Schätze der christlichen Literatur
Band 22

Impressum:

© 2020 Conrad Eibisch (Hrsg. u. Bearb.)

Herstellung und Verlag: BoD –Books on Demand GmbH, Norderstedt.

ISBN: 978-3-75269-421-5

I.

Predigten.

1.

Vom Schweigen.

WIR begehen das Fest von der ewigen Geburt, die Gott der Vater geboren hat und ohne Unterlaß in der Ewigkeit gebiert, während dieselbe Geburt jetzt in der Zeit und in der Menschennatur sich ereignet. Der heilige Augustin sagt, diese Geburt geschehe immer. So sie aber nicht in mir geschieht, was hilft es mich dann? Denn daß sie in mir geschehe, daran liegt alles.

Wir haben ein Wort des Weisen: „Da alle Dinge mitten in einem Schweigen waren, da kam in mich von oben hernieder von dem königlichen Stuhl ein verborgenes Wort.“ Von diesem Wort soll diese Predigt handeln.

„Inmitten des Schweigens ward mir zugesprochen ein verborgenes Wort.“ Ach, Herr, wo ist dies Schweigen und wo ist die Stätte, in der dieses Wort gesprochen wird?

Es ist in dem Lautersten, das die Seele aufweisen kann, in dem Edelsten, in dem Grund, ja, in dem Wesen der Seele! Das ist das Mittel: Schweigen; denn da hinein kam nie eine Kreatur oder ein Bild, und die Seele hat da nicht Wirken noch Verstehen, und weiß kein Bild davon, weder von sich selbst noch von irgendwelcher Kreatur.

Alle Werke, die die Seele wirkt, wirkt sie mit den Kräften. Alles, was sie versteht, versteht sie mit der Vernunft. Wenn sie denkt, tut sie es mit dem Gedächtnis. Wenn sie begehrt, tut sie es mit dem Willen, und dergestalt wirkt sie mit den Kräften und nicht mit dem Wesen. All ihr Wirken nach außen haftet immer an einem Mittel. Die Kraft des Sehens bewirkt sie nur durch die Augen, anders kann sie kein Sehen bewirken oder zustande bringen. Und ebenso ist es mit allen anderen Sinnen. All ihr Wirken nach außen bewirkt sie durch ein Mittel. Aber in dem Wesen ist kein Werk, daher hat die Seele im Wesen kein Werk als die Kräfte, mit denen sie wirkt, die fließen aus dem Grunde des Wesens, oder vielmehr: in diesem Grund ist das Mittel Schweigen, hier ist allein Ruhe und eine Wohnung für diese Geburt und für dieses Werk, daß Gott der Vater allda sein Wort spreche, denn dieses ist von Natur nur dem göttlichen Wesen ohne irgendein Mittel zugänglich. Gott geht hier in die Seele mit seinem Ganzen, nicht mit seinem Teil. Gott geht hier in den Grund der Seele hinein. Niemand rührt an den Grund der Seele als Gott allein. Die Kreatur kann nicht in den Grund der Seele, sie muß in den Kräften außen bleiben. Da mag sie ihr Bild betrachten, mit Hilfe dessen sie eingezogen ist und Herberge