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Deutschland – Jerusalemsland

In Deutschland gibt es eine lange Tradition der Darstellung des Himmlischen Jerusalem, die mehr bietet als Dürers Apokalypseserie oder als die Illustrationen zu Luthers Bibelausgaben. Es gilt eine breite Vielfalt unterschiedlicher Jerusalemsdarstellungen zu entdecken, zunächst die zahlreichen mittelalterlichen Wandmalereien wie in der Peterskapelle Spay, der Lorscher Torhalle, der Veitskapelle in Mühlhausen, im Kloster Wienhausen oder in der Bückelter Kapelle. Einzigartige Höhepunkte und wahre Meisterwerke sind die Fresken in Scholen, Schwaförden und Marklohe (alle um etwa 1500 entstanden). Ebenso reichhaltig ist der mittelalterliche skulpturale Schmuck an Kirchenfassaden; herausgegriffen sei einmal der Rottweiler Kapellenturm, die Frauenkirche zu Esslingen oder St. Salvator Nördlingen.

Bemerkenswert, weithin bekannt und gut dokumentiert ist sicher die Ebstorfer Weltkarte (um 1300), die belegt, wie unzertrennlich im Hohen Mittelalter Geografie und Religion verbunden waren: das Neue Jerusalem war ein konkreter Ort, der beschreibbar, grafisch darstellbar und schließlich in Visionen und Auditionen erlebbar war. Gleiches gilt für das bekannte Grabmal von Philipp I. von Heinsberg (um 1130 bis 1191) im Kölner Dom, der sich in einer Art Jerusalemsburg hat bestatten lassen und damit einen nachweltlichen Anspruch in Stein formulierte.

Hochwertige Kupferstiche in der Frühen Neuzeit lassen sich im ganzen deutschen Sprachraum finden, etwa von Cornelius Cort, Johann Bussemacher, Melchior Küsel. Später, im 20. Jahrhundert, sind es vor allem die Glasmaler, die das Neue Jerusalem zum bildlichen Ausdruck brachten: Anton Wendling, Gerhard Hausmann, Heinz Hindorf und viele andere. Zwei Weltkriege, Kunstbeauftragte und hohe Summen aus Kirchensteuern hatten zur Folge, dass in Deutschland die besten Künstler ihrer Zeit tätig werden konnten: Wilhelm de Graaff, Sigmund Hahn, Franz Nagel, Emil Wachter, Gerd Winner, Rudolf Yelin, Max Herrmann, Gerhard Kadow, Elmar Hillebrand, Josef Hauke, Ida Köhne, Hubert Distler, Walter Prolingheuer, Friedemann Liebisch, Siegfried Assmann, Bernhard Weißhaar oder Egon Stöckle. Ihre Arbeiten belegen, dass die Johannesoffenbarung von ungebrochener Aktualität ist und gerade in einer Zeit, die von Mobilität, Entwurzelung, Entkirchlichung und Entfremdung geprägt ist, vielen Gläubigen Orientierung, Halt und Zuversicht geben kann. Das Himmlische Jerusalem übt selbst in einer so „aufgeklärten“, säkularisierten und multireligiösen Gesellschaft wie in Deutschland eine ungebrochene Faszination aus: auf Künstler wie auf Betrachter.

Hamburger Apokalypse (1300–1325)

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Vor einem kleinen, verschlossenen Tor erhebt sich, in blauer Farbe, die Mauer der Gottesstadt. Darüber sind fünf Bauten aus dem Stadtinneren zu sehen. Über der im Raum schwebenden Stadt steht links Johannes und deutet auf Christus, der über einem mehrfarbigen Strahlenkranz vor dem Goldhintergrund über der Stadt erscheint. Darunter die Szene der „Rede Gottes“ (Apok. 21, 5–6). Diese „Rede Gottes“ findet sich auch in der Trinity-Apokalypse, wie überhaupt die Hamburger Apokalypse (Staats- und Universitätsbibliothek, fol. 55 aus Hs. Cod. MS 98 in scrin. 87) mit den englischen Ausgaben in enger Verbindung steht. Sie entstand im mitteldeutschen Raum, vermutlich in einer Klosterwerkstatt.

