Wilhelm Krieger
Tierbildhauer und Professor
(1877 Norderney - 1945 Herrsching)
REGARDEUR IV
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„Als Bub kannte ich jedes Pferd und jeden Hund auf Norderney und in Norden „persönlich“, und wenn die Tiere jetzt noch lebten, würde ich sie alle wiedererkennen.“
Wilhelm Krieger, 1922
„Wilhelm Krieger
Tierbildhauer und Professor
(1877 Norderney - 1945 Herrsching)“
Conversationshaus zu Norderney
14. März - 3. Mai 2010
„Poppe Folkerts und Wilhelm Krieger“
bade~museum, Norderney
13. Juni - 29. August 2010
Zum Sehen geboren,
Zum Schauen bestellt,
Dem Turme geschworen
Gefällt mir die Welt.
Ich blick' in die Ferne,
Ich seh' in der Näh'
Den Mond und die Sterne,
Den Wald und das Reh.
So seh' ich in allen
Die ewige Zier,
Und wie mir's gefallen,
Gefall' ich auch mir.
Ihr glücklichen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sei, wie es wolle,
Es war doch so schön!
Johann Wolfgang von Goethe
Türmerlied (Faust II, 5. Akt)
Martin H. Schmidt
Geboren wurde Wilhelm Krieger 1877 auf Norderney, seine Schulzeit aber verbrachte er bei Verwandten in Norden. Im dortigen Ulrichgymnasium ging er zur Schule. Ohne Abschluss verließ er Norden und begann – vermutlich durch Beziehungen, die sein Vater einfädeln konnte – eine Lehre zum Dekorationsmaler in Bremen. Diese Lehre schloss er ebenfalls nicht ab. Er war sich – soweit können wir Kriegers Selbstzeugnisse auswerten – seiner kommenden Zukunft sehr deutlich bewusst. Künstler wollte er werden. Angespornt durch seinen Kindheitsfreund Poppe Folkerts, der genauso wie Wilhelm Krieger, Schüler und Geselle des Malermeisters Theodor Krieger, Wilhelms Vater, war. Poppe Folkerts war ein begeisterter und begnadeter Maler, er malte in seiner Freizeit alles, was er um sich herum sah; besonders Landschaft, Meer und Schiffe. Wilhelm Krieger wollte ihm darin nicht nachstehen, doch sah er sein Schicksal nicht in der Nähe des Meeres. Er ließ sich aufs Festland ziehen und noch weiter, tief in den deutschen Süden.
Welche Kunstzentren gab es um 1900 in Europa und Deutschland? Sie sind schnell aufgezählt. Allen voran Rom und Paris, gefolgt von Madrid, Prag, St. Petersburg, Moskau und Stockholm. Innerhalb des Deutschen Reiches gab es nur zwei künstlerische Zentren. Eines im Norden, die Hohenzollern in Berlin und im Süden die Wittelsbacher in München. Beide Städte proklamierten die Hoheit über die Künste für sich, Kaiser Wilhelm II. aufbrausend und extrovertiert; Prinzregent Luitpold, immer noch im Schatten von König Ludwig II., eher zurückgezogen, selbstvergessen. Und auch die Bevölkerung spiegelte eben diese Herrscherstimmung wider. Im Norden die Exzentriker, die in Luxus und technischer Schnelligkeit schwelgenden; im Süden, die in Bierseligkeit und Selbstzufriedenheit gelassenen Münchner. Allem Fremden skeptisch gegenüber, nur ihre eigene Heimat- und Vereinsgeselligkeit tolerierend.
Wilhelm Krieger wählte den ruhigen Süden für sich und seine Zukunft. Wir können aber davon ausgehen, dass er zumindest eine kurze Zeit in Berlin verbracht hatte. Er kannte die wichtigen Personen des Kunsthandels, er wusste um die Mechanismen des Kunstmarktes und wusste, wen er fragen und mit wem er in Kontakt treten musste; auch in Dresden und Leipzig hatte er sich offensichtlich über Verkaufsmöglichkeiten informiert.
