Ilona Waldera

FAULTIER-
FANTASTEREIEN

und andere Geschichten

Books on Demand

INHALT


Ein Faultiermann, brummig und ewig müde, erzählt …

HERBSTMALEREIEN


Das zottelige braun-grau-grüne Faultier hing wie gestern, vorgestern und vorvorgestern kopfüber an seinem Lieblingsast auf seinem Lieblingsbaum. Und schaukelte. So wie gestern, vorgestern und vorvorgestern auch. Eigentlich tat es immer nur das, was es immer schon getan hatte, tagein, tagaus, jahrein, jahraus. Denn es war ein altmodisches Faultier mit einem altmodischen Namen:

Friedwart von Schnorch hieß es.

„Onkel Friedwart, Onkel Friedwart“, quiekten und piepsten die kleinen Tiere, die unterm Faultierbaum im weichen Moos saßen. „Erzähle uns eine Geschichte, uns ist so langweilig!“

Der Faultiermann gähnte ausgiebigst. Dann warf er einen leicht missbilligenden Blick nach unten auf die bunte, zappelige Schar. Auf Edwina das Erdferkelmädchen, auf den Streifenhörnchen-Peter, auf die beiden Schildkrötenfreundinnen Gertie und Susie und auf den Chameleonjungen mit der zu langen Zunge. Wie hieß er denn noch? Ach ja, das war der Kurti.

„Ihr Buben und Mädel“, begann Herr von Schnorch auf seine umständliche Art, „seid heutzutage nicht mehr in der Lage, euch sinnvoll zu beschäftigen, so wie wir es seinerzeit noch konnten.“

„Was habt´n ihr gemacht, damals?“, wollte Edwina wissen.

„Ja, was, wenn so´n blödes Herbstwetter war wie jetzt?“, forschte der Peter.

Friedwart von Schnorch schaukelte etwas fester und dachte gleichzeitig nach, auch etwas fester. „Nun, wir haben - um nur ein Beispiel zu nennen – ein schönes Herbstbild gemalt.“ Wieder sandte er einen Blick nach unten zu den Tierkindern und ihren Schulranzen. „Und genau das solltet ihr auch tun“, fuhr er feierlich fort. „Wie ich sehe, habt ihr in euren Ranzen die Zeichenblöcke stecken. Da wird es euch ein Leichtes sein, ein Bild anzufertigen. Und ich habe ein wenig Ruhe vor euch jungem Völkchen und Muße genug, meine Mittagsmahlzeit einzunehmen.“

Er griff mit seiner lang bekrallten Faultierhand in ein Baumloch über sich, holte einen Joghurtbecher hervor und machte sich daran, ihn auszulutschen. Mit Geschmatze und Genuss.

Die Tierchen, die – sie wussten selbst nicht warum – alles brav befolgten, was der alte Faultiermann sagte, breiteten derweil ihre Malutensilien aus: das Papier, die Stifte, die Farbkästen. Und dann malten sie los.

Edwina, rosig, vorlaut und ziemlich frech, war als erste fertig. Natürlich. Sie schwenkte triumphierend ein Zeichenblatt hin und her, das fingernageldick mit gelber Farbe bedeckt war und sich wellte wie ein Waschbrett. „Ich werde eine berühmte Malerin!“, trompetete sie. „Mein Sonnenaufgangsgemälde hat die allerschönsten Farben!“

„Darauf kommt`s nicht an“, versetzte der Streifenhörnchen-Peter trocken. „Farben malen kann der Anstreicher auch und wird trotzdem nicht berühmt damit. Pah, man muss erkennen können, was auf dem Bild drauf ist!“ Damit hielt er der Edwina seinen Zeichenblock unter den Rüssel. Da prangten eine schlammbraune Vase mit einer blauen Kornblume und einem roten Apfel. ›Stillleben‹ nennt man so was, weil alles, was drauf ist, absolut still ist und keinen Mucks macht.

„D a s ist Kunst“, verkündete er und scherte sich nicht darum, dass die Edwina ihm die Zunge rausstreckte.

„Sooo einfach ist das auch nicht, meine Herrschaften!“

Die abgrundtiefe Stimme, die von hoch oben ertönte, gehörte selbstverständlich dem Faultiermann. Der hatte den Joghurtbecher blitzblank gekriegt und machte sich nun daran, die Joghurtkleckse von Nase und Wangen zu lecken. Er hasste es, wenn Speisereste in seinem Fell klebten. Zwischendurch sprach er weiter: