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Johannes Girmindl, 1978 geboren, wohnHaft in Wien. Seit 1994 Musik. Veröffentlicht im Eigenverlag Tonträger und schreibt unentwegt neue Lieder, manchmal auch Geschichten.

www.girmindl.at

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Inhaltsverzeichnis

 

Anstelle eines Vorwortes eine kleine Einleitung, die zur Abhandlung gedeiht

Mit Gruß von Marvin

Gabelung (Original)

Der Mitch

Selbstbestimmt

Rücktrittsrecht

Sendeschluss

Auf Herz und Nieren

Angelangt

Kein Durchkommen möglich

Fremdbestimmt

Wiener Handarbeit

Gabelung (Version)

Die Moral ist eine Hure

Spätere Reklamationen ausgeschlossen

Serviervorschlag

Nach Durchsicht verzogen

Anstelle eines Vorwortes eine kleine Einleitung, die zur Abhandlung gedeiht

Eine Mutter kann man immer brauchen, sagt der Franz. Und damit hat er wohl recht (wie auch in manch andren Dingen wie z.B. Wenn Jugend wüsste & Alter könnte). Im Grunde war es ja so, dass es keine Bedingungen gab. Es war einfach so. Das beste Jahr, möchte ich fast meinen, war 1996. Da hat man richtig zueinander gefunden. Auch im Konflikt. Da flogen schon die Fetzen, keine Frage. Die flogen bis kurz vor Ende, man kann das auch nachhören, in dem einen oder anderen Lied. Aber im Endeffekt war da das Bedingungslose, und das ist nicht zu ersetzen. Das war ein Status Quo, der ist unwiederbringlich. Die Geborgenheit ist wohl das Wichtigste an dem Ganzen. Man geht durch die Tür, legt ab in der viel zu kleinen und meist überfüllten Garderobe und sitzt dann auf engem Raum & hartem Stuhl im Wohnzimmer, das auch jahrelang Schlafzimmer war. Abgesehen von seiner Funktion als Gebetshaus sowieso.

Hab ich schon erwähnt, dass es auch 3 Uhr früh sein durfte, um Platten vorzuspielen. Denn wo das Herz voll ist geht der Mund über (O-Ton). Und alleine kann man schlecht vortragen. Und teilen verdoppelt ja bekanntlich. Und da gab es wiederum auch keine Bedingungen, keine Vorbehalte. Da wurde alles gehört, kommentiert und in manch prekären Fällen sogar verstanden. Das hat nicht ein jeder, auch nicht verdient; ich hab‘s einfach gehabt.

Als Kind war ich ja sehr gläubig. Also ich glaubte an Pippi Langstrumpf, an Pinocchio, an Wickie & die starken Männer und viele mehr. Man hat da ja einen richtigen Kanon. An das Christkind glaubte ich sowieso. Daran hat sich ja bis heute nichts geändert. Auch an jenem Weihnachtsabend, als ich unterm Wohnzimmertisch saß und rund um ihn die Geister tanzten. Ich weiß nicht ob es die der vergangenen, der kommenden Weihnacht waren, die der Aktuellen oder alle gemeinsam. Ich weiß es nicht, nur eben, dass die Geister tanzten. Ich hab mich also unterm Tisch versteckt, weil sie es taten, oder in kindlicher Vorahnung, sodass sie mich nicht entdecken konnten. Womöglich traf beides zu. Das ist zumindest eine Erinnerung die ich schon dreißig Jahre mit mir herumtrage. Die andere Weihnachtserinnerung ist die, dass es immer zur Diskussion stand ob vor oder nach der Bescherung gegessen werden sollte. Ich war natürlich für danach. Ich wollte ja beschert werden, nicht irgendeinen Fisch essen. Soviel zu Weihnachten. Das waren so die Eckpfeiler.

Die Zehe, die blutete und herunterhing, die große Zehe, nachdem ich von der Dachbodenstiege gefallen, ist auch eine Erinnerung, deren Bestätigung noch aussteht. Zwar ist es eine lebhafte und aktive Erinnerung, aber ich kann leider nicht beschwören ob sie nicht auch der Phantasiewelt entspringt. (Phantasie übrigens immer mit PH, nicht mit F!)

Ein Quasiritual war ja auch das sonntägliche Essen. Klassisch war‘s ein Hendl, im Rohr zubereitet, danach die Topfentorte. Oder Sahne-Käsekuchen, wie es auf der Verpackung geheißen hat. Selbst gemacht, zumindest eigenhändig zusammengerührt und dann, auf den Biskuitboden die Creme geleert, im Kartonrahmen und oben wieder einen Deckel drauf. Das stockte recht schnell und war nach ein bisschen Kühlung auch vorzüglich. Das ist keine Übertreibung; ich bin mir da noch so ziemlich sicher.

