GRUNDLAGEN FÜR EINEN RADIKALEN
BEWUSSTSEINSWANDEL
THESEUS VERLAG
Rechte für die englische Originalausgabe The Only Revolution liegen bei
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Eine frühere Ausgabe von The Only Revolution ist im Humata Verlag, Bern,
in der Übersetzung von Erich Schmidt
ebenfalls unter dem Titel Revolution durch Meditation erschienen.
Copyright der deutschen Ausgabe © 2016 Theseus in
J. Kamphausen Mediengruppe GmbH, Bielefeld
Der Verlag dankt Bernd Hollstein für die wertvolle inhaltliche Beratung.
Übersetzung ins Deutsche: Bernd Hollstein
Lektorat: Irmgard Jancsary, Klara Hollstein, Cornel Christoffel
Umschlaggestaltung: Morian & Bayer-Eynck, Coesfeld, www.mbedesign.de
Coverfoto © M.A. Hamid, mit freundlicher Genehmigung
des Krishnamurti Foundation Trust
Layout/Satz: Bernd Hollstein, Sulzbach
E-Book Herstellung: Bookwire GmbH, Frankfurt a. M.
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1. Auflage 2016
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ISBN Print 978-3-95883-011-0
ISBN E-Book 978-3-95883-012-7
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Meditation ist keine Flucht vor der Welt. Es ist keine isolierende, sich selbst abkapselnde Aktivität, sondern vielmehr das Erfassen der Welt [der Menschen] und der Vorgänge in ihr. Die Welt hat wenig zu bieten, abgesehen von Nahrung, Kleidung und Unterkunft und dem Vergnügen mit seinen großen Sorgen.
Meditation bedeutet, sich [innerlich] aus dieser Welt zu entfernen; man muss ein totaler Außenseiter sein. Dann hat die Welt eine Bedeutung, und die Schönheit des Himmels und der Erde ist immer da. Dann ist Liebe etwas anderes als sinnliche Befriedigung. Aus ihr geht alles Handeln hervor, das keine Folgeerscheinung der Spannungen, Gegensätzlichkeiten, der Suche nach Erfüllung der eigenen Ambitionen und Wünsche ist oder sich aus dem Dünkel der Macht ergibt.
Der Raum bot eine Aussicht auf einen Garten, und vierzig oder fünfzig Fuß tiefer erstreckte sich der breite Fluss. Für einige war er heilig, für andere dagegen eine wunderschöne Wasserfläche, offen für den Himmel und die Herrlichkeit des Morgens. Man konnte immer das andere Ufer mit dem Dorf, den ausladenden Bäumen und dem frisch gesäten Winterweizen sehen. Von diesem Raum aus konnte man den Morgenstern sehen und wie die Sonne langsam hinter den Bäumen aufging; und der Fluss wurde zu einem goldenen Pfad für die Sonne.
In der Nacht war der Raum sehr dunkel, und durch das breite Fenster war der ganze südliche Himmel zu sehen. In diesen Raum kam eines Nachts ein Vogel – mit ziemlich viel Geflatter. Als man1 das Licht anmachte und aus dem Bett stieg, sah man ihn unter dem Bett. Es war eine Eule. Sie war etwa eineinhalb Fuß hoch und hatte weit geöffnete, große Augen und einen furchteinflößenden Schnabel. Wir starrten einander aus nächster Nähe an, wenige Fuß voneinander entfernt. Die Eule hatte Angst vor dem Licht und der Nähe eines Menschen. Wir sahen uns recht lange an, ohne zu blinzeln, und sie verlor nie ihre aufrechte Haltung und ihre ungezähmte, wilde Würde. Man konnte die schrecklichen Krallen sehen, die feinen Federn und die Flügel, die dicht am Körper lagen. Man hätte sie gerne berührt und gestreichelt, aber sie hätte das nicht zugelassen. So wurde nach kurzer Zeit das Licht ausgemacht, und für eine Weile herrschte Stille im Raum. Bald darauf bewegten sich die Flügel – man konnte den Luftzug im Gesicht spüren –, und die Eule war zum Fenster hinausgeflogen. Sie kam nie wieder.
Es war ein sehr alter Tempel. Man sagte, er sei womöglich über dreitausend Jahre alt, aber man weiß ja, wie die Menschen übertreiben. Er war sicherlich alt. Ursprünglich war er ein buddhistischer Tempel gewesen und vor etwa siebenhundert Jahren war er zu einem hinduistischen Tempel geworden. Und an den Platz des Buddha hatte man eine Hindu-Gottheit gestellt. In seinem Inneren war es sehr dunkel, und es herrschte eine eigenartige Atmosphäre. Es gab Säulenhallen, lange Wandelgänge mit wunderschönen, in Stein gehauenen Dekors, und es roch nach Fledermäusen und Räucherwerk.
