Die Herausgabe dieses Buches
widme ich meinem Zwillingsbruder
Paul Bürger

Umschlagmotiv: In naiver Manier gemalte –

vermutlich süddeutsche – Wildererszene, um 1900;

eines von zwei Pendantbildern aus einer

sauerländischen Stube (Repro nach: WAIDWERK 2000)

© 2018

Peter Bürger (Hg.)

Krieg im Wald.

Forstfrevel, Wilddiebe und tödliche Konflikte

in Südwestfalen

edition leutekirche sauerland 12

Satz & Gestaltung: www.friedensbilder.de

Herstellung & Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7528-0716-5

Inhalt

  1. DER WALD ALS KRIEGSSCHAUPLATZ
    1. Einleitung
    2. Nachrichten aus der Zeit des Herzogtums Westfalen
    3. Waldkonflikte ab dem 19. Jahrhundert
    4. Tödliche Gewalt gegen Förster in der Region
    5. Holzdiebe und Wilderer als Opfer des „Waldkrieges“
    6. Literarisches: „Und Wildbret essen sie alle Tage ...“
    7. Noch mehr kleine und große „Wilddieblegenden“
  2. „DER KRIEG UM DEN WALD
    1. Konflikte um die Waldnutzung im Sauerland vor Ausbruch der Revolution von 1848
    2. Zum Verhalten der Landbevölkerung in der Revolution von 1848
    3. Wald und Jagd nach der Revolution von 1848/49
    4. Zusammenfassung
  3. FÖRSTERMORDE IM SAUER- UND SIEGERLANDE
    1. „Deutscher Hannes“: Der Wilddieb Johannes Wagebach wurde 1892 zum Tode verurteilt
    2. Franz Kloke aus Freienohl tötete 1931 den Förster Artur Stock
    3. Ein Schusswechsel im Wald bei Brilon am 27. Juli 1919 und zwei tote Förster
  4. „JETZT KÖNNEN SIE MAL SEHEN, WAS EIN STAATSANWALT FÜR EINE MACHT HAT
    1. Beweise, daß ich gegen den Förster Seffen[s] in Gegenwehr gehandelt habe
    2. Der Beweis, daß Ester den Förster Birkenfeld erschossen hat
    3. Beweis, daß ich nicht mit Überlegung gehandelt haben kann
    4. Beweis dafür, daß wir nicht mit der Absicht in den Wald gingen, um einen Förster zu erschießen
    5. Aussagen und Widersprüche des Zeugen Seffen[s], Vater des Försters Seffen[s]
    6. Gespräche, die der Mitangeklagte Ester mit mir führte
    7. Übersicht der ganzen Sache
    8. Gespräche vom Lokaltermin
  5. MEHR ALS NUR „KALENDERGESCHICHTEN“?
    1. Der blutige Bach bei Oberhundem: Aus den „Sagen des Sauerlandes“ (Fr. A. Groeteken)
    2. „In’s Herz geschossen“: Nächtliches Sakrament für einen Wilddieb (1859/1868) Josef Pape
    3. Int Hiärte schuaten: An der Landhecke (1878) Joseph Pape
    4. Zwei alte Wildschützlieder Arnsberg in Dichtung und Volksmund (1938)
    5. „Der Schnapphahn zieht den Kürzeren“: Gaudenz Freiherr von Weichs will die Wilderer auf die Decke legen (1966) Friedrich Schwagmeyer
    6. Wildschütz Klostermann in Marsberg Der Weidmann (1885)
    7. Zwei plattdeutsche Wilddieb-Gedichte Soester Heimatkalender (1921/1922)
    8. „Jäcksken“ aus Freienohl: Der berühmteste Wilddieb des Arnsberger Waldes (1928) Bernhard Reinhold
    9. Jülle: Ein sauerländisches Original (1928) Soester Heimatkalender
    10. „Der alte Förster Padberg“: Seine Wilddiebgeschichten, nacherzählt (1926) von „Lehrers Joseph“ aus Bruchhausen
    11. Das Waldhaus: Nach einer wahren Begebenheit (1930) Therese Schröder
    12. Schluiters Odam vam Bräienbrauke, en gräoten Wilddaif (1938) Heinrich Gathmann
    13. Näut: Enner wohren Begiäwenheit iut dunkler duitsker Tiet nohvertällt (1940) Adolf Färber
    14. Wie Behaus das Wilddieben lernte (1950) Heinrich Gathmann
    15. Die Mühle im düsteren Siepen: Eine alte Geschichte, erzählt von Heinrich Kleibauer De Suerlänner 1965

Die dreibändige Buchreihe
über Wilddiebe und Waldkonflikte:

Peter Bürger (Hg.)
Krieg im Wald.
Forstfrevel, Wilddiebe und tödliche Konflikte
in Südwestfalen
ISBN: 978-3-7460-1911-6

Peter Bürger
Hermann Klostermann.
Der populärste Wilddieb Westfalens
und sein Fortleben in literarischen Mythen.
ISBN: 978-3-7448-5055-1

Hans-Dieter Hibbeln,
Peter Bürger, Rudolf Gödde:
Klostermanns Revier.
Dokumente zur Wilderei in Westfalen
und ein Wildschütz-Roman von 1935
(in Vorbereitung, 2018)

edition leutekirche sauerland

I.
Der Wald
als Kriegsschauplatz

Wilddiebe, Wilddiebjäger
und traurige Menschenschicksale1

Peter Bürger

„Nimm jetzt dein Jagdgerät,
deinen Köcher und deinen Bogen,
geh aufs Feld, und jag mir ein Wild!“
1. Buch Mose (Genesis) 27, 3

Der erste Band der hier fortgesetzten dreiteiligen Buchreihe2 zur Wilderei ist ganz dem „Wildschütz“ Hermann Klostermann gewidmet, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch im Marsberger Raum und Waldeckischen einige Berühmtheit erlangt hat.3 Nun lässt sich Klostermann, dessen „Hauptrevier“ im Eggegebirge lag, nur bedingt dem Sauerland zuordnen. Dort hat es freilich auch ohne ihn an Wilddieben zu früheren Zeiten nicht gemangelt. Wohl kaum ohne Grund betont der aus Bödefeld stammende Eversberger Lehrer Johann Hengesbach (1873-1956) in einem autobiographischen Nachlasstext ausdrücklich: „Mein Großvater war ein eifriger Jägersmann, aber kein Wilddieb, denn als Sensenhändler im Hauptberuf bezahlte er seinen Jahresjagdschein allemal ehrlich mit einem harten Taler.“4 Der springende Punkt der ganzen Sache kommt bei Hengesbach zur Sprache. Es geht um die Jagd-Berechtigung, und die kann ein Habenichts mit leeren Taschen nicht so leicht erlangen. Prinzipiell hat sich daran bis heute nichts geändert. Der Wikipedia-Eintrag zum Stichwort „Wilderei“ referiert die geltende Rechtslage so: „Wegen Wilderei wird bestraft, wer den Jagdausübungsberechtigten aus seiner Stellung verdrängt und als Nichtberechtigter Wild erlegt. Die Kodifizierung als eigenständiges Delikt neben dem Diebstahl ist notwendig, da nach der zivilrechtlichen Eigentumsordnung wilde Tiere als herrenlos gelten und zunächst, solange sie leben, nicht eigentumsfähig sind.“5

Eine so materialistische Betrachtungsweise taugt natürlich nicht als Stoff, aus dem Legenden und Heldensagen gemacht werden. Wildschütz-Abenteuer blieben im wirklichen Leben eher die Ausnahme. Bei Konflikten im Wald ging es um Brennholz und Fleisch. Jenseits von romantischer Verklärung und Moralpredigt empfiehlt es sich, die entsprechenden Verteilungskämpfe heute als ein Kapitel der regionalen Sozialgeschichte zu beleuchten, bei dem sich freilich auch viel Gelegeheit ergibt zur ‚kriminalistischen‘ oder literarischen Spurensuche.

