gott im Kopf«. »Noch allerdings steht die neu ausgerufene Disziplin der »Neurotheologie« am Anfang.«3
Ramachandrans Eifer schießt wohl über das Ziel hinaus. Er hat die Rechnung ohne den obersten Zensor in Pauls Kopf, dem Hippocampus, gemacht. Denn dieser ist es, der ein »eins sein mit dem Schöpfer« als wahrscheinlichste Hypothese zulässt. Die Störungen durch das elektrische Gewitter des epileptischen Anfalls können vom Hippocampus nicht richtig bewertet werden, weil keine alternativen Hypothesen zur Verfügung stehen. Wenn man weiß, wie ein Gehirn gestrickt ist, verwundert es nicht, wenn jeder »normale« Mensch dem einen oder anderen Glauben, um nicht zu sagen Aberglauben, anhängt. Das gilt umso mehr, wenn es im Gehirn zu Fehlfunktionen kommt.
Wie aber sieht die Realität unserer Welt tatsächlich aus und wie ist sie entstanden?
Die moderne Kosmologie geht davon aus, dass unser Universum aus dem Nichts entstanden ist. Wenn man so eine Aussage liest oder hört, drängt sich sofort die Frage auf, wie denn aus nichts etwas entstehen kann. Nicht nur das physikalische Prinzip, dass es zu jedem physischen Ereignis eine physische Ursache geben muss, sondern auch der »gesunde Menschenverstand« lässt die Aussage eher als eine philosophische Idee erscheinen und weniger als eine wissenschaftlich fundierte Theorie. Eine wissenschaftliche Theorie muss empirisch überprüfbar sein. Wie kann aber der Anfang allen Seins durch ein Experiment überprüft werden? Welche Fakten sprechen für den Beginn von Raum, Zeit und Materie aus dem Nichts?
Trotz der Zweifel gibt es gute und rational nachvollziehbare Gründe, von einem Beginn des Universums aus dem Nichts auszugehen. Den Beginn, kurz Urknall, darf man sich nicht als eine riesige Explosion im Weltall vorstellen. Der Urknall ist ganz unspektakulär ein nicht näher bekannter physikalischer Zustand, bei dem Raum und Zeit sowie die beteiligten Energien in einem winzigen Bereich extrem hoher Dichte zusammenfallen (Singularität). Wenn die Theorie richtig ist, dann existierte das Weltall vor der Singularität genauso wenig, wie es davor Materie gab. Auch Zeit hätte ihren Ursprung erst im Urknall.
Der englische Astronom Fred Hoyle, der Anhänger eines ewigen, statischen Universums war, wollte durch die unwissenschaftliche Bezeichnung Urknall (engl. »Big Bang«) die Theorie der Urknall-Verfechter unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Zu diesen Verfechtern gehörte sein belgischer Kollege, der Theologe und Astrophysiker, Georges Lemaître. Hoyle sprach sich dafür aus, dass sich das Universum in einem Zustand der Gleichförmigkeit (Steady-State-Theorie) ohne Anfang und ohne Ende befinde.
Wie begründete Lemaître die Idee vom Anfang allen Seins aus dem Nichts? Handelte es sich um seine theologische Vorstellung oder gab es harte Fakten?
Ein unerwartetes Ergebnis.
Lemaître konnte sich auf bereits etablierte wissenschaftliche Theorien und Beobachtungsergebnisse aus den Jahren 1912 bis 1926 stützen. Er bezog sich insbesondere auf Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie4 (ART). Die Grundgleichung der ART ließ die Existenz eines dynamischen Universums, das entweder expandiert oder sich zusammenzieht, evident erscheinen. Einstein selbst gefiel die Dynamik überhaupt nicht. So fügte er der Formel eine kosmologische Konstante hinzu, welche die Dynamik ausgleichen sollte. Das führte allerdings nur zu einem instabilen Gleichgewicht. So verwarf Einstein später wieder die Konstante. Offen blieb zunächst, ob das Universum expandiert oder kontrahiert. Außerdem, was nützt die schönste kosmologische Theorie, wenn sie nicht durch Beobachtungen gestützt wird? So suchte Lemaître nach geeigneten Beobachtungsergebnissen.
