Den
gegenwärtigen und künftigen
Mitbürgern und Mitbürgerinnen von
Oberhausen-Rheinhausen
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www.oberhausen-rheinhausen.de
© 2016 Gemeinde Oberhausen-Rheinhausen
2. Auflage (2016)
Umschlaggestaltung, Illustration: Isabella Riffel, Gemeinde
Oberhausen-Rheinhausen
Text: Josef Rothmaier
Bilder: Theo Zieger
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783741220753
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Gemeinde Oberhausen-Rheinhausen unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Leser,
„Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.“ (Christian Morgenstern)
Verstanden werden kann vielerlei Bedeutung haben, gerade in der heutigen Zeit.
Zum einen bedeutet es, dieselbe Sprache zu sprechen wie sein Gegenüber. Doch Deutsch macht nicht an Landesgrenzen halt, es kann an vielen Orten der Welt verstanden werden. Dann gibt es noch umgangssprachliche Wortschätze, die innerhalb einer Region, eines Landkreises oder Bundeslandes gesprochen werden, wie Badisch, Sächsisch oder Bayrisch. Und zu guter Letzt veränderte sich Sprache sogar ortsspezifisch, denn wo manch einer „Windbeitl“ sagt, meint der andere „Windbeutel“. Trotz dieser anscheinenden sprachlichen Barrieren versteht man sich dennoch, strengt man sich ein wenig an. Vor allem in der Fremde erhält man sich ein Stückchen Heimat, wenn man auf jemanden trifft, der denselben Dialekt spricht.
Verstanden werden bedeutet jedoch noch viel mehr als Sprache. Es bedeutet auch dieselbe Geschichte erlebt zu haben, oder ganz einfach dieselbe Geschichte zu kennen wie der andere. Heimatgeschichte trägt einen großen Teil dazu bei, das Wort „Heimat“ bei einem Menschen zu verankern. Die Geschichte des Ortes, an dem er lebt, vielleicht sogar geboren wurde, ist wichtig in vielen Lebenslagen. Woher bekam das Gasthaus zur Post seinen Namen? Wie erging es der Gemeinde in den beiden Weltkriegen? Wie oder wann entstanden die heutigen Straßennamen.
Dieses Heimatbuch entstand 1997 aus der Feder von Josef Rothmaier, fünf Jahre nach dem Eintritt in den Ruhestand. Es wurde in mühevoller Arbeit geschrieben, Bilder wurden zusammengestellt und eine Auflage von 2.000 Exemplaren gedruckt. Ende 2015 wurden die letzten Exemplare verschenkt, doch die Nachfrage blieb bestehen. So entschied man sich für eine Neuauflage des Werks, um Josef Rothmaiers heimatgeschichtliche Schilderung weitergeben zu können.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen der zweiteiligen Aufstellung der Heimatgeschichte von Oberhausen-Rheinhausen, damit auch Sie die Geschichte dieser Gemeinde verstehen und verstanden werden können.
Martin Büchner
Bürgermeister
Sehr geehrte Leser,
liebe Mitbürgerinnen,
liebe Mitbürger
Heimatgeschichte ist immer Teil der großen Geschichte und kann nicht losgelöst vom Geschehen in der Welt betrachtet werden. Ereignisse in entfernten Regionen haben auch immer Auswirkungen auf das Leben in unseren Dörfern und Städten. Wenn nun schon Vorgänge in anderen Teilen Europas auch bei uns spürbar wurden, so hat die unmittelbare Nähe zu Philippsburg unsere Ortsgeschichte besonders nachhaltig beeinflusst.
Heimatgeschichte von Oberhausen und Rheinhausen ist deshalb ohne Einbeziehung der Geschehnisse um die ehemalige Reichsfestung am Rhein undenkbar. Aber auch die beinahe 500-jährige Zugehörigkeit zum Bistum Speyer hat Spuren hinterlassen. Deshalb führt das Wissen um die Wechselwirkungen zwischen Ortsgeschehen, Regionalgeschehen und Weltgeschehen zu besseren Verständnis der Geschichte unserer engeren Heimat.
„Große Weltgeschichte“ vollzieht sich nicht irgendwo in einem für uns unerreichbaren Land. Gegenwärtiges Geschehen wird in jedem Ort nach einer gewissen Zeit zur Geschichte. Dabei stellt sich dann heraus, ob die Lokalgeschichte auch von überregionaler Bedeutung war. Was den Zugang zur Vergangenheit erschwert, ist die zeitliche und räumliche Distanz. Hier helfen uns Berichte von Zeitzeugen, die uns unmittelbar teilhaben lassen an den Geschehnissen von früher. Unser Interesse wird geweckt, denn wir fühlen uns in den Kreis der Handelnden mit aufgenommen. Wenn solche Quellen vorhanden waren, wurden sie in diesem heimatgeschichtlichen Lesebuch berücksichtigt.
Was die Örtlichkeiten betrifft, in denen sich „unsere Geschichte“ abspielte, so sind alle Fluren und Gewanne noch vorhanden. Wohl hat die Landschaft im Laufe der Jahrhunderte ihr Aussehen stark verändert. Aber wer es fertig bringt, die heimische Umgebung mit wissenden Augen zu betrachten, fühlt sich in ihr ganz zu Hause. Der aufmerksame Leser wird Teil dieser Heimat, weil ihn viele Wege, Gebäude und Plätze an die Geschehnisse vergangener Zeiten erinnern.
So hat der Autor, Herr Rektor a. D. Josef Rothmaier, versucht, einige Auswirkungen europäischer Geschichte auf unseren Raum ursächlich aufzuzeigen. Dem Leser soll bewusst werden, dass zeitweilig auch bei uns „Weltgeschichte“ stattfand, und dass wir in einer für die Geschichte interessanten Gegend beheimatet sind. Wenn die Art der Darstellung es noch fertig bringt, dass dieses Buch ein Lesebuch für Viele wird, ist das Ziel erreicht: Das Interesse an der großen Vergangenheit unserer Heimat zu wecken.
Die Gemeinde Oberhausen-Rheinhausen als Herausgeber dieses heimatgeschichtlichen Lesebuches bedankt sich sehr herzlich bei allen, die mit dazu beigetragen haben, dass dieses Werk nach fünfjähriger Arbeit der Öffentlichkeit vorgestellt werden kann. Insbesondere gilt der Dank dem Autoren, Herrn Josef Rothmaier, Herrn Theo Zieger von den Fotofreunden Oberhausen, der für die Fotoauswahl und Gestaltung verantwortlich zeichnet, aber auch den Mitbürgerinnen und Mitbürgern für die vielfältige Unterstützung
Den Leserinnen und Lesern wünsche ich, dass sie bei der Lektüre dieses Lesebuches so gefesselt sind, wie ich es beim Lesen des Entwurfes war. Viel Spaß dabei!
