Ach, es ist so schnell passiert: Ein Spaziergang entlang der Klippen … ein Segeltörn im Haifischgebiet … eine Rangelei unter Freunden … manchmal reicht eben ein kleiner Schubs: UPPS! Gemordet wird immer – ob im Urlaub oder im Alltag, auf vielfältige Art und Weise!

Erstmalig versammelt Jutta Wilbertz in einem Band die besten ihrer in zahlreichen Anthologien erschienenen Kurzkrimis sowie eine Auswahl ihrer witzig-rabenschwarzen Songtexte. Gerne in der Badewanne zu lesen und manchmal auch zu singen – aber passen Sie auf den Föhn auf!

Die Autorin

Jutta Wilbertz studierte Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen und lebt heute als Krimiautorin, Musikkabarettistin und Textdichterin in Köln. Mit ihren oft witzig-bösen Kurzkrimis stand sie 2018 auf der Shortlist des Publikumspreises für den NordMordAward und gewann 2017 den 1. Ostfriesischen Krimipreis. 2011 gehörte sie zu den ausgewählten Textdichter-Stipendiaten der Celler Schule (Masterclass GEMA Stiftung). Sie tritt regelmäßig zusammen mit ihrem Mann Thomas mit ihren literarisch-musikalischen „Krimis & Songs“-Abenden auf.

www.jutta-wilbertz.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2020 - Jutta Wilbertz, Köln (www.jutta-wilbertz.de)

Umschlaggestaltung: Thomas Wilbertz

Fotovorlagen: Andrea Brenn

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7526-9379-9

INHALT

IN DIE WÜSTE GESCHICKT

Es ist vier Uhr Nachmittag, als ich im Hotel einchecke und meinen Kram aufs Zimmer schleppe. Sieht nett hier aus. Ich kenne ja leider auch ganz andere Absteigen. Obwohl, auf dieser Tour kann ich mich bis jetzt nicht beklagen, immer saubere Duschen, leckeres Rührei zum Frühstück und nicht zu weiche Betten. Meine Agentur hat das ganz ordentlich organisiert, 4 Wochen an der Küste und auf den Inseln, Auftritte, Krabbenbrötchen, Strandspaziergänge, Muscheln sammeln! Eigentlich ist das hier ein bisschen wie bezahlter Urlaub!

Ich liebe das Meer! Vielleicht, weil ich aus dem Bergischen stamme, da ist alles so eng, immer irgendein blöder Hügel im Weg, der die Sicht versperrt. Das mit dem Bergischen will mir übrigens keiner glauben. Ich bin schlank und hochbeinig, ganz und gar die kühle Blonde aus dem Norden. Hamburg, nicht Bergneustadt. Die Gage war jedenfalls insgesamt recht gut, heute mache ich noch diese private Geburtstagsfeier hier in Norddeich und danach ist mein Konto endlich wieder schön im Plus und ich kann in Ruhe wegfahren, mein neues Programm vorbereiten, Provence oder so, jedenfalls nicht Italien, auf gar keinen Fall Italien.

Ich wuchte den Instrumentenrucksack aufs Bett und gehe ans Fenster, um das Meer zu sehen. Es ist nicht da. Nur eine graue, schlammige Matsche, soweit das Auge reicht. Aber das ist okay. Ich habe die Nordsee schon immer gemocht. Ehrlich ist sie, spröde, verspricht nichts, dabei konsequent in ihrer Wechselhaftigkeit – und wenn das Wasser zurückgewichen ist, findet man mitten im Schlamm die schönsten Reichtümer. Das Mittelmeer dagegen, das einen so verführerisch blau an glitzert, Schätze und versunkene Welten verspricht, ist nur ein aufgeblasener Blender. Das merkt man schon beim Schnorcheln, alles leergejagt von den Italos mit ihren blöden Harpunen, man sieht höchstens eine verrostete Cola-Dose auf dem Grund, an der man sich dann auch noch den Fuß aufschlitzt. Das Mittelmeer ist genau wie die Männer. Genau wie Lorenzo, um es mal auf den Punkt zu bringen, aber an Lorenzo will ich jetzt nicht denken. Hab das Ganze viel zu lange mitgemacht, es war wirklich höchste Zeit, ihn in die Wüste zu schicken. Hoffe, dass er da bleibt.