Als eines der interessantesten Beobachtungsobjekte galt seit früher Zeit der Andromedanebel, der bereits mit bloßem Auge im Sternbild Andromeda zu erkennen ist. Zwischen 1764 und 1782 katalogisierte der französische Astronom Messier insgesamt 110 Himmels-Objekte. In seiner Auflistung bekam der Nebel die Nummer M31. Die optischen Instrumente zu jener Zeit waren allerdings noch nicht geeignet, spezielle Eigenschaften festzustellen. Dies gelang erst dem amerikanischen Astronomen Vesto Melvin Slipher im Jahr 1912. Er konnte ein damals wichtiges Problem lösen und die Rotation des Andromedanebels messen. Bei dieser Gelegenheit machte er eine noch viel bedeutendere Entdeckung. Während einer sieben Stunden dauernden Beobachtung nahm er die Verschiebung der optischen Spektrallinien des Andromeda-Lichtspektrums auf. Diese waren zum blauen Bereich hin verschoben (Blauverschiebung). Was hatte das zu bedeuten?
Lichtwellen verhalten sich ähnlich wie Schallwellen. Rast ein Polizeiauto mit eingeschaltetem Martinshorn auf uns zu, dann scheint die Tonhöhe des Heulgeräuschs höher zu sein, als das Heulen des sich entfernenden Fahrzeugs. Dieses Phänomen wird Dopplereffekt genannt. Zunehmende Tonhöhe bedeutet Verkürzung der Wellenlänge des Schalls. Auf Licht bezogen zeigt die Blauverschiebung eine Verkürzung der Lichtwellenlänge an: Das Licht aussendende Objekt kommt näher. Dass sich der Andromedanebel M31 uns annähert, war ein so unerwartetes Ergebnis, dass die Publizierung als eine hervorragende wissenschaftliche Leistung bewertet wurde.
Zieht sich das Universum zusammen?
Für Lemaître bedeutete das Ergebnis, dass es kein statisches Universum gibt. Aber die Annäherung des Andromedanebels, und eine vermutete Kontraktion des Universums, passten sicher nicht in sein Konzept. Es bedurfte somit solcher Beobachtungsergebnisse, welche die Idee eines expandierenden Universums unterstützten.
Zum Glück für Lemaître erweiterte Slipher seine Arbeit auf andere Objekte und gegen Ende 1914 hatte dieser die Spektren von fast 40 Nebeln und Sternhaufen gesammelt. Die Ergebnisse präsentierte Slipher auf der Konferenz der AAS (American Astronomical Society). Bei allen Objekten stellte er keinerlei Blauverschiebung, sondern eine Rotverschiebung des Lichtspektrums fest. Im Gegensatz zum Andromedanebel bedeutet das eine wachsende Entfernung der Objekte mit riesigen Fluchtgeschwindigkeiten zwischen 200 bis 1100 km/s.
An der Konferenz der AAS nahm auch Edwin Hubble teil, der sich später durch die Messung der Distanzen zu den fernen astronomischen Objekten einen Platz in der Geschichte sicherte, denn die Distanzmessung ist eine heikle Angelegenheit. Die klassische Parallaxenmethode funktionierte beim Andromedanebel nicht. Und die Abschätzung der Distanz mit Hilfe der Rotverschiebung war erst Jahre später, nämlich ab 1929 möglich, als Hubble die nach ihm benannte Beziehung zwischen Fluchtgeschwindigkeit und der Distanz eines astronomischen Objekts entdeckte und veröffentlichte.
Ohne die Distanzen zu kennen, wollte Lemaître vermutlich nicht verkünden, das Universum würde expandieren. Zu angreifbar wäre seine Position gewesen.