Klaus-Dieter Heller
Bürgermeister a.D.
Eine Ortsgeschichte kann nicht erst mit dem Auftreten der ersten Ansiedler beginnen. Die Menschen der Vorzeit haben sich in der Regel nur dort niedergelassen, wo sie für ihr Leben gute Bedingungen vorgefunden haben. Es ist also die Natur der Landschaft, die unsere Vorfahren sesshaft werden ließ.
Diese natürlichen Gegebenheiten haben sich in vielen Millionen von Jahren herausgebildet, als noch keine Menschen auf der Erde waren. So ist auch die Oberrheinische Tiefebene entstanden, in der wir leben. Da, wo heute der Rhein fließt, befand sich der Kamm eines hohen Gebirges, das vom heutigen Basel bis zum Taunus reichte.
Dieser Gebirgszug sank der Länge nach in der Mitte mehrere Hundert Meter unter den Meeresspiegel. Allmählich entstand ein etwa 300 Kilometer langer und 40 Kilometer breiter Graben, der nach und nach mit Geröll, Schutt und Wasser aus den noch verbliebenen Randgebirgen aufgefüllt wurde.
Es ist kaum zu glauben, dass der Schwarzwald und die Vogesen, aber auch der Odenwald und die Pfälzer Haardt, einmal ein zusammenhängendes, großes Gebirge waren. Die Verschiebungen in der Erdrinde dauern heute noch an. Diese Vorgänge - wenn es sich nicht gerade um Erdbeben handelt - vollziehen sich jedoch derart langsam, dass ein Menschenleben zu kurz ist, um Veränderungen dieser Art feststellen zu können.
Zeugen erdgeschichtlicher Zeit sind die bekannten Badeorte an den Rändern dieses „Grabenbruchs” mit ihren mineralhaltigen, zum Teil auch warmen Wassern. Bei uns ist es der Kies, der abgebaut wurde. Riesige Baggerseen entstanden, die nach Beendigung der Ausbeute in der Regel in Freizeitzentren umgewandelt wurden. Am Rande von lehmigen Flächen entstanden Ziegeleien, und bis in die Dreißigerjahre unseres Jahrhunderts wurde bei uns sogar Torf gestochen. Der Sand aus den Sandgruben diente zum Hausbau, und auf den großen Sandflächen der Gemarkungen konnten Tabak und Spargel angepflanzt werden.
Der Einfluss der verschiedenen Erdzeitalter auf das Leben in unserer Region zeigte sich nicht nur an den sichtbaren Veränderungen der Landschaft. Lebensräume sind mehr als nur Berge, Täler und Flüsse. In der Hauptsache sind es die klimatischen Verhältnisse, welche für bestimmte Pflanzen und Tiere mehr oder weniger günstig sind. Deshalb führten Veränderungen der jeweiligen Lebensbedingungen zum Aussterben vorhandener Arten. Die ausgedehnten Kiefernwälder der Nacheiszeit sind nicht mehr da, die ganze Vegetation hat sich verändert. Riesenhirsche, Wildpferde, Auerochsen, Säbelzahntiger und das Mammut, welche ebenfalls bei uns beheimatet waren, sind ausgestorben. Beweis für ihre Existenz sind Funde von Knochen in unseren Kiesgruben.
Im August 1943 und im September 1944 fanden in Quebec Konferenzen zwischen Roosevelt und Churchill statt. Die auf der zweiten Konferenz von dem US-Staatssekretär Henry Morgenthau vorgelegte Denkschrift, die in die Geschichte als „Morgenthau-Plan“ einging, sah vor, an Saar und Ruhr die Industrien und den Bergbau zu zerstören und Deutschland in ein Agrarland zu verwandeln. Außerdem enthielt diese Schrift auch Pläne über Gebietsabtretungen an Nachbarstaaten, und nach Kriegsende die Einteilung Deutschlands in 4 Besatzungszonen.
Präsident Roosevelt und Premierminister Churchill unterzeichneten zwar dieses Schriftstück, rückten aber später wieder davon ab, als Außenminister Hull und Kriegsminister Stimson starke Bedenken äußerten. Aus diesen und anderen Gründen wurde der Plan auch nicht weiter verfolgt. Aber Gedanken des Dokuments haben noch einige Zeit die Nachkriegspolitik der Amerikaner gegenüber Deutschland beeinflusst. Beweis dafür ist die amerikanische „Instruction Nr. 1067“.
Erst als den Regierungen der Hoover-Bericht von 1946 / 47 über die Lage in Europa vorlag, distanzierten sie sich von den Ideen Morgenthaus. Inzwischen zeichneten sich bereits Konflikte (=„Kalter Krieg“) zwischen der Sowjetunion und den Westmächten ab, sodass niemand mehr im westlichen Lager etwas von dem Plan wissen wollte. Aber die „Potsdamer Konferenz“ von 1945, - aus dem gleichen Geist geboren - hatte bereits Tatsachen von weittragender Bedeutung geschaffen: Die „Vertreibung der Deutschen“ und die „Oder-Neiße-Linie“.
Die Schaffung der „Oder-Neiße-Linie“ stellt ein Paradebeispiel sowjetischer Diplomatie und westlicher Schlafmützigkeit dar: Stalin schlug auf der Konferenz in Jalta vor, die Oder und die Görlitzer Neiße bis zur endgültigen Regelung durch einen Friedensvertrag als polnische Westgrenze festzulegen. Churchill und Roosevelt hatten Bedenken gegen die Görlitzer Neiße, unternahmen aber sonst nichts.
Als die Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 zusammentrat, hatte die Sowjetunion schon im März zuvor die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie an Polen übergeben und damit Tatsachen geschaffen. Außerdem war die Vertreibung der deutschen Bevölkerung bereits im Gange.
Nun unternahm Churchill den Versuch, als Grenze die östlicher liegende Glatzer Neiße durchzusetzen und die Vertreibung zu beschränken. Doch er scheiterte an der Erklärung Stalins, der da behauptete: Die Deutschen sind bereits geflohen! Tatsache ist, dass sich zu diesem Zeitpunkt noch fünf Millionen Deutsche östlich der Oder-Neiße-Linie befanden, die laut Potsdamer Abkommen aus ihrer Heimat Schlesien vertrieben wurden. So wurde Breslau polnisch. Die „Ostverträge“ von 1972 konnten diese von Stalin geschaffenen Tatsachen nur bestätigen.
