Inhalt

  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Über die Autorin
  4. Titel
  5. Impressum
  6. Widmung
  7. Kapitel 1
  8. Kapitel 2
  9. Kapitel 3
  10. Kapitel 4
  11. Kapitel 5
  12. Kapitel 6
  13. Kapitel 7
  14. Kapitel 8
  15. Kapitel 9
  16. Kapitel 10
  17. Kapitel 11
  18. Kapitel 12
  19. Kapitel 13
  20. Kapitel 14
  21. Kapitel 15
  22. Kapitel 16
  23. Kapitel 17
  24. Kapitel 18
  25. Kapitel 19
  26. Kapitel 20
  27. Kapitel 21
  28. Kapitel 22
  29. Kapitel 23
  30. Kapitel 24
  31. Kapitel 25
  32. Kapitel 26
  33. Kapitel 27
  34. Kapitel 28
  35. Kapitel 29
  36. Kapitel 30
  37. Kapitel 31
  38. Kapitel 32
  39. Kapitel 33
  40. Kapitel 34
  41. Kapitel 35
  42. Kapitel 36
  43. Kapitel 37
  44. Kapitel 38
  45. Kapitel 39
  46. Kapitel 40
  47. Kapitel 41
  48. Kapitel 42
  49. Kapitel 43
  50. Kapitel 44
  51. Kapitel 45
  52. Kapitel 46
  53. Kapitel 47
  54. Kapitel 48
  55. Kapitel 49
  56. Kapitel 50
  57. Kapitel 51
  58. Kapitel 52
  59. Kapitel 53
  60. Kapitel 54
  61. Kapitel 55
  62. Kapitel 56
  63. Kapitel 57
  64. Kapitel 58
  65. Kapitel 59
  66. Kapitel 60
  67. Kapitel 61
  68. Kapitel 62
  69. Dank an

Über dieses Buch

Ein charmanter Wohlfühlroman über Hüte und die Liebe

Als Ellie den kleinen Hutladen ihrer Mutter im Herzen Dublins erbt, muss sie sich entscheiden: Will sie das Geschäft übernehmen oder das großzügige Angebot eines Immobilienmaklers akzeptieren? Von ihren Freunden ermutigt, entscheidet sich Ellie für den Laden und beginnt, eigene Kreationen zu entwerfen. Schon bald locken ihre neuen Designs die unterschiedlichsten Kunden auf der Suche nach dem perfekten Hut an. Beim Entwerfen der Hüte ist Ellie glücklicher als je zuvor. Und während sie fingerfertig ihre wunderbaren Hüte näht, klopft schließlich das Glück an ihre Ladentür ...

»Ein unvergessliches Leseerlebnis!«

Irish Times

»Ein warmherziges und lebenskluges Buch über die Bewohner von Dublin und ihre Hüte!«

The Irish Cronicle

Dieses Buch ist bereits in einer früheren Ausgabe unter dem Titel »Mein kleiner Hutsalon« erschienen.

Über die Autorin

Marita Conlon-McKenna ist eine der beliebtesten Autorinnen Irlands und vor allem für ihre Kinderbücher bekannt. Doch auch ihre Frauenromane erobern regelmäßig die Bestsellerlisten und sind bereits in viele Sprachen übersetzt worden. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Dublin.

Marita Conlon-McKenna

Der kleine Hutladen in der Anne Street

Aus dem Englischen von Gabriele Werbeck

beHEARTBEAT

In Erinnerung an meine wunderbare Tante Eleanor Murphy und ihren kleinen Laden in der South Anne Street

Kapitel 1

Ellie Matthews schloss sich dem Strom von Menschen an, die in aller Frühe auf dem Weg zur Arbeit den St. Stephen’s Green durchquerten. Ihr war das Herz schwer, und sie sah weder die Wolken, die über den blauen Himmel jagten, noch die Reihen roter und gelber Tulpen, die den Weg durch den Stadtpark von Dublin säumten, und auch für den Stadtgärtner Jimmy Byrne, der bereits mit Schaufel und Harke am Werk war und Goldlack pflanzte, hatte sie nur einen flüchtigen Blick übrig. Ohne auf die Enten zu achten, die auf dem See herumpaddelten, überquerte sie die alte Steinbrücke und ging auf das Haupttor zu.

Aus der Straßenbahn quollen die Pendler, und sie folgte ihnen die Dawson Street hinunter. Um sie herum toste der Verkehr, als Ellie in die South Anne Street einbog – die Straße, die sie schon ihr ganzes Leben lang kannte. Sie blieb stehen, kramte in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel für den Laden, drehte ihn entschlossen um und trat durch die Tür von Haus Nr. 61. Ihr Herz klopfte, und sie hielt sich einen Moment am Rahmen fest.

Es war fast sechs Wochen her, seit sie das letzte Mal über die Schwelle des kleinen Hutladens ihrer Mutter getreten war, und in diesen sechs Wochen hatte sich ihre Welt von Grund auf geändert. Sie rang mit den Tränen, als sie mit der Hand über die Verkaufstheke, die Regale und die Hutständer strich.

Vor vierzig Tagen hatte sich ihre Mutter Madeleine schließlich damit einverstanden erklärt, ins Krankenhaus zu gehen. Dort hatte sie die Schmerzen und die Furcht vor ihrer unheilbaren Krankheit dank des Morphiums und einer Ellie nach wie vor nicht nachvollziehbaren, plötzlich einsetzenden Gemütsruhe vergessen.

»Ich habe keine Angst«, hatte sie immer wieder gesagt, »und du darfst auch keine haben.«

Viel zu schnell waren die Tage vergangen, während sie zusah, wie ihre schöne Mutter den Weg in jene andere Welt antrat, an die sie so fest glaubte.

Ihre Tanten Yvette und Monique, Onkel Jean-Luc, Moniques Mann, und ihre Cousins und Cousinen kamen aus Frankreich angereist. Die Familie hatte sich gemeinsam mit Freunden und Kollegen in der Clarendon Street Church, der Lieblingskirche ihrer Mutter in der Innenstadt, zu einem Trauergottesdienst zusammengefunden. Danach war Madeleine Matthews mit derselben schlichten Würde, die sie ihr ganzes Leben lang ausgestrahlt hatte, an einer hübschen Stelle auf dem Friedhof in Wicklow zur letzten Ruhe gebettet worden. Ellie seufzte, es tat furchtbar weh.

Sie und ihre Mutter! Es waren immer sie beide gegen den Rest der Welt gewesen, Mutter und Tochter, die besten Freundinnen, Kameradinnen, viel mehr als das. Nie hatte sie sich ein Leben ohne ihre Mutter vorstellen können – und jetzt war sie zum ersten Mal allein. Sie hatte keine Geschwister, keine große Familie, da ihre Mutter sie allein großgezogen hatte. Ellie wusste, dass sie gern mehr Kinder gehabt hätte, eine ganze Schar Jungen und Mädchen mit dunklen Haaren und großen Augen, aber es sollte nicht sein. Knapp drei Jahre nach ihrer Blitzhochzeit mit Philip Matthews hatte er sich aus der stürmischen Ehe verabschiedet und sie mit ihrer kleinen Tochter zurückgelassen.

Ellie sah sich in dem staubigen Laden um, der dringend nach einer gründlichen Putzaktion verlangte. Der Boden im Eingangsbereich war schmutzig, die Fenster mussten geputzt werden, und im Hinterzimmer stapelten sich Hutschachteln und Tüten mit Sinamay, Filz, Satin und Tüll. Überall lagen halbfertige Hüte und Reste von Ripsband. Sie betrachtete die riesige Kork-Pinnwand, an die ihre Mutter Fotos, farbige Zeichnungen, Stoffmuster und Skizzen zu besonderen Entwürfen geheftet hatte, und fragte sich, wo sie anfangen sollte.

