Olli Gastronomicus Riek
Ist die Avocado regional?
Skurrile Geschichten aus dem Restaurant
Riek, Olli Gastronomicus : Ist die Avocado regional? Skurrile Geschichten aus dem Restaurant. Hamburg, Charles Verlag 2020
Originalausgabe
Print-ISBN: 978-3-948486-13-6
ePub-eBook-ISBN 978-3-948486-15-0
PDF-eBook-ISBN 978-3-948486-14-3
Lektorat: Silke Starodubetz
Korrektorat: Lisa Seidelt
Umschlaggestaltung: © Annelie Lamers
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.
Der Charles Verlag ist ein Imprint der Bedey Media GmbH,
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© Charles Verlag, Hamburg 2020
Alle Rechte vorbehalten.
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Kann man einen Menschen lieben,
den man nie gesehen oder berührt hat?
Ja! Sein eigen Fleisch und Blut!
Ich konnte dir meine Liebe nie zeigen, meine Jule.
Aber egal, wo du jetzt bist, sei dir gewahr,
dass sie dich für den Rest meines Lebens begleiten wird.
Dein Papa
Vorwort
Der Traum vom eigenen Buch steckt in jedem, der passioniert schreibt, auch wenn man am Anfang eher für sich selber schreibt und es einem eher unrealistisch erscheinen mag, mit dem, was man zu Papier bringt, ein ganzes Buch zu füllen. Als dieser Traum für mich wahr wurde, war dies ein überwältigendes Gefühl und der Moment, sein erstes, eigenes Buch in Händen zu halten, unvergesslich. Dass sich mein Buch »Ist das Gemüse auch vegan?« so gut verkaufte, dass mein Verlag mir anbot, ein weiteres Buch zu schreiben, steigerte meine Freude noch weiter! Nicht im Traum hätte ich das für möglich gehalten und so bin ich umso aufgeregter, euch nun mein zweites Buch »Ist die Avocado regional?« präsentieren zu dürfen. Natürlich erwartet ihr jetzt mehr skurrile und abgefahrene, aber auch etwas ernstere und nachdenklichere Texte und ich hoffe, ich kann eure Erwartungen auch befriedigen. Was ich euch garantieren kann, ist viel Herzblut und Leidenschaft, denn die ist für meinen Beruf als Kellner ungebrochen. Seit meinem ersten Buch ist einiges passiert, unverändert aber sind die vielen, komischen Erlebnisse mit meinen Gästen und mit meinen Kollegen. Ich hoffe, ihr werdet beim Lesen Spaß haben und euch in meinen Geschichten wiederfinden. Bitte nehmt nicht alles so ernst und betrachtet meine Geschichten mit einem Augenzwinkern. Denn auch dann, wenn mich zuweilen manche Gäste an den Rand des Wahnsinns treiben, sind sie es auch, die meinen Beruf und meine Berufung zu dem machen, was viele meiner Kollegen empfinden: Leidenschaft!