Fairerweise darf man die Bemühungen der USA um den Wiederaufbau Westeuropas nicht verschweigen. Gemeint ist das vom damaligen amerikanischen Außenminister George Marshall bereits am 5. Juni 1947 vorgeschlagene Hilfsprogramm, das den Namen „Marshall-Plan“ trägt. Dieser Plan, an dem auch wir als ehemalige Feinde und Kriegsverlierer teilhaben konnten, war für den wirtschaftlichen Wieseraufbau der jungen Bundesrepublik eine große Hilfe.
Deutschland erhielt aus dem Marshallplan insgesamt 3,3 Milliarden Dollar, von denen die Bundesrepublik nur 1,1 Milliarden zurückzahlen musste. Der Rest wurde erlassen. Der Ausbau der „Sozialen Marktwirtschaft“ durch Ludwig Erhard wäre ohne diese Unterstützung nicht möglich gewesen. Und sogar nach der Wiedervereinigung 1989 konnte die Bundesregierung aus dem verbleibenden Sondervermögen, das inzwischen auf 23 Milliarden Dollar angewachsen war, durch die „Kreditanstalt für Wiederaufbauhilfe“, ein Existenzgründungs- und Mittelstandsförderungsprogramm mit zinsverbilligten Darlehen anbieten. Bürger aus den neuen Bundesländern haben daraus Hilfe bekommen, aber auch Projekte in der Dritten Welt konnten aus diesem Geldtopf finanziert werden.
Im Gemeindearchiv von Oberhausen befindet sich ein kurzes Schreiben von Capitaine Jeanneret, dem „Chef du Gouvernement Militaire de Bruchsal“. Es trägt das Datum: 16. Mai 1945, und hat folgenden Wortlaut:
„Der Bürgermeister von Oberhausen hat für die Ernährung des Russenlagers in Oberhausen Sorge zu tragen. Er wird hierbei von den Gemeinden Kirrlach, Rheinhausen, Reilingen, Altlußheim, Huttenheim und Philippsburg unterstützt werden.“
(Stempel und Unterschrift)
Am 11. Juni 1945 erfolgte im Landratsamt zusammen mit dem Militärgouverneur eine Neuregelung aller für die Verpflegung der Russenlager in Oberhausen und Rheinhausen zuständigen Gemeinden. Ab sofort sollte die Zivilbevölkerung von Oberhausen, Rheinhausen, Kirrlach, Hambrücken, Wiesental, Kronau, Huttenheim, Neudorf und Rheinsheim für die notwendigen Mittel aufkommen.
Im Landkreis Bruchsal gab es nach dem Krieg sechs solcher Russenlager, in denen nicht nur ehemalige russische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene auf ihre Heimreise warteten. In den Lagern waren außer Russen auch Polen, Italiener, Griechen und Litauer. Die „Russenlager“ in Oberhausen und in Rheinhausen befanden sich in den Schulhäusern. Insgesamt waren 477 Personen monatelang mit „Lebensmitteln, Bekleidungs- und Bedarfsgegenständen“ zu versorgen. Dafür mussten die Einwohner der obengenannten Ortschaften sorgen.
Der Tagessatz an Lebensmitteln für einen Lagerinsassen war vorgeschrieben: 400 Gramm Brot, 200 Gramm Fleisch und 14 Gramm Fett. Pro Tag waren also 190 Kilogramm Brot oder eine entsprechende Menge Mehl, 100 Kilogramm Fleisch und 7 Kilogramm Fett als Grundnahrung abzuliefern. Dazu kamen noch große Mengen Kartoffeln, Nudeln, Milch, Eier, Zucker, Gemüse, Zwiebeln und Lauch. Oberhausen hat in das Lager insgesamt 43 Zentner Salz geliefert, daneben noch Unmengen von Genussmitteln wie Zigarren, Zigaretten und Kaffee.
Die Russenlager bei uns existierten vom April 1945 bis zum März 1946. Allein die Gemeinde Oberhausen und ihre Einwohner lieferten dafür Lebensmittel, Herren-, Damen- und Kinderkleider im Werte von mehr als zwanzigtausend Reichsmark. Wer jedoch bedenkt, dass alle diese Dinge schon seit Jahren „für Geld allein“ nicht zu haben waren, sondern nur gegen Lebensmittelmarken und Bezugsscheine, der wird den wirklichen Wert dieser täglichen und wöchentlichen Lieferungen wesentlich höher ansetzen. Ganz davon abgesehen, dass die Reichsmark damals als Zahlungsmittel so gut wie keinen Wert mehr besaß.
In den Jahren vor 1933 und danach scheint es eine Reihe von Parteimitgliedern der NSDAP gegeben zu haben, welche sich gegenüber den übrigen Dorfbewohnern als die großen Herren aufspielten. Sie bereiteten den Andersdenkenden, besonders den damaligen Sozialdemokraten und den Kommunisten große Schwierigkeiten, und es kam auch zu einer Reihe von tätlichen Auseinandersetzungen und Schlägereien, die wegen der Vormacht der Staatspartei für die „Volksfeinde“ nicht selten beim Arzt oder im Krankenhaus endeten.
Nach dem Einmarsch der Franzosen revanchierten sich einige von den damals Geplagten und Gequälten persönlich an den ehemaligen Nazis, was menschlich auch verständlich erscheint. Im Gegenzug wurden nun „die Hitlerleute“ eingeschüchtert und drangsaliert. Mit der Besatzungsmacht im Rücken, verschafften sie sich ständigen Zutritt in alle Amtsräume der Gemeindeverwaltungen. Sie erließen in dieser mehr oder weniger rechtlosen Zeit von sich aus Anordnungen, welche selbst der damalige kommissarische Bürgermeister nicht verhindern konnte. So mussten die Einwohner - mit Vorrang die ehemaligen Mitglieder der NSDAP und deren Organisationen - in die Russenlager Kleider liefern. Wer zu wenig ablieferte, wurde unter Drohungen dazu gezwungen nachzuliefern.
Zum Glück haben am 8. Juli 1945 die Amerikaner die Kontrolle über den Kreis Bruchsal übernommen und auch den chaotischen Verhältnissen der ersten Nachkriegsmonate ein Ende bereitet. Die US-Regierung hatte bereits von 1942 an Offiziere in der Verwaltung ausbilden lassen, die nach dem Kriegsende zusammen mit den deutschen Behörden für Ordnung in den besetzten Kreisen sorgen sollten.
