Kontakt: www.HarryEilenstein.de / Harry.Eilenstein@web.de
Impressum: Copyright: 2011 by Harry Eilenstein – Alle Rechte, insbesondere auch das der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Autors und des Verlages (nicht als Fotokopie, Mikrofilm, auf elektronischen Datenträgern oder im Internet) reproduziert, übersetzt, gespeichert oder verbreitet werden.
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783752696608
Der Name Taliesin bedeutet „strahlende Stirn“. Dies kennzeichnet ihn als jemanden, der Magie ausübt, da in einigen keltischen Überlieferungen wie z.B. dem „Stierraub von Cuailgne“ beschrieben wird, daß die Stirn eines Mannes, der in sich die Kampf-Ekstase weckt, zu leuchten beginnt. Man wird dieses Leuchten wohl dem Erwachen des Stirnchakras, das auch „Drittes Auge“ genannt wird, gleichsetzen können, da dieses Chakra u.a. im Yoga die Funktion der Durchsetzung des eigenen Willens im Außen durch Worte, Taten und Magie hat.
Taliesin bedeutet daher etwas freier übersetzt „Magier“ und „der mit dem erwachten Dritten Auge“. Dieses erwachte Dritte Auge ist auch das Merkmal des indischen Gottes Shiva, der wie der keltische Cernunnos-Schamane dasitzt und meditiert und die Kundalini erweckt und der auch der Gott der magischen Fähigkeiten ist.
Es ist daher denkbar, daß Taliesin ursprünglich genauso wie „Myrrdin“ (Merlin) kein Eigenname, sondern ein Titel für einen Druiden gewesen ist, der ein besonders fähiger Magier war. Diese Titel könnte auch „Ordensnamen“ gewesen sein, also Namen, die die Barden/Druiden bei ihrer Einweihung erhielten – so hießt z.B. Taliesin vor seiner Einweihung „Gwion“.
Taliesin trug den Beinamen „Taliesin Ben Beirda“, d.h. „Taliesin, König der Barden“. Möglicherweise hat er diesen Beinamen jedoch erst nach seinem Tod erhalten.
Der Unterschied zwischen einem Barden und einem Druiden ist nicht sehr groß: Beide mußten die Überlieferung kennen, beide erlernten die Zaubersprüche und Zauberlieder, beide kannten den Kult und beide hatten eine zentrale öffentliche Stellung. Ein Druide war auch in der Lage, Lieder zu singen und ein Barde war auch in der Lage, Magie auszuüben – wie die Geschichte des Taliesin deutlich zeigt.
Der Druide und der Barde übten ihre Tätigkeit auf derselben Grundlage aus, nur daß der Schwerpunkt des Druiden auf dem Kult und der Magie lag und der Schwerpunkt des Barden auf dem Vortragen der Lieder.
Taliesin ist also ein Barde, der wie die meisten Barden auch die Tätigkeit eines Druiden ausüben kann.
Taliesin hat von ca. 534 n.Chr. bis ca. 599 n.Chr. gelebt. Diese Zahlen sind recht sicher, da er mehrmals von Zeitgenossen erwähnt wird.
In einer Quelle aus dem 16. Jahrhundert wird gesagt, daß er der Pflegesohn des Königs von Ceredigion gewesen sein soll.
Taliesin war der Hof-Barde von mindestens drei Königen:
Da er in Nordengland gelebt hat, wird er Kumbrisch gesprochen gesprochen haben, d.h. auch seine Lieder werden ursprünglich in dieser Sprache verfaßt worden sein.
Seine Lieder zeigen, daß er eine keltisch-christliche Weltanschauung gehabt hat. Er wird ein Barde/Druide gewesen sein, der die alte keltische Weltanschauung mit der neuen christlichen Weltanschauung kombiniert hat – was damals allgemein üblich gewesen ist.
Über den Ort, an dem er begraben worden sein soll, gibt es mehrere Angaben:
Die Zeit, in der Taliesin gelebt hat, ist durch viele verschiedene Dinge geprägt worden. Dazu gehören u.a.:
- Die germanischen Könige wurden teilweise in prunkvollen Schiffsbestattungen beigesetzt, teilweise auch in Hügelgräbern. In dem Schiffsgrab von Sutton Hoo, in dem um ca. 620 n.Chr. ein angelsächsischer König bestattet worden ist, finden sich reiche Schmuck- und Waffenbeigaben, die von der Schmiede- und Goldschmiede-Technik her sehr anspruchsvoll sind.
- Um 700 n.Chr. ist in England das 3200 Verse lange, angelsächsische Beowulf-Epos verfaßt worden, dessen Handlung vor 600 n.Chr. in Dänemark spielt.