Viel Spaß und guten Appetit wünscht euch,
Euer Olli
Fachbegriffe
Umgangssprachliche Begriffe, die man nur versteht, wenn man aus der Gastro kommt:
1. Pathologie = Pattiserie
2. Mordor = Die Küche
3. Auenland = Das Restorang
4. Patienten = Gäste
5. Freigehege = Terrorasse = Terrasse
6. Weißmützenorks = Köche
7. Klemmbrettschwester = F&B-Manager
8. McGyver = Haustechnik
9. Arbeitsabwehranzug = Arbeitsbekleidung vom F&B-Manager
10. Hühnertitten = Hähnchenbrustfilet
11. Lebenszeitabzugsprämie = Das Gehalt
12. Der Alte = Der Hoteldirektor
13. Kellnerwellness = Die Kippe zwischendurch
14. Verlängerte Pause = Ich habe frei
15. Jonglierschlampe = Das Tragen eines Tabletts mit beiden Händen
16. Kellnertaufe = Wenn man den Gast mit Getränken überschüttet
17. Kaltabreise = Ein verstorbener Gast im Hotelzimmer
18. Kuchenzombies = Rentner zur Mittagszeit
19. Taxi = Kellner
20. Kellnerbordell = Das Trockenlager
Ich liebe die Gastro
Ich liebe meinen Beruf, denke viel an die Arbeit, über meine Arbeitsweise, was ich richtig aber auch falsch mache und versuche, meine Fehler zu korrigieren. Ich betrachte mich als Azubi, der unaufhörlich lernt, optimiert und sich selber kritisiert. Leidenschaft hat etwas mit Hingabe zu tun, aber Hingabe sollte nicht zur Aufgabe werden. Wer diesen Beruf ausübt und im Job alles gibt, sollte sich klare Grenzen ziehen, die für Kollegen wie Gäste gleichermaßen gelten. Wenn ich Feierabend habe, schalte ich ab und kümmere mich um meine anderen Leidenschaften, mein Kind, meine Frau, das Schreiben. Durch das Schreiben verarbeite ich meine Erlebnisse und lenke meine Gedanken in korrekte Bahnen, um das Chaos im Kopf steuern zu können. Die Arbeit ist nicht alles im Leben – ich gehe in ihr zwar auf, aber nicht unter. Ich gebe mich hin, aber nicht auf, denn viele verlieren sich und ihr Leben nur dafür, Menschen Essen und Trinken zu bringen. Es ist etwas anderes, eine soziale Verantwortung zu haben, als Menschen zu bedienen. Dienstleistung heißt nicht dienen, sondern das Erbringen einer Leistung, ich biete also nicht mich an, sondern das, was ich zu leisten im Stande bin. Ich lasse vieles mit mir machen, mir aber nicht alles gefallen.
Ziehe deine Grenzen dann, wenn du sie erkennst, und achte stets darauf, dass andere deine Grenzen respektieren. Ich lebe nicht, um zu arbeiten, sondern nutze die Zeit für Dinge, die wesentlicher und wichtiger sind. Arbeit gibt es viel, aber dein Leben gibt es nur einmal.
Dafür liebe ich die Gastronomie
Ich liebe die Gastronomie für die vielen kleinen und großen Komplimente und nicht für permanente Beschwerden.
Ich liebe die Gastronomie für die vielen zufriedenen und glücklichen Gäste und nicht für Menschen, die mit miesen Bewertungen drohen.
Ich liebe die Gastronomie dafür, diesen Beruf jeden Tag weiter zu erlernen, statt mich von dummen Menschen entmutigen zu lassen.
Ich liebe die Gastronomie für Vielfalt statt Einfalt.
Ich liebe die Gastronomie wegen ihrer Menschlichkeit und nicht wegen menschenverachtender Gäste.
Ich liebe die Gastronomie für die vielen kleinen und großen positiven Aspekte. Wieso aber sagen permanent Kollegen bei miesen Erlebnissen: »Dafür liebe ich die Gastro?« Wer auf die Fresse bekommt, liebt den Schläger ja auch nicht.
Liebe also, was liebenswert ist, und lehne alles ab, was dich kaputt macht!
Es gibt einfach tolle Gäste
Da blieb mir die Spucke weg
Einmal saß ein älteres Paar bei uns. Sie bestellten sich jeweils einen Hauptgang und ein Getränk. Als der Mann sein Bier austrank, fragte ihn mein Kollege Ahmed, ob er ein Zweites wolle, was der Mann mit: »Später gerne.« beantwortete. Sie aßen sehr langsam. Als Ahmed die Teller aushob, fragte er den Mann erneut, ob er denn jetzt sein zweites Bier bestellen wolle. Der Mann schüttelte fast unmerklich den Kopf, lächelte und sagte: »Nein, danke.«
Als der Mann bei mir die Rechnung zahlte, sagte er: »Wissen Sie, Ihr Kollege hat uns so nett und freundlich bedient, dass ich lieber ihm das Geld als Trinkgeld gebe, als ein zweites Bier zu trinken. Es ist nicht viel, aber es kommt von Herzen.«
Als ich Ahmed das erzählte, schluckte er kurz, zapfte ein Bier für den Mann und eine Weißweinschorle für die Dame und servierte es ihnen mit den Worten: »Ich habe noch nie ein so herzliches Trinkgeld bekommen und dafür lade ich Sie auf diese Runde ein.« Ich kommentierte das mit den Worten: »WIR laden Sie ein, das geht aufs Haus.«
***
Neulich ein Gast zu unserem Azubi: »Sie haben uns sehr, sehr gut bedient und man merkt, dass Sie Ihren Beruf lieben. Seit wann machen Sie das?«
Azubi: »Ein Jahr ungefähr.«
Gast: »Was?! Also sind Sie seit knapp einem Jahr ausgelernt?«
Azubi: »Nein, ich habe erst angefangen.«
Gast: »Das kann man kaum glauben, Sie werden es weit bringen.«
Der Gast betonte es mir gegenüber beim Gehen nochmals. Und unser Azubi? Bekam ’ne Buddel Wein!
