Thomas Kremer ermittelt als Untersuchungsbeamter bei der Zürcher Staatsanwaltschaft in einem möglichen Korruptionsfall. Dieser hängt zusammen mit dem Verkauf einer Privatklinik. Der Einzelgänger Kremer ist gewohnt, selbst zu denken und sich nichts einreden zu lassen. Er untersucht den Fall mit Besessenheit und entdeckt ein Gespinst von Lügen und Manipulationen. Die harmlosen Erklärungen, die man ihm bietet, weist er zurück und eckt mit seiner unhöflichen Direktheit bei Behörden und Wirtschaft an. Nicht anders in seinem privaten Umfeld. Als Halbjude verfolgt er mit besonderem Gespür den heutigen Antisemitismus in den Medien und in seinem Umfeld und scheut sich nicht, Widersprüche aufzudecken und unbequeme Schlussfolgerungen zu ziehen.

Andreas Pritzker, geboren 1945, ist Schweizer, Physiker und Schriftsteller. Bisher sind von ihm erschienen: „Filberts Verhängnis“ (Roman, 1990), „Das Ende der Täuschung“ (Roman, 1993), „Eingeholte Zeit“ (Erzählung, 2001), „Die Anfechtungen des Juan Zinniker“ (Roman, 2007) sowie „Allenthalben Lug und Trug“ (Roman, 2010). Er war Mitherausgeber des REFUNA-Jubiläumsbuchs „1/3 Technik, 1/3 Politik, 1/3 Psychologie” (2004) und verschiedener Texte in erzählter Geschichte. Zudem hat er in Zusammenarbeit mit Zeitzeugen die „Geschichte des SIN” (2013) verfasst.

Dieses Buch erschien erstmals 2011 beim munda-Verlag in Brugg (Schweiz).

Neuausgabe:

© 2014 Andreas Pritzker

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt (D)

ISBN: 978-3-7357-4885-0

Für meine Eltern und meine Brüder

Montag

Ich bin an diesem trüben Montag auf dem Weg ins Büro, und zwar nicht federnd schreitend, voller Tatendrang und bereit, sämtliche Stiere an den Hörnern zu packen, sondern lustlos, lustlos. Ich schleiche eher anstatt zu marschieren und lasse meinen Blick sogar auf den dämlichsten Plakaten verweilen, nur um meinen Arbeitsantritt zu verzögern.

Keiner soll behaupten, meine Tätigkeit als Untersuchungsbeamter für Wirtschaftsdelikte sei wertvoll. Als wertvoll gilt die Arbeit von Armenanwälten, Rettern der Umwelt, Rotkreuzhelfern. Was ich tue ist lediglich, Unordnung zu ermitteln. Ich sammle Fakten, die den Gesetzen widersprechen, und liefere sie dem Staatsanwalt ab.

Glaubt da jemand, ich diene der Gerechtigkeit? So einen Blödsinn würde ich nicht einmal in einer Situation, in der sich alle im besten Licht darstellen, absondern. Die Gerechtigkeit ist mir vollkommen egal. Was gerecht ist entscheiden die Trendsetter. Gerechtigkeit hängt von Zeit und Ort ab. Wo habe ich etwas Ähnliches schon einmal gehört? Im Physikunterricht, als sich der Lehrer bemühte, uns die Relativitätstheorie einzutrichtern. Aber von den Erklärungen ist nichts hängen geblieben, rein nichts, tut mir Leid. Zwar respektiere ich die Naturwissenschaft, aber ich bin nun mal Jurist.

Als solcher müsste mich die ewige Frage der Schuld beschäftigen. Tut sie nicht. Obschon Schuld in unserer Zeit schlicht auf jede Tagesordnung gehört. Zum Beispiel: Seit Tagen regnet es. Es regnet und regnet was der Himmel hergibt, schon den ganzen Monat August. Und die Folge davon? Die Menschen wollen mir eindringlich erklären, wer die Schuld an diesem Regen trägt. Das tun sie, weil sie die Welt nicht so nehmen wie sie ist, sondern alle Vorgänge auf sich beziehen. Kein Wunder glauben sie an einen alles lenkenden Gott, einen ins Weltall empor gezüchteten Argus, der jeden einzelnen von uns dauernd im Visier hat. Und sie werden es nicht bei den Erklärungen bewenden lassen. Sie wollen, dass ich ihnen zustimme. Tue ich dies nicht, bin ich ein Sonderling, nicht wirklich integriert. Oder womöglich einer, der sich besser fühlt. Einer der nicht mitmacht, der die Schuldzuweisung nicht anerkennen will. Mithin gar einer, der zu den Schuldigen zählt. Denn die Schuldzuweisung ist wesentlich. Sie erlaubt die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Menschen.

