Ingeborg Bauer

Auch am Rand
ist in der Mitte –
eine (nicht nur) literarische
Reise durch Irland

Books on Demand GmbH

Give me a few friends

who will love me for what I am

[...] teach me to be thankful for life,

[...] and may the evening’s twilight

find me gentle still.

From an Irish Prayer

Inhalt:

  1. Arnaldo Pomodoro: „Sphere Within Sphere“ (1982)
  2. Dublin - „Stadt der Literatur“
  3. Dublin - Geschichte Irlands (I)
  4. ‚Literary Pub Crawl‘
  5. James Joyce, „Ulysses“
  6. Samuel Beckett, „Waiting for Godot“
  7. Exkurs: Brian Keenan und wie man eine Geiselnahme übersteht
  8. Englische Architektur in Irland - ‚Georgian Period‘ (I)
  9. Trinity College
  10. Andere Dubliner Bauten
  11. Dublins touristische Achse
  12. St. Patrick’s Cathedral
  13. Frühe Kulturen in Irland
  14. Das Neolithikum (3700 - 2500 v.Chr.)
  15. Newgrange, Boyne Valley, County Meath
  16. Exkurs: Zeichensprache früher Kulturen
  17. Die Spirale
  18. Kreis und Quadrat
  19. Exkurs: Stonehenge in England
  20. Knowth, Boyne Valley, County Meath
  21. Megalithische Steingräber und ihre Geschichte
  22. Tara, Sitz eines irischen Hochkönigs
  23. Goldschmuck des frühen Mittelalters
  24. Carrowmore, County Sligo
  25. Gegenstände der Metallverarbeitung (Nationalmuseum Dublin)
  26. „Keltischer Nachklang“
  27. „Book of Kells“
  28. Die Chi-Rho-Seite des Matthäus-Evangeliums (Folio 34r)
  29. Das Kreuz mit den acht Kreisen (Folio 33r)
  30. Der Mensch zwischen den Zeilen
  31. Symbole
  32. Metallkunst zur Zeit der Entstehung
  33. Die Bronzescheiben aus Monasterevin
  34. Steinkunst
  35. Irische Handschriften in St. Gallen
  36. Zur Wertschätzung der Schreiber
  37. Og(h)am, das keltische Alphabet
  38. Seamus Heaney (I), die Schrift, das Schreiben
  39. Frühes irisches Christentum - Rundtürme und Hochkreuze
  40. Irische Hochkreuze: Monasterboyce
  41. Glendalough
  42. Seamus Heaney (II) - Glendalough
  43. William Butler Yeats (I) - Glendalough
  44. Cork and Frank O’Connor (1903-66) - zwischen Kirche und Nationalismus
  45. Englische Architektur in Irland - das ‚Georgian‘ Herrenhaus (II)
  46. Garinish Island and Bernard Shaw
  47. Rock of Cashel [Fels von Cashel]
  48. W.B. Yeats (II) - Rock of Cashel und der Tanz
  49. W.B. Yeats (III): Romantische Phase
  50. W.B. Yeats, Down by the Salley Gardens
  51. W.B. Yeats, „When You Are Old“
  52. W.B. Yeats, „To a Child Dancing in the Wind“
  53. Land der Feen - Vom Glen of Aherlow und „Aherlow House“ zur Clonberg Church
  54. Blick auf die Höhenzüge der Galtees
  55. Die Halbinsel Kerry
  56. Seamus Heaney (III) - Kerry
  57. Muckross House
  58. Halbinsel Dingle
  59. Gallarus Oratory (7./ 8. Jh. n.Chr.)
  60. Dingle und Harry Clarke
  61. Blasket Islands
  62. Emigration und was danach kam
  63. Die spanische Flotte vor Irland / 1588
  64. Der Burren / County Clare
  65. Galway
  66. Moorland
  67. Über das Moor und die Entstehung von Torf
  68. Seamus Heaney (IV) - Moorland
  69. Donegal
  70. Geschichte Irlands (II)
  71. Glenveagh Castle, Donegal
  72. Frank McCourt – ein irisches Schicksal im 20. Jahrhundert
  73. Colm Tóibín und „Brooklyn“ (2009) - eine andere Emigrationsgeschichte
  74. Donegal / Stadt
  75. „Live music“ - Musik in Irland
  76. „Yeats Country“ - Yeats (V)
  77. Von Elfen und Geistern - das Übersinnliche, Mystische und Okkulte
  78. “Heaven’s embroidered Cloths“
  79. – Yeats’ frühe Lyrik
  80. Yeats’ Weg zu seiner „Vision“
  81. Lady Gregory und das „Irish Literary Revival“
  82. Yeats’ „Vision“
  83. „Sailing to Byzantium“
  84. Seamus Heaney über William Butler Yeats
  85. Das Christentum vom 12.-14. Jahrhundert
  86. Kilfenora, County Clare
  87. Galway und Connemara
  88. Nordirland (Ulster)
  89. Seamus Heaney (V) - Grenzübertritt
  90. Derry / Londonderry - the “Walled City“
  91. Mussenden Temple, Downhill / County Derry
  92. Dunluce Castle (13. Jh.)
  93. ‚Giant’s Causeway‘
  94. Belfast
  95. Carrickfergus Castle, County Antrim
  96. Armagh
  97. St. Patrick’s Cathedral (I)
  98. St. Patrick’s Cahedral (II)
  99. The Hill of Slane
  100. Zeittafel - Irland
  101. Literatur

