Wichtiger Hinweis:
Der Autor präsentiert in diesem Buch seine Patientenbeobachtungen und Therapieerfahrungen.
Bei den in diesem Buch vorgestellten Therapiemaßnahmen handelt es sich um Beispiele, die Anstoß für neue Therapiemöglichkeiten bieten sollen.
Die Therapie von Erkrankungen über das Stoffwechselgeschehen gehört in die Hände von erfahrenen und biochemisch gut ausgebildeten Ärzten und Heilpraktikern, die die Behandlungsverläufe individuell über Kontrollen und Anpassungen an die Fortschritte der Patienten optimieren können.
Autor und Verlag übernehmen trotz sorgfältiger Recherche und Beobachtung keine rechtliche Verantwortung für etwaige Folgen (Personen-, Sach- oder Vermögensschäden) aus der Anwendung oder Weiterentwicklung der in diesem Buch geschilderten Therapiemaßnahmen.
Jeder Therapeut und Patient ist gehalten, eigenverantwortlich und angemessen mit dem hier geschilderten Wissen umzugehen.
Dr. sc. med. Bodo Kuklinski: Mitochondrien
Lektorat: Dr. Anja Schemionek
Projektleitung: Anne Petersen
© Aurum in J.Kamphausen Mediengruppe GmbH
info@j-kamphausen.de
www.weltinnenraum.de
Umschlag & Innensatz: Sabine Schiche, ad department
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1. Auflage 2015
ISBN Print 978-3-89901-894-3
eISBN E-Book 978-3-89901-928-5
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Symptome,
Diagnose
und
Therapie
Der Medizinstudent absolviert in seinen ersten Studienjahren naturwissenschaftliche Disziplinen, u. a. Biophysik und -chemie. Sie sind wichtig für das Verständnis, wie bei Körpertemperaturen von 37°C milliardenfach Reaktionen fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht ablaufen können. Enzyme, die Katalysatoren für chemische Abläufe, benötigen Vitamine, Spurenelemente, Elektrolyte u. a. Mikronährstoffe, um optimal zu funktionieren. Manche chemischen Abläufe liefern außerdem die Energie für biophysikalische Prozesse wie Aufrechterhaltung von Membranpotenzialen, Oszillationen, Konversionen elektromagnetischer in chemische Energien und umgekehrt.
Bis zum Physikum lernt der Student den Zitronensäurezyklus und die Sauerstoffatmung in den Mitochondrien (= OxPhos-Reaktion), die β-Oxidation der Fettsäuren, die Zuckerbildung (Glukoneogenese) usw. Er lernt sie aber völlig abstrakt, büffelt Formeln und Stoffwechselabläufe, losgelöst von Zusammenhängen mit Erkrankungen. Zwangsläufig fliegt das Biochemie-Lehrbuch nach bestandenem Examen mit Widerwillen und Erleichterung in die hinterste Ecke. Und dort bleibt es liegen. Fragten wir Medizinstudenten und Ärzte in Österreich und in Deutschland, bestätigten sie ihr mangelhaftes biochemisches Wissen. Nach dem Physikum beginnt ja erst die „eigentliche, echte Medizinausbildung“ – die Krankheitslehre und die Pharmakotherapie. Darauf wartet der angehende Arzt sehnsüchtig. Das ist die Medizin, die er betreiben will!
In der Krankheitslehre wird der Mensch dann in einzelne Organe zergliedert. Darauf bauen sich die Lehrinhalte auf. Es sind Krankheiten der Augen, der Haut, der Lunge, des Herzens, des Verdauungstraktes, des Urogenitaltraktes, des Bewegungsapparates, des Nervensystems usw. Jeder Spezialist behandelt sein Organ, vergessend, dass der Mensch eine Einheit aller Organsysteme darstellt. Doch ein chronisch krankes Organ entwickelt sich nur in einem Organismus, in dem biochemisch etwas schiefläuft. Aber für andere Organe ist ja der andere Spezialist zuständig. Flugs wird dann der Überweisungsschein ausgestellt.
Die Pharmakotherapie tut ein Übriges. Der Arzt lernt von der Pieke an, seine Patienten mit Medikamenten zu behandeln. Niemand bringt ihm bei, welche Stoffwechselabläufe nicht funktionieren, welche Maßnahmen er ergreifen könnte, um das, was vom Gesunden abweicht, wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Solche echten Ursachen werden in der Medizin viel zu selten gesucht. Stattdessen behandelt der Arzt mit Medikamenten meist nur die Symptome einer Krankheit! Er behandelt sogenannte Surrogatparameter mit Medikamenten, die stets Nebenwirkungen auslösen. Es sind für den Körper Fremdstoffe (Xenobiotika), die abgebaut und ausgeschieden werden müssen, den Körper also zusätzlich belasten.
Der Kardiologe senkt den Blutdruck und reduziert Herzrhythmusstörungen. Gegen erhöhtes Cholesterin setzt er Cholesterinsynthesehemmer ein. Der Blutzucker wird vom Hausarzt durch Antidiabetika gesenkt. Gegen Migräne, Gelenk-, Kopfschmerzen oder Depressionen wirken Schmerzmittel und Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Der Rheumatologe freut sich über die gute Wirkung von Antirheumatika, der Hautarzt über die effektive Ekzembeseitigung durch Cortison, der Gastroenterologe über das Verschwinden des Sodbrennens durch Protonenpumpenhemmer oder Salzsäureantagonisten. So hat jedes Fachgebiet seine speziellen Pharmaka. Nach den wahren, biochemischen Ursachen für die Störungen wird nicht gesucht – sie wirken jedoch trotz Medikamentenbehandlung weiter!
Als Beispiel betrachten wir hier einen Kardiologen. Er wird bei hypertonen Blutdrucklagen, Herzrhythmusstörungen oder Tachykardien nach Herzmuskelerkrankungen oder Verengungen der Herzkranzgefäße suchen. Dass dahinter eine erhöhte Sympathikusaktivität z. B. infolge einer Genickgelenksinstabilität stecken kann, liegt außerhalb seines Fachgebietes. Findet er bei seinen Untersuchungen keine Ursache, wird symptomatisch therapiert, oder der Patient wird an einen Psychiater überwiesen. Dass Kalium-, Magnesium- oder Coenzym-Q10-Defizite auslösend sein können, bleibt unbeachtet. Falls der Kardiologe an diese Möglichkeiten denkt, analysiert er Kalium und Magnesium im Serum, nicht wissend, dass diese Werte irreführend sind. Die beiden Elektrolyte kommen überwiegend intrazellulär vor, daher sind nur intrazelluläre Analysen aussagekräftig. Finden sich im Serum schon pathologisch niedrige Werte, dann erst recht intrazellulär. Dann aber ist auch höchste Gefahr im Verzug.