empfangen hat. Denn jedesmal, wenn die Kräfte der Seele mit der Kreatur in Berührung kommen, nehmen und schöpfen sie Bilder und Gleichnisse von der Kreatur und ziehen sie in sich. Auf diese Weise entsteht ihre Kenntnis von der Kreatur. Die Kreatur kann nicht näher in die Seele kommen, und die Seele nähert sich jeder Kreatur nur dadurch, daß sie zunächst willig in sich ein Bild empfängt. Und von dem gegenwärtigen Bild aus nähert sie sich den Kreaturen, denn das Bild ist ein Ding, das die Seele mit den Kräften schöpft. Mag es ein Stein, ein Pferd, ein Mensch oder was immer sonst sein, das sie kennenlernen will, immer nimmt sie das Bild hervor, das sie von ihnen abgezogen hat, und auf diese Weise kann sie sich mit ihnen vereinigen. Aber immer wenn ein Mensch auf diese Weise ein Bild empfängt, muß es notwendigerweise von außen durch die Sinne hereinkommen. Darum ist der Seele kein Ding so unbekannt, wie sie sich selbst. Es sagt ein Meister, die Seele könne von sich kein Bild schöpfen oder abziehen. Darum kann sie sich selbst ganz und gar nicht kennenlernen. Denn Bilder kommen alle durch die Sinne herein: daher kann sie kein Bild von sich selbst haben. Daher kennt sie alle anderen Dinge, nur sich selber nicht. Von keinem Ding weiß sie so wenig, wie von sich selbst, um des Mittels willen. Und das müßt ihr auch wissen, daß sie innen frei ist, und ohne alle Mittel und Bilder auskommt, und das ist auch die Ursache, daß sich Gott frei mit ihr vereinigen kann ohne Bilder oder Gleichnisse. Du darfst das nicht lassen, du mußt die Möglichkeit, die du einem Meister zugestehst, Gott ohne alle Schranken zugeben. Je weiser aber und mächtiger ein Meister ist, um so unmittelbarer geschieht auch sein Werk und um so einfacher ist es. Der Mensch hat viele Mittel in seinen äußeren Werken; bis er diese Werke hervorbringt, wie er sie in sich gebildet hat, dazu gehört viel Vorbereitung. Die Meisterschaft und das Werk des Mondes und der Sonne sind Erleuchten; das tun sie gar schnell. Sobald sie ihren Schein ausgießen, in demselben Augenblick ist die Welt an allen Enden voller Licht. Aber über ihnen ist der Engel, der bedarf noch weniger der Mittel für seine Werke und hat auch weniger Bilder. Der alleroberste Seraphim hat nur noch ein Bild. Alles was die unter ihm Stehenden in Mannigfaltigkeit wahrnehmen, nimmt er in einem wahr. Aber Gott bedarf keines Bildes und hat auch kein Bild: Gott wirkt in der Seele ohne alles Mittel, Bild oder Gleichnis, ja, tief in dem Grund, wo nie ein Bild hinkam, als er selbst mit seinem eigenen Wesen. Das kann keine Kreatur tun.