Arnaldo Pomodoro: „Sphere Within Sphere“ (1982) 1

Die Kugel als geographischer wie kosmischer Lebensraum des Menschen. Das war eine Vorstellung, die den Maler Max Beckmann berührte, bewegte. Sein Sohn erinnert sich: „1930 war Beckmann von der Hohlwelttheorie fasziniert, in der der Mensch im Innern einer Hohlkugel lebend gedacht worden war“. Der Sohn widerspricht dem, doch hält der Vater an seiner Auffassung fest. Ein solch heftiger Widerspruch gegenüber einer unhaltbaren Auffassung war offenbar ungewöhnlich für Beckmann. Der Sohn weiß von keinem ähnlichen Fall.

Bevor ich das gelesen hatte, hatte ich nicht gewusst, dass es eine solche Theorie gab. Aber als Kind (vermutlich am Ende der Kindergartenzeit oder zu Beginn der Grundschule), als ich den Gedanken aufnahm, dass die Erde, auf der ich mich bewegte, eine Kugel sei, nahm ich ganz selbstverständlich an, dass sich diese Welt im Innern dieser Kugel befinden müsse, und da der Wunsch nach Geborgenheit in mir stark war, wünschte ich mir, dass sich Deutschland recht nahe der Mitte befinden möge. Ich stellte die Frage meiner Mutter, ob wir uns mehr am äußeren Rande oder mehr in der Mitte befänden, doch sie verstand mich nicht und redete sich irgendwie heraus. Das Kind, das ich war, war verunsichert.

Und nun in Dublin auf dem Campus einer uralten Bildungseinrichtung diese Skulptur von Pomodoro aus dem Jahr 1982, die mir meine kindliche Vorstellung wieder bewusst macht, die mich rechtfertigt in meiner freilich unvernünftigen Vorstellung, die das Innere der Kugel als einen bewohnbaren Raum darstellt.

Arnaldo Pomodoro wurde am 23. Juni 1926 in Morciano di Romagna, Italien, geboren. Er wurde Bildhauer. „Sphere Within a Sphere“ ist ein Werk, das mich, als ich es aus der Ferne im Hof des Trinity College in Dublin sah, magisch anzog. Die Skulptur dreht sich sehr langsam. Man merkt es gar nicht gleich. Es ist wie das Verrinnen der Zeit, dessen man sich auch nicht immer bewusst ist.

Die Skulptur gleicht zunächst einem berstenden Granatapfel, der in geometrische Formen transponiert, abstrahiert wurde. Was beim Granatapfel die Kerne sind, wird in ein verzahntes Räderwerk übersetzt, das sich unmittelbar unter der Außenhaut in seiner Gebrochenheit wiederholt, so dass die äußere Sphäre mit der inneren korrespondiert. Es wird zu einem verschränkten Ineinander wie in der Architektur eines Piranesi, die auch nirgends zur Ruhe kommt. Eine Welt in der Welt, und beide sind verletzt: das erodierte Gebiss einer alternden Erde. Offen daliegendes Räderwerk, zerbrechlich, zerbrochen als Leerstelle, die zum Kreuz mutiert. Ein berstender Granatapfel transformiert zu einer zum Tode hin ausgerichteten Form wirft noch einen Schatten als Lebenszeichen.

Aus der Ferne aber ein verführerisches Glänzen. Noch ist die sanfte Bewegung der Kugel nicht wahrnehmbar: ein Abbild der Erde. Doch ist dieses Abbild aufgebrochen, Ackerkrume und Zahnrad, die natürliche Schale und die vom Menschen konstruierte Maschine. Ist es die Maschine, die die Erdkrume zerstört hat? Aus dem Innern stößt eine neue Kugel, eine neue Erde ans Licht, doch auch sie ist gebrochen. In dem Goldglanz der noch unbeschädigten Außenhaut spiegelt sich das Leben des heutigen Menschen. Er schreitet durch eine wüstenähnliche, abstrakte Landschaft, die das existenziell Geworfene des menschlichen Daseins zu thematisieren scheint. Handelt es sich bei der inneren Kugel um den Innenraum des Einzelnen, der vom äußeren Raum umgeben ist, den wir alle miteinander teilen? Ist die innere Welt gewissermaßen ein Abbild der äußeren Gebrochenheit? Fasziniert stehen wir vor der Kugel und folgen der sanften Drehbewegung, dem fast unmerklichen Verrinnen derzeit.

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1 Ähnliche Skulpturen befinden sich u.a. im Vatikan, in Rom, bei den Vereinten Nationen in New York, in Teheran und in Tel Aviv.

