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Sandra Olsen

Ein Mädchen namens Vier

Mit ihrer Mami auf der Flucht.





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

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1. Kapitel

 

 

 

Der einsame Bauer

 

 

 

Alles, was Roland wusste und konnte, war die Landwirtschaft und die Viehzucht.

 

Er war auf einem Bauernhof geboren, auch aufgewachsen und hatte nichts anderes gelernt, als die Landwirtschaft und das Züchten von Schafen.

 

Er besuchte eine kleine ländliche Schule in der Rhön, einem Mittelgebirge, im Norden von Hessen.

 

Die nächste Siedlung war zwei Kilometer von seinem Haus entfernt und es lebten nur wenige Menschen dort.

 

Und die nächst größere Stadt, lag etwa fünfundzwanzig Kilometer westlich und hatte sogar, einen eigenen Bischof.

 

Sein nächster Nachbar, lebte einen Kilometer weiter, die Straße hinauf, in Richtung Norden.

 

Offensichtlich gab es in der nahen Gemeinde nicht viele geeignete Mädchen, aus denen man auswählen konnte, und mit seinen Mängeln, war Roland ohnehin keine gute Partie, denn wer wollte schon auf einem einsam gelegenen Bauernhof leben.

 

Obwohl er gut aussah, war Roland eher schüchtern und ein Einzelgänger, er mied normalerweise Partys und Veranstaltungen jeglicher Art und kümmerte sich lieber um seine Tiere.

 

Wenn er an gesellschaftlichen Zusammenkünften teilnahm, saß Roland im Allgemeinen ganz weit hinten und hoffte, dass ihn niemand bemerkte, und wenn doch, dass man ihn, in Ruhe ließ.

 

Roland war nicht nur schüchtern, sondern beherrschte auch die deutsche Sprache nicht gut, wenn er sprach, dann nur das örtliche Platt.

 

Sein Schreiben war angemessen, aber sein Reden litt auch unter gelegentlichem Stottern, und oft schlechter Wortwahl, um seine Bedeutung wirkungsvoll auszudrücken.

 

Manchmal versuchte er, jemandem ein Kompliment zu machen, und was heraus kam, das war, die Person, die er loben wollte, damit unbeabsichtigt zu beleidigen, ein Problem, das bis ins Erwachsenenalter bei ihm andauerte.

 

Er ging nicht aufs Gymnasium, besuchte nur, die Dorfschule, und diese, bis zur achten Klasse.

 

Nach der Schule stieg er sofort in die elterliche Landwirtschaft ein und befasste sich mit der Viehzucht.

 

Leider kamen seine Eltern bei einem Autounfall gemeinsam ums Leben, als er gerade siebzehn Jahre alt war, und obwohl nichts und niemand, den Schmerz ihres Verlustes ausgleichen konnte, war zumindest die Versicherungssumme ein Trost für ihn, denn damit konnte er die Landwirtschaft etwas modernisieren, was ihn die Arbeit leichter machte.

 

Sein Vater hatte ihm bereits als kleiner Junge beigebracht, wie man Trecker reparieren konnte oder andere landwirtschaftliche Maschinen wieder gangbar machte.

 

Als Schüler pflegte er bereits den Maschinenpark in der Landwirtschaft und war auch immer bereit, den umliegenden Bauern reparaturmäßig, behilflich zu sein.

 

Glücklicherweise war Roland geschickt mit seinen Händen und wurde ein angesehener Gemeindemechaniker und Bauer, der durch seine Hilfsbereitschaft sehr beliebt und gefragt war.

 

Weil er keine Frau oder Kinder hatte, konnte er viel Geld sparen, mit dem er ein weiteres Stück Land hinzukaufte, und so konnte er sich nicht nur selbst ernähren, er konnte auch seine Viehherde vergrößern, die meist aus Schafen bestand, dem sogenannten Rhönschaf.

 

Das Rhönschaf war bereits am Aussterben, bis ein findiger Gastwirt es auf seine Speisekarte setzte und somit dem Schaf sein Überleben garantierte.

 

Hört sich etwas merkwürdig an, aber war tatsächlich so.