Ich öffne den Koffer, hänge mein Bühnenoutfit an die Schranktür, dann ziehe ich mein Schätzchen aus dem Rucksack, überprüfe, ob es ihm gut geht. Das ist ein Tick von mir, denn natürlich ist alles in Ordnung. Ich ziehe den Balg, poliere die Oberfläche, drücke ein paar Knöpfe. Letzten Endes hat sich mein Beruf ganz von selbst ergeben. Seit meinem sechsten Lebensjahr spiele ich Akkordeon, erst Schneewalzer und Polka, später dann Musette und Tango. Und ich singe gern, schon mit vierzehn habe ich – mich selbst begleitend und lauthals Edith Piaf schmetternd – ein ansehnliches Taschengeld auf Hochzeiten und Schützenfesten verdient. Während der Studienzeit – ich hab mal BWL studiert, ja, wirklich – war das ein willkommenes Zubrot und als ich keine Lust mehr auf diese langweiligen Köppe in der Fakultät hatte, habe ich mir kurzerhand eine Agentur gesucht, mich professionalisiert. Die erste Agentur musste ich allerdings bald wieder in die Wüste schicken, bin kein Rosenresli, das noch nicht einmal selber richtig spielen darf, nur blöde grinsen und viel Busen im knappen Dirndl zeigen, während die Jungs in Lederhosen die Holzfällerbuam geben. Es hat eine Weile gedauert, bis ich meine jetzige Agentur gefunden habe, aber seitdem läuft es richtig gut! Nun kann ich zeigen, wie virtuos und erotisch Akkordeon sein kann! Ich toure mit meinem Bühnenprogramm und habe zu dem viele, gutbezahlte Gala-Auftritte, die mir Spaß machen und bei denen ich die Herrschaften auch schon mal mit einem richtig vertrackten Piazzolla oder einem Kurt Weill verblüffe. Am liebsten mag man mich allerdings mondän, im Herrenanzug und Zylinder, unter der Anzugjacke eher luftig gekleidet, etwas schwarze Spitze oder so. Mysteriös, glamourös, verführerisch. Marlene Dietrich gibt sich die Ehre. Und dann raune ich „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ oder, wie jetzt hier bei der Nordseetour, ein paar rauchige Shantys. „Lili Marlen“, die darf natürlich auch nicht fehlen, wobei ich dann schon immer auf die wahre Lili Marlen, nämlich Lale Anderson, hinweise. Ehre, wem Ehre gebührt und das norddeutsche Publikum weiß es zu schätzen.

Die Feier des alten Herrn geht um sieben Uhr los, hier im Hotel, mit Sektempfang, Krabbenkräcker, einem fünf Gänge Menü und zwischendurch serviere ich dann abwechselnd instrumentale Evergreens und Chansons. Ich habe noch ein wenig Zeit und überlege, ob ich mir den hoteleigenen Wellness-Bereich gönnen soll. Allerdings habe ich gleich die kühle Marlene zu geben, da wäre es gar nicht gut, wenn das Publikum mich vorher rot, verschwitzt und wie Gott mich schuf in der Sauna antrifft. Ganz abgesehen davon, dass dann auch das Publikum rot, verschwitzt und so weiter wäre. Nein, das muss ich nicht haben. Der alte Herr hat groß eingeladen, sicherlich wimmelt es hier von Partygästen. Also lieber kurz geduscht und ab nach draußen. Vor der Tür atme ich tief die salzige Luft ein, marschiere los und bemerke jetzt erst, dass ich die ganze Zeit „Lili Marlen“ vor mich hin summe – ausgerechnet!

„Vor der Kaserne, vor dem großen Tor.“ Seit Ewigkeiten habe ich das im Repertoire, aber erst seit Lorenzo weiß ich, was das arme Mädel eigentlich mitgemacht hat … Lorenzo. Ach herrjeh. Den habe ich vor einigen Monaten in Bari kennengelernt. Und da ist es dann passiert. Die große Liebe! Als ich Lorenzo in seiner Uniform sah – ein echter Carabiniere – da ist wohl irgendetwas mit mir durchgegangen. Wahrscheinlich habe ich einfach zu viele Marlene Dietrich- Filme geguckt. „Marokko“, wo sie zum Schluss ihr Nachtclubleben aufgibt und dem Fremdenlegionär Gary Cooper in die Wüste folgt, barfuß, liebend, Abblende, The End.