Dublin - „Stadt der Literatur“

Dublin bewirbt sich bei der Unesco um den Titel „Stadt der Literatur“. Sie verdient ihn wohl mehr als jeder andere Ort der Welt, so die FAZ am 12.2. 2009. Irland hat vier Nobelpreisträger für Literatur hervorgebracht: William Butler Yeats (1923), George Bernard Shaw (1925), Samuel Beckett (1969) und Seamus Heaney (1995). Yeats kommt aus einer anglo-irischen Familie, hat sich aber über die Literatur für eine Befreiung Irlands eingesetzt. Bernhard Shaw und Samuel Beckett haben das Land verlassen, Shaw hat für ein englisches Publikum geschrieben, Beckett, dessen Vorfahren Hugenotten waren, hat sogar die Sprache gewechselt und seine Stücke auf Französisch verfasst. James Joyce, der diesen Preis auch verdient hätte, kehrte Dublin den Rücken und verfasste doch den Roman, der dieser Stadt ein bleibendes literarisches Denkmal setzt. Seamus Heaney fällt aus der Reihe. Er kommt aus einer indigenen irisch-katholischen Familie. Wenn man so will, repräsentieren diese fünf Schriftsteller die Geschichte Irlands vom 19. Jahrhundert bis heute: das angloirische Übergewicht, das durch den Bildungsvorsprung der englischen Aristokratie verstärkt wurde. Und doch brauchte Irland gerade diese Kräfte, um Home Rule und damit Emanzipation von England zu erreichen. Eine Intellektuellenschicht verlässt das Land, weil sie geradezu verzweifelt am Zustand des Landes. Solche Gefühle haben auch schon Jonathan Swift im 18. Jahrhundert begleitet. Er blieb, aber Oliver Goldsmith und Richard Brinsley Sheridan gingen damals nach England.

Dublin - Geschichte Irlands (I)

Dublin war schon in prähistorischer Zeit besiedelt. Hier, aber auch in anderen Städte wie Limerick, Waterford, Wexford und Cork gab es schon Siedlungen der Wikinger, die von diesen Plätzen in unmittelbarer Nähe zum Meer Handelsrouten erschlossen zu den großen Handelsplätzen im Süden und Osten, den Märkten von Byzanz, dem Nahen und ferneren Osten. Die ersten schriftlich belegten Wikingerüberfälle auf Irland erfolgten 795 n.Chr., als diese die Inseln vor den Nord- und Westküsten plünderten. Später tauchten ihre Flotten auf den wichtigsten Flusssystemen auf; Überfälle werden ab 840 n.Chr. erwähnt. Die Hauptziele aber waren die Klöster, die Beute und Sklaven lieferten. Die im Untergrund von Dublin gefundenen Objekte bezeugen den Reichtum und die umfangreichen Handelskontakte dieser Stadt. Große Mengen Silber wurden eingeführt und teilweise aus Sicherheitsgründen im Boden vergraben. Bernstein, Glas, Bronze, Silber und Gold wurden hier verarbeitet. Glasperlen wurden in Irland schon vor der Wikingerzeit hergestellt. Aus ihnen wurden Ketten und Armbändern geschaffen. Aber die Wikinger brachten auch ihren eigenen Kunststil mit, was zu einer kreativen Weiterentwicklung in der Metallverarbeitung und in der Buchmalerei führte. Man hat einen Wikingerfriedhof aus dem 9. Jahrhundert bei Islandbridge in Dublin nachgewiesen.

Die Wikinger agierten zunächst als „Besatzung“, müssen sich aber mit der Zeit in die vorhandene Gesellschaft integriert haben. Ende des 10. Jahrhunderts hatte die Christianisierung auch sie erreicht. Unter ihrem Einfluss wurden die Handelsbeziehungen mit Britannien und dem Kontinent verstärkt. Die Küstenstädte wurden danach von irischen Königen kontrolliert. Nach der Invasion der Normannen 1170 waren sie es, die das Sagen hatten, aber auch dieses Mal kam es schließlich zu einer Verschmelzung. Erst mit Heinrich VIII. und später mit Oliver Cromwell herrschten die Engländer absolut über Irland. Dem Land wurde eine Oberschicht übergestülpt und das Volk verarmte unter den englischen Herren.

Im 19. Jahrhundert gab es in England zwei Parteien und zwei hervorstechende Parteiführer, die einander mehrmals ablösten. Benjamin Disraeli (1804-81) gehörte der konservativen Tory-Partei an und war zudem ein Favorit von Königin Victoria. Sein Verdienst ist es, den Friedensplan im Russisch-Osmanischen Krieg ausgehandelt zu haben. Er war ein Gegner von Home Rule, für die sich sein Gegenspieler Gladstone (1809-98), ein Liberaler [ein Whig], einsetzte. Dieser war ein äußerst gebildeter Mann, der u.a. Homer übersetzt hatte. Er bemühte sich um eine Entschärfung des Konflikts mit Irland und war bereit, 1886 mit dem ersten Home Rule-Gesetz zahlreiche Forderungen der irischen Nationalbewegung zu erfüllen. Dies führte bedauerlicherweise zur Spaltung seiner Partei und zum Sturz seiner Regierung. 1870 war die „Home Rule League“ begründet worden. Mit friedlichen Mitteln, ohne Gewaltanwendung wollte Charles Stewart Parnell (1846-91) Zugeständnisse der britischen Regierung erkämpfen. Sein Denkmal steht in der O’Connell Street, wie sich diese Straße überhaupt mit Denkmälern der im irischen Freiheitskampf beteiligten Helden schmückt. Parnell stammte aus einer protestantischen anglo-irischen Familie. Seine Beliebtheit erlangte ihren Höhepunkt, als er 1880 gegen einen skrupellosen Verwalter namens Boycott mit Hilfe eines Boycotts vorging. Da aber durch solche Maßnahmen die britische Regierung nicht zu gewinnen war, wurde Parnell abgesetzt. Die Stimmung in Irland wurde nun immer aggressiver. 1905 wurde Sinn Féin gegründet. Die nationalistische Partei von Arthur Griffith ‚Sinn Féin‘ [„Wir selbst“] galt als politischer Arm der IRA [Irische Republikanische Armee]. 1916 kam es zum blutigen Osteraufstand und weiteren gewalttätigen Auseinandersetzungen. Während des Aufstands kamen 132 britische Soldaten und Dubliner Polizisten, 64 Rebellen und 274 Zivilisten ums Leben. 90 Männer wurden erschossen, darunter alle, die die Proklamation unterzeichnet hatten, 3500 Iren wurden ver-haftet und ohne Verfahren in englische Gefängnisse deportiert. Doch 1919 kam es zum ersten unabhängigen Parlament, getragen von der politischen Bewegung der Sinn Féin. 1922 wurde Irland zum Freistaat (Eire). Doch hörten die gewalttätigen Auschreitungen damit nicht auf.