Bei den Gemeindeakten liegt der Durchschlag eines Beschwerdebriefes vom 16. Juli 1945, in welchem die obengenannten Vorgänge im Einzelnen geschildert werden. Das Schreiben, an den Landrat in Bruchsal gerichtet, enthält auch nähere Angaben über „dieses Treiben“ mit der dringenden Bitte, der Landrat möge die dafür Verantwortlichen für ihr „unberechtigtes, gesetzwidriges Handeln“ zur Rechenschaft ziehen. Der Brief trägt keine Unterschrift, und ob er überhaupt abgeschickt wurde, kann nicht mehr festgestellt werden. Ein Antwortschreiben des Landrats liegt jedenfalls nicht vor. Aber dieser Brief - auch wenn er nur ein Entwurf gewesen sein sollte - zeigt die Rechtsunsicherheit und die Willkür der ersten Nachkriegsmonate. Es war für die Bevölkerung nicht leicht, diese Monate der Angst unbeschadet zu überleben.
Die bedingungslose Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 brachte wohl das Ende der Kampfhandlungen, aber die Sorgen darüber, wie es nun weitergehen soll, drückten umso mehr. Dazu kam in den Familien die Ungewissheit über das Schicksal der Väter und Söhne, von denen man nicht wusste, ob sie den Krieg überlebt hatten oder vielleicht irgendwo, auf unbestimmte Zeit, in Gefangenschaft geraten waren. Städte und Dörfer waren zerstört, Brot, Fleisch, Milch, Fett und Zucker gab es weiterhin nur auf Lebensmittelkarten, und für Gebrauchsgüter wie Kleider und Schuhe benötigte man immer noch Bezugsscheine. In Deutschland herrschte ein enormer Mangel an Wohnungen, an Möbeln und an Heizmaterial, aber besonders gravierend war der Mangel an Lebensmitteln und Gebrauchsgütern des täglichen Lebens. Die Leute hungerten und hatten so gut wie nichts zum Anziehen.
Man kann zwar mit Worten die Notlagen beschreiben, in denen sich die Überlebenden des Krieges befanden. Um jedoch ein Gespür für die täglichen Mühen und Plagen der Menschen in den Fünfzigerjahren zu bekommen, bedarf es der genaueren Schilderung einiger Situationen, mit denen jeder einzelne in der Nachkriegszeit konfrontiert wurde. Diese Zeilen wurden für die Generationen nach dem Jahre 2 000 geschrieben.
Es bleibt zu hoffen, dass sie von solchen schlimmen Zeiten verschont bleiben.
Doch nun noch einige Einzelheiten aus der Nachkriegszeit: Schon während des Krieges hatten die Frauen und Mütter ihre Schränke nach „noch tragbaren Kleidern“ durchgesehen. Auch in diesen Jahren des Mangels wuchsen Kinder heran, die etwas zum Anziehen brauchten. Es waren noch einige Anzüge, Kleider und Mäntel aus der Vorkriegszeit da, die nur durch eine gründliche Überarbeitung wieder getragen werden konnten. Das brachten die Frauen mit großem Geschick und Fleiß fertig, indem sie die Kleidungsstücke „wendeten“. Wenden bedeutete: Die Kleider durch Auftrennen der Nähte in ihre Bestandteile zerlegen und neu zusammen nähen, so dass die Innenseiten der Stoffbahnen zu „Schauseiten“ wurden. Mit dieser „neuen Kleidung“ konnte man sich wieder für längere Zeit sehen lassen!
Dasselbe geschah durch die Verarbeitung von Uniformteilen der Wehrmacht. Aus Decken, ja sogar aus Zuckersäcken und Hakenkreuzfahnen, ließen sich noch tragbare Dinge schneidern, wenn man sie entsprechend einfärbte. In der Zeit des Materialmangels nach dem Kriege wurden auch keine Herrenhemden weggeworfen, wenn nur der Kragen abgewetzt war: Es gab Frauen, die sich durch das Auswechseln von Hemdkragen ein „Zubrot“ verschafften, und Damenstrümpfe wurden nicht etwa weggeworfen weil sie Laufmaschen hatten. Diese konnten mit Spezialgeräten kaum sichtbar gegen eine geringe Gebühr wieder „aufgefangen“ werden. Das war auch die Zeit, in der in Kleinbetrieben Hausschuhe aus Maisstrohblättern angefertigt wurden. Dass man Stricksachen „aufziehen“ kann, um die Wolle wieder verwenden zu können, das wusste man schon vor dem Krieg; in solchen Notzeiten war das die Regel.
Aus den ersten Kriegsjahren stammt das Wort „Ersatz“, das in Verbindung mit Kaffee und anderen Genussmitteln sogar in den Sprachschatz einiger europäischer Staaten Eingang fand. Die Bezeichnung Ersatz galt aber auch für alle Dinge, auf die man nicht verzichten wollte, und für die sich etwas anderes „als Ersatz“ anbot. Der Ersatz für Bohnenkaffee war ein Gebräu aus Malzkaffee und Zichorie. „Kunsthonig“ war der Ersatz für richtigen Honig, und die „Kriegsmargarine“ war der Ersatz für Butter. Ein Brotaufstrich aus gekochten Zuckerrübenschnitzeln schmeckte und roch nicht gerade besonders gut, aber er enthielt Zucker, als Ersatz.
Die Kartoffeläcker wurden im Anschluss an die reguläre Ernte durch die Landwirte von den Hungernden noch einmal umgegraben und nach Restkartoffeln durchsucht. Das nannte man „Kartoffel-Stupfeln“. Und wenn die Getreideäcker abgeerntet waren, kamen die „Ährenleser“, welche die am Acker verstreuten Ähren aufsammelten, um aus den Körnern etwas Essbares zu bereiten.
Im Herbst gingen viele mit Gefäßen in den Wald, um die herabgefallenen Samen der Buchen zu sammeln. Aus den Bucheckern, „Bucheln“ genannt, wurde in den Ölmühlen Öl gepresst, das in der Küche
Verwendung fand. Gekocht, gebraten und gebacken wurde auch mit unraffiniertem Rapsöl als Fettersatz.
Als Ersatz für Frikadellen wurden Weizenkörner eingeweicht, mit den gewohnten Gewürzen versehen durch den Fleischwolf gedreht, zu Frikadellen geformt und in der Pfanne gebraten. Das schmeckte sogar einigermaßen. Not macht erfinderisch!
Es sollte noch drei Jahre dauern, bis nach der Währungsreform langsam wieder normale Verhältnisse einkehrten, ohne Lebensmittelmarken und ohne Bezugscheine. Aber noch war es nicht so weit!