Nun, wie gesagt, 96, und das auch nur eine kurze Zeit über, die aber präsent ist, in der Erinnerung zumindest, wenn man dort ein wenig Zeit verbringt.

Begeistert war die Mutter aber auch von den Torten, die es jedes Jahr aus der Glaserei gab. Mit Kaffee und weiteren Beigaben. Als hätte der Schurl wollen, dass selbst am Weihnachtstag seiner gedacht wurde. Also, sie war stolz und erzählte auch immer herum, dass es vom Chef eine Torte gegeben hat und noch viel mehr. Im ersten Jahr auch noch einen Selchroller in einer Dimension, die mir damals noch gänzlich fremd gewesen war. Wir haben ihn weitergegeben. Ich war ja selbst überrascht, was es da am 24. vor Dienstschluss noch alles gab. Früher hatte es angeblich noch mehr gegeben. Naja, früher soll ja bekanntlich alles besser gewesen sein. Das kann natürlich stimmen, weil früher, da spürt man ja nichts mehr, das war schon. Heute ist klarerweise viel schmerzlicher. Steck dir mal eine Nadel in den Finger, das tut jetzt weh. Wenn du in einer Woche daran denkst, dass du das heute getan hast, da wirst du nichts mehr spüren. So heilt die Zeit eben die Wunden, so gut sie kann, sag ich da jetzt einmal. Weil überleg. Jetzt steckst du dir die Nadel so tief in den Finger, dass du bis zum Knochen kommst und der entzündet sich, du kriegst eine Knochenhautentzündung mit Abschürfungserscheinung, oder gar noch was Schlimmeres, da hilft eine Woche warten auch nichts mehr. Da braucht es dann schon größere Dimensionen. Nun, wir haben jetzt schon fast zwei Jahre hinter uns und es ist trotzdem noch nicht so, wie bei der Nadel, die den Knochen nicht erwischt hat. Den Stadtpark hab ich immer noch nicht besucht, ich wollt ja, aber wollen tut man recht viel. Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir dort waren, und ich hatte dieses Jules Verne Buch bekommen. Wahrscheinlich hab ich so lang darum gebettelt. Da war ich gut drin. Ich konnte ein so richtig armer Bub sein, so richtig arm und traurig, der nur durch das Erwünschte wieder glücklich werden konnte. 20.000 Meilen unter dem Meer waren es in diesem Fall. Fischer Taschenbuch. Da sagst nix. Ich hab dann dort ein bissl gelesen, das Buch aber glaube ich nie wirklich fertig gelesen. Viele Bücher habe ich nie gelesen, aber jahrelang welche wollen und gesammelt. Karl May. Na der war wichtig. Ich glaub insgesamt hab ich in meinem Leben bis jetzt keine hundert Seiten von ihm gelesen. Auch wurscht. Jetzt lese ich die meisten Bücher, die ich mir kaufe. Die geschenkten manchmal.

Wien
Dezember/Jänner
2011-2012

Mit Gruß von Marvin

Der Weg hierher war mir nicht schwer gefallen. Ich kann nicht darüber sprechen, woher ich die Adresse hatte, denn ich hatte versprechen müssen, es nicht zu verraten. Es gab eine Parole, ich sollte ihn von Marvin grüßen; wer immer das auch war. Mein ganzes Leben hatte ich nie jemanden mit diesem Namen kennengelernt, mit diesem Namen, der gänzlich unüblich bei uns war.

Ich drückte zweimal die Klingel, kam der Aufforderung nach, mich zu melden, grüßte mein elektronisches Gegenüber von Marvin (jetzt kam mir Lee Marvin in den Sinn) und stieß die Tür auf. Ich fand mich in einem finsteren Hausflur wieder. Vor kurzem musste hier sauber gemacht worden sein, denn es lag noch dieser beißende Geruch von Reinigungsmitteln in der Luft. Ich hörte etwas entfernter noch eine Türe knarren und kurz darauf flammte die Flurbeleuchtung auf.

Die Wohnung, die ich aufsuchen wollte, lag im zweiten Stockwerk. Es gab hier keinen Lift. Ich erklomm die Stufen mit nervöser Leichtigkeit, mein Vorhaben an sich schien mir Kraft zu verleihen, sodass ich einen federnden Gang zu Tage legen konnte wie er sonst nur als übertriebene Beschreibung in einem Schundroman, vorkam.