Wie gebiert Gott Vater seinen Sohn in der Seele? Wie die Kreaturen tun, in Bildern und in Gleichnissen? Wahrlich, nein! sondern: ganz in der Weise, wie er in der Ewigkeit gebiert, nicht minder und nicht mehr. Ja freilich, wie gebiert er da? Merkt auf. Seht, Gott Vater hat eine vollkommene Einsicht in sich selbst und ein abgründliches Durchkennen seiner selbst, ohne jedes Bild. Und so gebiert Gott Vater seinen Sohn in wahrer Einsicht göttlicher Natur. Seht, in derselben Weise und in keiner anderen gebiert Gott der Vater seinen Sohn im Grund der Seele und in ihrem Wesen und vereinigt sich also mit ihr. Denn wäre da irgendein Bild, so wäre keine wahre Einheit da, und an der wahren Einheit liegt all ihre Seelheit und Seligkeit.

Es kann gefragt werden, ob diese Geburt besser im Menschen geschehe und vollbracht werde, wenn er sein Werk tue und sich so in Gott hineinbilde und hineindenke, oder wenn er sich in einem Schweigen oder in einer Stille und in einer Ruhe halte und so Gott in ihm spreche und wirke, wenn er also allein auf Gottes Werk in ihm warte?

Ich weise darauf hin, meine Reden und Werke sind allein guten und vollkommenen Menschen gewidmet, in denen vor allem das würdige Leben und die edle Lehre unseres Herrn Jesu Christi lebendig ist. Die sollen nun erfahren, daß das Allerbeste und Alleredelste, wozu man in diesem Leben kommen kann, das ist, daß du schweigst und Gott allda wirken und sprechen läßt. Wo alle Kräfte von allen ihren Werken und Bildern abgezogen sind, da wird dies Wort gesprochen. Darum sprach er: „Mitten im Schweigen ward zu mir das heimliche Wort gesprochen.“ Und darum, so du alle Kräfte allermeist einziehen kannst und in ein Vergessen aller Dinge und ihrer Bilder geraten, die du je in dich zogst, und je mehr du der Kreatur vergißt, um so näher bist du diesem und um so empfänglicher. Könntest du aller Dinge zumal unwissend werden, ja könntest du in ein Unwissen deines eigenen Lebens kommen, wie es Sankt Paulus geschah, als er sprach: „Ob ich in dem Leib war oder nicht, das weiß ich nicht, Gott aber weiß es wohl“ – da hatte der Geist alle Kräfte so ganz in sich gezogen, daß er des Körpers vergessen hatte, da wirkte weder Gedächtnis noch Verstand, noch die Sinne, noch die Kräfte; ebenso geschah es Moses, da er die 40 Tage auf dem Berg fastete und doch nicht schwächer wurde – so sollte der Mensch allen Sinnen entweichen und all seine Kräfte nach innen kehren und in ein Vergessen aller Dinge und seiner selber kommen. In diesem Sinne sprach ein Meister zur Seele: „zieh dich zurück von der Unruhe äußerer Werke“, flieh also und verbirg dich vor dem Gestürm äußerer Werke und inwendiger Gedanken, sie schaffen nur Unfrieden. Aber wenn Gott sein Wort in der Seele sprechen soll, muß sie in Friede und Ruhe sein, und dann spricht er sein Wort und sich selbst in der Seele, nicht ein Bild, sondern sich selbst. Dionysius spricht: „Gott hat kein Bild oder Gleichnis seiner selbst, denn gut oder wahr gehört zu seinem Sein.“ Gott wirkt alle seine Werke in sich selbst und aus sich selbst in einem Augenblick. Du darfst nicht glauben, Gott habe, als er Himmel und Erde und alle Dinge machte, heute eines gemacht und morgen das andere. Zwar schreibt Moses so. Er wußte es gleichwohl viel besser: er tat es nur um der Leute willen, die es nicht anders verstehen und fassen konnten. Gott tat nicht mehr dazu als das eine: er wollte und sie wurden. Gott wirkt ohne Mittel und ohne Bilder. Je mehr du ohne Bild bist, je mehr du seines Einwirkens empfänglich bist, und je mehr du in dich gekehrt und selbstvergessen bist, um so näher bist du diesem.

Hierzu ermahnte Dionysius seinen Jünger Timotheus und sprach: „Lieber Sohn Timotheus, du sollst mit unbekümmerten Sinnen dich über dich selbst hinausschwingen und über alle deine Kräfte und über Weisen und über Wesen in die verborgene stille Finsternis, auf daß du zu einer Erkenntnis des unbekannten übergöttischen Gottes kommst.“ Es muß ein Wegsehen von allen Dingen sein. Gott verschmäht es in Bildern zu wirken.

Nun könntest du fragen: „Was wirkt denn Gott ohne Bild im Grund und im Wesen?“ Das kann ich nicht wissen, denn die Kräfte können nur in Bildern wahrnehmen und müssen alle Dinge in ihrem eigenen Bild wahrnehmen und erkennen. Sie können nicht einen Vogel in eines Menschen Bild erkennen, und darum, da alle Bilder von außen hereinkommen, ist es ihr verborgen, und das ist das allernützlichste. Denn Unwissen bringt sie zum Wundern, und bewirkt es, daß sie diesem nachjagt, denn sie findet wohl, daß es ist, sie weiß nur nicht, wie und was es ist. Wenn aber der Mensch die Ursache der Dinge kennt, sofort ist er auch der Dinge müde und sucht wieder ein anderes zu erfahren und hat doch immer einen Jammer, diese Dinge zu wissen und hat doch kein Dabeibleiben, darum: die unerkannte Erkenntnis hält sie bei diesem Bleiben und läßt sie doch nicht zur Ruhe kommen.