 

Plötzlich wollten Urlauber und Durchreisende, dieses Schaf verzehren, was die Nachfrage nach deren Fleisch enorm steigerte und die Zucht dieser Schafrasse, finanziell für die Bauern wieder interessant machte.

 

Aus diesem Grunde legte sich Roland, auch eine größere Schafzucht zu.

 

Rolands Verwandte, sie lebten alle in der Nähe und waren zum größten Teil, ebenfalls Landwirte.

 

Sie kümmerten sich nicht nur um einander, sondern halfen sich auch gegenseitig und sorgten sich um andere Personen, in der Familie.

 

Zum Beispiel hielt Roland Generatoren und andere landwirtschaftliche Geräte in seiner Scheune bereit, und lagerte fast zweihundert Ballen Heu, das Familienmitglieder jederzeit für ihr Vieh verwenden konnten, wenn es nötig war, da er auch ihre landwirtschaftliche Geräte, frei benutzen durfte.

 

Die letzten vier Winter waren mild gewesen, und es war kein zusätzliches Futter erforderlich, da seine Schafe und Kühe noch reichlich Futter auf der Weide fanden.

 

Neben dem ausreichenden Heu hatte Roland auch mehrere vollständig gefüllte Silogruben mit vergorenem Mais und Rüben, und musste sogar in diesem Jahr noch zwei weitere anlegen, so hatte er seinen Viehbestand vergrößert.

 

Die Tage waren meist sehr einsam für ihn, denn er lebte ja alleine auf dem großen Hof.

 

Um etwas Abwechslung zu erfahren, fuhr Roland ein- oder zweimal im Monat, in die Stadt.

 

Er hatte ein Haus gefunden, in dem es eine Fülle von „arbeitenden Mädchen“ gab, die ihr Jahreseinkommen durch Gefälligkeiten für bedürftige Männer aufbauten.

 

Sie hatten sich diesen Beruf gewählt und wollten durch langsames Gehen am Straßenrand, finanziell schneller vorwärtskommen.

 

Eine dieser reizenden Damen war auch diejenige, die Roland mit zwanzig Jahren, zum Mann machte, und ihm die Unschuld nahm.

 

Die anderen sorgten dafür, dass diese auch nicht mehr zurückkehrte, erfreuten ihn und stillten seine sexuelle Sinneslust.

 

Trotz seiner Vorliebe für diese Damen, verbrachte Roland nicht viel Zeit dort, weil sein Bauernhof zu Hause auf ihn wartete, auch wenn es niemanden in seinem Leben gab, mit dem er diesen hätte teilen konnte.

 

Nun, das stimmte nicht genau.

 

Eine Zeit lang hatte Roland Gesellschaft.

 

Er hatte das große Glück, ein hübsches Mädchen namens Tina kennenzulernen.

 

Tina war ursprünglich aus Kassel und studierte Landwirtschaft und Viehzucht.

 

Sie trafen sich während einer Viehauktion und verliebten sich ineinander.

 

Das Mädchen war ziemlich prinzipiell, willensstark und weigerte sich, auf dem Hof zu bleiben, bis Roland ein schöneres Haus für sie gebaut hatte.

 

Er war verliebt und beauftragte, einen Architekten, der Ideen für eine Reihe von einer Art Luxushäuser entwickelte, von ganz einfach, bis riesig groß.

 

Roland wäre mit etwas Schlichtem und Funktionalem zufrieden gewesen, aber Tina hatte ihr Herz auf ein überdimensionales Wohnhaus gerichtet, mit Blick auf den höchsten Berg der Rhön, der Wasserkuppe.

 

Also haben sie das Haus natürlich gebaut, das Tina sich ausgesucht hatte und innerlich voller Luxus steckte.

 

Als er Tina kennenlernte, freute er sich und fuhr nicht mehr zu den Damen in die Stadt, denn er hoffte, dass er dies auch bei seiner jetzigen Freundin bekommen könnte, was die Damen ihm gaben.

 

Tina jedoch, sie war ein altmodisches Mädchen und sehr religiös erzogen, sodass sie zunächst auf die Heirat warten wollte, bevor es den ganzen Weg ging, und ihm diese sexuellen Freuden geben wollte.

