Reinhart Brandau

Autobiographie

SEIN ODER NICHT SEIN

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Der Sonne

der Erde

dem Mond

den Sternen

und

der Weltenseele …

14. Januar. Kleines Dorf im Thüringer Wald. Eingeschneit in der Nacht.

Als ich kam, aus dunkler Wärme, war da ein Kerzenlicht, meine Mutter, und Rolf der Schäferhund.

Und der erste Vogel, dem ich begegnet bin – war´s der Zeisig?, oder der Nachtrabe?

All die Hühner, Gänse, Puten, Tauben zählen ja nicht, sind doch nur Federviecher – keine Vögel … doch soll es hier zur Abwechslung mal um die Wahrheit gehen – nicht um Eierkuchenmärchen.

Die Wahrheit? Was ist das denn nun schon wieder?

Sie ist da. Überall. Doch wir sehen sie einfach nicht; unser Paradigma, unsere gesammelten Vorurteile versperren uns die Sicht auf so manches, das wahr und wirklich ist. Und wir merken es nicht. Nehmen nicht wahr; stülpen unsere Sicht über alles, wie einen Kartoffelsack über einen blühenden Rosenstrauch: Schmierfink, Dreckspatz, wer wohl? – einmal darfst du raten.

Diebische Elster?, wer wohl? Und kein Dieb in der Nacht! Nein! Räuber, Tag und Nacht, und kann den Hals nicht vollkriegen!

Rabeneltern? Peepshow am Rabenhorst? Natürlich müssen schwarze Eltern schlechte Eltern sein, sonst wär´n sie ja nicht schwarz, oder?

Und die Wahrheit? ja wo bleibt sie denn? Und da kommt doch tatsächlich einer daher der behauptet: es gibt keine absolute Wahrheit, jeder hat seine eigene Wahrheit … Hilfloses Geschwätz – seine eigene Blindheit, die hat jeder – ja – und die Wahrheit?, wie gehabt: Kartoffelsack drüber, Augen zu und durch!, schnell durch – durch´s Leben durch!

*

Jetzt wüßte ich ja allzu gern wer, wie, was Du eigentlich bist! Ein Junge? Stell Dir vor ich würde Sie zu Dir sagen. Wär doch mega uncool! –

Doch vergessen wir einfach mal, wer wir sind. Geht nicht? Dann hat ja alles keinen Sinn, und statt weiter zu lesen sollten wir dieses Buch einfach in den Ofen werfen.

Was?! … kein Ofen mehr da? ach du liebe Güte, auch das noch! Und nun? Sein oder nicht sein, das ist jetzt die Frage!

Shakespeare – Hamlet – glaub ich.

Auch soll Shakespeare mal gesagt haben: Man is but the walking shadow of himself. (Der Mensch ist nur der wandelnde Schatten seines Selbst)

Ob er es gesagt hat oder nicht; Recht hat er!

Zum Glück gibt es aber noch die Vögel! Und die können, im Gegensatz zu einem gewissen H. P., wirklich zaubern … wenn man sie läßt.

*

Muß ja zugeben: hab sie auch ewig nicht gelassen. Nur so´n ganz bißchen vielleicht. Ob ich wollte oder nicht. Weil es eben Vögel waren.

Und ich – damals mehr so´ne Art kleiner, egozentrischer Durchlauferhitzer – doch dann … doch da … Verbindung zu einem fremden Wesen – das ich nicht brauchte wie Mutter, Vater, und den Teddybear – eine Verbindung zu einem ganz fremden Wesen … zu einem kleinen Zeisig …

Seine Stimme hat meine Seele berührt, sein Schicksal einen klitzekleinen Anker mir ins Herz gesenkt.

*

Muß so vier oder fünf gewesen sein. Kleines Dorf am Fluß, unten im Tal. Tannenwaldberge. Eine Handvoll Häuser. Zwei- drei dutzend vielleicht. Alle auf Schiefergrund. Schiefer auch auf Dächern und Wänden.

Flußabwärts, ein- zwei Minuten Vogelflug, die Blaue Mühle, dann die Rote Mühle und hier: Schwarzmühle.

Einwohner: ein- zweitausend: Zwei Kühe, Voigts Kühe. Zwei Pferde, Voigts Pferde. Über hundert Ziegen, jede Menge Schlachtkarnickel, Puten, Gänse, Hühner, vereinzelt mal ´ne Katze, ein paar Schweine, viele Tauben, Amseln, Meisen, Finken, Stare. Die Rabenvögel kann ich nicht zu den Einwohnern zählen. Die wohnen Außerhalb, weil´s besser ist. Maulwürfe, Fische … alle die im Wasser, und unter der Erde leben auch nicht – lassen sich nicht zählen.

Und Menschen? Mit mir sind es wohl so an die fünfzig- sechzig. Und dann war da noch der kleine Zeisig, der aus dem Nest gefallen war, den meine Mama aufgezogen hatte.

All die vielen Tiere um mich her, waren eben da. Ja.