Die Tempelbesucher kamen nach und nach herein, frisch gebadet und mit gefalteten Händen. Sie gingen in den langen Wandelgängen rundherum und warfen sich jedes Mal nieder, wenn sie an dem Bildnis der Gottheit vorbeikamen, das in glänzende Seide gehüllt war. Im innersten Schrein rezitierte ein Priester, und es war schön, ein gut ausgesprochenes Sanskrit zu hören. Er war nicht in Eile, die Worte kamen leicht und würdevoll aus der Tiefe des Tempels. Kinder waren da, ältere Damen und junge Männer. Die Berufstätigen hatten ihre europäischen Hosen und Jacketts ab- und Dhotis2 angelegt und saßen oder standen in tiefer Andacht mit gefalteten Händen und nackten Schultern.
Es gab auch ein großes Wasserbecken – ein heiliges Becken –, zu dem viele Stufen hinunterführten und um das herum aus Fels gehauene Säulen standen. Man kam von der staubigen Straße voller Lärm und aus dem hellen, blendenden Sonnenlicht in den Tempel, und hier im Inneren war es schattig, dunkel und friedvoll. Es waren keine Kerzen da, keine knienden Menschen, sondern nur diejenigen, die um den Schrein herumpilgerten, und still ihre Lippen in irgendeinem Gebet bewegten.
An diesem Nachmittag besuchte uns ein Mann. Er sagte, er sei ein Anhänger des Vedanta.3 Er sprach sehr gut Englisch, denn er hatte eine der Universitäten besucht und besaß einen wachen, scharfen Verstand. Er war ein Rechtsanwalt, der viel Geld verdiente, und seine wachen Augen sahen einen prüfend, abschätzend und irgendwie interessiert an. Er schien sehr viel gelesen zu haben, einschließlich einiger Werke aus der westlichen Theologie. Er war ein Mann mittleren Alters, ziemlich schlank und groß, mit der Selbstsicherheit eines Anwalts, der viele Fälle gewonnen hatte.
Er sagte: »Ich habe Sie sprechen hören, und was Sie sagen, ist reiner Vedanta in der alten Tradition, aber auf den neuesten Stand gebracht.« Wir fragten ihn, was er mit ›Vedanta‹ meine. Er antwortete: »Wir gehen davon aus, dass es nur Brahman gibt, das sowohl die Welt als auch das Trugbild dieser Welt erschafft. Und der Atman – der in jedem Menschen ist – gehört zu diesem Brahman. Der Mensch muss aus dem Alltagsbewusstsein der Vielheit und der wahrnehmbaren Welt erwachen, in etwa so, als erwachte er aus einem Traum. Und genauso wie der Träumende seinen ganzen Traum erschafft, so erschafft das Einzelbewusstsein die Gesamtheit der wahrnehmbaren Welt und der anderen Menschen. Sie sagen das alles nicht, aber sicherlich möchten Sie das vermitteln, denn Sie sind in diesem Land geboren und aufgewachsen, und obwohl Sie die meiste Zeit im Ausland waren, sind Sie Teil dieser alten Tradition. Indien hat Sie hervorgebracht, ob Sie es wollen oder nicht. Sie sind ein Produkt Indiens, und Sie haben einen indischen Geist. Ihre Gebärden, Ihre statuengleiche, ruhige Haltung, wenn Sie sprechen, und der Ausdruck ihres Gesichts sind Teil dieses uralten Erbes. Ihre Lehre ist bestimmt eine Fortsetzung dessen, was unsere frühen Vorfahren seit undenklichen Zeiten gelehrt haben.«
Lassen wir beiseite, ob der Sprecher ein Inder ist, der in dieser Tradition aufgezogen und von dieser Kultur geprägt wurde, und ob er das Fazit dieser uralten Lehre ist. Zuallererst ist er kein Inder, das heißt, er ist kein Angehöriger dieser Nation oder der Gemeinschaft der Brahmanen, auch wenn er da hineingeboren wurde. Er lehnt genau diese Tradition ab, mit der Sie ihn in Verbindung bringen wollen. Er bestreitet, dass seine Lehre eine Fortführung der alten Lehren ist. Er hat keines der heiligen Bücher Indiens oder des Westens gelesen, denn sie sind unnötig für einen Menschen, der sich bewusst ist, was in der Welt vor sich geht – des Verhaltens der Menschen mit ihren unzähligen Theorien, mit der akzeptierten Propaganda, die zweioder fünftausend Jahre zurückreicht und die zur Tradition wurde, zur Wahrheit, zur Offenbarung.