Der Mann, der mich mit offener Türe erwartete, schien in meinem Alter zu sein. Ich war 39, und das schon seit sieben Monaten. Seine Gestalt lässt sich jetzt, in Hinblick auf die Zeit, die seit unserem Treffen verstrichen war, schlecht beschreiben. Er schien mir damals recht durchschnittlich vorzukommen. Ein wenig erinnerte er mich an mich selbst. Er hatte keine Auffälligkeiten, keine besonderen Merkmale, keine sichtbaren. Ich auch nicht. Seine Kleidung schien mir mehr lässig denn elegant, war aber keinesfalls billig oder gar schäbig. Die Wohnung, in der er mich empfing, schien drei Räume zu haben. Einen durchquerten wir, im nächsten ließen wir uns nieder. Die beiden Räume, die ich zu Gesicht bekam, waren nur spärlich möbliert, das Notwendigste, würde meine Mutter sagen.

Nachdem wir beide uns gesetzt hatten, saßen wir uns einige Zeit still gegenüber. Mir schien es, als würden Stunden vergehen, wahrscheinlich waren es nicht einmal Minuten, doch kam es mir vor, als wäre es genügend Zeit, um mein bisheriges Leben an mir vorbeiziehen zu lassen.

Als mein Gegenüber die Stille brach und mich dazu aufforderte, mein Anliegen vorzubringen, schreckte ich auf. Jetzt würde es kein Zurück mehr geben. Würde ich einmal damit beginnen, müsste es auch zu einem Ende gebracht werden. Das aber war doch genau das, was ich wollte. Jetzt würde ich nach so langer Zeit der Überlegung, doch keinen Rückzieher mehr machen wollen. War ich im Angesicht der Verwirklichung meiner Idee zum Feigling geworden, noch dazu wenn ich es nicht einmal selbst tun würde?

Nein, ich hatte wirklich darauf gewartet, einen Entschluss zu fassen, hatte es getan, und war nun hier, um diesen in die Tat umzusetzen; und mein Gegenüber sollte mir dabei behilflich sein.

Ich sollte also meine Geschichte darbringen. Ich musste sie vorbringen. Es war gewissermaßen die Rechtfertigung für mein Hiersein. Ich wollte, dass man mich verstand. Mein Gegenüber hörte mir zu. Mit unveränderter Miene saß er in seinem Stuhl, sah mich fest an und schien regungslos in meine Geschichte vertieft zu sein, ja fast so, als wäre es seine eigene gewesen.

Bei jedem Wort, das ich aussprach, fühlte ich mich um einiges leichter. Ich kam mir seit einer Ewigkeit wie der einmal verstanden vor. Das war der eigentliche Grund, warum ich hier war. Hatte sie mich je verstanden? Ich weiß es nicht. Möglicherweise hatte sie so ihre Probleme mit dem Ausdruckverleihen. Anfänglich war das ja auch nicht von großer Bedeutung gewesen, doch je mehr Zeit verstrichen war, je mehr schien es ans Tageslicht zu kommen. Erst das Missverständnis, dann das Unverständnis.

Sind Sie der Leidtragende und gleichzeitig so naiv, um sich alle Schuld selbst aufzulasten, wird sich vorerst einmal nichts ändern. Und nun kommt es darauf an, wie lange Sie das durchhalten; wie lange stehen Sie so etwas durch, ohne dass es Sie selbst zerfrisst und letztlich auslöscht? Ihre ganze Existenz wird letztendlich nur noch die Fußnote einer anderen, wer will das schon? Er hörte mir geduldig zu, bis ich geendet hatte. Die Fragen, die er mir im Anschluss an mein Plädoyer stellte, waren kurze, präzise Fragen, einfach und unmissverständlich zu beantworten. Missverständnisse würde er sich wohl keine leisten können. Ich gab ihm Auskunft und erkundigte mich im selben Atemzug bezüglich der Zahlungsmodalitäten. Ich sollte den branchenüblichen Betrag bereithalten, für eine unmittelbar bevorstehende Übergabe, nachdem ich nähere Informationen erhalten hätte. In den nächsten beiden Tagen würde das der Fall sein. Und das wäre alles. Innerhalb von drei Wochen würde der Auftrag ausgeführt werden, diskret und vor allem aber in keinster Weise mit mir in Zusammenhang zu bringen. Was doch wohl das Wichtigste für meine Seite sein sollte.