Auch wenn mich die Schuldfrage nicht gerade in Begeisterung versetzt, muss ich zugeben: Wenn sich – was selten genug vorkommt – eine Ermittlung als langwierig und hindernisreich entpuppt, packt es mich. Es ist, als müsste ich ein spannendes Rätsel lösen oder eines dieser verflixt komplizierten Puzzles zusammensetzen. Ist die Ermittlung abgeschlossen, lasse ich los. Es ist mir egal, ob die Staatsanwaltschaft die Personen, gegen die ich ermittelt habe, dem Gericht zuführt. Selbstverständlich gelingt es ihr immer. Ein Staatsanwalt, der die Untersuchungsergebnisse nicht frisieren kann, hat seinen Auftrag nicht im Griff und gehört abgesetzt. Nach einem jahrelangen Ausleseprozess sind unsere Staatsanwälte lauter gewiefte Kerle. Als Richter würde ich keinem was abkaufen.

Zur Zeit arbeite ich allerdings an zwei Fällen, die langweiliger nicht sein könnten. Kein Wort darüber. Sie verdienen es nicht, erwähnt zu werden.

*

Im Büro finde ich bereits Lara vor. Man hat die Volontärin mir zugeteilt, warum weiss ich nicht. Mag sein, dass meine Kollegen zusätzliche Arbeit witterten und dank gutem Draht zu unserem Vorgesetzten mir den Vortritt liessen. Oh, bestimmt bereuten sie es, als Lara die Bühne betrat. Sie ist ziemlich hübsch und besitzt einen knackigen Hintern. Sie ist quicklebendig, bewegt sich schnell und spielt aggressiv Tennis. Manch einen Kollegen, der sich vor ihr produzieren wollte, hat sie schmählich versenkt. Aber sie ist mit allen Menschen sehr lieb, auch mit mir, der ich keinerlei Anstrengungen mache, Zuneigung zu erwerben. Doch Miss Friendly kocht unbeirrt ob meiner Gleichgültigkeit russischen Tee und teilt das Gebräu mit mir, ebenso die süssen russischen Hörnchen, die sie selbst fertigt und trällernd vor guter Laune mitbringt. Weil sie lecker aussehen esse ich manchmal ein Stück. Und immer wieder stellt sich heraus, dass das Gebäck zu trocken ist. Lara geht über mein Würgen hinweg. Gut so. Ich möchte sie nicht beleidigen. Sie ist ein wertvoller Mensch. Im Gegensatz zu mir glaubt sie an ihre Arbeit. Der Gedanke, sie erfülle eine wichtige Funktion, hält sie hörbar am Ticken. Ist in Ordnung. In ihrem Alter darf sie sich Illusionen hingeben.

Lara ist fünfundzwanzig, ich bin sechsundfünfzig, ein ziemlicher – oder unziemlicher? – Altersunterschied. Die gesamte Staatsanwaltschaft belauert uns. Sie warten darauf, dass wir eine Affäre anzetteln. Aber mir fehlt die Lust dazu. Keiner soll glauben, ich sei nicht der sexuellen Begierde unterworfen, o nein. Doch das heisst nicht, dass ich Lara mit heraushängender Zunge nachrenne. Es heisst nur, dass es mich alle zwei Wochen packt, und dann lade ich meine Last und Lust bei Jenny ab.

*

Ich möchte mal wissen, was sich die Huren denken, wenn sie ihren nom de guerre oder ihren nom de plume wählen. Der Name Jenny erinnert an die Dreigroschenoper, und heutzutage können wir nicht ausschliessen, dass die Huren belesen sind. Jenny besitzt eine Rubensfigur und kann kehlig lachen. Sie bedient mich nach einem strengen Ritual, mit dessen Details ich niemanden plagen will. Nur soviel: Kaum angekommen und noch bevor sie mir einen Drink serviert, muss ich unter Aufsicht meine Hände gründlich waschen. "Warum nur die Hände?" wollte ich wissen. "Den Rest setze ich als regelmässig geduscht voraus", sagte sie und schaute mich herausfordernd an. Überhaupt erfolgt unsere Zusammenkunft ziemlich klinisch. Aber keine Klage, sie bringt mir die nötige Erleichterung ohne dass ich mich anstrengen muss. Ich möchte es nicht anders haben. Mit Unbehagen denke ich an jene Akte in meinem Leben zurück, die Liebe und Hingabe bedeuteten und bei denen wir uns auslieferten. Plötzlich blickte ich in ein Frauengesicht, auf dem sich neben der Lust eine Wehrlosigkeit spiegelte, die mich zutiefst erschreckte. So etwas könnte ich heute nicht mehr ertragen.

Fünf Jahre nach meiner Scheidung war ich das letzte Mal richtiggehend verliebt, leidenschaftlich und unglücklich. Die Angebetete arbeitete damals ebenfalls bei der Staatsanwaltschaft. Sie wies mich zweimal freundlich ab. Ich weiss nicht warum. Vielleicht lebte sie schon in einer Beziehung, von der ich nichts wusste, oder wollte nicht in einer Beziehung leben, oder wenn, dann nicht mit mir. Ob sie wegen meiner Herkunft nichts von mir wissen wollte? Egal. Allmählich erkannte ich, dass ich mir von einer Frau ein Bild machte, in das ich mich verliebte, und dieses Bild hatte nicht das Geringste mit der Person zu schaffen. Danach gab ich es auf.