1.
EINLEITUNG

In der folgenden „Wilddieb-Studie“ aus meiner regionalen Forschungswerkstatt geht es auch vornehmlich nicht um einzelne „berühmte Gestalten“. Vielmehr soll versucht werden, einen aussagekräftigen Überblick zum Phänomen „Krieg im Wald“ zu vermitteln – schwerpunktmäßig für das kölnische Sauerland, jedoch unter Berücksichtigung von Nachbarlandschaften. Wer die regionale Geschichte des illegalen Jagens oder Holzfrevels erkunden möchte, stößt in den Staatsarchiven oder amtlichen Chroniken vermutlich nur auf Ausschnitte. Die Förster waren zur Berichterstattung geradezu verpflichtet. Ihre Perspektive ist vergleichsweise gut dokumentiert. Die Gesetzesübertreter oder auch ihre Angehörigen schwiegen aus naheliegenden Gründen lieber von unerfreulichen Dingen.

Je tiefer man in die Sache eindringt, desto drängender stellt sich die Frage: Wie viel Blut ist im „Waldkrieg“ vergossen worden, nicht nur auf Seiten der amtlichen Hüter des Waldes, sondern auch unter den oftmals ärmlichen Wilderern? Ein Kirchenbucheintrag aus dem Jahr 1889 hat die Voßwinkeler Heimatforscher vor einigen Jahren bewegt, die Leser ihrer „Rückblicke“ an den Namen eines beim Wildern erschossenen Fabrikarbeiters zu erinnern. Es kommt in den Quellen auch ein sehr junger Wilddiebhelfer zum Vorschein, der 1923 nach einem Schuss in den Rücken sein Leben lässt. Wie lauteten eigentlich genau die Dienstvorschriften der Förster?6 Gab es so etwas wie einen obligaten Schießbefehl? War hierbei eine Kampfunfähigkeit der Wilderer das vorrangige Ziel? Wie eng oder weit wurde der Begriff der Notwehr ausgelegt?

Rechtsempfinden und Praxis konnten sich im Verlauf der Jahrzehnte durchaus verändern. 1898 erfolgte z.B. eine rechtliche Ausweitung des „Notwehr-Begriffes“, durch welche das unbedingte Verbot des Waffengebrauchs gegen fliehende Wilderer aufgeweicht wurde; in manchen Jägerkreisen soll es zu freudigen, z.T. menschenverachtenden Reaktionen gekommen sein.7 Bisweilen empfahlen sich stellungssuchende Jagdaufseher in Annoncen ausdrücklich als „Schrecken der Wilddiebe“.8

Förster im Sauerland (Archiv Museum Eslohe)

Zu anderer Stunde beschäftigt man sich mit jenem Feld, das der Berliner Kriminalkommissar Otto Busdorf9 als ein eifriger Pionier zwischen 1929 und 1931 in drei Bänden über „Wilddieberei und Förstermorde“ dokumentiert hat. Angesichts der hier eröffneten Einblicke in das organisierte Verbrechen wird sich auch der größte Freund der ‚kleinen Leute‘ unweigerlich mit Forstbediensteten solidarisieren, die mehrheitlich keineswegs besonders privilegiert leben10, oft zwischen allen Stühlen sitzen11 und sich im Fall der eigenen Tötung durch kaltblütige Kriminelle für ihre Hinterbliebenen manchmal nur eine geringe Anteilnahme der Umgebung erhoffen dürfen. – Es gab auf beiden Seiten der ‚Waldfront‘ gefährlichen Gruppenzwang und Akteure, die keine Skrupel kannten. Meistens jedoch waren wohl Angst und Panik die Auslöser von tödlichen Schüssen. Der Historiker Werner Neuhaus aus Sundern verweist mit seinem Beitrag „Krieg um den Wald“, der in diesem Buch erneut zugänglich gemacht wird, auf die richtige Überschrift für jene erschreckenden Gewalterscheinungen, die bei einer Beschäftigung mit unserem Thema über kurz oder lang zwangsläufig zutage treten: „Krieg!“12

Über ausgewählte Daten, Stationen und Momentaufnahmen soll im nachfolgenden Überblick zur Wilddieberei im Sauerland und in angrenzenden Gebieten zunächst der geschichtliche Rahmen markiert werden. Sodann folgen in zwei Durchgängen die Ergebnisse einer Recherche zu den Opfern auf beiden Seiten. In Erwartung gründlicher Arbeiten von anderen Forschern möchte ich betonen, dass das hierbei Vorgelegte nur ein erstes, noch keineswegs vollständiges Bild vermitteln kann.

Schließlich kommen – wie schon beim „Klostermann-Komplex“13 – die literarischen Bearbeitungen des Themas zur Darstellung. Auch das kann in einigen Fällen – unter Vorbehalten – zur Rekonstruktion historischer Sachverhalte etwas beitragen. Amtliche Archivquellen oder zeitgenössische Reportagen hinterlassen beim Leser oft trügerische Gewissheiten. Doch selbst wenn wir Videoaufzeichnungen von bestimmten Ereignissen besäßen, wüßten wir keineswegs sicher, „wie es wirklich wahr“. Denn in die Seelen und Motivkomplexe der Beteiligten kann letztlich nur noch der liebe Gott hineinschauen. Andererseits: In den literarischen Zeugnissen spiegeln sich lokale Erinnerungen, Standorte, Mentalitäten, Stimmungen und Deutungen, was in jedem Fall ja mit Wirklichkeitsschichten der Vergangenheit zu tun hat. Wenn das ernste Thema „Wilddieberei“ in der Literatur bisweilen ausgesprochen humoristisch zur Sprache kommt, so ist auch das eine Stellungnahme14.

Der prachtliebende und jagdbesessene Kurfürst Clemens August, 1723-1761 sog. Erzbischof von Köln, ließ Wilddiebe grausam bestrafen. Hier dargestelt als Falkner, ca. 1732 auf Schloss Augustusburg Brühl. – Künstler: Peter Jacob Horemans († 1776).

2.
NACHRICHTEN AUS DER ZEIT
DES
HERZOGTUMS WESTFALEN

Im alten Herzogtum Westfalen, welches das ganze kölnische Sauerland umfasste, scheint das Jagen eine allseits beliebte, wenn auch keineswegs allen erlaubte Angelegenheit gewesen zu sein. Schon Mitte des 15. Jahrhunderts stellte der Wedinghauser Konventuale Ludolf von Bönen, eine schillernde Gestalt, „anstatt im Chor die Messe zu lesen, lieber in Wald und Feld den Wölfen und Füchsen nach“ (Kanonikus Degenhard Schüngel soll seinen Jagdfalken gar mit in die Kirche gebracht haben); später betätigte sich z.B. auch der Oelinghauser Probst Johannes Sundag (1552-1561) als leidenschaftlicher Jäger.15 Den sauerländischen Pastoren musste aus gegebenem Anlass „die Jagd auf Rehwild, Hasen und Feldhühner mit Jagd- und Hühnerhunden sowie das Fischen bei Nacht und sogar an Sonn- und Feiertagen“ ausdrücklich verboten werden.16 Einige Klosterkleriker genossen freilich wie die Edelherren vor der Säkularisation von 1803 ganz ungeniert Jagdprivilegien. Von Ferdinand Krevet, der bis zu seinem Tod 1821 als Pfarrer in Düdinghausen wirkte und „einstmals Mönch zu Glindfeld gewesen war, wird berichtet, dass in Waldeck auf seine Ergreifung beim Jagen ein Kopfgeld von 80 Talern ausgesetzt war. Er konnte sich anscheinend nicht damit abfinden, dass die früheren Rechte der Klosterherren ersatzlos gestrichen sein sollten“17.

