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1. Auflage 2020
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© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
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ISBN 978-3-17-030975-3
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Die Kräfte der Gefahrenabwehr sind täglich mit CBRN-Stoffen konfrontiert. Die Bandbreite der Gefährdung kann dabei von kleinräumigen Ereignissen wie Transportunfälle bis hin zu großflächigen Freisetzungen nach Störfällen in der chemischen Industrie oder kerntechnischen Anlagen reichen. Neue Bedrohungen wie die Verwendung von Giftstoffen zur Selbsttötung, die Herstellung von Drogen mit der damit verbundenen illegalen Chemikalienlagerung bis zum Einsatz von chemischen und radioaktiven Gefahrstoffen durch Terrorgruppen, aber auch Geheimdienste sind in den letzten Jahren dazugekommen. Die Ablösung der alten Bezeichnung ABC- durch CBRN-Gefahren ist ein Resultat dieses erweiterten Bedrohungsspektrums. Die Abwehr von CBRN-Gefährdungen gehört zu den Kernaufgaben der Feuerwehren, allerdings müssen auch die Rettungsdienste, das Technische Hilfswerk und die Polizei Aufgaben im CBRN-Schutz wahrnehmen können.
Ziel des Buches ist es, Führungskräfte ab Zug-Ebene, im CBRN-Schutz tätige Einsatzkräfte und die Experten in den Stäben der Gefahrenabwehr bei der Planung und Durchführung von CBRN-Einsätzen zu unterstützen. Dazu wird ein Überblick über die naturwissenschaftlichen Grundlagen und die technischen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr gegeben und die Umsetzung in Einsatzmaßnahmen detailliert beschrieben. Neben der Auswertung der zahlreichen in der Bundesrepublik und den Bundesländern existierenden Vorschriften und Regelungen zum CBRN-Schutz sind auch die Kenntnisse aus der Mitarbeit in nationalen und internationalen Fachgremien und der langjährigen praktischen Erfahrung der Autoren bei CBRN-Einsätzen eingeflossen.
Aufgrund des Umfangs und der Komplexität der Thematik konnten manche Gebiete, wie die Gefährdung durch Sprengstoffe oder der Einsatz bei großflächigen B-Lagen, nur angeschnitten werden.
Bei der Entstehung dieses Fachbuchs haben viele Fachleute beratend, korrigierend und ermutigend mitgewirkt. Sie alle aufzuzählen, würde den Rahmen des Vorworts sprengen, deshalb soll hier allen Beteiligten auf das herzlichste gedankt werden.
Das CBRN-Gefahrenpotenzial umfasst alle CBRN-Bedrohungen natürlichen und zivilisatorischen Ursprungs. Bei den natürlichen CBRN-Bedrohungen stehen besonders die biologischen Gefahren im Vordergrund. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Bedrohung durch Krankheitserreger aufgrund der erhöhten globalen Mobilität der Menschen und durch klimatische Veränderungen zunehmen wird. Die zivilisatorischen CBRN-Gefahren lassen sich in das zivile/industrielle Gefahrenpotenzial und militärische CBRN-Gefahren (zumeist synonym für Massenvernichtungswaffen) unterteilen. Die zivilen Gefahren sind die Folge von Produktion, Transport und Gebrauch radiologischer, biologischer und chemischer Gefahrstoffe sowie der Nutzung der Kernenergie.
Die militärische Bedrohung war in der Vergangenheit auf den Einsatz von ABC-Kampfmitteln in einem Krieg beschränkt. Heute steht die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen (Proliferation) und der zur Produktion erforderlichen Technologien in Verbindung mit dem internationalen Terrorismus im Fokus. Die daraus resultierende so genannte asymmetrische Bedrohung durch einen möglichen CBRN-Einsatz seitens terroristischer Gruppen und Einzeltäter führt zu einer Verwischung der Grenze zwischen zivilen und militärischen CBRN-Gefahrenpotenzialen.
Terrorgruppen können aufgrund ihrer begrenzten militärischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten keinen offenen Schlagabtausch mit einem industriell entwickelten Staat wagen. Daher weichen Terroristen auf zivile Ziele aus, mit der Absicht symbolträchtige Orte zu treffen und/oder eine hohe Zahl an Opfern zu verursachen. In der Vergangenheit haben Einzeltäter, Geheimdienste und terroristische Gruppen bereits CBR-Stoffe für Anschläge und gezielte Attentate genutzt (nukleare Einsatzmittel wurden aus diesem Spektrum noch nicht zum Einsatz gebracht).
Aktuell wird davon ausgegangen, dass CBRN-Stoffe weiterhin im Focus von Terrorgruppen stehen, besonders vor dem Hintergrund der medialen Wirkung von Anschlägen mit Gefahrstoffen. Deshalb rechnen Experten langfristig mit der Zunahme des Risikos einer terroristischen CBRN-Nutzung. Allerdings lässt der erhebliche Verfolgungsdruck auf diese Gruppen ein eigenes CBRN-Entwicklungsprogramm kaum zu. Aufgrund der technischen Herausforderungen wird deshalb die Wahrscheinlichkeit einer terroristischen Verwendung nuklearer Einsatzmittel als sehr gering erachtet. Auch der Einsatz biologischer Gefahrstoffe erscheint eher unwahrscheinlich, da eine erfolgreiche Ausbringung (Dispersion) nur schwierig zu bewerkstelligen ist. Eher ist die Nutzung toxischer Industriechemikalien oder radioaktiver Quellen, z. B. aus Abfällen, zu erwarten, deren Beschaffung einfacher möglich ist.
