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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74092-960-2
In der großen, gemütlichen Küche der Familie des Landdoktors herrschte Aufbruchsstimmung. Sebastian Seefeld machte sich bereit, in den Praxisanbau hinüber zu gehen, und seine Teenagertochter Emilia griff nach ihrem Schulrucksack. Sein Vater Benedikt, der ehemalige Landdoktor, und Traudel, die gute Seele des Hauses, räumten die Spülmaschine ein und räumten den Frühstückstisch ab.
»Was hast du gleich vor?«, wandte Benedikt sich an Traudel und deutete auf ihren Korb, in dem Gartenhandschuhe, Schere, Bindedraht und weißes Schleifenband lagen.
»Ich treffe mich gleich mit den Landfrauen und dann binden wir die Girlanden zur Hochzeit von Evi Graubner«, antwortete Traudel mit einem kleinen Seufzer.
»Nanu?« Sebastian drehte sich unter der Tür um und schaute Traudel fragend an. »Warum der Seufzer? Das Binden der Girlanden macht dir doch sonst immer Spaß.«
»Das tut es auch heute«, erwiderte die hübsche ältere Frau mit den warmen, dunklen Augen, in denen Lebenslust und Klugheit schimmerten. »Es ist nur so, dass unter Garantie wieder darüber geredet wird, wann denn nun endlich auch für Lena und Basti die Hochzeitsglocken läuten. Das ewige Fragen ist für die beiden Mütter allmählich lästig, und außerdem warten sie selbst brennend darauf, dass sich ihre Kinder das Jawort geben.«
»Also mich würde das ganz schön nerven, wenn sich die Leute den Kopf darüber zerbrechen, wann ich heirate«, sagte Emilia energisch. »Das ginge doch wohl nur mich und meinen zukünftigen Mann etwas an.« Ihre langen dunklen Haare wehten um ihre schmalen Schultern, als sie mit anmutigen Schritten zur Hintertür ging.
»Hallo?«, rief ihr Großvater im Ton spaßhafter Entrüstung. »Und wir erfahren dann mal ganz nebenbei von dir, dass du geheiratet hast?«
»So ungefähr«, antwortete seine Enkelin schlagfertig und blinzelte dem älteren Mann liebevoll zu. Sie wusste genau, dass eines Tages ihre Hochzeit ein wundervolles Fest im Kreis ihrer Liebsten sein würde. »Ich muss los. Servus, Familie, hab euch lieb.«
»Wir dich auch, Spatzl«, sagte Sebastian und winkte sie zärtlich zur Tür hinaus.
Die Haushälterin Traudel erledigte die letzten Handgriffe und ging dann mit ihrem Gartenkorb in den Gemeindesaal hinüber, in dem sich an diesem Morgen die Landfrauen trafen, um die Girlanden anzufertigen. Tannengrün, Taxus, Buchsbaum und Efeu wurden kunstvoll gebunden, mit weißen Schleifen verziert und würden die Tür des Brauthauses am Marktplatz und das Kirchenportal schmücken. Es war eine schöne Arbeit für einen freudigen Anlass, und entsprechend gut war die Stimmung unter den Frauen, die vor Bergen von duftendem Grünzeug saßen. Man plauderte und lachte, natürlich war das Brautkleid ein ganz großes Thema, und schnell wandte sich das Gespräch dann auch den anderen Paaren zu, die bald heiraten würden.
Prompt kam die Rede auch auf Lena Bräuer und Basti Höpfner, deren Mütter mit am Tisch saßen. »Allmählich wird’s Zeit, gell?«, sagte Afra mit einem prüfenden Blick hinüber zu ihrer Nachbarin Marianne. »Dein Madl und der Basti sind doch schon seit acht Jahren ein Paar, und seit einiger Zeit haben sie sogar ein Häuschen. Jetzt wäre es doch richtig, wenn nun Lena und Basti als Eheleute dort einziehen.«
»Das finden ihr Papa und ich ja auch, aber bisher haben die Kinder halt noch nichts gesagt«, antwortete Marianne Bräuer fast ein wenig entschuldigend.