Vom gemeinen Mann, dem Untertan, erwartete man Jagdfrondienste, aber keine Jagdkünste.18 Schon 1616 klagten Adelige des Herzogtums über Bauern, die sich um die Privilegien der Ritterschaft nicht scheren und ohne Berechtigung fischen oder jagen würden.19 Wiederholte Erlasse gegen Wilderei und z.T. sehr harte Strafen sollten das Übel abwehren20: Am 27. Februar 1659 verfügte der kölnische Kurfürst als Landesherr über den Umgang mit Wilddieben: „Wir halten dafür, dass solcher Frevler auf einen von Holz gemachten Hirsch mit an den Füßen gehenkten Gewichten etliche Tage nacheinander Stunden lang gesetzt, demnächst des Landes verwiesen und falls er wieder (beim Wilddieben) ertappt, mit mehr Schärfe, ja nach Befinden gar an dem Leben gestraft werde.“ Der prachtliebende und jagdbesessene Kurfürst Clemens August, von 1723 bis 1761 Erz-„Bischof“ von Köln, verfügte sogar sehr bald nach seinem Amtsantritt am 4. Dezember 1723: „Da sich die Wilddiebereien durch Abstrafung mittels Eselreitens, spanischen Mantels nicht vermindert, sondern durch so milde [!] Strafen eher verstärkt würden: so solle der Jägermeister die ertappten Wilderer durch 100, 200, 300 Bauern Spießruten laufen lassen [...]. Am 7. September 1724 wies derselbe Kurfürst seine Jäger bei Strafe der Amtsenthebung an, auf ertappte Wilddiebe, wenn sie beim ersten Anruf nicht stehenblieben oder sich ergeben wollten, ‚sogleich Feuer zu geben und sich derselben zu bemächtigen‘ [...]. Wilddiebe wurde im Hirschberger Schlossgefängnis eingeschlossen, sie mussten sich selbst beköstigen oder erhielten Wasser und Brot. [...] In Wiederholungsfällen und bei ganz Übelberüchtigten wurde an die Bonner Hofkammer berichtet, worauf ‚mehrteils Abgabe des Denunziaten in entfernte lebenslängliche Militärdienste, Landesverweisung oder lebenslängliche Zuchthausstrafe erfolgte und zur Bestreitung der Kosten sogar sein Vermögen verwandt wurde‘ “21. Somit war erwiesen, was ein in adeliger Jagdkunst geübter Kölner ‚Erzbischof‘ unter christlicher Milde verstehen konnte.22

Die Grausamkeit einiger feudaler Landesherren in deutschen Landen, darunter eben auch die von sogenannten ‚Bischöfen‘ der Kirche Jesu Christi, kannte bisweilen bei der Verfolgung von Wildfrevel keine Grenzen23: Wilderer wurden an Hirsche festgeschmiedet und so ins Verderben geschickt. Augen wurden ausgestochen und Hände abgehackt. Auf die Stirn kam ein Brandmal in Geweihform. Aufhängen oder Totschießen ohne Gerichtsverfahren galten mancherorts bis ins 17. Jahrhundert hinein als ganz normal. Es konnte so scheinen, als sei in den Augen der hohen Herrschaften das unbefugte Erlegen eines „ihrer“ Waldtiere schlimmer als ein Menschenmord.

In der Nachbarschaft zum Herzogtum Westfalen, so etwa im Waldeckischen24, war man auch nicht besonders zimperlich. Kurkölnisch-sauerländische Holzfrevler aus dem Raum Olpe hatten 1727 bei Grenzüberschreitungen in Gebiete des Fürstentums Nassau-Siegen keine Gnade zu erwarten. Dort waren die Hochfürstlichen Heckenknechte und Jäger angewiesen, „diejenigen, welche etwa nach verübten Holtzschaden der pfändung entfliehen mögten und keinen stand halten wollten, ohne Ansehen zu erschießen“25. 1797 klagte die Berleburger Regierung beim Landdrosten und bei den Räten in Arnsberg über häufige Wilddiebereien durch Einwohner des Amtes Bilstein26: Man habe „die kräftigsten Gegenanstalten getroffen“, so „dass die betroffenen wilddiebe sich sogar des verlustes ihres Lebens dabei bloß stellen“. Pfarrer Johann Georg Arens aus Heinsberg warnte seine Schäfchen: „Stehlt kein Wild! – die Berleburger schießen euch todt!“

Mehrere freie Städte im Herzogtum beanspruchten und verteidigten nun allerdings mannigfache Jagdrechte ihrer Bürgerschaft.27 Namentlich für Rüthen wird von sehr weitgehenden Holz-, Hude-, Jagd- und Fischereirechten berichtet: „Während sonst die hohe Jagd nur dem Adel und den Landesherren zustand, besaß in Rüthen jeder Bürger das Jagdrecht. Er durfte jagen, wo und wie oft er wollte, und das erlegte Wild für sich verwenden. In der Regel fanden jährlich mehrere Treibjagden statt, an denen alle Bürger teilnehmen konnten.“28 Obwohl in den 1597 aufgezeichneten Freiheiten des Amtes Bilstein den Untertanen allenfalls die Jagd auf Füchse und Hasen zugestanden wird, betrachteten viele Bewohner noch um 1800 auch das Erlegen von Rehen oder sogar Hirschen als gewohnheitsrechtliche Angelegenheit29: „Der um sein alleiniges Jagdrecht besorgte Freiherr von Fürstenberg versuchte, die Einsassen, die in den Kirchspielen Heinsberg, Kirchhundem und Kohlhagen zur Jagd gingen, als Wilddiebe hinzustellen.“ Die Bewohner hielten ihre – keineswegs heimlich ausgeführte – Mitjagd schon deshalb für notwendig, um den Schaden an ihren Wiesen und Feldern in Grenzen halten zu können. Die Heinsberger beantworteten ein von den Kanzeln verkündetes Verbot des Freiherrn sogar damit, „dass sie nun gerade allesamt auf die Jagd gingen“.

Für exklusive Jagdprivilegien von ‚Edelherren‘ und daraus resultierende Nachteile gab es gegen Ende des Herzogtums Westfalen bei vielen Landeskindern offenbar kaum noch Verständnis. Eine kurkölnische Kommission zur Untersuchung der vom Wild angerichteten Flur- und Feldverwüstungen hatte schon 1735 die diesbezüglichen Klagen der Arnsberger Bürgerschaft als „völlig begründet“ erachtet30. 1794 schrieb auch die kurfürstliche Hofkammer von Brilon aus an den Landesherrn, Nachsicht gegen die vom Wild angerichteten Verheerungen in den Feldern der Untertanen passten nicht zu aufgeklärten Zeiten, sondern seien ein „Überbleibsel jener finsteren Ära, wo derlei Tiere zum Bedruck des Landmannes gemästet und Menschen wie Tiere behandelt wurden“31. Eine „Verzäunung der Waldungen“ war vorgesehen, und eine Verordnung des Kurfürsten Max Franz vom 30.4.1793 hatte in diesem Zusammenhang bestimmt, „dass die Jagdbedienten für den Schaden, der dem Landmann vom Wilde an seinen Früchten zugefügt würde, haften sollten“32. Die Waidmannslust lag somit bei den Herren oben, die Verantwortung für unerfreuliche Begleiterscheinungen wurde auf bedienstete, mit der Wildaufsicht beauftragte Untertanen abgewälzt.

