Finze, Wolfgang: Mit Pulver und Blei : Schießen mit Vorderladergewehren. - 1. Auflage. – Norderstedt : Books on Demand GmbH, 2020. – 163 S.
© 2020
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt.
ISBN: 9783752695885
Das Schießen mit Vorderladern ist – neben Bogen und Armbrust – die älteste Art des Schießens. Bis etwa 1860 wurde nur mit Vorderladern geschossen, denn damals waren alle Waffen (von Zündnadelwaffen einmal abgesehen) Vorderlader. Erst nachdem sich mit einem Hinterlader und Metallpatronen die gleiche Präzision wie mit einem Vorderlader erreichen ließ, stiegen die Schützen nach und nach auf diese Waffen um. In der Übergangszeit (die etwa bis 1885 dauerte) schossen Schützen sowohl mit Vorderladern als auch mit Hinterladern nach den gleichen Regeln und nebeneinander auf die Scheibe. Besondere Regeln oder Disziplinen für Vorderlader gab es nicht. Nach dem Übergang zum Hinterlader mit Metallpatronen galten Vorderlader als veraltet. Ihre Zeit schien abgelaufen zu sein.
Ein Irrtum, wie sich zeigte, denn schon ab den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es in den USA ein ständig steigendes Interesse an der eigenen Geschichte und damit verbunden am Schießen mit der typisch amerikanischen Longrifle. Das hundertjährige Jubiläum des Bürgerkriegs sorgte zudem für ein steigendes Interesse an alten Militärgewehren.
Da aber auch in den USA nicht genug Originale zur Verfügung standen, um den ständig steigenden Bedarf zu decken, ließen findige Händler (meist in Italien) Nachbauten fertigen. Für Italien sprachen mehrere Gründe. Einer davon war, dass Italien über Traditionen im Waffenbau verfügte. Wichtiger waren aber, verglichen mit den USA, die niedrigen Löhne.
Den Anfang machten Turner Kirkland, der 1954 die Firma Dixie Gun Works gründete und in Belgien Nachbauten der Kentucky-Rifle fertigen ließ und Valmore Forgett (Navy Arms), der 1957 bei der Firma Aldo Uberti Nachbauten des Colt Navy 1851 bestellte. Anfang der sechziger Jahre lieferten auch andere Hersteller Nachbauten alter Vorderlader. Da für den US-Markt gefertigt wurde, entstanden Waffen, deren Vorbilder aus den USA stammten oder die in den USA bekannt waren.
In den sechziger Jahren erreichten die ersten dieser neuen Vorderlader Deutschland und trafen hier auf großes Interesse. Das wurde noch zusätzlich angefeuert von den Karl-May-Filmen, deren erster Streifen (Der Schatz im Silbersee) Ende 1962 in den Kinos lief. Die damalige Gesetzeslage erlaubte es jedem, für wenig Geld und ohne jede behördliche Genehmigung „Western-Waffen“, darunter auch Vorderlader-Revolver, zu kaufen. In den Köpfen setzte sich deshalb schnell die auch heute noch anzutreffende Meinung fest, Vorderlader-Schießen habe etwas mit dem „wilden Westen“ zu tun. All das passte so gar nicht in die Struktur der deutschen Schützenvereine. Deshalb fand das Vorderlader-Schießen anfangs außerhalb der etablierten Vereine statt, denn die Freude an der Gemeinschaft Gleichgesinnter und der Spaß am Schießen waren für viele Vorderlader-Schützen wichtiger als das Erreichen sportlicher Höchstleistungen.
Zwar hatte man jetzt Vorderlader, aber keine Erfahrungen, wie man mit ihnen umzugehen hätte. Da kaum Literatur über den Umgang mit Vorderladern vorhanden war, sammelte man eigene Erfahrungen. Da die verfügbaren Waffen meist denen der amerikanischen Pionierzeit entsprachen, erlebte z.B. die Kugel, die um 1860 außer bei der Jagd kaum noch verwendet wurde, bei den Vorderladerschützen einen Wieder-Aufstieg.
Das Schießen mit Vorderladern entwickelte sich nicht nur in Deutschland sehr schnell, schon 1969 gab es in Schwäbisch Hall ein erstes internationales Vorderladerschießen. Und 1971 wurde die Muzzle Loaders Associations International Committee (MLAIC) gegründet. Ihre Ziele bestanden aber weniger darin, allgemein das Schießen mit Vorderladern zu fördern, sondern vor allem in der Pflege und Erhaltung der noch vorhandenen Originale. Deshalb waren auf Wettbewerben der MLAIC in den ersten Jahren auch nur Originale zugelassen. Eine der ersten Leistungen der MLAIC war die Aufstellung von international verbindlichen Regeln und Disziplinen für das Vorderladerschießen. Die Regeln, die Scheiben, die Wertung, alles war „neu“ und unterschied sich von dem, was vor 150 Jahren üblich war. Man orientierte sich bei den Schussentfernungen an den zur Verfügung stehenden Ständen, die für 25m, 50m und 100m eingerichtet waren, und bei den Geschossen an den Geschossen für Patronenwaffen. Selbst dort, wo man scheinbar „historische Geschossformen“ verwendete (wie z.B. bei den Minie-Geschossen oder beim Buholzer-Geschoss von Vollmer) wichen ihre Abmessungen und ihre Ladeweise deutlich von dem ab, was um 1850/60 gebräuchlich war.