Der Laden war zwar geschlossen, aber es sollte trotzdem alles sauber und ordentlich sein, worauf ihre Mutter immer Wert gelegt hatte. Ellie legte ihre rote Baskenmütze und den schwarzen Mantel ab und band entschlossen ihre schulterlangen schwarzen Haare mit einem Stück Schnur zusammen. Höchste Zeit, dass sie sich ans Aufräumen machte. Sie rümpfte die Nase über die säuerlich riechende angebrochene Packung Milch und die muffigen Kekse im Regal und begann den Abfall einzusammeln. Als Nächstes nahm sie Eimer, Schrubber und Lappen und wischte mit gesenktem Kopf die Fliesen vor der Tür, ohne die Passanten anzusehen. Eine kleine schwarze Katze tauchte auf, trippelte über die nassen Fliesen und versuchte zwischen ihren Beinen in den Laden zu schlüpfen.

»Halt, du kleines Biest!«

Ellie verscheuchte sie mit dem Schrubber, dann ging sie wieder nach drinnen und holte den Staubsauger hervor. Sie hatte ihn gerade eingeschaltet, als es an der Ladentür klopfte. Konnten die Leute nicht lesen? Es hing doch ein Schild »Geschlossen« in der Tür.

Vor der Tür stand ein Mann. Sie schaltete den dröhnenden Staubsauger aus und strich sich über die Haare, bevor sie zur Tür ging und öffnete.

»Tut mir leid, wenn ich störe«, setzte er an.

»Wir haben geschlossen«, sagte Ellie mit Nachdruck. »Ich bin nur zum Saubermachen hier.«

»Oh, tut mir leid. Ich wollte eigentlich Madeleine sprechen.«

»Das geht leider nicht«, sagte sie langsam und um Fassung bemüht. »Sie ist vor zwei Wochen gestorben.«

»Oh ... Das habe ich nicht gewusst. Mein aufrichtiges Beileid«, sagte er. »Ich wusste, dass sie krank war, aber nicht, dass es so ernst um sie steht. Ich habe versucht, sie zu erreichen.«

Ellie spürte Tränen in ihren Augen brennen. Der große, elegant gekleidete Mann sah sie fragend an.

»Madeleine war Ihre ...?«

»Meine Mutter.«

»Sie sehen ihr ähnlich«, sagte er freundlich. »Madeleine hat mir natürlich von ihrer Tochter erzählt. Wir standen in Verhandlungen wegen des Verkaufs dieses Hauses. Wahrscheinlich wissen Sie davon.«

Ellie schüttelte den Kopf. In den letzten Monaten hatte ihre Mutter kaum noch über das Geschäft gesprochen. Sie war zu krank gewesen, zu schwach, um Kraft auf materielle Dinge zu verschwenden.

»Bitte, kommen Sie doch herein. Ich will nur schnell wieder abschließen.«

»Entschuldigen Sie, ich habe mich noch gar nicht richtig vorgestellt«, sagte er mit ernstem Blick. »Mein Name ist Neil Harrington – von Harrington Smith, der Anwaltskanzlei.«

»Und ich bin Ellie Matthews«, erwiderte sie und fragte sich, ob er wusste, dass der Laden jetzt ihr gehörte.

»Wir vertreten die Casey Coleman Holdings, das ist eine der größten Bau- und Immobilienfirmen in Irland. Sie hat erhebliche Summen in Häuser an dieser Straße investiert. Es sind umfangreiche Sanierungs- und Baumaßnahmen für neue Geschäfte, Büros und Wohnungen geplant. Ich hatte im Auftrag von Casey Coleman für Ihre Mutter einen Kaufvertrag für die Nr. 61 aufgesetzt.«

»Meine Mutter wollte den Laden verkaufen?« Ellie konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Sie hätte sich niemals träumen lassen, dass ihre Mutter das Geschäft, in dem so viel Herzblut und jahrelange Arbeit steckte, freiwillig aufgeben würde.

»Ja, wir hatten darüber verhandelt. Sie war sich bewusst, dass Veränderungen anstehen. Die Straße – na ja, sie wird durch diese neuen Pläne ein ganz anderes Gesicht bekommen, wie schon gesagt, und ich hatte den Vertrag bereits vorbereitet.«

Vertrag. Ellie war fassungslos. Warum hatte ihr ihre Mutter nichts von den Verhandlungen mit diesem ernsten dunkelhaarigen Anwalt erzählt? Sie hatte den Laden vor einunddreißig Jahren gekauft und seither fast jeden Tag hier gearbeitet. Es war sehr viel mehr als ein Laden für Madeleine Matthews gewesen: Es war ihr Leben gewesen! Sie wäre niemals auf die Idee gekommen, ihn zu verkaufen, wenn sie nicht krank geworden wäre. Aber vielleicht hatte der Mann, der jetzt vor ihr stand, ja recht? Vielleicht war ihre Mutter realistischer gewesen, als sie gedacht hatte, und hatte für die Zukunft geplant. Ellie war völlig verwirrt. Sie fühlte sich wie ein auf dem Meer treibender Korken, hilflos den Gezeiten ausgeliefert.

»Miss Matthews?«

»Tut mir leid, Mr. Harrington. Ich wusste, dass es Sanierungspläne für die Straße gibt, aber mir war nicht klar, dass meine Mutter in Erwägung zog, den Laden zu verkaufen.«

»Ich nehme an, dass sie unter den gegebenen Umständen das tun wollte, was das Beste war«, erwiderte er und sah sie mit aufrichtiger Anteilnahme an.

»Das Beste!«

Ellie musste schlucken. Sie fühlte sich verletzt, bedroht. Wer konnte sagen, was das Beste war, jetzt, wo ihre Mutter unter der Erde lag und sie die einzige Begünstigte in ihrem Testament war? Dieses schlichte Schriftstück umfasste den Laden, ihre Wohnung im ersten Stock eines georgianischen Hauses in der Hatch Street und ein kleines Bankguthaben, das durch die Beerdigungskosten bereits fast aufgebraucht war.

»Ich will Sie in dieser Zeit der Trauer nicht bedrängen, deshalb lasse ich Ihnen ein Exemplar des Vertrags da, damit Sie ihn in Ruhe durchlesen können.« Er zog einen großen braunen Umschlag aus der Aktentasche, die er auf der Holztheke abgelegt hatte. »Wenn Sie in den kommenden Tagen oder Wochen, wann immer Sie wollen, mit mir oder einem meiner Partner darüber reden möchten, stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.«

Ellie versuchte die Tränen zurückzudrängen, die ihr in die Augen stiegen. »Tut mir leid«, sagte sie.

»Es ist sicher eine schwere Zeit für Sie«, murmelte er. »Ich sollte jetzt besser gehen. Hier ist meine Karte, falls Sie mich brauchen, und noch einmal mein herzliches Beileid zum Tod Ihrer Mutter. Sie war eine reizende Frau.«

Trotz seiner strengen Miene machte er einen netten Eindruck. Sie warf einen Blick auf die Karte und stellte fest, dass er Seniorpartner in der Anwaltskanzlei war. Für eine solche Position war er mit seinen Mitte dreißig noch recht jung. Sie fragte sich, ob ihre Mutter ihn gemocht hatte, ihm vertraut hatte.