Noch geringer ist das Wissen über mitochondriale Störungen. Die Ärzte verstehen hierunter angeborene schwere Mitochondriopathien. Sie können mit Erblindung, Muskel- und Nervenlähmungen ab Kindheit oder Jugendalter einhergehen. Häufig führen sie schon vor dem dritten Lebensjahrzehnt zum Tod der Betroffenen. Die Ursachen der Erkrankungen liegen in Genmutationen der mitochondrialen Gene. Sie werden in verschiedenen Syndromen wie MELAS, LEIGH, MERRF u. Ä. erfasst. Die Diagnostik und Therapien laufen in spezialisierten, neurologischen und pädiatrischen Kliniken ab. Wissenschaftliche Publikationen über Mitochondriopathien befassen sich mit diesen mütterlich-vererbten Formen. Laufend werden neue Erkenntnisse publiziert. Leider bestehen jedoch nach wie vor viele Unklarheiten über die Funktionsabläufe in Mitochondrien.
Dass mitochondriale Funktionsstörungen darüber hinaus Auslöser für zahlreiche chronische Erkrankungen sind, ist den meisten Ärzten vollkommen unbekannt. Sie haben es nicht gelernt. Dabei sind die Wartezimmer voll mit diesen Patienten! Es sind nicht die oben genannten klassischen, primären Mitochondriopathien, sondern behandelbare ererbte oder erworbene Formen, sekundäre Mitochondriopathien. In ihrer Entdeckung und Behandlung liegt die Chance eines Paradigmenwechsels in der Medizin – nicht mehr und nicht weniger!
Den heutigen Ärzten kann man ihr defizitäres Wissen nicht vorwerfen. Stellen wir unsere Resultate auf ärztlichen Kongressen vor, ist das Erstaunen der zuhörenden Mediziner über unsere kausale Diagnostik und Therapie groß. Viele sind interessiert. Doch leider hören wir immer wieder resignierende Kommentare wie „Ihre Darlegungen sind interessant, aber wir haben das nicht gelernt“ oder: „Uns fehlt die Zeit, uns damit zu beschäftigen“ oder auch: „Die Krankenkassen zahlen diese Diagnostik und Therapie nicht“. Die Konsequenz? In der Praxis läuft es weiter wie gehabt: Multisystem-Erkrankte sind bei diversen Fachärzten in Behandlung und jeder therapiert „seine“ fachspezifische Ebene. Letztendlich endet dies in der Verabreichung viel zu vieler unterschiedlicher Medikamente (Polypragmasie), die die Patienten schädigt, ineffektiv und sehr teuer ist, die Chronizität der Multiorganschädigung nicht beseitigt und sogar neue Erkrankungen induziert, die wiederum medikamentös behandelt werden. Denn viele Medikamente schädigen oder stören direkt oder indirekt die Mitochondrienfunktion. Bei Polypragmasie sind Interaktionen zwischen den Medikamenten nicht mehr überschaubar und in den meisten Fällen unbekannt.
Fall Frau W., geb. 1952
Frau W. stellte sich 2007 bei uns vor. Sie war adipös, litt unter Hypertonie, Diabetes mellitus Typ II, Cholesterin- und Triglyceridämie (Metabolisches Syndrom), Fibromyalgien (FMS), chronischem Müdigkeitssyndrom (CFS) und vertrug stärkere Gerüche nicht mehr. Von diversen Ärzten erhielt sie 18 verschiedene Medikamente: Metformin, Modafinil, L-Thyroxin, Ramipril, Fibrat, Indometacin, Calcitriol, Spironolacton, Domperidon, Simvastatin, Allopurinol, Torasemid, Paracodin, Pankreatin, Miconazol, Salbutamol, Carvedilol, Retinal, Retinopalmitat und Hypromellose.
Unsere Diagnostik ergab mitochondriale Funktionsstörungen, Muskelerkrankungen, Nerven- und Gliazellschäden, sensible, periphere symmetrische Polyneuropathie, Hemmung der Mitochondrien-Funktion und eine Erschöpfung der Vitamin B12-Reserven, die metabolische Störungen erzeugt. Die Patientin war also ein „Mitochonder“. Unsere Behandlung führte zur Besserung aller Symptome. Anschließend brauchte Frau W. keines der oben genannten Medikamente mehr.
Aus unserer Sicht steigt die Zahl der interessierten Ärzte und Heilberufler stetig. Sie merken, dass die Mitochondrien-Medizin von der symptomatischen zur kausalen Medizin hinführt, die den Menschen als Einheit bewertet. Sie schafft Erfolgserlebnisse für Patienten und Ärzte. Bei Akuterkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Lungenentzündung, Blutdruckanstiege u. v. a. sind Medikamente lebensrettend und notwendig. Bei chronischen Erkrankungen lindern und bessern sie lediglich die Surrogatparameter, die für die eigentlichen Erkrankungsursachen keine Relevanz haben.
Die aktuelle, evidenzbasierte Medizin wird die Mitochondrien-Medizin in absehbarer Zeit einbeziehen müssen. Damit werden die finanziellen Kosten des Gesundheitswesens sinken und für die Gesellschaft tragbar werden. Voraussetzung ist jedoch eine praxisorientierte, biochemische Aus- und Weiterbildung der Ärzte und anderer Heilberufe. Sie müssen die Bedeutung der Spuren- und Mengenelemente, Vitamine und Mikronährstoffe kennen. Nur damit beherrschen sie die Klaviatur in der Behandlung Abertausender „Mitochonder“ in ihren Praxen.
Fall Frau P., geb. 1939 |
Frau P. stellte sich 2004 bei uns vor. Die Anamnese ergab:
Vorschulalter Schulzeit | rezidivierende Otitis media oft krank, häufig Fieber, Tinnitus, Menarche 17. Lebensjahr, Nasennebenhöhlenentzündungen, schwere Arbeit auf Bauernhof, kälteempfindliche Harnblase |
Beruf | Friseurin |
Partus | 24. und 27. Lebensjahr, regelrecht |
ab 35. Lebensjahr (1974)
ZNS | chronische Müdigkeit, hohes Schlafbedürfnis |
Schlaf | Ein-, Durchschlafstörungen, Nykturie dreimal, Angst-, Albträume, nächtliche Attacken: Herzjagen, Schwitzen, mehrmals pro Nacht, Parästhesien, Taubheit der Finger |
Morgensymptome | Benommenheit, Anlaufzeit 1 Stunde, Nacken-, Occipitalschmerzen mit Ausstrahlung in die Augen, Augenrötung, geplatzte Konjunktivalgefäße, Niesen, Schneuzen, Schmerzen: Finger-, Knie-, Sprung-, Schulter-, Ellenbogengelenke, Steifigkeit |
Tagessymptome Nervensystem | Karenz ↓, Esszwang zweistündlich, auch nachts, Schluckstörungen, Essen und Reden → Bissverletzungen, Treppab unsicher, HWS-Drehen: Occipitalschmerzen, Radfahren: Occipitalschmerzen, Pollakisurien, Stolper-, Anstoßneigung, Ausfallschritte, schnelle Bildfolgen: Schwindel, nicht erfassbare Kopfschmerzen täglich, „wahnsinnig“, Ethanol-Intoleranz, Attacken täglich: Herzjagen, Schwitzen, Erschöpfung, Blässe, Erschöpfung nach ½ Stunde Hausarbeit, Gier nach Schokolade: täglich, geringe Schwitzneigung, stets kalte Füße |
Extreme Empfindlichkeiten
Licht | Augenschmerzen |
Zugluft | Niesen, Glieder-, Rachenschmerzen |
Lärm | Geschirr, Musik, Kinder, Papierknistern, Apfel essen, Schnee fegen, Hunde bellen, mehr als zwei Stimmen, Weckerticken |
Stress | Arztbesuche, Familienbesuch |
Schreckhaftigkeit | jedes Geräusch, Tür-, Telefonklingeln |
Gedächtnis | Vergessen durch Ablenkung |
Ängste | Fahrstuhl, Höhen, Telefonzelle |
Sprache | weitschweifig, Wortfindung |
Ohren | Tinnitus, Stress steigert, Hintergrundgeräusche: kein Verstehen, schaltet auf Durchzug, stichartige Schmerzen |
Nase | Tropfnase, trockene Schleimhaut, Nasenbluten links > rechts, Riechen: gesteigerte Empfindlichkeit |
Augen | hohe Licht- und Blendempfindlichkeit, Augenrötung, Konjunktivalblutung, Trockenheit, Augentropfen, Glaukom seit 2001, Irritation durch schnelle Bilder, Visus inkonstant, Brille passt, passt mal nicht (braucht vier verschiedene Brillenstärken) |
Mundhöhle | Gingivitis, Kiefersperre, jahrelang extreme Zahnschmerzen im Unterkiefer, Zähne extrahiert, waren gesund, Schmerzen unverändert, kalte Getränke: Stirnkopfschmerz, Pharyngitis |
Schilddrüse | kalte Knoten, 1988 Strumektomie |
Immunsystem | seit > 15 Jahren kein Fieber, bei Erschöpfung Frieren, Frösteln, Herpes zoster 1975, Pollinose seit 1976 |
Haut | Alopecie, Nägel: weiße Flecken, Zitrusfrüchte: Ekzem |
Herzkreislauf | Stress-Stenokardien, jahrelang Hypotonie, dann Hypertonie, Tachykardie- Attacken nachts, tags, Linkslage induziert Herzdruck |
Mammae | Mastodynie |
Verdauungsorgane | Völlegefühl unter Stress, täglich massiv Meteorismus, Reizdarmsyndrom, Koliken, sehr hohes Cholesterin, hohe Triglyceride, Intoleranz: Fett, Zitrusfrüchte, Fruktose, Diabetes mellitus Typ II seit 1994 |
Harnorgane | kälteempfindliche Harnblase seit Kindheit |
Gynäkologie | Dysmen-, Hypermenorrhoen ab 1974, Operation: Straffung Mutterbänder (1974) |
Bewegungsapparat | HWS-Occipitalschmerzen, LWS-Sakralschmerzen verstärkt durch Stress, Kälte, längeres Liegen, Gelenkschmerzen: beide Schultern, beide Ellenbogen, Hände, Fingergelenke, Heberden-Arthrose seit 1984, Hüftgelenke rechts > links, Kniegelenke rechts > links, Sprunggelenke |
Dauerbehandlung seit 1975
Rheumatologie | Gastroenterologie |
Orthopädie | Kardiologie |
Gynäkologie | Neurologie |
Dermatologie | Stomatologie |
Psychiatrie | HNO |
Diabetologie | Ophthalmologie |
Allergologie | Hausarzt |
Medikamente vom
Kardiologen | ASS, Nitropräparate, β-Blocker, Vitamin E, CSE-Hemmer (Statin) |
Ophthalmologen | Glaukom-Tropfen |
Neurologen | Galantamin, Trimipramin, Lendormin |
Hausarzt | Calcium, Magnesium, Diazepam, Migrätan |
Gastroenterologen | Protonenpumpenhemmer |
HNO | Panthenol-Tabletten, Imidin, Tonsilgon, Ohropase |
Unsere Befunde im März 2004
HWS-Traumata | Kindheit schwere Arbeit in Landwirtschaft, 1969: LWS-Fraktur, Sturz senkrecht auf Schiffsplanke, 1974 Vollnarkose, „Mutterbänder gestrafft“, Aussage der Patientin: „Ab 1974 begann alles.“ |
N0•- | |
Exspirationsluft | 837 μg/m³ (< 200) |
Cystathionin i. U. | 624 μg/0,1 g Crea. (< 580) = Vitamin-B6-Mangel |
CrP | 2,17 mg/l (< 5) |
S-100 | 0,10 μg/l (Norm < 0,07 μg/l) |
Unsere Therapie ab 08. März 2004
Ernährung nach der LOGI-Kost und vor der Nachtruhe ein Spätstück (Vollkorn-Butterbrot o. Ä.) | |
Vitamin B12 | tgl. 1 Ampulle a 1.000 μg 7 Tage lang, dann 1x 1 pro Woche |
Vitamin B2 | 250 mg/Tag |
Coenzym Q10 | 2 x 60 mg/Tag |
flüssig (Ubiquinol) Ginkgo biloba | 3 x 40 mg/Tag |
Vitamin C | 2 x 500 mg/Tag |
Vitamin-E-Komplex | 1 Teelöffel Weizenkeimöl |
Vitamin B6 | 100 mg/Tag |
Omega-3-Polyenfettsäuren | 3 x Hochseefisch pro Woche |
Biotin | 2,5 mg/Tag |
Kraniosakrale Therapie | 3 x |
Resultate am 20.4.2004
absolutes Wohlbefinden, Gelenkschmerzen „alle weg“, guter, erholsamer Schlaf, keine Kopfschmerzen mehr, Magen-, Darm-, Herzsymptome weg, Blutfette normal, Blutzucker normal, sensorische Empfindlichkeit gebessert, Tinnitus gebessert
Die Patientin hat von sich aus ab Anfang April (nach drei Wochen) selbständig alle Medikamente außer den Mikronährstoffen abgesetzt und spritzt sich einmal pro Woche 1 Ampulle Vitamin B12 subkutan. Vitamin B2 und B6 wurden abgesetzt, stattdessen niedrig dosierter Vitamin-B-Komplex dreimal pro Woche, Coenzym Q10 30 mg/Tag. Die Patientin kommt allein zurecht und benötigt keine Ärzte mehr. Die Jahre von 1975 bis 2004 (36. bis 65. Lebensjahr) waren eine Qual, trotz (oder gerade wegen?) zahlreicher medizinischer Behandlungen.
Fall Herr B., geb. 1958
Herr B. ist Maschinenbauingenieur. Seine Mutter litt an Migräne. Auch bei ihm trat sie ab dem 31. Lebensjahr auf. Stress, Alkohol oder Wetterwechsel konnten sie auslösen. Medikamente nahm er nicht ein.
1997 erlitt er einen PKW-Unfall mit Halswirbelsäulen-Schleudertrauma. Hinterhaupts-, Nackenschmerzen klangen nach einigen Wochen ab. 1999 erlitt er einen zweiten PKW-Unfall mit HWS-Schleuderung. Ab dieser Zeit litt er öfter an Nackenschmerzen.