- Ab 789 n.Chr. griffen dänische Wikinger Britannien an und siedelten teilweise auch dort.
Die „Geschichte des Taliesin“ („Hanes Taliesin“) wurde um ca. 1530 n.Chr. von Elis Gruffyd aufgeschrieben, aber geht bis mindestens 850 n.Chr. zurück.
In dieser Geschichte trug Taliesin am Anfang noch nicht seinen Barden/Druiden-Namen, sondern noch seinen Kinder-Namen „Gwion Bach“ („Kleiner Gwion“). Der Name „Gwion“ leitet sich von „Gwyon“ für „der Helle, der Heilige“ her. Dies ist eine typische Bezeichnung des Sonnengott-Göttervaters bei den West-Indogermanischen und somit auch bei den Kelten. Es ist also denkbar, daß ein Teil der Geschichten des Taliesin auf die alten keltischen Sonnengott-Mythen zurückgehen – so ähnlich wie bei dem Helden Cú Chulainn aus dem irisch-keltischen National-Epos „Der Rinderraub von Cuailgne“: Cú Chulainn ist der Sohn des Sonnengottes Lugh.
Der Name „Gwion“ (= „Heller, Heiliger“) ist dem Namen „Taliesin“ (= „Leuchtende Stirn“) sehr ähnlich. Vermutlich bezieht sich dieser Name auch auf die Sonne – bei den Germanen ist die Sonne als das Haupt des Sonnengott-Göttervaters Tyr angesehen worden, der griechische Sonnengott Apollon trägt eine Sonnenkrone, die Sonne wurde als Auge des Göttervaters angesehen usw.
Auch die „helle Stirn“, auf die der Name „Taliesin“ hinweist, könnte solch ein Sonnen-Name sein. Falls dies zutreffen sollte, wären „Gwion“ und „Taliesin“ zwei Namen, die den Barden vor und nach seiner Einweihungs-Jenseitsreise bezeichnen – und zuvor den Sonnengott vor und nach seiner nächtlichen Jenseitsreise.
Die Druiden/Barden scheinen generell recht eng mit dem Sonnengott verbunden gewesen zu sein, wie sich u.a. an ihren Namen zeigt:
Von den 61 Liedern in dem „Buch des Taliesin“ („Llyfr Talieisin“) stammen nur 12 Lieder aus der Zeit des Taliesin, da sie Königen aus seiner Zeit gewidmet sind und ihr Stil altertümlich ist. Sie werden daher einigermaßen sicher auch tatsächlich von Taliesin verfaßt worden sein.
Diese 12 Lieder sind:
Es ist jedoch durchaus denkbar, daß noch weitere Lieder von Taliesin stammen – aber das ist bei so alten Quellen meist nicht mehr sicher feststellbar.
Die älteste erhaltene Sammlung dieser Lieder stammt von ca. 1320 n.Chr. Der Name „Buch des Taliesin“ ist erst um ca. 1650 entstanden.
Bei all diesen Liedern ist es auch denkbar, daß ihrem Niederschreiben eine längere mündliche Tradition vorausging. Sie könnten auch Bearbeitungen, Ergänzungen oder Umformungen älterer Lieder sein, die wiederum zum Teil Werke des Taliesin sein könnten. Auch Taliesin selber könnte durchaus auf ältere (mündliche) Überlieferungen zurückgegriffen haben.
In aller Regel lassen sich nur zwei Dinge rekonstruieren: zum einen das Datum der ältesten bekannten Niederschrift des Textes und zum anderen die mythologischen Wurzeln, aus denen heraus ein Text entstanden ist.
Die 61 Lieder aus dem „Buch des Taliesin“ kann man wie in der folgenden Übersicht gruppieren, wobei es einige Doppelzählungen gibt. Zudem ist es bei einigen Liedern unklar, wo ein Lied endet und wo das nächste beginnt. Daher schwankt die Anzahl der Lieder je nach der vorgenommenen Einteilung zwischen 57 und 61 Liedern.
8 Loblieder an Urien Rheged
12 Lieder des Taliesin
20 Loblieder allgemein
7 Todeslieder
8 Lieder mit vielen keltischen Elementen
9 Weissagungen
3 philosophische Lieder
3 antik-historische Lieder
10 vorwiegend christliche Lieder
Die Loblieder an Urien stammen recht sicher von Taliesin.
Vier weitere Lieder stammen ebenfalls recht sicher von Taliesin.
Die Loblieder, die nicht an Urien gerichtet sind, könnten von einem anderen Barden stammen – evtl. jedoch auch von Taliesin.
Das Todeslied ist eine keltisch-germanische Tradition und könnte daher sowohl von einem keltischen Barden als auch von einem germanischen Skalden stammen.