Der DSB reagierte spät und nahm das Vorderladerschießen erst zum 01.01.1974 in sein Programm auf, schloss allerdings die „Verwendung von Traditionskleidung oder von Teilen davon“ aus.
Da es bald auch Schützen gab, die mit ihren Vorderladern nicht nur schießen, sondern auch möglichst präzise treffen wollten, entstand ein Markt für qualitativ hochwertige Vorderlader, den in Deutschland z.B. die Vollmer-Werke mit dem ab 1972 gebauten Feldstutzer, international Parker-Hale mit seinen Nachbauten britischer Gewehre bediente. Viele Spitzenschützen nutzten und nutzen Waffen, die von kleinen, auf solche Waffen spezialisierten, Betrieben in Einzelanfertigung hergestellt wurden.
Wenn man die letzten Jahrgänge der Kataloge der großen Waffenanbieter vergleicht, fällt auf, dass das Angebot an Vorderladern von Jahr zu Jahr geringer wird, die Nachfrage nach Vorderladern ist zurückgegangen. Eine der Ursachen dafür ist sicherlich der auch im Vorderlader-Bereich fehlende Nachwuchs, denn dadurch gibt es aktuell weniger Käufer als noch vor etlichen Jahren.
Jedoch darf man daraus nicht den Schluss ziehen, die „Vorderlader-Szene“ wäre tot. Das Gegenteil ist der Fall, die „Szene“ lebt dennoch.
Ein Hinweis zum Schluss: Der Autor übernimmt keinerlei Verantwortung für die Anwendung irgendwelcher im Buch vorgestellten Dinge oder Abläufe. Jeder Schütze ist für sein Handeln und seinen Schuss ausschließlich selbst verantwortlich.
Vorderlader sind Schusswaffen, bei denen Treibladung und Geschoss von der Mündung her in den Lauf der Waffe gebracht werden. Je nach der Art der Zündung unterscheidet man Waffen mit Lunten-, Rad-, Stein- und Perkussionsschloss.
In den USA und der Schweiz setzte schon vor 1850, in Deutschland spätestens nach der Gründung des Schützenbundes (1861) eine Entwicklung bei den Scheibenbüchsen ein, die zu immer kleineren Kalibern (herunter bis etwa 8mm) und immer längeren (und schwereren) Geschossen führte. Der damals in Schützenkreisen bekannte und als Schütze sehr erfolgreiche Bertold Körting schrieb in einem Beitrag für den Schützenkalender 1910 über die Vorderlader, die er zwischen 1862 und 1872 führte:
„...Ich … verkaufte für 20 Taler meinen dickkalibrigen Stutzen und ließ mir … ein kleinkalibriges Gewehr machen … Diese Gewehre von etwa 10mm Durchmesser und kurzer Kugel waren aber dem Winde auf weite Entfernungen zu sehr ausgesetzt, und so wurde das Polygonalgewehr von 8mm gebaut…, das eine außerordentlich lange Kugel schoss. Bei diesen Gewehren wurde die Kugel mit einem Pflaster auf das Pulver hinabgeschoben, und wer es verstand, die Kugel stets genau gleichmäßig stark auf das Pulver zu setzen, hatte damit eine Waffe, die zweifellos ebenso gut war wie der beste Hinterlader, und mit welchen wir auf der Heide vor Hannover bis zu 6 und 700 m gut schossen. …“
Man schießt heute fast ausschließlich mit neu gefertigten und in der Regel produktionstechnisch verein-fachten Nachbauten von Waffen aus der Zeit zwischen 1700 und 1870, die üblicherweise als Neo-Classiker (auch Repliken) bezeichnet werden. Aber egal wie nostalgisch ein Vorderlader auch aussehen mag, er ist kein Spielzeug, sondern eine Schusswaffe, die bei missbräuchlicher Verwendung großen Schaden anrichten kann.
Sportlich unterscheidet sich das Vorderladerschießen deutlich von anderen Schießdisziplinen. Zum einen ist die Anzahl von Wertungsschüssen für einen Wettkampf (national 15, international 13) eher gering. Zum anderen ist es nicht möglich, beim Laden eines Gewehrs im Anschlag zu bleiben. Der Schütze muss seinen Anschlag aufgeben und ist gezwungen, nach dem Laden für jeden Schuss wieder die optimale Anschlaghaltung einzunehmen.