Vor diesem Hintergrund der gewandelten Bedrohungslage führt die Rahmenkonzeption für den CBRN-Schutz die folgenden CBRN-Szenarien als Planungsgrundlage für den Bevölkerungsschutz auf:
Auftreten von CBR-Gefahrstoffen natürlichen Ursprungs (z. B. Epidemien),
Freisetzung von industriell genutzten CBRN-Gefahrstoffen,
Transportunfälle in Verbindung mit Gefahrstoffen,
Freisetzung von CBRN-Kampf- oder Gefahrstoffen durch militärische Angriffe oder terroristische Anschläge.
Das Vorhandensein einer CBRN-Gefahr besitzt für sich noch keine Aussagekraft bezüglich der von ihr ausgehenden tatsächlichen Auswirkungen. Dies erfordert eine Abschätzung des zu erwartenden Schadenumfangs in einem Ereignisfall und deren Korrelation mit der Eintrittswahrscheinlichkeit. Daraus ergibt sich das Risiko, an dem sich die Planung des Bevölkerungsschutzes orientiert. Dieser Planung liegt das Schutzziel der Begrenzung, Eindämmung und Beseitigung von Gefahrenquellen, die von CBRN-Stoffen ausgehen, zugrunde.
Der CBRN-Schutz steht vor der Herausforderung, auf die gesamte Bandbreite der Bedrohungsszenarien vorbereitet zu sein, die von der unfallbedingten Freisetzung von Schadstoffen mit geringer Gefährlichkeit und kleinräumiger Beeinträchtigungen, über schwere Unglücksfälle bis hin zu einer militärischen Auseinandersetzung unter Einsatz von Massenvernichtungswaffen reichen. Da ein alle Bedrohungsbilder umfassendes Sicherheitssystem flächendeckend nicht bereitgehalten werden kann, ist es erforderlich, für den CBRN-Schutz auf Basis einer Risikoanalyse Schwerpunkte zu bilden. Industrieanlagen und Lagerstätten sind hinsichtlich des Ortes und des Gefahrstoff-Inventars bekannt, was eine detaillierte Abschätzung der möglichen Auswirkungen von Störfällen ermöglicht.
Die terroristischen Anschläge der vergangenen Jahre haben vorrangig in Ballungszentren stattgefunden. Hierbei dürfte auch das beabsichtigte Medieninteresse eine Rolle spielen. Zwar ist es durchaus denkbar, dass Attentäter aufgrund eines erhöhten Fahndungsdrucks in Ballungsräumen ein Ausweichen auf Ziele in Sekundärzentren planen, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit hier deutlich geringer. Problematisch sind dagegen Ereignisse, die räumlich nur schwer vorhersehbar sind. Darunter fallen beispielsweise Transportunfälle oder mögliche Freisetzungen während der Anwendung durch die industriellen Endnutzer. Diese Einsatzsituationen machen die Verfügbarkeit von Kräften zur Bewältigung von CBRN-Lagen auch in der Fläche erforderlich.
Bild 1: Das Risiko als Funktion der Auswirkungen von CBRN-Ereignissen in Relation zur deren Eintrittswahrscheinlichkeiten (Quelle: Benjamin Hövel)
Die Notwendigkeit der flächendeckenden Verfügbarkeit zeigt sich in der Statistik zum Arbeitsunfallgeschehen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), die für das Jahr 2016 insgesamt 7.269 meldepflichtige Arbeitsunfälle unter Beteiligung gefährlicher Stoffe ausgewiesen hat (https://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/12643-au-statistik-2016.pdf). Zwar ist diese Zahl, verglichen mit mehr als 802.000 Arbeitsunfällen, insgesamt eher bescheiden, allerdings nehmen Gefahrstofffreisetzungen bei den Unfallereignissen, die zu einem Massenanfall von Verletzten (MANV) führen, mit einem Anteil von 25 bis 30 Prozent eine Spitzenstellung in den Statistiken der Rettungsdienste ein.
Auf der Basis einer Analyse der vorliegenden Gefahren und der unterschiedlichen Schadenauswirkungen können Möglichkeiten abgeleitet werden, die zu einer Minimierung der daraus resultierenden Gefährdung geeignet sind. Der CBRN-Schutz baut auf der Abwehr »konventioneller« Gefahren auf. Dazu sind die bestehenden Vorbereitungen, wie Maßnahmen zur Warnung der Bevölkerung, durch spezifische Fähigkeiten zum Schutz vor CBRN-Gefahren zu ergänzen. Dies sind:
das Erkennen und Beurteilen von CBRN-Bedrohungen und die Umsetzung in Maßnahmen der Gefahrenabwehr,
das Generieren eines CBRN-Lagebildes durch Ausbreitungsprognosen und Gewinnung von Hintergrundinformationen,
der Schutz der Einsatzkräfte und der Bevölkerung vor der Einwirkung durch Gefahrstoffe, beispielsweise durch die Persönliche Schutzausrüstung (PSA),
die Beseitigung von aufgetretenen CBRN-Gefahrenquellen,
die Gefahrenfeststellung durch CBRN-Erkundung,
die Dekontamination,
Maßnahmen des gesundheitlichen CBRN-Schutzes einschließlich der psychosozialen Betreuung,
die Information der Öffentlichkeit über die aufgetretene Gefährdung und die zu ihrer Abwehr getroffenen Maßnahmen.
Die Gefahrenabwehr kann als Prozess betrachtet werden, der sich in drei Segmente unterteilt:
Prävention und Vorbereitung,
Bewältigung und
Nachbereitung.