Das Problem der Entfernungsmessung.
Warum die Anwendung der klassischen Parallaxenmethode ihre Grenze bei einer Distanz von etwa 500 Lichtjahren findet, versteht man leicht, wenn man weiß, dass diese Methode auf einer simplen Dreiecksberechnung beruht. Als Grundlinie des Dreiecks wählt man den Durchmesser der Erdbahn. Es werden zwei Messungen des astronomischen Objekts durchgeführt, die Zweite ein halbes Jahr später, nachdem die Erde sich auf der anderen Seite ihrer Bahn befindet. Dann stellt man bei nicht allzu weit entfernten Objekten eine Ortsveränderung gegenüber dem Himmelshintergrund fest. Diese Veränderung ist die Parallaxe. Eingesetzt in die einfache Formel Distanz = 1/Parallaxe erhält man als Ergebnis die Entfernung in astronomischen Längeneinheiten.
Die Parallaxenmethode funktioniert, solange überhaupt eine Parallaxe messbar ist. Und wenn nicht, was dann? Dem ehemals am Mount-Wilson-Observatorium beschäftigten Hubble gebührt der Verdienst, als Erster die Distanz zum Andromedanebel, bei dem keinerlei Parallaxe feststellbar ist, ermittelt zu haben. Das gelang ihm deshalb, weil er auf den Fotoplatten, die er vom Nebel anfertigte, in diesem veränderliche Sterne mit regelmäßiger Pulsation (Cepheiden) entdeckte. Wenige Jahre zuvor hatte Henrietta Swan Leavitt eine Beziehung zwischen der Periodendauer der Pulsation und der Leuchtkraft eines Cepheiden aufgestellt. Die so berechnete Leuchtkraft konnte in eine Distanzgleichung eingesetzt werden, die als Ergebnis die Distanz auswarf. Hubble wies 1923 nach, dass der Andromedanebel M31 weit außerhalb unserer Milchstraße liegt. Die Ergebnisse weiterer Beobachtungen und Entfernungsberechnungen veröffentlichte er 1925 in Cepheids in Spiral Nebulae.
Ferne Welteninseln
Nun gab es für Lemaître kein Halten mehr. Die Erkenntnis, dass die beobachteten Nebel Sterne enthalten und damit offenbar Welteninseln sind, Galaxien, die in ungeheurer Entfernung weit außerhalb unserer Milchstraße sein mussten und sich mit riesiger Geschwindigkeit von uns entfernten, ließ seine Idee reifen. Die Daten zeigten ihm: Je größer die Distanz zu einer Galaxie ist, desto schneller entfernt sie sich. Das Universum expandiert offensichtlich!
Und wenn etwas permanent expandiert, dann muss es einen Anfang gegeben haben!
Das Universum muss aus einem einzigen ursprünglichen Energiequantum hervorgegangen sein (»Superradioactive decay of a primeval atom«). Bereits im Jahr 1927 publizierte Lemaître eine erste Fassung seiner Überlegungen in den Annales de la Société Scientifique de Bruxelles.
Auch heute gelten nach wie vor die gemessenen Rotverschiebungen als das stärkste Argument für die Expansion des Universums. Diese Expansion ist aber keine Art Explosion, bei der sich Teilchen in einen bestehenden Raum hinein ausdehnen, sondern es handelt sich um die Ausdehnung des Raumes selbst. Wenn man sich die Galaxien als Rosinen in einem Hefeteig vorstellt, dann entspricht die Ausdehnung des Hefeteigs, der Ausdehnung des Raumes. Das ist eine Folge der Einstein'schen Relativitätstheorie. Ohne Materie existiert demnach auch kein Raum. Einstein formulierte das so: »... einen leeren Raum, [...], gibt es nicht.«5.
Aus Nichts wird etwas.
