Bibliografische Information der

Deutschen Nationalbibliothek: Die

Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet

diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte

bibliografische Daten sind im Internet

über www.dnb.de abrufbar.

© 2020 Almut Weitze

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783752695915

Inhalt

I. Analyse von Text und Film

Der Mensch ist kein Wesen, das eines ist. Das Individuum, das Ungeteilte, ist sein Traum, nicht seine Wirklichkeit. Er sieht sich fortwährend gespalten und von sich selbst entfernt. Hier zerbricht er in den Körper, in die Seele und in den Geist, dort in Blick und Bild; hier ist er Objekt des Begehrens und dort Subjekt der Liebe, hier was er zu sein scheint, dort, was er von sich haben will. [...] All sein Träumen, sein Erzählen, sein Bilden hat nur zwei Fluchtpunkte, das Wunder der Einheit und das Grauen der Spaltung.1

Sowohl in Büchners Dantons Tod als auch in Buchowetzkis filmischer Adaption Danton (1921)2 nehmen Körper, Haltsuche und Spaltung eine, wenn nicht sogar die zentrale Rolle ein. Ist die Zerstückelung von Körpern ein äußerliches Merkmal von Gewalt, wird sie bei Büchner und Buchowetzki zunächst metaphorisch betrachtet, d.h., Zerstückelung wird verinnerlicht und kehrt sich in der Französischen Revolution durch den Einsatz der Guillotine nach außen. Die Guillotine ist hierbei nur der bildhafte Ausdruck der Fragmentierung, die letzte ‚Äußerung‘ des inneren Konfliktes. Das Individuum zerfällt, wird unvollständiges Mosaik - sowohl Danton als auch Robespierre identifizieren sich als gebrochen, da ihnen die eigene Rolle entgleitet bzw. sich als unbeherrschbar erweist, sie trotz Suche ihre Ganzheit nicht finden können. Der Mosaikcharakter des Menschen, der Bruch zwischen Innen und Außen, Geist und Körper, Individuum und Masse, wird darüber hinaus gespiegelt an der Darstellung der Geschichte als Mosaik.

Dieser Text soll in einer vergleichenden Analyse von Buch und Stummfilm den Kampf um die Individualität, die Ungeteiltheit zeigen, wobei gezielt auf die Umsetzung der (wegfallenden) Dialoge im Bild eingegangen wird, z.B. durch die Analyse von Einstellungsgrößen oder der Mise en Scène. Da jedoch nur auf einige wenige ausgewählte Text- und Filmbeispiele eingegangen werden kann, bringt diese Arbeit nur Ansätze und Ideen einer ‚gestückelten‘ Analyse.

Im Drama ist besonders das Auseinanderklaffen der Auffassung von Körper und Geist, Individualität und Masse zwischen den Anhängern Robespierres und Dantons auffällig.

Die Staatsform muß ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muß sich darin abdrücken. Die Gestalt mag nun schön oder häßlich sein, sie hat einmal das Recht zu sein wie sie ist, wir sind nicht berechtigt, ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuschneiden.3

Diese Meinung der Dantonisten weist hier auf die Belebung des Winckelmannschen Schönheitsideals hin, d.h., der Staatsform wird Leben eingehaucht, Geist und Natur bzw. Körper fließen hier ineinander. Die Schönheit ergibt sich aus dem Zusammenspiel, jedes Schwellen muss sichtbar sein, damit es vom Staat wieder schöne, sanfte Formen erhalten kann, jedoch von einer individualistisch geprägten Staatsform, die jedem das Recht gibt, zu sein, wie er ist. Die Individualität ergibt sich für die Dantonisten aus den verschiedenen Einzelinteressen, wie später von Philippeau angesprochen: „Es gibt ein Ohr, für welches das Ineinanderschreien und der Zeter, die uns betäuben, ein Strom von Harmonien sind.“ (S.93) Im Stummfilm von 1921 entfallen zwar die Dialoge des Dramas, doch wird durch die Einführung der Charaktere eine ähnliche Ausgangssituation erreicht. Der Nationalkonvent tagt,4 Danton steht in der Mitte, ausholend gestikulierend. Er scheint durch seine weit aufgerissenen Augen, sein energisches Zucken und den ausgestreckten Arm voll eingenommen von seiner Sache.5 Gegen ihn wird Robespierre als Vorsitzender des Wohlfahrtsausschusses gestellt.6 Er rührt sich nicht, steht wie angewurzelt und schaut abfällig auf die Anderen.

Für Robespierre gleichen Volk und Demokratie eher einer unverwundbaren, starren und damit toten Statue (S.32), die sich um so mehr im Geist verkörpert, desto mehr Körper sie unter sich begräbt. So wirken sowohl er als auch seine Anhänger in Buchowetzkis Film tot und starr wie Säulen im Gegensatz zu Danton und seinen Gefolgsleuten, die sich durch ihre Dynamik von ihnen unterscheiden, die nicht das ‚Schwellen der Adern‘ und ‚Spannen der Muskeln‘ unterdrücken.

Camille unterschreibt nicht sofort wie eine Maschine Todesurteile.7 Auch Westermann hält ihn zurück,89101112