 

Aber die Dinge wurden ein paar Mal sehr heiß und sie gingen weiter, als beide es beabsichtigt hatten.

 

Inzwischen machte es ihr ebenfalls Spaß und sie gewöhnte sich daran, an die irdischen Freuden der Lust.

 

Tina kam eines Tages zu Roland und sagte ihm, dass sie ganz bestimmt schwanger sein könnte, denn sie hatte manchmal unerträgliches Ziehen in ihrem Unterleib.

 

Roland war über diese Nachricht überglücklich, er wollte sie schnell zur nächsten Kirche bringen und sofort heiraten.

 

Bevor sie sich das Jawort gaben, gingen beide noch einmal zum örtlichen Arzt, um einen Schwangerschaftstest durchführen zu lassen.

 

Beide wurden verwirrt und besorgt, als der Arzt sie für weitere Tests du Untersuchungen, zum nächsten Krankenhaus in die Stadt überwies.

 

Als nach einigen Tagen die Testergebnisse zurückkamen, waren es wirklich sehr schlechte Nachrichten für beide.

 

Tina war nicht nur, nicht schwanger, sie hatte auch einen bösartigen Knoten in ihrer Gebärmutter.

 

Das Ergebnis war niederschmetternd, denn sie hatte Gebärmutterkrebs im vierten Stadium, und starb weniger, als drei Wochen, nach der Diagnose.

 

Sie starb ganz allein in Rolands Armen.

 

Roland war am Boden zerstört, als er seine Partnerin verlor, und konnte nicht einmal auch nur daran denken, sein Herz wieder zu verschenken, indem er sich auf jemanden Neues einließ, sich wieder verliebt und dadurch seine Seele auch wieder verletzlich machte.

 

Das Leben ging für ihn weiter, bevor das Schicksal erneut ins Spiel kam und sein Leben total umkrempelte.

 

 

 

2. Kapitel

 

 

 

Der Schneesturm

 

 

 

Er war inzwischen achtundzwanzig Jahre alt, als der erste große Schneesturm seit Jahrzehnten, in der Rhön sein Unwesen trieb.

 

Er hatte noch nie so viel Schnee und Probleme erlebt, die durch einen solchen starken Schneefall und heftigen Sturm verursacht wurden.

 

Roland erwachte eines Morgens ohne Strom, war aber mit einem Dieselgenerator gut vorbereitet, um seinen Haushaltsbedarf, zu decken,

 

Nachdem er den Generator in Gang brachte, hatte er Licht und Wärme, sodass er das Frühstück zubereiten und seine normalen Morgenroutinen, abschließen konnte.

 

Nach dem Essen ging er nach draußen, um den Traktor, für den kommenden Tag vorzubereiten.

 

In Erwartung des Sturms hatte er vorsichtshalber zwei Tage zuvor bereits einen Schneepflug vorne am Traktor angebracht, damit er einen Weg durch den Schnee, zu seinem Vieh ebnen konnte, das ja auch bei diesem Wetter, täglich gefüttert und getränkt werden musste.

 

Nachdem er das Vieh gefüttert hatte, begann er, Schnee von der unbefestigten Straße zu räumen, die an seinem Bauernhof vorbeiführte, was wirklich auch sein Auftrag, angeordnet von der Gemeinde, war.

 

Nachdem er sich jedoch hauptsächlich um die Hauptstraßen zu kümmern hatte, blieb ihm wenig Zeit, für die Bedürfnisse der Landbevölkerung.

 

Er konnte nicht jede Zufahrt, von der Hauptstraße zu den einzelnen Gehöften, von Schnee räumen, dazu fehlte ihm die Zeit.

 

Oft mussten sich die Kinder durch meterhohen Schnee stampfen, um auf die Hauptstraße zu kommen, wo sie in den Schulbus stiegen, der sie in die Schule brachte.

 

Roland machte gute Fortschritte und hatte fast die gesamte Hauptstraße geräumt, als ihm eine große Beule in einer Schneewehe ausfiel.

 

Was er in diesem Moment noch nicht wusste, war, dass eben diese Beule, mit einem Schlag, sein ganzes Leben verändern würde.