Lästig waren jedoch die Herzjagensattacken, Blutdrucksteigerungen, Herzstolpern und erhöhter Ruhepuls, die nachts, lageabhängig und bei abrupten Kopfbewegungen auftraten (typische Symptome der Genickgelenksinstabilität).
2002 verordnete der Hausarzt einen β-Blocker und einen ACE-Hemmer. Sein Vorgehen war evidenzbasiert.
An den Folgetagen traten Verwirrtheitszustände und zeitlich-örtliche Desorientierungen auf. Die Arbeitsaufgaben blieben unerledigt. Der Hausarzt setzte die Medikamente ab, Herr B. erholte sich und konnte wieder arbeiten. Bis zum Jahre 2008. Da auch weiterhin Herzattacken und Blutdruckkrisen auftraten, wurden 2008 erneut β-Blocker und zwei Antihypertonika verordnet. Innerhalb einer Woche kam es zu Black-outs mit Verlust des Kurz-, Langzeit- und Arbeitsgedächtnisses. Zu Hause irrte er umher und war zu keiner sinnvollen Tätigkeit fähig. Leseversuche scheiterten, selbst einfachste Rechenaufgaben konnte er nicht mehr lösen.
Herr B. wurde wegen Demenz in eine Neurologische Universitätsklinik eingewiesen. Liquor-(Hirnwasser-)-Untersuchungen ergaben folgende Resultate:
Wert | Referenzbereich | |
Gesamt-Tau-Protein | 531 pg/ml | < 450 |
Phosphat-Tau | 117 pg/ml | < 61 |
Aβ1-42 | 573 pg/ml | < 450 |
S100 β/β | 2,1 μg/l | < 0,07 |
Das Tau-Eiweiß ist ein Strukturprotein, welches mit Tubulin zur Induktion von Mikrotubuli kopolymerisiert. Die Filamente zählen zum Cytoskelett. Die Überphosphorylierung des Tau-Proteins ist ebenso wie das erhöhte β-Amyloid ein Marker für Alzheimer-Demenz.
Der hohe S-100-Spiegel (sogenanntes Hirnschrankenprotein) signalisierte Störungen und Schädigungen der Gliazellen. Diese machen etwa 80 % der Hirnmasse aus (weiße Hirnmasse). Die neurologische Diagnose lautete: Creutzfeldt-Jakob-Syndrom.
Ein „Hammer“ für die Angehörigen – führt doch diese Erkrankung innerhalb von acht Monaten bis zu zwei Jahren mit totaler Demenz zum Tode. Als eine der Ursachen wird ja der Verzehr von Produkten BSE-kranker Rinder diskutiert. Eine Therapie gibt es nicht, die Prognose schien infaust. Die Ehefrau wollte sich mit der Diagnose nicht abfinden.
Sie stellte uns ihren Ehemann vor. Folgende Befunde wurden ermittelt:
gemessener Wert | Normwert | |
Pathologisch niedrig lagen: | ||
Vitamin D3 | 8 nmol/l | > 75 nmol/l |
intrazelluläres ATP | 0,62 μM | > 2 μM |
intrazelluläres Kalium | - 24 % | |
intrazelluläres Magnesium | - 14 % | |
intrazelluläres Vitamin B1 | - 30 % | |
intrazelluläres Vitamin B6 | - 24 % | |
L-Carnitin | 21,9 μmol/l | 24 – 51 μmol/l |
Serotonin | 30 μg/l | 80 – 150 μg/l |
Pathologisch hoch lagen: NO (Stickstoffmonoxid in der Exspirationsluft) | 400 μg/m³ | < 100 μg/m³ |
Citrullin im Urin | 454 μmol/g Creatinin | < 100 μmol/g Creatinin |
Pyruvat im Blut | 7,4 mg/l | < 5,8 mg/l |
NSE im Blut | 8,8 μg/l | < 6,0 μg/l |
Nitrotyrosin im Blut | 73,6 nmol/l | < 10,0 nmol/l |
Die Therapie bestand im Ausschleichen der β-Blocker. Unter HWS-Stabilisierung, Kalium-, Magnesium-Substitution sanken die sympathikotonen Blutdruckanstiege, sodass auch die Antihypertonika abgesetzt werden konnten. Zusätzlich verordneten wir folgende Mikronährstoffe pro Tag:
Nikotinsäureamid | 3 x 100 mg |
Biotin | 5 mg |
α-Ketoglutarat | 2 x 300 mg |
Methylcobalamin | 1.000 μg |
Vitamin C | 2 x 500 mg |
Magnesiumcitrat | 300 mg abends |
Kaliumcitrat | 300 mg abends |
Coenzym Q10 reduziert (Ubiquinol): | 150 mg |
Vitamin D | 4.000 IE |
Omega-3-Fettsäuren: | 1.000 mg |
L-Carnitin | 250 mg |
Vier Wochen nach Beginn der Behandlung waren Kurz-, Langzeit- und Arbeitsgedächtnis wieder da. Die Mikronährstoffdosierungen wurden reduziert.
Der Oberarzt der Neurologischen Klinik äußerte: „Ich möchte wissen, was hier passiert ist“. Also – „nix mit Creutzfeldt-Jakob-Syndrom“.
Sowohl die Anamnese als auch die von uns ermittelten Befunde belegten bei Herrn B. eine mitochondriale Funktionsstörung. Ihre Therapie war nur durch Mikronährstoffe, Vitamine und Mineralien möglich.
Die neurologischen Analysen bestätigten lediglich die floriden Hirnschäden, die zur Demenz führen. Die wahre Ursache blieb seitens der Neurologie jedoch ungeklärt. Die im Zeitraffertempo abgelaufene Demenz des Herrn B. verdeutlicht, was hunderttausenden Senioren in Deutschland passiert und passieren kann, wenn auch meist in langsamerer Progredienz, falls stereotyp oben genannte Hochdruck-Medikamente verordnet werden – wie es leider viel zu oft geschieht.
Wörter bzw. Wortteile wie Mitochondrien, mitochondrial etc. werden in diesem Buch konsequent mit Mt bzw. mt abgekürzt, um den Text nicht unnötig zu verlängern. Wir bitten um Ihr Verständnis.
Mitochondrien (Mt) werden schon im Schulunterricht als die Organellen vorgestellt, die für die Energieversorgung der Zellen verantwortlich sind. Das ist richtig, doch tatsächlich haben Mt noch weit mehr Aufgaben und damit eine noch größere Bedeutung für den Stoffwechsel der Zellen und Organe. Um den Mt-Stoffwechsel und Mt-Funktionsstörungen zu verstehen, sind Grundkenntnisse über deren Struktur und Funktionen erforderlich, die hier ansatzweise vorgestellt werden sollen [Literatur dazu: 1.1 bis 1.8 u. a.].