Für einen Erwachsenen galten in der Zeit vom 14. September 1945 bis zum 14. Oktober 1945 folgende Lebensmittelzuteilungen. Es waren „Hunger-Rationen“:
Gesamtmenge: (für 30 Tage!) | Tagesration: (ca.) | ||
7 000 g | Brot bzw. entsprechend Mehl | 240 g | |
600 g | Fleisch und Fleischwaren | 20 g | |
400 g | Fett | 14 g | |
125 g | Käse | 4 g | |
500 g | Nährmittel | 17 g | |
125 g | Kaffee-Ersatz | 4 g | |
8 000 g | Kartoffeln | 270 g | |
(Aus: „Bruchsal 1945“ S. 140) |
Man kann es sich nicht vorstellen, dass die Bevölkerung seit Kriegsbeginn im Jahre 1939 - d. h. bereits sechs Jahre lang - ohne Lebensmittelmarken in den Geschäften so gut wie nichts bekam. Wer beim Bäcker oder beim Metzger einkaufte, dem wurden vor Aushändigung der Waren zuerst die Lebensmittelmarken von der Lebensmittelkarte abgeschnitten. Erst dann gab es gegen Bezahlung Brot oder Wurst. Die gesammelten und eingelösten briefmarkengroßen Lebensmittelmarken, mit „Gewichtsangaben in Gramm“ (!) mussten die Geschäftsleute auf große Papierbogen aufkleben und bei der Zuteilungsbehörde einreichen, um für den weiteren Verkauf an ihre Kundschaft wieder Mehl oder Fleisch zu bekommen. Musste jemand beruflich oft unterwegs sein, bekam er sog. „Reisemarken“, die er im Rathaus gegen Umtausch der entsprechenden Marken von seiner Lebensmittelkarte bekam.
Wer z. B. heute in einer Gastwirtschaft ein Schnitzel bestellt, bekommt mindestens 200 Gramm Fleisch auf den Teller, und das für nur eine Mahlzeit! In der Praxis sah das damals so aus, dass man im Gasthaus mit der Bestellung der Mahlzeit auch seine Lebensmittelmarken abgeben musste, sonst gab es nichts. Auch nicht gegen höhere Bezahlung, denn Geld war ja genügend im Umlauf, man bekam nur so gut wie nichts dafür. In solchen Zeiten blühte der „Tauschhandel“, auch „Schwarzmarkt“ genannt: Es wurde Ware gegen Ware getauscht, oder „es wurde geschoben“, wie es hieß. Die „Schieber“ beherrschten den Markt. In den Städten gab es zwischen den Ruinen richtige Schwarzmarktzentren, wo man tauschen konnte. Die Polizei war trotz der ständigen Razzien dagegen machtlos.
Während des Krieges und kurz danach haben auf dem Lande nicht so viele Menschen gehungert als in der Stadt. In den Dörfern hatte fast jeder einen kleinen Garten, der Obst und Gemüse lieferte. Futter für Hasen stellte auch kein Problem dar, und manche Leute hielten sich neben den Hasen auch Hühner und eine Geiß.
Wer als Feierabendlandwirt eine Wiese hatte und einige kleine Äcker bebaute, konnte sich Kühe, Schweine und Geflügel in beliebiger Anzahl halten. Für die Behörden war er „Selbstversorger“ oder „Teilselbstversorger“ und bezog deshalb eine gekürzte Lebensmittelkarte.
Weil nun aber Brot, Milch, Butter, Fleisch und Eier bewirtschaftet waren, unterlag auch ein Kleinlandwirt der gesetzlichen „Ablieferungspflicht“. Was über die Zuteilungsmenge für die Familienmitglieder hinausging, musste abgeliefert werden. Dafür gab es in den Dörfern Sammelstellen. Immer wieder kam es zu unvermuteten amtlichen Viehzählungen, nach denen unter Umständen die Ablieferungsmengen neu festgesetzt wurden.
In dieser Zeit gab es in den Stallungen der Tierhalter unverhältnismäßig viele „Unfälle“. Es verging keine Woche, in der sich nicht ein Rind, ein Kalb oder einige Schweine die Füße brachen und deshalb „notgeschlachtet“ werden mussten. Das geschah mehr oder weniger legal. Notschlachtungen waren zu melden, die den Tierbesitzern und ihren Familien auf ihre Selbstversorger Fleischkarte angerechnet wurden. Eine „Notschlachtung“ hatte aber den Vorteil, dass sich ein genaues Gewicht amtlich nicht mehr feststellen ließ, es wurde lediglich geschätzt.
Den „Kleinbauern“ gelang es auch immer wieder, eine geringere Anzahl von Tieren anzugeben. Die nicht angemeldeten Tiere wurden dann „schwarz geschlachtet“. Mit dem „behördlich nicht erfassten Fleisch“ konnte man schon etwas anfangen, aber nur, wenn die Polizei nichts davon erfuhr. Ansonsten gab es für das „Schwarzschlachten“ und für das „Schwarzbrennen“ von Schnaps Anzeigen, Gerichtsverhandlungen und oft auch empfindliche Gefängnisstrafen.
Aus den selbstgebastelten Destillierapparaten kamen durchweg hochprozentige Branntweine heraus, denn die Maische war in der Regel „angereichert mit Waghäusler Sonnenschein“, d.h. mit Zucker. Auch der Schnaps war ein begehrtes Tauschobjekt, nicht zu vergessen die selbst hergestellten Zigarren, wofür man ebenfalls Lebensmittel und notwendige Verbrauchsgüter eintauschen konnte. Am 10. August 1946 erfolgte auf Anordnung des Landesernährungsamtes eine staatliche Beschlagnahme der gesamten Tabakernte von 1946: Die Tabakbauern hatten entsprechend ihren angemeldeten und genehmigten Tabakanbauflächen viel zu wenig Tabak abgeliefert.
Wer am Wohnort nichts zum Tauschen fand, machte mit dem Fahrrad oder auch mit dem Zug „Hamsterfahrten“ in die Region. Die Stadtbevölkerung kam mit Schuhen, Kleidern, Schmuck und anderen Wertgegenständen in die Dörfer, um Kartoffeln, Brot, Speck, Eier, Obst usw. dafür einzutauschen.
Jedoch als „härteste Währung“ galten damals die amerikanischen Zigaretten, die den Erwerb aller notwendigen Lebensmittel und Gebrauchsgüter ermöglichten. Die amerikanischen Besatzungs-Soldaten tauschten Zigaretten gegen frische Eier, gegen Hakenkreuz-Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, „Orden und Ehrenzeichen“ usw. aus der Nazizeit. Ebenso „zahlten“ sie für das Waschen und Bügeln ihrer Uniformen mit Zigaretten oder Kaffee. Deutsche Musiker, die in amerikanischen Soldatenclubs zum Tanz aufspielten, bekamen ebenfalls Zigaretten, ebenso die zivilen Hilfskräfte, welche bei der Army in der Küche, in der Kaserne oder in Werkstätten beschäftigt waren.
