Alle Rechte liegen bei der Autorin.
©Susanne Hottendorff
www.susanne-hottendorff.com
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Herstellung und Verlag:
Books on Demand GmbH, Norderstedt
Printed in Germany
ISBN: 978-3-748134-85-5
MUT steht am Anfang des Handelns,
Glück am Ende!
Demokrit
Griechischer Philosoph
460 v.Chr.
Ich heiße Martina Frantz und bin 1953 in Hamburg geboren. Meine erste Ehe lief nicht so gut, bis auf die beiden Kinder. Sie sind mein ganzer Stolz und mein Leben. Auch während und nach meiner Scheidung gaben mir meine beiden Kinder Halt und Zuversicht. Irgendwann kam dann ein kleiner heller Strahl vom Himmel und traf mich mitten ins Herz. Es war Bernd. Wir verliebten uns, schneller als ich dachte. Überhaupt konnte ich mir damals gar nicht vorstellen, dass ich noch einmal ein solches Glück mit einem Mann haben sollte. Wir heirateten und suchten für unsere kleine Familie ein Zuhause. Als Nordlicht wollte ich auch im Norden Deutschlands bleiben. Ob es Zufall oder Bestimmung war, keine Ahnung. Wir landeten in Heide und kauften uns dort ein sehr schönes und repräsentatives Einzelhaus. In der ruhigen Ecke der Stadt, dort wo nicht immer Scharen von Touristen auf der Suche nach dem großen Marktplatz sind!
Meine Kinder waren nun wieder in einer richtigen Familie – Vater und Mutter gehörten einfach dazu. Die Erinnerung an meinen ersten Mann und ihren Vater verblasste immer mehr. Dieses war mir für die beiden Kinder wichtiger als für mich. Ist es nicht immer so, dass Mütter immer zuerst an ihre Kinder denken?
Bevor ich weiter schreibe, frage ich mich gerade: Warum schreibst du das alles auf? Früher dachte ich immer, man schreibt seine Memoiren erst, wenn man alt ist, wenn man öfter sagt: früher, als ich noch jung war. Und wenn die Zeit, die vor einem liegt, kürzer ist als die Zeit, die hinter einem liegt. Ich habe jedoch für mich entschieden, ich fange jetzt einfach mal an. Es ist sicherlich auch, damit ich mich selbst besser fühle. Und auch, damit ich verarbeiten kann, was mir täglich widerfährt, damit ich besser mit all dem umgehen kann, was nun täglich passiert und was vielleicht noch passieren wird! Wer kennt schon seine Zukunft?
Ich steh auf alle Fälle an einem Wendepunkt meines Lebens. Wie dicht diese Kehre ist, entzieht sich heute noch meinem Wissen. Ich fange ja gerade erst an zu schreiben, warten wir also ab, was die Zukunft bringt! Oft gehen mir Gedanken durch den Kopf, die mich zweifeln lassen. Ja, ich habe Zweifel an mir selbst. Vielleicht bin ich ja selbst für das Alles verantwortlich? Bin ich schuld oder ist es Bernd? Sind es vielleicht auch nur die Umstände? Oder ist es einfach das Leben, das mir dieses vorschreibt? Freunde und Bekannte erklären mir immer wieder, ich sei so, wie ich bin, total in Ordnung! Dann kommt oft: Du bist doch nicht umsonst so erfolgreich! Mach dir nicht immer Gedanken darum, was hätte sein können, was wäre wenn, oder was wäre, wenn nicht!
Also kehren wir zurück zu mir und zu meinen Kindern. Dann strahle ich und bin glücklich. Mein Großer, also Sebastian, ist heute schon Mitte Dreißig. Er ist erwachsen und steht mitten im Leben. Ein selbstbewusster Mann mit Charme, Charisma und einem großen Packen Selbstvertrauen. Diese Kombination sollte ihn gut durch sein Leben kommen lassen. Seine Schwester Lydia hat es oft schwer, aber auch sie lebt ihr Leben. Sie haben die Trennung von meinem ersten Mann gut verarbeitet und trauern ihm nun auch nicht mehr nach. Das war natürlich nicht immer so. Kinder können nicht immer verstehen, warum sich Eltern trennen. Irgendwann einmal, wenn ihr beiden älter seid, dann werdet ihr es auch verstehen. Ich bin mir da ganz sicher. Hätte ich damals allerdings gewusst, wie es mir in meinem Leben so weiter ergehen würde, vielleicht hätte ich mich dann nicht getrennt. Weg mit diesen Gedanken. Sie führen zu nichts. Die Ehe ist geschieden und es lange her.