Für einen Menschen, der es absolut und vollständig ablehnt, Worte und Symbole mit ihrer Konditionierung zu übernehmen, für den ist Wahrheit keine Sache, die aus zweiter Hand kommen kann. Wenn Sie ihm nur zugehört hätten: Er hat von Anfang an gesagt, dass jedes Akzeptieren einer Autorität das Ablehnen der Wahrheit bedeutet. Und er hat darauf bestanden, dass man außerhalb jeder Kultur, Tradition und gesellschaftlicher Moral stehen muss. Hätten Sie zugehört, würden Sie nicht sagen, dass er ein Inder sei oder dass er die alte Tradition in der heutigen Sprache fortführe. Er lehnt die Vergangenheit vollständig ab – ihre Lehrer, ihre Interpreten [die sie auslegen und erklären], ihre Theorien und ihre Rezepte.
Wahrheit ist nie in der Vergangenheit. Die Wahrheit der Vergangenheit ist die Asche der Erinnerungen. Erinnerungen gehören der Zeit an, und in der toten Asche des Gestern ist keine Wahrheit zu finden. Die Wahrheit ist etwas Lebendiges, sie befindet sich nicht im Bereich der [inneren] Zeit.
Nachdem wir all das vom Tisch gewischt haben, können wir die zentrale Frage des Brahman aufgreifen, das Sie als gegeben hinstellen. Mit Sicherheit ist diese Behauptung eine Theorie, die ein fantasievoller Geist erfunden hat – sei es Shankara4 oder ein moderner, wissenschaftlicher Theologe. Sie können eine Theorie als Erfahrung erleben und sagen, dass sie stimmt. Aber das ist so, als hätte jemand, der in der katholischen Welt aufgezogen und konditioniert wurde, Visionen von Christus. Offensichtlich sind solche Visionen eine Projektion seiner Konditionierung, und diejenigen, die in der Tradition des Krishna aufgezogen wurden, haben Erfahrungen und Visionen, die aus ihrer Kultur hervorgehen. Erfahrungen beweisen also gar nichts. Eine Vision als Krishna oder Christus zu erkennen ist das Ergebnis eines konditionierten Wissens. Daher ist sie keinesfalls etwas Reales, sondern eine Fantasie, ein Irrglaube, der durch Erfahrungen bestärkt wurde und völlig wertlos ist. Weshalb wollen Sie überhaupt eine Theorie, und weshalb glauben Sie an irgendetwas? Dieses ständige Beharren auf einem Glauben ist ein Anzeichen von Angst – Angst vor dem täglichen Leben, Angst vor dem Leiden, Angst vor dem Tod und vor der völligen Bedeutungslosigkeit des Lebens. Weil Sie all das erleben, entwickeln Sie eine Theorie, und je raffinierter und gelehrter sie ist, desto mehr Gewicht hat sie. Und nach zwei- oder zehntausend Jahren der Propaganda wird aus dieser Theorie unweigerlich und törichterweise ›die Wahrheit‹.
Wenn Sie dagegen nicht von einem Dogma ausgehen, dann sind Sie unmittelbar mit dem konfrontiert, was tatsächlich ist. Das, ›was ist‹, ist Denken, Vergnügen, Leid und Angst vor dem Tod. Wenn Sie verstehen, wie Ihre tagtägliche Lebensweise beschaffen ist – mit ihrem Konkurrenzkampf, der Gier, dem Ehrgeiz und dem Streben nach Macht –, dann werden Sie nicht nur erkennen, dass Theorien, Erlöser und Gurus etwas Absurdes sind, sondern Sie entdecken vielleicht auch, dass das Leid endet und die gesamte [innere, psychische] Struktur, die das Denken geschaffen hat.
Diese Struktur zu ergründen und zu erfassen ist Meditation. Dann werden Sie erkennen, dass die Welt keine Illusion ist, sondern eine schreckliche Realität, die der Mensch in seiner Beziehung zu seinen Mitmenschen konstruiert hat. Das ist es, was verstanden werden muss, und nicht Ihre Theorien des Vedanta mit seinen Ritualen und dem ganzen Beiwerk einer organisierten Religion.