Somit wurde auch nichts daraus, als mein Jugendfreund Nick fand, ich sollte wieder in einer festen Beziehung leben. Er dachte an seine Schwester Iris. Iris hat sich von einem unansehnlichen Zahnlückenmädchen zu einer grossen, schönen Frau mit schwarzen Haaren, rotem Mund und einer erotischen Altstimme entwickelt. Kaum sagt sie etwas, drehen sich alle nach ihr um. Ich führte Iris in ein sehr schickes Restaurant, lauter Marmor, Glas und Chromstahl und höchst arrogante Kellner. Wir tafelten gediegen und wollten uns beschnuppern, aber die Kombination der Werkstoffe, die ein Stararchitekt ausgesucht hatte, führte dazu, dass es selbst die Altstimme verschlug und ich nur wenig von dem verstand, was Iris erzählte. Da hatte ich die Idee, dass jeder nur zu sich selbst spricht und jeder nur das hört, was zu ihm passt. Wir reden aneinander vorbei, es gibt nichts Gemeinsames ausser ein paar Gemeinplätzen. Wozu eine solche Beziehung?

Iris lud mich nach drei Wochen zum Essen ein, um sich zu revanchieren. Ich wand mich aus dieser Pflicht heraus, und das war das Ende. Nick war der Vorgang rätselhaft. Er schüttelte den Kopf, stellte aber keine Fragen und enthielt sich eines Kommentars. Ich kann jedoch nicht abstreiten, dass danach unsere Freundschaft distanzierter wurde. Und das heisst, er fand keine Zeit mehr, mit mir ein Bier zu trinken, sondern lud mich nur noch gelegentlich zu einer seiner Partys ein.

*

Ohnehin wäre eine Beziehung mit Iris kaum zustande gekommen, selbst wenn ich in ihrer Wohnung erschienen wäre. Ich fürchte, ich bin nicht unwiderstehlich attraktiv. Zuerst einmal: ich bin alles andere als ein glänzender Unterhalter. Vermutlich, weil ich keinen Gefallen finde an der Welt und ihren Menschen. Sodann: ich bin unauffällig, vollkommen unauffällig. Mit anderen Worten eine graue Maus. Es mangelt mir an besonderen äusserlichen Merkmalen, so ist es.

Na ja, ein paar scheint es doch zu geben. Allerdings nicht solche, welche die Betrachterin erfreuen. "Du isst nicht, sondern du frisst wie ein Schwein", erklärte Lilian, meine erste und einzige Ehefrau, nach dem Sonntagsessen bei ihren Eltern, bei dem ich mir die Krawatte mit Sauce bekleckerte und mit vollem Mund sprach, weil Vater Lenhart – den ich sehr mochte – sich als alter Richter für meine Arbeit interessierte und laufend inquisitorische Fragen auf mich abfeuerte. Alle am Tisch blickten sich vielsagend an. Bei Lenharts führte man sich nicht so auf. Tatsache ist, sie hatten Lilian früh gewarnt. Im Originalton, den mir Lilian empört übermittelte: "Seine exotische Herkunft kann durchaus zu Problemen führen. So einer ist und bleibt ein Fremder. Er kann nichts dafür, aber unsere helvetischen Sitten sind ihm kaum geläufig." Immerhin, als liberale Sozialdemokraten akzeptierten sie mich, nachdem sich Lilian mit mir verlobt hatte.

Ferner warf mir Lilian eine ungepflegte, rüpelhafte Sprache vor. "Du fluchst zu viel, und es ist unerträglich, dass du bei jeder Gelegenheit 'Heilige Scheisse' sagst." Heilige Scheisse! Es gibt nun einfach Situationen, die gar nicht anders qualifiziert werden können.

"Stimmt, Euer Ehren", sagte ich deshalb. Damals war unsere Beziehung bereits so weit gediehen, dass ich meine Frau nur noch als 'Euer Ehren' anredete, denn dauernd stand ich bei ihr vor Gericht. Das gefiel ihr nicht. Ich gab noch eins drauf: "Früher hast du mir vorgeworfen, dass ich meine Gefühle nicht ausdrücke, und jetzt, wo ich es tue, passt es dir wieder nicht."

"Ich meinte schon damals die positiven Gefühle, Freude, Zufriedenheit, solche Dinge. Du fluchst zwar hemmungslos, aber die guten Gefühle kannst du immer noch nicht ausdrücken."

"Weil ich sie nicht verspüre, heilige Scheisse!" brüllte ich sie an.