Mitte der Siebziger kam Bernd in mein Leben. Es war nicht geplant, ich habe nicht nach ihm gesucht. Er war einfach da. Er kam, sah und siegte! Und ich? Ich suchte Streicheleinheiten. Ich suchte Zuspruch und Liebe. Aber ich suchte keinen Mann. Das ist ganz klar, ich erwähne es nur noch mal, damit ich es mir ganz bewusst machen kann. Ich mache das immer wieder. Es ist wichtig. Sonst könnte ich das, was danach kam und was noch kommen wird, nicht ertragen. Ich habe es so gewollt. Ich habe mich ganz freiwillig für Bernd entschieden. Er hat es mir ganz leicht gemacht. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Bernd so ganz anders ist, als es mein erster Mann war. Bernd ist ein ganzer Kerl. Er steht mit beiden Füßen fest auf dem Boden. Er weiß, was er will. Er tut, was ein Mann tun muss. Da gibt es keine Zweifel, kein Zögern. Bernd macht einfach. Bernd ist zwölf Jahre älter als ich. Zwölf! Was sagt uns diese Zahl? Zwölf Monate hat das Jahr. Zwölf Stunden der Tag und zwölf Stunden die Nacht. Ich habe immer gewusst, Bernd ist mein ganz persönliches Schicksal. Das kann man nun so oder so sehen. Wer weiß schon, was ihm die Zukunft bringt? Keiner. Vielleicht, nein ganz bestimmt, ist das auch gut so. Und ich hätte es sicherlich aus damaliger Sicht genauso gemacht, wie ich es machte. Ich verliebte mich in Bernd. Niemand ahnt, was aus einer Liebe, aus einer Beziehung oder aus einer Partnerschaft wird. Ich also auch nicht.
Ich entschloss mich jedenfalls 1974 Bernd zu ehelichen. Die erste Zeit war etwas ganz besonderes. Bernd kümmerte sich rührend und sehr liebevoll um meine beiden Kinder. Niemand hätte bemerkt, dass er nicht ihr Vater war. Sebastian machte es Bernd nicht wirklich leicht. Lydia strahlte dagegen, wenn sie ihren Paps sah. So nannte sie Bernd schon nach kurzer Zeit. Ich war sehr froh, dass die beiden ihren „neuen Vater" so akzeptierten. Ich wollte schon noch ein weiteres Kind. Bernd stimmte weder zu noch sagte er etwas dagegen. Wir ließen es einfach und unausgesprochen auf uns zukommen. Vielleicht dachte Bernd auch, er sei zu alt für ein eigenes Kind. Und die Geschäfte ließen ihm auch wenig Zeit. Bernd führte sein Geschäft in Heide und ich half, wo ich konnte. Aber, die Geschäfte liefen schlecht. Es blieb immer weniger übrig. Am Monatsende machte ich einen genauen Plan, wie viel Geld ich ausgeben konnte. Anfang der Achtziger drohte die Pleite. Wir überlegten, was zu tun sei. Der Steuerberater hatte jede Menge Ideen, die Umsetzung traf Bernd mit voller Kraft. Der Vorschlag, mir die Firma zu übertragen, um den privaten Teil und unser Haus zu retten, machte Bernd zu schaffen. Da zeigte mein Mann mir das erste Mal sein wahres Gesicht. Frauen waren in seinen Augen nicht wirklich etwas wert. Und das tat weh! Aber, der Pleitegeier kreiste bereits über Heide. Würden wir dem Rat des Steuerberaters nicht folgen, wäre nicht nur der Laden weg, die Angestellten würden ihren Arbeitsplatz verlieren und zu allerletzt, das war Fakt, wäre auch unser Haus weg! Und dann? Neustart mit Schulden? Familie mit zwei Kindern in einer kleinen Wohnung? Nein, das durfte nicht passieren. Es war eine harte Arbeit, ich schaffte es jedoch mit Logik. Im März des Jahres 1982 wurde ich Inhaberin des repräsentativen, feinen Teeladens. Zuerst begann ich, ohne das Wissen meines Mannes, am Konzept zu feilen. Es musste sich schon etwas Grundlegendes ändern, sonst blieb der Erfolg aus. Fitness und Gesundheit waren das Thema, das alle ansprach. Dennoch, ich musste ein Alleinstellungsmerkmal finden. Mitten in der Nacht schoss mir die Idee durch den Kopf! Ich bewarb Fitnesstees, gab Kurse für die richtige Teezubereitung, für Einheimische, Zugereiste und Urlauber. Mein Geschäft bekam einen neuen Namen: Martinas Teestube am Heider Markt. Mein Laden bekam neue Möbel, ich