Wer keine „Beziehungen“ zu den „Amis“ hatte, suchte auf Gehwegen und Straßen nach Zigarettenkippen. Aus vielen solcher Tabakreste wurde so manche Zigarette „gedreht“. Dabei gab es bereits wahre „Profis“, die „Kippenstecher“, welche mit kleinen Stöckchen, die sie an einem Ende mit einer Nadel versehen hatten, die herumliegenden Zigarettenreste aufspießten, um sich nicht bücken zu müssen.
Den amerikanischen Besatzungssoldaten (=GI´s) war es verboten, mit Deutschen freundschaftliche Bindungen einzugehen. Die GI´s mussten sich an die „Non fraternization“ (=„Nicht-Verbrüderung“) halten, und es gab auch Lokale, die sie nicht betreten durften, weil neben dem Eingang ein großes Schild mit „Off Limits“ (=Zutritt verboten!) angebracht war.
Aber selbst eine strenge Kontrolle durch die amerikanische Militärpolizei (MP) hätte es nicht verhindern können, dass es nach einigen Monaten amerikanischer Besatzung - wie überall zu allen Kriegs- und Nachkriegszeiten - auch bei uns zu zaghaften Freundschaften zwischen den GI´s und deutschen Mädchen kam. In der Folgezeit heiratete mancher Besatzungssoldat sein „Fraulein“ und nahm es mit in die Staaten. Dazu bedurfte es aber einer besonderen Genehmigung durch die US-Army, die auch ausgestellt wurde.
Im „Amtlichen Verzeichnis der Gemeinden von Württemberg-Baden“ vom September 1946 gibt es über unsere beiden Orte folgende Angaben:
Gemeinde | Fläche in qkm | Wohnbevölkerung Mai 1939 | Bevölkerung Dez. 1945 | Versorg.-bevölkerung Juni 1946 (90. Zuteilungsperiode ) |
Oberhausen | 12 | 4460 | 4259 | 4466 |
Rheinhausen | 7 | 1542 | 1515 | 1583 |
Wenn man die Zahlen der Wohnbevölkerung vom Mai 1939 mit denen vom Dezember 1945 bzw. vom Juni 1946 vergleicht, so sieht man zunächst keine großen Unterschiede. Aus der Reihe fällt nur der Dezember 1945, als noch viele Soldaten in Gefangenschaft waren, und außer wenigen Ausgebombten noch keine Flüchtlinge da waren. Die großen Flüchtlings-Transporte kamen erst ab Juli 1946.
Bei der oben abgedruckten Liste der zu „Versorgenden Wohnbevölkerung im Juni 1946“ steht „90. Zuteilungsperiode“, das bedeutet, dass die Menschen in Deutschland seit Beginn des Krieges 90 Zuteilungsperioden lang von staatlich bewirtschafteten Lebensmitteln leben mussten. Es dauerte aber noch zwei Jahre, bis nach der Währungsreform 1948 die lange Zeit der staatlichen Zwangswirtschaft durch die freie Marktwirtschaft ersetzt werden konnte.
In den ersten Wochen nach Kriegsende gab es für die Bevölkerung eine mehr oder weniger rechtlose Zeit, welche durch die Vorschriften der Kampftruppen geprägt war. Froh waren alle, als am 8. Juli 1945 die Amerikaner für das damalige Württemberg-Baden die Verwaltung übernahmen. Nach Bruchsal kam ein „Resident Officer“, der die Bürgermeister einsetzte, und der zusammen mit der Militärpolizei für Ruhe und Ordnung sorgte. Er wohnte in einer beschlagnahmten Villa in der Nähe der Scheffelhöhe. Bald gab es in Bruchsal einen neuen Landrat.
Die neue Ordnung bestand zunächst darin, dass für die Wohnbevölkerung ab 19 Uhr abends ein Ausgehverbot erlassen wurde, das später auf 21 Uhr festgelegt wurde. Es bestand Versammlungsverbot für Gruppen ab 5 Personen, welches auch für Privatwohnungen galt. An ein Vereinsleben mit Chorgesang oder mit Musizieren war nicht zu denken. Für jede Probe musste in Bruchsal eine Sondergenehmigung eingeholt werden. Eine andere Vorschrift besagte, dass sich niemand mehr als sechs Kilometer von seinem Wohnort entfernen durfte. Diese Gebote wurden mit der Zeit gelockert bzw. ganz aufgehoben.
So nach und nach gaben die amerikanischen Dienststellen gewisse Kompetenzen an deutsche Stellen ab und übten nur noch Kontrolle und Überwachung aus. Bis zum Juni 1946 waren so gut wie alle Aufgaben den deutschen Stellen übertragen worden.
Bürgermeister Fridolin Kammerer schickte am 19. 4. 1948 an das Landratsamt Bruchsal die Listen der Ortsvereine, die sich nach dem Krieg neu gegründet haben. Die verlangte Meldung sollte enthalten: Die Vereinsnamen, der 1. und der 2. Vorstand, der Kassier, der Schriftführer, die Beisitzer und sämtliche Mitglieder der Vereine. Das ist die Zusammenfassung der Meldelisten: (GLA 344 / 7304)
Namen der Vereine | 1. Vorstand | |
1. | Gesangverein „Fidelia“ | Josef Baldauf |
2. | Verein der Vogelfreunde | Leonhard Zieger |
3. | Musikverein | Hermann Baumann |
4. | Wein-, Obst- und Gartenbauverein | Hermann Baumann |
5. | Kolpingfamilie | Josef Machauer |
6. | Katholischer Jungmännerverein | Vikar Leo Weiß |
7. | Jungfrauen-Kongregation | Pfarrer Hubert Ganner |
8. | Angelsportverein | Karl Mayer |
9. | Schach- und Tischtennisklub | Hubert Herberger |
10. | Kulturgemeinschaft (Laienspiele) | Josef Zollt |
11. | Fußballverein | Ernst Leier |
12. | Verein der Hundefreunde | Franz Ullrich |
13. | Radfahrverein „Edelweiß“ | Pius Machauer |
14. | Turnverein | Jakob Adler |
15. | Rotes Kreuz | Philipp Fromm |
16. | Freiwillige Feuerwehr Oberhausen | Longin Leier |
Der Krieg setzte eine gewaltige Bevölkerungsbewegung in Gang. In den letzten Kriegsjahren suchten die Menschen, die in den größeren Städten durch Bombenangriffe ihre Wohnungen und Häuser verloren hatten, Zuflucht bei Verwandten und Bekannten auf dem Lande. Diese Ausgebombten, auch „Evakuierte“ genannt, konnten noch verhältnismäßig gut untergebracht werden. Für sie war noch Wohnraum da. Sie kamen aus Mannheim, Karlsruhe, Ludwigshafen, Pforzheim und Bruchsal.