Ellie brachte ihn zur Tür, verabschiedete sich höflich und sah der großen Gestalt in dem dunkelgrauen Anzug nach, die in Richtung Dawson Street davonging. Sie drehte den Umschlag hin und her. Nein, sie würde den Vertrag erst lesen, wenn sie zu Hause war. Zunächst einmal würde sie dafür sorgen, dass im Laden wieder alles blitzte, selbst wenn das hieß, dass sie sich dazu über das riesige Spinnennetz in der Ecke über dem Regal hermachen musste. Sie sollte sich besser daran gewöhnen, solche Dinge zu tun, denn außer ihr gab es jetzt niemanden mehr.

Nachdem sie ein paar Stunden lang aufgeräumt und geputzt und Staub gewischt hatte, war sie zwar müde und verschwitzt, aber sie verspürte auch eine tiefe Befriedigung. Zum ersten Mal seit langem hatte sie ihren Kummer vergessen, und ihr war tatsächlich jedes Zeitgefühl abhandengekommen. Abgesehen von einer kurzen Mittagspause, in der sie über die Straße gelaufen war, um sich ein Sandwich und eine Packung Milch zu holen, war sie nur im Laden zugange gewesen.

Plötzlich merkte sie, dass jemand laut an die Tür klopfte. War das noch einmal Neil Harrington? Vielleicht hatte er etwas vergessen. Sie strich sich rasch über Haare und Kleidung, bevor sie die Tür öffnete. Es war eine Kundin.

»Tut mir leid«, sagte Ellie, »wir haben geschlossen.«

Die resolut aussehende Frau schenkte ihren Worten keine Beachtung und drängte sich an ihr vorbei in den Laden.

»Wo ist Madeleine?«, fragte sie. »Ich versuche seit drei Wochen, sie zu erreichen. Zweimal bin ich vorbeigekommen, als ich in Dublin war, aber die Rollläden waren heruntergelassen. Ich habe angerufen, ich ...«

»Es tut mir leid«, unterbrach sie Ellie. »Meine Mutter ist vor zwei Wochen gestorben. Sie war seit längerem krank.«

Die Frau wurde blass, es dauerte einen Augenblick, bis sie das Gehörte auch richtig verstand.

»O Gott! Das ist nicht zu glauben, die arme Madeleine!«, presste sie schließlich hervor und fingerte an ihrer Handtasche herum. »Ich kann es einfach nicht fassen. Ich war erst vor zwei Monaten hier, um einen Hut bei ihr zu bestellen.«

»Einen Hut?«

»Ja, für die Hochzeit meiner Tochter.«

»Wann findet die Hochzeit denn statt?«, fragte Ellie.

»Am Samstag«, jammerte die Frau. »Deshalb bin ich heute hergekommen, ich will ihn abholen.«

Ellie geriet in leichte Panik. Sie hatte weder im Laden noch in der kleinen nach hinten liegenden Werkstatt einen abholfertigen Hut gesehen.

»Es tut mir leid, ich bin heute eigentlich nur gekommen, um ein bisschen Ordnung zu schaffen und sauberzumachen. Könnten Sie mir den Hut, den Sie bestellt haben, vielleicht näher beschreiben?«

»Eine Art Altrosa, mit einer breiten, leicht geschwungenen Krempe. Ihre Mutter hatte etwas in der passenden Farbe zu meinem Kleid gefunden, und sie wollte ihn mit Seidenblumen und einem Band garnieren.«

Ellie war sich ziemlich sicher, dass sich nirgendwo in dem kleinen Laden ein solcher Hut befand. Aber sie würde in jede Schachtel und in jede Tasche schauen, um sicherzugehen.

»Hören Sie, Mrs. ...?«

»Cassidy.«

»Gut, Mrs. Cassidy, möchten Sie sich nicht setzen, während ich in der Werkstatt und im Lager meiner Mutter nachsehe?«

»Sehr gern, meine Liebe. Nach dem vielen Herumlaufen tun mir meine Füße fürchterlich weh.«

Ellie versorgte die Kundin ihrer Mutter mit einer alten Ausgabe der Vogue, dann inspizierte sie sämtliche auf dem Boden in der Werkstatt aufgestapelten Schachteln und auch noch einmal die Hutständer. Auf einer Holzform entdeckte sie einen Stumpen in einem kräftigen dunklen Rosa. Sie machte sich auf die Suche nach dem Auftragsbuch ihrer Mutter. Schließlich fand sie es unter einem Berg Tüll und Organza. Ihre Mutter hatte in ihrer zierlichen Handschrift die Bestellung von Mrs. Cassidy notiert und eine grobe Skizze des Hutes angefertigt, der vor zwei Wochen hätte fertig sein sollen. Was sollte sie der Kundin sagen? Sie ging wieder nach vorn in den Laden.

»Ich lese diese Modemagazine einfach zu gern«, sagte Mrs. Cassidy und lächelte sie erwartungsvoll an.

»Mrs. Cassidy, ich habe Ihren Hut hinten in der Werkstatt gefunden, aber ich fürchte, er ist nicht fertig.«

»Nicht fertig?«

»Tut mir leid, er muss eines der letzten Stücke gewesen sein, an denen meine Mutter gearbeitet hat, bevor sie ins Krankenhaus ging.«

»Nicht fertig ... Aber was soll ich denn jetzt machen? Lucys Hochzeit findet am Samstag statt. Es ist alles so weit vorbereitet. Ich habe das Kleid und dazu passend eine Jacke und ganz entzückende Schuhe und eine Handtasche, und jetzt fehlt nur noch der Hut. Ich bin doch die Brautmutter ... Was mache ich jetzt bloß?«

Ellie war entsetzlich zumute, sie wusste nicht, was sie sagen sollte, da »nicht fertig« eine glatte Untertreibung war: Der Hut war kaum angefangen.

»Nicht fertig, sagen Sie?«

»Nicht annähernd«, gestand sie.

»Aber könnte ihn denn nicht jemand anders fertig machen, den Rest übernehmen? Da muss es doch jemanden geben?«

Ellie schüttelte den Kopf. »Meine Mutter hat alles allein gemacht. Sie hatte keine Angestellten.«

Mrs. Cassidy sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.

»Aber da muss doch etwas zu machen sein? Wo soll ich denn jetzt noch einen Hut herbekommen, der zu meinem Kleid passt!«

Ellie fühlte sich schuldig. Ihre Mutter war immer sehr stolz darauf gewesen, dass sie nie eine Kundin im Stich gelassen und alle Aufträge pünktlich ausgeführt hatte, dass Hüte und Kopfschmuck jedes Mal fertig gewesen waren, wenn die Kundinnen sie abholen kamen.

»Ich kann ihn fertig machen«, bot sie an und drehte das schwere Buch in den Händen hin und her, während sie darüber nachdachte. Hatte sie genug Talent, um in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten, deren Arbeit fortzuführen und den Hut zur Zufriedenheit der Kundin fertigzustellen, etwas mit so viel Schick und Pfiff zu kreieren wie Madeleine Matthews?

»Sie?«

»Ja, ich bin auch Modistin, ich habe bei meiner Mutter gelernt. Ich habe den größten Teil meiner Kindheit und Jugend in diesem Laden verbracht und ihr oft bei der Arbeit geholfen. Außerdem habe ich Kunst und Modedesign studiert und kann Entwürfe anfertigen. Meine Mutter hat ihren Entwurf hier in diesem Notizbuch skizziert.«

Mrs. Cassidy betrachtete die farbige Zeichnung. »Sind Sie sicher, dass Sie das hinkriegen?«

»Natürlich«, versicherte ihr Ellie. »Ich habe schon viele Hüte gemacht.«

Sie konnte ihre Mutter und diese nette Frau einfach nicht im Stich lassen. Ob es nun aus Loyalität geschah oder aus Liebe oder wegen ihres weichen Herzens, mit dem ihre Mutter und ihre Freunde sie immer aufzogen, oder auch weil sie in ihrem Kummer einen Moment lang ihr klarer Verstand im Stich ließ, Ellie ertappte sich jedenfalls dabei, wie sie versprach, dass sie den Hut fertigstellen würde und die Kundin ihn in weniger als vierundzwanzig Stunden abholen könnte. Es war ein Versprechen, das sie unter allen Umständen halten wollte.

