IMPRESSUM
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© Roman by Author
© Cover: Kathrin Peschel nach einem Motiv von Klaus Dill, 2019
Lektorat/Korrektorat: Kerstin Peschel
© dieser Ausgabe 2019 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
www.AlfredBekker.de
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Nach einer bislang erfolglosen Suche nach Santer, dem Mörder von Intschu-tschuna und Nscho-tschi, macht sich Old Shatterhand auf den Weg, um endlich seinen Blutsbruder Winnetou zu treffen, doch auf seinem Ritt in das Lager der Apachen findet er einen Mann in seinen letzten Atemzügen in der sengenden Hitze liegen und das Letzte was der von sich gibt, war ein Name: Fred! Sollte das wirklich der gesuchte Santer sein? Auch findet Shatterhand bei dem Toten einen Zettel, der darauf hinweist, dass er soeben eine Spur zu dem gesuchten Verbrecher gefunden hat. Doch Santer hat inzwischen mächtige Verbündete um sich geschart, die nicht davor zurückschrecken, den Stamm der Apachen und alle die ihm, Santer, in die Quere kommen, zu vernichten …
***
- Begegnung -
Ein wunderbares Gefühl der Freiheit durchzog mich, als ich mich im Sattel des Fuchses leicht aufrichtete, die warme, würzige Luft der trockenen Ebene einzog, die mir in die Nase stieg, als ich an diesem frühen Morgen einen raschen Ritt aus Albuquerque unternahm, der mich zu meinem Blutsbruder Winnetou und seinen Apachen führen sollte. Die Hochgrassteppe, die sich vor mir ausdehnte, reichte bis zur berüchtigten Llano Estacado, den Staked plains, in dem ich bereits einige Abenteuer zu bestehen hatte.
Victor von Scheffler, der geniale Erfinder verschiedener Dampfmaschinen und Geschäftspartner eines gewissen F.W.A. Santer, hinter dem ich den Mörder von Intschu-tschuna und Nscho-tschi vermutete, blieb in dem neu gegründeten Büro der Firma Scheffler, Santer & Co in Albuquerque zurück, um die Ankunft seines Partners zu erwarten. Ich aber war auf dem Weg zu den Apachen.
Winnetou!
Was würde dieser herrliche Apache wohl sagen, wenn er mich so unvermutet in seinem Dorf sehen würde – und was zu den Nachrichten über die Entdeckung, die ich gemacht hatte? Alles hatte mit einer Zeitungsnotiz über einen Goldbaron in San Francisco begonnen, die ich zufällig bei meinem neuerlichen Aufenthalt in New Orleans entdeckte. Leider erschwerte der Bürgerkrieg meine Reise und brachte mich auch in Gefahr, als die Stadt Greenwood plötzlich unter Kanonenbeschuss geriet.
Mit den beiden Trappern Nick Sayers und Ben Johnson gelang es mir, über das weit verzweigte System der verschiedenen kleineren Flüsse, Bayous und Seen schließlich an den Fourche La Fave im Staat Arkansas zu kommen, wo ich nicht nur die Bekanntschaft der Farmerfamilie Somerset machte, sondern auch – nach einer unangenehmen Begegnung mit marodierenden Soldaten der Konföderierten Armee – Baron Victor von Scheffler traf. Gemeinsam unternahmen wir dann eine Reise in seiner komfortablen Lokomobile, und wurden unterwegs von Comanchen angegriffen. Den Kriegern galt auch jetzt meine Sorge, denn es gab mehrfach Gerüchte in der Stadt von umherstreifenden Indianergruppen, die stets gut bewaffnet waren und auf die ihnen begegnenden Weißen ohne Vorwarnung schossen.
Aus diesem Grund hielt ich den Stutzen quer über dem Sattel bereit, und trotz meiner Begeisterung für diesen Ritt ließ meine Aufmerksamkeit auch nicht einen Moment lang nach.
So entgingen mir die dunklen Punkte am Horizont nicht, die sich im Näherkommen als das herausstellten, als das ich sie gleich eingeschätzt hatte: Geier, die über ihrer Beute schwebten und darauf warteten, dass sie sich nicht mehr bewegte. Rasch trieb ich den Fuchs zu erneutem Galopp und hielt auf den Fleck zu, über dem die Aasvögel kreisten.