***
Als ich einem Gast die Karte reichen wollte, fragte dieser, was ich denn empfehlen könnte. Ich fing an zu annoncieren: »Also wir haben Schn …«
Der Gast unterbrach mich und sagte ganz aufgeregt: »JA, SCHNITZEL, das nehme ich. Schnitzel geht immer.«
Ich: »Aber wir haben noch viel mehr.«
Gast: »Nee, ich möchte Schnitzel, dafür lasse ich alles andere stehen.«
Ich: »Soll ich da noch zwei Spiegeleier draufballern und das Ganze noch fett mit Käse gratinieren? Dazu ’ne ordentliche Portion Bratkartoffeln mit Speck?«
Gast grinste mit leuchtenden Augen: »Food Porn, ich könnte weinen.«
So geht Gastro!
***
Letztens kam ein Paar rein, es war bumsvoll im Laden. Etwas gestresst sagt der Mann: »Wir haben auf den Namen *** reserviert.«
Ich guckte im System nach … nichts.
Ich: »Für wie viele Personen?«
Er: »Für zwei.«
Ich: »Also ich habe keine Reservierung auf Ihren Namen und Reservierungen nehmen wir erst ab sechs Personen an.«
Der Gast aufgebracht: »Wir haben heute Morgen mit einem Ihrer Kollegen gesprochen und der meinte, es sei kein Problem!«
Ich: »Mit wem haben Sie gesprochen?«
Gast: »Das weiß ich nicht mehr, aber er meinte, es sei kein Problem.«
Ich: »Zeigen Sie mir mal die Nummer?«
Gast scrollt in seinem Handy rum und hält mir mit dem Kommentar »Ich bin doch nicht bescheuert!« sein Handy unter die Nase.
Ich: »Das ist nicht unsere Nummer.«
Gast: »Aber Sie sind doch das Restaurant ***.«
Ich: »Nee. Sie sind komplett falsch!«
Gast stutzt, grübelt und sagt: »Oh man, ich bin wirklich so dämlich, wie ich mich benehme! So ein Scheiß!«
Ich: »Dann bleiben Sie doch einfach hier.«
Gast: »Naja, wir wollten ja eigentlich ins ***.«
Ich: »Da drüben wird gleich ein Tisch frei. Ich lade Sie mal auf ein Bier an der Bar ein, Missgeschicke passieren uns allen.«
Gast guckt seine Frau an und die Frau sagt: »Du bist so verpeilt, aber ich habe auch keine Lust mehr. Wir bleiben hier.«
Seine Frau und ich haben den Mann den Rest des Abends total hops genommen. Die waren super!
So geht Gastro!
***
Das geht runter wie Öl
Gast: »Wir kommen ja seit einiger Zeit öfters zu Ihnen, aber jetzt sage ich Ihnen mal wieso. Man merkt, dass das Team Spaß bei der Arbeit hat und sich untereinander gut versteht. Niemand ist verkrampft oder förmlich. Es ist eher familiär. Ich finde, darum geht es ja auch heute. Sie sind sehr unkonventionell, das mag sicher nicht jeder, aber dadurch können Sie auf Gäste gut eingehen. Das können alle hier und das macht es auch für Gäste einfach, sich wohl zu fühlen. Und wenn mal ein Fehler passiert, kann man den leichter verzeihen, als wenn Sie versuchen würden, eine Professionalität vorzuspielen, die nicht Ihrer Mentalität entspricht.«
Die moderne, zukunftweisende Gastronomie aus der Sicht eines aufmerksamen Gastes. Toll!