Kapitel 2

Ellie konnte es nicht fassen, dass sie einer Kundin ihrer Mutter ein solches Versprechen gegeben hatte. Was war bloß in sie gefahren? Als sie den steifen rosafarbenen Stumpen in der Hand hielt, wusste sie jedoch, dass es richtig gewesen war. Sie wollte nicht nur den Ruf ihrer Mutter schützen, sondern auch den des Ladens. Maureen Cassidy verdiente nur das Beste, und Ellie war fest entschlossen, wenn es sein musste, die ganze Nacht durchzuarbeiten, um den Hut exakt nach dem Entwurf anzufertigen, den ihre Mutter in dem Auftragsbuch festgehalten hatte. Sie würde ihre Arbeit einfach zu Ende führen. Sie war in einer Welt der Hüte groß geworden, hatte das Material über die Holzform gezogen, hatte genäht und gestickt und gebügelt, Draht für Krempen gebogen und sie garniert, von Hand Blätter und Blüten aus Seide geformt, Federn angesteckt, Bänder befestigt; sie hatte von ihrer Mutter alles gelernt, was nötig war, um ein perfektes kleines Kunstwerk, wie es ein Hut war, zu vollbringen. Ein Hut, mit dem Mrs. Cassidy in drei Tagen auf der Hochzeit ihrer Tochter glänzen konnte!

Auf der Straße draußen war es ruhig, auf dem Weg zum Bus oder zur Straßenbahn warf hin und wieder ein Fußgänger einen kurzen Blick ins Schaufenster, während allmählich Feierabendruhe einkehrte und die Geschäfte eins nach dem anderen geschlossen wurden. Sie sah zu, wie im Zeitungsladen und in Scottie O’Loughlins altem Spielzeug- und Scherzartikelladen die Rollläden heruntergelassen wurden. Mr. Farrell vom Antiquitätenladen fünf Häuser weiter musterte seine Schlüssel, bevor er zusperrte und dann mit der Zeitung unter dem Arm die Straße hinaufging.

Die South Anne Street hatte sich in den vergangenen zwei Jahren verändert. Die Immobilienpreise waren in die Höhe geschossen, und einige der Läden hatten dichtmachen müssen. Einige Hausbesitzer hatten sich geweigert, die Verträge mit ihren bisherigen Mietern zu verlängern, weil sie wussten, dass sie mit dem Verkauf ihres Hauses an die Immobilienfirma eine Menge Geld herausschlagen konnten. Vor sechs Monaten hatte die Frau aus Killiney ihren reizenden Geschenkartikelladen ein Stück die Straße hinunter aufgegeben, und das Ladenlokal stand ebenso wie einige andere nach wie vor leer und machte mit seinen leeren Schaufenstern einen trostlosen Eindruck. In Ellies Erinnerung war die South Anne Street eine Geschäftsstraße mit vielen Läden, betrieben von den unterschiedlichsten Leuten, die sich alle untereinander kannten. Es war eine Schande, wie sich alles veränderte.

Die Straßenlaternen gingen an, während die Besitzer der übrigen Läden und Geschäfte in der Straße ihre Türen zusperrten.

Ich sollte mir schnell noch etwas zu essen holen, dachte Ellie und schlüpfte in ihren Mantel. Sie rannte zu dem Lebensmittelladen um die Ecke der Duke Lane, um sich ein Brötchen und Suppe und einen Wrap zu kaufen, da sie die Absicht hatte, den ganzen Abend zu arbeiten. Mit den Einkäufen in der Hand versuchte sie die Ladentür aufzuschließen, als sie wieder die kleine schwarze Katze bemerkte, die laut miauend zu ihr hochsah.

»Verschwinde! Na los!«, rief sie und wollte sie verscheuchen. Doch da war die Katze schon zwischen ihren Beinen hindurchgeschlüpft. Voller Sorge, auf das Tier zu treten, machte Ellie, die eine Hand am Schlüssel im Schloss, in der anderen den bedrohlich schwankenden Behälter mit der Suppe, einen Satz und fand sich mit einem unsanften Plumps auf ihren Fliesen wieder, als die Tür plötzlich aufsprang. Die Suppe war gerettet, aber die Tüte mit dem Rest ihres Abendessens lag neben ihr auf dem Boden. Die kleine Katze sah sie mit schiefgelegtem Kopf neugierig an, und gleich darauf fischte sie sich ein Stückchen Huhn aus dem heruntergefallenen Wrap und verschlang es.

»Pass bloß auf, du«, drohte Ellie.

Die Katze stand einen Moment lang da, als versuchte sie zu einem Entschluss zu kommen. Alle Muskeln in dem kleinen Körper angespannt, starrte sie Ellie an, dann flitzte sie an ihr vorbei in den Laden und sprang auf den Stuhl mit dem blauen Sitzkissen neben dem Fenster.

Ellie stand auf und musste lachen, etwas, das ihr seit Wochen nicht passiert war. Am liebsten hätte sie die kleine Katze auf den Arm genommen und ihr Gesicht in dem weichen, warmen Fell vergraben, aber sie hatte Angst, sie zu erschrecken. Sie setzte sich in die winzige Küche, packte aus, was von ihrem Abendessen noch übrig war, und hielt die Luft an, als sich die Katze erneut zu ihr gesellte. Minouche, die von ihrer Mutter adoptierte Straßenkatze, kannte den Laden in- und auswendig und ließ sich in aller Seelenruhe nieder, um ihr beim Essen zuzusehen.

»Ich nehme an, du hast auch Hunger.« Sie warf ihr noch ein Stück von dem Hühnchen-Wrap zu, das die Katze manierlich verspeiste. Anschließend sah sie Ellie aufmerksam zu, wie sie ihr etwas Milch in den Deckel des leeren Suppenbechers goss. Ob es Ellie nun passte oder nicht, wie es aussah, würde sie diesen Abend in Gesellschaft verbringen.

In den nächsten Stunden arbeitete Ellie konzentriert und stellte dabei fest, dass sie weniger von dem rosafarbenen Sinamay hatte, als sie brauchte. Sie musste vorsichtig sein, sonst reichte es nicht für die Garnitur. Sie schnitt kleine Stücke von dem Material ab und legte sie behutsam um die zarten Formen, die sie aus Draht gebogen hatte, damit er nicht riss, bevor sie ihn mit ein paar Stichen fixiert und festgeklebt hatte. Sie zählte die Blütenblätter und legte sie vorsichtig auf den Tisch, bevor sie sich auf die Suche nach einem passenden Stück Chiffon machte, das sich um die Krempe drapieren ließ und die Nahtstellen verdeckte. Sie wünschte, ihre Finger wären im Umgang mit dem Material so geschickt wie die ihrer Mutter, und schimpfte leise vor sich hin, als ein Stück Sinamay riss und ausfranste. Es würde definitiv nicht reichen. Was sollte sie jetzt machen? Sie brauchte noch drei oder vier Blütenblätter und hatte kein Material mehr. Panik stieg in ihr auf, weil sie sich nicht sicher war, ob sie es in der passenden Farbe nachbestellen konnte, geschweige denn, dass es in den kommenden ein, zwei Tagen bei ihr einträfe. Sie musste sich etwas einfallen lassen, vielleicht konnte sie für die Unterseite und ein oder zwei der großen Rosenblüten eine andere Farbe verwenden. Aber welche Farbe? Ein Cremeton oder Grün oder doch ein anderes Rosa? Sie machte sich wieder an die Arbeit und probierte es mit zwei Stücken Stoff in Hellrosa und Himbeerrot, die sie gefunden hatte. Das Himbeerrot war zu kräftig, aber mit dem helleren Rosa ging es. Sie nahm ein Stück cremefarbenen Stoff in der gleichen Farbe wie der Chiffon, zog ihn über die Drahtform und befestigte ihn. Auf diese Weise arbeitete sie mehrere Stunden vor sich hin. Dabei ging ihr durch den Kopf, dass sie vermutlich die gleiche Freude empfand wie ihre Mutter, wenn sie ihre Hutkreationen geschaffen hatte.