Nur wenn der Mensch [innerlich] frei ist und nicht durch Angst, Neid oder Leid angetrieben wird, ist der Geist auf natürliche Weise konfliktfrei, ruhig und still. Dann kann er nicht nur in jedem Augenblick die Wahrheit im täglichen Leben erkennen, sondern auch über alle Wahrnehmungen und Erkenntnisse hinausgehen. Damit enden der Beobachter und das Beobachtete, und die Dualität hört auf.
Aber über all das hinaus und ohne Verbindung zu diesem Abmühen, zu dieser Eitelkeit und Verzweiflung gibt es einen Strom – und das ist keine Theorie –, der weder Anfang noch Ende hat, eine unermessliche Bewegung, die der Geist nie ergreifen und einfangen kann.
Wenn Sie das hören, werden Sie sicher eine Theorie daraus machen, und wenn Ihnen die neue Theorie gefällt, werden Sie diese verbreiten. Aber was Sie da verbreiten, ist nicht [mehr] die Wahrheit. Die Wahrheit ist nur dann da, wenn Sie frei von dem Schmerz, der Furcht und der Aggression sind, die jetzt ihr Herz und ihren Geist erfüllen. Wenn Sie das alles sehen und auf den Segen stoßen, der Liebe heißt, dann werden Sie erkennen, dass das, was gesagt wurde, die Wahrheit ist.
1 Krishnamurti spricht meist in unpersönlicher Weise von sich selbst, das heißt als ›man‹, als ›wir‹ und auch als ›du‹.
2 Traditionelles Beinkleid der indischen Männer, ein knöchellanges Lendentuch, das auf verschiedene Arten getragen werden kann.
3 Eine Richtung der indischen Philosophie, wörtlich übersetzt »Ende des Wissens«. Die folgenden Begriffe ›Brahman‹ und ›Atman‹ gehören zu dieser Philosophie.
4 Religiöser Lehrer und Philosoph des Hinduismus (788–820), systematisierte die Philosophie des Advaita Vedanta, Hauptwerk ist sein Kommentar zum Brahma-Sutra.
In der Meditation ist die Verfassung des Geistes und des Herzens von Bedeutung. Es geht nicht darum, was du zustande bringst oder erreichen willst, sondern vielmehr um einen Geist, der unschuldig, arglos und verletzlich ist. Durch Negation tritt der positive, wirkliche Zustand hervor. Nur Erfahrungen zu sammeln oder in ihnen zu leben macht die Reinheit der Meditation zunichte. Meditation ist kein Mittel zum Zweck, kein Weg zu einem Ziel. Sie ist beides, sowohl Mittel und Weg als auch Zweck und Ziel. Der Geist kann niemals durch Erfahrungen gereinigt werden. Es ist das Verneinen der Erfahrungen, was den positiven, wirklichen Zustand der Unschuld, der Reinheit herbeiführt, der nicht vom Denken entwickelt oder kultiviert werden kann. Denken ist nie unschuldig, nie unverdorben. Meditation ist das Beenden des Denkens, allerdings nicht durch den Meditierenden, denn der Meditierende ist die Meditation. Wenn keine Meditation stattfindet, gleichst du einem Blinden, der in einer Welt großer Schönheit, voller Licht und Farben, lebt.
Wandere am Meeresstrand entlang und lass dich von diesem meditativen Zustand ergreifen. Wenn es geschieht, versuche nicht, ihn fortzusetzen. Was du fortsetzt, ist nur die Erinnerung an das, was es war – und was war, ist der Tod dessen, was ist. Oder wenn du in den Bergen wanderst, so lass dir von allem etwas über die Schönheit und den Schmerz des Lebens erzählen, sodass du deines eigenen Leides und dessen Endes gewahr wirst. Meditation ist die Wurzel, die Pflanze, die Blüte und die Frucht. Es sind Worte, die Frucht, Blüte, Pflanze und Wurzel voneinander trennen. In dieser Trennung führt Handeln nicht zum Guten, zur Tugend – das allumfassende Wahrnehmen ist Tugend.
Es war eine lange, schattige Straße mit Bäumen auf beiden Seiten – eine schmale Straße, die sich durch die grünen Felder mit schimmerndem, reifendem Weizen schlängelte. Die Sonne warf scharf abgegrenzte Schatten, und die Dörfer auf beiden Seiten der Straße waren schmutzig, in schlechtem Zustand und von Armut geplagt. Die älteren Menschen sahen krank und traurig aus, die Kinder dagegen lärmten und spielten im Staub und warfen Steine nach den Vögeln hoch oben in den Bäumen. Es war ein sehr angenehmer, kühler Morgen, und eine frische Brise wehte über die Hügel.