Als ich die beiden Treppen hinab stieg, fühlte ich mich einerseits erleichtert, andererseits war ich mir gar nicht so sicher, ob es mir recht schien, die Angelegenheit nicht selbst zu erledigen. Ich hatte zwar einerseits keinerlei Ahnung von solchen Dingen, wäre andererseits die Befriedigung danach wahrscheinlich um einiges größer gewesen, als auf meine jetzt gewählte Art. Ich beließ es trotzdem dabei, es würde wohl sicherer sein. Ich hatte doch wirklich keine Ahnung davon.

Ein lauer Sommerabendwind fing sich kurz in meinem Haar, als ich das Tor zur Straße öffnete und hinaustrat, auf einen wenig belebten Gehsteig.

Gabelung (Original)

Und als der Zug dann endlich in diesem kleinen Bahnhof hielt, stieg er aus. Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht, als er ihm nachsah und die Eisenbahngarnitur langsam kleiner wurde, bis sie vom Horizont ganz verschluckt worden war. Hier stand er nun, ohne Gepäck, aber er würde ja auch keines brauchen. Minuten später war er immer noch am Bahnsteig und bemerkte nun erstmals, dass es hier im herkömmlichen Sinne ja überhaupt keinen Bahnhof gab. Lediglich den Bahnsteig mit einer blauen Anzeigetafel, die in weißen Lettern den Namen der Haltestelle verkündete.

Warum er gerade bis hier her gekommen war, wusste er selbst nicht so recht, aber es würde schon seine Richtigkeit haben, dachte er bei sich. Und wahrscheinlich hatte er damit auch nicht gänzlich unrecht.

Vom Bahnsteig aus führte ein schmaler Feldweg hinein ins Land. Für ihn war er breit genug und er entschied sich dafür, am linken Rand entlang zu gehen. Seine glänzenden, schwarzen Schuhe waren wohl nicht das ideale Schuhwerk für diese Strecke, doch im Moment kümmerte ihn das nicht. Er schritt zielstrebig dem Waldstück entgegen, durch das ihn dieser Weg führen würde.

Zügigen Schrittes zwanzig Minuten unterwegs zu sein, machte ihm nichts aus. Die Strecke, die er mittlerweile hinter sich gebracht hatte, kam ihm größenmäßig nicht weit genug vor. War er wirklich so langsam gegangen oder kam es ihm vielleicht nur so vor als wäre er zügig unterwegs? Von nun an wollte er darauf achten. Aber wie sollte er das anstellen? Er hatte keine Ahnung, wie weit das Waldstück vom Bahnhof entfernt lag und zum Messen der Entfernung fehlte ihm, um es einfach zu erklären, jegliche mathematische Kenntnis der Streckenberechnung. Schätzen wollte er nicht. Es war ihm zuwider. In seinem Leben hatte er sich einige Male grundlegend geirrt und nun war es ihm zuwider sich auf sein Gefühl zu verlassen. Wahrscheinlich hatte er keines mehr. Verloren oder aber auch nur gut versteckt.

In Gedanken war er versunken und kam nun wieder zu sich. Kein Wunder, dass die Zeit, aber nicht der Weg verging. Zwar hatte die Sonne immer noch einen ähnlichen Stand, jedoch fröstelte ihn nun ein wenig. Das lag aber möglicherweise an dem kühlen Lüftchen, das aufzukommen schien. Es machte ihm aber nichts aus. Er hatte lange Zeit gefroren und war es gewohnt, in der Kälte zu stehen. Seine gute Laune konnte er dadurch nicht verlieren. Aber war er wirklich gut gelaunt? Es kam ihm zumindest so vor als ob. Warum auch sollte er es nicht sein? Ein sonniger Tag, ein Spaziergang, der ihn durch den Wald führen würde. Aber wohin eigentlich? Wohin war er unterwegs? Er hatte keine Ahnung. Von nichts. Ausgestiegen war er, weil er keine Zeit mehr in seinem Abteil verbringen wollte. Zwar hatte er ein Nichtraucherabteil gewählt, es befriedigte ihn aber trotzdem nicht, dass dort der Eigengeruch des Interieurs nicht wesentlich besser als in einem Raucherabteil war; auch nicht als er sich eine Zigarette anzündete. Späte Rebellion. Und nun war er hier. Irgendeinen Grund musste es doch geben, dass er gerade hier hinausgewollt hatte. Er würde ihn kennen, sobald er wusste, warum er überhaupt diese Reise auf sich genommen hatte.