Unter Prävention fallen alle Maßnahmen, die darauf abzielen, mögliche Bedrohungen bereits im Vorfeld auszuschließen bzw. zu minimieren, bevor diese sich auswirken können. Das Präventionsprinzip ist in der Abwehr ziviler CBRN-Gefahren fest etabliert. Darunter lassen sich unter anderem die Regelungen des Arbeitsschutzes und der Anlagensicherheit sowie deren Überwachung im Rahmen der behördlichen Aufsicht zusammenfassen. Zur Prävention können auch die internationalen Bemühungen zur Verringerung einer Gefährdung durch Massenvernichtungswaffen gezählt werden. Besondere Bedeutung kommt der Überwachung der Nichtverbreitung von CBRN-Waffen, deren Herstellungstechnologie und deren Trägermittel zu.
Bild 2: Der Prozess der Gefahrenabwehr (Quelle: Benjamin Hövel)
Auf Ebene der NATO wird der Verhinderung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen eine große Bedeutung beigemessen. In der Vergangenheit wurden wiederholt auch aktive Präventionsmaßnahmen ergriffen, die sich von der Durchsetzung von Embargos bis hin zur Zerstörung von Produktionseinrichtungen erstreckten.
Innerstaatlich fällt unter Prävention auch die polizeiliche Ermittlungsarbeit, um die Vorbereitung und Durchführung von terroristischen oder kriminellen Anschlägen zu verhindern. Allerdings können präventive Maßnahmen nicht alle Gefährdungen ausschließen. Das verbleibende Restrisiko zwingt zur Vorbereitung von Schutzmaßnahmen. Dazu gehört die Ausbildung der Gefahrenabwehrstäbe und CBRN-Einheiten anhand realistischer Lagebilder. Um auch in einer CBRN-Lage handlungsfähig zu sein, sollten keine neuen Strukturen und Prozesse etabliert werden, sondern bereits in der alltäglichen Gefahrenabwehr bewährte Verfahren der Führung und Zusammenarbeit Anwendung finden.
Die Zusammenarbeit der Kräfte unterschiedlicher Organisationen und Befähigungsstufen erfordert regelmäßiges gemeinsames Üben, um im Einsatzfall eine verzugslose Integration überörtlicher Spezialkräfte in die örtliche Gefahrenabwehr sicherzustellen. Die Einheiten der CBRN-Gefahrenabwehr und die Führungseinrichtungen sind durch die Bereitstellung von professioneller CBRN-Beratung und wissenschaftlicher Fachexpertise zu unterstützen. Deren Nutzung ist bereits im Vorfeld zu planen und bei Übungen einzubeziehen. Die Bewältigung großflächiger CBRN-Lagen erfordert die Zusammenarbeit unterschiedlicher Behörden und Hilfsorganisationen und kann die Kooperation über Ländergrenzen hinweg notwendig machen. Besonders der Anwendung gleicher Standards bei der Beurteilung der Lage kommt eine große Bedeutung zu. Um die erforderliche Kompatibilität zu erzielen, wurden durch Bund und Länder bereits verschiedene Regelungen, wie die Feuerwehrdienstvorschrift 500 – Einheiten im ABC-Einsatz –, gemeinsam erarbeitet. In Zuge der abgestimmten Vorbereitung ist auch die Information der Bevölkerung (und der Einsatzkräfte) hinsichtlich möglicher Risiken und der geplanten Schutzmaßnahmen vorzubereiten.
Nach Eintreten eines Ereignisses zielt die Schadenbewältigung auf den Schutz der Bevölkerung und ihrer Lebensgrundlagen ab. Darunter fallen unter anderem die Eindämmung und Beseitigung von Gefahrenquellen durch CBRN-Stoffe. In der ersten Einsatzphase ist die Beteiligung von CBRN-Stoffen nicht immer erkennbar. Aufgrund dessen ist eine Schädigung der ersteintreffenden Kräfte möglich. Ebenfalls ist die Ausbreitung der freigesetzten Gefahrstoffe in der Anfangsphase zumeist unbekannt. Abhängig von dem freigesetzten Stoff besteht die Gefahr einer Kontaminationsverschleppung durch die Einsatzkräfte. Das Tragen von Schutzkleidung ermüdet das Personal schneller und erschwert die Kommunikation. Aus diesen Faktoren ergibt sich eine für CBRN-Schadenlagen erhöhte physische und psychische Anforderung an die Einsatzkräfte, die auch in der Einsatzplanung berücksichtigt werden muss.
CBRN-Gefahrenlagen beeinflussen nicht nur die unmittelbar zu deren Bekämpfung eingesetzten Einheiten. Feuerwehren und Rettungskräfte müssen Maßnahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr, wie der Brandbekämpfung, auch in Situationen durchführen können, in denen eine Gefährdung durch Kontaminationen oder abdriftende CBRN-Stoffe besteht. Ferner ist, beispielsweise in Pandemie-Lagen, außer der Belastung durch ein erhöhtes Patientenaufkommen auch mit dem Ausfall von Einsatzkräften zu rechnen. Bei anschlagsbedingten Freisetzungen wird unter Umständen bereits parallel zur Schadenbekämpfung mit polizeilichen Ermittlungen begonnen. Dabei ist eine enge Koordination der Maßnahmen der Schadenbekämpfung und der Beweissicherung durch die Polizei notwendig, um eine Strafverfolgung zu ermöglichen. Besonders bei großflächigen, lang andauernden CBRN-Ereignissen besteht ein erheblicher Informationsbedarf der Öffentlichkeit sowohl hinsichtlich der Bedrohung als auch der Wirkung der Abwehrmaßnahmen. Um die Veröffentlichung widersprüchlicher Informationen zu vermeiden, ist dazu die Abstimmung aller zuständigen Behörden erforderlich. Aufgrund der zu erwartenden psychischen Belastung bei Einsatzkräften und Betroffenen sind psychosoziale Betreuungsmaßnahmen bereits frühzeitig anzubieten.