‚Literary Pub Crawl‘

Schon im 17. Jahrhundert soll es in Dublin diese literarischen Lesungen in Pubs gegeben haben, die bis heute florieren. Ursprünglich waren es Studenten von Trinity College, die durch die Pubs zogen und dabei Vergil, Ovid und Homer zum Besten gaben. Auch eignete sich die Rhetorik eines Cicero gut für solche Vorträge. Pubs waren stets ein Ort, wo Schriftsteller und Journalisten mit Verlegern ins Gespräch kommen konnten.

„The Duke“, 9 Duke Street, Dublin 2 ist heute Ausgangspunkt für den ‚Literary Pub Crawl‘. Duke Street ist nur ein paar Schritte von der Grafton Street enfernt und im Herzen des ‚Georgian‘ Dublin. „The Duke“ selbst befindet sich in einem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert und hat die Zweitälteste Lizenz [Erlaubnis, Alkohol auszuschenken] der Gegend. Duke Street is benannt nach dem 2. Herzog von Grafton, dem Vizekönig von Irland im 17. Jahrhundert. Heute kommen Schriftsteller hierher nach Lesungen in der nahegelegenen und reputierten Buchhandlung Waterstone’s. Wir steigen die Treppe hinauf und holen uns ein Getränk von der Bar, mit dem wir uns an einen der kleinen Tische setzen, und harren der Dinge.

James Joyce, „Ulysses“

Zwei Schauspieler treten nach vorne und animieren dazu, gemeinsam einen der bekannten ‚pub songs‘ zu singen: „I’ve been a wild rover“. Danach ist die Atmosphäre geschaffen, die den Schauspielern volle Aufmerksamkeit zukommen lässt. Sie tragen nun in verteilten Rollen die Anfangsszene von James Joyce’s „Ulysses“ vor. Die spielt in Sandycove an der Küste nahe von Dublin, in einem Martello-Tower, in dem sich heute ein kleines James-Joyce-Museum etabliert hat, das Bezug nimmt auf diesen berühmten Anfang. Das berühmte „Introibo ad altare Dei“ wird dann auch eindrucksvoll zelebriert. Der Martello-Tower war Teil einer Küstenbe-festigung, die als Schutz gegen eine Invasion durch Napoleon 1804 angelegt worden war. Diese Türme sind in der Regel über einem runden oder ovalen Grundriss erbaut und haben zwei Stockwerke mit Zugang im Ober-geschoss. Sie waren meist mit weit tragenden, auf der oberen Plattform montierten Kanonen bestückt. Ihren Namen tragen sie auf Grund einer Befestigung auf Korsika, deren Kanonen 1794 erfolgreich eine Landung der britischen Marine vereitelt hatten. 40 dieser Artillerietürme wurden rund um Irland errichtet - aber niemals gebraucht.

James Joyce war einmal sechs Tage zu Gast beim Medizinstudenten und Dichter Oliver St. John Gogarty in diesem Martello Tower. Gogarty hatte ihn 1904 gemietet. Er wollte ihn zu einem „neuen Delphi“, einem „omphalos“ machen, zu einem Treffpunkt für junge Dichter. Joyce, Gogarty und Samuel Chenevix Trench lebten hier vom 9. September bis zur Nacht vom 14. auf den 15. September 1904 zusammen. Trench und Joyce teilten das Zimmer, der Engländer litt unter Albträumen, phantasierte von einem schwarzen Panther und nahm schließlich sein Gewehr und schoss wild um sich. Dar-aufhin verließ Joyce den Turm, um nie wieder zurückzukehren. Ja, Joyce kehrte im Oktober desselben Jahres Irland für immer den Rücken, zusammen mit Nora Barnacle, einer Bäckerstochter aus Galway. Der Tag, an dem die Beziehung der beiden begann, war der 16. Juni 1904. An diesem Tag, der inzwischen als „Bloomsday“ gefeiert wird, siedelt Joyce seinen Roman an. Leopold Bloom und Stephen Dedalus bewegen sich zwischen acht Uhr morgens und zwei Uhr früh unabhängig voneinander, aber auch gemeinsam durch Dublin. Ins Pflaster eingelassene Plaketten in den Straßen Dublins weisen auf einzelne Stationen hin, die sich an Homers „Odyssee“ anlehnen.

Joyce benutzte die im Martello Tower gemachte Erfahrung für das erste Kapitel seines „Ulysses“. Ursprünglich überschrieb er es mit „Telemach“, dem Namen des Sohnes von Odysseus. Der Leser begegnet Stephen Dedalus, dem jungen Alter ego von James Joyce aus „A Portrait of the Artist as a Young Man“, der am Ende zu einem Sohn von Leopold Bloom wird. Die drei Figuren Buck Mulligan (Gogarty), Stephen Dedalus (Joyce) und der Engländer Haines (Trench) geraten aneinander. In ihnen spiegelt sich auch der Zustand der irischen Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt. Haines [in seinem Namen steckt das französische Wort ‚haine‘- Hass] steht für die englische Oberschicht, die die Iren unterdrückt. Er ist zwar gequält und verstört, aber in seiner Arroganz für Dedalus unerträglich. Mulligan passt sich der jeweiligen Situation an und entpuppt sich als sehr unzuverlässiger Mensch. Er tanzt „auf irischen wie auf englischen Hochzeiten“. Er arrangiert sich ebenso mit der Kirche wie mit England, trotz seiner blasphemischen Tiraden und der Schmähreden hinter Haines Rücken. Anders Stephen Dedalus, der seinerseits in einer privaten und künstlerischen Krise steckt. Joyce war im Jahr zuvor aus Paris zu-rückgerufen worden, weil seine fromme Mutter im Sterben lag. Er konnte ihr nicht versprechen, sich ernsthaft dem katholischen Glauben zuzuwenden, kniete nicht nieder am Sterbebett. Das wird nun zur Erfahrung der Romanfigur Stephen Dedalus. Bei Mulligan klingt das so, als habe Stephen seine Mutter umgebracht. Das be-schäftigt Stephen, der den Katholizismus und die Geschichte Irlands eng verknüpft sieht. Der mythische Dädalos, der für den Kreterkönig das Labyrinth baute, galt als der große Künstler und Erfinder des griechischen Mythos schlechthin. Seine Flucht aus Kreta hat eine Parallele zu der von Joyce aus Irland, und Stephen Dedalus ist die Verkörperung des jungen Joyce, wie Leopold Bloom die des reiferen Mannes ist. Die Tyrannei von Staat [Großbritannien] und katholischer Kirche lähmt das Land, wird für den jungen Protagonisten zum Albtraum. Fußnote: Frank T. Zumbach, Joyce’ Ulysses (München 22001), „Eine Irrfahrt im 20. Jahrhundert“.

Leopold Bloom ist in vielfacher Hinsicht ein Außenseiter, ein Fremder. Sowohl durch seine Herkunft als Jude, als auch wegen seiner liberalen Einstellung zu religiösen und politischen Fragen. Er steht somit außerhalb der irischen Gesellschaft. Er ist im modernen Sinne ein Anti-Held, für den das Scheitern existenziell begründet ist. Die Vater-Sohn-Beziehung spielt auch in der „Odyssee“ eine Rolle. Odysseus und Telemach finden eine Entsprechung in den beiden Protagonisten des „Ulysses“, auch wenn beide Romanfiguren Alter egos des Autors sind. „Zwei Themen ziehen sich durch den Roman und durch den Tagesablauf Blooms in allen Episoden hindurch: Einmal die Bewegung der beiden Hauptcharaktere Bloom und Stephen aufeinander zu, ihre andeutungsweisen Begegnungen bis zum schließlichen Zusammentreffen am Ende von „Circe“ und der gemeinsamen Fortsetzung ihrer Wanderung bis nach Nr. 7, Eccles Street. Das andere Thema ist das für 4 Uhr bevorstehende und danach immer wieder erinnerte Stelldichein Mollys mit [ihrem Agenten] Boylan, das die tiefe existenzielle Krise Blooms verursacht. Beide Themen sind eng miteinander verwoben [...]. Der frühe Tod des Sohnes Rudy scheint der Beginn von Blooms Ehekrise gewesen zu sein - bei dem Versuch, in Stephen einen „geistigen“ Sohn zu finden, ihn mit nach Hause zu bringen und mit seiner Frau bekannt zu machen, geht es für Bloom also auch darum, auf diese ungewöhnliche Weise die verlorene ‚familiär-häusliche Situation wiederherzustellen‘.“2

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2 Siegfried Dangelmayr, “Dichtung, die von innen sieht: der Mensch als “Bewusstseinsstrom in James Joyce’s ‘Ulysses’“ in: S. Dangelmayr, Muster im Lebensteppich (Frankfurt am Main 2005), S. 274

Samuel Beckett, „Waiting for Godot“

Die nächste Darbietung der beiden Schauspieler beschäftigt sich mit Samuel Beckett (1906- 89), dem Sohn einer wohlhabenden Dubliner Familie hugenottischer Abstammung („Becquet“). Er bekam 1969 den Nobelpreis „für eine Dichtung, die in neuen Formen des Romans und des Dramas aus der Verlassenheit des modernen Menschen ihre künstlerische Überhöhung erreicht“. Er gilt als der unirischste aller irischen Autoren, zog nach Paris, wo er freundschaftliche Beziehungen zu James Joyce unterhielt, der ihn neben den französischen Exis-tenzphilosophen stark beeinflusste. Und er begann auf Französisch zu schreiben, hat dann seine Stücke allerdings selbst ins Englische übersetzt. Anglisten und Romanisten erheben so gleichermaßen einen Anspruch darauf, für Beckett zuständig zu sein.