Zugegeben, Lorenzo hat schon etwas von Gary Cooper: Hochgewachsen, ein tragisch verschlossenes Gesicht, nur in seltenen Momenten offen und voller Leidenschaft. Und natürlich will Frau dann diejenige sein, die diesen Gesichtsausdruck hervorruft, die den einsamen Wolf erlöst. Idiotisch. Wie gesagt, ich habe ihn in die Wüste geschickt, da soll er bleiben und ich werde einen Teufel tun und doch noch hinterherlaufen.

Ich weiß eigentlich gar nicht genau, wohin ich mich wenden soll, schlendere schließlich Richtung Mole. Ich kenne Norddeich noch aus meiner Kindheit, als ich jedes Jahr mit Ferienfreizeiten an die Nordsee fuhr. Die Wattwanderungen waren stets der Höhepunkt! Diese Begeisterung, wenn wir besonders schöne Muscheln entdeckt hatten, die „Iihs“ bei den Prilwürmern und „Ooohs“ bei den Krebsen und natürlich das gruselige Gefühl, wenn sich erste Anzeichen der Flut zeigten und wir uns schleunigst auf den Rückweg machten.

Abendstimmung an der Mole, Möwen kreischen, ich denke an Lili Marlen und muss fast lachen. Herrjeh, eigentlich war sie doch auch nur eine blöde Kuh. Genau wie ich. Dabei war es zunächst so romantisch mit Lorenzo! Rosen, kleine Restaurants, dann ins Hotel. Sein Geruch, sein Mund an meinem Ohr, wenn er „Amore mio“ flüsterte … ach, da schmolz ich einfach dahin. Gut, er hätte mir auch das Telefonbuch vorlesen können, mit dieser unglaublich männlichen, warmen Stimme und den klingenden Vokalen, weichen Konsonanten und dem rollenden „R“. Italienisch bringt mich einfach in Wallung, ich kann nichts dafür. Für Lorenzo reichten meine VHS-Sprachkenntnisse so gerade, insgesamt war unsere Kommunikation ja sowieso eher mager. Immerhin konnte er ganz passabel „Kartoffel“ sagen, sein Englisch war nur unerheblich besser, aber na ja, wir haben eh nicht viel geredet.

Ich schlendere weiter, fühle mich allein, so richtig schön allein. Und freue mich auf das neue Bühnenprogramm, das ich nun endlich in Ruhe zusammenstellen will. Das hatte ich schon ewig vor, aber mit Lorenzo war das nicht möglich, viel zu viel Unruhe. Vielleicht nehme ich italienische Schlager aus den fünfziger Jahren – für irgendetwas muss diese Beziehung doch gut gewesen sein.

Natürlich dauerte die ganze Sache viel zu lange, ich stand liebeskrank vor der Kaserne, vor dem großen Tor, hatte hausfrauliche Visionen von Lorenzo und einem Haufen Bambini und mir als Pasta kochender sexy Mamma am Herd … aber das ließ dann doch wieder nach, spätestens, als meine Agentur mailte und die neuen Termine durch gab. Und damit ging der Ärger los. Völlig naiv zeigte ich Lorenzo meine Pressefotos, auf die ich wirklich stolz bin: lässiglasziv, in schwarzer Spitze, mit Akkordeon und High Heels. Seine Reaktion war – nun, heftig.

Ich packte sofort meine Sachen und konnte von Glück sagen, dass mein erster Job in Deutschland eine Studiosache war, das Veilchen brauchte mehrere Tage und viel Schminke, bis ich wieder passabel die Marlene geben konnte. Er stand kurze Zeit später vor meiner Tür in Frankfurt, völlig aufgelöst und voller Reue, es sei einfach mit ihm durchgegangen, weil er mich doch so liebe, „Sei mia – du gehört mir!“. Und dann hat er geweint – und das hat mich umgehauen, dass so ein echter, harter Kerl meinetwegen Tränen vergisst, da bin ich natürlich weich geworden ... ich blöde Kuh. Tja, und dann Fernbeziehung, Dramen ohne Ende, weil er sich partout nicht mit meinem Beruf arrangieren wollte. Natürlich war ich diejenige, die immer hinfuhr, ihn in Hotels traf, er kam ja selten weg aus der Kaserne. Warum ich das mitgemacht habe? Ach, ich habe wohl wirklich einfach zu viele Filme gesehen. Eigentlich war das doch alles Klischee pur! In Deutschland war mir das auch immer völlig klar, aber wenn ich dann wieder bei ihm war … ich hing halt am Haken.