Schlimmer war es schon mit den vielen Frauen, Kindern und alten Männern, die aus den deutschen Gebieten im Osten vor der Roten Armee nach dem Westen geflüchtet waren. Sie trafen 1945 bei uns ein und brauchten ebenfalls Wohnungen. Ganz schlimm wurde es aber erst nach der „Potsdamer Konferenz“ im Sommer 1945.
In Potsdam trafen sich die vier Siegermächte, um über die Reparationen, über die Bestrafung der Kriegsverbrecher und über die militärische Besetzung Deutschlands zu beraten: Deutschland wurde in vier Besatzungszonen eingeteilt, Berlin ebenfalls, damit jeder „Sieger“ ein Viertel der Hauptstadt im Besitz hatte. Berlin wurde zur „Vier-Sektoren-Stadt“.
In Potsdam wurde auch die „Vertreibung der deutschen Bevölkerung“ beschlossen, die seit Generationen in osteuropäischen Ländern und in den deutschen Ostgebieten lebte. Deutsche Handwerker und Bauern waren dort ansässig geworden, nachdem sie in den Jahrhunderten zuvor von den damaligen Herrschern als Siedler ins Land gerufen worden waren. Nun wurden ihre Nachkommen vertrieben.
Betroffen waren rund 12 Millionen Deutsche, die zwangsweise in das zerbombte, hungernde Deutschland „umgesiedelt“ werden sollten. Voraussetzung für diese „Aussiedlung“ sollte jedoch nach den Plänen der Siegermächte „eine humane Durchführung dieser Maßnahme“ sein. Heute weiß man. dass das nicht der Fall war, sonst hätte es nicht Hunderttausende von Vertreibungsopfern gegeben.
Die „Humane Aussiedlung“ spielte sich in der Regel so ab: Die Deutschen bekamen in ihren Heimatorten ein amtliches Schreiben, wonach ihr Besitz (Haus, Werkstätten, Hof und Stallungen mitsamt dem Vieh, sowie Grund und Boden) von nun an Staatseigentum des „befreiten Staates“ ist. Gleichzeitig erhielten die Familien den Befehl, sich kurzfristig zum Abtransport (ohne Wiederkehr!) bereit zu halten. Jede Person konnte von ihrem Eigentum nur etwa 30 bis 50 Kilogramm als Gepäck in das nahe Sammel-Lager mitnehmen.
Erst wenn durch genaue Kontrollen festgestellt worden war, dass die Ausgewiesenen in ihren Wohnungen und Häusern „am Staatseigentum“ keine Schäden angerichtet hatten, erfolgte nach einigen Tagen unter ständiger Bewachung durch Polizei oder durch Soldaten die Verladung in Güterwagen (= Viehwaggons) der Eisenbahn. In einen solchen Waggon, der keinerlei Sitzgelegenheiten oder Liegemöglichkeiten hatte, wurden 40 bis 50 Leute zusammen mit ihren Koffern und Bündeln verfrachtet.
Ein Transportzug bestand gewöhnlich aus 30 bis 40 Güterwagen, die in Richtung Westen losfuhren. An der Reichsgrenze gab es einen kurzen Aufenthalt, wobei der Transport von den Besatzungsmächten übernommen und weitergeleitet wurde. Zuvor wurden alle Personen mit DDT-Puderspritzen „entwest“, ob es notwendig war oder nicht. Das amerikanische Militär hatte nämlich eine panische Angst vor Ungeziefer und vor ansteckenden Krankheiten.
Für die Vertriebenen ging die mehrtägige Fahrt einem ungewissen Ziel entgegen. Ab und zu gab es eine warme Suppe oder sonst etwas Essbares. Auf jeden Fall endete die „Reise“ in einem zufällig frei gewordenen Auffanglager irgendwo in Deutschland. In der amerikanischen Besatzungszone machten die Flüchtlinge und Vertriebenen 23 Prozent der Bevölkerung aus, in der britischen 18 Prozent und in der sowjetischen 16 Prozent. Die Franzosen nahmen in ihrer Besatzungszone nur wenige Leute auf, „weil sie am Potsdamer Abkommen nicht mitgewirkt hatten“. So kommt es, dass in Südbaden, Südwürttemberg und Hohenzollern zunächst keine „Flüchtlinge“ aufgenommen wurden. Erst durch die „Umsiedlungsprogramme“ in den Jahren 1949, 1953 und 1955 kamen im Zuge des „Länderausgleichs“ auch Vertriebene und Flüchtlinge in die ehemals französisch besetzten Gebiete.
In unserer Nähe befanden sich Lager in Hockenheim und in Kislau, dem ehemaligen Konzentrationslager. Von hier aus erfolgte dann die Zwangsverteilung auf die Dörfer und Städte in der Umgebung.
Schon im Winter 1945/46 kamen 1.373 Vertriebene in den Landkreis Bruchsal. Die Hauptzugänge erfolgten im Herbst 1946 und im Spätjahr 1948. Durch die „Flüchtlinge“, wie man die Geflüchteten und auch die Vertriebenen nannte, kam es zu einem sprunghaften Anstieg der Bevölkerung mit allen sich daraus ergebenden Problemen. Nun wurde auch der Wohnraum „bewirtschaftet“ und es kam zu Zwangseinweisungen der „obdachlosen Flüchtlinge“ in Privathäuser.
Die Zuweisung der „Neubürger“, wie man sie später nannte, erfolgte für Oberhausen und Rheinhausen über das „Flüchtlingslager Kislau“. Rheinhausen hat aber auch noch Zuweisungen aus dem Flüchtlingslager Karlsruhe und direkt vom Landrat in Bruchsal bekommen.
Am 9. Januar 1946 kündigte der Landrat von Bruchsal in einem Rundschreiben an die Bürgermeister an, dass in den nächsten Wochen etwa 700 „Volksdeutsche“ erwartet werden. Das Lager Kislau hat die „Flüchtlinge“ den einzelnen Orten nach einem bestimmten Schlüssel zugeteilt. Am 9. Februar 1946 wurden unseren beiden Dörfern die ersten Flüchtlinge zugewiesen. Sie stammten aus den Ländern der „Sowjetischen Besatzungszone“ (=SBZ) und aus Jugoslawien.