Dann erkannte ich den Körper eines toten Pferdes und nicht weit davon die Umrisse eines Menschen. Schnell war ich aus dem Sattel und beugte mich über die Person, die ein stark von der Sonne verbranntes Gesicht hatte und völlig bewegungslos neben dem Tier auf dem kargen Erdboden lag. Es handelte sich um einen Mann von vielleicht vierzig Jahren, körperlich nicht übermäßig kräftig, und gekleidet wie ein einfacher Farmer: Baumwollhemd, Hose aus derbem Stoff, einfache Stiefel, keinerlei Waffen – aber er musste sich noch bewegt haben, denn noch immer wagten sich die Geier nicht näher heran.
Ich hob seinen Kopf leicht an und spürte ein Flattern der wie verklebt wirkenden Augenlider, und dann entrang sich dem Mann ein leises Stöhnen. Meine Wasserflasche nutzte ich, um etwas von der Flüssigkeit in die hohle Hand zu gießen und ihm damit die Lippen anzufeuchten. Es dauerte einen Moment, aber dann bewegten sich seine aufgesprungenen, trockenen Lippen und ich wiederholte den Vorgang. Jetzt öffnete sich sein Mund etwas, und ich flößte dem Mann weitere Flüssigkeit ein. Das löste den Schluckmechanismus aus, und plötzlich kam Bewegung in den Mann. Er bemühte sich, den Kopf noch etwas weiter zu heben und die Augen zu öffnen, was ihm jedoch nicht gelingen wollte.
Noch etwas mehr von der lebenswichtigen Flüssigkeit, und ich sah, wie sich seine Zunge langsam hin und her bewegte. Der Mann war aber so schwach, dass ich fürchten musste, er würde sein Bewusstsein nicht wiedererlangen.
Immer wieder versuchte ich, ihm etwas Wasser einzuflößen, als sein Körper plötzlich von einem trockenen Hustenschauer ergriffen wurde und er sich gequält aufbäumte. So viel Kraft hatte ich in dem geschwächten Körper nicht mehr vermutet, und tatsächlich gelang es ihm jetzt sogar, die Augen aufzureißen, aber nur, um sie gleich darauf wieder, von der grellen Sonne geblendet, zu schließen.
„Können Sie mich hören?“, fragte ich laut, aber der Mann lag nach dieser Anstrengung schon wieder wie erstarrt, und jetzt galt es, ihm eine etwas günstigere Lage zu verschaffen. Er musste vor allen Dingen aus der brütenden Sonne gebracht werden. Also zog ich ihn hoch, legte ihn mir auf die Schulter und brachte ihn hinüber zu meinem Fuchs, der ein ängstliches Schnauben hören ließ.
„Ruhig, ganz ruhig, alles ist in Ordnung!“, sagte ich mit beruhigendem Tonfall, und legte den Ohnmächtigen behutsam über den Widerrist des Tieres und führte es hinüber zu einer Gruppe von Joshua Trees, die eine beachtliche Höhe erreichten und mit gut einem Dutzend Bäumen zwar keine echte Oase in der Gluthitze der Wüste bildeten, aber doch für ein wenig Schatten sorgten. Diese Agavengewächse werden in dieser Steppe bis zu fünfzehn Meter hoch und recken ihre Arme mit den gezahnten, grünen Blättern in den blauen Himmel. Übrigens ist diese Wuchsart auch die Ursache für die Namensgebung. Hier durchziehende Mormonen gaben ihnen den Namen nach dem Propheten Joshua, der seine Arme zum Himmel hob.