Das letzte Mal präsentierte er mir stolz die Schlüssel für eine Wohnung am Stadtrand. Er müsse zwar leider noch heute Abend auf einen spontanen, mehrtägigen Truppeneinsatz, aber ich könne doch schon mal in das Appartamento ziehen und anfangen, alles herzurichten. Denn in Zukunft würde ich dort leben, jederzeit bereit für ihn, wenn er Ausgang habe und dann würden wir auch bald heiraten und Kinder machen.

„Du bleibst jetzt hier!“ sagte er und zerriss demonstrativ mein Flugticket – das war zwar Unsinn, gebucht ist gebucht, aber Lorenzo hatte schon immer einen Sinn für dramatische Effekte und dachte wohl, ich fände das romantisch. Fand ich nicht. Und setzte ihm nun doch differenziert auseinander (inzwischen kann ich nämlich sehr gut Italienisch, während er sogar die Kartoffel vergessen hat), warum ich das für keine so gute Idee halte – und dass wir vielleicht doch zu verschieden sind und uns trennen sollten – und das zu sagen war erst recht keine gute Idee, die Druckstellen am Hals waren nicht ohne. Er hat sich natürlich sofort tausendmal entschuldigt, er liebe mich doch so sehr und dann musste er Gottseidank los. Die Kaserne hinterm großen Tor versteht da keinen Spaß. Manchmal haben militärische Strukturen ja durchaus auch ihre Vorteile.

Jedenfalls, kaum war er weg, war ich es auch. War weg, bin immer noch weg, hab eine neue Handynummer, wer was von mir will, kann die Agentur anrufen. Bin auf Tour und mir geht es gut. Na ja, meistens. Ein paar Schlaftabletten habe ich in der Handtasche, okay, seine Hände an meiner Kehle war schon eine existenzielle Erfahrung. Manchmal hält mich das ein bisschen wach und Schlafmangel kann ich mir in meinem Beruf nicht leisten. Aber sonst? Alles im grünen Bereich, die Sache ist abgehakt.

Gerade jetzt hält ein Zug an der Mole und ein Schwarm von Reisenden ergießt sich auf den Bahnsteig. Es sind viele Rentner darunter, die die Nachsaison nutzen, auf die Inseln wollen. Alle haben es furchtbar eilig, einige müssen noch Tickets kaufen, können sich nicht entscheiden, ob sie gemeinsam anstehen oder sich doch lieber aufteilen sollen, auf dass einer die Koffer und die Fähre im Auge behält, sie könnte ja zu früh ablegen und es ist die letzte heute … na ja, da würden verzweifelte Blicke auch nichts helfen. Ich grinse. Reisende sind schon ein Völkchen für sich.

Jetzt kommt einer mit langen Schritten in meine Richtung, also gibt es auch ein paar richtige Norddeichbesucher, vielleicht sogar ein Partygast. Hochgewachsen ist er, er kommt mir bekannt vor – nein, das ist jetzt nicht wahr! Das ist eine Halluzination, bestimmt! Habe normalerweise keine Halluzinationen, bin lediglich zur Zeit ein wenig schreckhaft, wer wäre das nicht, vorgestern der Eisverkäufer in Wilhelmshaven, der mir mit diesem typischen süditalienischen Akzent „Bella!“ hinterhergerufen hat – der hat schon für einen Adrenalin-Stoß gesorgt. Dabei war der klein und dick und sah überhaupt nicht aus wie Gary Cooper. Aber jetzt. Oh Gott, er ist es wirklich. Das ist doch völlig unmöglich! Hilfe!

„Amore!“ Strahlendes Lächeln, blitzende Augen, Lorenzo! Stocksteif steh ich da, starre ihn an und da hat er mich auch schon gepackt und geküsst. Als ob nie etwas gewesen wäre.

„Carissima!“

„Ähm“, sage ich, und da küsst er mich schon wieder, mein Kopf zuckt zurück, hilft aber nichts.