Mit einem Taxi war er zum Bahnhof gefahren und hatte sich eine Fahrkarte gekauft. Der Zug, in den er dann gestiegen war, würde aber in die entgegengesetzte Richtung fahren. Das hatte ihm auch der Bahnbedienstete erklärt. Eine zweite Fahrkarte blieb ihm nicht erspart und es machte ihm auch nichts aus, ein weiteres Mal zu bezahlen. Er löste eine bis zum Endbahnhof, so konnte er sein Ziel nach Belieben wählen.

Und dann bekam er Hunger. Er war darüber nicht sonderlich erstaunt, hatte er ja wie üblich auf ein Frühstück verzichtet, lediglich nur eine Tasse kalten Kaffee vom Vortag getrunken. Das war zwar üblich für ihn, sonst aber würde er spätestens in seiner Mittagspause etwas zu sich nehmen. Die hatte es heute aber nicht gegeben. Und so machte sich eben ein vertrautes Hungergefühl breit, das nach einer gewissen Zeit aber wieder verschwinden würde. Er wusste das aus Erfahrung, und es war ihm auch egal. Er sollte recht behalten.

Und nun stand er hier, seinen Blick zu dem Waldstück gerichtet, das er zu durchqueren hatte. Und er machte sich auf den Weg. Er machte sich auf den Weg, wie er es in seinem Leben schon so oft getan hatte. Meistens erreichte er sein Ziel nicht, aber daran hatte er sich gewöhnt. Er wusste schon gar nicht mehr, wie es war, ein Ziel zu erreichen. Hatte er jemals eines erreicht, das er sich selbst gesteckt hatte? Es war für ihn die Gewohnheit des Alltags, die ihn bestimmte.

Er hatte überhaupt ein sehr erfülltes Leben, war er der Meinung. Seine Arbeit füllte ihn aus. Er begann damit um acht Uhr morgens und hatte bis siebzehn Uhr einige Pausen, die er dazu nutzte, entweder etwas zu essen oder einfach nur dazusitzen und an seine Pflanzen zu denken. Ihnen widmete er seine ganze freie Zeit. Er hatte damit begonnen, als er noch mit seinem Bruder die geräumige Wohnung in der Innenstadt teilte. Als dieser dann verstarb, kam er sich oftmals verloren darin vor und er spielte mit dem Gedanken, sie aufzugeben. Letztendlich tat er es dann doch nicht. Es war möglicherweise seine Angst vor Veränderung gewesen, die ihn davon abgehalten hatte. Einige Male hatte er sich schon mit dem Gedanken befasst, einige Zimmer zu vermieten, um nicht ganz alleine zu sein. Doch er würde sich nicht mit neuen Gewohnheiten anfreunden wollen, schon gar nicht mit solchen, die ihm zuwider wären. Und man konnte ja nie wissen, worauf man sich da einlassen würde.

Eigentlich hatte ihn das Schicksal nie aus der Bahn geworfen. Er nahm alles, was auf ihn zukam, gelassen hin, zumindest machte es diesen Anschein, und alle, die mit ihm zu tun hatten, waren sich einig darüber, dass er ein sehr beherrschter Mensch war. Er war kein klassischer Untergebener, keiner der alles mit sich machen ließ.

Es hatte eigentlich nie Situationen gegeben, in denen er unbeherrscht war, oder gar um sein Recht zu kämpfen hatte und er sich dementsprechend wehren musste. Er kam einfach nie in solcherlei Situationen. Vielleicht war das sein Schicksal, oder war er einfach nur vorsichtig genug, um niemals mit etwas konfrontiert zu werden, das ihm möglicherweise nicht lag oder womit er nicht fertig werden würde. Vielleicht aber hatte er lediglich nur Glück. Er selbst würde das wohl nicht von sich behaupten.

Als er den Wald erreicht hatte und er seinen Duft schon intensiv wahrnahm, spürte er noch einmal die wärmende Sonne in seinem Nacken. Er drehte sich um und blickte direkt in das grelle Licht. Geblendet schloss er wieder die Augen, und hätte man ihn schon längere Zeit von der Ferne aus beobachtet, würde man ihn in diesem Moment im Wald verschwinden sehen.

Nach einigen Metern hatte sich sein Körper an die etwas kühlere Luft gewohnt und er konnte sich an keinen Temperaturwechsel mehr erinnern. Es war einfach eine Notwendigkeit, dass er sich auf seine Umgebung einstellte.

Sich auf seine Umwelt einzustellen, hatte er auch schon früh gelernt. Er hatte begriffen, dass es die einzige Möglichkeit war, sich ungehindert zu entfalten. Wenn man nirgends aneckte oder auffiel, positiv wie negativ, wurde man in Ruhe gelassen. Er wusste das sein halbes Leben schon. Anfangs war es ja nicht so einfach gewesen