Weissagungen sind von fast allen Völkern einschließlich der Kelten, Germanen und Christen bekannt.
Die philosophischen Lieder können Wurzeln in allen drei britischen Kulturen (keltisch, germanisch, christlich) haben.
Der Ursprung der christlichen Lieder liegt eher direkt im Christentum als bei teilweise bekehrten keltischen Barden oder germanischen Skalden – doch sicher ist das nicht.
Wenn man die Anordnung der Lieder im „Buch des Taliesin“ betrachtet, werden einige Blöcke von gleichen Liedern deutlich. Derartige Anordnungen sind schon früh üblich gewesen – sie finden sich auch bei den Liedersammlungen der Germanen und selbst schon in den Pyramidentexten der Ägypter … das Bedürfnis nach der Herstellung einer sinnvollen Ordnung hat es schon immer gegeben.
Aus dieser Anordnung läßt sich schließen, daß die markanten Blöcke von ähnlichen Liedern aus einzelnen älteren Traditionen stammen und dann später zusammen mit weiteren Einzelliedern zu dieser Liedersammlung zusammengefügt worden sind.
In der Sammlung befinden sich drei solcher Lied-Blöcke:
4 Loblieder
9 Lieder des Taliesin an Urien (das vorletzte Lied in diesem Block ist nicht an Urien gerichtet)
7 Todeslieder
Daraus ergibt sich die folgende wahrscheinliche Entstehungsgeschichte dieser Liedersammlung:
Phase 1: Vermutlich sind die vier Lieder des Taliesin an Urien plus das neunte Lied des Taliesin der älteste Liederblock, der den ältesten Kern dieser Liedersammlung bildet (Lied 31-39).
Phase 2: Dazu ist dann wahrscheinlich schon recht früh der Block der vier Loblieder hinzugefügt worden (Lied 18-21). Sie sind Teil einer Gruppe von neun nah beeinander stehenden Lobliedern (Lied 12-25), die jedoch mit anderen Liedern vermischt sind – ein zehntes Loblied folgt dann noch als Lied 38. Wahrscheinlich ist diese Gruppe bereits eine Sammlung von 9 Lobliedern und 5 anderen Liedern (Lied 12-15) gewesen, als sie zu den Liedern als Urien hinzugefügt worden sind – warum das zehnte Loblied so weit von den anderen Lobliedern entfernt steht, ist unklar.
Phase 3: Die drei anderen Lieder, die vermutlich von Taliesin verfaßt worden sind, stehen immerhin so nah beieinander (Lied 38, 41, 44), daß sie als Teil einer weiteren Sammlung dem allmählich entstehenden „Buch des Taliesin“ hinzugefügt worden sein könnten.
Phase 4: Die acht Todeslieder werden ebenfalls aus einer alten Tradition stammen und schon recht früh als Ergänzung an die Taliesin-Liedern angehängt worden sein.
Phase 5: Die Weissagungen, die philosophischen Lieder und die christlichen Lieder sind vor allem Einzellieder, aber z.T. aber auch kleine Gruppen von zwei oder drei Liedern, was für eine spätere Hinzufügung als einzelne Lieder spricht.
Der „Stammbaum“ des „Buch des Taliesin“ könnte also ungefähr wie in der folgenden Übersicht dargestellt aussehen. Die zwölf Lieder, die wahrscheinlich von Taliesin selber stammen, sind dunkelgrau hinterlegt.
Die vermutliche Entstehung des Buches des Taliesin | |||||
7 Lieder an Urien | 8 Taliesin-Lieder | ||||
1 Taliesin-Lied | |||||
2 Talisin-Lieder | 8 Todeslieder | 17 Lieder | |||
6 Todes-Lieder | 9 Lieder | ||||
1 weiteres Lied | 32 Lieder | 61 Lieder | |||
2 Taliesin-Lieder 7 Loblieder | 9 Loblieder | 14 Lieder 15 Lieder | |||
5 andere Lieder | |||||
1 Loblied | |||||
29 meist einzelne christliche, antike und philosophische Lieder |
Taliesin tritt wie Merlin in vielen späteren Texten (vor allem aus dem Mittelalter) auf, die alte Themen aufgegriffen und oft auf vielfältige Weise umgeformt haben.
Vor langer Zeit lebte auf einer Insel in Penllyn1 ein Mann namens Tegid Voel2 und sein Haus stand auf einer Insel inmitten des Sees Tegid3. Seine Frau wurde Cerridwen4 genannt. Ihre Kinder waren Creidwy und Morfan.