Heute möchte man mehr darüber wissen, was in den ersten Augenblicken des Universums geschah und nach welchen physikalischen Regeln alles ablief. Die allgemeine Relativitätstheorie kann hier keine Antworten liefern, denn die Formeln werfen für den Zeitpunkt 0 nur unendlich große Werte für Dichte und Temperatur aus. Der Teilchenbeschleuniger am CERN in Genf soll nun über die Physik im Zeitpunkt 0 nähere Aufschlüsse liefern. Versuche an wesentlich kleineren Teilchenbeschleunigern zeigen, dass neue Teilchen aus Bewegungsenergie entstehen können. Auch das Phänomen der Paarerzeugung, bei dem zwei ursprünglich virtuelle Teilchen auf einmal Realität werden, wurde schon häufig in einer Blasenkammer fotografiert. So darf man gespannt sein, was uns CERN für neue wunderbare Erkenntnisse liefern wird. Zumindest scheint es prinzipiell möglich zu sein, dass aus Nichts etwas entsteht, wenn das Nichts den höchsten Energiezustand darstellt, den das Universum kennt.
Seit Jahren wird zudem nach einer geeigneten Quantentheorie für die ersten Augenblicke des Universums gesucht. Bis jetzt gibt es zwar viele Kandidaten für diese Theorie der Quantengravitation, aber noch keine konnte sich richtig durchsetzen. Nur über einen Punkt haben sich die meisten Kosmologen wohl geeinigt: Demnach soll das Universum tatsächlich aus dem Nichts, durch eine Art Quantenfluktuation, entstanden sein.
So eine Quantenfluktuation, die auch Raum und Zeit entstehen lässt, kann man sich ein wenig unvollkommen durch eine plötzlich entstehende Seifenblase im großen Nichts vorstellen. Die Entstehung aus einer Quantenfluktuation funktioniert aber nur, wenn Raum und Zeit auch aus Quanten bestehen. Und es wirft neue Fragen auf: Grundfragen des Seins, die mehrere naturwissenschaftliche Fachbereiche betreffen und bis in die Philosophie hineinreichen. Die folgenden Kapitel werden die Fragen aufgreifen und versuchen naturwissenschaftliche Antworten zu finden. Dort wo die Naturwissenschaft ihre vielfach selbstgesteckte Grenze findet, versuche ich darüber hinauszublicken und Sie als Leser an meinen Schlussfolgerungen teilhaben zu lassen.
Manche Kosmologen postulieren eine »Feinabstimmung der Naturkonstanten«, welche die Entstehung eines lebensfreundlichen Universums mit Menschen überhaupt erst ermöglicht haben soll. Mit Feinabstimmung ist im Regelfall ein Schöpfer als letzte Ursache gemeint.
Was ist dran an der Feinabstimmung?
Fakt ist, dass nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft zur Beschreibung des beobachtbaren Universums bestimmte Konstanten benötigt werden, deren Zahlenwerte nicht rund sind, sondern zahlreiche Stellen nach dem Komma haben. Beispielsweise hat die Gravitationskonstante G=6,67259 10-11 fünf Stellen nach dem Komma und die elektrische Elementarladung e=1,60217733 10-19 acht Stellen. Für die Ruhemassen von Elektron und Proton wurden Werte mit sieben Stellen nach dem Komma ermittelt. Für die kosmologische Konstante hat man allerdings nur eine einzige Stelle. Ihre Größe wird auf 0,7 geschätzt. Die Zahl der Stellen ist unter anderem eine Frage der Messgenauigkeit und der physikalischen Theorie, die eine Konstante postuliert.
Nun wird behauptet, wenn die Zahlenwerte nur geringfügig anders wären, dann gäbe es kein lebensfreundliches Universum und Menschen würden gar nicht existieren. Dieses Argument impliziert folgende Schlussfolgerungen: Weil wir Menschen existieren, müssen die Naturkonstanten auf viele Stellen nach dem Komma fein abgestimmt worden sein. Und wer kann so eine Feinabstimmung vorgenommen haben? Das muss doch wohl ein allmächtiger Schöpfer gewesen sein, oder nicht?