***
Die Symbiose der Gegensätze
Es gibt sie noch: Menschen mit Verständnis.
Eine Gruppe hatte sich zum Essen angekündigt. Eine Person davon schickte eine Mail, in welcher sie sich für die im Anhang angefügte Liste der Unverträglichkeiten entschuldigte. Ich weiß nicht mehr, was alles auf der Liste stand, aber sie war lang. Sie wolle keine Schwierigkeiten verursachen, bäte aber um eine Berücksichtigung, so dies denn möglich sei. Der Ton war mehr als freundlich und sehr kooperativ und verständig und so besprach ich mit der Küchenbrigade Menüvorschläge. Alle berührte die Mail und so zauberte die Küche ein leckeres Diätmenü.
Als die Gruppe dann nach einem schönen Abend kurz davor war zu gehen, drückte die allergische Person mir 20 Euro in die Hand und bedankte sich für dat leckere Essen und die Mühe, die sich die Küche gemacht hatte.
Wenn Gäste GEMEINSAM mit dem Restorang arbeiten, wenn man zusammen den Abend gestaltet, dann ist es wahrlich professionell! Wäre es immer so, könnten wir durch die Decke starten!
***
Ich hörte die Feier schon von draußen. Als ich dann in den Laden kam, war die Stimmung echt Bombe. Es wurde viel gelacht, erzählt, wieder gelacht. Ich ging zu Bibi und fragte sie, ob das eine Hochzeit sei? Sie verneinte. Ein Geburtstag? Sie verneinte. Ein Junggesellenabschied? Sie verneinte. Als mir die Ideen ausgingen, sagte sie nur: »Trauerfeier.«
Wie geil, da ist ein absoluter Scherzkeks gestorben und die Hinterbliebenen tauschen Geschichten und Anekdoten aus. Eine unglaublich positive und geile Stimmung war das.
Wenn ich mal in die Horizontale gehe, möchte ich auch so eine Feier.
***
Das Wetter nicht so geil und es war Sonntag. Gute Voraussetzungen für eine bumsvolle Hütte! Nachdem ich also wie auf Koks durch den Laden pflügte, wollte ein Gast zahlen. Als ich ihm die Rechnung brachte, auf welcher ein Betrag von € 110,50 stand, drückte mir der Gast € 150 in die Hand und sagte: »Stimmt so. Es ist ja nicht so, dass Sie sich hier Kaffee trinkend zusammen in die Ecke stellen und Bestellungen deswegen lange brauchen. Sie und Ihre Kollegen laufen sich einen ab. Ich könnte Sie dafür jetzt milde loben, aber was haben Sie davon? Mit ein bisschen mehr Trinkgeld können Sie sich belohnen. Ein Händedruck alleine vermittelt keine Wertschätzung!«
Und ich bin wirklich selten sprachlos!!!!