stellte kleine Tische und Stühle auf. Kunden durften Tee probieren bevor die sich für eine Sorte entschieden. Aus einer nahegelegenen Konditorei orderte ich eine nur für mich hergestellte Sorte Teegebäck. „Martinas Plätzchen“ würde es nur bei mir geben. In einer kleinen Töpferei wurden für mich Teebecher produziert, die mein Firmenlogo zierten. Kleinere Lebensmittelgeschäfte verkauften Teebecher mit meinem Tee und mit meinen Plätzchen. Hübsch verpackt als kleines Mitbringsel für die vielen Touristen. Immer mehr Souvenirläden wollten die Becher mit Tee und Gebäck von mir vermarkten. Die neue Ausrichtung machte ich bekannt. Ich schaltete Anzeigen und holte die Presse zu einem Tag der offenen Tür in meinen Teeladen. Mein neues Konzept kam an! Ich war total aufgeregt und war stolz auf mich! Immer mehr Interessierte buchten die Kurse. Ich war so glücklich. Mein Konzept war genau richtig und hatte Zukunft! Bernd kümmerte sich in dieser Zeit weniger um das Geschäft, dafür mehr um die beiden Kinder. Vielleicht auch noch um andere Dinge. Ich weiß es nicht mehr. Hauptsache meinen Kindern ging es gut und sie litten nicht unter meiner neuen unternehmerischen Aktivität. Ich war den ganzen Tag im Laden. Bernd brachte die Kinder in die Schule und holte sie wieder ab. Er sorgte für ein warmes Mittagessen und achtete darauf, dass die Schulaufgaben gemacht wurden. Mehr interessierte mich nicht – vielleicht war das damals ein Fehler! Was Bernd in der restlichen Zeit so trieb, ich wusste es nicht und, wenn ich ganz ehrlich bin, damals wollte ich es auch nicht wissen. Kam ich am Abend nach Hause war Bernd da. Die Kinder waren glücklich, sie strahlten, Lydia mehr als mein Großer. Ich erklärte es mir immer damit, dass er sich mit Bernd messen wollte! Mein Ehemann war ein braver Ehemann. Ich beließ es dabei. Je länger diese Situation andauerte, je länger ich auf meinen ganz eigenen Beinen stand und dadurch wohl glücklicher wirkte, je geringer schienen auch Sebastians Zweifel. Er vertraute Bernd anscheinend.
Mein Teegeschäft boomte. Ich stellte Personal ein und es kamen mehr und mehr Kundinnen zu uns. Irgendwann wurde mir ein Ladenlokal in Büsum angeboten. Ich schaute mir die Räume an und plante. Mit konkreten Plänen fragte ich meine Bank nach einem kleinen Kredit für die Übernahme. Sie stimmten sofort zu und es ging nach Büsum! Ich expandierte. Kurze Zeit später kam noch ein Teeladen in Husum dazu. Bernd sagte nicht viel dazu. Er meckerte nicht, er schimpfte nicht aber er schien auch nicht wirklich sonderlich an mir und meinem Erfolg interessiert zu sein.
Ganz nebenbei erwähnte ich an einem Abend, wir saßen in einer lauen Nacht auf der Terrasse vor unserem Haus, was nicht so oft vorkommt im Norden, dass ich mir jetzt nur noch einen Wunsch hätte, um so richtig glücklich zu sein! Bernd schaute etwas irritiert zu mir. Seine Stirn kräuselte sich und um seinen Mund zeigten sich tiefe Falten. Ich fürchtete mich in diesem Moment vor ihm. Warum eigentlich? Warum schaute er mich so mürrisch und feindselig an? Ich hatte doch noch gar nichts gesagt, was ich wollte. Ich schwieg nun zuerst einmal.
„Du bist erfolgreich, verdienst viel Geld. Was willst du noch?“, fragte Bernd, weil er vielleicht das Schweigen nicht ertrug.
„Willst du noch einen Laden? Noch einen eigenen Becher?“, folgte und er blickte ärgerlich zu mir rüber.
„Nein. Ich möchte gerne noch ein Kind! Ein Kind von dir!“
Bernds Kinnlade klappte hinunter. Er griff zum Bierglas und trank es in einem Zug leer. Es war mehr Bier im Glas, als er gedacht hatte. Bernd verschluckte sich so sehr, dass ich Angst bekam er könne an dem Getränk ersticken! Doch er schaffte es aus eigener Kraft und sein Husten wurde langsam weniger.
„Wir müssen wohl mehr üben!“, erklärte er dann mit einem süffisanten Grinsen um die Mundwinkel.