Viele Naturwissenschaftler verziehen bedenklich ihr Gesicht, wenn sie die Phrase »Feinabstimmung der Naturkonstanten« hören. Die Zeit der Wettergötter, die für die Erklärung von scheinbar unerklärlichen Phänomenen und Naturereignissen herhalten mussten, ist vorbei. Warum sollen diese durch andere übernatürliche Mächte ersetzt werden?
Die Urmutter der Mystik.
Richtig denken ist keine leichte Angelegenheit. Besonders wenn es darum geht, mit dem Denkwerkzeug, gemeint ist das Gehirn, Erkenntnisse über unsere Wirklichkeit zu gewinnen. Da können auf einmal die unsinnigsten Dinge plausibel erscheinen. Durch die Gleichsetzung von unterschiedlichen Bedeutungsebenen resultiert Unsinn, wenn auch die Aussage logisch richtig ist. Merke: »Mischobst sind keine Äpfel« wie das folgende Zitat des Mystikers Ottmar Spann (1878-1950) zeigt. Im Zitat wird sprachlich etwas verknotet, was nicht zusammengehört und wohl die von Mystikern beabsichtigten Knoten im Gehirn erzeugt: »Mystik ist die Urmutter der Religion, der Urmutter der Kultur«.
Wie kann eine Religion eine Urmutter haben? Und wie kann eine Religion die Urmutter der Kultur sein? Eine Mutter ist ein Wesen der Realitätsebene. Gilt das auch für die Urmutter? Und wer war die Mutter der Urmutter? Wenn die Urmutter keine Mutter hatte, dann muss ein Schöpfer diese Urmutter in die Welt gesetzt haben. Dieser Akt lässt ihn selbst zur Urmutter werden. Dann muss er die Mystik sein, die sich in ihrer Eigenschaft als Urmutter und Schöpfer selbst in die Welt gesetzt hat, indem er sich erschuf. Das bedeutet: Die Mystik hat sich selbst erschaffen.
Die Vermischung unterschiedlicher Bedeutungsebenen in einer Aussage mag zwar logisch nicht falsch sein, führt aber immer zu Ergebnissen, die nicht auf der Realitätsebene liegen. Der Schöpfer der Urmutter in obiger Aussage ist kein Wesen der Realitätsebene, da die Mystik auch nicht der Realitätsebene angehört, sondern der abstrakten geistigen Ebene.
Der Begriff »Urmutter der Religion« steht für das »Begründen« der Religion. »Begründen« ist ein Begriff der Realitätsebene. Die Mystik, die kein Wesen der Realitätsebene ist, kann nicht etwas begründen, auch keine Religion.
Interessant an dem Beispiel ist, dass sich in unserer Sprache offensichtlich so viel Vermischungen der Realitätsebene mit der geistigen Ebene eingeschlichen haben. Im Regelfall merken wir erst nach längerem Nachdenken, ob die Schlussfolgerungen von scheinbar logischen Aussagen der Realitätsebene angehören oder nicht.
Bevor die gewonnene Erkenntnis auf die Frage nach der Feinabstimmung der Naturkonstanten angewendet wird, soll mit einem weiteren Beispiel den Mystikern, die so gern Knoten in unseren Gehirnen erzeugen, auch etwas zu denken gegeben werden. Es handelt sich um das Allmachtsparadoxon: Ein allmächtiges Wesen erschafft ein Universum, welches den aristotelischen Gesetzen der Physik folgt. Könnte das Wesen in diesem Universum auch einen so schweren Stein erschaffen, dass es ihn selbst nicht heben kann?
Daraus ergibt sich für die Mystiker ein Problem. Denn wenn das Wesen einen Stein erschaffen kann, welchen es nicht heben kann, so ist es nicht allmächtig. Kann es keinen Stein schaffen, welchen es selbst nicht heben kann, so ist es ebenfalls nicht allmächtig. Also ist ein allmächtiges Wesen nicht allmächtig. Über die Frage, welches Mischobst beim Allmachtsparadoxon für Äpfel ausgegeben wurde, können die Mystiker nun brüten.