Davon sprach ein heidnischer Meister ein schönes Wort zu einem anderen Meister: „Ich werde etwas in mir gewahr, das glänzt in meiner Vernunft; ich merke wohl, daß es etwas ist, aber was es sei, das kann ich nicht verstehen, aber es dünkt mich, wenn ich es begreifen könnte, dann kennte ich alle Wahrheit.“ Da sprach der andere Meister: „Wohlauf, dem folge nach! Denn könntest du es begreifen, so hättest du alles Gute beisammen und hättest ein ewiges Leben.“ In diesem Sinne sprach auch Sankt Augustin: „Ich werde etwas in mir gewahr, das meiner Seele vorspielt und vorschwebt: würde das in mir vollendet und befestigt, das müßte ewiges Leben sein.“ Es verbirgt sich und tut sich doch kund; es kommt aber auf eine verstohlene Weise, als wolle es der Seele alle Dinge nehmen und stehlen. Aber damit, daß es sich ein wenig zeigt und offenbart, wollte es die Seele reizen und nach sich ziehen und sie ihres Selbst berauben und benehmen. Davon sprach der Prophet: „Herr, nimm ihnen ihren Geist, und gib ihnen dafür deinen Geist.“ Das meinte auch die liebende Seele, als sie sprach: „Meine Seele zerschmolz und zerfloß, als die Liebe ihr Wort sprach: als sie einging, da mußte ich hinschwinden.“ Das meinte auch Christus, als er sprach: „Wer etwas um meinetwillen läßt, der wird hundertfältig wieder nehmen, und wer mich haben will, der muß auf sich selbst und auf alle Dinge verzichten, und wer mir dienen will, der muß mir folgen, er darf nicht dem Seinen folgen.“

Nun könntest du sagen: „Wahrlich, Herr, ihr wollt den natürlichen Lauf der Seele umkehren! Ihre Natur ist, daß sie durch die Sinne wahrnimmt und in Bildern; wollt ihr die Sache umkehren?“ Nein! Was weißt du, was für Rangstufen Gott in die Natur gelegt hat, die noch nicht alle beschrieben sind, ja, die noch verborgen sind? Denn die von den Stufen der Seele schrieben, waren noch nicht weitergekommen, als ihre natürliche Vernunft sie trug; sie waren nicht auf den Grund gekommen, daher mußte ihnen viel verborgen sein und blieb ihnen unbekannt. Alle Wahrheit, die die Meister je lehrten mit ihrer eigenen Vernunft und ihrem Verstand oder in Zukunft lehren bis an den jüngsten Tag, die verstanden nie das mindeste von diesem Wissen und diesem Verborgenen. Wenn es schon ein Unwissen heißt und eine Unerkanntheit, so hat es doch mehr in sich drinnen als alles Wissen und Erkennen von außen: denn dies Unwissen des Äußern reizt und zieht dich von allen Wissensdingen und auch von dir selbst. Das meinte Christus, als er sprach: „Wer sich nicht selbst verleugnet und nicht Vater und Mutter läßt und alles was äußerlich ist, der ist meiner nicht würdig.“ Als ob er spräche: Wer nicht alle Äußerlichkeit der Kreaturen läßt, der kann in diese göttliche Geburt weder empfangen noch geboren werden. Ja, wenn du dich deines Selbst beraubst und alles dessen, was äußerlich ist, dann findest du es in Wahrheit. Zu dieser Geburt verhelfe uns Gott, der neu geboren ist in Menschengestalt, daß wir armen Leute in ihm göttlich geboren werden, dazu verhelfe er uns ewiglich. Amen.

2.

Vom Unwissen.

WO ist, der geboren ist als König der Juden?“ –Höret nun, wie diese Geburt vor sich geht.