Im Zuge der Wiederherstellung der sozialen und ökonomischen Lebensabläufe in dem betroffenen Gebiet können CBRN-Einheiten nach Abschluss der Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im Rahmen der Amtshilfe andere Behörden unterstützen. Beispielsweise erfordern Maßnahmen der polizeilichen Ermittlungsarbeit bei Verdacht einer Straftat unter Nutzung von Gefahrstoffen die Fähigkeiten des persönlichen Schutzes, der CBRN-Aufklärung und der Dekontamination, was die Zusammenarbeit mit der Feuerwehr erforderlich machen kann. Ein wesentlicher Aspekt der Nachbereitung ist das Auswerten der gewonnenen Erfahrungen, um gegebenenfalls eine Anpassung der Strukturen, der Ausbildung und der Ausrüstung vorzunehmen. Das eingesetzte Personal muss gesundheitlich betreut werden. Darunter fällt die Aufnahme in ein medizinisches Nachsorgeprogramm und die psychosoziale Nachbereitung.
Aufgrund des breiten Bedrohungsspektrums sind an der Risikominimierung verschiedene Behörden und Organisationen mit unterschiedlichsten Aufgaben beteiligt. Die Überwachung von Anlagen mit CBRN-Gefahrenpotenzial in Deutschland fällt in das Aufgabenfeld der Aufsichtsbehörden der Länder. Der Bundesnachrichtendienst (BND) trägt durch das Feststellen möglicher CBRN-Gefahren im Ausland zu einem realistischen Bedrohungsbild bei. Gleiches gilt für die Verfassungsschutzämter bei der Observation terroristischer Gruppierungen innerhalb Deutschlands. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist ferner bei der Beobachtung von Proliferationsbestrebungen tätig. Die Einhaltung von Rüstungs- und Rüstungskontrollübereinkommen wird national durch das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle überwacht. Im Bereich der Kriminalitätsprävention werden das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei und die zuständigen Landespolizeibehörden tätig.
Die polizeiliche Gefahrenabwehr unterscheidet zwischen unfallbedingten Freisetzungen, in denen die Sicherung des Absperrbereichs und die Beweissicherung im Vordergrund stehen und Einsätzen mit kriminellem/terroristischem Hintergrund, die zusätzlich Strafverfolgungsmaßnahmen erforderlich machen. Die Durchführung von Maßnahmen des CBRN-Schutzes ist in der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr als Einsatzaufgabe den Feuerwehren zugeordnet. Der gesundheitliche CBRN-Schutz wird durch die sanitätsdienstlichen Hilfsorganisationen und den Rettungsdienst sowie den Einrichtungen des Öffentlichen Gesundheitswesens wahrgenommen. Das Technische Hilfswerk nimmt, außer bei der Ölschadenbekämpfung, unmittelbar keine Aufgaben zur Abwehr von CBRN-Gefahren wahr. Die Einheiten des THW sind aber aufgrund ihrer Ausbildung und Ausrüstung in der Lage, ihre fachspezifischen Tätigkeiten auch unter CBRN-Bedingungen durchzuführen. Ferner können sie im Rahmen ihrer Fachkompetenz unterstützend tätig werden.
Sind weiterführende Informationen für die Gefahrenabwehr notwendig, können diese über das Bundesamt für Strahlenschutz, das Robert Koch-Institut (biologische Bedrohungslagen) oder das Transport-Unfall-Informations- und Hilfeleistungssystem der chemischen Industrie (TUIS) abgerufen werden. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) unterstützt die Ausbreitungsprognose durch Bereitstellung von Wetterdaten und eigenen Auswerteprogrammen. Aus der nicht vollständigen Auflistung ist ersichtlich, dass eine erfolgreiche Risikominimierung wesentlich vom Systemverbund aller beteiligten Organisationen und Behörden abhängig ist.
Die Notwendigkeit, aufgrund der regional unterschiedlichen CBRN-Risiken neben dem erweiterten Schutz an Gefahrenschwerpunkten flächendeckend einen Basisschutz sicherzustellen, führt zu einem abgestuften Hilfeleistungssystem, wie es in der Rahmenkonzeption für den CBRN-Schutz beschrieben ist. Diese sieht ein vierstufiges Hilfeleistungssystem mit aufsteigender Qualifizierung vor:
1. Flächendeckender Schutz gegen alltägliche Gefahren durch Feuerwehr und Rettungsdienst. Grundsätzlich müssen alle Kräfte der Gefahrenabwehr über Basisfähigkeiten des CBRN-Schutzes verfügen, um anhand der GAMS-Regel erste Einsatzmaßnahmen durchführen zu können.
2. Standardisierter Grundschutz gegen nicht alltägliche Gefahren, die mit örtlichen Mitteln beherrscht werden können. Hierzu werden auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte, abhängig vom CBRN-Bedrohungspotenzial, Gefahrguteinheiten sowie CBRN-Erkundungs- und Dekontaminationsgruppen bereitgehalten.
3. Dauerhaft erhöhter Spezialschutz für gefährdete Regionen oder Einrichtungen mit deutlich erhöhtem Risiko. Der Bund stellt Regionen mit erhöhtem Risiko, z. B. der Bundeshauptstadt Berlin, zusätzliche Ausstattung wie etwa CBRN-Erkundungsfahrzeuge zur Verfügung. An Betriebsstandorten mit besonderem Gefahrenpotenzial ist der Betreiber verpflichtet, Werkfeuerwehren für deren Bekämpfung aufzustellen.
4. Sonderschutz für außergewöhnliche Gefahrenlagen durch Spezialkräfte und Kompetenzzentren. Hierunter fallen die Analytische Task Forces (ATF) und Medical Task Forces, oder die im Rahmen des TUIS überregional tätigen Werkfeuerwehren.