 

Er manövrierte den Schneepflug so nah wie möglich an diese Beule heran, ohne zu wissen, ob es sich um eine Kuh oder etwas ganz anderes handelte, das sich da unter der Schneedecke versteckte.

 

Als er mit seinem Schneepflug einmal ganz dicht an dieser Beule vorbeifuhr und Platz schaffte, rutsche der Schnee herunter und das Dach eines kleinen roten Autos kam zum Vorschein.

 

Er sah das Gesicht eines kleinen Mädchens mit geschlossenen Augen durch das Fensterglas, als er ins Innere des zugeschneiten Fahrzeuges schaute.

 

Roland holte tief Luft, hielt den Traktor an und sprang schnell von seinem Fahrzeug, herunter auf die Straße.

 

Er rannte, so schnell es die spiegelglatte Fahrbahn zuließ, zurück zum Auto und räumte schnell den Rest des Schnees mit seiner Hand von den Seitenfenstern, sodass das Fahrzeug, innen heller wurde.

 

Mit großer Besorgnis sah er zwei Personen in diesem eingeschneiten Fahrzeug liegen.

 

Er wusste nicht, ob die Insassen möglicherweise an einer Kohlenmonoxid Vergiftung gestorben waren, wenn das Auto schneebedeckt da stand, und der Motor lief.

 

Roland griff schnell an die Autotür, zog daran und war froh, dass sie nicht von innen verriegelt war, ansonsten hätte er die Seitenscheiben einschlagen müssen.

 

Er atmete erleichtert auf, als er sah, dass das kleine Mädchen, die Augen öffnete und ihn verwirrt ansah.

 

Roland senkte seinen Kopf und sagte nur:

 

„Gott sei Dank ... Gott sei Dank ... Gott sei Dank“

 

„Hey, geht es dir gut Kleines“; fragte er das kleine, ängstliche Mädchen.

 

„Ich bin Roland, ist das deine Mutti?“, fragte er weiter und zeigte auf die schlafende Frau auf dem Rücksitz.

 

Das Mädchen antwortete ihm nicht und sah ihn nur an.

 

Er wartete ein paar Atemzüge, bevor er weiter fragte:

 

„Wie heißt du?“

 

Die Kleine hielt vier Finger hoch.

 

Er lächelte sie an und fragte:

 

„Du heißt Vier?“

 

Sie nickte mit dem Kopf und sprach immer noch nicht.

 

Mit einem großen Lächeln sprach er weiter:

 

„Freut mich, dich Vier, zu treffen, ich bin Roland.“

 

Er streckte ihr seine Hand entgegen, aber sie nahm sie nicht, sondern drehte sich weg von ihm und schaute nur ihre Mutti an.

 

„Vier, ich muss dich und deine Mami jetzt aus dem Auto holen und auf meinen Traktor bringen.“

 

„Mit ihm werde ich dich irgendwohin bringen, damit du etwas zu essen bekommst, dich aufwärmen und ausruhen kannst.“

 

„Ich werde dann zurückkommen und euer Auto holen, nachdem ich weiß, dass ihr zwei euch bei mir etwas eingelebt habt, ist das in Ordnung so?“

 

Vier starrten ihn lange an, sagte aber nichts.

 

Roland wollte es gerade noch einmal versuchen, als sie schließlich dann doch sprach und antwortete:

 

„Mami ist sehr müde, sie muss schlafen.“

 

Roland lächelte und erklärte ihr:

 

„Ich habe ein schönes weiches und warmes Bett, auf dem sie sich ausruhen kann, aber wir müssen sie an diesen warmen und sicheren Ort bringen, damit sie nicht erfriert, ist das okay?“

 

Sie nickte, als ob sie verstand, was Roland versuchte, ihr zu erklären.

 

Es bedurfte ihn einiger Anstrengungen, um das kleine Mädchen und ihre bewusstlose Mami aus dem Auto, in den überdachten Traktor zu bringen.

 

Irgendwie gelang es Roland dann doch, beide an Bord zu nehmen, dann drehte er langsam den Traktor herum und fuhr zurück, zu seinem Haus.

 

Zuhause angekommen trug er jede Person einzeln, vom Traktor aus, in sein Haus.