Dann stand er auf und ging ins Schlafzimmer. Natürlich nahm ich keine Verhütungsmittel, sodass es schon länger hätte erfolgreich klappen können. Jedoch, Monat für Monat passierte nichts. Ich versuchte immer mal wieder das Thema Schwangerschaft anzusprechen und erwähnte so ganz beiläufig, dass man heute mit einer ganz einfachen Untersuchung feststellen könnte, ob es an Bernd lege. Das hätte ich lieber nicht machen sollen. Niemals würde Bernd einer solchen Untersuchung zustimmen, erklärte er mir lauthals. Er war der Kerl! Er war der Samenspender! Warum sollte es wohl an ihm liegen? Ein Mann wie ein Schrank! Männer, dachte ich damals. An mir konnte es aber doch auch nicht liegen. Ich hatte schließlich schon zwei Kinder geboren. Ich schob meinen Kinderwunsch zur Seite und kniete mich ins Geschäft. Mein Plan war Expansion. Und es folgte eine weitere Teestube in Sankt Peter-Ording. Der Zulauf war enorm. Das Geschäft lief und ich verdiente richtig viel Geld! Nur deshalb hielt Bernd still und gab den Hausmann. Schließlich hatte Bernd das Geschäft damals fast in den Sand gesetzt, er hatte also keine Argumente, die mich hätten bremsen können. Und Bernd profitierte schließlich von meinem geschäftlichen Erfolg. Je mehr Geld ich verdiente, je mehr Geld vorhanden war, je mehr konnte man ausgeben. Auch als Mann hatte man ja Ansprüche. Und Bernds Ansprüche stiegen. Wohin seine Ansprüche stiegen, sah ich damals noch nicht! Auch wenn ich heute darüber nachdenke, ich hatte es zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht gesehen. Um mich zu befriedigen und mir ein gutes Gefühl zu geben, entstand ein stilles Abkommen zwischen uns. Es wurde nicht ausgesprochen, wir wussten es beide und handelten danach. Sofern wir in der Öffentlichkeit erschienen, war Bernd an meiner Seite. Alle sollten sehen, er war da! Auch wenn jetzt seine Frau „der Chef“ war, Bernd war da. Oft hörte man ihn Erklärungen abgeben: „Nur gemeinsam sind wir stark!“ oder „Ich unterstütze meine Frau, wo es geht und halte ihr den Rücken frei!“
Bernd ließ keine Veranstaltung aus, er strahlte bei jeder Geschäftseröffnung, kam mit zu jeder Einladung, zu jeder Vernissage oder zu jeden Event. Er war der Macher neben seiner Frau! Und Bernd strahlte! Mein Mann strahlte mit mir um die Wette. Die Presse feierte uns als ein glückliches Paar. „Das Unternehmerpaar des Jahres“, schrieb der Dithmarscher Anzeiger. Und vielleicht würden noch weitere Teestuben folgen. Es gab keinerlei Geldsorgen mehr! Es beruhigt ungemein, wenn immer mehr Geld da ist, als man benötigt. Ich war enorm stolz auf mich. Immerhin, ich hatte die Läden zu dem gemacht, was sie heute waren. Ich hatte uns vor dem totalen Ruin bewahrt. Klar, ich sagte es zu Hause nicht so. Ich wollte Bernd ja nicht verletzen. Gekränkte Ehemänner sind schwer zu ertragen! Es war jedoch Fakt, ausgesprochen oder nicht, nur dank meiner Idee und Änderung der Geschäftsausrichtung waren die schweren Jahre vorbei. Und irgendwann bemerkte ich es dann doch. Bernd veränderte sich. Ich kann heute nicht mehr sagen, ob es schleichend ging oder ob nur ich es nicht gesehen hatte. Manchmal waren es nur Kleinigkeiten, die mich stutzig werden ließen. Eine Antwort, die zu scharf kam. Oder eine Anmerkung, die mich aufschrecken ließ. Bernd meckerte über die Kinder. Dieses war eine eindeutig neue Seite an ihm. Niemals hatte er über die Kinder genörgelt. Manchmal kam es mir so vor, als würden die Kinder ihn stören! Da lag ein Schulranzen im Weg, der im hohen Bogen die Kellertreppe hinunter flog! Dann hing ein Anorak nicht ordentlich auf dem Bügel der Garderobe. Oder das Waschbecken hatte noch Seifenreste … Es waren alles Kleinigkeiten und anfangs tat ich es ab. Vielleicht haben Männer auch mal ihre Tage, dachte ich und schmunzelte. So ließ es sich gut mit der Situation umgehen. Allerdings bemerkte ich, es nahm zu. Bernd polterte. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem ich früher als angekündigt nach Hause kam. Ich öffnete die Haustür und hörte, wie Bernd schrie! Er schrie, als würde er nach Amerika Infos senden wollen – ohne Telefon. Ich sah ihn im Esszimmer stehen und mit beiden Armen wild in der Luft herum schlagen. Vor ihm stand meine Tochter. Sie hatte sich ganz an die Wand gestellt, als suche sie dort Schutz. Tränen liefen ihr über ihre Wangen auf das T-Shirt, auf dem ich einen roten Fleck sah! Sie hatte sich scheinbar mir Himbeersaft bekleckert und das hatte den Ausbruch wohl ausgelöst. Ich rief „Hallo“, nachdem ich einige Schritte zurückgegangen war, damit es so aussah, als wäre ich gerade erst durch die Tür gekommen. Bernd war sofort still. Ich vernahm Schritte und sah, wie er mit einem Handtuch über dem Arm auf den Flur kam.
„Hallo!“, erwiderte er kurz und verschwand wieder in Richtung Esszimmer und Küche.
Wir haben über diesen Zwischenfall nie ein Wort gewechselt. Ich fand damals, dass ich eine sehr schlechte Mutter sei. Wie oft hörte man davon, dass Väter den Kindern Unrecht antaten, sie schlugen oder gar noch Schlimmeres mit ihnen anstellten. Nein, nein. Nein! Bernd würde sich nicht an den Kindern vergreifen, egal in welcher Form auch immer.