Der Hut war wunderschön. Er wirkte ausgewogen, hatte eine nicht allzu breite Krempe und genau die richtige Höhe.

Ellie begutachtete ihr Werk zufrieden und stellte bei einem Blick auf die Wanduhr erstaunt fest, dass es bereits halb eins war. Selbst die Katze in der Ecke schlief tief und fest. Sie räumte alles ordentlich weg und verstaute Stecknadeln, Nähnadeln und Scheren an einem sicheren Ort. Stolz auf ihr Werk, stülpte sie den Hut über einen Ständer.

Als sie die Tür hinter sich zumachen wollte, schoss die Katze plötzlich an ihr vorbei.

»Aha, wir streunen wohl noch ein bisschen herum«, sagte Ellie und sah ihr nach, wie sie über den Bürgersteig flitzte und in der Dunkelheit verschwand.

Sie beschloss, um den Park herum am Shelbourne Hotel vorbei nach Hause zu gehen und die frische Nachtluft zu genießen.

Ihre Wohnung kam ihr merkwürdig still vor. Auf dem Anrufbeantworter waren Nachrichten von ihren Freunden Kim und Fergus, die sich nach ihrem Befinden erkundigen wollten, außerdem waren weitere Beileidsschreiben von alten Freunden der Familie eingetroffen. Ellie wollte sich später damit befassen. Zuerst brauchte sie unbedingt einen Becher Tee und eine Scheibe Toast mit Butter, nach all der Arbeit war sie am Verhungern.

Nachdem sie es sich auf dem Wohnzimmersofa bequem gemacht hatte, zog sie die Unterlagen hervor, die Neil Harrington ihr bei seinem Besuch im Laden dagelassen hatte. Sie wischte ihre Finger ab und überflog sie rasch, wie es aussah, boten er und seine Mandanten einen guten Preis für das Haus, das Madeleine Matthews vor einigen Jahren klugerweise gekauft hatte. Das Angebot war durchaus verlockend, und sie konnte verstehen, dass ihre Mutter bereit gewesen war, über einen Verkauf zu verhandeln. Der kleine Laden war mittlerweile ein hübsches Sümmchen wert.

Ellie war zu müde, um sich jetzt noch mit dem Kleingedruckten zu beschäftigen, aber sie nahm sich vor, das am folgenden Tag nachzuholen und den Vertragsentwurf sorgfältig zu lesen, denn der in Aussicht stehende Verkauf des Geschäfts würde ihr ein sehr viel größeres Erbe von ihrer Mutter einbringen, als sie gedacht hatte.

In dieser Nacht wälzte sie sich unruhig im Bett herum, einerseits raubte ihr die aufregende Aussicht, eine große Summe Geld zur Verfügung zu haben, den Schlaf, andererseits ihr schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, den Hutladen zu verkaufen, das Geschäft, das ihre Mutter mit so viel Mühe aufgebaut hatte. Die Vorstellung, den Laden irgendwann für immer zu schließen, kam ihr wie ein Schreckgespenst vor.

»Sie haben ein Wunder vollbracht! Ich bin begeistert!«, rief Maureen Cassidy am nächsten Tag, als sie den Hut mit der leicht geschwungenen Krempe und den zartrosa und cremefarbenen Pfingstrosen aufsetzte. »Es ist fantastisch, wie Sie es geschafft haben, das Rosa durch das cremefarbene Band und die Blüten zur Geltung zu bringen!«

»Der Hut ist wunderschön, Mum«, sagte Lucy, die zukünftige Braut. »Genau das, was du wolltest, die Form passt perfekt zu deinem Gesicht, und die Farbe ist genau die von deinem Kleid.«

Ellie war erleichtert, dass ihre Kundin so zufrieden war, und die Anspannung begann von ihr abzufallen.

»Sie haben mich gerettet, Miss Matthews. Vielen Dank. Ich weiß, dass Ihre Mutter sehr stolz auf Sie wäre, wirklich«, sprudelte die Frau hervor und zückte ihre Kreditkarte, während Ellie den Hut vorsichtig in eine hellblaue Schachtel packte und zum Schutz dünnes Seidenpapier darüberlegte.

»Es freut mich, dass er Ihnen gefällt«, sagte sie und lächelte.

»Jenny, meine zweite Tochter, heiratet Anfang nächsten Jahres«, sagte Maureen Cassidy, »und für diese Hochzeit brauche ich dann natürlich etwas ganz anderes!«

»Womöglich sogar einen ganz neuen Hut«, witzelte Lucy und verdrehte die Augen.

Ellie wollte ihr schon erklären, dass sie diesen Auftrag nur ausnahmsweise übernommen hatte und den Laden wahrscheinlich in ein paar Monaten verkaufen würde, biss sich aber auf die Zunge und schwieg.

»Wie ich sehe, ist die schwarze Katze wieder da«, sagte Mrs. Cassidy.

»Die Katze?«

»Ja, Ihre Mutter sagte immer, die Katze würde ihr Glück bringen. Sie kam und ging, wie es ihr gefiel.«

»Mum, du und dein Aberglaube«, sagte ihre Tochter.

Ellie betrachtete nachdenklich die Katze, die sich ein gemütliches Plätzchen in der Nähe des Fensters gesucht hatte.

»Ich werde Ihnen bis in alle Ewigkeit dankbar sein, Ellie, und kann nur sagen, dass Sie das außerordentliche Talent Ihrer Mutter geerbt haben!«

Mit geröteten Wangen verabschiedete sich Ellie von den Cassidys. Sie wünschte Lucy alles Gute für die Hochzeit und sah Mutter und Tochter mit einer seltsamen Mischung aus Zufriedenheit und Sehnsucht nach, als sie untergehakt davongingen, die Hutschachtel fröhlich am Arm der Mutter hin und her schwingend.

Sie war gerade im Begriff, die Tür wieder abzuschließen, als ihr bester Freund Fergus auftauchte.