Sein Lebensweg führte ihn nach München. Zunächst schrieb er sich in der Kgl. Kunstgewerbeschule ein, doch bereits nach dem 1sten Semester verließ er die Lehranstalt; und, wir können uns dieses Immatrikulieren und wieder Austreten dergestalt vorstellen, dass nur wenige Monate, wenn nicht sogar nur wenige Wochen zwischen dem ersten Schritt in die Lehranstalt und dem Schritt wieder aus derselben verstrichen. Wie in Norden und in Bremen so bricht Wilhelm Krieger auch in München eine einmal begonnene Ausbildung ab.
Was und wie Wilhelm Krieger seinen Lebensunterhalt in den folgenden Jahren verdient hat, lässt sich – wie so oft, nur zwischen den Zeilen ablesen – er hat sich „durchgelandschaftert“. Wie eine Vielzahl von angehenden deutschen Künstlern versucht Krieger offensichtlich mit Auftragsarbeiten Geld zu verdienen. Gefragt wurde im aufstrebenden Bürgertum naturalistisch-idealisierende Porträts von Hausherr und Hausfrau, ebenso wie Pferdeporträts und die so genannten Kapitänsbilder, die Schiffsporträts. Doch sein Erfolg muss mäßig gewesen sein. Von welchen Finanzmitteln er schließlich 1903 gemeinsam mit einem Künstlerkollegen die Firma Zierhut&Krieger gründen kann, ist nicht bekannt. In den folgenden Jahren scheint Wilhelm Krieger recht erfolgreich im kunstgewerblichen Vertrieb zu agieren. Sein kühler norddeutscher Handelsgeist ist ihm hierbei offensichtlich sehr behilflich. Seine kunstgewerblichen Entwürfe schickt er auf Messen und gewerbliche Ausstellungen; wiederholt werden seine Zieräthe und seine Geschirre in Fachzeitschriften lobend erwähnt.
Die Arbeit als Gürtler mit Metall, das feine Ziselieren von Oberflächen scheinen seinem Charakter sehr entgegen zu kommen. Hier verbindet er seine Vorliebe für das harte und sperrige Material Bronze und das Formen in weichem Wachs, Ton und Gips mit seiner Liebe zu Tieren und der Natur.
Autodidaktisch nähert er sich dem Modellieren, dem Bronzeguss, dem Ziselieren und dem Patinieren. Offensichtlich hatte er nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen.
Unmittelbar mit seinem ersten Versuch Mitglied einer Künstlervereinigung zu werden, landet er einen großen Erfolg. Das, worum andere – einheimische Münchner Künstler – jahrelang erfolglos kämpften, gelingt Wilhelm Krieger problemlos. Mit seiner dreiteiligen „Hasengruppe“ schafft er 1907 auf Anhieb den Sprung in die Ausstellung der Münchner Secession und, es gleicht einem Wunder, 12 Kopien seiner Bronzegruppe werden unmittelbar geordert. Seit dieser Zeit beschickt Krieger die Ausstellungen der Secession jährlich und mit Erfolg. Er hatte seinen eigenen Weg gefunden.
Tierdarstellungen in Lebensgröße in gattungsspezifischer Ausformung, naturalistisch gegeben, ohne die neobarocke Attitüde des staatstragenden Berliner Bildhauers Reinhold Begas, ohne symbolüberladene Vermenschlichung, wie es bei den französischen Tierbildhauern um und nach Antoine Barye der Fall war; das war Wilhelm Kriegers Alleinstellungsmerkmal.
Natürlich und ehrlich, charakteristisch und genau, abstrakt und doch im Detail treffend. Dabei nie oniristisch, d.h. das Zusammenspiel von Mensch und Bestie suchend, sondern immer das einzelne Tier im Fokus.
In München kam ihm der von Adolph von Hildebrand etablierte und bodenständige Münchner Klassizismus sehr zu pass, das Publikum war durch Hildebrand auf Kriegers Figuren vorbereitet, was Krieger Bestreben sehr unterstützte.