Die ewige Geburt bringt allewege großes Licht in die Seele, denn es ist die Art des Guten, daß es sich ergießen muß, wo immer es ist. In dieser Geburt ergießt sich Gott mit solchem Licht in die Seele, daß das Licht so groß wird im Wesen und im Grunde der Seele, daß es sich hinausschleudert und in die Kräfte und auch in den äußeren Menschen überfließt. Dieses Lichtes wird der Mensch wohl gewahr. Stets wenn er sich zu Gott kehrt, gleißt und glänzt in ihm ein Licht und gibt ihm zu erkennen, was er tun und lassen soll, und viel gute Lehre, wovon er vorher nichts wußte und verstand. „Woher weißt du das?“ Merk auf. Dein Herz wird mächtig angefaßt und von der Welt abgekehrt. Wie anders könnte das geschehen als durch diese Erleuchtung? Die ist so zart und wonnig, daß dich alles verdrießt, was nicht Gott oder göttlich ist. Sankt Augustin sagt: Es gibt viele, die Licht und Wahrheit gesucht haben, aber nur immer draußen, wo sie nicht war. Und dann sind sie zuletzt so weit abgekommen, daß sie nimmermehr heim und nicht mehr hineinkommen. Wer also Licht finden will und Unterscheidung aller Wahrheit, der warte auf diese Geburt in sich und im Inneren und nehme ihrer wahr: so werden alle Kräfte und der äußere Mensch erleuchtet. Denn sowie Gott das Innere mit der Wahrheit berührt hat, so wirft sich das Licht in die Kräfte und der Mensch versteht alsdann mehr als ihm jemand lehren könnte. Daher spricht der Prophet: „Ich habe mehr gewußt als alle, die mich je lehrten.“

Hier erhebt sich eine Frage. Da Gott Vater allein im Wesen und im Grund der Seele gebiert und nicht in den Kräften, was geht es die Kräfte an? Was soll ihr Dienst hier, daß sie sich herbemühen und feiern helfen sollen! Wozu ist das not, da in den Kräften nichts geschieht? Das ist gut gefragt. Aber beachte die folgende Unterscheidung. Eine jede Kreatur wirkt ihr Werk um eines Zweckes willen. Der Zweck ist jederzeit das erste in der Meinung und das letzte im Werke. Daher beabsichtigt Gott mit allen seinen Werken einen seelischen Zweck, das heißt: sich selbst, und will die Seele mit all ihren Kräften zu ihrem Zweck führen, das heißt: zu Gott selbst. Darum wirkt Gott all seine Werke, darum gebiert der Vater seinen Sohn in der Seele, daß alle Kräfte der Seele zu ihrem Zwecke kommen. Er trachtet nach allem was in der Seele ist, und ladet es alles zur Bewirtung und zu Hofe. Nun hat sich aber die Seele mit den Kräften nach außen zerteilt und zerstreut, jede in ihr Werk: die Sehkraft in das Auge, die Kraft des Gehörs in das Ohr, die Kraft des Schmeckens in die Zunge, und daher sind ihre Werke um so weniger im stände inwendig zu wirken: denn jede zerteilte Kraft ist unvollkommen. Darum muß sie, wenn sie inwendig kräftig wirken will, alle ihre Kräfte wieder heimrufen und sie von allen zerteilten Dingen zu einem inwendigen Wirken sammeln. Sankt Augustin sagt: Die Seele ist mehr, wo sie liebt als wo sie dem Leib Leben gibt. Ein Gleichnis: Es war einmal ein heidnischer Meister, der hatte sich der Rechenkunst zugewandt, und saß vor Stäben und zählte sie und ging seiner Wissenschaft nach. Da kam einer und zog sein Schwert (er wußte nicht, daß es der Meister war) und sprach: „Sprich schnell, wie du heißest, oder ich töte dich.“ Der Meister war so sehr in sich gekehrt, daß er den Feind nicht sah noch hörte, noch merken konnte, was er wollte. Und als der Feind lange und viel gerufen hatte und der Meister immer noch nicht sprach, da schlug ihm jener den Kopf ab. Dies war um eine natürliche Kunst zu gewinnen. Wie ungleich mehr sollten wir uns allen Dingen entziehen, und alle unsere Kräfte sammeln, um die einige, grenzenlose, ungeschaffene ewige Wahrheit zu schauen und zu erkennen! Hierzu sammle alle deine Vernunft und all dein Nachdenken: kehre das in die Tiefe, worinnen dieser Schatz verborgen liegt. Wisse, wenn dies geschehen soll, mußt du allen anderen Werken entfallen und mußt in ein Unwissen kommen, wenn du dies finden willst.