***
Neulich fragt ein Gast: »Ich weiß, wer Sie sind. Ich habe Ihr Buch gelesen, aber ich frage mich schon, wie man sich in einem Restorang richtig benimmt? Man hat ja doch Angst, was falsch zu machen und sich zu blamieren.«
Ich: »Sagen Sie ›Moin‹ und ›Tschüss‹, ›Bitte‹ und ›Danke‹, essen Sie mit Messer und Gabel, furzen, rülpsen und schmatzen Sie nicht? Behandeln Sie Menschen mit Respekt und Würde und nehmen Sie Rücksicht auf die Ruhe und Entspanntheit, die man in einem Restorang sucht?«
Gast: »Also unterm Strich braucht man nur das, was man in unserem Kulturkreis als Anstand bezeichnet?«
Ich: »Genau! Mehr braucht es nicht, als einfach anständig zu sein, vielleicht ein büsschen seinen Verstand zu benutzen und die Ausrichtung des Restorangs zu respektieren.«
***
Das passiert auch den Erfahrensten
Es war bumsvoll, als ich wie Gollum auf Speed durch den Gastraum raste. An einem Tisch saß ein Paar, das auf sein Essen wartete. Sie warteten und warteten. Als Kellner sieht man an der verkrampften, nebst unentspannten Körpersprache, wenn Gäste wirklich lange warten. So ging ich in die Küche und sprach unseren Küchenchef an: »Wo bleibt das Essen für Tisch 19.«
Unser Küchenchef, deutlich genervt, weil er die komplett vollgerotzte Bonleiste nach dem Bon für Tisch 19 absuchte, bis er sagte: »Gibt’s nicht.«
Ich: »Wie, gibt’s nicht?«
Küchenchef: »Is nich gebucht!«
Ich: »Doch, habe ich gebucht, ganz sicher!«
Küchenchef: »Die Bonleiste ist der Computer des Kochs: Die irrt sich nie!«
Ich: »Man, ey, klar ist der Scheiß gebucht!«
Ich ging zur Kasse, öffnete Tisch 19 und siehe da: Nicht gebucht! Ich hatte es einfach vergessen! Also ab zu den Gästen, mich entschuldigt, was sie annahmen und mich auslachten, und dann kleinlaut in die Küche geschlichen, wo der Küchenchef nur sagte: »6 Bier!«
Egal, wie lange man diesen Job schon macht, es gibt Fehler, die ein Azubi ebenso konsequent durchzieht wie jemand mit 17 Jahren Berufserfahrung!
***
Wir hatten letztens Labskaus als Mittagstisch. Als ich es einem Gast servierte, sagte ein Gast am Nebentisch: »Was ist das denn? Das sieht ja aus wie Kotze.«
Ich: »Das ist Labskaus, ein hanseatisches Traditionsgericht.«
Gast: »Bah, sowas servieren Sie? So eine Pampe kann man doch nicht essen.«
Ich: »Das ist ein uraltes Gericht und ob das schmeckt oder nicht, ist eben auch Geschmackssache.«
Gast: »So wie das aussieht, kann das nicht schmecken.«
Ich entschuldigte mich, ging in die Küche und kam ein paar Minuten später mit einer Probierportion zurück, welche ich dem verdutzten Gast servierte. Der sträubte sich kurz, ließ sich aber dann doch dazu herab zu kosten. Dann blickte er mich verwundert an und sagte: »Das … das ist lecker! Das hätte ich nie gedacht, dass dieser unansehnliche Haufen nach Kotze aussehender Brei so lecker ist.«
Ich: »Ganze Portion?«
Gast: »Gerne!«
Und die Moral von der Geschicht? Nicht alles, was dem Anschein nach scheiße aussieht, schmeckt auch so!
***
Neulich eine Gästin: »Der Schokobrownie, ist der sehr süß?«
Ich: »Ja.«
Gästin: »Und ist der sehr mächtig?«
Ich: »Könnte fast ein Hauptgang sein!«
Gästin: »Und dann machen Sie da noch Schokoladensoße und Krokant drüber?«
Ich: »Ja!«
Gästin: »Und dann noch Eis dazu?«
Ich: »Ja.«
Gästin: »Ist das Ihr Ernst? Wer soll das bitte essen?«
Ich: »Sie?«
Gästin: »Das süße Zeug?«
Ich: »Ja!«
Gästin: »UNBEDINGT, eine extra Portion bitte!«
Scheißegal, wieviel man vorher gegessen hat – Schokolade geht immer!