„Waiting for Godot“ (1952) ist Becketts wohl bekanntestes Stück. Die Schauspieler verwandeln sich nun mit ein paar wenigen Requisiten in die beiden Tramps, Wladimir und Estragon. Auf einer Bühne säßen sie in einer leeren Landschaft, die von einem kahlen Baum bestimmt wird, der im 2. Akt (am zweiten Tag) ein paar wenige Blätter ausgetrieben hätte. Aber auch ohne diesen Hintergrund vermitteln sie die absurde Situation des Wartens, ohne recht zu wissen worauf. Das Stück intoniert von Anfang an die Grundposition menschlicher Existenz: Scheitern und trotz allem immer wieder von Neuem beginnen, ein steter Wechsel von Hoffnung und Verzweiflung. Wladimir und Estragon agieren als Clowns. In einer Mischung von Komik und Tragik schlagen sie die Zeit tot, um sich abzulenken von der Leere und Sinnlosigkeit, der sie ausgesetzt sind, die sie sich aber nicht eingestehen. So enthält der Anfang des Stücks schon den Kern.

Estragon versucht seinen Stiefel auszuziehen. Mit beiden Händen zieht er daran und keucht. Erschöpft gibt er auf, beginnt erneut. Wie zuvor.

Estragon: (gibt wieder auf). Nichts zu machen.

Wladimir: (kommt näher mit kurzen, steifen Schritten, gespreizten Beinen). Ich komme langsam auch dahin.

Mein ganzes Leben habe ich versucht, es wegzuschieben, indem ich mir sage, Wladimir, sei vernünftig, du hast ja nicht alles versucht. Und ich nehme den Kampf wieder auf.3

Unter dem Campanile des Trinity College lauschen wir Anekdoten aus dem Leben berühmter Studenten, erfahren Eigentümlichkeiten des mittelalterlichen Collegelebens.

Dann wandern wir weiter zur nächsten Pub: O’Neill’s, 2 Suffolk Street, Dublin 2.

Diese Eckkneipe nimmt sofort für sich ein. Das viktorianische Äußere dieses Backsteinbaus ist durch den runden Erker achsial strukturiert. Die von grünen Rahmen umfassten Glasscheiben sind aus quadratischen kleinen Teilen zusammengesetzt, was die Fensterfront locker und geschwätzig erscheinen lässt. Üppige Blumenkästen schmücken das Ergeschoss. Eine Uhr unterstreicht die Symmetrie der jeweiigen Seiten. Es lohnt sich, die Speisekarte zu lesen. Das Angebot ist umwerfend. Doch zu speisen erlaubt die nur für einen Drink bemessene Zeit während eines literarisch motivierten ‚Pub crawl‘ nicht. Im Innern führen labyrinthische Gänge durch eine Unzahl von unterschiedlichen, meist sehr kleinen Räumen. Sogenannte „snugs“ oder „snuggeries“, kleine private Räume, finden sich immer wieder in Pubs. Hier, entfernt von der Bar, haben sie sogar einen eigenen Eingang, eine spezielle Theke. Einer der beiden Schauspieler, Colm Quilligan, erzählt uns von seinen Erfahrungen in Deutschland. Er kennt Tübingen recht gut, ist dort auch schon aufgetreten, und auch Stuttgart ist ihm vertraut. So kommen wir selber noch zu einem richtigen ‚Pub talk‘. - Ein Amerikaner soll gesagt haben: “For the winter traveller there is the opportunity to linger longer in con-versation which, next to poetry and writing, is Ireland’s gross national product.“

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3 Estragon[...] is trying to take off his boot. He pulls at it with both hands, panting. He stops exhausted, rests, begins again. As before. Estragon: (giving up again).

Nothing to be done. Vladimir: (advancing with short, stiff strides, legs wide apart). I’m beginning to come round to that opinion. All my life I’ve tried to put it from me, saying, Vlaimir, be reasonable, you haven’t tried everything. And I resume the struggle. (Samuel Beckett, Waiting for Godot - a tragicomedy in two acts (London 1959), p.9. Übersetzung der Autorin