Es erhebt sich wieder eine Frage. Wäre es nicht angemessener, daß eine jede Kraft ihr eigenes Werk behielte, und daß keine die andere an ihren Werken hindere, und daß sie auch Gott nicht an seinen Werken hindere? In mir kann eine Art kreatürliches Wissen sein, das nichts hindert, wie Gott alle Dinge ohne Hindernis weiß, wie es bei den Seligen der Fall ist. Nun achtet auf den folgenden Unterschied. Die Seligen sehen in Gott ein Bild, und in dem Bild erkennen sie alle Dinge, ja Gott selbst sieht überhaupt nur in sich und erkennt in sich alle Dinge. Er braucht sich nicht von einem zum andern zu wenden, wie wir es müssen. Wäre es so bestellt in diesem Leben, daß wir allezeit einen Spiegel vor uns hätten, in dem wir in einem Augenblick alle Dinge in einem Bilde sähen und erkennten, so wäre uns Wirken und Wissen kein Hindernis. Da wir uns nun aber von einem zum andern wenden müssen, darum können wir uns nicht bei dem einen aufhalten ohne Hinderung des andern. Denn die Seele ist so ganz verbunden mit den Kräften, daß sie mit ihnen überall hinfließt, wo sie hinfließen, denn bei all den Werken, die sie wirken, muß die Seele dabei sein und zwar mit Aufmerksamkeit, sie vermöchten sonst mit all ihrem Wirken ganz und gar nichts. Fließt sie also mit ihrer Aufmerksamkeit äußerlichen Werken zu, so muß sie notwendigerweise um so schwächer bei ihrem inneren Werke sein, denn zu dieser Geburt will und muß Gott eine ledige, unbekümmerte, freie Seele haben, in der nichts sein darf als er allein, und die auf nichts und auf niemanden warten darf als auf ihn allein. Das meinte Christus, als er sprach: „Wer etwas anderes liebt als mich, und Vater und Mutter und diesen anderen Dingen gut ist, der ist meiner nicht wert. Ich bin nicht auf die Erde gekommen, um Friede zu bringen, sondern das Schwert, auf daß ich alle Dinge abschneide, und den Bruder, das Kind, die Mutter, den Freund von dir trenne, die fürwahr deine Feinde sind.“ Denn was dir lieb ist, das ist fürwahr dein Feind. Will dein Auge alle Dinge sehen und dein Ohr alle Dinge hören und dein Herz aller Dinge gedenken, so muß wahrlich von all diesen Dingen deine Seele zerstreut werden.

Darum spricht ein Meister: Wenn der Mensch ein inwendiges Werk wirken will, so muß er all seine Kräfte in sich ziehen, wie in einen Winkel seiner Seele, und muß sich verbergen vor allen Bildern und Formen, und da kann er dann wirken. Da muß er in ein Vergessen und in ein Nichtwissen kommen. Es muß in einer Stille und in einem Schweigen sein, wo dies Wort gehört werden soll. Man kann diesem Wort mit nichts besser nahen als mit Stille und mit Schweigen: dann kann man es hören und alsdann versteht man es ganz in dem Unwissen. Wenn man nichts weiß, dann zeigt und offenbart es sich.

Nun könntet ihr sagen: Herr, ihr setzt all unser Heil in ein Unwissen. Das klingt wie ein Mangel. Gott hat den Menschen geschaffen, daß er wisse; wo Unwissen ist, da ist Verneinung und Leere. Der Mensch ist, das muß wahr sein, ein Tier, ein Affe, ein Tor, solange er im Unwissen verharrt. Das Wissen aber soll sich formen zu einer Überform, und dies Unwissen soll nicht vom Nichtwissen kommen, vielmehr: vom Wissen soll man in ein Unwissen kommen. Dann sollen wir wissend werden des göttlichen Unwissens, und dann wird unser Unwissen geadelt und geziert mit dem übernatürlichen Wissen. Und hier wo wir uns empfangend verhalten, sind wir vollkommener als wenn wir wirkten. Darum sprach ein Meister, daß die Kraft des Hörens auf viel höherer Stufe stände als die Kraft des Sehens, denn man lernt mehr Weisheit mit dem Hören als mit dem Sehen und lebt hier mehr in der Weisheit. Man erzählt von einem heidnischen Meister, daß seine Jünger, als er im Sterben lag, in seiner Anwesenheit von viel Kunst und großer Erkenntnis redeten, da hob er sein Haupt noch als Sterbender auf und hörte zu und sagte: „Fürwahr, ich möchte diese Kunst noch lernen, daß ich sie in der Ewigkeit anwenden kann.“ Das Hören bringt mehr herein, aber das Sehen zeigt mehr hinaus. Und darum werden wir im ewigen Leben viel seliger sein in der Kraft des Hörens als in der Kraft des Sehens. Denn das Werk des Hörens des ewigen Wortes ist in mir, und das Werk des Sehens geht von mir, und beim Hören bin ich empfangend, und beim Sehen wirkend.