Heute jedoch, mit der Erfahrung der letzten Jahre, heute denke ich, er schlug sie auch! Ich sage es vielleicht auch um mich selbst zu beruhigen, damals kam mir dieser Gedanke natürlich nicht. Bernd hätte es auch nie getan, wenn es jemand hätte sehen können. Also niemals würde er meinen Kindern etwas in der Öffentlichkeit antun. Ganz sicher auch nie, wenn ich dabei war. Wenn er es überhaupt getan hat, dann so, dass es keine Zeugen gab, niemand der gegen ihn hätte aussagen können. Mir gab er erste Recht keine Möglichkeit, Zeuge zu sein oder eventuell irgendwann etwas gegen ihn in der Hand zu haben und somit gegen ihn aussagen zu können. Es gab also keine Zeugen. Meine Tochter schwieg auch zu diesem Vorfall. Als wir uns auf dem Flur begegneten, lachte ich sie an und machte einen kleinen Scherz über den Fleck auf dem Shirt. Sie hatte ihre Tränen abgewischt und versuchte ein ganz klein wenig zu lächeln. Nur Sebastian machte Andeutungen. Wenn ich am Abend nach Hause kam, glücklich über wieder einen erfolgreichen Tag, übersah ich es am Anfang. An einigen Abenden lag mein Sohn weinend in seinem Bett. Ich stellte meinen Mann zur Rede. Und Bernd hatte immer eine plausible Erklärung dafür. Einmal war die Ursache ein Streit zwischen Sebastian und seinem Freund; ein anderes Mal hatte Sohnemann draußen spielen wollen, aber Vater hatte es abgelehnt. Es gibt so viele Gründe, warum Kinder weinen.
„Du kennst doch deinen Sohn, er will immer mit dem Kopf durch die Wand. Man darf nicht alles durchgehen lassen.“
Irgendwann stellte ich jedoch fest, dass sich Lydia immer mehr zurückgezogen hatte. Schleichend war es geschehen. Sie sagte nicht mehr Paps, sondern nur noch Bernd und nur, wenn es sein musste. Am liebsten sprach sie gar nicht mehr mit meinem Mann. Natürlich hatte Bernd dazu auch eine Erklärung:
„Sie zickt rum, so wie es Mädchen in dem Alter immer machen.“
Immer öfter saß ich in meinem Büro im Teestübchen in Heide und dachte nach. Über die aktuelle Situation. Über meine Kinder. Und ich dachte auch nach, wie es weiter gehen sollte. Mit Bernd und mit mir. Mit unserer Ehe. Ich konstruierte eine Zukunft als alleinerziehende Mutter. In einer anderen Umgebung. Vielleicht sollte ich mir eine Wohnung suchen, oder ein kleines Haus. Ich verdiente genug Geld, ich hätte mir wirklich keinerlei Sorgen machen müssen. Manchmal ertappte ich mich dabei, wenn ich alleine in der Pause durch die Fußgängerzone in Heide lief, mich nach anderen Männern umzusehen. Nein, ich wollte sie nicht ansprechen oder gar kennenlernen. Ich stellte mir einfach nur vor, wie es wohl wäre mit dem Blonden oder dem Hageren zusammen zu leben. Ich wischte diese Gedanken dann immer wieder fort. Genaugenommen hatte ich gar keinen Grund dafür. Alles war gut, so wie es war. Ich passte mich meiner Rolle als Geschäftsfrau immer mehr an und es lief so gut!
Und dann geschah es. Es traf mich wie aus heiterem Himmel. Ich war ungläubig, ich ignorierte es, bis es keinen Zweifel mehr gab. Und ich fragte mich, warum denn jetzt noch? Ich war schwanger! Ich sollte doch noch das Kind von Bernd bekommen. Ich war schwanger, ich war mir sicher. Am kommenden Tag suchte ich meinen Gynäkologen auf. Er bestätigte meinen Verdacht und gratulierte mir zu der Schwangerschaft.
An diesem Abend ging ich früher als gewohnt nach Hause. Vielleicht wollte ich Bernd überraschen. Vielleicht suchte ich nach einer schnellen Lösung. Besser gesagt, nach einer Entschuldigung für eine Lösung. Nichts dergleichen passierte. Bernd hatte gekocht und für den Abend sogar im Esszimmer schon gedeckt. An diesem Abend hatte mein Ehemann ausgesprochen gute Laune. Ich weiß bis heute nicht, warum. Ich fragte ihn danach, er hob nur die Schultern und blieb mir eine Antwort schuldig. Wir aßen an diesem Abend alle gemeinsam am Tisch, was in letzter Zeit auch nicht mehr so oft vorkam. Als die Kinder dann fröhlich auf ihre Zimmer entschwanden, ich war sehr verunsichert, fasste ich mir ein Herz.
„Bernd, wir haben das Thema ja lange ausgelassen. Ich hatte eigentlich auch schon damit abgeschlossen. Nun aber ist es passiert.“
Ich machte eine kleine Pause. Ich wollte natürlich, dass Bernd fragte, wovon ich sprach. Er schwieg jedoch und schaute mir teilnahmslos ins Gesicht.
