Hugo von Hofmannsthal: Elektra

 

 

Hugo von Hofmannsthal

Elektra

Tragödie in einem Aufzug frei nach Sophokles

 

 

 

Hugo von Hofmannsthal: Elektra. Tragödie in einem Aufzug frei nach Sophokles

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Johann Heinrich Tischbein der Ältere, Trauernde Elektra, 1784

 

ISBN 978-3-8430-6646-4

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7856-6 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7857-3 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden 1903. Erstdruck: Berlin (S. Fischer) 1904. Uraufführung am 25.1.1903 in Dresden (Königliches Opernhaus).

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Band 2–5: Dramen, Herausgegeben von Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch, Frankfurt a.M.: S. Fischer, 1979.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Dramatis Personae

 

Klytämnestra

 

Elektra,

Chrysothemis, Töchter

 

Ägisth

 

Orest

 

Der Pfleger des Orest

 

Die Vertraute

 

Die Schleppträgerin

 

Ein junger Diener

 

Ein alter Diener

 

Der Koch

 

Die Aufseherin

 

Die Dienerinnen

 

Der innere Hof, begrenzt von der Rückseite des Palastes und niedrigen Gebäuden, in denen die Diener wohnen. Dienerinnen am Ziehbrunnen, links vorne. Aufseherinnen unter ihnen.

 

ERSTE ihr Wassergefäß aufhebend.

Wo bleibt Elektra?

ZWEITE.

Ist doch ihre Stunde,

die Stunde wo sie um den Vater heult,

daß alle Wände schallen.

 

Elektra kommt aus der schon dunkelnden Hausflur gelaufen. Alle drehen sich nach ihr um. Elektra springt zurück wie ein Tier in seinen Schlupfwinkel, den einen Arm vor dem Gesicht.

 

ERSTE.

Habt ihr gesehn, wie sie uns ansah?

ZWEITE.

Giftig

wie eine wilde Katze.

DRITTE.

Neulich lag sie

und stöhnte –

ERSTE.

Immer, wenn die Sonne tief steht,

liegt sie und stöhnt.

DRITTE.

Da gingen wir zuzweit

und kamen ihr zu nah –

ERSTE.

Sie hälts nicht aus,

wenn man sie ansieht.

DRITTE.

Ja, wir kamen ihr

zu nah. Da pfauchte sie wie eine Katze

uns an. »Fort, Fliegen!« schrie sie, »fort!«

VIERTE.

»Schmeißfliegen, fort!«

DRITTE.

»Sitzt nicht auf meinen Wunden!«

und schlug nach uns mit einem Strohwisch.

VIERTE.

»Fort,

Schmeißfliegen, fort!«

DRITTE.

»Ihr sollt das Süße nicht

abweiden von der Qual. Ihr sollt nicht schmatzen

nach meiner Krämpfe Schaum.«

VIERTE.

»Geht ab, verkriecht euch«,

schrie sie uns nach. »Eßt Fettes und eßt Süßes

und kriecht zu Bett mit euren Männern«, schrie sie,

und die –

DRITTE.

Ich war nicht faul –

VIERTE.

Die gab ihr Antwort!

DRITTE.

Ja: »Wenn du hungrig bist«, gab ich zur Antwort,

»so ißt du auch«, da sprang sie auf und schoß

gräßliche Blicke, reckte ihre Finger

wie Krallen gegen uns und schrie: »Ich füttre«,

schrie sie, »mir einen Geier auf im Leib.«

ZWEITE.

Und du?

DRITTE.

»Drum hockst du immerfort«, gab ich

zurück, »wo Aasgeruch dich hält und scharrst

nach einer alten Leiche!«

ZWEITE.

Und was sagte

sie da?

DRITTE.

Sie heulte nur und warf sich

in ihren Winkel.

 

Sie sind mit dem Schöpfen fertig.

 

ERSTE.

Daß die Königin

solch einen Dämon frei in Haus und Hof

sein Wesen treiben läßt.

ZWEITE.

Das eigne Kind!

ERSTE.

Wär sie mein Kind, ich hielte, ich – bei Gott! –

sie unter Schloß und Riegel.

VIERTE.

Sind sie dir

nicht hart genug mit ihr? Setzt man ihr nich

den Napf mit Essen zu den Hunden?

 

Leise.

 

Hast du

den Herren sie nie schlagen sehn?

FÜNFTE eine ganz junge, mit zitternder erregter Stimme.

Ich will

mich vor ihr niederwerfen und die Füße

ihr küssen. Ist sie nicht ein Königskind

und leidet solche Schmach! Ich will die Füße

ihr salben und mit meinem Haar sie trocknen.