Bild 3: Das System CBRN-Schutz basiert auf dem Zusammenwirken der verschiedenen Mitwirkenden.
Wesentlich für die Leistungsfähigkeit dieses abgestuften Hilfeleistungssystems sind die Kompatibilität der verschiedenen Ebenen sowie die Zusammenarbeit zwischen den Kräften unterschiedlicher Organisationen. Dazu gehört die Kenntnis der jeweiligen Fähigkeiten der für den CBRN-Schutz vorgesehenen Einheiten und ihrer Einsatzgrundsätze. Ein Aspekt der Vernetzung der Gefahrenabwehr ist das Doppelnutzen-Konzept, das es den Ländern ermöglicht, die durch die Bundesrepublik für den Zivilschutz beschaffte Ausstattung auch in der täglichen Gefahrenabwehr einzusetzen.
Die aus dem ABC-Begriff stammenden atomaren Gefahren werden heute in der zivilen Gefahrenabwehr unterschieden in Gefahren radiologischen (R) Ursprungs durch die Freisetzung energiereicher, ionisierender Strahlen (Radioaktivität) ausgehend von radioaktiven Stoffen, die unfallbedingt oder durch vorsätzliche Freisetzung ohne Abschirmung vorliegen, und nuklearen (N) Gefahren, die aus nuklearen Kettenreaktionen herrühren, z. B. durch Kernwaffenexplosionen oder unkontrollierte Vorgänge bei der Energiegewinnung mittels Kernbrennstoffen.
Physikalisch betrachtet handelt es sich hier um Kernvorgänge instabiler Atome (Radionuklide), die sich unter Emission von Teilchen (Teilchenstrahlung) spontan in andere Kerne umwandeln (radioaktiver Zerfall). Dieser Vorgang ist häufig mit der Energieabgabe in Form elektromagnetischer Wellenstrahlung verbunden. Zwar erfolgt der radioaktive Zerfall spontan, allerdings ist die Geschwindigkeit der Umwandlung für die jeweiligen Radionuklide charakteristisch. Die Zeitspanne, in der 50 Prozent der Atomkerne eines Radionuklids zerfallen sind, wird als Halbwertszeit (HWZ) bezeichnet.
Tabelle 1: Technisch genutzte Radionuklide
RadionuklidElementsymbolHalbwertszeitVerwendung
Bei radiologischen Gefahrenlagen stehen die α-Strahlung, die β-Strahlung (β-, β+) sowie die γ-Strahlung im Vordergrund.
Die α-Strahlung ist eine Korpuskularstrahlung, die aus zwei Protonen und zwei Neutronen (dem Kern des Heliumatoms) besteht, welche aus dem Atomkern emittiert werden. Die α-Strahlung ist sehr energiereich und in Lage, beim Zusammenstoß mit Atomen aus diesen Elektronen herauszuschlagen und sie damit zu ionisieren. Aufgrund der Größe der α-Teilchen ist beim Durchtritt durch Materie ein Zusammenstoß mit anderen Atomen wahrscheinlich. Durch den dabei auftretenden Energieverlust hat α-Strahlung nur eine sehr geringe Reichweite (in Luft wenige Zentimeter). Daher sind Kontaminationen mit α-Strahlern unter Einsatzbedingungen nur schwer feststellbar. Zwar wird im Zuge des α-Zerfalls häufig auch γ-Strahlung emittiert, allerdings nicht bei allen α-Strahlern. Bei Verdacht auf eine Kontamination müssen deshalb Proben für eine Laboruntersuchung entnommen werden. α-Strahlung ist monoenergetisch und charakteristisch für das betreffende Radionuklid. Sie kann daher mit Labormethoden zur Substanzidentifizierung herangezogen werden.
Die β-Strahlung ist eine Korpuskularstrahlung, bei der negativ geladene Elektronen (β--Zerfall) aus dem Atomkern emittiert werden. Sie entsteht durch Umwandlung von Neutronen in Protonen unter Emission eines Elektrons. Elemente, deren Atomkerne einen Neutronenüberschuss aufweisen, sind β--Strahler. Häufig führen β--Zerfälle zu angeregten Tochterkernen, die durch Abgabe ihrer überschüssigen Energie in Form eines Gammaquants / Photons erst in den Grundzustand übergehen können.
Wesentlich seltener wird der β+-Zerfall unter Ausstoß eines Positrons aus dem Kern beobachtet. Trifft ein Positron auf ein Hüllenelektron, kommt es zu einer Auslöschung unter Abgabe von γ-Strahlung. Positronenstrahler finden im klinischen Bereich Anwendung (PET-CT-Gerät).
Die γ-Strahlung stellt eine elektromagnetische Wellenstrahlung dar, die von angeregten Atomkernen beim Übergang in einen energetisch günstigeren, stabilen Grundzustand emittiert wird. Sie tritt häufig im Anschluss an einen α- oder β-Zerfall auf. Die Energieabgabe erfolgt in Form von γ-Quanten (Photonen) mit typischen Energien von 200 Kiloelektronenvolt (keV) bis 2.000 keV. Im Gegensatz zur Korpuskularstrahlung kann die γ-Strahlung nicht vollständig abgeschirmt werden, sondern lässt sich lediglich abschwächen.
Im Gegensatz zur aus dem Kern von Radionukliden emittierten γ-Strahlung, wird die Röntgenstrahlung durch Anlegen elektrischer Energie an eine Röntgenröhre gebildet. Dabei werden Elektronen auf eine Wolframplatte geschossen und darin abgebremst. Die dabei frei-werdende elektromagnetische Wellenstrahlung weist Energien zwischen 10 und 100 keV auf und liegt damit um den Faktor 20 niedriger als die der γ-Strahlung. Die Röntgen-Strahlung wird nur emittiert, solange eine Spannung an der Röntgenröhre anliegt.