Der Zeisig aber, sprach mit mir und wurde mir vertraut. Wichtelmännchen, die in den Märchenbüchern, sagen alle können sprechen, wie Menschen, mit richtigen Worten. Ich hab sie aber nie sprechen gehört. Die Zwerge auch nicht. Nicht einmal die Gartenzwerge.

Aber Pipsi, mit seiner kleinen Stimme. Sie hat mich berührt, mein Gesicht, und Sonnenstrahlen in mein Herz gemalt. Anders als alles andere war es; tief und schön und geheimnisvoll … und ein bisschen wie Zauberei.

Spinnen, Mücken, Ameisenpuppen in seinen kleinen Schnabel und viele grüne Raupen, von früh bis spät, den ganzen Tag. Dann begann er, so klein er noch war, im Zimmer umherzufliegen. Und dann … ich mag nicht daran denken … beschloß meine Mama meinen kleinen Vogelfreund in seine Freiheit fliegen zu lassen.

Meine arme Mutter: zwei kleine Jungen am Hals. Einer macht noch in´s Bett. Dazu noch ein Kind im Bauch und ein Wahnsinniger hat gerade den zweiten Weltkrieg vom Zaun gebrochen, und keine Voliere da. Nur die Wohnung. Im zweiten Stock. Viele Treppenstufen hoch. Und keiner hilft ihr. Nur ich; kleine grüne Raupen, Spinnen und Ameisenpuppen sammeln.

Wenn meine Mutter das Vogelkind wirklich schon fliegen läßt, wird es verhungern. Es muß ja noch lernen sich selbst zu ernähren. Drei- vier Wochen lang. Ich wußte das damals, als Kind, natürlich nicht. Aber meine Mutter, wußte die das denn auch nicht? Oder war es ihr einfach zu viel? Oder beides?

Er ist nicht schön, der Hungertod. Auch für einen kleinen Vogel nicht. Der noch dazu gerade erst aus dem Weltenseelenmeer in diesem Leben angekommen ist. Eine Voliere müßte her. Mit Erde, und Pflanzen auf denen kleine Raupen und Insekten rumkrabbeln, die er nach und nach, selber aufzupicken lernen kann. Dabei müßte er anfangs auch noch so alle halbe Stunde gefüttert werden.

Doch; ein Erlenbaum am Ufer der Schwarza. Mama setzt unser Vogelkind auf den untersten Ast. Ängstlich blicken seine Äuglein umher. Seine kleine helle Stimme ruft: „ tschib?“ „wo bin ich hier?“

Zaghaft fliegt er etwas höher in den Baum. „ tschib, tschib?“ „Mama, wo bin ich nur?“

Von Ast zu Ast fliegt er höher und … mit einem mutigen „tschib!“ fliegt er los, über die Schwarza, auf eine Erle am jenseitigen Ufer zu – fliegt mit seinen kleinen Flügeln, die ihn noch nicht weit tragen können, abwärts über das Wasser hin, und … fällt hinein.

Fassungslos schau ich zu, wie die dahineilenden Wellen unser in Todesangst flatterndes Vogelkind davontragen.

*

Dann war da noch ein Vogel zu dem ich eine Verbindung hatte, vor dem ich mich aber fürchtete: der Nachtrabe war´s, der unheimliche. Wenn der mich mal sieht, draußen, allein in der Nacht, ist´s um mich geschehen. Dann holt er mich und … Gänsehaut … schnell an was anderes denken!

Damals hat er mich noch nicht gekriegt. Erst viel, viel später. Was er dann mit mir gemacht hat? Verrate ich noch nicht – noch nicht.

*     *     *

Der Wahnsinnige ist tot. Der Krieg ist aus. Die Amerikaner gehen. Die Russen werden kommen. Meine Familie geht auch; nach Bremen- Blumenthal, zum Glück für … ja auch sie ist aus dem Nest gefallen, auf ´s Stroh, dem Milchwagenpferd vor die Hufe.

Das Pferd hat die Schwalbe angeguckt und sich dabei gedacht, daß da oben im Nest wohl wieder eine Drängelei gewesen sei. Das Pferd (es oder er heißt Gustav) schaute auf zum Nest; nichts, nur vier samtschwarze Kugelköpfchen über dem Nestrand, aus denen vier schwarzleuchtende Augenpaare herabschauten.

Die Schwalbenmama kam hereingeflogen; witt witt witt witt witt, flog wieder hinaus und schwatzte draußen weiter in ihrer Schwalbensprache, die der Milchmann, der gerade hereingekommen war, nicht verstand. Gustav wedelte mit den Ohren und ließ seinen Schwanz einmal leicht hin und her pendeln: die Alte regt sich auf, hat Gustav so in der Pferdesprache gesagt, denn mehr hat auch er nicht verstanden. Die Schwalbenmutter rief und suchte nach ihrem Mann. Sie hat sich schon sehr aufgeregt, als sie ihr Kind vor Gustav´s Hufen im Stroh liegen sah.

Doch kam sie gleich wieder hereingeflogen, mit ihrem Mann, landete vor ihrem Kind, sagte leise: witt witt witt und noch etwas, das aber auch Gustav diesmal nicht verstand: tut mir leid, Kleines, ich kann dir auch nicht aufhelfen. Aber frag doch den Menschen da mal, ob er dich zurück ins Nest legt.