„Was denn?“, waren seine einzigen Worte, nachdem er wieder einmal die Stille nicht ertragen konnte.
„Bernd, wir bekommen ein Kind! Ich bin schwanger.“
Jetzt war es raus. Bernd wurde blass. Er schluckte und stand wortlos auf. Ich hatte Angst, ich konnte in diesem Moment nicht abschätzen, wie er reagieren würde. Ich beobachte ihn, er verließ das Esszimmer, ging Richtung Flur. Dann war es still. Ich bekam Gänsehaut und dann klappte die Haustür. Bernd hatte das Haus verlassen. Langsam stand ich auf und begann das Geschirr abzuräumen. Meine Gedanken spielten alle Möglichkeiten durch. Das Kind alleine bekommen, oder eine Abtreibung? Dann klappte die Tür erneut. Ich hörte wie Schritte näher kamen. Bernds Schritte. Er stand plötzlich vor mir. Er hatte aus dem Garten eine rote Rose geholt und überreichte sie mir.
„Für dich!“
Ich war platt. Sprachlos. Bernd freute sich also über das Kind. Über unser gemeinsames Kind. Nun sagen die Experten immer, ein Kind kann keine Ehe kitten. Genaugenommen war unsere Ehe zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht total zerrüttet. Ich war jedenfalls sehr froh, dass Bernd dem neuen Erdenbürger positiv gegenüberstehen würde.
Zum Glück verlief meine Schwangerschaft sehr angenehm. Ich konnte ganz normal weiterarbeiten und auch die sonst so übliche große Welle der Übelkeit blieb aus. Vielleicht lag es an meinen beiden ersten Schwangerschaften, die auch schon unkompliziert waren. Oder es lag doch an meinem Alter, so ganz jung war ich ja nicht mehr.
Wir schreiben das Jahr 1986. Die erfolgreiche Geschäftsfrau aus Heide, Büsum und Sankt Peter-Ording bekam mit ihren 33 Jahren ihr drittes Kind! So stand es in der Presse. Auch die regionalen Radiosender verkündeten die Geburt unseres Sohnes. Wenn man, wie ich mit den Teestuben und den Kursen einem guten Ruf im Kreis Dithmarschen hat, dann geht so etwas eben auch durch die Presse. Das kann man finden wie man will. Immerhin bekam ich dadurch auch neue Kundinnen und Kunden. Und ich startete einen neuen Kurs für Kinder, die so mit Spaß an den Tee herangeführt wurden.
Was jedoch noch viel Schönes an der Geburt war: Bernd! Er hatte einen Sohn bekommen. Mein Mann war überrascht und unendlich glücklich! Ein Sohn! Männer wollen immer Söhne. Mir war es egal. Ich hatte nun endlich noch ein Kind und freute mich als ich Jochen in meinen Armen hielt! Er war so lieb, er sah so gut aus. Ich war überglücklich. Wie Mütter sind, wenn sie einen kleinen Wurm in den Armen halten. Die erste Zeit blieb ich im Haus. Die eine oder andere geschäftliche Entscheidung konnte ich am Telefon regeln. Und wichtige Besorgungen und den Weg zur Bank oder zu den Teestuben nahm Bernd mir gerne ab. Mein Geschäft lief. Wir hatten ausreichend Geld zur Verfügung. Darum machte ich mir keinerlei Gedanken.
Ich hatte jetzt drei reizende Kinder und auch wieder einen Mann. Es fühlte sich nach einer richtigen Familie an. Trotz der Riesenfreude brauchte Bernd eine gewisse Zeit um sich so richtig an die neue Familie zu gewöhnen. Ich denke heute, vielleicht hatte der Schrank von Mann einfach Angst das Neugeborene zu beschädigen? Kraft stand Bernd immer ins Gesicht geschrieben. Oberarme wie andere Oberschenkel! Ich half ihm, legte ihm vorsichtig seinen Sohn in die Arme. Es wurde belohnt, Bernd strahlte und so wuchs der Vater in seine neue Rolle hinein. Gut Ding braucht halt Weile! Ich bemerke, dass sich unser Zusammenleben änderte. Es ging schleichend. Wie immer im Leben, man selbst bemerkt es zuletzt. Die beiden Großen, also Sebastian und Lydia, zogen sich immer weiter zurück. Sie wollten nichts mehr von Bernd wissen. Sie fragten ihn nicht um Rat. Sie sprachen nicht mit ihm und beide gingen ihm aus dem Weg. Ich erinnere mich an viele Begebenheiten. Ein Beispiel: Wir saßen im Wohnzimmer und schauten uns eine Sendung über Löwen in Afrika an. Wir, also meine beiden Großen und der Kleine auf meinem Schoß. Da betrat Bernd das Zimmer. Als hätte jemand einen Befehl erteilt, stumm und ohne eine gemeinsame Absprache, standen Sebastian und Lydia auf und verließen den Raum. Schweigend. Ohne sich umzudrehen. Ich schaute meinen beiden hinterher. Ich verstand nicht, warum sie gingen. Bernd berührte es nicht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er es überhaupt bemerkte. Zielsicher kam mein Mann durch den Raum auf uns zu. Er strahlte und nahm Jochen auf den Arm.