Führte ein Trugschluss zum Postulat der »Feinabstimmung«?
Im Zusammenhang mit den Naturkonstanten ist der Begriff »Feinabstimmung«, beabsichtigt oder nicht, so gewählt, dass er bestimmte Schlussfolgerungen nahezulegen scheint. Besser wäre der Begriff »Koinzidenz« gewesen, der einfach ein Zusammentreffen bestimmter Werte meint.
Außerdem wäre zu klären, ob eine Feinabstimmung für bestimmte Konstanten überhaupt existiert, bevor man weitere Schlussfolgerungen zieht, denn physikalische Theorien, welche die Natur beschreiben, ändern sich im Lauf der Zeit immer dann, wenn neue Erkenntnisse vorliegen. So wird der Wert der kosmologischen Konstanten, die ursprünglich von Albert Einstein eingeführt wurde, heute auf 0,7 geschätzt. Durch die Entdeckung von Edwin Hubble, dass unser Universum nicht stabil ist, sondern sich ausdehnt, war die kosmologische Konstante lange Zeit in den Theorien entbehrlich. Was ohne die Konstante hätte fein abgestimmt werden können, ist deshalb nicht klar.
Eine in den 1980er Jahren entwickelte Theorie über die beschleunigte Ausdehnung des Universums in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall, die sogenannte Inflationstheorie, benötigt wieder eine kosmologische Konstante. Das zeigt nur, dass Naturkonstanten in einer gewissen Abhängigkeit von der jeweiligen Theorie stehen. Theorien und die dazugehörenden Konstanten sind aber nicht die Natur selbst, sondern die zum jeweiligen Erkenntnisstand gehörenden Beschreibungen der Natur.
Ein weiteres Argument gegen eine Feinabstimmung ist die, dass eine solche im Rahmen eines offensichtlichen Trugschlusses postuliert wurde. Wie man zu einem ähnlichen und nicht ungefährlichen Trugschluss im Alltag kommen kann, zeigt folgendes Beispiel: Ein geschickter Heimwerker verlegt in seinem Haus neue Elektroleitungen. Bevor er ein blankes Kabel berührt, überlegte er als vorsichtiger Mensch, ob der Strom ausgeschaltet ist. Um das zu prüfen, betätigt er den Lichtschalter. Da das Licht daraufhin nicht brennt, schließt er daraus, dass der Strom abgeschaltet ist. Er berührte das blanke Kabel. Der Rettungswagen kommt kurze Zeit später, um ihn zu reanimieren.
Der Heimwerker des Beispiels unterliegt einem häufig vorkommenden Trugschluss. Er übersieht, dass es hundert Gründe geben kann, warum das Licht nicht brennt. Und alle Gründe haben nichts damit zu tun, ob ein blankes Kabel Strom führt oder nicht.
Wird die Erkenntnis über den Trugschluss auf die Naturkonstanten angewendet, folgt, dass von einer Koinzidenz der Konstanten (das Nachfolgende) nicht auf die Wahrheit des Vorausgehenden, nämlich eine Feinabstimmung geschlossen werden kann. Tun wir es doch, kann es sein, dass so wie beim Heimwerker der Rettungswagen kommen muss, um uns zu reanimieren.
Ein letztes Argument gegen eine »Feinabstimmung« nimmt die Mystiker aufs Korn. Warum sollte ein nicht näher spezifizierter Schöpfer es überhaupt nötig haben, Leben dadurch zu ermöglichen, indem er Naturkonstanten mit fünf und mehr Stellen nach dem Komma erschafft und fein abstimmt? Ein Schöpfer, der machtvoll genug ist, Universen zu erschaffen, könnte sicher auch an einem beliebigen lokalen Ort dafür sorgen, dass die