Leider hat der Milchmann nichts verstanden. Und was nun? Dem kleinen Vogel Milch zu trinken geben, Butter, Käse, Kuchen, Torte oder Brot zu essen? Bloß nicht! Das alles wäre Gift für einen Schwalbenmagen! Davon würde die kleine Schwalbe Bauchweh bekommen und elendig dahinsterben.

Zu ihrem Glück, hat der Milchmann sie meiner Mutter gebracht. Die weiß, wie man Vogelkinder versorgt.

Mein kleiner Bruder Eckart und ich, haben den ganzen Tag Fliegen erschlagen. Die schmecken am besten. Alle zwanzig Minuten hat meine Mutter der kleinen Schwalbe mit einer vorne abgerundeten Briefmarkenpinzette Fliegen, oder weiße, frisch gehäutete Mehlwürmer in ihren weit aufgesperrten Schnabel gegeben. Es kam auch vor, daß sie vierzig Minuten, oder gar eine ganze Stunde auf ihre Mahlzeit warten mußte. Dann paßten gleich zwanzig oder mehr Bissen in ihren süßen kleinen Bauch.

Oder kann mir einer sagen, was noch schöner wäre, als ihr heller, fast weißer Bauch, ihre rostrote Kehle, ihr Babyschnabel, die winzigen Füßchen, die sich anfühlen auf der Hand, wie das Gebet eines Schmetterlings?

Und diese kleinen dunklen Augen!, so klein, und so groß wie die Welt.

Und so hilflos sie schauen, sind sie doch mächtig; denn sie können verzaubern, können Licht in verdusterte Seelen bringen.

Gibt es etwas Schöneres, als dieses Schwalbenkind? Nicht einmal meine Mutter oder Susan oder Silke sind schöner. Dabei ist es gewiß nicht, wie bei der norwegischen Ziegenmutter und ihren schönsten Kindern auf der Welt.

Die suchte und suchte sie noch immer, als schließlich der Bär aus dem Wald trat; „Lieber Bär“, sagte die Ziegenmutter. „ ich suche meine Kinder nun schon so lange, und kann sie nicht finden. Hast du sie vielleicht irgendwo gesehen?“

„Wie sehen sie denn aus, deine Kinder?“

„Ach, lieber Bär, es sind die schönsten Kinder die je in Feld und Wald herumgesprungen sind.“

„Nein, liebe Ziegenmutter, deine Kinder hab ich nicht gesehen. Weiter drinnen im Wald sprangen so kleine häßliche bockbeinige Tierchen mit Glubschaugen herum. Die hab ich aufgefressen. Deine Kinder aber, tut mir leid liebe Ziegenmutter, die hab ich nicht gesehen.“

Nein, mir kannst du schon glauben, ich bin nicht die Ziegenmutter. Und doch, manchmal fiel es mir schwer zu sagen, wer schöner ist. Wenn die kleine Schwalbe bei meiner Mutter auf der Schulter lag, an ihren Hals geschmiegt, unter ihrem dichten braunen Haar hervorlugte, kam es mir vor, als wenn der kleine Vogel machte, daß meine Mutter noch viel schöner wurde, als sie so schon war.

*

Die Schwalbe und meine Mutter waren unzertrennlich. Anfangs lag das Schwalbenkind nur auf der Schulter seiner Menschenmutter, die es zu seinen Mahlzeiten auf ihre Hand nahm, und dann zurück an ihren Hals legte. Dort lag es gemütlich oder glättete mit seinem breiten Schnabel seine Federn, und pulte die Spulenreste ab, die sie ganz unten noch umhüllten, sah meiner Mutter bei der Hausarbeit zu und ließ ab und zu hinten was runterfallen.

Eines Tages dann, als die kleine Schwalbe sich wieder mal sattgefuttert hatte, streckte sie ihre Flügel über die Hand meiner Mutter aus, und flog ihr auf die Brust, über die sie auf ihren Platz hochkletterte. Wenn sie aber mal nicht dorthin zurückgeht, und einfach wegfliegt, was dann? Ja, dann war´s das wohl gewesen!

Sie hat es ja noch nicht gelernt, ihre Nahrung, fliegende Insekten, im Flug zu erbeuten, und würde einfach verhungern.

Ein Mauersegler, ja, der kann das gleich, wenn er erst einmal in der Luft ist:

Auf dem Nestrand. Flügelschlagen. Krallenfüße halten fest … lassen los, fällt in die Welt, der Segler, in seine Welt der Lüfte.

Zum ersten mal in seinem Leben. Jubelt, ganz hoch – ziiiiiiiiii – seinen singenden Fernwehruf – gleitet mit ihm in Himmelsweiten.

Köstliche Insekten fliegen ihm in seinen aufgesperrten Schnabel, einfach so. Zum trinken muß er seinen Flug etwas abbremsen; die Regentropfen würden ihm zu heftig auf die Zunge schlagen.