Creidwy wuchs zu einer schönen und lieblichen Maid heran, aber ihr Bruder war so häßlich, daß er nur „Afagddu“ genannt wurde, was „tiefste Finsternis“5 bedeutet. Er hatte einen behaarten Körper wie ein Hirsch6 und ein rauhes, abscheuliches Benehmen. Das bekümmerte seine Mutter Cerridwen sehr, da er so nicht unter edlen Männer zugelassen werden würde – das war die Zeit, in der die Tafelrunde des Artus begann.
So beschloß sie, entsprechend den Künsten, die in dem Buch des Fferyllt7 standen, einen Trank zu brauen, der ihm als Ausgleich für sein abstoßendes Äußeres Weisheit und Inspiration schenken sollte.8
Der Trank mußte ein Jahr und einen Tag9 kochen und zu vorgeschriebenen Zeiten mußten bestimmte Kräuter gepflückt und hinzugefügt werden. Nach dieser Frist sollten die „drei Tropfen der Inspiration“10 nach dem Willen Cerridwens ihren Sohn zum Weisen und Zauberer machen. Der Rest der Flüssigkeit in dem Kessel würde aber zu einem tödlichen Gift werden.11
Cerridwen stellte einen alten blinden Mann mit dem Namen Morda12 (Tod) und seinen jungen Schützling Gwion Bach13 an, um den Tank zu rühren, während sie selbst auf Kräutersuche war.
Gwion schürte das Feuer und wechselte sich mit dem Alten an Cerridwens Kessel ab.14 So vergingen die Monde und es nahte der Tag, an dem der Zaubertrank fertig werden sollte. Lange hatte Cerridwen den Trank gebraut und war weit gewandert, um die seltenen und fremdartigen Kräuter zu sammeln, die sie für ihn benötigte. Schließlich hatte Cerridwen die letzten Kräuter hinzugefügt und ging ihren Sohn Afagddu holen.
Da blubberte das Gebräu plötzlich auf und drei Tropfen spritzten auf Gwions Hand. Schnell leckte er sie ab, um seine Finger zu kühlen. Ab diesem Augenblick konnte er alles in der Welt hören und verstand mit einem Mal alle Geheimnisse der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft – und wußte sofort, daß Cerridwen sehr wütend werden würde, wenn sie bemerkte, daß er die drei Tropfen geschluckt hatte.15
Als Cerridwen zurückkam, sah sie sofort, was geschehen war und wurde sehr zornig, denn nun mußte Afagddu häßlich und dumm bleiben. Sie stürzte sich auf Gwion, der hinunter zum Wasser floh.
Um ihr zu entkommen, verwandelte er sich in einen Hasen, aber Cerridwen wurde zu einem Windhund und blieb ihm auf den Fersen. Da verwandelte sich Gwion am Ufer des Sees in einen Fisch und schwamm davon, aber Cerridwen verwandelte sich sofort in einen Fischotter und folgte ihm. Da tauchte Gwion auf und wurde zu einem Vogel, aber Cerridwen wurde zu einem Falken und setze ihm nach.16
Da ließ sich Gwion als Weizenkorn zu Boden fallen, mitten in einen Haufen anderer Weizenkörner. Cerridwen verwandelte sich daraufhin in eine Henne und pickte Korn für Korn auf bis sie auch Gwion hinuntergeschluckte hatte.17
Dann nahm Cerridwen wieder ihre menschliche Gestalt an. Doch nun trug sie den Samen in sich und neun Monate später gebar sie einen prächtigen Sohn. Noch immer hatte sich ihr Zorn auf Gwion nicht gelegt und sie wollte ihn loswerden.18
Er war aber ein so schöner Knabe, daß sie es nicht übers Herz brachte, ihn zu töten. So legte sie ihn in einen harten, fellbezogenen Weidenkorb und setzte ihn auf einem großen See aus.19
Er trieb auf dem See dahin, bis er an einem Fischwehr hängenblieb. Das Wehr erfreute sich großer Beliebtheit im Königreich, da es zu Celsamhain20 immer eine reiche Beute an Lachsen brachte.
In diesem Jahr war Elphin, der Sohn des Gwyggno Garanhir, der als der größte auf Erden lebende Pechvogel bekannt war, auf der Suche nach Fischen zu dem Wehr gekommen. Als er den schönen Knaben in dem Korb entdeckte, rief er „eine strahlende Stirn!“ Und das heißt auf Walisisch „Tal iesin!“. Das Kind aber ant-wortete zu Elphins Überraschung „Ich bin Taliesin!“.
Elphin nahm den Knaben mit nach Hause und sein Vater war von ihm so entzückt, daß er beschloß, ihn selbst aufzuziehen.