***
Wenn Gäste zu Stammgästen werden
Letztens eine Gästin: »Wir waren jetzt so … bummelig vier Mal hier und es sind alle so nett zu den Gästen und nett unter sich, toll. Und so bunt gemischt sind Sie alle. Herrlich! Also wir werden jetzt öfters kommen. So entspannt kann man selten den Nachmittag genießen. Wie machen Sie das?«
Ich: »Liebe. Wir lieben unseren Job und wir lieben es, Gäste, die guten Sörwis zu schätzen wissen, so richtig zu verwöhnen. Dazu braucht es kein Schickimicki, sondern einfach nur bodenständigen, ehrlichen Sörwis! Und wenn die Gäste gut drauf sind, macht es umso mehr Spaß und motiviert!«
Gästin: »Geil, das merkt man.«
Also Kollegen: Stock aus’m Arsch und menschlich sein!
***
Probleme von Stadtmenschen …
Gästin: »Echt mal, ich dachte, studieren ist hart anstrengend, aber was ihr hier wegarbeitet, ist echt krass! Ich hatte überlegt, auch Gastro zu machen neben dem Studium, aber das würde ich nicht durchhalten, vor allem weil man immer so nett sein muss.«
Ich: »Muss man nicht immer. Man behandelt vor allem Gäste genauso, wie sie es wollen.«
Gästin: »Das ist viel Psychologie, oder?«
Ich: »Ja, wird aber leider nicht als Abschluss anerkannt, wenn man ein paar Jahre in der Gastro arbeitet.«
Gästin: »Mir ist auch oft aufgefallen, dass Kellner Abfalleimer Menschenmülls sind, den sie bedienen müssen. Wird das nicht irgendwann zu viel?«
Ich: »Nein, es gibt so viele nette Gäste. Man freut sich wirklich an den kleinen Komplimenten, die kleinen Gesten der Dankbarkeit. Und wie gesagt: Wer scheiße ist, bekommt scheiß Sörwis. Man sollte nur eben keine Angst haben.«
Gästin: »Wie im wahren Leben?«
Ich: »Gastro ist das wahre Leben. Hier präsentieren sich manche Menschen so, wie sie außerhalb eines Restorangs nie sein würden. Wir sind gewissermaßen das masochistische Spielzimmer des gesellschaftlichen Dienstleistungsgewerbes.«
***
Inklusion lernt man am besten im Alltag
Neulich kam ein blinder Gast zu uns. Humormäßig auf alle Fälle meine Wellenlänge! Schon bei der Begrüßung sagte er: »Komisch, ich habe Sie noch nie gesehen.« Darauf ich: »Dann sehen Sie doch drüber hinweg!« Wir waren auf Anhieb Freunde. Als ich ihn zum Platz begleitete, bat er mich, ihm die Karte vorzulesen, was er folgendermaßen kommentierte: »Ist zu dunkel zum selber Lesen.«
15 Minuten später.
Er bat mich die Komponenten des Essens in einer bestimmten Anordnung anzurichten, sein Wasserglas gab ich ihm und er stellte es an seine übliche Stelle.
Nach dem Essen sagte er: »Ihre Kollegin ist sehr nett. Wenn ich könnte, hätte ich mich fast in sie verguckt, aber sehen wir mal, was die Zukunft bringt.« Darauf ich: »So gesehen, haben Sie Recht.«
Zum Abschied meinte er »Auf Wiedersehen«, wir mussten sehr lachen. Als ich ihn noch auf die Stufe am Eingang hinwies, entgegnete er: »Hab’s kommen sehen.«
Oh man, wie geil, dass es Menschen gibt, die egal in welcher Situation auch immer sie sind, ihren Humor nicht verlieren!
Faszinierend aber, muss ich gestehen, war die Souveränität im Umgang mit einer für ihn völlig fremden Umgebung. Für mich war er nicht behindert, er konnte nur einfach nichts sehen!
***
Ich habe einen Fehler gemacht
Letztens gab es folgende Situation:
Zwei Gäste wollten unbedingt einen Tisch reservieren. Machen wir nicht. Es war Sonnabend, also die Hütte bumsvoll und die Gäste am Telefon am Diskutieren. Ich blieb freundlich, aber sehr direkt und betonte, dass ich niemanden bevorzuge oder benachteilige. Am Abend kamen die beiden auch und wiederholten ihre Unzufriedenheit ob des Umstandes, dass wir keine Reservierungen annehmen, aber sie bekamen einen freien Tisch. Ich hatte überhaupt keine Lust auf die Leute und war eher reserviert als herzlich, machte den Sörwis bei denen ohne Herz.