Wenn dann die Sonne untergeht, über ihm die Himmelslichter erstrahlen, die Nacht sich tief unten über die Erde legt, die Eulen sich den Schlaf aus den Augen reiben, die anderen Vögel längst in ´s Land der Träume geflogen sind, schaltet der Segler einfach seinen uralten biologischen Autopilot ein, schließt die Augen, schwebt zwischen Himmelsleuchten und Erdendunkel umher und … träumt.

Und wovon träumt er denn wohl? Natürlich – von der Liebe. Und wenn es eines Tages dann tatsächlich soweit ist, kann er auch das ganz von allein – und auch das; im Flug – hoch über der Erde …

Die kleine Schwalbe aber; allzu weit können sie ihre viel schwächeren Flügel ja noch nicht tragen. Doch sicher weit genug, daß wir sie nicht wiederfinden würden. Irgendwo, auf einem Ast, würde sie landen, oder auf dem Erdboden gar. Ratlos hin und her gehen. Einsam und verlassen. Warten auf Mama, daß sie endlich kommt. Die aber kommt nicht, sie kann doch nicht fliegen, weiß nicht einmal, wo ihr Schwalbenkind jetzt ist.

Hunger, Durst, das kleine Herz tut weh vor Sehnsucht nach Mama, ja, wirklich, und aus Angst vor dem Alleinsein, in dieser so fremden Welt. Es wird Nacht. Schlimme Träume – und die Morgensonne, und Hunger und Durst, und sie will endlich zu Mama – fliegt los – witt witt!

Keiner hört sie. Ihr Stimmchen ist so leise geworden, mehr ein Flüstern, auch aus den Flügeln schwindet die Kraft. Sie sinkt zu Boden, klettert auf den Maulwurfshügel bei dem sie gelandet ist.

Witt, witt, witt! Hoch über ihr kreuzen Mama und Papa unter der Sonne. Gedankenschnell teilen ihre Flügel die Luft – hell klingen ihre Stimmen bis zu ihrem verlorenen Kind.

Witt witt, bitte bitte, hier ist euer Kind!

Heiseres Flüstern. Nicht mehr die Stimme einer Schwalbe.

Das Schlucken schmerzt, Hals und Zunge so trockenrauh.

Sie hören mich nicht!

Die kleine Schwalbe fröstelt unter der Sonne, und das Atmen wird so schwer.

Sie öffnet ihren Schnabel, japst nach Luft, immer mühsamer, immer länger die Pausen.

Angst und Verzweiflung in ihren Augen – Sehnsucht nach Liebe und Leben.

Sternchen leuchten auf In Nebel, winzige Blitze, Sternschnuppen, matte Müdigkeit im Schweif, Schlaflied summend.

Eine Welle rauscht auf sie zu, reißt sie mit sich fort … weit breiten sich ihre Flügel vor, zittern auf der Hügelerde bis Lebensglanz und Liebe in den Augen des Schwalbenkindes verlöschen, sie ins Unendliche schauen, und sich sein Köpfchen auf die Seite legt …

Einfach wegfliegen, und kann sich noch nicht selbst ernähren? Auf keinen Fall!

Und was nun? Wie soll die kleine Schwalbe denn lernen Insekten im Flug zu erhaschen, wenn sie nicht unter freiem Himmel umherfliegen darf? Es müßte einer mit ihr fliegen, sie begleiten. Ja, nur zu, aber wer? Na, wer denn wohl? Natürlich!, ihre leiblichen Eltern und Geschwister!, wer denn sonst?!

Wie das alles so unverhofft geschieht; meine Mutter hört die Glocke vom Milchmann: bimmelingeling!, und geht mit dem Schwalbenkind unter ihrem Haar auf den Milchwagen zu.

Da passiert ´s: witt witt, das Schwälbchen fliegt los, auf Gustav zu und landet auf dessen linkem Ohr. Doch da ist das Pferd wohl kitzelig. Es hebt den Kopf, wiehert laut und schlackert mit den Ohren. Erschreckt fliegt das Schwälbchen weiter – in einem großen Bogen zu meiner Mutter zurück, versteckt sich unter ihrem Haar, von wo es vorsichtig hervorlugt. Das Schwalbenkind kann also wirklich schon fliegen!

Wenig später sind wir, meine Mutter mit der Kleinen auf der Schulter, Eckart und ich im Milchwagenpferdestall und schauen auf zum Schwalbennest. Nur noch ein Kugelköpfchen im Nest, und sagt nicht einen Pieps. Dann: witt witt witt witt, saust die Schwalbenmutter herein zu dem Nesthäkchen, welches sie flügelschlagend empfängt; witt! witt! mehr! mehr!

Ein anderes witt witt, dicht am Ohr meiner Mutter. Schwalbenmutter erkennt die Stimme ihres Kindes sogleich – schaut zu uns her …

Da passiert´s: die Luft im Stall bebt – Schmetterlinge, unsichtbar, überall, sanftes Rot, wie von einer Schwalbenkehle abgefärbt und wie vom Schwalbenbauch: gedämpftes weiß.

Wieder wer gezaubert? Und wie!