AUFSEHERIN.

Hinein mit dir!

 

Stößt sie.

 

FÜNFTE.

Es gibt nichts auf der Welt,

das königlicher ist als sie. Sie liegt

in Lumpen auf der Schwelle, aber niemand,

 

Schreiend.

 

niemand ist hier im Haus, der ihren Blick

aushält!

AUFSEHERIN.

Hinein!

 

Stößt sie in die offene niedrige Tür links vorne.

 

FÜNFTE in die Tür geklemmt.

Ihr alle seid nicht wert,

Die Luft zu atmen, die sie atmet! O

könnt ich euch alle, euch, erhängt am Halse,

in einer Scheuer Dunkel hängen sehen

um dessen willen, was ihr an Elektra

getan habt!

AUFSEHERIN schlägt die Tür zu, stellt sich dann mit dem Rücken dagegen.

Hört ihr das? wir, an Elektra!

die ihren Napf von unserm Tische stieß,

als man mit uns sie essen hieß, die ausspie

vor uns und Hündinnen uns nannte.

ERSTE.

Was?

Sie sagte: keinen Hund kann man erniedern,

wozu man uns hat abgerichtet: daß wir

mit Wasser und mit immer frischem Wasser

das ewige Blut des Mordes von der Diele

abspülen –

DRITTE.

Und die Schmach, so sagte sie,

die Schmach, die sich bei Tag und Nacht erneut,

in Winkel fegen...

ERSTE.

Unser Leib, so schreit sie,

starrt von dem Unrat, dem wir dienstbar sind!

 

Sie tragen ihre Gefäße ins Haus links.

 

AUFSEHERIN die ihnen die Tür aufgemacht hat.

Und wenn sie uns mit unsern Kindern sieht,

so schreit sie: nichts kann so verflucht sein, nichts,

als Kinder, die wir hündisch auf der Treppe

im Blute glitschend, hier in diesem Haus

empfangen und geboren haben. Sagt sie

das oder nicht?

DIE DIENERINNEN schon von drinnen.

Ja! ja!

DIE EINE von drinnen.

Sie schlagen mich!

 

Die Aufseherin geht hinein. Die Tür fällt zu.

Aus dem Hause tritt Elektra. Sie ist allein mit den Flecken roten Lichtes, die aus den Zweigen des Feigenbaumes schräg über den Boden und auf die Mauern fallen, wie Blutflecke.

 

ELEKTRA.

Allein! Weh, ganz allein. Der Vater fort,

hinabgescheucht in seine kalten Klüfte.

 

Gegen den Boden.

 

Wo bist du, Vater? hast du nicht die Kraft,

dein Angesicht herauf zu mir zu schleppen?

Es ist die Stunde, unsre Stunde ists!

Die Stunde, wo sie dich geschlachtet haben,

dein Weib und der mit ihr in einem Bette,

in deinem königlichen Bette schläft.

Sie schlugen dich im Bade tot, dein Blut

rann über deine Augen, und das Bad

dampfte von deinem Blut, dann nahm er dich,

der Feige, bei den Schultern, zerrte dich

hinaus aus dem Gemach, den Kopf voraus,

die Beine schleifend hinterher: dein Auge,

das starre, offne, sah herein ins Haus.

So kommst du wieder, setzest Fuß vor Fuß

und stehst auf einmal da, die beiden Augen

weit offen, und ein königlicher Reif

von Purpur ist um deine Stirn, der speist sich

aus deines Hauptes offner Wunde.

Vater!

Ich will dich sehn, laß mich heut nicht allein!

Nur so wie gestern, wie ein Schatten, dort

im Mauerwinkel zeig dich deinem Kind!

Vater! dein Tag wird kommen! Von den Sternen

stürzt alle Zeit herab, so wird das Blut

aus hundert Kehlen stürzen auf dein Grab!

So wie aus umgeworfnen Krügen wirds

aus den gebundnen Mördern fließen, rings

wie Marmorkrüge werden nackte Leiber

von allen ihren Helfern sein, von Männern

und Frauen, und in einem Schwall, in einem

geschwollnen Bach wird ihres Lebens Leben

aus ihnen stürzen – und wir schlachten dir

die Rosse, die im Hause sind, wir treiben

sie vor dem Grab zusammen, und sie ahnen den Tod

und wiehern in die Todesluft

und sterben, und wir schlachten dir die Hunde,

weil sie der Wurf sind und der Wurf des Wurfes

von denen, die mit dir gejagt, von denen,

die dir die Füße leckten, denen du

die Bissen hinwarfst, darum muß ihr Blut

hinab, um dir zu Dienst zu sein, und wir,