Für eine Aufhebung des feudalen Jagdrechtes auf dem Grund bäuerlicher Landbesitzer haben sich Jahrzehnte später als Abgeordnete der Jurist Johann Matthias Gierse (1807-1881) aus Gellinghausen bei Meschede und auch der Kirchhundemer „Bauernadvokat“ Johann Friedrich Joseph Sommer (1793-1856) stark gemacht.33

Jagdschloss Herdringen vom Park aus gesehen, Ölgemälde um 1860 (Machahn, commons.wikimedia.org)

3.
WALDKONFLIKTE
AB DEM
19. JAHRHUNDERT

Während der kurzen Zeit der Zugehörigkeit des kölnischen Sauerlandes zu Hessen spricht der Großherzogliche Oberforstmeister v. Schwartzkoppen, Leiter des Forstkollegiums bei der Regierung Arnsberg, 1813 in einem Bericht von einer „ganz übertriebene[n] Wilderei, der man keine Schranken setzen“ könne.34 Eine interessante Schilderung für das frühe 19. Jahrhundert enthalten die „Lebenserinnerungen“ von Peter Lübke (1798-1874) aus Balve, die ein Sohn des Verfassers, der berühmte Kunsthistoriker Wilhelm Lübke, veröffentlicht hat. Darin findet man eine Passage, die letztlich nur als Hinweis auf Wilddieberei durch einen Förster gelesen werden kann. Lübke war im Dezember 1819 als Lehrer der Armeleutekinder nach Canstein gekommen, das übrigens später auch zum ausgedehnten „Wilderer-Revier“ des Hermann Klostermann gehörte. Er schreibt darüber: „Ich logierte, resp. speisete im ersten Jahre in dem Wirtshause, dessen Besitzer [...] gräflicher Förster war. Obgleich derselbe nun alles Wild, das er in der gräflichen Jagd schoss, abliefern musste, so ging er mit seinem Sohne im Winter zur Nachtzeit in’s Waldeckische, dessen Grenze von Canstein nur eine halbe Stunde entfernt war, und wo es von Hirschen und Rehen wimmelte. Aber nie kehrten sie zurück, [es sei denn] sie hatten einen Hirsch auf dem Schlitten, den sie zu diesem Zwecke mitgenommen hatten. Da gab es denn in diesem Wirtshause den ganzen Winter hindurch Wildbraten, mittags und abends vom Sonntage bis zum Samstage, so dass einem das fortwährende Essen von Wild zuwider ward und eine Mettwurst als Leckerbissen galt. Ein Pfund Hirschfleisch kostete 1 Silbergroschen, denn man hatte keinen Absatz dafür. Im Dorfe konnte niemand davon kaufen, weil dort gar kein Verdienst war. Ein Mann bekam täglich bei eigener Kost 3 Silbergroschen Tagelohn, eine Frau 1 ½, und doch fanden sie keine Arbeit. Das einzige Verdienst, was die Leute dort hatten, bestand darin, dass sie im Sommer Flachs zogen, diesen zu Garn spannen, das Garn zu Leinwand verwebten – in jedem Haus war ein Webstuhl – und die Leinwand nach Arolsen verkauften.“35

Erst nach der Revolution von 1848 wurde es so manchem bäuerlichen Landeigentümer – zumindest für eine kurze Zeit – möglich, auf eigenem Grund und Boden zu jagen. Das Jagdgesetz vom 31.10.1848 enthielt folgende Neuregelung: „(1) Jedes Jagdrecht auf fremdem Grund und Boden ist entschädigungslos aufgehoben. ... (4) Die Jagd steht jedem Grundbesitzer auf seinem Grund und Boden zu; mehrere Besitzer können ihre Grundstücke zu einem Gemeinschaftlichen Jagdbezirk vereinigen, aber niemand kann dazu gezwungen werden.“36 Freilich entfielen durch neue Rechtsbestimmungen im 19. Jahrhundert auch gewohnheitsrechtliche „Grauzonen“, auf die sich viele Bewohner zuvor beim Jagen berufen hatten.

Einen sozialgeschichtlich orientierten Überblick zum „Krieg im Wald“ im nördlichen Sauerland des 19. Jahrhunderts, der in diesem Buch ungekürzt nachzulesen ist (→II), hat Werner Neuhaus erarbeitet: Auf Seiten der Bevölkerung geht es um „freies Holz“, „freie Hude“ (Weidemöglichkeiten) und „freie Streu“ für das Vieh landarmer Beilieger und landloser Tagelöhner – sowie eben auch um „freie Jagd“. Die 1848er Revolution ruft die „Allendorfer Wilddiebe“ auf den Plan. Forstbeamte der Region sehen sich bedroht. In den Orten Meerhof und Oesdorf, die später zum „Klostermann-Revier“ gehören werden, stellt sich die Bevölkerung derweil in Verteidigung alter Holzrechte den Förstern des Königs entgegen. Im Amt Körbecke wird, ausgehend von Stockum, unter fröhlichen Jagd- und Wilddiebsgesängen eine regelrechte „Volksjagd“ mit fast hundert (!) beteiligten Schützen und Treibern abgehalten. Anschließend zieht die ‚revolutionäre Jagdgesellschaft‘ in einem Siegeszug durch das Möhnetal. Der Übermut macht sich jedoch am Ende nicht bezahlt. In Günne werden die mit Wild beladenen Leiterwagen von Förstern beschlagnahmt.

Auch im heutigen Kreisgebiet Olpe wirken die alten Konflikte nach37: 1840 bezweifelt man im Kirchspiel Oberhundem38 die „Rechtmäßigkeit des fürstenbergischen Jagdrechts“ und versucht vor Gericht nachzuweisen, „dass die Oberhundemer seit jeher ‚frank und frei‘ gejagt hätten“. Im Zusammenhang mit der 1848er Revolution berichtet der Gendarm Weber aus Bilstein: „Unter den Ortschaften zeichnet sich vorzüglich Heinsberg, worin mehrere sehr gefürchtete Wilddiebe wohnen, aus, die öffentlich und ohne Scheu ihre bösen Absichten laut werden lassen, das Publikum in Angst und Schrecken setzen und in Verbindung mit anderen Wilddieben anderer Orte die Polizeiverwaltung und Kommunalkasse in Kirchhundem, dann die Adolfsburg zu Oberhundem stürmen und zu berauben drohen.“