Exkurs: Brian Keenan und wie man eine Geiselnahme übersteht

„O’Neill’s“ ist so zentral gelegen, dass sowohl die Ge-schäftswelt, als auch das Trinity College hier stets vertreten ist. Auch Schriftsteller gehen hier ein und aus. Ein anderer Stammgast in den 1990er Jahren war der Ire Brian Keenan. Er hatte gerade seine Lehrtätigkeit an der ‚American University of Beirut‘ begonnen, als er in Geiselhaft geriet. Fünf Jahre war er in Gefangenschaft unter den schlimmsten Bedingungen [er selbst spricht von „hellholes“- Höllenlöchern]. Zeitweilig war er zusammen mit dem britischen Journalisten John Mc Carthy, mit Terry Anderson, Tom Sutherland und Frank Reid inhaftiert. Er schrieb nach seiner Freilassung ein Buch darüber, „An Evil Cradling“, zurückgezogen unter dem Croagh Patrick, Irlands heiligem Berg an der Westküste. Später war er an einem Film über diese Zeit: „Blind Flight“ beteiligt. Bei der Arbeit an seinem Buch und später bei der Produktion des Films machte er die Erfahrung, dass er sich bis in kleinste Details an diese schreckliche Zeit erinnerte. Heute ist er überzeugt davon, dass in den schlimmsten Situationen das Beste in uns zu Tage tritt. Er zeigt im Übrigen Verständnis für seine „Bewacher, die, an ihre Gewehre gekettet, ihrerseits Gefangene waren von einer Weltsicht, die von Unwissenheit und Furcht gekennzeichnet ist und die von einem psychotischen religiösen Fanatismus angetrieben wird, der in dunkle Zeitalter gehört. Aber die Organisation hinter den Männern, die uns gefangen hielten, wusste um die Macht des Fernsehens und benutzten sie dazu, ihre Sache zu befördern.“ 4

“In der langen Phase der lsolierung hatte ich gelernt, Distanz zu mir selbst zu gewinnen. Ich konnte durch dieses von meinem Körper getrennte Ich Zeuge sein meiner eigenen psychischen und emotionalen Auflösung und ihrer Wiederherstellung. Auch war diese Distanzierung eine Art von Freiheit, mit deren Hilfe ich die Gesamtheit dessen, was meinen Freunden und mir geschah, festhalten konnte.“ 5

Dazu der zur Zeit seiner Freilassung 34-jährige englische Journalist John McCarthy, der teilweise die Zelle mit dem Iren Brian Keenan geteilt hatte und die Torturen anscheinend relativ gut überstanden hatte: „Menschen gleichen Teebeuteln. Sie kennen ihre eigene Stärke erst, wenn sie ins heiße Wasser geraten.“ 6

Vor St. Andrew’s schräg gegenüber von „O’Neill’s“ schlüpfen die beiden Schauspieler in die Rolle von Bettlern, und während sie dort stehen, treten plastisch geschilderte Personen der Vergangenheit in ihr Blickfeld. Die beiden müssen nun augenblicklich entscheiden, wie sie die jeweilige Person ansprechen müssen. Das geschieht denn auch auf sehr eindrückliche Weise. Der Katholik wird frömmeld angegangen, der Engländer anders als der Jude, auch zwischen den unterschiedlichen sozialen Schichten wird differenziert. Ein Fehler in der Einschätzung wird sofort untertänigst korrigiert. Es ist ein feines Spektakel mit ernstem Hintergrund.

Auf geht es zum nächsten Pub. „The Old Stand“ hat die Adresse: 37 Exchequer Street, Dublin 2. Der Straßenname geht zurück ins 13. Jahrhundert, als hier das Schatzamt [the “Royal Exchequer“] untergebracht war, der des Pub bezieht sich auf das zerstörte Rugbystadion, Landsdowne Road. Der Ort hat eine politische Vergangenheit. Sein berühmtester Gast war Michael Collins, der Mann, der den Vertrag unterzeichnete, der den Irischen Freistaat begründete. Er benutzte diesen Pub, um an Informationen über Mitglieder des Britischen Geheimdienstes zu kommen. Pubs in Irland waren stets Teil des öffentlichen Lebens. Sie stehen im Zentrum ihrer jeweiligen Nachbarschaft, und daher unterscheiden sie sich voneinander, je nach den Menschen, die in ihrem Umkreis leben und arbeiten. Das spezifische Verhältnis von Besitzer und Stammgästen bestimmt die Atmosphäre.

“Davy Byrne’s“ 21 Duke Street, Dublin 2. Hier sind wir zurück am Ausgangspunkt in Duke Street. Der Name bezieht sich auf einen wirklichen ‚Davy Byrne‘, der aus County Wicklow nach Dublin kam und den Pub 1889 übernahm. Dieser Pub hat nun literarische Unsterblichkeit erlangt, insofern als James Joyce ihn für sein Kapitel über die Laistrygonen benutzt, menschenfressende Riesen, denen Odysseus nur mit knapper Not entkommt. In diesem Kapitel dreht sich daher alles ums Essen, und da Joyce den einzelnen Kapiteln auch Körperteile zugeordnet hat, ist es hier der Magen. Leopold Bloom, der Protagonist, betritt den Pub, nachdem er angewidert beobachtet hat, wie die Leute im gegenüberliegenden Pub ihre Mahlzeit heruntergeschlungen haben. Bloom bestellt ein Gorgonzolasandwich mit Senf und ein Glas Burgunder. Ein flüchtiger Bekannter involviert ihn in eine lästige Unterhaltung. Diese Romanepisode ließ das „Davy Byrne’s“ zu einem Wallfahrtsort für Joycianer werden. Seit 1954, fünfzig Jahre nach dem richtigen Bloomsday, wird der 16. Juli in Dublin zelebriert. Dann füllt sich „Davy Byrne’s“ mit Menschen, die gekleidet sind im Stil der damaligen Zeit. Joyce selbst und auch der etwas zweifelhafte Freund Oliver St John Gogarty besuchten den Pub, auch Beckett soll in den 1930er Jahren hier gewesen sein. Die Gründerväter des Irischen Freistaats trafen sich im ersten Stock.