München war bereits um 1900 eine Stadt mit hohen Lebensunterhaltungskosten und horrenden Immobilienpreisen. Die künstlerische Bohemien lebte oberhalb der Maxvorstadt im Dorf Schwabing. Durch einen Zufall, erfuhr Wilhelm Krieger von der kleinen Künstlerkolonie Wartaweil nahe dem idyllischen Dorf Herrsching am Ammersee. Mit der von dem Landschaftsmaler Ludwig Scheuermann gemeinsam mit Graf Hans-Veit zu Toerring neu erschlossenen Bahnstrecke war Herrsching in fast einer Stunde vom Münchner Zentrum aus zu erreichen und, abgesehen von der Villenkolonie Lochschwab, waren die Grundstückspreise im Fischerdorf Herrsching noch erschwinglich. „Im ganzen Seengebiet“, so schrieb der Münchner Jurist und Schriftsteller Karl Stieler vor gut 130 Jahren, „ist dieser Winkel vielleicht die vollendetste Idylle.“
Wilhelm Krieger tat einen weiteren wichtigen Schritt in seiner Lebensplanung, er erwarb ein Grundstück nahe des neuen Herrschinger Bahnhofs unmittelbar am Ammersee gelegen. Hier konnte er viele Vorzüge vereinen, die Natur, die Zurückgezogenheit, genügend Platz für sich, seine Tiere und seine Familie. 1912 heiratete er die Keramikerin Emilie Butters. Mit ihr hatte er 5 Kinder, 2 Söhne, 3 Töchter.
Ich selbst habe Wilhelm Krieger erst vor sechs Jahren für mich entdecken können. Als ich in der Münchner Kunst-gießerei Niedermaier in der Werkstatt stand und mein Interesse von einem putzigen Nasenbären gefesselt wurde, der in Scheitelhöhe auf mich herunter schaute. Ich fragte den Werkstattleiter nach dem Urheber; fünf Minuten später telefonierte ich mit dem Sohn und Nachlassverwalter des Künstlers, dessen jüngsten Sohn, Hajo Krieger. Zwei weitere Wochen später, und ich saß in Herrsching mit Blick auf das ehemalige Atelier des Künstlers, bei Hajo Krieger und seiner Ehefrau Susanne. Ich erhielt Einblick in das mit familiärer Leidenschaft zusammengetragene Archiv und der Wunsch wurde formuliert, ein Werkverzeichnis zu erstellen und Ausstellungen ausserhalb Herrschings zu organisieren.
Auch heute noch fehlt eine angemessen Würdigung des Lebenswerkes von Wilhelm Krieger, ein Werkverzeichnis und eine repräsentative Ausstellung in München. Wilhelm Krieger wartet noch darauf, seinen Platz inmitten der anerkannten, großen deutschen Tierbildnern einnehmen zu dürfen, unmittelbar neben August Gaul, Fritz Behn, Fritz Klee, Theodor Kärner, Hugo Lederer und Renée Sintenis.
Die nächsten Schritte werden hierzu ihren Beitrag leisten. Zunächst das Werkverzeichnis, das voraussichtlich 2011 im PH.C.W.-Schmidt-Verlag (Neustadt an der Aisch) erscheinen wird, Doppelausstellung gemeinsam mit Werken seines Jugendfreundes Poppe Folkerts im bade~museum in Norderney und eine Einzelausstellung, die mir als Sonderausstellung eines Münchner Museums zugesagt wurde.
Der Norderneyer Stadtarchivar Manfred Bätje hat mit seiner grundlegenden Recherche in Norderneyer Akten und Archiven wichtige und bisher unbekannte Erkenntnisse zur Familiensituation von Wilhelm Krieger zusammengetragen. Die vorliegende Publikation ist ein erster Schritt in die Öffentlichkeit und wir hoffen hiermit, einen Grundstock für die weitere wissenschaftliche Bearbeitung zu legen.