Nornen flattern umher, als unsichtbare Schmetterlinge, dem Schicksal diesmal hinterher

Wage kaum zu atmen. Da steht sie, unsere Mutter, mitten im Stall, eine Zauberin – so schön war sie noch nie – streckt ihre Hand der Schwalbenmutter entgegen und sagt leise mit sanfter Stimme: komm nur, kleine Frau!

Was jetzt geschieht, hat keiner erwartet, schon gar nicht die Nornen.

Und ihnen mitsamt ihren Schicksalsfäden zum Trotz, sie sollen´s zufrieden sein … dafür dürfen sie ja jetzt auch als Schmetterlinge umherfliegen, wie sie wollen – und auch allem Unglauben zum Trotz, fliegt Frau Schwalbe auf meine Mutter zu, läßt sich auf ihrer Hand nieder und spricht sie direkt an: witt witt! Ihr Schwalbenkind scheint sie verstanden zu haben, und fliegt auf die Hand meiner Mutter zu ihr.

Dort sprechen sie leise miteinander. Die Zeit steht still. So nah beieinander – Vogel und Mensch! Dann, unverhofft, gleitet die Schwalbenmutter, witt witt, von der Hand und fliegt mit ihrem Kind aus dem Stall in den sonnigen Tag.

Reglos verharrt meine Mutter auf dem Fleck und betrachtet ihre verwaiste Hand. Ihre Augen werden feucht, und sie wischt sich, mit dem Handrücken auf dem eben noch ihr Schwalbenkind gewesen war, eine Träne von ihrer Wange. Dann seufzt sie, geht langsam aus dem Stall, schaut auf in den Himmel, sieht den Schwalben nach und sagt: „Ich freu mich ja nur so, daß die Kleine wieder bei ihrer Familie ist, auch wenn es weh tut, daß sie uns nun verlassen hat.“

Am späten Nachmittag hören wir durch das offene Fenster vielstimmiges witt witt witt, und laufen hinaus in den Garten. Hoch über uns jagen sieben Schwalben kreuz und quer über den Himmel. Das ist bestimmt unsere Schwalbenfamilie, und eine von denen … witt witt witt!, die Kleine ist auf der Brust meiner Mutter gelandet, klettert hoch, schmiegt sich an ihren Hals … viele kleine zärtliche Laute … und fliegt zu den Schwalben am Himmel zurück.

*

Jeden Tag hörten und sahen wir unsere Schwalbenfamilie, witt witt witt, über uns fliegen. Es waren immer sieben. Dann wurden es mehr: elf – sechzehn – fünfundzwanzig vielleicht, und seit gestern früh war keine einzige Schwalbe mehr zu sehen. Sicher haben sie gespürt, daß es naß und kalt werden wird, haben ihre Schwingen ausgebreitet, sind auf und davon der Sonne entgegen.

Auf und davon auch unsere kleine Schwalbe, die so viel sonniges Licht in unsere Herzen gegeben hat. Zurückgelassen hat sie uns in kaltem Grau.

Doch ein winziger Sonnenstrahl hat sich in einem heimlichen Winkel meiner Seele versteckt. Wie ein kleiner Tod hat es sich angefühlt, als unser Vogelkind uns verließ.

Die glücklichen Stunden mit ihm, hat der Strom der Zeit hinweg getragen. Für alle Zeit sind sie vergangen und kehren nie mehr zurück. Doch der kleine Sonnenstrahl, den unser Schwalbenkind in meiner Seele versteckt hat, wird dort sicherlich, auch für alle Zeit, lebendig sein.

*

Ich hab sie gespürt, die Seelen der Vögel, und mich von ihnen bezaubern und verzaubern lassen. Von dem Zeisig, der Schwalbe und … dem Nachtraben. Der war ja nicht nur bedrohlich. Er war auch sehr geheimnisvoll. Und seine machtvolle Stimme hoch über mir; rroa rroa rrrooo, sogar irgendwie verheißungsvoll.

Nach der Schwalbe kam erstmal kein Vogel mehr in mein Leben. Statt Dessen, oh weh! der Biologieunterricht am Gymnasium.

„Sind Automaten, die Tiere. Haben kein Bewußtsein. Von einer Seele ganz zu schweigen, die ja sogar beim Menschen ein großes Fragezeichen ist.“ Fragezeichen? Vielleicht sogar ein Ausrufungszeichen, was auch immer das bedeutet, ich wird ´s schon noch verraten!

Keine Seele, kein Bewußtsein, die Tiere, womit die Vögel, Fische Insekten auch gemeint sind. Sollte ich mir alles was ich, erst mit dem Zeisig, dann mit der Schwalbe erlebt habe, nur eingebildet haben?, mir was vorgemacht haben? Sollte ich gedankenlos und ohne jede Verantwortung der Wahrheit, der Realität gegenüber nur so rumphantasiert haben, wie Kinder es tun? Peinlich, peinlich!

Der kleine Sonnenstrahl, den das Schwalbenkind für alle Zeit in meinem Herzen versteckt hat, verliert sein Leuchten und verlischt.