Mt sind ca. 2 bis 5 µm lang, ihr Durchmesser beträgt etwa 0,5 bis 2 µm. Je energiebedürftiger und stoffwechselaktiver ein Organ ist, desto größer ist die Mt-Anzahl in seinen Zellen. Thrombocyten enthalten je 2 bis 6, Nervenzellen etwa 10.000 und die Eizelle 2.000 bis mehrere 100.000 Mt.
Die Mt des Herzmuskels machen ca. 36 % des Gesamt-Herzgewichtes aus. Reife Erythrozyten hingegen enthalten keine Mitochondrien.
Die sogenannte Endosymbionten-Theorie, die inzwischen weitgehend anerkannt ist, besagt, dass Mt einst aerob lebende Bakterien waren, die vor ca. einer Milliarde Jahren durch Archebakterien aufgenommen wurden. Damit waren Letztere zu einer effizienteren Energiebildung fähig und konnten sich evolutionär besser durchsetzen. Aus dieser Verwandtschaft der Mitochondrien zu Bakterien erklärt sich z. B. die hohe Anfälligkeit der Mt für Antibiotika.
Mt haben eine relativ glatte äußere und eine stark aufgefaltete innere Membran mit Einstülpungen (= Cristae). An und in der inneren Mt-Membran sind die meisten Enzyme des Mt-Stoffwechsels lokalisiert. Die Faltung der inneren Mt-Membran ergibt eine große Funktionsfläche. Ein Gramm Lebergewebe enthält anhand der Cristae-Faltung eine Membran-Fläche von etwa 3 m². Der menschliche Organismus besteht aus ca. 1016 Zellen. Bei mehreren Tausend Mt pro Zelle ergibt sich eine enorm große Oberfläche.
Der Innenraum der Mt wird als Matrix bezeichnet, der Raum zwischen den beiden Membranen als Intermembranraum. Da ständig Protonen (H+, erzeugen sinkenden, sauren pH-Wert) aus der Matrix durch die innere Mt-Membran in diesen Membranspalt gepumpt werden (s. Atmungskette), liegt in der Mt-Matrix der pH-Wert mit 8 im leicht alkalischen Bereich (H+-Verlust), im Membranspalt und im Cytosol dagegen etwa bei 7. Beide Räume weisen eine hohe Pufferkapazität auf (Phosphat, organische Säuren, Proteine), um ihre pH-Werte konstant zu halten.
Die äußere Mt-Membran ist in ihrem Aufbau der Membran einer Eukaryontenzelle sehr ähnlich.Sie ist gut durchlässig für kleinere Moleküle wie Zucker oder Ionen. Für gefaltete Proteine ist sie undurchlässig, enthält aber spezifische Transportkanäle (Porine) für bestimmte ungefaltete Proteine.
Der Intermembranraum zwischen äußerer und innerer Mt-Membran ist aufgrund der guten Durchlässigkeit der äußeren Membran für kleine Moleküle in seiner Zusammensetzung dem Cytosol ähnlich, die Proteinzusammensetzung weicht jedoch stark davon ab. Im Intermembranraum ist eine Adenylatkinase lokalisiert. Das Enzym wird bei unzureichender ATP-Bildung in den Mt aktiv und katalysiert die Reaktion von zwei ADP ⇄ ATP + AMP, dabei muss ein ADP an Magnesium gebunden vorliegen. AMP geht dem Energiekreislauf jedoch verloren, es kann nicht mehr dorthin zurück.
Enzym | Cofaktoren | Ort |
Adenylatkinase 2 | Magnesium | Intermembranraum der Mt |
Die innere Mt-Membran besteht zu 70 % aus Proteinen und zu 30 % aus den Phospholipiden Phosphatidylcholin (= Lecithin), -serin, -ethanolamin, Diphosphatidylglycerol (= Cardiolipin) und Phosphatidylinisitol. Diese Phospholipide enthalten hohe Anteile an mehrfach ungesättigten Fettsäuren, z. B. Docosahexaensäure (DHA). Die Phospholipide und ihre Fettsäuren in den Membranen erfüllen wichtige strukturelle und funktionelle Aufgaben für die Mt.
Ungesättigte Fettsäuren reagieren empfindlich auf oxidative oder peroxidative Belastungen. Sie können z. B. toxische Lipidperoxide und Aldehyde (S. 64ff) bilden, die – einmal gezündet – im Dominoprinzip die gesamte Membranstruktur schädigen. Damit treten gravierende Schäden aller Stoffwechselwege auf, deren Enzyme an Membranen lokalisiert sind. Vor allem sinkt die Energiebildung aus der Nahrung, das heißt, die gegessenen Kalorien können nicht mehr verwertet werden, stattdessen werden sie abgelagert, die Folgen sind Übergewicht trotz Diäten und Energielosigkeit trotz ausreichender Kalorienzufuhr. Ähnlich empfindlich reagieren Membranen auch auf Tenside, wie sie in Geschirrspülmitteln, Fenster-, Glasreinigern und Waschmitteln vorkommen. Und deren Rückstände sind allgegenwärtig (S. 31)!
Die innere Mt-Membran ist nur für Wasser und Gase durchgängig. Alle anderen Substanzen werden über sogenannte Carrier- und Translokator-Proteine transportiert. Dabei unterscheidet man verschiedene Gruppen z. B.:
Carriergruppe/ | Funktion Bedeutung für |
Carrier der inneren Mt-Membran |
elektrogene Carrier
ATP/ADP-Translokase [AAC] | ADP-ATP-Austausch |
Aspartat/Glutamat Carrierv | Malat/Aspartat-Austausch |
Glukoneogenese | Harnstoffzyklus |
Thermogenin | Ausgleich H+-Gradient, Thermogenese im braunen Fett (s. S. 37) |
elektroneutrale Carrier, protonenkompensierte Carrier
Phosphat/H+ | alle energieliefernden Schritte |
Pyruvat C (Ketonkörper/H+) | Glukoneogenese/ox. Decarboxylierung |
Glutamat/H+-Carrier | Harnstoffzyklus der Leber |
verzweigtkettige Aminosäuren | Skelett, Herzmuskel |
elektronenneutrale Austausch-Carrier
Ketoglutarat/Malat-Carrier | Glukoneogenese |
Dicarboxylat/Phosphat-Carrier | Glukoneogenese und Harnstoffzyklus |
Citrat/Malat-Carrier | Lipo- und Glukoneogenese |
Ornithin/Citrullin-Carrier | Harnstoffzyklus |
neutrale Carrier
Carnitin-/Acylcarnitin-Carrier | β-Oxidation der Fettsäuren |
Glutamin-Carrier | Glutaminabbau, Proteinbiosynthese |
In der inneren Mt-Membran sitzt auch die Atmungskette, die für die Energiebildung verantwortlich ist. Sie läuft in vier Enzymkomplexen ab und wird durch einen Komplex V (Bildung von Adenosintriphosphat ATP) ergänzt. Die Komplexe liegen nicht getrennt, sondern zusammengelagert als Superkomplex vor. Nur in diesem sind sie stabil und funktionsfähig. Die getrennte Darstellung der Komplexe in unserer Abbildung und auch in Lehrbüchern o. Ä. dient nur der besseren Übersichtlichkeit, sie entspricht jedoch nicht den realen Bedingungen. Die Komplexe transportieren Elektronen durch die Membran und pumpen Protonen in den Intermembranraum. Dabei wird schrittweise Energie abgegeben und schließlich Wasserstoff auf Sauerstoff übertragen, Wasser entsteht. Im Schulunterricht lernt man diesen Vorgang als Knallgasreaktion kennen, die laut, heftig und unter kräftiger Hitzeentwicklung stattfindet. In der Atmungskette wird diese Energie in kleine Energiemengen aufgeteilt und kann daher langsam und bei 37° C Körpertemperatur ablaufen.