Nach Mitteilungen seines verstorbenen Vaters hat der Förstersohn Theodor Leiße 1913 einen Bericht über die „Jagd auf dem Arnsberger Walde im 19. Jahrhundert“ zusammengestellt. Darin findet man auch Auskünfte zur Wilderei bald nach 1848: „Mit der unbeschränkten Ausbreitung der Feuerwaffen steigerte sich auch bei den Wilddieben Lust und Liebe zum Jagen, die, in großen Banden vereinigt, den Arnsberger Wald unsicher machten. [...] Eine ganz gefährliche Wilddiebsbande bildete sich in Hirschberg unter ihrem Anführer Puppe gen. Blütgen (unterstützt von drei Söhnen des Ortsdieners Schmitz und verschiedenen Hirschbergern), denen sich Wilddiebe aus den benachbarten Ortschaften Dinschede, Glösingen und Arnsberg anschlossen, so letztere nicht vorzogen, auf eigene Faust zu jagen. Diese zügellosen Wilddiebsbanden bereiteten meinem Vater manche schlaflose Nacht, und er kam auf den Gedanken, dem Anführer der Bande, Blütgen, mit Genehmigung des Herrn Hammacher den Wildschutz zu übertragen.39 Blütgen nahm den Posten an. Bei seinen bisherigen Kumpanen erregte dieser Schritt Blütgens zwar Furcht und Schrecken, gleichzeitig hatte er sich bei diesen auch unbeliebt gemacht, so dass er ihre Rache zu fürchten hatte. Blütgen, mit allen Schlichen und Wegen der Wilddiebe vertraut, machte es sich [...] zur Aufgabe, den Wilddieben das Handwerk zu legen. Dieses energische Vorgehen gegen die Wilddiebe von Seiten ihres früheren, bewährten Führers gab auch den benachbarten Forstschutzbeamten einen Ansporn zu gleichem Tun und trug bald gute Früchte. Besonders zeigte sich dieses im Anfange der achtzehnhundertsechziger Jahre in den Jagden des Herrn Hammacher in der Syringer, Delecker und Körbecker Jagd, die sich von Jahr zu Jahr hoben.“40 Zur zeitlichen Einordnung der lokalen Wilderer-Szene liest man jedoch an anderer Stelle: „So hat es im ausgedehnten Arnsberger Wald, also auch in den Donner’schen Besitzungen, nach 1860 lange Jahre eine gefährliche Wildererbande aus Hirschberg gegeben.“41

Ein ungewöhnlicher Familienchronik-Bericht handelt von dem mutmaßlichen Wilderer Heinrich Lübke (1861-1922) aus Affeln. Über diesen schreibt ein Enkel: „Nach den Erzählungen meines Vaters muss Großvater in seiner Jugend sehr arm gewesen sein. Schon früh war er Waise und musste sich seinen Unterhalt bei Leuten im Dorfe Affeln verdienen. So kam er auch schon mit 1213 Jahren zu fremden Leuten ins Lennetal nach Plettenberg-Ohle. Nach den Worten meines Vaters hat Großvater immer davon geschwärmt, dass er sich hier zum ersten mal so richtig hat satt essen können, und zwar oblag ihm die Pflege von ein paar riesigen Doggen, die einem Fabrikanten gehörten. Diese wurden mit reichlich Fleisch und Speck gefüttert, und dabei sortierte mein Großvater, was für ihn und was für die Hunde abfiel. [...] Großvater war so ganz mit der Natur verbunden. [...] bei dem oben erwähnten Fabrikanten muss er das Jagen erlernt haben. Hiervon scheint er von einer wahren Leidenschaft erfasst gewesen zu sein, die er in seinem ganzen Leben nicht mehr verlor. Er wurde ein Meister unter den Wilderern. Er verstand es vortrefflich, Lockpfeifen aus Holz mit ganz dünnen Membranen herzustellen. Hiervon bewahrte mein Vater früher noch immer ein riesiges Sortiment auf. Mit diesen Lockpfeifen holte er jedes Wild aus den Büschen, und es war ihm dann ein Leichtes, sich das Beste herauszusuchen. Seine Flinten bastelte er sich ebenso wie Pulver und Kugeln selber. Diese Flinten baute er sich als Stockflinten aus, die von einem derben Spazierstock nicht zu unterscheiden waren. Solche sichergestellten Stockflinten meines Großvaters, die noch auf dem Boden des damaligen Amtsgerichtes in Balve lagen, konnte uns der Vater meines Freundes, Amtsgerichtsrat Börger, als Kinder noch zeigen. – Wie ein richtiger Wilderer konnte Großvater auch mit allen Arten von Fallen umgehen. Nach seiner Plettenberger Zeit trat er als Jagdaufseher in die Dienste des Fabrikanten Schiewindt, der in Bärentrop bei Neuenrade ein größeres Gut hatte. [...] Mit den dort ersparten Mitteln kaufte er sich ein Haus in Balve in der Nasenecke direkt neben Tönnen Peters Haus. – Das Jagen empfand Großvater nie als Privileg einiger weniger, und so gab es in Balve dann auch prompt Ärger. Doch alles Schimpfen und Mahnen der Pastöre und der Obrigen, die er dann später auch nicht mehr ausstehen konnte, weil sie ihm den besseren Braten in der Pfanne, wie er sagte, nicht gönnten, konnte seine Leidenschaft zum Wildern nicht eindämmen. So machte man in Balve auch wohl das einzig Richtige: man stellte meinen Großvater als Flurschützer für die Gemarkung Balve ein. Nun konnte er nach Leidenschaft jagen und Pflanzen veredeln.“42 Der hier vorgestellte Stockflintenschütze war übrigens ein Enkel von Johann Bernhard Lübke (1796-1853), dem ältesten Bruder des oben genannten Lehrers Peter Lübke (1798-1879).

Zum Teil sehr kuriose Ereignisse aus den Wäldern um Letmathe hat Günter Opalka nach Akten der Rentei von Haus Letmathe dokumentiert43: Am 31.1.1878 zeigt Waldwärter H. Mark dem Landrat Carl Overweg an, der Gutsbesitzer Ferdinand Wortmann, genannt Schulte zu Schelk, habe in Overwegs Pacht mit Hunden die Jagd ausgeübt und einen Hasen geschossen44. Vor Gericht erfolgt ein Freispruch. Wortmann sei aufgrund eines zusammenhängenden Grundbesitzes von über 300 Morgen jagdberechtigt und habe den Hasen auf seinem eigenen Grund und Boden geschossen. – Im Jahr 1893 steht Gerhard van den Heuvel als Jagdaufseher im Dienst des Geheimen Oberregierungsrates Overberg in Münster, der Herr von Haus Letmathe ist. Der Jagdbedienstete meldet seinem Arbeitgeber am 8.12.1893 große Erfolge beim Schutz der gepachteten Jagd. Er hat nämlich – möglichst heimlich – schon 21 fremde Jagdhunde erschossen: „Die Jagdnachbaren können sich noch gar nicht daran gewöhnen, das[s] sie ihre Hunde aus unserem Revier fernhalten sollen. [...] Bis jetzt sind 21 Hunde in unserem Revier erschossen.“45 Einige Hundehalter, darunter auch Gutsbesitzer Ferdinand Wortmann, klagen nicht ganz ohne Erfolg auf Schadensersatz. – Am 11.10.1893 gelingt es van den Heuvel, „einen frechen Holzdieb abzufassen, auf den ich schon lange gelauert hatte. Es ist der Fabrikarbeiter Pick aus Letmathe. Derselbe hat mehrere trockene Kiefern-Stämme abgehauen. Ich habe das Beil beschlagnahmt und die gerichtliche Strafe wird ihm nicht ausbleiben“46. – Ende 1897 stellt der eifrige Forstaufseher „einen Wilderer in der Person des Waldarbeiters W. Rinke“, der auf einen Hasen geschossen hat47. Der Arbeiter wird entlassen und bei Gericht mit 50 Mark Geldstrafe belegt. Sein Hund und sein Gewehr werden eingezogen. – Im Januar 1898 ertappt van den Heuvel gleich drei mutmaßliche Wilddiebe im Letmather Jagdbezirk: die Fabrikarbeiter Altendahl, Zurnieden und Honsmann aus Oege bei Hohenlimburg. Zurnieden wird nach Klageerhebung freigesprochen. Die beiden anderen werden „zu je 60 Mark Geldstrafe und Einbeziehung des Hundes u. Gewehres verurtheilt“48. – Am 23.9.1898 gelingt es van den Heuvel noch einmal, „einen Wilderer in der Person eines hiesigen Schreinermeisters, Namens Engelbert [...] abzufassen“49.