Bei nuklearen Gefahrenlagen spielt neben α-, β- und γ-Strahlung auch die Neutronen-Strahlung eine wesentliche Rolle. Neutronenstrahlung besteht aus ungeladenen Teilchen (Neutronen) und entsteht insbesondere bei Kernspaltung- und Kernfusionsprozessen. Neutronen-Strahlung gehört wie γ-Strahlung zu der indirekt ionisierenden Strahlung. Neutronen sind nicht geladen und können nur durch Stoßprozesse mit anderen Atomen wechselwirken. Die Neutronenstrahlung wird zivil in Nuklidgeneratoren zur Erzeugung von Radionukliden in Forschungseinrichtungen sowie in der Troxler-Sonde zur Bestimmung des Wassergehalts in Asphalt genutzt. Großtechnisch erfolgt die Nutzung in Kernreaktoren. Bei Störfällen ist durch sie keine Auswirkung über das Reaktorinnere hinaus zu erwarten.
Die Anfangsstrahlung einer Kernwaffendetonation besteht zu einem wesentlichen Anteil aus Neutronenstrahlung.
Treffen α- oder β-Teilchen auf Atome, können sie Elektronen aus deren Hülle herausschlagen, wodurch die Atome ionisiert werden. α- und β-Strahlung sind somit direkt ionisierende Strahlung. Die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes ist bei α-Teilchen etwa hundertmal höher als bei β-Teilchen. Da die Teilchen durch diese Ionisationsvorgänge ihre Energie verlieren, kommen sie, abhängig von der Dichte des durchstrahlten Materials, nach einer bestimmten Distanz zum Stehen.
Der mittlere Energieverlust von α-Strahlung bei Durchtritt durch (trockene) Luft beträgt zirka 100 keV/mm, dementsprechend beschränkt sich die Reichweite von α-Strahlung in Luft pro MeV Strahlungsenergie zirka ein Zentimeter, (bei gängigen α-Strahlern maximal sechs Zentimeter). In dichteren Materialien (Aluminiumfolie) beträgt die Reichweite weniger als ein Millimeter. Die geringe Reichweite der α-Strahlung macht den Nachweis unter Einsatzbedingungen schwierig.
Ein positives Messergebnis gilt als Nachweis; ein negatives Messergebnis kann jedoch nicht als Ausschluss einer Kontamination mit α-Strahlern gewertet werden.
Die β-Strahlung tritt mit den Elektronen des bestrahlten Materials in Wechselwirkung. Aufgrund der wesentlich geringeren Masse der β-Teilchen wirkt diese weniger stark ionisierend als die α-Strahlung. Allerdings dringt sie dadurch auch tiefer in Materie ein, was bei der Abschirmung zu beachten ist. Abhängig vom Energiemaximum der β-Strahlung beträgt die Reichweite in Luft weniger als zehn Meter, in dichterem Material ist sie deutlich niedriger.
Tabelle 2: Die Eindringtiefe der β-Strahlung in Abhängigkeit von ihrer Energie
RadionuklidEnergie der β-StrahlungReichweite in LuftReichweite in PlexiglasVerwendung
β-Strahlung sollte nicht mit dichterem Material, z. B. Blei abgeschirmt werden, da dabei γ-Strahlung freigesetzt wird (Induktion von Bremsstrahlung). Daher sollte Abschirmmaterial für β-Strahlung eine geringe Dichte aufweisen, wie z. B. Plexiglas.
Die γ-Strahlung schlägt beim Auftreffen auf ein Hüllenelektron eines Atoms dieses aus der Atomhülle heraus (Photo-Ionisation). Als elektromagnetische Wellenstrahlung kann sie nicht vollständig abgeschirmt werden, sondern lässt sich nur abschwächen. Die Strahlungsintensität nimmt dabei exponentiell mit der Eindringtiefe ab. Für die γ-Strahlung (und auch die Röntgenstrahlung) kann daher keine Reichweite angegeben werden, sondern lediglich eine Halbwertdicke.
Diese bezeichnet die Dicke einer Materialschicht, nach der die Intensität der eingedrungenen Strahlung halbiert ist. Die Schwächung ist abhängig von der Energie der Strahlung und dem verwendeten Abschirmmaterial. Höhere Energie der Gammaquanten bedeutet ein größeres Durchdringungsvermögen. Eine höhere Ordnungszahl des Wechselwirkungsmaterials führt zu einer größeren Abschirmwirkung. Das gängigste Material zur Abschirmung von elektromagnetischer Wellenstrahlung ist Blei.
Tabelle 3: Halbwertdicke einer 2 MeV-γ-Strahlung (Die maximale Energie der gebräuchlichsten Gamma-Strahler liegt unter 2 MeV)
MaterialHalbwertdicke
Die Neutronenstrahlung kann auf zwei Arten mit Materie wechselwirken. Bei der Wechselwirkung mit leichten Kernen (z. B. des Wasserstoffatoms) kann die gesamte Energie des Neutrons übertragen werden. Wasserstoffhaltige Materialien (Paraffin, Wasser) sind daher zum Abbremsen von Neutronenstrahlung besonders geeignet. Trifft ein Neutron auf einen Atomkern, kann es durch diesen eingefangen werden. Dadurch ist eine Aktivierung des Kerns möglich. Durch Abgabe von γ-Strahlung kann die überschüssige Energie wieder abgegeben werden (neutroneninduzierte γ-Strahlung). Die verschiedenen Methoden zur Messung der Radioaktivität beruhen auf deren Wechselwirkungen mit unterschiedlichen Materialien.