Die Papageien und Mainas1 machten an diesem Morgen einen ziemlichen Lärm. Die Papageien waren in den grünen Blättern der Bäume kaum zu sehen. Im Tamarindenbaum hatten sie mehrere Nisthöhlen, die sie bewohnten. Ihr Zickzackflug war immer von wildem Kreischen begleitet. Die Mainas waren auf dem Boden und recht zahm. Sie ließen einen ziemlich nahe an sich herankommen, bevor sie wegflogen. Und der goldene Fliegenschnäpper, der grün und golden gefärbte Vogel, saß auf den Drähten auf der anderen Straßenseite. Es war ein wunderschöner Morgen, und die Sonne war noch nicht zu heiß. Es lag ein Segen in der Luft, und es war jener Friede da, der spürbar ist, bevor der Mensch erwacht.
Auf dieser Straße kam ein von einem Pferd gezogener Karren mit zwei Rädern vorbei. Er hatte eine Pritsche mit vier Stangen und einer Plane. Darauf lag ausgestreckt zwischen den Rädern eine Leiche, eingewickelt in ein rot und weiß gefärbtes Tuch. Sie wurde zum Fluss gebracht, um an seinem Ufer verbrannt zu werden. Neben dem Kutscher saß ein Mann, vermutlich ein Verwandter, und der Körper holperte auf und nieder auf dieser nicht gerade ebenen Straße. Sie hatten schon einen weiten Weg hinter sich, denn das Pferd schwitzte, und der Leichnam war auf dem ganzen Weg durchgeschüttelt worden und schien ganz steif zu sein.
Der Mann, der später an diesem Tag zu uns kam, sagte, er sei Artillerieausbilder bei der Marine. Er hatte seine Frau und zwei Kinder dabei und schien ein sehr ernsthafter Mensch zu sein. Nach der Begrüßung sagte er, dass er gerne Gott finden würde. Er konnte sich nicht so gut ausdrücken, vermutlich war er ziemlich schüchtern. Seine Hände und sein Gesicht sahen aus, als sei er tüchtig, aber in seiner Stimme und in seinem Blick lag eine gewisse Härte – denn schließlich war er Ausbilder für Tötungsmethoden. Gott schien so weit weg zu sein von dem, was er im Alltag machte. Das Ganze kam einem so verrückt vor, denn hier war ein Mensch, der sagte, dass es ihm Ernst sei mit der Suche nach Gott, und dabei war er für seinen Lebensunterhalt gezwungen, anderen die Kunst des Tötens beizubringen.
Er sagte, er sei ein religiöser Mensch, der viele Schulen verschiedener sogenannter heiliger Männer aufgesucht habe. Er war mit ihnen allen unzufrieden, und jetzt hatte er eine lange Reise mit Zug und Bus unternommen, um uns zu sehen, denn er wollte wissen, wie man in diese fremde Welt gelangt, welche die Menschen und die Heiligen gesucht haben. Seine Frau und seine Kinder saßen sehr still und respektvoll da, und auf einem Ast direkt vor dem Fenster saß eine hellbraune Taube und gurrte leise vor sich hin. Der Mann schaute sie nie an, und die Kinder saßen steif bei der Mutter, nervös und ohne zu lächeln.
Sie können Gott nicht finden. Es gibt keinen Weg, der zu ihm führt. Der Mensch hat viele Wege erfunden, viele Religionen, viele Glaubensformen, Erlöser und Lehrer, von denen er meint, dass sie ihm helfen, jene Glückseligkeit zu finden, die nicht vergeht. Das Unglück der Suche besteht darin, dass sie zu geistigen Fantasien führt, zu irgendwelchen Visionen, die der Geist hervorgebracht und an bekannten Dingen gemessen hat. Die Liebe, die er sucht, wird durch seine Lebensweise zerstört. Sie können nicht in der einen Hand eine Schusswaffe haben und Gott in der anderen. Gott ist nur ein Symbol, ein Sinnbild, ein Wort, das wirklich seine Bedeutung verloren hat, denn die Kirchen und die Stätten der Anbetung und Verehrung haben es zerstört. Und auch wenn Sie nicht an Gott glauben, gleichen Sie natürlich dem, der daran glaubt. Sie beide leiden und müssen das Elend eines kurzen und fruchtlosen Lebens erdulden. Die Bitterkeit des Alltags macht das Leben bedeutungslos. Die Wirklichkeit findet sich nicht am Ende der Gedankenflut, und das leere Herz wird mit den Worten des Denkens gefüllt. Wir werden sehr schlau, erfinden neue Philosophien, und wenn sie versagen, kommt die Verbitterung. Wir haben Theorien und Heilslehren entwickelt, wie das Höchste erreicht werden kann, und deren Anhänger gehen in den Tempel und verlieren sich in den Einbildungen ihres eigenen Geistes. Der Mönch und der Heilige können diese Wirklichkeit nicht finden, denn sie sind beide Teil einer Tradition, einer Kultur, die sie als Heilige und Mönche anerkennt.