Taliesin wurde schon in seiner Kindheit ein beliebter Sänger und Harfner, dessen Lieder magische Kräfte besaßen und den Sturm rufen sowie Tiere und Menschen verzaubern konnten. Taliesin brachte Elphin, dessen Barde er wurde, Glück und Gedeihen.
Auf dem Heimweg von dem Wehr, an dem Elphin den Taliesin gefunden hat, zurück zu der Burg seines Vaters tröstete Taliesin Elphin mit einem Gedicht:
„Lieber Elphin, höre auf zu klagen!
Niemand sollte mit dem, was er hat, unzufrieden sein,
denn Verzweiflung bringt keinerlei Vorteile.
Niemand sieht alles, was ihm Rückhalt gibt:
Niemals lag in Gwyddnos Wehr
solch ein glücklicher Fund wie heute Nacht.
Lieber Elphin, trockne Deine Wangen!
Allzutraurig zu sein bringt Dich nicht weiter.
Auch wenn Du glaubst, daß Du nichts gefunden hast,
wird aus Deinem Verzweifeln nichts Gutes entstehen
– und es wird auch nicht die Wunder des Allmächtigen herbeirufen.21
Obwohl ich nur klein bin, habe ich viele große Gaben.
Aus dem Meer und von den Bergen
und aus den Tiefen der Flüsse
bringt Gott Wohlstand zu den Menschen mit einem guten Schicksal.
Elphin, Du mit Lebenskraft Gesegneter,
Deine Haltung ist unmännlich;
Du darfst nicht übertraurig sein:
Es ist besser, in Gott zu vertrauen
als Schlimmes zu befürchten und es deshalb vorherzusagen.
So klein und schwach
wie ich auch an dem schäumenden Strand des Meeres gelegen habe,
werde ich doch für Dich an den Tagen der Bedrohungen
mehr wert sein, als dreihundert Lachse heute in dem Wehr.
Elphin, Du mit bemerkenswerten Qualitäten Gesegneter,
hadere nicht mit Deinem Schicksal,
Obwohl ich so schwach in meinem Korb liege,
habe ich magische Kraft in meiner Zunge
– solange ich Dein Beschützer bin
brauchst Du nicht viel zu fürchten.“22
Dies war das erste Lied, das Taliesin sang – zur Beruhigung des Elfin über den Verlust der Fische in seinem Wehr und darüber, daß alle Welt denken würde, daß es sein eigener Fehler und sein eigenes Unglück wäre.
Elphin wunderte sich sehr über die Worte des Taliesin und frug ihn, ob er ein Mensch oder ein Geist sei. Darauf antwortete Taliesin ihm mit einem zweiten Lied:
„Zuerst war ich ein normaler Mensch,
dann litt ich am Hofe der Cerridwen;
Obwohl ich nur wenig geachtet wurde, ließ man mich dort wirken.
Ich war wichtig an dem Ort, zu dem man mich führte;
Ich war die hochgeschätzte Verteidigung des Werkes,
Und von dem Verbot des Sprechens wurde ich
durch eine lächelnde schwarze, alte Hexe befreit,
die voller furchtbarer Wut das verfolgte, was sie als das ihre ansah:
Ich floh voller Kraft, ich floh als Frosch,
Ich floh in der Gestalt einer Krähe, die kaum Ruhe findet,
Ich floh mit aller Macht, ich floh in der Gestalt einer Kette,
Ich floh als Reh in ein verwuchertes Gestrüpp,
Ich floh als Wolfswelpe, ich floh als Wolf in die Wildnis,
Ich floh in der Gestalt einer unheilverkündenden Drossel,
Ich floh als Fuchs, der Revierkämpfe gewohnt ist,
Ich floh als Schwalbe, was mir aber nichts nützte,
Ich floh als Eichhörnchen, das sich vergeblich versteckte,
Ich floh als Hirsch mit großem Geweih – doch vergeblich,
Ich floh als Eisen in einem glühenden Feuer,
Ich floh als Speerspitze, die denen Leid brachte, die das nicht wünschten,
Ich floh als wütender Stier, der bitter kämpfte,
Ich floh als borstiges Wildschwein, das in einer Senke gesehen wurde,
Ich floh als weißes Weizenkorn,
das sich am Rand eines Lakens aus Hanf verfangen hatte,
das die Größe des Felles des Fohlens einer Stute hatte,
das wie ein Schiff auf dem Wasser dahintrieb;
Ich wurde in den dunklen Ledersack geworfen,23
und auf eine Reise über die grenzenlose See gesandt;
Das war für mich ein Omen der zärtlichen Fürsorge,
Und schließlich gab mir der Herrgott meine Freiheit wieder zurück.“24
Elphins Vater Gwyddno wunderte sich sehr über das sprechende Baby, das sein Sohn statt der Lachse von dem Wehr mit nach Hause brachte. Als Taliesin ihm sagte, daß er ein Barde sei, aber Gwyddno wenig Interesse an einem weiteren Esser hatte, sprach Taliesin den Fürsten an.