»Ich habe bei dir zu Hause angerufen, und als sich niemand gemeldet hat, dachte ich mir, dass ich dich wahrscheinlich hier finde«, sagte er und schloss sie in seine knochigen Arme. »Alles in Ordnung, El?«

»Ja, ich bin nur ein bisschen sentimental. Ich habe aufgeräumt und saubergemacht, und dann habe ich einer Kundin meiner Mutter einen Hut für die Hochzeit ihrer Tochter kommenden Samstag verkauft.«

»Das ist doch toll!«

»Ja, schon, aber ich musste dabei an Mum denken.«

»Du Arme«, sagte er und drückte sie an sich. Seine Fürsorge und seine liebevolle Umarmung taten Ellie gut. Seit sie sich mit dreizehn am Irish College kennengelernt hatten, waren Fergus Delaney und sie eng befreundet. Über die Jahre hinweg hatte sie sich immer an Fergus’ Schulter ausweinen und über jede noch so verrückte Idee mit ihm reden können, er war der beste Freund, den sich eine Frau nur wünschen konnte. Die Tatsache, dass Fergus nichts von ihr wollte und ihr mit neunzehn gestanden hatte, dass er sich nur für Männer interessierte, hatte ihrer Zuneigung zu ihm keinen Abbruch getan, ganz im Gegenteil. Mit seinen feuerroten Haaren, der blassen Haut und unzähligen Sommersprossen sah Fergus wie ein Bilderbuch-Ire aus, und seinen Freunden war er treu ergeben. Madeleine hatte einen Narren an ihm gefressen und immer irgendetwas für ihn zum Essen kredenzt, wenn er sie besucht hatte.

In den vergangenen Wochen war er Ellie eine große Stütze gewesen, er hatte ihre Mutter im Krankenhaus besucht, ihr bei den Vorbereitungen für die Beerdigung geholfen, sie besucht, ihr die Hand gehalten, wenn Angst und Traurigkeit sie übermannten, und ihr versichert, sie sei nicht allein.

»Wie wär’s mit Mittagessen?«

»Ich wollte gerade Pause machen«, gestand sie und gähnte, »obwohl ein ganzer Berg Papiere auf mich wartet, die ich gründlich durchlesen muss.«

»Ich hab noch nicht mal gefrühstückt.« Er sah sie mit dem flehenden Hundeblick an, dem sie nie widerstehen konnte. »Ich bin am Verhungern.«

»Gut, dann lass uns was essen gehen.«

Sie fanden einen freien Tisch in einer Ecke von Ryan’s Café, wo Fergus sich für das ganztägig servierte Frühstück entschied und seinen Teller voll Speck, Würstchen, Fleischpastete und eine große Portion Pommes frites und Bohnen lud.

»Es ist mir ein Rätsel, wo du das alles lässt.«

Es war wirklich ungerecht, dachte Ellie, Fergus schien Essen wie ein Ofen zu verbrennen und in Energie umzuwandeln. Sie nahm die Nudeln mit Käsesauce und einen kleinen Salat.

»Was für Papiere sind das denn?«, erkundigte er sich mit vollem Mund.

»Du wirst es nicht glauben, aber Mum hat mit einer Immobilienfirma über einen Verkauf des Ladens gesprochen«, sagte sie. »Deren Rechtsanwalt war gestern bei mir und hat mir den Vertragsentwurf gebracht.«

»Und was willst du tun?«

»Ich weiß es nicht. Es kam ziemlich überraschend. Ich dachte immer, der Laden und meine Mutter würden ewig da sein. Du weißt ja, wie sie immer über die Pläne für das große Einkaufszentrum schimpfte, und vermutlich war ich deshalb so überrascht, dass sie überhaupt mit ihnen verhandelt hat. Ich hätte gedacht, sie jagt sie zum Teufel.«

»Angesichts ihrer Krankheit«, sagte Fergus sanft, »hat Madeleine wahrscheinlich an dich gedacht.«

»Ich weiß. Ich meine, sie wusste, dass sie sterben würde, dass es keine Aussicht auf Besserung für sie gab.«

»Und sie wusste, dass du glücklich und zufrieden in deinem Beruf bist und dass sie dir mit dem Erlös aus dem Verkauf ein recht großes Erbe hinterlassen würde. Die Immobilienpreise in Dublin sind in astronomische Höhen gestiegen, und ein Laden um die Ecke von der Grafton Street dürfte ein Vermögen einbringen.«

»Sie hat an mich gedacht. Das hat sie immer getan, Fergus. Aber trotzdem, der Laden war ihr Ein und Alles, und ... na ja ...«

»Du solltest diesen Vertrag nicht unterschreiben und auch sonst nichts damit machen, bevor du ihn von jemandem hast durchsehen lassen.«

»Du könntest ihn doch anschauen!«, sagte sie.

Er verdrehte die Augen. »Ich bitte dich, Ellie, wir sind beide absolute Nieten in Geld- und Rechtssachen. Frag jemand anders, versprich es mir!«

»Ich verspreche es.«

»Du willst also verkaufen?«

»Ja, ich glaube, schon. Es geht nur alles so schnell. Den Laden aufzugeben ist so, als würde ich noch einen Teil von Mum verlieren. Einen Teil von dem, womit ich aufgewachsen bin, was ich bin.«

»Dann überstürz nichts. Lass dir Zeit. Lass dich von diesen Typen nicht zu irgendetwas drängen, wovon du nicht restlos überzeugt bist.«

Ellie holte tief Luft. Wie kam es nur, dass Fergus so klug war und immer einen guten Rat in petto hatte?

»Isst du die Nudeln noch?«, erkundigte er sich und schielte auf ihren Teller.

»Nein, ich bin satt«, sagte sie und schob ihm den Teller zu.

»Weißt du, das ist ein wunderbarer kleiner Laden in einer hervorragenden Lage«, sagte er nachdenklich und spießte eine Nudel auf, »und du musst ihn nicht verkaufen, wenn du nicht willst. Denk darüber nach.«

Fergus hatte sie zum Laden begleitet und sich dann auf den Weg zu einem Treffen mit dem neuen Graphikdesigner gemacht, der demnächst in der Werbeagentur anfangen würde, in der er arbeitete.

Zurück im Laden, setzte Ellie sich hinter die Theke und sah auf die Straße hinaus. Der gedämpfte Verkehrslärm und die sonstigen Geräusche der Stadt hatten etwas seltsam Tröstliches, während sie sich der Illusion hingab, dass sich in dem kleinen Hutladen nichts verändert hatte, dass jeden Moment ihre Mutter in der Tür stehen würde.

Stundenlang saß sie so da und dachte an ihre Mutter, immer liebenswürdig und fröhlich, wie sie in ihrer Werkstatt kleine Wunderwerke schuf und dabei leise vor sich hin summte, während Ellie mit den glattpolierten hölzernen Hutständern spielte und wie nebenbei die Grundlagen des Hutmacherhandwerks lernte.

Kapitel 3

Am Wochenende beschloss Ellie, die alten Kontoauszüge, Kassenbücher und Steuerunterlagen ihrer Mutter durchzusehen. Madeleine Matthews’ ordentliche Schrift mit den kleinen Schnörkeln rief seltsam gemischte Gefühle bei ihr hervor: zum einen Trauer, aber auch Stolz auf das, was ihre Mutter erreicht hatte. Sie erinnerte sich an den großen Kundenstamm von Madeleine und die vielen Aufträge, die sie im Lauf der Jahre ausgeführt hatte. Allein die vielen Theaterstücke, für die sie Hüte entworfen hatte. Da war die spritzige Inszenierung von „Pygmalion“ im Abbey Theatre und eine sehr extravagante Aufführung von „Ernst sein ist alles“ im Gate Theatre. Dazu kamen natürlich noch all die Modenschauen: Madeleine Matthews hatte mit vielen Designern zusammengearbeitet und Hüte und verschiedene Arten von Kopfschmuck für ihre Kollektionen entworfen. Aber die Grundlage ihres Geschäfts war der treue Kundenstamm von modebewussten Frauen jeden Alters gewesen, die den richtigen Hut für eine besondere Gelegenheit suchten.