Die Taube ist davongeflogen, und die Schönheit der Wolkenberge schwebt über dem Land – und die Wahrheit ist dort, wo du nie hinsiehst.
1 Asiatischer Singvogel aus der Familie der Stare
Es war ein alter Mogul-Garten mit vielen großen Bäumen. Es gab dort große Bauwerke, im Inneren dunkel, mit Grabstätten aus Marmor. Regen und Witterung hatten den Stein dunkel gefärbt und die Kuppeln noch dunkler. Auf den Kuppeln waren Hunderte von Tauben und stritten sich mit den Krähen um einen Platz. Etwas weiter unten auf den Kuppeln saßen die Papageien, die in Gruppen aus allen Richtungen kamen. Gut gepflegte Rasenflächen waren da, sauber gemäht und bewässert. Es war ein ruhiger Ort, und überraschenderweise waren nicht so viele Menschen dort. Abends versammelten sich die Diener aus der Nachbarschaft mit ihren Fahrrädern auf einer der Wiesen, um Karten zu spielen. Es war ein Spiel, das sie beherrschten, aber ein Außenstehender, der zusah, wurde daraus nicht schlau. Und auf dem Rasen eines anderen Grabmals spielten einige Gruppen von Kindern.
Eines der Grabmäler war besonders eindrucksvoll, mit großen Rundbögen, ansprechenden Proportionen und einer Mauer dahinter, die asymmetrisch war. Das Grabmal war aus Ziegeln erbaut; und Sonne und Regen hatten es dunkel gefärbt, beinahe schwarz. Ein Hinweis forderte auf, keine Blumen zu pflücken, aber niemand schien ihm große Beachtung zu schenken, denn man pflückte sie trotzdem.
Es gab eine Allee aus Eukalyptusbäumen und an deren Ende einen Rosengarten, den zerfallende Mauern umgaben. Dieser Garten mit prachtvollen Rosen war wunderbar gepflegt, und das Gras war immer grün und frisch gemäht. Nur wenige Menschen schienen in diesen Garten zu kommen, und so konnte man allein für sich in ihm herumgehen und das Untergehen der Sonne hinter den Bäumen und der Kuppel des Grabmals betrachten. Besonders am Abend, mit den langen dunklen Schatten, war es dort sehr friedvoll und ruhig, weit entfernt vom Lärm der Stadt, von der Armut und von der abstoßenden Art der Reichen. Zigeuner jäteten das Unkraut auf dem Rasen. Es war insgesamt ein wunderschöner Ort – aber der Mensch war dabei, ihn allmählich zu verschandeln.
Ein Mann saß mit gekreuzten Beinen in einer entfernten Ecke der Wiese, sein Fahrrad neben sich. Er hatte die Augen geschlossen, und seine Lippen bewegten sich. Er saß über eine halbe Stunde in dieser Haltung, völlig der Welt entrückt, unberührt von den Vorübergehenden und vom Krächzen der Papageien. Sein Körper war ganz ruhig. In seinen Händen war eine Gebetskette, von einem Stück Stoff bedeckt. Die Bewegung seiner Finger war die einzige, die man außer der seiner Lippen sehen konnte. Er kam jeden Tag gegen Abend dorthin, es muss nach Beendigung seiner Tagesarbeit gewesen sein. Er war ein ziemlich armer Mann, einigermaßen gut genährt, und er kam immer zu dieser Ecke und versank in sich selbst. Hätte man ihn gefragt, hätte er wohl gesagt, dass er meditiere, ein Gebet oder ein Mantra wiederhole – und ihm genügte das. Er fand darin Trost nach der täglichen Eintönigkeit des Lebens. Er war allein auf der Wiese. Hinter ihm stand ein blühender Jasmin. Viele Blüten lagen am Boden, und die Schönheit des Augenblicks umgab ihn. Aber diese Schönheit sah er nie, denn er war in eine Schönheit versunken, die er selbst erzeugte.