Als Gwyddno Taliesin frug, warum er sprechen konnte, obwohl er noch so klein war, antwortete ihm Taliesin: „Ich kann besser sprechen, als Ihr mich fragen könnt.“
Daraufhin forderte Gwyddno Taliesin auf, ihn hören zu lassen, was er zu sagen habe.
Als Antwort sang ihm Taliesin die folgenden Verse:
„Im Wasser liegt etwas, das von einem Segen erfüllt ist:
Es ist das Beste, über Gott zu meditieren,
Es ist das Passendste, Gott mit ganzem Ernst zu bitten,25
denn es kann nichts geben, was verhindern könnte,
von ihm ein Geschenk zu erhalten.26
Dreimal bin ich geboren worden, Ich weiß es durch meine Meditation.
Es wäre für jeden Menschen ein Jammer, wenn er nicht käme und
all das Wissen über die Welt erhielte,
das in meiner Brust versammelt ist,
denn ich weiß, was gewesen ist und was in Zukunft geschehen wird.
Ich werde meinen Gott anflehen, daß ich bei ihm Zuflucht erlange.“27
Daraufhin gab Elphin seinen Findling seiner Frau und sie pflegte ihn zärtlich und liebevoll.
Von da an wuchs Elphins Reichtum von Tag zu Tag und er stand immer mehr in der Liebe und in der Gunst des Königs.
Als Taliesin 13 Jahre alt war, wurde Elphin von seinem Onkel, dem König Maelgwn Gwynedd zum Wintersonnenwendfest eingeladen, zu dem sich alle Edlen und Barden des Landes in der Halle des Königs versammelten.28
Damals standen die Barden noch in hohem Ansehen. Sie waren in vielen Dingen gelehrt: im Dienst für die Könige und Fürsten; in der Kenntnis der Stammbäume, der Waffen und der Heldentaten der Könige und der Prinzen; in den Dingen, die früher in den Königreichen geschehen waren; in den Annalen der Edlen; in der Chronik aller Dinge; in der Kenntnis des Lateinischen, Französischen, Walisischen und Englischen; in der Dichtkunst in jeder dieser Sprachen.
Auf diesem Fest begann der König zu prahlen, daß er der größte aller Könige sei, daß er die größte Kraft und die größten spirituell-magischen Gaben besäße. So ging es immer weiter: In seinem Königreich seien die tapfersten Ritter, die schönsten Mädchen, seine Windhunde und Pferde seien die schnellsten, seine Barden die geschicktesten und so weiter.
Diese Worte konnte Elphin nicht ertragen. Er widersprach dem König und sagte, daß niemand treuer als seine Frau sein könnte und daß auch niemand besser als sein Barde Taliesin sein könne. Daraufhin wurde König Maelgwn so wütend, daß er Elphin in Ketten legen und in den Turm werfen ließ.
König Maelgwn sandte seinen Sohn Rhun zu Elphins Frau, um sie zu verführen und so zu beweisen, daß die Frau des Königs die bessere sei. Taliesin sah jedoch in einer Vision, was geschehen war und was der König plante29. Deshalb ließ er eine Dienerin von Elphins Frau sich als die Schloßherrin verkleiden. Rhun erkannte nicht die Maskerade und Elphin konnte, als Rhun zurückgekehrt war, beweisen, daß Rhun Elphins Frau gar nicht zu sehen bekommen hatte.
König Maelgwn wurde noch wütender und ließ Elphin ein zweites Mal in den Turm werfen.
Taliesin erzählte Elphins Frau, daß Elphin wieder in den Turm geworfen worden war, aber daß Taliesin jetzt zu dem König gehen und Elphin befreien werde.
Er sang ihr vor seiner Abreise ein Lied:
„Ich werde eine Reise machen
und ich werde zu dem Tor kommen,
die Halle werde ich betreten
und ich werde mein Lied singen;
meine Stimme wird erklingen
um die königlichen Barden verstummen zu lassen.
In der Gegenwart des Oberbarden
werde ich sie durch meinen Gruß verhöhnen,
ich werde über sie hereinbrechen
und Elphin befreien,
wenn vor dem König
der Streit der Barden aufflammt:
der Streit der süßesten Lieder,
der Streit des größten Wissens der Zauberer,
der Streit der größten Weisheit der Druiden.
Wehe ihnen, den Narren,
wenn die Rache über sie kommt!