Mt besitzen eine eigene zirkuläre mt-DNA, sowie eigene mt-RNA und mt-Ribosomen. Sie sind damit zur Proteinbiosynthese fähig. Jedoch entstehen nur 13 Proteine bei der mt-Synthese. Die anderen Mt-Proteine sind im Zellkern kodiert, werden in der Zelle gebildet und in die Mt importiert. Die mt-DNA hat keinen schützende Proteinbesatz (Histone) und keine „sinnlosen“ DNA-Abschnitte zwischen den Genteilen (Introns). Ihre Reparaturkapazität ist im Gegensatz zur Kern-DNA sehr gering. Mutationen treten deshalb im Mt-Genom 10- bis 20-fach häufiger auf als in der Zellkern-DNA. Alle klassischen (primären) Mitochondriopathien gehen auf solche Mt-Genomschäden zurück. Von den 13 mt-kodierten Proteinen sind allein schon 100 Punktmutationen bekannt, diese werden stets maternal vererbt. Die männliche Samenzelle enthält nur im Schwanzteil Mt. Bei der Befruchtung dringt dieser meist nicht in die Eizelle ein und geht verloren. Doch da das Mt vor allem Proteine enthält, die zellkern-kodiert und dann in Mt importiert werden, können Mt-Schäden auch von Vätern vererbt werden. Aufgrund dieser Besonderheit der fehlenden männlichen Mt war es möglich, den menschlichen Stammbau in die Vergangenheit zu verfolgen. Die Urmutter – die menschliche „Eva“ – stammt aus Ostafrika.
Es sind nicht nur die geerbten Mt-Genomschäden, die Probleme bereiten. Durch Einflüsse wie Gifte, Medikamente, Umweltnoxen, Stress u. a kommt es auch im Laufe des Lebens zu Schäden am Mt und seiner DNA. Treffen diese schädlichen Einflüsse junge Frauen vor Schwangerschaften, können bereits erworbene Schäden an den Mt an die nächste Generation weitergegeben werden. Wir werden im Laufe des Buches noch viel davon hören.
Jede mt-DNA enthält insgesamt 37 Gene. Jedes Gen besitzt glücklicherweise 2 bis 15 Kopien. Sind einige Kopien geschädigt, werden diese durch die übrigen kompensiert. Man nimmt an, dass erst bei einem Anteil von insgesamt 60 % geschädigter Kopien ein Schwellenwert erreicht wird, der sich in einer klinisch bemerkbaren, verminderten Energiebildung äußert. 20 % sind kompensierbar. Bei 40 % würden Betroffene eine Abnahme der Belastbarkeit allgemein, der Alkoholtoleranz, evtl. eine Gewichtszunahme bei unverändertem Kostregime u. a. Symptome spüren. 60 % Schäden in der mt-DNA gehen mit chronischer Müdigkeit (CFS, S. 253) einher. Die Energiereserven reichen dann nur noch für das Überleben und Funktionieren lebenswichtiger Organe aus. Der Mt-Metabolismus läuft auf Sparflamme, „nichts geht mehr“. Personen mit einem Mt-Schädigungsgrad von 40 bis 50 % leben gefährlich. Sie und ihr Arzt wissen es nicht. Psychostress, ex- und intensive Belastungen, Infektionen, Impfungen, Medikamenteneinnahme u. Ä. können schnell dazu führen, dass der Mt-Schwellenwert überschritten wird. Chronische Müdigkeit und Erschöpfung werden zu häufig als mangelnde Kondition fehlgedeutet.
Bewegung ist gut und wichtig. Wehe, wenn sie in Langlauf- und Marathonbelastungen umschlägt, die dann zur Überschreitung von Schwellenwerten führen. Mt-Genschäden, Immunsuppression und Apoptoseaktivierungen sind die Folgen [1.9 – 1.13]. Der Mensch braucht tägliche Muskelbelastungen, aber er ist kein Renntier!
Der Schädigungsgrad in Mt ist von Gewebe zu Gewebe und von Zelle zu Zelle unterschiedlich. Ein Oozyt kann 10.000 Mt-Gene und bis zu 100.000 Mt-Genkopien enthalten. Die eine Eizelle ist 100%ig gesund. Eine benachbarte kann schon 10 bis 20 % Schäden aufweisen. Es kann also rein zufällig ein gesundes oder ein mt-geschädigtes Kind geboren werden. Bei Myopathien können völlig gesunde Muskelbezirke neben mt-geschädigten vorkommen. Auch im Verlauf des Älterwerdens nehmen die Mt-Schäden zu. Begünstigt werden sie z. B. durch einseitige Ernährungsweisen, durch Xenobiotikabelastungen der Nahrungsmittel, der Atemluft, von Gegenständen des täglichen Bedarfs, Schlafdefizite u. Ä.
Bei den Mt-Genschäden existiert kein klarer Zusammenhang zwischen Geno- und Phänotyp. Unterschiedliche Gendefekte können zu ähnlichen Symptomen führen. Häufig lässt sich nur eine unspezifische Abnahme der ATP-Synthese nachweisen. Ob sie im eigenen Leben erworben oder ob sie ererbt wurde, kann man nur selten nachweisen. Mit abnehmender Mt-Leistung zeigt sich auch der „Januskopf“ der Mt: Sie produzieren gefährliche Sauerstoff- und Nitrogenradikale. Bei insuffizienter Radikale-Abwehr werden Mt zu „Radikale-Kanonen“, die die Mt und ihre Zellen in Grund und Boden schießen können. Daraufhin freigesetzte proinflammatorische Cytokine und die Cytochrom-c-Freisetzung sind für die Zelle hoch gefährlich.
Mt teilen sich alle fünf bis zehn Tage. Veränderte und geschädigte Mt-Kopien vermehren sich dabei auch. Sie scheinen sogar einen gewissen Teilungsvorteil zu haben. Doch defekte Mt können glücklicherweise mit gesunden fusionieren. Pathologisch veränderte Genkopien werden dann abgespalten (fissing) und verdaut (Mitophagie) [1.14]. In diesen Prozess sind zahlreiche hemmende und stimulierende Enzyme und Proteine eingebunden. Auslöser des Vorganges kann eine niedrige ATP-Bildung, eine zu starke Belastung mit Radikalen oder ein Absinken des Mt-Membranpotenzials sein. Die gesunden Mt-Anteile mit hohem Membranpotenzial fusionieren wieder mit anderen gesunden Mt. Letztendlich schützt die Mitophagie vor dem Zelltod und sichert eine hohe ATP-Produktion. Zusätzlich werden potenziell toxische Proteinaggregate beseitigt. Die Mitophagieaktivität sinkt jedoch mit steigendem Alter. In Gehirn, Myokard und in der Muskulatur wurde dies nachgewiesen. Die Mitophagie lässt sich aber in jedem Alter stimulieren, und zwar durch (moderate!) muskuläre Belastung und hypokalorische Ernährung.