Meditation besteht nicht darin, Worte zu wiederholen, eine Vision zu erfahren oder [innere] Stille zu üben oder zu kultivieren. Die Perle [der Gebetskette] oder die Worte beruhigen den geschwätzigen Geist, aber das ist eine Form der Selbsthypnose. Man könnte genauso gut eine Pille nehmen.
Meditation besteht nicht darin, dass man sich in ein Denkmuster einhüllt, in den Zauber des Vergnügens. Meditation hat keinen Anfang, und daher hat sie kein Ende.
Wenn du sagst: »Ich werde heute damit anfangen, meine Gedanken unter Kontrolle zu bringen, ruhig in Meditationshaltung zu sitzen und gleichmäßig zu atmen« – dann hast du dich in den Tricks verfangen, mit denen man sich selbst betrügt. Bei der Meditation geht es nicht darum, sich in eine grandiose Vorstellung oder in ein Bild zu vertiefen. Das bringt einen nur für den Augenblick zur Ruhe, so wie ein Kind so lange ruhig ist, wie es von einem Spielzeug gefesselt ist. Sobald aber das Spielzeug nicht mehr von Interesse ist, fangen die Rastlosigkeit und die Dummheiten wieder an. Meditation heißt nicht, einen unsichtbaren Weg zu verfolgen, der zu einer vorgestellten Glückseligkeit führt. Der meditative Geist sieht, schaut, lauscht ohne ein Wort, ohne Kommentar, ohne Meinung und achtet den ganzen Tag über auf die Bewegung des Lebens in all seinen Beziehungen. Und in der Nacht, wenn der ganze Organismus zur Ruhe kommt, hat der meditative Geist keine Träume, denn er ist den ganzen Tag wach gewesen. Nur die geistig Trägen haben Träume, nur die Halbwachen brauchen Hinweise auf ihren [inneren] Zustand. Wenn aber der Geist die innere und äußere Bewegung des Lebens anschaut und ihr zuhört, dann kommt zu so einem Geist eine Stille, die nicht vom Denken geschaffen wurde.
Dies ist eine Stille, die der [vom Denken erzeugte] Beobachter nicht erfahren kann. Wenn er sie erfährt und sie wiedererkennt, ist es keine Stille mehr. Die Stille des meditativen Geistes zeigt sich nicht innerhalb der Umgrenzung des Wiedererkennens, denn diese Stille hat keine Grenzen. Es ist nur Stille da – in der der Raum der Trennung nicht mehr vorhanden ist.
Die Berge wurden von den Wolken getragen und der Regen polierte die Felsen, die großen Steinbrocken, die über die Hügel verstreut waren. Im grauen Granit war ein schwarzer Streifen, und an diesem Morgen wurde dieser dunkle Basaltfelsen vom Regen gewaschen und dadurch noch schwärzer.
Die Teiche füllten sich, und das Quaken der Frösche kam aus tiefster Kehle. Ein ganzer Schwarm von Papageien kam von den Feldern, um Schutz zu suchen, und die Affen kletterten auf die Bäume, und die rote Erde wurde dunkler.
Es herrscht eine ganz eigene Stille, wenn es regnet, und an diesem Morgen schienen alle Geräusche im Tal verstummt zu sein – die Geräusche der Farm, der Traktor und das Spalten des Holzes. Es war nur das Tropfen vom Dach zu hören, und in den Abflüssen gurgelte es.
Es war ganz ungewöhnlich, den Regen auf sich zu fühlen, bis auf die Haut nass zu werden und zu spüren, wie die Erde und die Bäume den Regen mit großer Freude aufnahmen. Es hatte nämlich seit längerem nicht mehr geregnet, und nun schlossen sich die kleinen Risse in der Erde. Der Lärm der vielen Vögel wurde vom Regen zum Schweigen gebracht. Die Wolken kamen von Osten herein, dunkel und schwer beladen, und zogen nach Westen. Die Berge schienen von ihnen getragen zu werden, und der Geruch der Erde verbreitete sich bis in den letzten Winkel. Es regnete den ganzen Tag.
Und in der Stille der Nacht riefen die Eulen über das Tal hinweg einander zu.
Er war Lehrer an einer Schule, ein Brahmane, mit einem frisch gewaschenem Dhoti. Er ging barfuß und trug ein westliches Hemd. Er war sauber, scharfsichtig, offenbar sanftmütig im Auftreten, und seine Begrüßung war eine Darstellung dieser Bescheidenheit. Er war nicht sehr groß und sprach recht gut Englisch, denn er war Englischlehrer in der Stadt. Er sagte, dass er nicht viel verdiene, und, wie alle Lehrer überall auf der Welt, fand er es sehr schwer, mit dem Verdienst zurechtzukommen. Natürlich war er verheiratet und hatte Kinder, aber das alles schien er vom Tisch zu wischen, als hätte es keinerlei Bedeutung.