Der Effekt ionisierender Strahlung auf Körperzellen lässt sich in zwei aufeinander folgende Strahlenwirkungen einteilen:
Primärprozess (physikalische Phase – Wechselwirkung von Strahlung mit Materie):
Ionisation und Anregung von Atomen des biologischen Systems. Diese Frühphase ist innerhalb 10-6 Sekunde abgeschlossen.
Sekundärprozess (chemische und biochemische Folgeprozesse):
Bindungsbrüche und Bildung freier Radikale, die Veränderung an Biomolekülen und Störungen des zellulären Stoffwechsels bewirken.
Aufgrund dieser Effekte können die betroffenen Zellen ein verändertes biologisches Verhalten zeigen, das zu Funktionsverlusten bis hin zum Zelltod führen kann (biologische Bestrahlungseffekte). Der Organismus verfügt über verschiedene Reparatursysteme, um diese biologischen Bestrahlungseffekte soweit zu minimieren, dass keine gesundheitlichen Folgen auftreten. Wird jedoch ein individueller Schwellenwert der Dosisbelastung überschritten, können die Bestrahlungsfolgen nicht mehr repariert werden. Es tritt ein Strahlenschaden auf.
Die einzelnen Strahlenarten unterscheiden sich hinsichtlich ihrer biologischen Wirkungen bei gleichen Energiedosen. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass sie eine unterschiedliche Ionisationsdichte hervorrufen. Je größer sie ist, desto größer sind auch die biologischen Wirkungen. Das wird durch den Strahlungs-Wichtungsfaktor berücksichtigt.
Die biologischen Strahlungseffekte lassen sich in somatische und genetische Schäden unterschieden. Somatische Schäden betreffen den bestrahlten Organismus direkt und können in Früh- und Spätschäden eingeteilt werden. Für die Schwere der Frühschäden ist die Höhe der Dosisbelastung entscheidend. Ab der Gefährdungsdosis (um 250 mSv) sind reversible Veränderungen des Blutbildes nachweisbar. Mit zunehmender Dosis können zunächst zerebrale Symptome auftreten, wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen (»Strahlenkater«) bis zur Bewusstlosigkeit. Nach einem kurzen beschwerdefreien Intervall folgt die gastrointestinale Phase mit Resorptionsstörungen im Dünndarm verbunden mit Durchfällen, Wasser- und Elektrolytstörungen sowie Veränderungen im Knochenmark und Gewebeblutungen.
Die Symptome eines Strahlenschadens treten, abhängig von der Dosis, nach wenigen Stunden und spätestens ein bis zwei Tage nach Strahleneinwirkung auf. Spätschäden (z. B. Leukämie) sind nicht an einen Schwellenwert gebunden. Mit höherer Dosis steigt allerdings die Wahrscheinlichkeit für eine Folgeerkrankung. Das Auftreten von Strahlenschäden ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Neben der Höhe der Dosis sind die Strahlenart, die Aufnahmewege (Bestrahlung von außen, Kontamination oder Inkorporation mit möglicher Einlagerung in Körperorgane [Jod-131 in der Schilddrüse, Strontium-90 im Skelett]), die Aufnahme als Teilkörper- oder Ganzkörperdosis, die Zeitdauer der Aufnahme (je länger die Zeitspanne, desto besser kann der Körper die entstehenden Schäden reparieren). Nicht zuletzt ist die individuelle Verfassung für den Schaden entscheidend.
Tabelle 4: Biologische Effekte nach einer Ganzkörperbestrahlung
Dosisbiologischer Effekt
Besonders gefährdet sind Organe mit einer hohen Zellteilungsrate, da die Reparaturmechanismen während der Teilungsphase nur ungenügend wirksam sind. Eine hohe Zellteilungsrate findet sich auch bei der Produktion roter Blutkörperchen oder bei den Schleimhautzellen im Magen-/Darmtrakt. Auch der menschliche Embryo reagiert sehr empfindlich auf Strahlung. Genetische Schäden stellen Mutationsschäden des Erbguts dar, die an folgende Generationen weitergegeben werden können. Allerdings ist die Mutationsrate gering.
Die Aktivität (Zerfallsrate) ist die Anzahl von Kernumwandlungen pro Sekunde. Die Einheit der Aktivität ist das Becquerel (Bq). Ein Becquerel entspricht dabei einem Kernzerfall pro Sekunde:
Als spezifische Aktivität wird die massenbezogene Aktivität bezeichnet, die Einheit ist Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg).
Tabelle 5: Spezifische Aktivität verschiedener Radionuklide
RadionuklidRadionuklid
Als Energiedosis wird die von der Strahlung pro Masse an das bestrahlte Material abgegebene Energie bezeichnet. Die Einheit der Energiedosis ist Joule pro Kilogramm (J/kg). Sie wird im Strahlenschutz als Gray (Gy) bezeichnet (1 Gy = 1 J/kg). Die Intensität der Strahlung (Energiedosisleistung) wird durch die Energiedosis pro Zeiteinheit, Gray pro Stunde (Gy/h) wiedergegeben.
Um eine Beziehung zwischen der Aktivität einer (ideal punktförmigen) radioaktiven Quelle und der von ihr in einem bestimmten Abstand erzeugten Energiedosis herzustellen, ist die Dosisleistungskonstante erforderlich.
Die Dosisleistungskonstante hat die Einheit (μGy × m2) / (h × GBq). Mit Kenntnis der Aktivität einer Strahlenquelle und der Dosisleistungskonstante kann die zu erwartende Dosisleistung in einem bestimmten Abstand berechnet werden.