Ich, Taliesin, der Oberste aller Barden,
werde mit tiefgründigen Druidenworten
Elphin aus den Fesseln des hochmütigen Tyrannen befreien.
Bald wird es ein Ende haben.
Wegen dieser Gewalt und dieser Ungerechtigkeit
wird es weder Gnade noch Gesundheit
für König Maelgwn Gwynedd geben,
und mögen Rhun und alle seine Nachkommen
große Krankheiten
und ein Ende der Rache finden:
Kurz sei sein Leben
und öde sein Land!“30
Taliesin ging daraufhin an den Hof des Königs Maelgwn und setzte sich in eine stille Ecke der Festhalle in die Nähe der Barden.
Als die Barden dann aufgerufen wurden, um den König so zu preisen wie es damals üblich war, blickte Taliesin ihnen hinterher, machte einen schmollenden Babymund und sagte leise „Blerum, blerum“ wie es die kleinen Kinder machen, die noch nicht sprechen können. Als die Barden des Königs dann mit ihrem Lobpreis beginnen wollten, konnten sie nur brabbeln wie Babys und kein einziges Wort sagen.31
Der König dachte, sie seinen betrunken und versuchte sie dreimal durch einen seiner Junker zu Verstand zu bringen, aber es gelang nicht. Da ließ er den obersten seiner Barden mit einem Besen schlagen, sodaß er zu Boden fiel.
Da erhob sich der Oberbarde Heinin Vardd und konnte wieder sprechen: „Oh König, wisse, daß wir nicht durch die Stärke des Trankes unsere Sprache verloren haben, sondern durch die Stärke des Geistes, der dort hinten in der Ecke in der Gestalt eines Kindes sitzt.“32
Daraufhin rief der König Taliesin vor sich und frug ihn, wer er sei und woher er käme. Da antwortete Taliesin ihm mit einem Lied:
„Ich bin der Oberste Barde des Elphin,
und mein Heimatland sind die Sommersterne;
Idno und Heinin nennen mich Merddin,33
bald wird mich jeder König als Taliesin kennen.
Ich war bei meinem Herrn in der höchsten Ebene,
als Lucifer in die Tiefen der Hölle gestürzt wurde;
Ich habe das Banner von Alexander dem Großen getragen;
Ich kennen die Namen der Sterne vom Norden bis zum Süden;
Ich stand auf der Milchstraße vor dem Thron dessen, der alle ernährt;
Ich war in Kanaan, als Absalomon34 getötet wurde;
Ich geleitete den Heiligen Geist auf die Höhe des Hebron-Tales;
Ich war am Hofe des Don35 vor der Geburt des Gwidion.36
Ich war der Lehrer des Elias37 und des Henoch38;
Ich erhielt von dem Geist39 in dem herrlichen Bischofsstab Flügel;
Ich war schon redegewandt bevor ich meine Sprache erhielt;
Ich war an dem Ort der Kreuzigung des barmherzigen Gottessohnes;
Ich war dreimal in der Gefangenschaft der Göttin Arianrod;40
Ich war der oberste Architekt des Turms zu Babylon;
Ich bin ein Wunder, dessen Ursprung unbekannt ist.
Ich war in Asien zusammen mit Noah in seiner Barke,
Ich habe die Zerstörung von Sodom und Gomorrha gesehen;
Ich war in Indien, als Rom erbaut wurde,
Und ich stand in den Ruinen von Troja.
Ich war bei meinem Herrn in der Krippe des Esels;
Ich habe Moses gestärkt, als er den Jordan durchquerte;
Ich war am Firmament zusammen mit Maria Magdalena;
Ich habe die Inspiration aus dem Kessel der Cerridwen erlangt;
Ich war der Barde der Harfe des Leon von Lochlin41.
Ich stand auf dem Weißen Hügel im Hof der Göttin Cynvelyn42;
Ich habe ein Jahr und einen Tag in Fesseln gelegen
und für den Sohn der Jungfrau Hunger gelitten.
Ich wurde in dem Land der Deitv43 aufgezogen,
Ich war der Lehrer aller Lehrer,
Ich kann das ganze Universum lehren.
Ich werde leben bis der Letzte Tag über die Erde kommt
und niemand weiß, ob mein Körper Fleisch oder Fisch ist.
Dann war ich für neun Monate im Bauch der Cerridwen
Ich war am Anfang der kleine Gwion,
und nun bin ich Taliesin geworden.“44
Der König befahl nun seinem obersten Barden Heinin Vardd, Taliesin zu einem Sängerwettstreit herauszufordern, aber als Heinin seinen Mund öffnete, konnte er wieder nichts anderes als „Blerum, blerum“45 sagen. Den anderen dreiundzwanzig Barden des Königs erging es nicht anders.