„Hallo! Mein Sohn! Du strahlst wenn du Papa siehst!“, erklärte er und warf gleichzeitig einen Blick auf mich. Wollte er meine Reaktion testen? Oder wollte er mir beweisen, wie sehr er seinen Sohn liebte? Oder bildete ich mir das alles nur ein?
Solche Situationen häuften sich jedoch. Immer mal wieder, zu unterschiedlichen Zeiten, in unterschiedlichen Situationen. Ich wurde unsicher. Ich machte mir ernsthafte Gedanken. War es einfach nur Eifersucht? Waren Sebastian und Lydia auf ihren kleinen Bruder Jochen eifersüchtig? Oder steckte vielleicht mehr dahinter? Meine Angst, dass Bernd den Kindern vielleicht etwas antun könnte, kam wieder hoch. Ich verwarf sie, ganz schnell. Nein, niemals hätte sich Bernd an den Kindern vergreifen können. Vielleicht lag es ja an der Pubertät. Man hört ja die tollsten Geschichten! Meine Unsicherheit blieb jedoch. Bei jeder Gelegenheit, die sich ergab, versuchte ich vorsichtig mit meinen Kindern zu sprechen. Lydia wich mir aus. Sie ging überhaupt nicht auf meine Fragen oder Andeutungen ein. Sie tat einfach, als hätte sie es gar nicht gehört. Sie wechselte das Thema, als hätte sie es schon immer so gemacht – wie ein Profi! Um Lydia nicht weiter zu verunsichern bremste ich mich dann. Ich folgte ihr in ihrem Thema und dachte, beim nächsten Mal hast du eine neue Chance. Bei meinem Sohn Sebastian liefen diese Versuche immer gleich ab. Er schob meine Fragen an mich zurück, indem er mir eine Gegenfrage stellte.
„Hast du Bernd heute schon gesprochen?", und Sebastian erwiderte:
„Und du?"
„Hast du Streit mit Bernd?“
„Hast du Streit mit deinem Mann?“
Das brachte mich nicht weiter. Sebastian wollte nicht sprechen. Damit war die Sache für ihn erledigt. Das konnte ich endlos weiterspielen. Niemals kam ein böses Wort über Bernd über seine Lippen. Genaugenommen sprach er nie über ober mit Bernd. Und je länger ich diese Tatsache bemerkte, je klarer war mir, dass Bernd meine beiden ersten Kinder übersah. Er ignorierte sie. Sie schienen gar nicht mehr in unserem Haus zu leben. Ich war verunsichert. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich konnte auch mit niemandem darüber sprechen.
So vergingen die Wochen und die Monate. Jochen wuchs heran, er war ein strahlender Junge, der immer in Bewegung war. Er liebte es zu laufen, zu toben und ließ sich immer neue Spiele einfallen. Zu seinem eigenen Sohn verhielt sich Bernd wie ein ganz toller Vater. Die anfängliche Riesenfreude, das Überschäumen vor Glück und das Dauergrinsen in seinem Gesicht ließen nach. Er sah seinen Sohn, er nahm ihn wahr und er sprach mit dem Kind.
Mein Leben hatte sich verändert. Zum einen natürlich durch Jochens Geburt. Viele Aufgaben kann eben nur eine Mutter übernehmen. Zum anderen aber auch dadurch, dass ich aufgrund des Kleinen nicht so oft in den Teestuben sein konnte, wie vor der Geburt. Anfänglich hatte ich Bernd direkt gebeten, mir den einen oder anderen Gang in die Geschäfte abzunehmen. Jetzt machte er alle Wege von ganz alleine. Bernd war wieder in die Rolle des Chefs geschlüpft. Auch dieses war schleichend passiert. Und man sah es ihm an, er hatte Gefallen daran gefunden! Er pfiff, wenn er morgens zu seinen BMW ging. Sein neues Cabriolet war schon sein ganzer Stolz. Das war sozusagen Bernds Belohnung für die Geburt des Kindes. Die Idee sich ein neues Auto zu kaufen hatte mein Mann auch nicht mit mir besprochen. Er war einfach irgendwann ins Autohaus gefahren, hatte sich einen Wagen ausgesucht und bestellt. Und dann, nachdem das Fahrzeug geliefert wurde, fuhr er eines Abends damit zu Hause vor. Er parkte, nicht wie immer in der Garage, sondern in der Auffahrt vor der Garage. Dann hupte er mehrfach, sodass ich es gar nicht überhören konnte. Der Ton der Autohupe war fremd, also ging ich zur Haustür. Da stand der neue BMW. Und direkt daneben, wie für ein Werbeplakat vor dem Auto platziert, Bernd! Das war nun sein neues Spielzeug. Ich denke immer. Männer, die zu wenig Selbstbefriedigung durch ihren Job, Freunde oder andere Lobhudeleien finden, brauchen so ein Auto. Der