Dabei waren in der jüdischen Familie meines Vaters alle höchst gesittet. Jeder sah sogleich, diese Menschen hatten eine Erziehung genossen und selbst an sich gearbeitet. Hochgradig kultiviert war das mindeste, was sich über sie sagen liess. Jüdische Musterschüler. Das hängt womöglich mit den strengen Regeln der jüdischen Religion zusammen. Sie wirken nach, auch wenn die Nachfahren sich längst nicht mehr daran halten.

Hingegen die christliche Familie meiner Mutter! Sie stammt aus der Innerschweiz. Hier war burschikoses Auftreten angesagt. Der raue aber herzliche Ton. Meine Grossmutter Elsa dominierte die Familie, und sie gebrauchte Kraftausdrücke. Sie sagte zwar nicht gerade 'Heilige Scheisse', dazu war sie zu katholisch. Immerhin sagte sie dezent merde, denn sie hatte ihre sogenannten Mädchenjahre in einem Pensionat in der französischen Schweiz verbracht. Unter solchen Umständen hatte meine Mutter nicht die geringste Chance, uns Kindern das Fluchen abzugewöhnen.

Mag sein, dass sie mir die derbe Sprache vererbt haben. Was ich auf jeden Fall von der Familie meiner Mutter gelernt habe, ist dies. Keine Zeit verlieren mit der vergeblichen Suche, wer schuld ist am eigenen Unglück, sondern in die Hände spucken und sein Schicksal in eigener Verantwortung gestalten.

Meine Esssitten waren übrigens nicht das Einzige, das Lilian an mir kritisierte. Zunehmend missfielen ihr meine Ansichten, meine Art mich zu kleiden, das Niveau meiner Hygiene. Ich neige zu starkem Schwitzen und habe weder Zeit noch Gelegenheit, mehrmals am Tag zu duschen. Zudem besitze ich einen kräftigen Bartwuchs – mittlerweile dank Grauton unauffälliger geworden, aber wenn ich am Abend ein Küsschen gebe, muss es für zarte Wangen wie ein Reibeisen wirken. Eine andere Frau hätte dies möglicherweise als Zeichen von Männlichkeit willkommen geheissen. Nicht so Lilian. Zudem fand sie mich zu fett. Tatsächlich habe ich während unserer Ehe laufend zugenommen.

Und so – Entschuldigung für die banale Redensart! – kam es, wie es kommen musste. Wir trennten uns und wurden bald darauf geschieden. Übrigens, nach der Trennung verlor ich rapide an Gewicht. Nicht weil das Alleinsein an mir nagte. Aber man kann über Lilian sagen was man will, sie ist eine begnadete Köchin. Mein Hausarzt stichelte, er werde seinen übergewichtigen Patienten künftig die Scheidung verordnen. Ich wies ihn kühl mithilfe zweier Statistiken zurecht. Erstens werden immer mehr Ehen geschieden. Und zweitens werden die Menschen immer dicker. Hierauf nannte er mich humorlos.

*

Um elf bin ich zu meinem Vorgesetzten, dem Oberstaatsanwalt Helmut Falckenberg, bestellt. Wie immer muss ich im Vorzimmer warten, bis die gepolsterte Tür aufgeht und Falckenberg, eine Hand an der Türfalle, sich weit hinaus lehnt. Fällt er oder fällt er nicht? Was würde ich darum geben, meinen Chef platt auf die Schnauze fliegen zu sehen. Und wie immer verwickelt mich Doris, seine persönliche Assistentin, in ein Gespräch über ein jüdisches Thema.

Doris ist ein schöner, blonder Engel, und was sie denkt lässt sich unmittelbar auf ihrem Gesicht ablesen. Irgendwann hat sie mich als einziges greifbares Exemplar zu ihrem Referenzjuden erkoren und übt jetzt mit mir 'lerne deinen Juden kennen'. Sie nagelt mich mit Fragen fest. "Warum verlangen Sie die Aufhebung des Schächtverbots? Das ist doch Tierquälerei!" Oder: "Finden Sie nicht auch, dass der jüdische Weltkongress die Schweiz erpresst?" Und unter dem Einfluss der antiisraelischen Propaganda im schweizerischen Radio und Fernsehen fragt sie empört: "Meinen Sie denn nicht, dass Israel in Gaza/ Libanon/ Hebron das Völkerrecht verletzt hat?" Wie wenn sie sich um die Menschenrechte scheren würde. Immerhin bleibt sie bei der Frageform und gibt so dem Angeklagten die Gelegenheit, sich zu rechtfertigen. Ich mache davon keinen Gebrauch. Ihre Meinung ist ohnehin betoniert. Ich bemerke nur: "Wenn Sie es sagen..."

Unnütz, ihr zu erklären, dass ich nur ein halber Jude bin, und erst noch von der falschen Sorte. Mein Vater war jüdisch, meine Mutter christlich. Somit handeln mich die nichtjüdischen Mitbürger als Juden, die Hebräer als verlorenes Schaf. Das ist mir egal, aber zum Judentum Auskunft geben kann ich nicht, denn ich wurde katholisch erzogen und kenne die jüdische Religion nur aus zweiter Hand. Und von der blutigen katholischen Religion habe ich mich zum Leidwesen meiner Mutter abgewandt, kaum dass ich mündig war.