»Mein Alois hat beim Basti mal ein wenig auf den Busch geklopft, aber der Bub redet nicht viel, das hat er noch nie getan«, sagte seine Mutter Veronika.
»Ich hab mich hinter den Ludwig gesteckt, er und Lena wissen doch immer alles voneinander, aber der Bub sagt, ich soll in Ruhe abwarten. Wenn Lena und Basti so weit sind, dass sie heiraten wollen, dann werden sie es uns schon rechtzeitig mitteilen«, erzählte Marianne.
»Ich finde sehr vernünftig, was dein Sohn gesagt hat«, mischte Traudel sich nun ins Gespräch. »Es ist die Entscheidung der jungen Leute; hört auf, sie zu drängen.«
»Du hast gut reden, du hast ja keine eigenen Kinder«, antwortete Marianne ärgerlich.
»Außerdem sind unsere beiden seit acht Jahren ein Paar und inzwischen Mitte Zwanzig, da sollte man allmählich ans Heiraten denken«, fügte Veronika Höpfner energisch hinzu.
»Alles zu seiner Zeit«, antwortete Traudel ruhig. Sie ließ sich nicht anmerken, dass sie Mariannes gedankenlose Bemerkung getroffen hatte. Sebastian Seefelds Mutter war bei der Geburt gestorben, und Traudel hatte den kleinen Jungen wie ihr eigenes Kind großgezogen. »Wir sollten uns jetzt lieber über Evis Hochzeit unterhalten, für sie und ihren Alex binden wir die Girlanden.«
Mit diesen Worten steuerte sie das Gespräch in ein anderes Fahrwasser, und die Frauen plauderten angeregt über die umfangreichen Hochzeitsvorbereitungen, die fest in der Hand der Brautmutter lagen. Die Zeit verging wie im Flug, und ehe das Mittagsläuten einsetzte, waren zwei wunderschöne grüne Girlanden entstanden, von denen weißes Schleifenband herabwehte. Die Frauen packten ihr Handwerkszeug zusammen und gingen zufrieden nach Hause.
»Und ich finde es doch mehr als überfällig, dass unsere beiden die Ringe tauschen, da mag die Traudel sagen, was sie will«, raunte Marianne ihrer Freundin beim Abschied zu.
»Das geht mir ganz genauso. Mir juckt es schon lange in den Fingern, endlich für unser Pärchen die Girlanden zu binden«, pflichtete Veronika ihr bei.
Einträchtig machten sich die beiden Freundinnen auf den Heimweg.
Das junge Paar, von dem man die Hochzeit erwartete, hätte wahrscheinlich leicht genervt die Augen verdreht, wenn sie die Gespräche mitbekommen hätten. Dass sie ihr Leben miteinander verbringen würden, hatte für Lena Bräuer und Bastian Höpfner nie infrage gestanden. Sie waren als Teenager ein Pärchen und zusammen erwachsen geworden. Eine gemeinsame Zukunft war für sie so selbstverständlich wie die Tatsache, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Sie wollten sich nur nicht von ihren Eltern, die auch seit Jahren miteinander befreundet waren, drängen lassen. Sowohl Lena als auch Basti waren eher ruhige und zurückhaltende Menschen, die nicht gern im Mittelpunkt standen. Die große Hochzeit, die ihren Eltern vorschwebte, war gar nicht das, was sie selbst planen würden. Zur richtigen Zeit würden sie so feiern, wie es zu ihnen passte.
Lena war eine hübsche junge Frau mit langen blonden Haaren und leuchtenden grünen Augen. Bei der Arbeit auf dem Ebereschenhof trug sie zweckmäßige Jeans und schlichte Oberteile, in ihrer Freizeit entschied sie sich gern für ein Dirndl, das zu ihren grünen Augen passte. Sie war Hauswirtschafterin und arbeitete bei dem jungen Ehepaar, das den Ebereschenhof betrieb. Ben und Marie Lauterbach hatten ihren Hof mit Ferienwohnungen ausgestattet und ermöglichten den Touristen wundervolle Urlaube. Der Mann hatte auch eine eigene Schreinerwerkstatt, und zur Familie gehörte ein Zwillingspärchen, das viel Zeit von der jungen Mutter in Anspruch nahm. Deshalb waren die Lauterbachs sehr froh, in Lena eine so tatkräftige und freundliche Mitarbeiterin gefunden zu haben.