Die Hamburger Apokalypse, in: Gertrud Schiller: Die Apokalypse des Johannes, Gütersloh 1991, S. 232–235.

Peterskapelle Spay (1300–1350)

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Die katholische Peterskapelle in Spay im Ortsteil Peterspay (Landkreis Mayen-Koblenz), ist sehr wahrscheinlich ein romanischer Bau, der um 1300 eine gotische Umgestaltung erfuhr. In der Kapelle sind Wandmalereien aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erhalten, die seit 2002 Teil des UNESCO-Welterbes Oberes Mittelrheintal sind. Die Malereien wurden in der Reformationszeit übertüncht und wären mit dem Verfall der Kapelle im 19. Jahrhundert beinahe verloren gegangen. 1886 wurden erstmals Spuren einer gotischer Wandmalerei entdeckt. Nach der baulichen Instandsetzung der Kapelle ab 1919 wurden die Malereien 1931/32 freigelegt und von dem Kirchenmaler Hermann Velte sen. aus Darmstadt erstmals restauriert. 1950 wurden weitere Malereien freigelegt und es erfolgte eine erneute Restaurierung durch Hermann Velte jun.

1980 wurde die Kapelle unter Denkmalschutz gestellt und 1985 wurden umfassende Sanierungsmaßnahmen des Gebäudes eingeleitet. 1996 begann man mit der Reinigung und Konservierung der Wandmalereien. Heute kann man nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob das Himmlische Jerusalem im Burgenstil so im 14. Jahrhundert ausgesehen hat oder ob es eine spätere Zutat bzw. Ergänzung ist.

Nicole Buchmann: Peterskapelle in Spay, Köln 2004.

Lorscher Torhalle (1300–1350)

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Die Torhalle in Lorsch ist ein Bau der Karolinger, der in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts mit Fresken ausgestattet wurde, wahrscheinlich von einer Mainzer Werkstatt ausgeführt. Diejenigen des Obergeschosses der Nordwand zeigen eine Marienkrönung mit Engeln, die zwischen den Zinnen des Neuen Jerusalem positioniert sind. Die Malereien reihen sich ein in entsprechende Darstellungen aus dem „Speculum Humanae Salvationis“, also dem Heilsspiegel, der die irdischen mit den zukünftigen himmlischen Zuständen „spiegelt“.

Hans Schupp: Die gotischen Wandmalereien in der Königshalle zu Lorsch, in: Laurissa Jubilans, Mainz 1964, S. 135–144.

Kai R. Mathieu: Die Torhalle in Lorsch, in: Kunst in Hessen und am Mittelrhein, 32/33, 1992/1993, S. 9–22.

Matthias Exner: Mittelalterliche Wandmalerei im Kloster Lorsch, in: Kloster Lorsch, Petersberg 2011, S. 312–329.

Ebstorfer Weltkarte (um 1300)

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Nach mittelalterlicher Vorstellung war Jerusalem nicht nur der Mittelpunkt der damals bekannten Welt, sondern auch des zukünftigen Neuen Jerusalem. Dieses ist bereits auf der Karte eingezeichnet: In der Mitte steigt Christus aus einem Sarg. Um diese Szene ist eine goldene Stadtmauer mit zwölf Toren gelegt, je zwei an einer Seite und vier weiteren an den Eckpunkten. Durch Mäusebefall und unsachgemäße Lagerung sind viele Details leider verloren gegangen. Die Absicht des Autors der Karte war es aber nicht, ein geographisch korrektes Abbild der Welt anzufertigen. Vielmehr spiegelte die Karte das historische, mythologische und theologische Wissen der Zeit um 1300 wider. Die größte Karte aus dem Mittelalter (30 Pergamentblätter) ist nach ihrem Fundort, dem Kloster Ebstorf (Lüneburger Heide), benannt. Das Original wurde im Oktober 1943 bei einem Luftangriff auf Hannover durch englische Bombentreffer vernichtet.

Jürgen Wilke: Die Ebstorfer Weltkarte, Bielefeld 2001.

Brigitte Englisch: Ordo orbis terrae, Berlin 2002.

Hartmut Kugler u.a. (Hrsg.): Die Ebstorfer Weltkarte, Berlin 2007.

Apokalypsekommentar (um 1320)

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