Beim Vorderladerschießen wird ausschließlich Schwarzpulver als Treibmittel verwendet. Um Schwarzpulver erwerben zu können, ist eine „Genehmigung nach §27 Sprengstoffgesetz“ (auch Pulverschein genannt) erforderlich. Um diese Genehmigung zu erlangen, muss man mindestens 21 Jahre alt sein, einen Lehrgang besucht haben und die vorschriftsgemäße Lagerung des Pulvers nachweisen.
Die Geschosse für Vorderlader bestehen, wie vor 150 und mehr Jahren üblich, ausschließlich aus Blei. Verkupferte Geschosse oder Mantelgeschosse sind unüblich und bei Wettbewerben sogar unzulässig.
Neben Nachbauten von Waffen aus der Zeit vor 1870 gibt es auch Vorderlader ohne historische Vorbilder. Sie werden überwiegend in den USA für die Jagd verwendet, denn in einigen Bundesstaaten gibt es dafür gesonderte Jagdzeiten.
Angeboten werden auch Nachbauten von Perkussionshinterladern. Das sind Waffen, bei denen Treibladung und Geschoss (entweder in einer Papierpatrone oder in einer Ladehülse) von hinten (also wie bei Waffen für Patronenmunition) in den Lauf der Waffe gebracht werden, deren Zündung aber durch ein Perkussionszündhütchen erfolgt.
Aktuell werden fast ausschließlich Nachbauten der Perkussionshinterlader von Sharps angeboten. Andere Modelle, wie z.B. der Smith-Carbine, sind ausgesprochen selten zu finden. Auf dem Gebrauchtwaffenmarkt ist auch noch der früher von den ERMA-Werken in Dachau gefertigte Nachbau des Perkussionshinterladers von Gallager verfügbar.
Einige Schützen schießen auch heute noch mit Waffen, die schon vor 1870 hergestellt wurden. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn sofern der Zustand dieser Waffen das Schießen erlaubt, treffen sie oft besser als ihre modernen Nachbauten. Waffen, die vor dem 01.01.1891 hergestellt und danach nicht verändert wurden, unterliegen auch nicht der Beschusspflicht1. Mit ihnen darf also geschossen werden, ohne dass sie ein Beschusszeichen tragen müssen.
1 Gesetz über die Prüfung und Zulassung von Feuerwaffen, Böllern, Geräten, bei denen zum Antrieb Munition verwendet wird, sowie von Munition und sonstigen Waffen (Beschussgesetz - BeschG) § 4 Ausnahmen von der Beschusspflicht.
Das deutsche Waffengesetz (Stand August 2020) unterscheidet die Vorderlader-Waffen nicht nach der Ladeweise, sondern der Art der Zündung. Unterschieden werden dabei Waffen mit Funkenzündung (Rad- und Steinschloss), Zündhütchenzündung (Perkussion) und Nadelzündung.
Unter der Voraussetzung, dass das dem Nachbau zugrunde liegende Modell vor dem 1. Januar 1871 entwickelt wurde, dürfen volljährige Personen einläufige Einzelladerwaffen mit Zündhütchenzündung (Perkussionswaffen) sowie alle Schusswaffen mit Lunten-Funken- und Zündnadelzündung frei erwerben. Auch die Perkussionshinterlader können erlaubnisfrei erworben und besessen werden. Eine Meldepflicht für den Erwerb, den Besitz oder die Weitergabe solcher Waffen besteht nicht (Stand Sommer 2020). Geschossen werden darf natürlich nur auf dafür zugelassenen Schießständen.
Für den Erwerb von mehrläufigen oder mehrschüssigen Waffen mit Zündhütchenzündung (z.B. Perkussionsrevolver oder Perkussions-Doppelflinten) ist eine Waffenbesitzkarte für Sportschützen (gelbe WBK) notwendig. Für diese Waffen gelten dann die üblichen Fristen für die An- bzw. Abmeldung und die Verpflichtung, diese Waffen nur an Berechtigte weiterzugeben. Auch Vorderlader ohne historisches Vorbild sind waffenbesitzkartenpflichtig.
Vorderlader, Perkussionshinterlader und Zündnadelwaffen sind so aufzubewahren, dass Unbefugte (also z.B. Minderjährige) keinen Zugriff auf diese Waffen haben können.
Waffen mit Lunten- oder Funkenzündung dürfen erlaubnisfrei geführt2 werden. Allerdings sollte man dabei nicht vergessen, dass das Führen von Waffen z.B. bei öffentlichen Veranstaltungen jeder Art, in Diskotheken usw. ohne besondere behördliche Genehmigung verboten bleibt.
Das Zusammenbauen eines vorgefertigten Bausatzes für einen Vorderlader gilt rechtlich nicht als Herstellung einer Waffe. Aber sofern bei einem solchen Bausatz der Lauf nicht beschossen ist (was bei aus den USA importierten Bausätzen der Regelfall ist) muss der Lauf vor der Verwendung der Waffe in einem Beschussamt staatlich beschossen werden.