Dann winkt Falckenberg mich in sein Büro. Er ist allein. Sonst hat er bei Befehlsausgaben gerne seinen Stabschef bei sich. Und er nimmt nicht hinter seinem Schreibtisch Platz, sondern führt mich zur Sitzgruppe, auf die er unheimlich stolz ist, wie auf die gesamte Einrichtung. Es sind hypermoderne Möbel, die nicht zum Angebot des kantonalen Logistikamtes gehören. Trotzdem hat er sie, die einen behaupten mit einer Rücktrittsdrohung, die andern munkeln von Tränen, dem Amt abgerungen. Und ein Kollege schwört gar, Falckenberg habe Doris ins Amt gesandt, und die habe mit ein paar Augenaufschlägen die Möbel beschafft.

Allein mit mir ist er stets nervös, blickt mir nicht ins Gesicht und redet unaufhörlich. Vieles davon habe ich schon öfters gehört. Es dauert, bis er zum Wesentlichen kommt. Er sitzt im rechten Winkel zu mir. Auch ich habe keine Veranlassung, den Kopf zu wenden und den sportlich-gesunden, dezent-modisch gekleideten Mann zu mustern. Heilige Scheisse, dachte ich, als ich ihn das erste Mal traf, der liest eines dieser Herrenmagazine, die einem raten wie man sich kleidet, welches Auto man fährt, was man trinkt.

Endlich lässt er die Katze aus dem Sack.

"Hören Sie, Kremer..."

Die meisten meiner Kollegen sind in den Kreis jener aufgerückt, mit denen sich Falckenberg duzt. Möge mir dieses Los weiterhin erspart bleiben.

"Hören Sie, Kremer, wir haben da eine äusserst delikate Untersuchung vor uns, bei der wir mit absoluter, ich betone absoluter Diskretion vorgehen müssen. Um es gleich vorwegzunehmen: Kein Wort zu einer anderen Person als zu mir, nicht einmal beim Kaffee, und Sie rapportieren mir und ausschliesslich mir. Und zwar nur mündlich, ich will in der Phase der Voruntersuchung keine Papiere. Haben Sie das verstanden?"

"Sie haben sich klar ausgedrückt."

Er wirft mir einen kurzen, fragenden Blick zu. Nie kann er sicher sein, ob hinter meiner Aussage nicht etwa Respektlosigkeit lauert.

"Ich bin von Kantonsrat Helfenstein auf einen möglichen Korruptionsfall hingewiesen worden. Es geht um den Verkauf einer kleinen Privatklinik in unserm Kanton, der Goldach-Klinik, die sich auf Wiederherstellungschirurgie an Unfallopfern spezialisiert hat. Die Klinik liegt in Andelfingen, dessen Gemeindepräsident Helfenstein ist. Der Verkauf gestaltete sich schwierig, offenbar mischte das kantonale Gesundheitsamt mit, und Helfenstein möchte wissen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Hören Sie sich diskret um, und nur wenn wir zum Schluss kommen, es liege etwas Handfestes vor, lassen wir allfällige Dokumente von der Polizei sicherstellen."

"Gibt es bereits ein Dossier?"

"Nein, nichts Schriftliches. Und ich weiss auch nur das Wenige, was Helfenstein mir gesagt hat. Am besten informieren Sie sich in der Presse und fragen dann diskret herum. Legen Sie los. Das Geschäft hat für mich hohe Priorität. Sie sind von allen übrigen Fällen freigestellt. Mein Stabschef ist als einziger eingeweiht, er wird mit Ihnen die Übergabe an die Kollegen vornehmen. Haben Sie noch Fragen?"

"Nur eine. Warum erteilen Sie diesen Auftrag gerade mir?"

Falckenberg lehnt sich entspannt zurück, presst seine Fingerspitzen vor der Brust zusammen, wendet mir sein Gesicht zu und strahlt mich an. Jetzt kommt eine Lüge. Die Wahrheit hält er im Käfig seiner Finger gefangen.

"Weil Sie gut sind. Zuverlässig. Und vor allem: unabhängig. Ich erlebe Sie als Einzelgänger, und das ist ein unschätzbarer Vorteil. Zudem sind Sie dank Ihrer Herkunft einer, ich möchte fast sagen, alttestamentarischen Gerechtigkeit verbunden."

Bevor er noch weiteren Unsinn produzieren kann, rufe ich: "Akzeptiert, Chef!"

Er hasst es, Chef genannt zu werden. Einmal sandte er mir deswegen den blonden Engel Doris vorbei, nur um mitzuteilen, das Wort Chef möge zu einem Garagenbetrieb passen, aber bestimmt nicht in eine Staatsanwaltschaft. Zudem: wenn es im Umkreis von hundert Kilometern einen Mann gebe, der sich nicht als Chef, sondern als kollegialer primus inter pares aufführe, dann sei es Oberstaatsanwalt Falckenberg.