Jetzt standen die beiden jungen Frauen in der großen Bauernküche und beschäftigten sich damit, die Aufschnittplatten fürs Abendessen fertig zu machen, während die süßen Zwillingsmädchen nebeneinander in einem großen Stubenwagen lagen. Über ihre Kräutertöpfe hinweg, die auf den Fensterbrettern dufteten, warf Marie einen besorgten Blick in den Himmel, an dem finstere Gewitterwolken heraufzogen.
»Das gefällt mir nicht«, sagte sie zu Lena. »Du bist mit deinem Fahrrad hier und wirst genau in das Gewitter hineinfahren. Bleib lieber hier bei uns zum Abendbrot und warte das Wetter ab, oder wenn du es ganz eilig hast, kann Ben dich mit dem Auto runter ins Dorf bringen.«
Auch Lena warf einen prüfenden Blick nach draußen und stellte rasch das große Glas mit eingelegten Gurken zur Seite. »Du hast recht, das schaffe ich nicht, bevor es losgeht. Ich bleibe besser hier. Mach du mit den Vorbereitungen weiter, ich hole rasch die Wäsche herein.«
Mit schnellen, anmutigen Bewegungen lief die junge Frau auf die Wiese hinter dem Haus, auf der Leinen gespannt waren, an denen sich die private Bettwäsche und Handtücher im aufkommenden Wind blähten. Als sie das Geräusch hörte, mit dem ein Auto über den Kies der Einfahrt rollte, schaute sie hoch, und ihre Augen leuchteten auf.
»Basti, was machst du denn jetzt hier draußen? Hattest du hier einen Einsatz?«, rief sie erfreut zu dem jungen Polizisten hinüber, der gerade aus dem Streifenwagen stieg.
Polizeimeister Bastian Höpfner salutierte mit einem verschmitzten Augenzwinkern. »Als Geleit abgestellt, Frau Bräuer. Stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«
Lena lachte glücklich auf, legte einen Arm um seinen Nacken und küsste ihn. »Wollten wir uns nicht erst heute Abend bei mir zu Hause sehen?«
Bastian, der von allen nur Basti genannt wurde, drückte die junge Frau kurz an sich und trat dann einen Schritt zurück. Er hatte vorschriftsmäßig kurz geschnittenes dunkelbraunes Haar und warme, dunkle Augen. Wenn er lächelte, erschien in seinem linken Mundwinkel ein Grübchen, das einen bemerkenswerten Kontrast zu seinen männlich-kantigen Gesichtszügen darstellte. Lena liebte dieses Grübchen besonders und gab ihm bei der Begrüßung immer ein Extra-Küsschen.
»Ich sehe das Gewitter aufziehen und weiß, dass du es mit dem Rad nicht mehr nach Bergmoosbach schaffen wirst«, antwortete Basti. »Ich wollte dich abholen und schnell nach Hause bringen.«
»Danke, das ist süß von dir.« Lena küsste ihn noch einmal und griff nach dem Wäschekorb. »Ich bringe das nur noch schnell ins Haus, dann komme ich.«
»Ich verstaue inzwischen dein Rad. Grüß Marie von mir«, antwortete Basti und ging rasch zum alten Stall hinüber, an dessen Wand Lenas Fahrrad lehnte. Geschickt verstaute er es im Fahrzeug und versuchte, dieses eigenartige Gefühl zu ignorieren, das ihm in letzter Zeit mehr und mehr zu schaffen machte.