Wagen wurde regelmäßig gewaschen, poliert und gehätschelt. Keines der Kinder durfte sich auch nur ansatzweise dem Fahrzeug nähern. Ich zog Bernd immer mit dem Auto auf. „Du hast es wohl nötig, so eine Schleuder zu fahren!" Bernd konnte das absolut nicht ab. Vermutlich hatte ich den Nagel genau auf den Kopf getroffen, denn er brauste auf und warf mir die schlimmsten Beschimpfungen an den Kopf. Darum ließ ich es und tolerierte sein liebstes Spielzeug. Ich dachte eben nur noch, ich sprach es nicht mehr aus. Und ich ließ es auch unerwähnt, dass ich es für absolut normal gefunden hätte, dass mein Mann mir eine solche Kaufentscheidung im Vorfeld mitgeteilt hätte. Immerhin, ich hatte diesen Wagen bezahlt. Gut, wir waren verheiratet, es gab eine gemeinsame Kasse. Dennoch, das war ja schon eine erhebliche Ausgabe. Klever wäre es außerdem gewesen, wir hätten den Wagen über die Firma angemeldet. Das hätte uns auch noch Steuervorteile gebracht. Egal, es war passiert und ich vermied darüber mit Bernd zu sprechen. Wenn mich allerdings Dinge zu sehr ärgerten, hatte ich um mal Luft abzulassen, eine tolle Möglichkeit entdeckt. Ich machte Andeutungen, wenn wir eben nicht alleine waren. Wenn wir mit Freunden zusammensaßen, was ab und zu schon mal vorkam. Natürlich hätte ich ihn niemals vor Fremden richtig bloßgestellt. Aber bei unseren guten Freunden konnte man schon, wenn es passte, mal eine Andeutung machen. Bernd nahm sich dann zusammen. In diesen Situationen war er der reizende Ehemann. Er lachte und drückte mich. Ja, in der Öffentlichkeit konnte mein Partner so charmant sein. Er ließ mir immer den Vortritt, er fiel mir niemals ins Wort oder hätte niemals bei einem offiziellen Anlass irgendetwas gesagt oder getan, was mir hätte schaden können. Das war natürlich Kalkül. Wenn er mir schaden würde, fiel es auf die Firma zurück und damit hätte Bernd an dem Ast gesägt, auf dem er ziemlich bequem saß! Wenn wir alleine zu Hause waren, verlief so etwas anders. Ich hatte damals wirklich gedacht, Jochen hätte neuen Schwung und Freude in unsere Beziehung gebracht. Leider hatte es nicht lange angehalten. Mittlerweile wurde unsere Beziehung immer diffuser. Unsere Ehe hatte zwei Gesichter. Ein Innengesicht und ein Außengesicht. Sofern sich eine außenstehende Person in unsere Nähe aufhielt, war Bernd der Ehemann, um den mich viele beneideten. Waren wir alleine, war Bernd ein Schwein. Denke ich heute darüber nach, er war nicht mal ein Schwein. Er war ein „Garnichts". Ein Wesen aus Fleisch und Blut, ohne Herz und ohne Liebe. Dafür besessen von Macht und Gier! Gierig nach Erfolg, nach Anerkennung und nach Geld. Vielleicht auch gierig nach Macht, über mich und über andere Personen. Leider habe ich das viel zu spät erkannt!
In meinem Hauptgeschäft in Heide hatte ich Yvonne die Leitung des Betriebes kurz vor Jochens Geburt übergeben. Yvonne war die Dienstälteste in Heide. Sie war immer da, sie war freundlich, überaus kompetent und sie vertraute mir. Und ich vertraute Yvonne! Man würde wohl sagen, zwischen uns passte kein Blatt Papier. Wir konnten uns wortlos verstehen.
Eines Abends rief mich Yvonne an. Ihre Stimme klang anders als sonst. Ich war zu Hause und Bernd war noch nicht zurückgekommen.
„Yvonne, ich bin alleine, erzähl was dich bewegt“, forderte ich sie auf.
Sie berichtete mir, zuerst ganz ruhig und sachlich, sie hätte wie an jedem Abend das Geschäft geschlossen, nachdem der letzte Kunde gegangen war.
„Ich habe dann aufgeräumt und bin ins Büro gegangen. Ich habe angefangen, du weißt, wie jeden Abend, die Abrechnung zu machen.“
Jetzt verändert sich ihre Stimme. Sie machte eine Pause. Ich warte ab, da ich sie nicht drängen wollte.
„Und dann, Yvonne? Was war mit der Abrechnung?“, fragte ich nach einem längeren Schweigen, das nur durch ihr Schluchzen unterbrochen wurde.
„Ich habe dreimal alles gezählt. Ich bin mir ganz sicher. Martina, ich kann es mir nicht erklären, es fehlen 500 DM in der Kasse.“
Jetzt versagt ihre Stimme ganz. Ich höre wie sie bitterlich weint. Es war nicht ungewöhnlich,