Wo ist nur mein Instinkt, mein Verstand geblieben? – Ist wohl alles durch den Rost des Fußabtreters am Eingang der Schule in den Dreck gefallen …

Ja, wenn Tiere kein Bewußtsein, keine Seele haben, darf man mit ihnen umgehen wie es in der zivilisierten Menschenwelt eben auch geschieht.

*    *    *

Viele Winter sind über´s Land gegangen. Im Sommer 1968 war´s, … da öffneten sich meine zugeklappten Ohren der Vogelsprache wieder ein wenig. Ganz zaghaft nur. Bloß nicht zu viel verstehen! Könnte ja alles wieder nur Einbildung sein – und wenn nicht – müßte ich mich ja für meine dummen Vorurteile schrecklich schämen.

*

Eh´ ich´s vergeß: die vielen Winter, bis zum Sommer 68, möchtest du wissen was ich da alles so gemacht habe? Nein? Hab´s mir gedacht. Schnee von gestern. Laß doch einfach die folgenden Zeilen aus, und lese erst nach einem der nächsten Absätze, besser noch ab Teil 2, „die Vögel kommen“, weiter.

Und nun für die, die einfach alles wissen wollen: mit gerade mal zwanzig, Flucht und Befreiung aus Elternhaus und Schule nach Schweden – per Anhalter, mit zwanzig Mark in der Tasche, am fünften Mai.

Birken in zartes Grün gekleidet. In Dänemark empfängt mich ein großes Straßenfest; Tag der Befreiung von der deutschen Besatzung. Spreche nur Englisch, ist besser so.

Am achten Mai endlich in Krokwiken, Krähenbucht, im Värmland.

Meterdickes Eis auf den vielen Seen. Gedies Onkel nimmt mich auf. Der Wald auch. Als Holzfäller.

Noch zeigt der Winter sein kaltes Gesicht. Dann, über Nacht, hat Frühlingsatem helles Grün in die Birken gehaucht. Auch die Wiesen werden grün, über Nacht … dann weiß … ist der Winter zurückgekehrt? Und der Schnee?

Ein Duft weht herüber aus dem Schneeweiß der Wiese, dem Maischnee, den vielen, vielen riesengroßen Maiglöckchen.

Sie riechen ja so gut, doch ihr Duft soll giftig sein. Mein Großvater, in Hamburg, Professor der Medizin, pflegte zu sagen: allein die Dosis entscheidet darüber ob etwas zu Gift wird oder zu Medizin.

Es soll vorkommen, hat man mir versichert, daß jemand, bei dem Versuch über eine große Maiglöckchenwiese zu gehen, vom Maiglöckchenduft betäubt und getötet wird. So sterben?, wunderbar!, aber heute noch nicht!

*

Mittsommernacht. Tanz unter freiem Himmel. Bis dahin: Holzfäller in würziger Waldesluft.

Dann: Tellerwäscher in dampfiger Luft, mit Essensduft, in dem Restaurant Frimurerlogen in Örebro von 17°° bis 24°°. Später dann als Küchenhilfe. Die Zeit davor, von 8°° bis 16°°, Akkord am Fließband in einer Schuhfabrik.

Was das ist, Akkord? Es ist zum lachen und zum weinen zugleich. Völlig verrückt! Also; ich steh an so ner Art breitem Gummiband, den Mund mit Nägeln gefüllt, eine Hammerzange in der Rechten, einen noch unfertigen Stiefel in der linken Hand. Der ist eben auf dem Förderband bei mir angekommen. Der nächste kommt auch schon. Nun aber schnell!

Mit der Zange Leder über den Leisten ziehn, mit dem Daumen festhalten, mit der Zange einen Nagel aus dem Mund holen, das spitze Ende in´s Leder stechen, Zange drehn, mit der Hammerseite drauf haun, noch ein Nagel, genauso, und ab auf ´s Band – der nächste bitte! Ja, aber wer ist der nächste?, darauf eben kommt es an! Der wievielte es in einer Stunde ist.

Ich erkläre mal schnell das System: der Stundenlohn ist hier in Schweden bald zehnmal so hoch wie in der armen Bundesrepublik. Aber mal ehrlich, wer kann schon genug verdienen?!, ich bestimmt nicht, der ich den Pfennig immer zehnmal umgedreht hab, eh´ ich ihn dann doch wieder in die Tasche steckte. Denn es heißt, in Bremen jedenfalls, wer seinen letzten Pfennig ausgibt den pinkeln die Hunde an. Drum arbeite ich von früh bis spät, und vor allem am Fließband.

Das geht nämlich so: erst mal der Stundenlohn, der beträgt fünf Kronen, und das bis zwanzig paar benagelter Stiefel.

Fünfundzwanzig Öre pro Stiefelpaar also. Schafft man aber fünfundzwanzig Stiefelpaare in einer Stunde zu benageln, wächst der Stundenlohn um eine Krone und fünfundzwanzig Öre auf sechs Kronen und fünfundzwanzig Öre.