Als seine Freundin auf ihn zulief, schaute er ihr aufmerksam entgegen. Lena trug schmal geschnittene Jeans, die ihre gute Figur betonten, und eine schlichte weiße Hemdbluse mit aufgekrempelten Ärmeln. Ihre blonden Haare trug sie zu einem hohen Knoten zusammengefasst, aus dem der starke Wind einzelne Strähnen löste und wie ein goldenes Gespinst um ihr schmales Gesicht spielen ließ. Sie war hübsch, anmutig und voller Lebenslust. Als sie sich auf den Beifahrersitz neben Basti fallen ließ, wehte ihm ihr Duft entgegen. Er spürte den feinen Rosenhauch ihrer Gesichtscreme, der sich mit dem herrlichen Geruch frischen Leinens mischte, das in Sonne und Wind getrocknet war. Es war ein sehr angenehmer, leichter Duft, warum spürte Basti dann jetzt diesen Kloß in der Kehle, so als ob ihm jemand die Luft abschnürte?
»So, wir können los«, sagte Lena unbefangen.
Basti schluckte gegen den Druck in seinem Hals an und lächelte, ohne dass dieses Lächeln seine Augen erreichte. Er schaute konzentriert geradeaus, und Lena bemerkte seine Anspannung nicht.
Mit einem grollenden Donner öffnete der Himmel seine Schleusen, und heftiger Regen ergoss sich über die Wälder und Felder, zwischen denen sie nach Bergmoosbach hineinfuhren.
»Wie gut, dass du gekommen bist«, sagte Lena mit einem zufriedenen Seufzer und strich mit der Hand zärtlich über Bastis Wange. »Ich hätte zwar auf dem Ebereschenhof bleiben und das Gewitter abwarten können, aber so ist es viel schöner. Ich freu mich, dass du da bist.«
»Ich will halt nicht, dass du klatschnass wirst, und noch weniger, dass dir etwas passiert, wenn du beim Gewitter unterwegs bist«, antwortete er aufrichtig. Seine Sorge um seine Freundin war echt, aber warum hielt er es dann kaum noch aus, mit ihr allein in einem Raum zu sein? Mit Anstrengung konzentrierte er sich auf Lenas Worte. Sie überlegte gerade laut, welche der anstehenden Renovierungsarbeiten sie heute Abend gemeinsam planen wollten.
Lena hatte von ihren Großeltern ein kleines Haus übernommen, das ortsauswärts in der Holzergasse stand. Es war ein hübsches, schlichtes Häuschen, an dem etliches erneuert werden musste. Lena wohnte bereits dort, und es war geplant, dass Basti nach Ablauf der Kündigungsfrist für seine kleine Wohnung ebenfalls in die Holzergasse ziehen würde. Einige Arbeiten wollten sie in die Hände von Fachleuten legen, vieles aber auch selbst machen.
»… und dann sollten wir uns heute Abend entscheiden, von wem wir die neuen Fenster machen lassen, die verschiedenen Kostenvoranschläge haben wir lange genug geprüft«, klang Lenas unternehmungslustige Stimme in seine Gedanken hinein.
»Das wird heute Abend nichts«, antwortete Basti rasch. Vorsichtig steuerte er den Wagen durch die engen Straßen des Dorfes hinein in die Holzergasse, die sich am anderen Ortsrand befand. »Ich habe Streifendienst und fahre mit Gregor Leutner.«
»Schon wieder?« Überrascht, aber überhaupt nicht vorwurfsvoll schaute Lena ihn an. »Du hast in letzter Zeit sehr oft den Spät- oder Nachtdienst. Wird dir das nicht allmählich zu viel?«
Basti murmelte etwas von Krankmeldungen und Vertretungen, als er den Wagen möglichst dicht vorm Gartenpförtchen parkte. Zum Schutz vor dem Regen schlüpfte er in den dunklen Lederblouson seiner Uniform und lud rasch das Fahrrad aus, während Lena hinüber zur verwitterten Haustür lief. Basti trat einen Schritt in den Flur hinein und umarmte flüchtig die junge Frau. »Mach dir einen gemütlichen Abend, wir sehen uns dann morgen, gell?«, murmelte er in ihre Haare, die sich an seine Wange schmiegten.