Für das 19. Jahrhundert sind neben der schon vermerkten Verbreitung neuer Feuerwaffen auch immer mögliche Zusammenhänge mit dem Soldatenwesen, der Militarisierung der Gesellschaft und Preußens Kriegspolitik mit zu bedenken.50 (Ex-Militärs und Kriegsveteranen traten als Wilderer hervor; ausgediente Militärangehörige wurden bei Bewerbungen um Förster- und Forstaufseher-Stellen bevorzugt; in hartnäckigen Fällen kam bei der Verfolgung von Wilddieben auch das Militär zum Einsatz.51) Das Thema „Wilddieberei“ war, wie wir noch sehen werden, hernach im 20. Jahrhundert keineswegs erledigt. Jeweils nach beiden Weltkriegen, in denen die Herrschenden das ganze Volk zu den Waffen gerufen hatten, und auch zur Notzeit der späten Weimarer Republik erlangte es besondere Bedeutung. Vermutlich besaßen bereits die sozialen Konflikte im Zusammenhang mit den berüchtigten „Anröchter Bombenleger“, die zwischen 1908 und 1912 eskalierten, ursprünglich auch eine Wurzel in Wilddieberei.52 Der 1904 nach Anröchte gekommene Amtmann Stennes hatte es sich zum Ziel gesetzt, die verbreitete Wilderei energisch zu bekämpfen. Auf der Gegenseite standen insbesondere junge Steinbrucharbeiter aus Anröchte und Klieve.

Martin Vormberg, der allerdings mit einer erheblichen Dunkelziffer rechnet, teilt zum „Wilddieberei-Strafregister“ der Amtsverwaltung in Kirchhundem mit: „Von 1921 bis 1947 wurden insgesamt 90 Bestrafungen eingetragen. Die meisten Verurteilungen erfolgten 1922 mit 12, 1927 mit 10 und 1931 mit 15 Fällen. 1932 kam es zu 7 und 1935 zu 5 Bestrafungen. [...] An der Spitze steht dabei Oberhundem mit 19 Bestrafungen, gefolgt von Heinsberg (17), Milchenbach (15) und Saalhausen53 (14). Die anderen Wilddiebe kamen aus den Orten Albaum, Gleierbrück, Herrntrop, Kirchhundem, Langenei, Lenne, Rinsecke, Stelborn, Varste und Würdinghausen.“54

SS-Oberführer Oskar Dirlewanger im Jahr 1944 (Bundesarchiv, Bild 183-S73495 / Anton Ahrens / CC-BY-SA 3.0)

Im nationalsozialistischen Deutschland wurden Wilderer einerseits unerbittlich verfolgt als ‚asoziale Feinde der Gesellschaft‘, andererseits aber auch – im Fall von waffenerprobten „Kugel-Wilderer“ – zur „Bewährung“ an die Kriegsfront geschickt oder ab 1940 zu unvorstellbar grausamen Mordaktionen in eine von Oskar Dirlewanger geführte SS-Sondereinheit kommandiert.55

Über etwaige besondere sauerländische Entwicklungen im Bereich der Wilddieberei während der Jahre 1933-1944 kann ich hier auf der Grundlage weniger Einzelnachrichten keine Aussage treffen.

Im Oktober 1938 fanden zwei Wanderer einen Maurer aus Neheim liegend im Moosfelder Wald und glaubten, da der Mann „zur Jagd ausgerüstet“ war, es liege ein Jagdunfall vor.56 Es stellte sich aber heraus, dass der Mann einen Rausch ausschlafen wollte: „Bei einer Hausdurchsuchung wurden weitere Waffen gefunden. Laut Aussage einer Hausbewohnerin hätte der schon lange der Wilderei verdächtige sehr lange nicht mehr gewildert. Da man ihm die Wilderei nicht nachweisen konnte, wurde das Verfahren eingestellt und sein Vater wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Strafe von 10 Reichsmark, ersatzweise 2 Tagen Gefängnis verurteilt.“ Der Revierförsteranwärter Karl-Heinz Düssel erwischte am 10.1.1944 – ebenfalls im Moosfelder Wald – „zwei Personen, welche anscheinend mit dem Schlingenaufstellen beschäftigt waren“ und entkommen konnten.57 Im Bereich der Amtsverwaltung Kirchhundem wurde 1943 ein „französischer Zivilarbeiter“ wegen eines Jagdvergehens zur Rechenschaft gezogen.58