Auf den nächsten Zuweisungslisten aus Kislau standen nicht nur Datum und Herkunftsland, sondern auch persönliche Angaben wie Name, Vorname, Geburtsdatum, Beruf und Herkunftsort.
21, März 1946: | Deutsche aus Ungarn, (Pomáz) |
08. April: | Deutsche aus Ungarn, (Pomáz) |
06. Juli: | Deutsche aus der Tschechoslowakei, (Nordböhmen) |
12. August: | großer Transport aus der Tschechoslowakei, (Nordböhmen) |
22. August: | Deutsche aus der Tschechoslowakei, (Westschlesien) |
03. September: | Deutsche aus der Tschechoslowakei, (Kreis Bischofteinitz, im südlichen Egerland) |
Die heute noch hier ansässigen Familien, die mit den obengenannten Transporten nach Oberhausen und Rheinhausen gekommen sind, werden sich an diese ersten Tage in der neuen Heimat bestimmt noch erinnern können.
Die „Neubürger“ erlebten unmittelbar nach ihrer Ankunft die Ablehnung durch die alteingesessene Bevölkerung, die zum Teil nicht bereit war, von sich aus ihre nicht bewohnten Zimmer zur Verfügung zu stellen. Man konnte schließlich nicht wissen, wen man da ins Haus gesetzt bekam! Hier halfen die Verwaltungen nach.
Die rechtliche Handhabe dazu gab das „Wohnungsgesetz des Kontrollrats der amerikanischen Besatzungsmacht“, das die Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum bestimmte. Für Zuwiderhandlungen wurden Haftstrafen von 14 Tagen bis zu zwei Jahren angekündigt.
So kam es in vielen Fällen zu Zwangseinweisungen, wenn die Hauseigentümer für die Notlage der Vertriebenen und Flüchtlinge kein Verständnis zeigten. Schließlich hatten diese Menschen mit ihrem Hab und Gut und mit dem Verlust ihrer Heimat „den gemeinsam verlorenen Krieg bezahlt“. Es gab aber auch nicht wenige Einwohner von Oberhausen und Rheinhausen, die spontan geholfen haben, indem sie Unterkünfte zur Verfügung stellten, diese mit notwendigem Mobiliar versahen und mit Haushaltsgegenständen, Kleidung und Wäsche aushalfen.
Am 26. September 1946 schrieb das Innenministerium an die Landräte und Bürgermeister im Vorwort zu den „Vorläufigen Richtlinien für die Betreuung der Flüchtlinge und Vertriebenen“. Einige Passagen daraus lauten:
„Die alteingesessene Bevölkerung muss sich dessen bewusst sein, dass es nicht in der Macht der Regierung liegt, den Flüchtlingsstrom abzustoppen oder abzulenken. Sie ist bei der Militärregierung unablässig um eine Milderung der Flüchtlingslasten bemüht, die ja schon längst nicht mehr bloß den Verzicht auf Wohnkultur und Bequemlichkeit bedeuten, sondern auch infolge der Zusammenballung verelendeter Menschen eine ernste Gefahr für die körperliche und seelische Gesundheit unseres Volkes. Sie wird nicht aufhören, auf diese Schädigungen unseres Volkskörpers hinzuweisen.
Die Flüchtlinge und Vertriebenen müssen bedenken, dass auch das Gebiet, das ihnen als Zwangsheimat zugewiesen ist, schwer durch den Krieg gelitten hat, dass seine Arbeitskraft durch Tod, Verstümmelung und Gefangenschaft vieler Männer verkümmert ist und dass es trotzdem durch seine Arbeit auch die Existenzgrundlage für die Flüchtlinge und Vertriebenen schaffen muss. Diese müssen deshalb mithelfen, soweit sie dazu in der Lage sind, und die Bemühungen der Regierung um die Eingliederung in das einheimische Wirtschaftsleben tatkräftig unterstützen. Die gesamte Bevölkerung darf aber nicht vergessen, dass die ganze Not die Folge einer vermessenen Politik ist, die uns den Krieg und die Niederlage gebracht hat.“
Ulrich, Innenminister.
Am 19. November 1946 schrieb der „Referent für Flüchtlingswesen für den Landkreis Bruchsal“ einen dreiseitigen Brief an die Bürgermeister mit der Überschrift: „Zwangsweise Einweisung von Ostflüchtlingen“. Das Schreiben zeigt, mit welchen Schwierigkeiten die örtlichen Behörden bei der zwangsweisen Unterbringung zu kämpfen hatten. Darauf lassen einige deutlich formulierte Sätze schließen. Es heißt da:
„Falsch ist es zu glauben, eine Beschwerde habe aufschiebende Wirkung. Schon wer die Aufnahme der Flüchtlinge ablehnt, macht sich strafbar.
Falsch ist es auch zu glauben, vorstehende Ausführungen betreffen nur die Einweisung. Wenn jemand die Flüchtlinge wohl aufnimmt, ihnen aber die vom Bürgermeister bestimmten Räume nicht überläßt, sondern andere zuweist, macht sich genauso strafbar wie derjenige, der die Aufnahme ganz verweigert. Strafbar macht sich auch der, der den Flüchtlingen von seinem Hausrat das vorenthält, was sie notwendig brauchen und er entbehren kann, wenn er seinen Bedarf in vernünftiger, der Not der Flüchtlinge entsprechenden Weise einschränkt. Ferner der, der den ihm zugewiesenen Flüchtlingen nicht die Mitbenützung des Kellers, des Speichers, Wohnplatzes und Klosetts gestattet sowie die Mitbenützung der Küche erlaubt.
Die Bürgermeister werden durch die Verhältnisse mehr und mehr genötigt, sich gegenüber den Uneinsichtigen in ihrer Gemeinde durchzusetzen, welche gleichsam, wie auf dem Monde lebend, ihr Heim, und sei es noch so geräumig, auch jetzt noch unter allen Umständen nur für sich alleine haben möchten. Wir wollen aber ob der Unvernünftigen, welche durchaus nicht einsehen wollen, dass wir alle, auch sie, die Folgen des verlorenen Krieges zu tragen haben, durchaus nicht all der Vielen vergessen, welche in anerkennenswerter Weise die Flüchtlinge gut aufnehmen, friedvoll mit ihnen zusammenleben und sich eingedenk ihrer Not, jederzeit hilfsbereit zeigen“.