„Wie hast du mich gefunden?“, frage ich, als er endlich mal Atem schöpft und versuche, mich vorsichtig loszumachen. Klappt aber nicht, er ist halt ziemlich gut durchtrainiert, was er festhält, hält er fest. Na ja, ohne diesen Halt würde ich wahrscheinlich einfach umfallen, so schlecht ist mir. Mein Auftritt, verdammt, was soll ich nur tun? Verrückt, jetzt an den Auftritt zu denken, habe ich keine anderen Sorgen?

Er lacht, zeigt seine schneeweißen Zähne, schaut mir tief in die Augen: „Il destino, das Schicksal hat es so gewollt, Cara, nur das Schicksal.“

„Und meine Homepage“, fällt mir ein, da stehen ja die Tour-Daten drauf. Mist! Aber wer kann denn ahnen, dass mir der Typ tatsächlich hinterher reist. Und dass die in der Kaserne ihn einfach reisen lassen. Und außerdem habe ich einen wirklich knackigen drei-Sätze-Abschiedsbrief hinterlassen (wie gesagt, mein Italienisch ist inzwischen ziemlich gut – auch die vulgäre Variante von „Du kannst mich mal“) und dachte, es sei alles geklärt. Ich bin wohl doch ganz schön naiv.

Er will mich schon wieder küssen und dieses Mal lasse ich ihn. Lieber nichts riskieren! Dass ich eben vor ihm zurückgewichen bin, hat ihm nicht gefallen, ich kenne diesen Ausdruck, der für einen kurzen Moment in seinen Augen war.

„Und jetzt gehen wir in dein Hotel und morgen kommst Du mit mir nach Bari. Schluss mit deiner Hurerei auf der Bühne. Du gehörst mir und wirst meine Frau. Du willst es doch auch. Ich weiß es.“

„Nie!“, will ich sagen und „ Ich mache Kunst, du eifersüchtiger Dreckskerl!“, aber nun sind seine Augen ganz hart und schwarz, da will ich lieber nicht diskutieren. Aber auf gar keinen Fall darf er in die Nähe des Hotels.

Ein Latin Lover war vertraglich nicht vorgesehen. Ein Latin Schläger erst recht nicht. Also lächle ich und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.

„Mach nicht so ein Gesicht, du hast völlig Recht“, gurre ich. „Komm, lass uns was trinken gehen, feiern.“

Sofort wird sein Ausdruck weich. „Endlich wirst du vernünftig“, raunt er und will ein italienisches Restaurant suchen, war ja klar. Er hat noch nie anders als Italienisch gegessen, glaubt, dass er von der deutschen Küche krank würde, und überhaupt, Deutschland findet er hässlich, grau und langweilig. Bis auf das eine Mal in Frankfurt ist er ja auch nie mehr hergekommen.

Ich schaffe es, ihn erst mal in die Cocktailbar im Fährhaus zu bugsieren. Ich will nicht, dass irgendjemand unser Gespräch versteht und ich will auch nicht in die Nähe meines Hotels. Im Fährhaus findet wohl gerade eine Tagung statt, die Bar ist rappelvoll, wir sitzen ganz in der Ecke und Lorenzo holt unsere Getränke. Einen Martini für mich, einen doppelten Whisky für sich. Das ist gut. Auch wenn er den harten Mann gibt – er verträgt nicht gerade viel. Und Alkohol lässt ihn friedlich werden. Gefährlich ist er nur nüchtern.

Nun hat er seinen Arm um mich gelegt und teilt mir in vertraulichem Ton mit, dass ich ihm gehöre, ihm allein. Jedenfalls keinem anderen, dafür werde er sorgen. Dann verschwindet er auf die Toilette und mein Kopf rattert. Ich muss gleich auftreten, was soll ich nur tun, ich könnte jetzt abhauen, aber dann kommt er hinterher und macht einen Skandal, das geht nicht, ich bin Profi!

Als Lorenzo zurückkommt, wirft er einen raschen Blick in die Runde, ob sich auch kein anderer Mann in meine Nähe gewagt hat.

„Auf uns, für immer“, hauche ich schnell, bevor er wieder den Arm um mich legt.

„Auf uns“, sagt er zufrieden und kippt den restlichen Whisky runter.