Folgende Stoffwechselwege laufen gesamt oder in Teilen in Mt ab:
Energieversorgung
Abbau von Pyruvat, Citratzyklus, Atmungskette und oxidative Phosphorylierung (OxPhos-Reaktion = ATP-Bildung), β-Oxidation der Fettsäuren, Beginn der Glukoneogenese, Ketonkörper-Bildung
Abbau und Entsorgung
Abbau von Keto-, und Aminosäuren sowie Teile des Harnstoff- und des Ammoniak-Abbaus
Bildung von Baumaterial u. a.
Bildung von Proteinanteilen der Atmungskette sowie von Bauelementen der inneren Membran (Cardiolipin, S. 43), Aminosäuren-Synthesen, Beginn der Steroidhormonsynthese, Ende der Cortisol- und Aldosteron-Synthesen sowie Beginn und Ende der Häm-Synthese sowie die Einleitung der Apoptose (programmierter Zelltod)
Pyruvat (Brenztraubensäure) entsteht als Endprodukt bei der Glykolyse (S. 52), dem wichtigsten Abbauweg der Glukose. Es kann aber auch aus Laktat (Milchsäure), Oxalacetat und anderen α-Ketosäuren hervorgehen. Im nächsten Schritt zum energiegewinnenden Abbau des Pyruvates wird es unter CO2-Abspaltung und Anlagerung eines Coenzyms A (CoA; s. Kasten) im Mt zu Acetyl-CoA oxidiert. Diese Umsetzung geschieht am Pyruvat-Dehydrogenasekomplex (PDH). Es ist ein Multienzymkomplex, der aus drei Untereinheiten (E1, E2, E3) besteht, die jeweils mehrfach im Komplex vorkommen: im Kern 60 E1-Einheiten, die von 30 E2- und 6 E3-Dimeren umgeben sind. Darin befinden sich außerdem die Enzyme PDH-Kinase und PDH-Phosphatase. Die Kinase lagert Phosphat an die PDH an. Damit wird das Enzym inaktiv. Die PDH-Phosphatase spaltet Phosphat wieder ab und aktiviert damit erneut die PDH. Sie benötigt Magnesium als Cofaktor. Acetyl-CoA und NADH im Übermaß aktivieren die PDH-Kinase und hemmen damit den Abbau von Pyruvat, also die Zuckerverwertung.
Enzymkomplex PDH | Cofaktoren/Energie | Ort |
E1 = Pyruvat-Dehydrogenase (PDH) | Vitamin B1 | Mt-Matrix |
E2 = Dihydroliponamid-Acetyl-Transferase | α-Liponsäure | Mt-Matrix |
E3 = Dihydroliponamid-Dehydrogenase | α-Liponsäure, Vitamin B2 als FAD | Mt-Matrix |
PDH-Kinase (PDK) | Mt-Matrix | |
PDH-Phosphatase (PDP) | Magnesium | Mt-Matrix |
Mangelzustände der Cofaktoren hemmen den oxidativen Pyruvatabbau. Dann wird, wie auch unter anaeroben Bedingungen, Pyruvat zu Laktat reduziert. Pyruvat und/oder Laktat steigen im Blutserum an und werden über den Urin ausgeschieden, statt der Energiebildung zu dienen (Ausnahme: Laktat wird in der Leber energetisch genutzt). Die erhöhte Pyruvat- und/oder Laktatausscheidung kann diagnostisch genutzt werden. Gelenk-, Muskelschmerzen und massive Müdigkeit sind die klinischen Folgen.
Die Pyruvat-Dehydrogenase ist ein sehr empfindliches Enzym. Ihre Aktivitätsminderung geht mit Mt-Depletionen einher. Schon virale Infekte können zu ihrer Downregulation führen [1.14a - c].
Coenzym A (CoA) ist im Energiestoffwechsel von großer Bedeutung. Es wird aus Pantothensäure (Vitamin B5), der Aminosäure Cystein und einer Adenosylgruppe gebildet, die über eine Schwefel-Brücke mit Essigsäure verbunden sind, eine sogenannte Thioesterbindung. Die SH-(Sulfhydryl-)Gruppe ist entscheidend für seine Wirkung. Sie liegt am Pantotheinrest.
Enzyme Bildung Coenzym A | ||
Pantothenat-Kinase | ATP | Cytosol/Mt-Intermembranraum |
Phosphopantothenat-Cystein-Ligase | ATP | Cytosol |
Phosphopantothenoyl-Cystein-Decarboxylase | Vitamin B2 als FMN | Cytosol |
Pantothein-Phosphat-Adenylyl-Transferase | ATP | Cytosol außen auf Mt-Außenmembran |
Dephospho-CoA-Kinase | ATP | Cytosol außen auf Mt-Außenmembran |
Der wichtigste Ester des CoA ist Acetyl-CoA, die aktivierte Essigsäure. Sie stellt das Zentrum des Kohlenhydrat-, Fett- und Aminosäurenstoffwechsels dar. Folgende Reaktionen werden durch Acetyl-CoA katalysiert:
▶Addition an Oxalacetat, es entsteht Citrat. Hiermit werden Fette, Kohlenhydrate und Aminosäuren in den Citratzyklus eingeschleust.
▶Reaktion mit Cholin zu Acetylcholin (Nervenbotenstoff)
▶Acetylierung von Xenobiotika wie Medikamente (Entgiftung)
▶Bildung von Succinyl-CoA. Dieses entsteht aus der Decarboxylierung von α-Ketoglutarat. Succinyl-CoA und Glycin bilden α-Aminolävulinsäure als erstes Zwischenprodukt der Häm-Biosynthese. Ein Pantothensäure-Mangel kann folglich auch eine Anämie und eine Mitochondriopathie auslösen.
▶ATP-abhängige Kopplung von Fettsäuren an CoA. Es entsteht Acyl-CoA. Diese Reaktion ist der erste Schritt bei der β-Oxidation der Fettsäuren. Die dabei stattfindende Abtrennung von Acetylresten benötigt wiederum CoA.
Der Citratzyklus nimmt im Stoffwechsel eine zentrale Stellung ein. Er erfüllt dabei gleich zwei Funktionen:
Erstens greift er als kataboler Stoffwechselweg das Acetyl-CoA auf, das beim Abbau von Kohlenhydraten (s. o.) und Fetten (s. u. β-Oxidation der Fettsäuren) entsteht und er nimmt die Kohlenstoff-Grundgerüste von Aminosäuren nach deren Abbau über verschiedene Metabolite in sich auf. Letztendlich baut er sie alle zu Kohlendioxid (CO2) ab. Dabei gewinnt er Energie (als GTP = Guanosintriphosphat) und Protonen (H+), die auf NAD (aus Vitamin B3) und FAD (aus Vitamin B2) übertragen werden. NADH2 und FADH2 fließen später in die Atmungskette (s. u.) ein.