Unsere Seligkeit aber liegt nicht an unseren Werken, vielmehr daran, daß wir Gott empfangen. Denn um so viel höher Gott steht als die Kreatur, um so viel höher steht das Werk Gottes als das meine. Ja, aus grenzenloser Liebe hat Gott unsere Seligkeit in ein Empfangen gelegt, indem wir mehr empfangen als wirken, und bei weitem mehr nehmen als geben, und jede Gabe bereitet die Empfänglichkeit für eine neue, ja für eine größere Gabe, eine jede göttliche Gabe erweitert die Empfänglichkeit und die Begehrnis nach einer größeren Empfängnis. Und darum sagen etliche Meister, daß darin die Seele Gott ebenmäßig sei. Denn so grenzenlos Gott im Geben ist, so grenzenlos ist auch die Seele im Vernehmen oder Empfangen. Und wie Gott im Wirken allmächtig ist, so ist die Seele ein Abgrund des Nehmens, und darum wird sie mit Gott und in Gott überformt Gott soll wirken und die Seele soll empfangen, er soll in ihr sich selbst erkennen und lieben, sie soll erkennen mit seiner Erkenntnis und soll lieben mit seiner Liebe, und darum ist sie viel seliger vom seinen als vom ihren, und ihre Seligkeit beruht mehr in seinem Wirken als in ihrem.

Den Sankt Dionysius fragten seine Jünger, warum sie alle von Timotheus an Vollkommenheit überholt würden? Da sprach Dionysius: Timotheus ist ein gottempfangender Mann. Wer sich darauf recht verstünde, der überholte alle Menschen. Und so ist dein Unwissen nicht ein Mangel; sondern deine oberste Vollkommenheit, und dein Nichttun ist so dein oberstes Werk. Und so in dieser Weise mußt du alle deine Werke abtun und all deine Kräfte zum Schweigen bringen, wenn du in Wahrheit diese Geburt in dir erleben willst. Willst du den geborenen König finden, so mußt du alles, was du sonst vielleicht findest, überholen und zu Boden werfen. Daß wir das alles überholen und verlieren, was diesem geborenen König nicht wohlgefällt, dazu verhelfe uns der, der darum zum Menschenkind geworden ist, damit wir Gotteskind werden. Amen.

3.

Von der Dunkelheit.

MAN liest im Evangelium, als unser Herr zwölf Jahre alt war, da ging er mit Maria und Joseph nach Jerusalem in den Tempel, und als sie von dannen gingen, da blieb Jesus im Tempel, ohne daß sie es wußten, und als sie nach Hause kamen und ihn vermißten, suchten sie ihn unter den Bekannten und Unbekannten und unter den Verwandten und in der Menge und fanden ihn nirgends, sie hatten ihn in der Menge verloren und mußten daher wieder hingehen, von wo sie gekommen waren, und als sie wieder an den Anfang kamen, in den Tempel, da fanden sie ihn.

So ist es in Wahrheit; willst du diese edle Geburt finden, so mußt du alle Menge verlassen und mußt zum Anfang zurückkehren und in den Urgrund, von dem du ausgegangen bist. Alle Kräfte der Seele und ihr Werk sind bloß Menge; Gedächtnis, Verstand und Wille vermannigfaltigen sich alle, darum mußt du sie alle lassen: Sinnlichkeit, Vorstellungen und alles, worin du dich selbst findest oder suchst. Dann kannst du diese Geburt finden, aber sonst wahrlich nicht. Er ward nie unter Freunden oder Verwandten und Bekannten gefunden, vielmehr verliert man ihn da völlig.