Dann aber drehte sich die Stimmung. Es wurde doch herzlicher, die Gäste lobten zunehmend das Essen und sogar meinen eher kalten Sörwis. Dann begannen sie, sich mehrmals für den schönen Tisch zu bedanken und wir plauderten über dütt un datt. Am Ende gaben sie ein beachtliches Trinkgeld und nahmen uns zum Abschied in den Arm.
Ich hatte ein so schlechtes Gewissen! Anfänglich waren diese Gäste am Telefon und dann im Restorang penetrant und für mich nervig und ich bedachte sie mit einem entsprechenden Sörwis. Dabei waren es aber total herzliche Menschen. Die Lektion? Nicht immer halten Menschen dem ersten Eindruck stand. Zu schnell bildet man sich ein Urteil, nur um dann am Ende festzustellen, dass es unzutreffend ist. Ich denke, das Problem haben viele Kolleginnen und Kollegen, leider ist dies wohl auch dem Schutz vor der oft miesen Behandlung durch Gäste, Chefs und Kollegen geschuldet, aber mahnt einen doch immer wieder, wie vorsichtig man zuweilen sein sollte.
***
Einmal war trotz Bombenwetters die Terrorasse nicht ganz voll, insgesamt ein entspanntes Arbeiten. Plötzlich kamen vier Tische auf einmal, jeweils zwei Personen, und setzten sich an nah beieinanderstehende Tische. Schon beim Reinkommen, zeigten sie mir an ihrer Art, dass es lustig werden wird. Als sie saßen, stellte ich mich in die Mitte und sagte: »Bevor ich jetzt an jeden einzelnen Tisch gehe, nehme ich von euch allen die Bestellung auf.«
Nachdem alle Bestellungen aufgenommen waren, begannen die Gäste sich durcheinander zu unterhalten. Die kannten sich vorher alle nicht, aber Gespräche entwickelten sich.
20 Minuten später.
Sie schoben die Tische zusammen und setzten sich an die improvisierte Tafel.
3 Stunden später.
Wir machten Feierabend und setzten uns dazu.
5 Stunden später.
Wir gingen alle rotzevoll nach Hause.
So geht Begegnung!
***
Wann der Sörwis am schönsten ist
Ein älteres Paar sitzt auf der Terrorasse. An der Kleidung konnte man bereits ablesen, was sie mir dann im Gespräch erzählten: Für sie ist Essen gehen Luxus. Sie genossen bei dem herrlichen Osterwetter sichtlich, dass wir sie verwöhnten, und waren dafür unglaublich dankbar und herzlich! Am Ende gaben sie sogar ein kleines Trinkgeld und verabschiedeten sich mit der Bemerkung einen so schönen Nachmittag gehabt und sich wie Könige gefühlt zu haben.
Da bewies es sich für mich wieder: Menschen, die wenig Geld haben und sich über einen kleinen Luxus freuen, sind dankbarere Gäste als jene, die glauben, dass man sich mit Geld die ganze Welt kaufen kann und alles selbstverständlich ist. Denn eines kann man sich mit Geld nicht kaufen:
Anstand!
***
Eine sehr alte Dame kam zum Essen. Am Ende, als sie zahlen wollte, hielt sie mir D-Mark-Scheine hin. Auf meinen Hinweis, dass wir keine D-Mark annehmen würden, entgegnete sie: »Aber wir sind doch in Deutschland und ich habe doch noch so viele Scheine zuhause. Ich dachte, man kann damit noch zahlen. Ich muss die ja mal langsam ausgeben, sonst ist die Mark nachher nichts mehr wert.«
Das fand ich so süß, dass ich den Betrag in Mark umrechnete und sie so bezahlen ließ. Später habe ich das Geld dann bei der Bundesbank gewechselt.