Diese Pflanzen hatten alle Stämme im Meterumfang und dementsprechend kräftige Arme, die zumindest so viel Schatten erzeugten, dass ich es wagen konnte, den Erschöpften dort abzulegen und meine Bemühungen um ihn fortzusetzen. In der Zwischenzeit sank die rotglühende Sonne langsam zum Horizont, und obwohl sich die Luft damit nicht abkühlte, war doch das Fehlen ihrer sengenden Strahlen eine Erleichterung. Inzwischen hatte ich aus dem Halstuch des noch immer Ohnmächtigen eine nasse Bandage um seine Stirn gemacht und wartete im Übrigen das Geschehen ab. Ein-, zweimal hatte er nur einen tiefen Seufzer von sich gegeben, blieb aber weiter in seinem Dämmerzustand und reagierte auf keinerlei Ansprache. Während ich ihn ständig beobachtete, richtete ich mich auf eine Übernachtung an dieser Stelle ein und verzehrte etwas von dem mitgenommenen Hirschschinken und dazu ein Stück Brot, das ich mir noch in einem Store in Albuquerque gekauft hatte.
Die unerträgliche Hitze wich allmählich den erträglicheren Abendtemperaturen, und als ich erneut versuchte, dem Mann etwas Wasser einzuflößen, gelang mir das auch, und ich hatte kurz den Eindruck, dass er sogar sprechen wollte. Aber letztlich blieb es bei einem krächzenden Laut, und als dann ziemlich rasch die Dunkelheit hereinbrach, wurden die Temperaturen erträglich. Ich rechnete damit, am nächsten Tag das Gebiet der Mescalero-Apachen zu erreichen, aber mit dem erschöpften Unbekannten wäre das kaum möglich. Auch der Weg zurück bot keinerlei Aussicht auf Besserung, denn wir befanden uns mehr als einen Tagesritt von Albuquerque entfernt. So hoffte ich also auf die kühle Nacht und die gesunde Kraft des Körpers, um eine Veränderung zu erreichen.
Wasser hatte ich ausreichend zur Verfügung, auch für mein Pferd führte ich einen eigenen, ledernen Wasserschlauch am Sattel mit. Schließlich kannte ich diese Gegend zur Genüge und wusste, wie überlebenswichtig das Wasser für einen einzelnen Reiter sein konnte.
Die gewünschte Veränderung bei dem Unbekannten trat auch ein, allerdings in anderer Weise, als von mir erhofft.
Es mochte wenig nach Mitternacht sein, als ich erwachte.
Der Fremde war offenbar in der kühlen Nachtluft zu sich gekommen und hatte sich bewegt, dann kam wieder ein krächzendes Husten. Ich ging zu ihm und flößte ihm erneut etwas Flüssigkeit ein. Nach einigen vergeblichen Versuchen erkannte ich im Licht des hell scheinenden Vollmondes, dass der Mann die Augen geöffnet hatte und wohl versuchte, mich zu erkennen.
„Fred?“, flüsterte er heiser, und ich hob erneut die Kalebasse an seine Lippen. Aber er wollte nicht mehr trinken, sondern wiederholte mit einem heiseren Krächzen den Namen.
Ich beugte mich über ihn und sagte:
„Nein, ich bin nicht Fred. Ich habe dich neben deinem toten Pferd gefunden, dich in den Schatten einiger Joshua-Bäume gebracht und dir Wasser gegeben. Was ist passiert? Kannst du sprechen?“
Der Mann versuchte, den Oberkörper aufzurichten, was ihm aber nicht gelang.
Mit einem Stöhnen sank er wieder zurück, und für eine Weile schwieg er, bevor er erneut versuchte, etwas zu sagen.
„Fred und … ich … Mescalero … Wüste … Silber … ich …“
Der Rest erstarb wieder in einem Krächzlaut, und ich stützte den Mann, um ihm noch einmal das Wasser anzubieten, aber er bog den Kopf beiseite.
„Fred … Partner … Verrat. Tötete … Partner … ich …“
„Heißt dieser Fred vielleicht mit Nachnamen Santer?“, sagte ich spontan, denn mir war der Gedanke im Zusammenhang mit dem Wort Silber gekommen.
„Santer!“, stöhnte der Mann und zuckte heftig zusammen. „Mörder … mein Partner … tot in der Hütte … ich kam zu spät …“
Wieder schien sich der ganze Körper wie im Krampf zusammenzuziehen, gleich darauf streckte er sich aus. Ich lauschte, aber der Mann blieb stumm, und als ich mich über ihn beugte, war ich mir sicher, dass er eben seinen letzten Atemzug gemacht hatte.