An dem verwirrenden Durcheinander von Soll- und Habenzahlen, auf die Ellie beim Durchgehen der alten Kassenbücher stieß, las sie ab, dass es mit den Finanzen des Geschäfts nicht immer zum Besten gestanden hatte. Sie wurde von der Klingel aus ihrer Konzentration gerissen, Fergus und Kim standen vor der Tür, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.

»Ellie, es ist Wochenende. Was hältst du davon, wenn wir im Hartigan’s was trinken gehen?«, schlug Kim mit einem kurzen Blick auf die über Tisch und Sofa verteilten Bücher und Belege vor.

»Ich kann nicht«, seufzte sie, »ich muss die ganzen Unterlagen aus dem Laden durchsehen.«

»Mach es doch ein andermal. Heute ist Samstag«, bettelte Fergus.

Ellie blieb standhaft. Außerdem war sie auch nicht in der Stimmung für ein Glas Wein oder ein Bier in einem lauten Pub. Sie wollte lieber zu Hause bleiben und versuchen, sich einen Überblick über die finanzielle Lage des Ladens zu verschaffen, bevor sie irgendeine Entscheidung traf.

»Lass sie, Fergus«, kam Kim ihr schließlich zu Hilfe. »Nur weil wir beide ausgehen wollen, heißt das nicht, dass Ellie das auch tun muss. Okay?«

Sofort erschien ein schuldbewusster Ausdruck auf Fergus’ Gesicht. »Sollen wir dir auf dem Nachhauseweg irgendetwas vorbeibringen?«, fragte er. »Pizza, Pommes?«

»Hast du etwas gegessen?«, erkundigte sich Kim und sah sie mit ihren blauen Augen ernst an.

»Ich wollte mir später ein Sandwich machen.«

»Du musst besser auf dich achtgeben«, sagte Kim tadelnd. »Die letzte Zeit war sehr anstrengend. Ich mach dir was, bevor wir gehen.«

»Ihr beiden setzt euch, und ich kümmere mich ums Essen«, erklärte Fergus und verschwand in der kleinen Küche, wo er unter lautem Geklapper und Selbstgesprächen Käsetoasts und Kaffee zubereitete.

»Ich muss mir so viele Unterlagen ansehen«, gestand Ellie ihrer ältesten Freundin. »Steuererklärungen, Kassenbücher, obwohl alles auf dem aktuellen Stand zu sein scheint.«

»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte Kim.

Einen Moment lang schwankte Ellie. Kim und sie hatten sich an ihrem ersten Schultag kennengelernt, und obwohl sie völlig gegensätzliche Typen waren – die eine groß, blond und sportlich, die andere klein, dunkelhaarig und künstlerisch veranlagt –, waren sie sofort die besten Freundinnen geworden. Als in der höheren Klasse eine Clique dreizehnjähriger Mädchen begonnen hatte, Ellie zu piesacken, hatte Kim sie in Schutz genommen und ihnen gesagt, sie sollten sie in Ruhe lassen. Dafür hatte Ellie darauf bestanden, dass sie sich vier Monate lang nur auf Französisch unterhielten, nachdem Kim ihr vorgejammert hatte, dass sie Französisch nicht ausstehen konnte und in der Abschlussprüfung vermutlich durchfallen würde.

»Non, non, non!« Trotz der Proteste von Kim hatte es funktioniert. Nach ihrem Wirtschaftsstudium hatte Kim, seit jeher ein Genie in Mathe, eine Stelle bei Davy Stockbrokers angenommen. Sie konnte wirklich gut mit Zahlen umgehen, aber es wäre unfair, sie gerade jetzt, wo sie in ihrem kurzen roten Rock und schwarzen Stiefeln ausgehfertig neben ihr saß, zu bitten, ihren Samstagabend sausen zu lassen, um über irgendwelchen Zahlen zu brüten.

»Vielleicht könntest du nächste Woche mal irgendwann nach der Arbeit alles mit mir durchgehen, wenn du Zeit hast?«

»Klar«, versprach Kim.

Ellie hatte gar nicht gemerkt, wie hungrig sie war, als sie sich über Fergus’ leckere Käsetoasts mit Zwiebeln und Worcestersauce hermachte.

»Ein kleiner Energieschub für die Nacht«, neckte er sie.

»Danke, ihr beiden«, sagte Ellie und war erneut versucht, die Arbeit Arbeit sein zu lassen und sich ihnen anzuschließen. »Ich wüsste nicht, was ich ohne euch täte.«

»Bis nächste Woche dann«, sagten beide, als sie sich verabschiedeten, und Ellie hörte, wie sie die Holztreppe des großen georgianischen Hauses hinunterpolterten und die Eingangstür hinter sich zuschlugen.

Als sie später mit Taschenrechner, Stift und Papier bewaffnet auf dem Bett lag, dachte sie über Fergus’ Vorschlag nach. Vielleicht war es tatsächlich dumm, dass sie lieber wie wild Zahlen addierte, statt mit ihren Freunden auszugehen. Sie schob den Gedanken beiseite und widmete sich wieder dem blauen Aktenordner. Mit dem Geschäft ihrer Mutter schien es einige Jahre lang wie in der sprichwörtlichen Achterbahn auf und ab gegangen zu sein. In manchen Monaten hatte sie alle Hände voll zu tun und in anderen herrschte absolute Flaute. Es gab Zeiten, in denen Madeleine eine hübsche Summe auf der hohen Kante hatte, und dann waren sie wieder fast pleite. Ihre stolze Mutter hatte jedoch nie ein Wort darüber verloren, wenn sie knapp bei Kasse waren. Nicht der kleinste Hinweis. Warum hatte ihre Mutter so viel vor ihr verborgen, vor allem in diesen schwierigen Phasen? Ellie runzelte die Stirn und fragte sich, wie sie es geschafft hatte, sich ihre kindliche Vorstellung zu bewahren, dass nie etwas Schlimmes passieren könnte, dass ihre schöne, kluge Mutter jedes Problem lösen würde.

Während Ellie die Bücher durchging, wurde ihr klar, dass ihre Mutter sie beide trotz aller Widrigkeiten in den letzten fünfundzwanzig Jahren mit harter Arbeit und dem kleinen Hutladen durchgebracht hatte. Es hatte gereicht, um die Miete für die geräumige Wohnung in der Nähe der Leeson Street und den Besuch der von den Loreto-Schwestern geführten Mädchenschule zu bezahlen. Es hatte sie durch das Studium am College gebracht und ihr anschließend einen einjährigen Aufenthalt in Paris finanziert, es hatte ihnen Ferien in der Provence ermöglicht und einen Lebensstil erlaubt, wie ihn nur wenige Familien mit einer alleinerziehenden Mutter genießen konnten.

Schon am Einschlafen, versuchte sie sich ihr Leben ohne den Laden vorzustellen. Sie würde wieder als Einkäuferin für Hyland arbeiten, eine florierende Textilimportfirma in der Nähe der Kais. Ihr Chef war ungeheuer verständnisvoll gewesen, er hatte ihr in den letzten Wochen der Krankheit ihrer Mutter freigegeben und übte keinerlei Druck auf sie aus, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, bevor sie sich dazu in der Lage fühlte. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander, sie musste immerzu an den kleinen Laden mit den Hutständern im Schaufenster denken, und sie war sich gar nicht sicher, ob sie überhaupt zu Hyland zurückkehren wollte.

Am Montagmorgen wurde ihr leicht übel, als sie sah, in welchem Zustand sich der Ladeneingang befand. Sie wollte sich lieber nicht vorstellen, was dort jemand gemacht hatte. Sie holte Eimer und Schrubber und schüttete eine gehörige Menge Desinfektionsmittel ins Wasser, bevor sie sich daranmachte, die Fliesen zu reinigen, von der Katze mit einem verächtlichen Blick bedacht, als sie an ihr vorbei in den Laden schlüpfte.