„Es ist zu früh zum Essen“, sage ich „lass uns ans Wasser gehen. Weißt du noch, unsere Nacht am Strand von Monticelli?“

Ja, er weiß es noch. Und genau darauf hat er jetzt Lust. Strand, Meeresrauschen, heiße Liebesschwüre, und ich endlich wieder sein Eigentum. Dass es bald dunkel ist und ein frischer Wind weht, stört ihn nicht. Hat ihn noch nie gestört, man muss ja dabei nicht unbedingt im Sand liegen. Also gehen wir los, weg vom Hafen, den Weg am Deich entlang, vor uns eine einsame Weite, kein Mensch zu sehen, und das Meer lässt sich immer noch nicht blicken. Am Strand ziehe ich die Schuhe aus und laufe einfach los, in die Weite, Richtung Meeresrauschen!

„Vieni, Lorenzo“, rufe ich lachend. Er kommt mir nach, lacht ebenfalls, aber dann schlägt seine Stimmung auch schon wieder um, was soll das hier, komm zurück, von wegen Meer, das sei ja wieder alles so typisch deutsch, nur grauer Matsch, armes Deutschland, kein Vergleich zu den Stränden Italiens, viel zu weit vom Wasser weg, wer tut sich denn sowas an, seine Sprache wird undeutlicher und dann flucht er, er ist mit seinen teuren Schuhen in ein Schlickloch getreten.

Ich bleibe stehen. „Vieni amore!“

Und erinnere ich ihn wieder an Monticelli, das spornt ihn an. Ich höre das Rauschen, der leichte Grusel meiner Kindheit stellt sich ein, aber ich ignoriere ihn. Lorenzo ist ruhig geworden, trottet hinter mir her und atmet schwer.

„Was ist los?“, frage ich, aber da ist er auch schon zusammengesackt, hockt im Matsch.

„Amore?“, frage ich.

Er winkt ab, versucht, wieder aufzustehen. „Aspetta, momento“, lallt er, versucht es noch einmal, aber es geht nicht. Und dann kippt er auf die Seite, liegt da wie ein Embryo, ganz zusammengezogen, seufzt, grunzt etwas und sein Atem wird ruhig und gleichmäßig. Es ist jetzt fast ganz dunkel, aber ich weiß, wie sein Gesicht aussieht. Wie ein Erzengel. Wie oft hab ich ihn verzückt angeschaut, wenn er eingeschlafen war, danach. Vorsichtig lege ich ihn etwas bequemer hin, bette liebevoll seinen Kopf auf den Arm, damit er noch eine Weile Luft bekommt. Stabile Seitenlage nennt man das. Dann muss ich los, zum Auftritt.

Der ist übrigens ein voller Erfolg! Als ich die „Lili Marlen“ singe, habe ich selber eine Gänsehaut, so gut war ich noch nie. Vielleicht, weil ich so intensiv an Lorenzo denken muss, mit seinem Gary Cooper Gesicht, das im Schlaf so weich und zärtlich aussieht. Eigentlich hätte er immer schlafen sollen. Gut, in einer gewissen Weise tut er das jetzt auch. Ein verirrter Tourist, der sich nicht mit den Gezeiten auskannte, was für ein bedauerlicher Unfall. Bis er irgendwo angeschwemmt wird, bin ich schon weg. Und hoffe einfach, dass sich keiner aus der Bar an uns erinnert, es war wirklich ziemlich voll.

Jedenfalls habe ich zum Todeszeitpunkt durch Ertrinken In Oostfreesland is’t am besten gesungen, da gibt es Zeugen. Seinen Pass schmeiß ich später weg. Und den Rest der Schlaftabletten habe ich ins Klo geschüttet. Ehrlich gesagt sind die mir dann doch zu stark. Die eine in Lorenzos letztem Whisky hat ja völlig für ihn gereicht. Und ich brauch sie nicht mehr. Das Kapitel Lorenzo ist also endlich abgeschlossen. Hab ihn ins Watt geschickt – in der Wüste wollte er ja nicht bleiben.

erschienen in „Feinste Friesenmorde“, Hrsg. Peter Gerdes/ Sandra Lübkes; Leda Verlag 2017

Siegergeschichte beim 1.Ostfriesischen Krimipreis 2017

GUTE NACHT, JOHNNY

Es ist Nacht, Johnny,

du bist ganz schön zu gedröhnt,

da bleibst du besser hier!

Ein Mann wie du, Johnny

ist das Trinken zwar gewöhnt

doch das war wohl ein Glas zu viel mit mir!

Träume süß, Johnny,

dein Gesicht ist schmal und still,

du siehst so friedlich aus.