Heilige Scheisse! Was Falckenberg im Klartext meint, ist nur allzu verständlich. Keiner von den Kollegen will sich die Finger verbrennen. Auch Falckenberg nicht, indem er nur eine Voruntersuchung anordnet und keine Papiere will. Nachher kann er immer sagen, ich hätte ihn missverstanden. Übereifrig sei ich vorgegangen, er habe nur etwas angedeutet. Beim Rausgehen blickt mich Doris seltsam an und flüstert: "Vorsicht bei diesem Auftrag. Den wollte niemand, daher hat es Sie erwischt."

Weshalb sagt sie das? Ich weiss, dass sie mich nicht mag. Vielleicht aus Gerechtigkeitsgefühl? Kann schon sein, das Hilfspersonal bei Justizbehörden hat in der Regel im kleinen Finger mehr Gerechtigkeitsgefühl als jeder Staatsanwalt.

Immerhin weist die Aussage darauf hin, dass nicht sie es war, die mich als Opfer vorschlug. Denn Falckenberg ist Wachs in ihren Händen, wenn es nicht um seine eigenen Interessen geht. Lassen Sie mich den Oberstaatsanwalt zitieren: "Wer kann denn einer schönen Frau widerstehen?"

*

Im Büro wartet schon Stabschef Pfulg auf mich. Ich höre ihn von weitem lachen. Pfulg ist ein kleiner Mann, und er kompensiert die fehlenden Zentimeter durch lautstarkes Auftreten. Lara hat ihm eine Tasse Tee und ein Tellerchen mit Gebäck hingestellt. Sie ist gerade dabei zu fragen: "Zucker?"

Pfulg lächelt schelmisch und flötet: "Natürlich, drei Stück bitte, ich liebe alles was süss ist." Dabei kleben seine Augen an ihrer Figur.

Zu mir gewendet sagt er: "Ihnen gehts ja glänzend. Ohne einen Finger zu rühren kommen Sie jeden Tag in den Genuss dieser formidablen Gastlichkeit. So hätte ich es auch gerne!"

"Stimmt, ich werde tüchtig verwöhnt. Und jetzt darf ich Ihnen erst noch die Akten zu den Fällen, an denen ich gerade arbeite, übergeben. Hier haben Sie die beiden Dossiers. Auf der ersten Seite habe ich jeweils den Stand der Ermittlungen protokolliert."

"Gründlich bis ins Mark. In dieser Beziehung kann man Ihnen nichts vorwerfen."

Er klemmt die Papiere unter den Arm und steht auf. Und ich sage zu Lara: "Oberstaatsanwalt Falckenberg hat mir sein Riesenvertrauen ausgesprochen und mir einen höchst delikaten Auftrag erteilt. Mit anderen Worten, er traut dem Untersuchungsbeamten Thomas Kremer das erforderliche Fingerspitzengefühl zu. Das muss ich einfach feiern. Darf ich Sie zum Mittagessen einladen?"

"Gerne", ruft sie erfreut.

Pfulg wirft ein: "An der Kreuzung vorne wurde ein Döner eröffnet. Soll sehr gut sein."

"Und so soll ich mich für die formidable Gastlichkeit bedanken? Nein, wir gehen in die Cantina und feiern echt."

Pfulg glotzt uns neidvoll an. In seiner Miene arbeitet es. Er möchte einen Kommentar abgeben, aber er verkneift sich die Äusserung. Hat er es sich doch gedacht, dass da etwas läuft.

Inhaltsverzeichnis

Dienstag

'Gründlich bis ins Mark', sagte Pfulg. Na ja, deshalb durchsuchte ich gestern Nachmittag zuerst einmal unsere Datenbank, fand aber keinen Verweis auf die Goldach-Klinik. Heute Morgen mache ich mich daran, in Internet-Zeitungsarchiven nachzuforschen. Ich muss zwei Jahre zurückblättern, und die Suche gestaltet sich aufwändig, denn ein Knüller war das, was mich interessiert, nicht gerade. Was ich schliesslich in diversen Artikeln, verteilt über den Zeitraum eines Jahres, finde, ist kurz zusammengefasst dies.

Die Klinik, am Rande des schmucken Weindorfs Andelfingen gelegen, gehört seit Generationen der Familie Goldach. Der alte Doktor Goldach stirbt, die Erben versuchen die Klinik zu verkaufen. Es interessiert sich keine Seele dafür. Der zuständige Gemeindepräsident Helfenstein beklagt in einem Interview, es fehle in der Ärzteschaft an Unternehmergeist. Offenbar würden die Chirurgen heutzutage lieber als Angestellte arbeiten denn als Inhaber eines mittleren Betriebs mit rund sechzig Mitarbeitern. Na gut, die Erben entscheiden sich dafür, die Klinik selbst weiter zu führen und einen Arzt anzustellen. Aber oh Pech, die längste Zeit finden sie keinen Bewerber. Endlich meldet sich ein österreichischer Chirurg, der schon seit Jahren als Oberarzt in einem Ostschweizer Spital tätig ist. Doch nun macht wider Erwarten das Gesundheitsamt nicht mit. Es ist nicht bereit, dem Österreicher eine Praxisbewilligung zu erteilen. Die Lage wird kritisch, zwei junge Assistenzärzte können den Betrieb zwar notdürftig aufrecht erhalten. Aber es kommen keine neuen Patienten, denn bisher waren diese dem Ruf des alten Doktor Goldach gefolgt.