Eine Weile blieb ich noch still neben ihm sitzen, aber es gab keinen Zweifel mehr. Der Mann war tot, vermutlich durch seine Flucht vor dem Partner ohne ausreichendes Wasser in der heißen Steppe ausgetrocknet und schließlich, trotz meiner Bemühungen, gestorben. Allmählich begann ich, ein Grab an einem der Joshua-Stämme auszuheben, aber bevor ich ihn dort hineinbettete, untersuchte ich die Taschen seiner Hose und fand einen mehrfach gefalteten und ziemlich brüchigen Bogen Papier, der wie ein Brief aussah.
Vielleicht konnte er mir Hinweise auf die Identität des Toten geben, vorerst barg ich ihn behutsam in meiner Brieftasche, wobei mir beim Öffnen das schmale Heft wieder in die Hand fiel, das ich kürzlich im Haus des verstorbenen Diggers gefunden hatte. Bislang hatte es mir an der Zeit gefehlt, mich damit gründlicher zu beschäftigen. Ich nahm mir vor, es bei nächster Gelegenheit nachzuholen. Konnte es denn sein, dass der Tote in der Hütte vor dem Mineneingang, dieser Mann hier und ein gewisser Fred Partner waren? Dann hatte Fred einen von ihnen ermordet und die Hüttentür vernagelt, während dieser Mann, der nun vor mir liegt, irgendwo unterwegs gewesen sein musste. Aber es musste sich so verhalten haben, dass der Tote bei der Mine noch lange genug gelebt hatte, um seine Aufzeichnungen aus dem Versteck zu holen. Doch durch die vernagelte Tür kam er in seinem geschwächten Zustand nicht mehr aus der Hütte.
Dann setzte ich meine traurige Arbeit fort und schloss das Grab des unbekannten Mannes mit einem kleinen Sandhaufen.
In aller Frühe brach ich wieder auf, um noch eine bedeutende Strecke vor der großen Tageshitze zurückzulegen. Ein letzter Blick zurück zu der Stelle, wo ich den Unbekannten entdeckt hatte, zeigte mir den Kadaver seines Pferdes dicht umringt von den Aasvögeln, die mit ihrer ekelhaften Mahlzeit begonnen hatten. Ich wandte mich ab, konnte einen leichten Schauer nicht vermeiden, sagte mir aber schließlich, dass dies der Kreislauf der Natur war und die Geier letztlich auch überleben mussten.
Es trat jedoch ein Ereignis ein, das mich erneut aufhalten sollte und mich in der Gegend des Pueblos der Mescaleros hinderte, meinen Ritt fortzusetzen. Glücklicherweise hatte mich Winnetou unterrichtet, wo sich die Wasserlöcher der Apachen befanden, die ihnen bei ihren Zügen durch das unwirtliche Land jederzeit ausreichend Wasser für Mensch und Tier zur Verfügung stellten. An einem dieser Wasserlöcher legte ich eine Rast ein, denn es waren noch etwa drei Reitstunden bis zum Pueblo, und die Sonne brannte unbarmherzig von einem wolkenlos blauen Himmel herunter.
Dieses Wasserloch befand sich inmitten einer kleinen Felsengruppe und lag so verborgen, dass selbst ich irrte und zweimal daran vorüberlief, bis ich mich zwischen die Steine setzte und versuchte, mich zu konzentrieren. Das war hier ganz besonders schwierig, denn die Felsen gaben die Hitze der starken Sonne ab, der Schattenfall der größten Steine war nur gering, und inzwischen lief mir der Schweiß in Strömen den Rücken hinunter. Dann erinnerte ich mich daran, wie Winnetou mich an diese Quelle geführt hatte und ich verwundert auf den Sand starrte, der nicht das geringste Anzeichen eines Wasserlaufes aufwies.
Ich tastete den Boden um mich herum ab und schrak zurück.
Der Sand war glühend heiß und schien auf den Fingern zu brennen. Aber ich hielt durch, schob die Fingerspitzen tiefer hinein und hatte endlich das Gefühl, das mir in einer gewissen Tiefe angenehme Kühle entgegenschlug. Ich hatte die Quelle gefunden, tastete behutsam den Rand ab und fand schließlich die Matte, die man darüber gelegt und mit Sand abgedeckt hatte.