Ein eindrucksvolles Zeugnis zu den Verhältnissen nach dem zweiten Weltkrieg findet man in der 2011 veröffentlichten Autobiographie „Was bleibt“ des aus einer Freienohler Handwerkerfamilie stammenden Künstlers, Architekten, Großunternehmers und Stifters Carl Richard Montag (Jahrgang 1929). Nach dem Krieg träumte der junge Sauerländer von einem Künstlerleben: „Doch fürs Erste bestimmte der tägliche Kampf um Nahrung unseren Alltag. Fast die gesamte deutsche Bevölkerung beschäftigte in der Nachkriegszeit vor allem die Sorge um die eigene Existenz. Wohnungen waren Mangelware und die täglichen Lebensmittelrationen lagen noch unter denen der Kriegszeit. Viele Menschen hungerten. Und einige griffen in ihrer Not zu Mitteln, die alles andere als legal waren. Ich muss es leider gestehen, mein Vater und ich gehörten einer ‚Bande‘ von Wilddieben an. Bei diesen ‚Dieben‘ handelte es sich um eine Gruppe von Freunden, alles passionierte Jäger. Es war die Zeit, in der altes Recht nicht mehr galt und die Besatzungsarmeen für Ordnung sorgten. – Nach der Kapitulation wurde die Bevölkerung dazu aufgerufen, sämtliche Waffen abzuliefern – also auch Jagdgewehre. Mein Vater und seine Freunde taten das genaue Gegenteil. Sie beschafften sich eine Repetierbüchse und zwei Kipplaufwaffen mit den dazugehörigen Patronen und versteckten diese im dichten Unterholz der Giesmecke. Zu Beginn unserer verbotenen ‚Jagden‘ stand ich Schmiere, passte also auf, ob sich Fußgänger auf den Waldwegen näherten. Später war ich dann gleichberechtigt mit von der Partie. Zur Hauptaufgabe meiner Lehrlingszeit gehörte auch die Observation des Forsthauses. Der Förster hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, von Zeit zu Zeit in seinem Forsthaus im Wald feuchtfröhlich zu feiern. Das hieß für uns, ‚die Situation ist günstig‘. Ich sollte dann den in diesem Moment wenig dienstbeflissenen Lebemann durchs Fernrohr im Blick behalten, um zu sehen, ob er die Schüsse meiner ‚Bandenmitglieder‘ gehört hatte und sie gegebenenfalls warnen. Ich werte es als einen Beleg für die Lebensfreude des Beamten, dass dies nie nötig war. – Ein Vorfall blieb mir besonders im Gedächtnis. Philipp, ein Freund meines Vaters, hatte einen Hirsch erlegt. Es war ein Achtender vom zwölften Kopf. Mein Vater überreichte ihm den Bruch, einen ziemlich groß geratenen Eichenzweig. Der Hirsch wurde waidgerecht aufgebrochen und versorgt. Der etwa 150 Kilogramm schwere Wildkörper wurde mittels einer Stange vorne und einer hinten von uns als Viererbande, zu der ich gehörte, bis zum Waldrand, in der Nähe des Dorfes, getragen. Den weiteren Transport bis zu meinem Elternhaus musste ich dann alleine übernehmen, und zwar mit einer Zweiradkarre, die mit Tannengrün verkleidet war und in die der Hirsch eingebettet wurde. Das Besondere war die Tarnung dieses ebenso heiklen wie verbotenen Transportes. Wir benutzten dazu das nahestehende Wegkreuz, hängten den ‚Herrgott‘ ab und verbargen darunter den Hirsch. Damit sollte der Eindruck erweckt werden, ich brächte das Kreuz zu ‚Restaurationszwecken‘ in die Malerwerkstatt meines Vaters. Der Transport gelang, obgleich ich nicht gemerkt hatte, dass währenddessen jede Menge Blut des toten Tieres von der Karre getropft war. Die verräterische Spur wurde Gott sei Dank nicht bemerkt, obgleich sie noch tagelang auf dem Weg sichtbar blieb. – Zu unserer Ehrenrettung sei erwähnt, dass wir uns niemals unmäßig bereicherten. Wir jagten Wild nur dann, wenn unsere Familien hungrig waren. Zudem führten wir unsere illegale Tätigkeit ausnahmslos nach den bekannten Regeln des Waidwerks durch, unter Beachtung der Jagd- und Schonzeiten. Eines gebe ich unverhohlen zu: Ab diesem Zeitpunkt war meine Jagdleidenschaft geweckt, die in späteren Jahren zu einem eigenen Revier führte, für dessen Betreuung ich nunmehr [2011] seit über fünfzig Jahren verantwortlich bin.“59

Für die Jahre 1945-1947 vermerkt Josef Pollmann in einem Beitrag zur Jagdgeschichte des Arnsberger Raumes: „[I]m Grunde war nach Kriegsende jeder froh, wenn er irgendwie überlebte. Und sei es durch Wilderei oder Holzdiebstahl.“60 Die ehemaligen Zwangsarbeiter waren also keineswegs die einzigen in der Landschaft, die direkt nach Kriegsende auf irregulären Wegen das Lebensnotwendigste organisierten.61 Auch Soldaten des englischen Militärs übten sich darin, den Wildbestand des Sauerlandes zu verkleinern.62 „In Warstein-Hirschberg kam es in den 1950er und 1960er Jahren zu Exzessen der Wilddieberei, die ein gerichtliches Nachspiel hatten.“63

Je näher entsprechende Vorfälle an der Gegenwart liegen, desto stärker wirkt die – ohnehin oft über Generationen gewahrte – Tabuisierung. Am 3. Mai 2013 schrieb mir z.B. ein Heimatforscher aus dem oberen Sauerland: Bei uns sind „seit dem 19. Jahrhundert keine Todesfälle durch Wilddieberei zu verzeichnen, gleichwohl Wildfrevel stattgefunden und es auch gerichtliche Verurteilungen gegeben hat. Wegen im Dorf noch lebender Täter und Angehöriger möchte ich darüber aber nicht recherchieren.“

Interessant wären nun noch Antworten auf die Frage, was Kriminalpolizei, Förster und Lokalzeitungsredakteure des Sauerlandes über Fälle von Wilderei in der jüngsten Vergangenheit mitzuteilen wissen. Claudia Pape, Ortsheimatpflegerin von Medebach-Titmaringhausen aus der alten Freigrafschaft Düdinghausen, schreibt im Jahr 2013: „Die Titmaringhäuser sollen die Wilderei besonders schlimm betrieben haben. Noch heute gilt der Ort im Umkreis als der Wildererort. Bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde arg gewildert, und man soll es kaum glauben: sogar im Jahr 2011/12 standen ‚wir‘ mehrmals wegen Willderei in den Zeitungen“64. Im Juni 2013 veröffentlichte die Kreispolizeibehörde Hochsauerlandkreis unter der Überschrift „Verdacht der Jagdwilderei“ folgende Meldung mit der Bitte um sachdienliche Hinweise: „Hallenberg-Braunshausen (ots) – Am Dienstag, 11.06.2013, gegen 22:20 Uhr stellte ein Jagdaufseher ein Mündungsfeuer und einen Schuss von einem Hochsitz in der Gemarkung ‚Vor der Wasserlehne‘ in Braunshausen fest.“ Am 7. Oktober 2015 meldete Radio Sauerland: „Die Polizei ermittelt in Marsberg wegen Tierquälerei und Wilderei. Ein Förster hatte ein verletztes Reh mit gebrochenem Hinterlauf und einer Metallschlinge um den Hals entdeckt. Offensichtlich habe jemand in dem Waldstück eine Falle für Wildtiere gebaut, heißt es von der Polizei. Der Jäger musste das verletzte Tier erschießen. Tierquälerei wird mit bis zu einem Jahr Gefängnisstrafe geahndet.“65 Die ‚Berliner Morgenpost‘ wollte am 15. Februar 2017 sogar ein ernsthaftes „Wilderei-Problem“ im Lande ausmachen: „Ob im Sauerland, im Harz oder im Thüringer Wald: Die modernen Wilderer kommen häufig in der Nacht und mit dem Auto. Mit starken Scheinwerfern blenden sie das Wild, dann schießen sie. Um nicht aufzufallen, benutzen sie relativ leise, kleinkalibrige Waffen – oder Armbrüste, denn die kann jedermann frei erwerben. Die Tiere werden davon oft genug nur verletzt, flüchten und verenden Tage oder Wochen später.“66

Für Menschen, die am Thema interessiert sind, verspricht ein touristisches Werbeblatt in der Region Medebach-Hallenberg folgendes ‚Walderlebnis‘: „Wilddieberei und Förstermorde – spannende Geschichte(n) im Wald spielend erleben.“67

Oben: Hubertusjagd Wenholthausen im Jahr 1900. Unten: Gruppenbild nach Geflügeljagd (Archiv Museum Eslohe)

4.
TÖDLICHE GEWALT
GEGEN
FÖRSTER IN DER REGION

Im Zusammenhang mit dem illegalen Jagen und anderen Waldvergehen haben immer wieder Menschen ihr Leben lassen müssen, wovon die einschlägige Regionalliteratur bislang nur ein unzureichendes Bild vermittelt.68 An dieser Stelle vermag ich auf der Grundlage einer Rundfrage bei sauerländischen Heimatforschern und Genealogen einige Ergänzungen vorzunehmen, doch eine umfassende Forschungsarbeit unter Berücksichtigung privater, kirchlicher und staatlicher Archivbestände – nebst einer systematischen Auswertung von alten Kreiszeitungs-Jahrgängen und Jagdzeitschriften – steht weiterhin noch nicht zur Verfügung.