Zweitens ist der Citratzyklus Bausteinlieferant für die Synthese von Fettsäuren, Porphyrinen (Häm), nicht essenzielle Aminosäuren und für die Glukoneogenese (s. u.) sowie die Glykogenbildung in der Leber und den Muskeln. Damit erfüllt er anabole Funktionen. Um diesen Abzug von Intermediaten aus dem Citratzyklus auszugleichen, finden sogenannte anaplerotische Reaktionen statt (z. B. Bildung von Oxalacetat aus Pyruvat, CO2 und Wasser unter Energieverbrauch durch die Pyruvat-Carboxylase, die als Cofaktoren Biotin und Mangan benötigt).
Bei Mängeln der benötigten Cofaktoren läuft der Citratzyklus nur schleppend ab. Die Energiebildung und die Lieferung von Bausubstanz ist folglich gehemmt.
Glukogene Aminosäuren sind Alanin, Arginin, Asparagin, Aspartat, Cystein, Glutamin, Glutamat, Glycin, Histidin, Isoleucin, Methionin, Phenylalanin, Prolin, Serin, Threonin, Tryptophan, Tyrosin, Valin. Der erste Schritt der Umsetzung ist immer die Abspaltung der Aminogruppe (Transaminierung). Nicht glukogene Aminosäuren sind Leucin und Lysin.
Zur Einschleusung von glukogenen Aminosäuren in den Citratzyklus müssen diese in Pyruvat, Oxalacetat, α-Ketoglutarat, Succinyl-CoA oder Fumarat ungewandelt werden. Dazu werden als Cofaktoren benötigt: Vitamin B6 als aktives P5P (Transaminierung), Biotin, Magnesium, Cobalt, Mangan, Eisen und Vitamin B12. Bei Defiziten dieser Mikronährstoffe staut sich das Zwischenprodukt Propionyl-CoA auf. Bestehende Abbauwege (S. 41) reichen nicht aus. Durch dieses Überangebot entsteht Methylzitronensäure, die renal ausgeschieden wird und zur Diagnostik genutzt werden kann. Auch im Liquor finden sich bei Vitamin-B12-Mangel sehr hohe Methylzitronensäurekonzentrationen. Damit ist eine Demenzentwicklung vorprogrammiert [1.15].
Aus dem Citratzyklus (und der β-Oxidation der Fettsäuren, s. u.) freigesetzter Wasserstoff bindet in der Mt-Matrix an die Wasserstoffträger NAD und FAD. Diese werden dadurch zu NADH2 und FADH2 und wandern so zur Atmungskette (s. u.) in der inneren Mt-Membran. Dort übertragen sie den Wasserstoff auf verschiedene Enzymkomplexe. Die H+-Protonen werden von den membrandurchspannenden Enzymkomplexen (genauer: an deren Eisen-Schwefel-Zentren) von ihren Elektronen getrennt und in den Intermembranraum transportiert. Die Elektronen nehmen eine Wanderung durch die innere Mt-Membran auf. Elektronen-Überträger zwischen den einzelnen Enzymkomplexen der Atmungskette sind Coenzym Q10 (s. u.) und Cytochrom c (mit Hämkern, der zwischen Fe3+ und Fe2+ wechselt). Am Ende der Atmungskette werden sowohl die H+ als auch die Elektronen auf Sauerstoff übertragen, es entsteht Wasser.
Manch einer kennt diese Reaktion zwischen Wasserstoff und Sauerstoff vielleicht noch aus dem Chemieunterricht in der Schule: die Knallgasreaktion. Dabei wird viel Energie als Knall und Hitze frei. Nichts anderes macht die Atmungskette, sie zerteilt jedoch an ihren Enzymkomplexen die Gesamtenergie der Reaktion in mehrere kleine Portionen, so kann die Energie bei Körpertemperatur gewonnen werden. Mithilfe dieser kleinen Energie-Portionen werden die Protonen (H+) zunächst von den Enzymkomplexen in den Intermembranraum befördert. Ansonsten ist die Membran für Protonen undurchlässig. Durch diese Verlagerung von positiver Ladung auf die andere Seite der Membran baut sich eine elektrochemische Potenzialdifferenz auf. Sie wird bei der sich an die Atmungskette anschließenden OxPhos-Reaktion wieder ausgeglichen, H+ kommt durch diesen Komplex zurück in das Mt-Innere, setzt dabei einen „Enzym-Motor“ in Bewegung und dadurch kann die Energie durch Bildung von ATP gespeichert werden (s. u.).
Das Mt-Membranpotenzial oszilliert von der Depolarisation bis zum normalen Membranpotenzial einmal pro Minute. Bei abfallendem Potenzial werden die Mt-Calcium-Speicher entleert. Von diesen gehen wichtige Signalfunktionen aus. Bei normalem Membranpotenzial wirken die Mt als Calcium-Puffer. Die Calcium-Fluktuationen werden vom ATP-ADPVerhältnis stabilisiert, Männer „ticken“ dabei in ihren Mt übrigens langsamer als Frauen [1.16].
Mt besitzen ein Membranpotenzial von ca. 180 mV. Bei einer Wanddicke von 25 nm bei 10 nm Zwischenraum entspricht dies einer Felddichte von 7,2 Mio Volt pro Meter. Im Vergleich [1.17]:
gesunde Zellen: 10 Mio Volt/Meter Hirn-Tumorzelle intrazellulär 15 Mio Volt/Meter Blitz 3 Mio Volt/Meter
Wichtig für den Elektronentransport ist die Art der Fette, die die innere Mt-Membran aufbauen: Cardiolipin (Phosphatidylglycerin), Lecithin (Phosphatidylcholin) und ein hoher Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren der Omega-3-Polyen-Familie (EPA, DHA). Diese Phosphatide umhüllen die Enzymproteine der Atmungskette, wirken als Gleitschiene für den Sauerstoff zum Häm-Eisen und sichern die Funktion der Transporter (s. o.), insbesondere des ATP-ADP-Transporters. Ohne diese intakten Phosphatide funktioniert die ATP-Synthese nicht. Doch diese Fette sind empfindlich gegen reaktive Sauerstoffradikale (ROS), chlororganische Xenobiotika und Lösungsmittel (Tri-, Perchlorethylen u. a.) sowie Tenside (Fensterputz-, Geschirrspülmittel, s. Kasten).
Tenside und Gesundheit:
Tenside sind heute in den Mt nachweisbar [1.19], besonders viele im Nordseefisch. Sie blockieren Translokator-Enzyme, die den ATP/ADP-Austausch zwischen Mt und Cytoplasma absichern.
Kein Restaurant, keine Großküche, kein Privathaushalt verzichtet heute mehr auf diese modernen Geschirrspülmittel. Chemie spart Zeit – aber auf Kosten unserer Gesundheit! (S. 158ff)