Die Klinik steht praktisch vor dem Aus, die Erben sind einigermassen ratlos. Da endlich tritt ein Treuhänder auf, der ihnen die Klinik abkauft. Offenbar zu einem so tiefen Preis, dass in einem Zeitungskommentar gar von einem Schnäppchen die Rede ist. Der Treuhänder beauftragt einen bereits pensionierten deutschen Arzt mit der Leitung. Der bekommt von den Behörden problemlos eine Lizenz. Und sofort drängt sich die Frage auf, weshalb haben sie den deutschen Arzt, den der neue Besitzer aus dem Hut zauberte, akzeptiert, den österreichischen, den die Erben wollten, nicht? In der Presse wurde diese Frage zwar aufgeworfen, aber niemand beharrte auf einer Antwort. Nun, vielleicht hat das Gesundheitsamt eingesehen, dass sonst die Klinik Gefahr läuft unterzugehen. Wie auch immer: die Erben akzeptieren das offenbar. Sie akzeptieren auch, dass sich die Klinik nach dem Konzept des neuen Besitzers nicht mehr auf die Wiederherstellung von Unfallopfern, sondern auf Schönheitschirurgie spezialisiert. Trotz dieses modischen Wechsels geht es schliesslich um den Erhalt der ehemaligen Klinik ihres Vaters und der Arbeitsplätze. Dem deutschen Klinikleiter ist kein langes Wirken beschieden. Er wird ersetzt, und zwar durch einen ehemaligen Chefbeamten des Gesundheitsamtes.

Soweit die Zeitungen. Nun, einer der Berichterstatter war Zehnder, und ich greife sogleich zum Telefon.

*

Willi Zehnder bezeichnet sich selbst als Journalist der alten Schule. Er hat eine Berufslehre als Setzer absolviert und ist in eine Zeitungsdruckerei eingetreten. Da er richtig erkannte, dass sein Beruf dem Untergang geweiht war, besuchte er eine Abendschule und begann, kleine Reportagen zu schreiben. Die waren treffend und süffig, und das verhalf ihm zur Karriere. Seit vielen Jahren gehört er zur Redaktion der Morgenpost. Er hat sich dem gierigen Recherchieren verschrieben und arbeitet verbissen solange an einer Sache, bis er durchblickt. Manchmal juckt ihn seine Spürnase, und er denkt, er könne die Staatsanwaltschaft anzapfen. Dann will er von mir einen Tipp, und den gebe ich ihm, wenn ich was weiss. Er hält sich strikt an unsere Abmachung und nennt die Herkunft der Information nicht, aber der Tipp hilft ihm, weiter zu bohren.

Willi ist klein und drahtig, stets unrasiert und unfrisiert, und er trägt ausschliesslich schwarze, verbeulte Jeans, gestrickte Pullover und einen grünen Reportermantel. Dieses Requisit wird im Lauf der Jahre immer schäbiger, doch braucht es mindestens einen irreparablen Riss bevor er es ersetzt. Klar, mit diesem bühnenreifen Abbild bezweckt Willi, dass eine Botschaft herüber kommt. Er stellt sich als Unterhund dar. Das weckt bei Informanten Vertrauen und schafft bei seinen Interviewpartnern aus Politik und Wirtschaft zuerst einmal eine gesunde Distanz. So sehe ich es. Weil wir befreundet sind, habe ich ihn nie deswegen gehänselt.

Willi hält nicht viel von den Menschen. "Der durchschnittliche Mensch", pflegt er rüde zu sagen, "ist ein Seckel."

"Was meinst du damit?" fragte ich ihn, als er sich zum ersten Mal so äusserte.

"Ich geb dir ein Beispiel aus dem Militärdienst. Eines Tages merke ich, dass Kamerad Wachter die Handschuhe seiner Ausrüstung vermisst. Kurz darauf sind meine Handschuhe verschwunden, und bei der Inspektion stehe ich blöde da, während Wachter Handschuhe vorweisen kann. Verstehst du was ich meine?"

"Gewiss, aber das sagt doch nur etwas über Wachter aus."

"Klar. Aber ich kann dir noch hundert derartige Beispiele bringen. Alle zeigen, dass der durchschnittliche Mensch nicht hin steht und die Verantwortung für seine Belange übernimmt, sondern dass er diese abwälzt."