Ein Gesichtspunkt, den ich hier nicht tiefer beleuchten kann, sei vorab zumindest erwähnt: Viele Forstbeamte kamen aus einer militärischen Laufbahn (ehemalige Unteroffiziere mit einem „Zivilversorgungsschein“ wurden bei der öffentlichen Stellenvergabe stets bevorzugt). Viele Wilddiebe hatten ihr Waffenhandwerk ebenfalls im Krieg erlernt. Man kann in diesem Zusammenhang wohl kaum ignorieren, dass es der Militärapparat ist, der im Großmaßstab natürliche Tötungshemmungen abbaut und Menschen systematisch dazu drillt, geradezu reflexartig auf andere Menschen zu schießen. Neben diesen Zusammenhängen wird das offenkundigste Problem beim Zusammenstoß von Förstern und Wilddieben leicht übersehen: das Zuhandensein der Schusswaffe. Carl Friedrich von Weizsäcker meint: „Der Mensch ist von Natur kein Raubtier. Er könnte seinesgleichen ohne Waffen nur schwer töten. Eben darum ist er von Natur fast hemmungslos, wenn er Waffen erfindet. Die Ethik der Waffe, die Ethik der Macht über unseresgleichen ist das Problem der Menschwerdung.“69

Zunächst richten wir den Blick auf die Gewalt gegen Forstbedienstete. Wer zur Erkundung des Gesamtphänomens das dreibändige Standardwerk „Wilddieberei und Förstermorde“ (1929-1931) von Otto Busdorf zur Hand nimmt, ist gut damit beraten, die nicht mit Quellennachweisen versehenen Darstellungen dieses später zu den Nationalsozialisten übergelaufenen Kriminalisten kritisch zu überprüfen und auch weniger parteiische (bzw. weniger tendenziöse) Darstellungen heranzuziehen.70 Wohl in den meisten dokumentierten Fällen sind getötete Hüter des Waldes Opfer von Mördern, die erwerbsmäßig und regelmäßig auch im Rahmen von kriminellen Netzwerken der Wilderei nachgehen. Indessen gibt es auch den kleinen Wilddieb, der bei seiner Entdeckung in Schrecken gerät und sich dann unversehens innerhalb jener Gewaltspirale bewegt, die durch die Frontstellung von zwei bewaffneten Parteien entfesselt wird. Sehr viele Förstermorde, darin stimmen so unterschiedliche Autoren wie Otto Busdorf und Herbert Wotte überein, hätten vermutlich durch eine bessere Aufklärung und Schulung der Beamten verhindert werden können. Manche Opfer waren sogar kriegsgestimmte Wilddiebjäger, die sich durch vorlautes und unbesonnenes Draufgängertum selbst in Gefahr brachten.

Für das 19. Jahrhundert liegen statistische Auswertungen im Großmaßstab vor, worauf mich Werner Neuhaus aufmerksam gemacht hat. Zunächst gibt es Zahlen für die „Tödtungen und Verwundungen“ in den preußischen Staatsforsten bis 186571: In den Jahren 1818-1836 sollen durchschnittlich pro Jahr 2 Forstbeamte durch Wilddiebe und Holzfrevler getötet worden sein. Zwischen 1837 und 1865 wurden dann insgesamt 47 Forstbeamte getötet, 138 schwer verwundet und 63 leicht verwundet. – Auf Seiten der Wild- und Holzdiebe werden für 1837-1865 folgende Zahlen genannt: 56 Tote bei „gerechtfertigtem Waffengebrauch“ (zugleich 81 schwer und 118 leicht Verwundete); 22 Tote bei „nicht gerechtfertigtem Waffengebrauch“ (zugleich 59 schwer und 96 leicht Verwundete). In 29 Jahren waren somit 47 tote Forstbeamte und 78 tote Walddiebe zu beklagen (bei insgesamt 432 Gewaltvorfällen).

Diese von Otto von Hagen vorgelegte Übersicht hat K. Donner in einer zweiten Auflage der Darstellung „Die forstlichen Verhältnisse Preußens“ für die Jahre bis 1880 ergänzt72: Zwischen 1866 und 1880 sind demnach durch Wilddiebe und Forstfrevler vom „Forstschutz-Personale“ 31 getötet, 59 schwer verwundet und 15 leicht verwundet worden. Im gleichen Zeitraum gab es auf Seiten der Wilddiebe und Holzfrevler: 46 Getötete (in 7 Fällen aufgrund von „ungerechtfertigtem Waffengebrauch“), 45 schwer und 54 leicht Verwundete. Bei den Todesfällen überwiegen hier zahlenmäßig immer noch 46 Walddiebe gegenüber 31 Forstschützern; der Abstand zwischen beiden Opfergruppen hat sich von 62,4 : 37,6% (1837-1865) auf 59,7 : 40,3% (1866-1880) nicht gravierend verringert.

Für einen späteren Zeitabschnitt bietet Herbert Wotte – ganz ohne konkrete Quellenangaben – folgende Informationen an, die für sich genommen auf mehr Todesopfer bei den Forstbediensteten hinweisen: „In dem Jahrzehnt von 1899 bis 1908 wurden nach einer [welcher?] amtlichen Statistik allein in Preußen bei bewaffneten Zusammenstößen 13 Forstbeamte und 11 Wilderer getötet, 17 Förster und 39 Wilddiebe und Forstfrevler verwundet. Für das ganze Deutsche Reich registriert ein amtlicher Bericht über die Zeit vom 1. Oktober 1925 bis 30. September 1926, also in einem einzigen Jahr, 576 Zusammenstöße zwischen Förstern und Wilderern, dabei wurden 24 Beamte und 18 Wilderer getötet, 23 Beamte und 31 Wilderer verletzt. In den ersten Jahren nach 1918 waren die entsprechenden Zahlen noch bedeutend höher.“73 – Über „Anfälle auf Gemeinde- und Privatforstbeamte durch Wilderer“ zwischen 1919-1931 – also während der Weimarer Zeit – gibt es im Landesarchiv für Westfalen einen eigene Akte74, die ich für die nachfolgende Darstellung allerdings – aufgrund begrenzter Arbeitsmöglichkeiten – noch nicht heranziehen konnte.

Ludger Büngener aus Kirchrarbach teilt zum frühesten hier anzuführenden Todesfall mit: „In der Pfarrchronik Kirchrarbach findet sich unter dem Jahr 1801 mit der Randbemerkung ‚N. 79 Todt des kurfürstlichen Jägers Johan Trompeter aus Meschede‘ folgender Eintrag: ‚Am 7ten May wurde der in Meschede angestelte khurfürstl. Jäger Joan Trompetter, ein ganz brafer Mann von den Wilddieben auf dem Mescheder Walde erschossen.‘ Im Jahr 1795 war das Pastorat in Kirchrarbach mit allen Kirchenbüchern abgebrannt. P. Odilo Girsch OSB, der von 1801 bis 1806 und nochmals von 1822 bis 1825 Pfarrer in Kirchrarbach war, begann 1822 eine neue Chronik und hat sich darin schwerpunktmäßig mit der Beschreibung und Darstellung der von ihm erlebten Jahre ab 1785 beschäftigt. Derselbe Eintrag wie in der Pfarrchronik befindet sich auch in seinem Tagebuch, welches sich im Pfarrarchiv Kirchrarbach befindet und im Jahr 2009 von Alfred Bruns bearbeitet und herausgegeben wurde.“75

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