Heute Morgen wollte sie sich das Auftragsbuch ihrer Mutter vornehmen, um festzustellen, ob noch Zahlungen ausstanden und ob es noch andere geschäftliche Dinge gab, die sie übersehen hatte. Sie war gerade dabei, Mahnungen an Kundinnen mit offenstehenden Rechnungen zu schreiben, als das Telefon klingelte.

Es war Neil Harrington, der sich erkundigte, ob sie dazu gekommen war, die Verträge durchzulesen, die er ihr gegeben hatte. War sie bereit zu unterschreiben?

»Ja, ich habe sie mir angesehen, aber ich war so damit beschäftigt, mich um den Laden zu kümmern und die Angelegenheiten meiner Mutter zu regeln, dass ich die einzelnen Klauseln nicht genau gelesen habe«, gestand sie und kam sich dabei vor wie ein Schulmädchen, das man beim Schwänzen erwischt hatte.

Er fragte sie gezielt nach einer dieser Klauseln.

Sie musste zugeben, dass sie sie nicht verstanden hatte. »Ich habe es versucht. Es ist nur so, dass ich mich mit Verträgen und solchen Dingen nicht besonders gut auskenne.«

Sie konnte seine Missbilligung am anderen Ende der Leitung spüren, und ehe sie sich’s versah, hatte sie seine Einladung zum Mittagessen angenommen, bei dem er ihr das Angebot seiner Mandanten in für Laien verständlichen Worten erklären wollte.

»Danke, das wäre sehr hilfreich.«

Als Ellie das »Geschlossen«-Schild in die Tür hängte, bevor sie zu der Verabredung im Hibernian Club ging, fragte sie sich, ob sie den Verstand verloren hatte. Sie war unzählige Male an dem großen, beeindruckenden Club am Park vorbeigegangen und hätte immer schon gerne einmal einen Blick hineingeworfen. Der Angestellte am Empfang dirigierte sie in den Leseraum, wo sich Neil Harrington hinter der Financial Times verschanzt hatte.

»Ich freue mich, dass Sie herkommen konnten«, sagte er und faltete die Zeitung zusammen. »Hier ist es ein bisschen ruhiger als in den meisten Restaurants.«

Er trug einen grauen Anzug mit Nadelstreifen, wie sie feststellte, als sie ihm in ein Speisezimmer mit einer hohen Decke folgte. Er bot eine wunderbare Aussicht auf den Park, und der Kellner führte sie zu einem für sich stehenden Tisch in der Ecke.

Ellie kämpfte gegen ihre Verlegenheit an, als sie merkte, dass sie, abgesehen von einer ziemlich alten Dame, die sich von ihrem Sohn den Stuhl zurechtrücken ließ, die einzige Frau im Raum war. Sie senkte den Kopf tief über die Speisekarte.

»Ich kann das Lamm oder Steak und Kidney Pie empfehlen.«

Neil Harrington wartete, bis sie ihre Wahl getroffen hatte. Ellie entschied sich für den Seeteufel, und er wählte Steak und Kidney Pie.

»Möchten Sie Wein?«

Er bestellte eine Flasche Chablis, und Ellie nahm sich fest vor, nur ein Glas zu trinken, und das ganz langsam. Bei der Vorspeise erzählte er ihr von der Anwaltskanzlei, in der er arbeitete, und von dem Mandantenstamm, den Harrington Smith sich über die Jahre hinweg aufgebaut hatte.

»Die Kanzlei gehört also Ihnen? Sie arbeiten nicht nur dort?«

»Mein Großvater hat sie vor sechzig Jahren gegründet, und mein Vater hat sie erweitert.«

»Familienunternehmen sind etwas Besonderes«, sagte sie nachdenklich. »Es muss schön für Sie sein, an der Seite Ihres Vaters zu arbeiten.«

»Mein Vater ist vor acht Jahren gestorben«, sagte er brüsk.

»Tut mir leid.«

»Er war ein guter Mensch, allseits geachtet. Es war ein großer Verlust.«

Ellie merkte, dass er plötzlich ganz einsilbig wurde, und verfluchte sich für ihre Taktlosigkeit. Sie wusste nur allzu gut, wie es war, einen Elternteil zu verlieren. Ohne nachzudenken, griff sie nach seiner Hand. Er sah auf.

Graublaue Augen unter dichten dunklen Wimpern. Für einen kurzen Moment lag ihre Hand auf seiner, bevor sie peinlich berührt so tat, als würde sie nach ihrer Serviette tasten. Ein paar Sekunden lang herrschte verlegenes Schweigen.

»Wenn Sie wollen, gehe ich mit Ihnen die Unterlagen durch, und dann können wir uns die Verträge ansehen.«

»Das wäre großartig.« Sie lächelte, erleichtert, dass sich die Spannung zwischen ihnen wieder gelegt hatte.

Er sprach langsam, vergewisserte sich, dass sie ihm folgen konnte, als er ihr von den umfassenden Planungen für die Straße erzählte und welche Rolle ihr Eigentum dabei spielte.

Sie sah ihm zu, wie er sich mit Appetit über seine Pastete und die Bratkartoffeln hermachte, und stellte fest, dass er keinen Ehering trug. Vielleicht lebte er allein und fühlte sich ein wenig einsam. Der Fisch in der cremigen Sauce war köstlich, vor allem in Begleitung des zweiten Glases von dem hervorragenden Chablis.

Sie zwang sich, sich auf seine Worte zu konzentrieren, als er damit fortfuhr, ihr zu erläutern, welche Form von Vertrag für beide Parteien in steuerlicher Hinsicht am günstigsten wäre.

»Sie werden sich natürlich einen Anwalt suchen müssen«, sagte er.

»Können Sie das nicht für mich machen?«

»Interessenkonflikt«, erwiderte er.

»Ich fände es schön, wenn Sie sich um meine Interessen kümmern würden«, sagte sie laut und wäre am liebsten im Boden versunken, als er sie ansah, als wäre ihr plötzlich ein zweiter Kopf gewachsen.

»Ich meine, jemand wie Sie«, murmelte sie. »Der Anwalt meiner Mutter, Tom Muldoon, muss mindestens achtzig sein, und ich bin nicht sicher, ob er das noch schafft.«

O Gott, sie machte alles nur noch schlimmer, dachte sie, als sie die Fältchen um seine Augen bemerkte, während er seinen Karamellpudding aß.

»Hat er sich um das Testament Ihrer Mutter gekümmert?«

»Ja, natürlich.«

»Dann sollten Sie ihn vielleicht aufsuchen. Das Alter spielt eigentlich keine Rolle.«

Das brachte sie auf den Boden zurück.

»Vielleicht mache ich das.«

»Wie wäre es, wenn wir den Kaffee in der Lounge trinken? Dort können wir die Unterlagen ausbreiten, und ich kann ein paar Punkte mit Ihnen besprechen. Haben Sie einen Stift? Sie könnten sich ein paar Notizen machen, was Sie Tom Muldoon fragen wollen.«

In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen, als sie ihm in dem gemütlichen Raum mit den rot gestrichenen Wänden und den Ledersofas und bequemen Sesseln gegenübersaß und er anfing, von Paragraphen und Klauseln zu sprechen. Sie stürzte rasch hintereinander zwei Tassen schwarzen Kaffee hinunter, um wieder nüchtern zu werden und seinen Ausführungen folgen zu können.

»Verstehen Sie, was ich sage?«

Sie nickte und wünschte, sie köüäü