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4 The Guardian Saturday March 20, 2004

“One thing I did bring home with me from my captive years was the conviction that in the worst of all possible situations, the very best of what we are as human beings emerges. I was also anxious to reveal the “terrorists“ who held us as prisoners themselves, chained to their guns, imprisoned by a worldview born of ignorance and fear, and driven by a psychotic religious zealotry that belonged in the dark ages. But the organisation behind the men who held us knew the power of television and used it to promote their cause.“ Übs. der Autorin

5 The Guardian Saturday March 20, 2004

“In my long period of isolation I had learned how to detach from myself. I could, through this disembodied me, witness my own psychological and emotional disintegration and reintegration. Also, this detachment was a kind of freedom, through which I could record the totality of what was happening to my friends and me.“ Übs. der Autorin

6 „Human beings are like tea bags. You don’t know your strength until you get into hot water.“ Time, August 26, 1991. By Anastasia Toufexis

Englische Architektur in Irland - ‚Georgian Period‘ (I)

Während eine eigene irische Architektur nach dem Mittelalter nicht mehr stattfand, errichteten sich die englischen Aristokraten in Irland wie auch in England prachtvolle Herrenhäuser in traumhaft schönen Parks. Man nennt diese Periode nach den vier Königen mit dem Namen George aus dem Hause Hannover (1714-1820). Von 1714 bis 1760, unter den beiden ersten Königen, hat es sich auch tatsächlich aus englischer Sicht um eine Epoche der Stabilität gehandelt, danach kamen dann Krisen wie die Auseinandersetzung mit den amerikanischen Kolonien, die zur Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika führte. In dieser Zeit des Wohlstandes orientierten sich die englische Oberschicht und ihre Ar-chitekten an den Bauten der italienischen Renaissance und ihrem berühmten Architekten Andrea Palladio (1505-1580). Man imitierte und adaptierte Villen und Paläste des venezianischen Adels. Auch die Verwaltungsbauten in Dublin folgten im 18. Jahrhundert diesem Vorbild. Um 1730 war Dublin die nach London größte Stadt des Königreichs und zählte bald 100 000 Einwohner. In der Zeit zwischen 1782 und 1801 hatten die irischen Protestanten sogar ihr eigenes Parlament, das heute treffenderweise Sitz der „Bank of Ireland“ ist. Während aus englischer Sicht diese Periode als goldenes Zeitalter Irlands betrachtet wird, war es gleichzeitig eine Periode der schlimmsten Armut und Unterdrückung für die katholisch-irische Bevölkerung.

Trinity College

Das Trinity College geht auf Königin Elisabeth I. zurück, die diese von Anfang an protestantische Universität in dieses katholische Land setzte. Lange Zeit war Trinity College nicht zugänglich für Katholiken. Als diese Schranken abgebaut waren, opponierte gerade die katholische Kirche gegen die Liberalität der Institution und konterte mit der Gründung einer eigenen Universität. Die Bauten geben ein einheitliches architektonisches Bild. Der Mittelpunkt der Anlage ist der Campanile, der zentrale Glockenturm, der 1852 vom damaligen Erzbischof von Armagh gestiftet wurde. Auf das frühe 18. Jahrhundert geht die ‚Old Library‘ zurück, in der sich das berühmte „Book of Kells“ befindet.

Der ‚Long Room‘ in einem Seitenflügel des Trinity College hat eine ganz besondere Atmossphäre, die durch seine Tiefe und strenge Ausrichtung gekennzeichnet ist. Wie eine Allee wirken die beiden Stockwerke. Der schmale Raum dazwischen wird von einer Holzdecke überwölbt, die sich auf die Pilaster stützt, die vor die seitlichen Regalwände gesetzt sind. Alles ist in tiefe warme Brauntöne getaucht, moduliert durch die pergament-farbenen Lederrücken der Bücher und die Goldtöne, die das Sonnenlicht sparsam in den Raum filtern. Vor die Pilaster ist jeweils eine Büste aus weißem Marmor gesetzt. Es sind 38 Porträtbüsten auf braunen Sockeln auf einer Höhe, so dass die Köpfe dem Betrachter auf Augenhöhe begegnen. Allerdings entsprechen die Porträts nicht immer der üblichen Darstellung. Doch werden so die bedeutendsten Männer aus Literatur und Wissenschaft ausgestellt: Homer, Shakespeare, Aristoteles, Newton, Robert Boyle, Swift u.a. Apart sind die schmiedeeisern ornamentierten Wendeltreppen, die vor einer die ganze Höhe einnehmenden Milchglasscheibe scherenschnitt-artig zur Geltung kommen. Es ist als spiegle sich hier die Spirale, die für Yeats’ Welterklärung so zentral wurde und sich mit den Rundtürmen verbindet, die sich aus der spezifisch irischen Christianisierung entwickelt haben.

Der an Palladio orientierte Baustil von Trinity College beruht auf einem symmetrischen Grundriss, und so wird der der zentrale Eingang von zwei Statuen flankiert. Die Dargestellten sind eng mit der Universität verbunden und waren Kommilitonen und Freunde.