Er war ein stolzer Mann, nicht stolz, weil er etwas erreicht hatte, nicht der Stolz einer adligen Abstammung oder eines Reichen, sondern es war der besondere Stolz einer alten Kaste, eines Vertreters einer uralten Tradition, eines uralten Denk- und Moralsystems, der eigentlich überhaupt nichts mit dem zu tun hatte, was er tatsächlich war. Sein Stolz beruhte auf der Vergangenheit, die er repräsentierte, und sein Wegwischen der gegenwärtigen Komplikationen des Lebens war die Geste eines Menschen, der das alles als unvermeidlich, aber auch völlig unnötig betrachtete. Seine Ausdrucksweise kam aus dem Süden und war hart und laut. Er sagte, er habe den Reden zugehört, hier unter den Bäumen, über viele Jahre hinweg. Eigentlich hatte ihn sein Vater hergebracht, als er jung war und noch auf das College ging. Später, als er seine gegenwärtige miserable Stelle gefunden hatte, kam er jedes Jahr.
»Ich habe Ihnen viele Jahre zugehört. Vielleicht verstehe ich intellektuell, was Sie sagen, aber es scheint nicht sehr tief einzudringen. Ich mag die Umgebung mit den Bäumen, unter denen Sie sprechen, und ich betrachte den Sonnenuntergang, wenn Sie darauf hinweisen – was Sie in Ihren Reden so oft tun – aber ich fühle es nicht. Ich komme mit dem Blatt nicht in Berührung und kann die Freude der tanzenden Schatten auf dem Boden nicht spüren. Eigentlich habe ich gar keine Gefühle. Ich habe sehr viel gelesen, sowohl englische Literatur als auch die Literatur dieses Landes. Ich kann Gedichte rezitieren, aber die Schönheit, die hinter den Worten liegt, ist mir entgangen. Ich werde zunehmend härter und strenger, nicht nur mit meiner Frau und meinen Kindern, sondern mit allen. In der Schule schreie ich immer öfter. Ich weiß nicht, weshalb ich die Freude an der Abendsonne verloren habe – wenn ich sie überhaupt jemals hatte! Ich weiß nicht, warum das Elend und die Missstände in der Welt mir nicht mehr zu Herzen gehen. Ich scheine alles nur intellektuell zu sehen und kann ziemlich gut rational denken – zumindest glaube ich das. Weshalb besteht diese Kluft zwischen dem Intellekt und dem Herzen? Weshalb habe ich die Liebe verloren und spüre kein echtes Mitgefühl mehr und keine Anteilnahme?«
Schauen Sie sich die Bougainvillea vor dem Fenster an. Nehmen Sie sie überhaupt wahr? Sehen Sie das Licht auf ihr, ihre Durchsichtigkeit, die Farbe, die Form, ihre Beschaffenheit?
»Ich sehe sie an, aber es bedeutet mir gar nichts. Und so wie mir geht es Millionen. Daher komme ich zu der Frage zurück: Weshalb besteht diese Kluft zwischen dem Intellekt und den Gefühlen?«
Kommt es daher, dass wir eine schlechte Erziehung und Bildung erhalten haben? Dass nur das Gedächtnis geschult wurde und uns von frühester Kindheit an nie ein Baum, eine Blume, ein Vogel oder eine Wasserfläche gezeigt wurde? Kommt es daher, dass wir das Leben zu etwas Mechanischem gemacht haben? Kommt es durch die Überbevölkerung? Denn auf jede Arbeitsstelle kommen Tausende, die sie haben wollen. Oder ist Stolz die Ursache, Stolz auf die Tüchtigkeit, Stolz auf die Herkunft, Stolz auf die eigene Schlauheit? Was meinen Sie, ist es das?
»Wenn Sie mich fragen, ob ich stolz bin – ja, ich bin es.«
Aber das ist nur einer der Gründe, weshalb der sogenannte Intellekt dominiert. Kommt es dazu, weil Worte so ungemein wichtig geworden sind und nicht das, was hinter dem Wort steht und darüber hinausgeht? Oder ist es so, weil Sie auf alle möglichen Arten und Weisen behindert und blockiert werden und Sie sich dessen vielleicht gar nicht bewusst sind? In dieser modernen Welt wird der Intellekt verehrt, und je cleverer und gerissener Sie sind, desto weiter kommen Sie.