Bei der Bestrahlung mit verschiedenen Strahlenarten von gleicher Energiedosis zeigen sich unterscheidbare biologische Wirkungen. Grund hierfür ist die unterschiedliche biologische Wirksamkeit einzelner Strahlungsarten. So haben schwere, langsame Teilchen, z. B. der α-Strahlung, eine stärkere biologische Wirksamkeit als schnelle leichte Teilchen wie beispielsweise die Elektronen der β-Strahlung.
Tabelle 6: Strahlungs-Wichtungsfaktoren unterschiedlicher Strahlungsarten
StrahlungsartWichtungsfaktor q
Um die unterschiedliche biologische Wirksamkeit verschiedener Strahlungsarten bewerten zu können, muss die Energiedosis daher mit einem Strahlungs-Wichtungsfaktor gewichtet werden. Die Einheit der Äquivalentdosis ist das Sievert (Sv).
Als Äquivalentdosisleistung wird die pro Zeiteinheit emittierte Strahlung bezeichnet. Die Maßeinheit der Äquivalentdosisleistung ist das Sievert pro Stunde (Sv/h) und ist die vorgeschriebene Messgröße im praktischen Strahlenschutz.
Die natürlich bedingte Strahlenexposition setzt sich aus der kosmischen und der terrestrischen Strahlung zusammen. Die kosmische Höhenstrahlung ist eine hochenergetische Teilchenstrahlung, die von der Sonne und anderen Himmelskörpern ausgeht. Die kosmische Höhenstrahlung nimmt mit der Höhe über Meeresniveau zu. Die terrestrische Strahlung basiert auf den in der Umwelt vorkommenden natürlichen radioaktiven Elementen. Abhängig von geologischen Gegebenheiten unterliegt die terrestrische Strahlenbelastung einer großen Schwankungsbreite. Im Wesentlichen wird die terrestrische Strahlung durch Kalium-40, Radium-226, Thorium-232 und Radon-222 verursacht.
Tabelle 7: Radioaktive Belastung des Menschen aus natürlichen Quellen (Quellen: Bundesamt für Strahlenschutz, Ionisierende Strahlung; LfU Bayern, Radioaktivität und Strahlung, 2016)
Quellemittlere Belastung pro Jahr (D)Extremwerte
Die mittlere zivilisatorische Strahlenexposition beträgt in Deutschland zirka 2,1 mSv/Jahr, wobei hier große individuelle Unterschiede auftreten können. Der Hauptbeitrag liegt bei der Exposition durch die medizinischen Anwendungen, wie diagnostische Untersuchungsverfahren (Röntgen-, radiologische Untersuchungen) aber auch der Tumorbehandlung mittels Strahlentherapie.
Der Anteil durch die technische Anwendung, z. B. bei Füllstandmessungen, Prüfung von Materialstärken und radiologischen Verfahren in der Forschung, sowie die Strahlenexposition durch Kernwaffenversuche, die Nutzung der Kernenergie und mögliche unfallbedingte Expositionen liegen statistisch um den Faktor 6 niedriger. Durch die oberirdischen Kernwaffentests der 1950er- und 1960er-Jahre trat auch in Deutschland eine erhöhte Strahlenexposition auf. Inzwischen beträgt die Strahlenbelastung infolge dieser Tests weniger als 10 μSv/a. Zusätzlich stellt heute der Luftverkehr eine wesentliche Quelle für die zivilisatorische Strahlenbelastung dar. Abhängig von der Flugroute, Flughöhe und -dauer führt beispielsweise eine Flugreise von Frankfurt nach New York und zurück zu einer radioaktiven Exposition von zirka 110 μSv. Aus den Einzelexpositionen ergibt sich damit in Deutschland eine mittlere effektive Dosis von 4,2 mSv/Jahr.
Tabelle 8: Strahlenbelastung durch die technische Nutzung der Radioaktivität (Werte nach Bundesamt für Strahlenschutz)
Quellemittlere Belastung pro Jahr (D)Extremwerte
Im zivilen Bereich werden radioaktive Stoffe in technischen und medizinischen Anwendungen aber auch in der Forschung vielfältig eingesetzt. Der Umgang mit diesen radioaktiven Materialien ist durch den Gesetzgeber streng reglementiert und wird durch zuständige Behörden überwacht. Aufgrund von technischen Störungen, Unfällen, kriminellen Handlungen aber auch menschlichem Fehlverhalten unter Verletzung von Sicherheitsvorschriften kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Zwischenfällen, bei denen radioaktives Material freigesetzt wurde.
Etwa ein Drittel aller Vorkommnisse mit radioaktiven Stoffen entfallen auf Unfälle im Zuge des Transports. Zumeist waren dabei medizinische Transporte betroffen, die radioaktive Präparate (Indium, Technetium, Jod) transportierten.
Als radioaktive Güter gelten Materialien, deren Aktivität sowie die Dosisleistung an ihrer Oberfläche die Grenzwerte der ADR/RID bzw. IATA-DGR übersteigen. Diese Güter sind der Gefahrgutklasse 7 (Radioaktive Stoffe) zugeordnet.
Tabelle 9: Vorkommnisse mit radioaktiven Stoffen in der Bundesrepublik innerhalb von zwei Jahren (Quelle: BfS-Jahresberichte zu Umweltaktivität und Strahlenbelastung)
VorkommnisUrsacheRadiologische FolgenMaßnahmen/ Bemerkungen
Bei der Kennzeichnung gemäß Klasse 7 gibt die UN-Nummer keine Auskunft über den transportierten Stoff, sondern nur über die Aktivität und die Dosisleistung des Versandstückes. Radioaktive Stoffe und Gegenstände, deren Aktivität oder Oberflächendosisleistung unterhalb der Grenzwerte liegen, können unter bestimmten Voraussetzungen als so genannte freigestellte Versandstücke außerhalb der Klasse 7 transportiert werden.