Das wäre logisch. Ist es aber nicht, denn für die fünf paar Stiefel die über zwanzig sind, werden pro Paar nicht fünfundzwanzig sondern das doppelte, also fünfzig Öre, also insgesamt zwei Kronen und fünfzig Öre gezahlt.

Damit ist der Stundenlohn durch fünf lumpige paar Stiefel auf sieben Kronen und fünfzig Öre gestiegen. Es kommt aber noch verrückter: waren es eben fünf paar Stiefel, die den Lohn um fünfzig Öre pro Stiefelpaar erhöhten, erhöht sich nun der Lohn für jedes weitere Stiefelpaar um zusätzliche fünfundzwanzig Öre. Ahnst du langsam was das bedeutet? Das kann man nicht ahnen, das kann man, wenn überhaupt, nur durch die Praxis begreifen.

Nehmen wir mal an, du stehst da am Fließband, die erste Stunde ist fast um. Du hast gearbeitet als ginge es um dein bisschen Leben. Dreiunddreißig paar Stiefel sind durch deine Hände gegangen, dabei hast du einen Stundenlohn erreicht von: fünf Kronen plus zwei Kronen fünfzig Öre für weitere fünf Paare, plus fünfundsiebzig Öre für das nächste Paar, plus eine Krone, plus eine Krone fünfundzwanzig Öre, plus eine Krone fünfzig Öre, plus eine Krone fünfundsiebzig Öre, plus zwei Kronen, plus zwei Kronen fünfundzwanzig Öre, plus zwei Kronen fünfzig Öre. Zwei Kronen fünfzig Öre, dafür mußtest du die ersten zehn paar Stiefel benageln, jetzt nur noch ein einziges Paar. Dein Stundenlohn beträgt nun inzwischen zwanzig Kronen und fünfzig Öre, also runde zwanzig D-Mark, der halbe Wochenlohn eines Arbeiters in der Bundesrepublik.

Doch soll man das Frühstück nicht vor dem Abend loben! Ein Teil davon, das Wasser, will wieder raus, ausgerechnet jetzt! Kann es nicht bis nach der Arbeit warten? Schnell zur Toilette! Besetzt! Warten, warten, endlich!, und dann auch noch schnell eine Zigarette im Raucherzimmer um den Frust zu dämpfen. Acht Paar Stundenschuhe eingebüßt. Damit ist mein Lohn nun auf sieben Kronen und fünfzig Öre zurückgefallen. Der Toilettengang und die Zigarette haben mich also dreizehn Kronen gekostet. So ungefähr sieht Akkordarbeit in Schweden aus.

Kleines möbliertes Zimmer am Stadtrand, viel zu weit draußen und viel zu teuer. Um sieben geh ich aus dem Haus, eine Stunde zu Fuß bis zur Arbeit. Von 16°° bis 17°° Freizeit, dann bis 24°° in der Spüle. Gegen 1°° noch völlig aufgedreht im Zimmer. Lese im Bett und rauche noch einige Marlboro bis ich gegen 3°° endlich schlafe.

6:30, kaltes Wasser in´s Gesicht, kleines Frühstück und auf zur Arbeit. Dreivier Stunden Schlaf ist wenig. Möchte an meine Grenzen kommen. Nach sechs Wochen ist es dann soweit: 6:30, komme nur mit Mühe hoch und … was ist denn das? Meine Oberschenkel fühlen sich so merkwürdig taub an. Ich bleib liegen, gebe die Schuhfabrik auf und wechsle von der Spüle in die Küche.

Irgendwie schien ich mich gar nicht zu mögen, in der Spüle, konnte mir nicht entkommen, und es wurden bis an die sechzig Zigaretten am Tag.

Die Arbeit in der Küche gefällt mir. Der Küchenchef kommt aus Halle, der erste Koch aus Österreich, die anderen Köche und Köchinnen aus Örebro. Wir verstehn uns alle gut untereinander und ich kann mir vorstellen, noch eine Weile in dieser Küche zu kochen und zu braten. Das könnte ich neben der Schule machen, und mich, von meinem Vater unbehelligt, doch noch auf das Abitur vorbereiten. Wer weiß wie lange mich Schule und Küche dann so binden, daß ich Schweden, in dieser Zeit, nicht mehr verlassen kann. Da will ich meine Eltern und Geschwister nochmal besuchen, eh der Schulunterricht beginnt.

*

Über Hamburg bin ich nicht hinausgekommen. Was ich mir dabei gedacht hab, erst mal bei meinen Großeltern zu bleiben, weiß ich nicht. Nicht mal, ob ich überhaupt gedacht hab. So bin ich dann, als Mädchen für alles, in einer Eisenwarenhandlung gestrandet.

Ich brauchte irgendeinen Job, damit ich in der Staatsoper … und das kam so: in dem Film „Ein Amerikaner in Paris“ beeindruckte mich die Primaballerina Leslie Caron so sehr, daß ich daraufhin in der Oper Balletunterricht nahm. So sportlich ich auch war, im Vergleich zu Leslie Caron kam ich mir wie ein Krüppel vor.