Träum von mir, Johnny,

das ist doch alles, was ich will:

dass du dich bei mir fühlst ganz wie zu Haus.

„Lieb keinen treulosen Matrosen!

Das geht doch völlig in die Hosen“,

hat meine Mutter mich gewarnt.

„Und dann noch, Johnny, so ein Name

steht nicht grad für monogame

Beziehungen“, und dass ihr dabei Übles schwant.

Ich hab gelacht, Johnny,

wollt‘ sie einfach nicht verstehn,

ich dachte, du liebst nur mich!

Doch dann hab ich, Johnny

auf deinem Handy was gesehn

das war für unsre Liebe ziemlich abträglich:

Ein Selfie mit Pen-Meih,

nackt in Shanghei!

Und noch eins mit Susanna,

im Hafen von Havanna!

Auch Mareille in Marseille

schien mit Reizen nicht zu geizen!

Doch der Gipfel war der Zipfel von Theo

– in Montevideo!

Gute Nacht, Johnny!

Da schläfst du nun, ganz tief und fest,

mein allerliebster Matrose!

Das Veronal, Johnny,

in deinem Glas gab dir den Rest;

das wirkt wie eine gut dosierte Vollnarkose

Gute Nacht Johnny,

ich klapp den Deckel leise zu:

Nun hast du deine Ruhe.

Und wenn ich Lust hab,

Johnny, hab ich mit dir ein Rendezvous,

du bleibst ja knackig frisch in meiner Tiefkühltruhe!

Gute Nacht, Johnny!

Gute Nacht, Johnny!

Träum süß!

Hoffentlich gibt es keinen Stromausfall …

(2016)

NEZ DE JOBOURG

„Also, dieser Cidre, das ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes“, sagt Elke und schnüffelt missbilligend an ihrem Glas. Wir sitzen draußen, in einem kleinem Restaurant am Hafen von Barfleur, die Sonne scheint, wir haben „Muscheln à la Normande“ gegessen, fangfrisch, mit Crème Fraîche zubereitet, die Möwen kreischen, alles ist richtig, so wie früher. Fast.

Ich seufze. Nein, ist es nicht. Wird es nie mehr sein. Und was hat mich nur geritten, ausgerechnet mit Elke hierhin zu fahren? Ich kenne sie nun doch wirklich schon lange genug!

„Was stimmt denn damit nicht?“, frage ich trotzdem müde, denn ich weiß, wenn ich nicht reagiere, läuft Elke erst Recht zu Hochtouren auf.

„Ach“, sagt sie, „was soll damit nicht stimmen, er ist genauso nichtssagend und labbrig wie das Zeug, dass wir gestern getrunken haben. Was gäbe ich jetzt für ein schönes, dunkles Guinness.“

„Dann bestell dir doch ein Bier, du musst keinen

Cidre trinken, wenn du ihn nicht magst“.

Sie schüttelt empört den Kopf.

„Erstens sind die Franzosen sowieso nicht in der Lage, ein vernünftiges Bier zu brauen und zweitens sind wir in deiner geliebten Normandie und ich habe versprochen, mich auf alles Landestypische einzulassen. Ich halte mich an die Spielregeln.“

Und mit einem Ausdruck der Verachtung im Gesicht kippt sie den Rest runter.

„Na ja, zumindest hat er so wenig Prozent, dass du noch fahren kannst. Ich muss jetzt aufs Klo und dann können wir ja los.“ Sie steht auf und geht hinein. Ich nippe an meinem Glas und versuche, etwas zu fühlen. Versuche, mich an der Hafenszenerie zu erfreuen, an dem nostalgischen Karussell mit den hübschen weißen Pferden, das ich schon lange kenne, an den fröhlich jauchzenden Kindern, an den im Wasser schwappenden Booten und dem Geruch von Meer. Es geht nicht.

„Ist ja schon ganz nett hier “, sagt Elke gönnerhaft und lässt sich wieder auf den Stuhl mir gegenüber fallen. „Erinnert mich total an ein kleines Dorf im Südwesten von Irland, hab jetzt den Namen vergessen, aber es war wirklich so was von idyllisch. Lag ganz eingebettet in einer Bucht, mit einem Klippenwanderweg zu beiden Seiten, da hatte man eine Sicht, einfach unbeschreiblich! Hier ist es ja eher ziemlich platt“