Wir haben uns an einem Weinseminar kennen gelernt, in das mich Lilian schleppte. In der Familie Lenhart wird tüchtig gebechert. Der alte Richter vertritt die Ansicht, Juristen, die nicht regelmässig Wein genössen, seien unbrauchbar. Recht hat er. Falckenberg und Pfulg zum Beispiel verstehen nichts von Wein. Sie bleiben beim Bier und lappen allenfalls klebrig-süsslichen Prosecco. Trotzdem gab Falckenberg, als ich anlässlich meiner letzten Beförderung im Büro ein paar Flaschen Rioja-Wein ausschenkte, fachmännisch zum Besten, er finde 'die Crianza-Traube süperb'. Heilige Scheisse.

Während am besagten Weinseminar Lilian darauf bestand, man könne nur französische Gewächse trinken, entdeckten Willi Zehnder und ich eine gemeinsame Vorliebe für spanische Weine. Also treffen wir uns in der Bodega Española im Zürcher Niederdorf.

"Zum Wohl, Thomas. Was gibt es, das die Staatsanwaltschaft interessiert und wozu ich Informationen haben könnte?"

"Zum Wohl Willi. Selbstverständlich nichts. Du kennst ja Falckenberg. Er hat mir eingeschärft, mit niemandem darüber zu reden. Also kann ich ja wohl nichts untersuchen, denn sonst müsste ich ja darüber reden."

Willi grinst hämisch.

"Komm komm, erzähle, was da abläuft."

"Wenn du versprichst, es für dich zu behalten, bis ich einer Veröffentlichung zustimme."

"Versprochen, wenn du mir alles sagst, was du über Jimmy Repf weisst."

Beinahe verschlucke ich mich am Wein.

"Wie kommst du auf ihn?"

"Ein Professor, der Krimis schreibt und mit dem Chefredaktor bekannt ist, ist von Repf reingelegt worden. Der Chef wittert eine satte Story, aber der Professor will nicht in die Schlagzeilen. Also forsche ich nach weiteren Opfern."

"Und wie kommst du auf mich?" frage ich, obschon mir die Antwort schwant.

"Hab sogleich recherchiert und bin auf die Ankündigung gestossen, er werde in seinem Verlag demnächst die Memoiren deines Vaters veröffentlichen. Das war vor zwei Jahren. Das Buch hat ja allerdings nicht er rausgebracht. Weiter habe ich gehört, er sei in finanziellen Schwierigkeiten. Also, was weisst du darüber?"

"Ich erzähle dir meine Geschichte, aber ich will auch nicht in die Schlagzeilen."

"Also gut, erzähle. Mir gehts nur um die Vorgänge, Namen muss ich nicht nennen, mit Ausnahme von Repf."

Na ja, Jimmy Repf ist ein Betrüger. Er tritt ganz harmlos auf, schreibt selbst Gedichte, besitzt oder vielmehr besass eine Liegenschaft im Burgund sowie ein Schlösschen im solothurnischen Land, und er kann grossen Charme entwickeln. Jimmy setzt kleine Inserate in die Zeitungen: Verlag sucht Autoren. Die letzte Hoffnung für alle, die regelmässig bei den grossen Häusern abgeblitzt sind. Gut, dachte ich, jetzt bringen wir die Memoiren meines Alten unters Volk. Man muss nämlich wissen, dass der Professor stets in höheren Sphären schwebte und nur dreimal kurz in die Realität abtauchte. Die beiden ersten Male, um sowohl meine Wenigkeit als auch meine kleine Schwester zu zeugen. Das dritte Mal rund vierzig Jahre später, um sein durchaus spannendes, bewegtes Flüchtlingsleben zu Papier zu bringen. Ich sandte das Opus diversen Verlegern, aber es interessierte sich kein Schwein dafür.

Jimmy unterbreitete mir einen Vertrag, der vernünftig aussah, engagierte eine Lektorin für das Manuskript und kassierte sogleich einmal dreitausend Franken für seine Unkosten, zweite Hälfte zahlbar bei der Publikation. Nach zwei Monaten wurde ich auf Jimmys Schlösschen bestellt. Jimmy verabreichte mir zuerst eine Führung durch die Anlage, die mich wenig beeindruckte. Denn auf Lilians Wunsch sind wir im Lauf der Ehejahre zusammen durch Dutzende solcher Herrschaftssitze gepilgert, und das stumpft nun einmal ab, kanns nicht ändern. Danach begaben wir uns in Jimmys Büro, das er sich im Schlossturm eingerichtet hatte. Er forderte mich auf, die Aussicht über das Mittelland zu geniessen und kredenzte mir einen Whisky. Und während mir die schöne, sprachgewandte Germanistikstudentin, die das Manuskript lektoriert hatte, in strengem Ton ihre Korrekturen verkündete, lümmelte Jimmy an seinem Schreibtisch herum, die Füsse – er trug wunderschön gearbeitete Cowboystiefel aus hellbraunem Leder – auf dem Tisch, und tat, als ob er ein Manuskript prüfe.