***
Wenn Gäste einen bei der Arbeit beobachten, kann dies folgende Gründe haben:
1. Sie sind Tester
2. Sie sind äußerst aufmerksame Gäste (eher selten)
3. Sie sind ehemalige Kollegen
Das letztere war neulich der Fall. Am Ende sagte der Gast zu Ahmed: »Mir ist aufgefallen, dass ihr im Gastbereich Witze miteinander macht und ziemlich locker miteinander und mit den Gästen umgeht. Das kommt nicht in jedem Betrieb gut an, aber ich finde das klasse. Fühlt sich das Personal wohl, überträgt sich das auch auf die Gäste. Seid ihr untereinander sozial, seid ihr das auch mit den Gästen. Ich finde das wesentlich besser, als eine falsche Zurückhaltung oder zu steife oder seriöse Kellner. So muss Gastronomie sein.«
Endlich mal einer, der meine zutiefst verinnerlichte Sörwisphilosophie verstanden hat und begreift, wie Gastronomie der Gegenwart und Zukunft sein muss.
***
Das geht runter wie Öl
Neulich hatten wir ein Geschäftsessen mit lauter fein angezogenen Herren Marke Sparkasse. Am Ende kam einer von denen zu mir und sagte: »Wissen Sie, ich sitze den ganzen Tag im Büro, sehe immer dieselben Menschen und ich verdiene wahrscheinlich das drei- oder vierfache von dem, was Sie verdienen. Aber als ich damals studierte, habe ich auch gekellnert und das war mit die geilste Zeit meines Lebens. Wir hatten sehr viel Spaß und ich habe in der Gastronomie meine Frau kennen gelernt. Sie sollten viel mehr Geld verdienen für die Arbeit, die Sie alle leisten. Versteht die Politik nicht. Machen Sie weiter so, Ihre Arbeit ist manchmal mehr wert als die, die wir machen.«
Ich hätte heulen können und verliebt war ich auch!
***
Das Feierabendjuwel
Eine halbe Stunde vor Küchenschluss war es leer im Laden und wir freuten uns auf einen pünktlichen Feierabend, als ein Gast zur Tür rein kam. Und seien wir mal ehrlich: Da ist jeder erstmal genervt! Aber das waren wir nur kurz, denn er meinte: »Ich hätte gerne das, was am schnellsten geht und dazu ein großes Hefeweizen. Bitte bring mir auch gleich die Rechnung und berechne 10% Trinkgeld gleich drauf.«
Um Punkt 24 Uhr ging der Gast und wünschte uns einen schönen Feierabend. Wir sahen uns alle an und spürten einen leisen Funken Hoffnung.
Ein Gast mit Humor … hat man ja auch nicht alle Tage
***
Worum es wirklich geht
Neulich ein Stammgast: »Wir kommen so gerne, weil man hier Mensch sein kann. Auch als Gast muss man sich oft irgendwie verstellen, man hat das Gefühl, dass man sich anpassen muss. Viele Restorangs sind Glitzer, Glitzer, alles perfekt und dann hat man auch als Gast das Gefühl, perfekt sein zu müssen. Aber wir wollen das nicht. Weißt du, Olli, oft sind auch die Kellner so unecht, so aufgesetzt. Deswegen gehen wir gar nicht mehr in Sterne-Läden oder überkandiedelte Restorangs sondern lieber in solche, wo man sich wirklich wie zuhause fühlt, weil alles authentisch ist. Warum tun sich so viele damit so schwer?«
Ich: »Weil die äußere Perfektion den eigenen Anspruch widerspiegeln soll, ob gerecht- oder ungerechtfertigt. Ich hatte damals schon den Eindruck, dass man sich auch super hinter dieser Glitzerfassade verstecken kann, aber es gibt eben auch Gäste, die diese Unauthentizität wollen. Viele verkaufen Illusionen. Darum geht es letztendlich.«
Gast: »Leider. Das kommt so entmenschlicht rüber. Maschinen statt Menschen. Alle gleich, alle ohne Individualität. Ich merke das sofort und deswegen gehe ich lieber dahin, wo Fehler und Perfektion zusammen gehören.«
Und da denken wir zuweilen, Gäste bekommen gar nichts mit?
MITNICHTEN!