In Schweden nannte man mich Tarzan, weil ich mit Lust an der Gefahr immer wieder ein absolutes Tabu brach: wenn eine gefällte Tanne, noch sehr aufrecht, mit ihrer Krone in benachbarten Bäumen hängenblieb, kletterte ich in ihren Wipfel, schaukelte und sauste, auf ihrem Stamm stehend, mit ihr zu Boden. Man warnte mich: wenn sich der Baum dreht, und du unter ihn gerätst, wirst du von ihm erschlagen. Gefährlich war es schon, aber ich war ja sehr sportlich und behende. Und jetzt: ein Krüppel im Vergleich zu Leslie Caron, den Elevinnen und Eleven hier, und der Primaballerina Otti Tänzel, die uns trainiert.

Schönheit jeder Millimeter ihrer Gestalt. Schönheit jede ihrer Bewegungen. Schönheit jede Faser ihres Wesens. Souverän, bescheiden, empfindsam trainiert sie uns. Das härteste Training das ich mir vorstellen kann – aber himmlisch!

Das Wesen dieser Frau erfüllt den Saal mit den Stangen an den Wänden und den großen Spiegeln, verbindet sich mit uns. Unbeschreiblich schön, überirdisch irgendwie, losgelöst von der Welt der Schwerkraft, schweben, Einklang mit Musik und Rhythmus und anderen im Saal, Einklang, Nähe die anders ist als Nähe sonst zwischen Menschen, läßt mich eher an die Nähe zwischen der Schwalbe und meiner Mutter denken, oder zwischen den Schwalben im Sommerhimmel, schwerelos und grenzenlos.

Auch mein Körper verwandelt sich, wird zu einem Instrument das ich spiele, erst noch miserabel, aber die anderen! Ja, andere, neue Menschen, und doch sehr vertraut. Nein, nicht Menschen, Instrumente eben. Sehr schöne, sehr lebendige, sehr empfindsame Instrumente – die Musik in sich aufnehmen, und in Bewegung verwandeln.

Was sind da Worte?! Verwunschen ist der Saal mit den Stangen an den Wänden und den großen Spiegeln. Von dem Augenblick an, in dem ich ihn betrat, lebte ich nur noch für die Stunden die ich dort verbringen durfte. Und dann, ich weiß nicht warum, außer, daß ich wissen wollte, was das eigentlich ist, kam ich eines Tages in Munster in der Lüneburger Heide an, und wurde erst einmal Soldat. Verrückte Welt!

Nein, ein großer Tänzer würde ich nie werden, hat Otti Tänzel mir versichert. Nicht talentiert genug. So wurde ich erst einmal Bundeswehrsoldat. Sechs Monate Soldatenleben reichten mir.

Die meiste Zeit der nächsten sechs Monate verbrachte ich, mit einer Handvoll Dachdeckern, auf Haus- und Kirchendächern in Blumenthal – für sechzig Pfennige Stundenlohn.

Auch wenn ich kein großer Tänzer würde – dennoch – das Training mußte sein. Arbeiten –nicht als Holzfäller im Wald, als Tellerwäscher, Küchenjunge oder als Panzergrenadier Tötungsgeräte durch die Heide asten – mit Freude körperlich arbeiten – nicht für Geld – ganz allein, nur für mich …

Der Ballettunterricht in Bremen kostete vierzig Mark im Monat, ungefähr ebensoviel Bus- und Bahnfahrt. Ich mußte mehr verdienen!, und landete im Flugzeugbau.

Siebzig Mark Wochenlohn! das war doch was! Fünf Jahre verbringe ich dort. Direkt nach der Arbeit in Bremen, Training von 18°° bis 20°°. Im Jugendheim Alt Aumund, in Vegesack, bau ich meine eigene Ballettgruppe, in Verbindung mit einer Laienspielgruppe auf.

Daß ich die vielen Stunden, Tage und – man stelle sich das mal vor – Jahre, mit der Arbeit im Flugzeugbau vergeude, ertrage ich nur, weil sie mir den Tanz, den ich zum Leben brauche wie die Luft zum Atmen, ermöglicht. Disziplin hier, Disziplin da, pünktlich zur Arbeit, mit Stechuhr, pünktlich zum Training, Körperbeherrschung und Ausdauer.

Alles ist eingeteilt; Arbeitsbeginn, Feierabend, Urlaub … und im Urlaub geschah es, in der Schnitzschule in Garmisch – Partenkirchen.

Maskenball. Eine Schülerin hat mir den Kopf verdreht und dazu noch die Unschuld genommen – und das gleich zweimal. Einmal wie üblich und dann … gründlich wachgerüttelt hat sie mich aus einer Art, so ´ner Art Mumienschlaf muß es wohl gewesen sein.

Verrückte Geschichte! Hab nur ihre Augen leuchten gesehen, hinter der Maske. Nur ihre Augen.

Das ginge ja noch, wenn wir … sie wußte nicht wie ich aussah und ich wußte nicht wie sie aussah – und hatten einen Date.

Zum Skifahren hatten wir uns verabredet. Oben auf dem Wank wollten wir uns treffen. Aber keiner wußte mit wem, wir hatten uns ja nur maskiert gesehen.