Da frug der König Taliesin, warum er gekommen sei. Daraufhin sang Taliesin das folgende Lied:
„Ihr kümmerlichen Barden,
durch sanften magischen Druck
versuche ich mir so gut ich kann, den Preis zu sichern;
Ich strebe danach, den Verlust,
den ich erlitten habe, wieder zurückzuholen;
Ich hoffe damit erfolgreich zu sein,
weil Elphin in der Festung von Teganwy46 Kummer erleidet.
Mögen ihn nicht zu viele Ketten und Fesseln binden;
den Thron von Teganwy werde ich wieder aufsuchen.
Von meinem Schutzgeist47 unterstützt bin ich machtvoll;
Ich erschaffe eine große Macht,
denn in dem Lied, das ich singe,
sind dreihundert48 Lieder und mehr miteinander verwoben.
Da, wo ich bin, sollte lieber kein Stein und kein Ring stehen
und um mich her sollte lieber kein Barde sein,
der nicht weiß, daß Elphin, Sohn des Gwyddno49 im Land von Artro50 ist
– gefesselt mit dreizehn Schlössern –
und den preist, der den Befehl dafür gab.
Ich, Taliesin, der oberste Barde des Westens,
werde Elphin aus seiner goldenen Fessel befreien.
Wenn ihr Barden vom höchstem Rang seid
und das Wissen über die Welt besitzt,
dann erläutert die Geheimnisse über die Bewohner dieser Welt:51
Es gibt ein unheilbringendes Wesen,
das aus der Festung Satans kommt,
das alles zwischen dem Tiefen und dem Flachen unterworfen hat;
sein Maul ist genauso weit wie die Berge der Alpen
– dieses Wesen kann der Tod nicht unterwerfen
und auch keine Hand und keine Klinge.
In den Haaren seiner zwei Klauen
kleben neunhundert Wagenladungen Erde;52
in seinem Haupt ist ein Auge
– grünlich wie ein durchsichtiger Eiszapfen;
drei Quellen entspringen aus seinem Nacken
und in ihrem Wasser rollen Sturmwogen dahin
– dort starben die Stiere des wasserreichen Deivrdonwy.53
Die Namen der drei Quellen in der Mitte des Ozeans:
Eine läßt das Salzwasser aus der Corina fließen
und erschafft die Fluten des Meeres,
die auch wieder in sie hinein verebben;
die zweite fällt auf uns herab,
wenn sie im herniederschüttenden Himmel regnet;
die dritte erscheint in den Adern der Berge
als ein Feuerstein-Festessen.
Sie sind das Werk des Königs aller Könige.
Ihr stümperhaften Barden, die ihr voller Sorge seid:
Ihr könnt nicht das Königtums der Briten preisen!
Ich, Taliesin, der oberste Barde des Westens,
werde Elphin aus seiner goldenen Fessel befreien.
Schweigt, ihr unglücklichen, reimenden Barden,
denn ihr könnt nicht Wahrheit von Falschheit unterscheiden.
Wenn ihr Barden vom höchsten Rang seid,
die vom Himmel geformt wurden,
dann sagt eurem König, was sein Schicksal sein wird!
Ich bin der Seher und der oberste Barde
und ich kenne jeden Weg in dem Land eures Königs.
Ich werde Elphin aus dem Bauch des steinernen Turmes befreien
und ich werde eurem König sagen, was ihm geschehen wird.
Ein sehr seltsames Wesen wird als Strafe für den Frevel
aus den Sümpfen am Meeresstrand von Rhianedd54 kommen
und Maelgwn Gwynedd heimsuchen!
Seine Haare, seine Zähne und seine Augen sind golden,
und es wird Vernichtung über Maelgwn Gwynedd bringen!
Schaut euch an, welch ein Wesen aus der Zeit vor der Sintflut dies ist:
ohne Fleisch, ohne Knochen,
ohne Adern, ohne Blut,
ohne Kopf, ohne Füße;
Es ist weder jünger noch älter als der Anfang.
Aus Angst vor einer Ablehnung
wurden von diesem Wesen noch nie etwas grob verlangt.
Großer Gott! Wie das Meer erblaßte, als es das erste Mal erschien!
Riesig sind die Böen, wenn es aus dem Süden kommt,
riesig ist die Gischt, wenn es auf die Küste trifft,
es ist in den Feldern, es ist im Wald,
es ist ohne Hand und ohne Fuß,
es ist ohne ein Zeichen des Alters,
obwohl es zu allen fünf Zeitaltern lebte
– und noch länger: die Jahre sind unzählbar.