Franz Grillparzer: Die Jüdin von Toledo. Historisches Trauerspiel in fünf Aufzügen
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
ISBN 978-3-8430-8113-9
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-7523-7 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-7524-4 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden zwischen 1839 und 1851. Erstdruck: Stuttgart (Cotta) 1872. Uraufführung am 21.11.1872 in Prag.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Ausgewählte Briefe, Gespräche, Berichte. Herausgegeben von Peter Frank und Karl Pörnbacher, München: Hanser, [1960–1965].
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
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Alphons, König von Kastilien.
Eleonore von England, dessen Gemahlin (Tochter Heinrichs II.).
Der Prinz, beider Sohn.
Manrique, Graf von Lara, Almirante von Kastilien.
Don Garceran, dessen Sohn.
Doña Klara, Ehrendame der Königin.
Die Kammerfrau der Königin.
Isaak, der Jude.
Esther,
Rahel, dessen Töchter.
Reinero, des Königs Knappe.
Standesherren.
Hofdamen.
Bittsteller.
Diener und Leute aus dem Volk.
Ort der Handlung: Toledo und Umgebung.
Zeit: Um das Jahr 1195.[450]
Im königlichen Garten zu Toledo.
Isaak, Rahel und Esther kommen.
ISAAK.
Bleib zurück, geh nicht in Garten!
Weißt du nicht, es ist verboten?
Wenn der König hier lustwandelt,
Darf kein Jüd – Gott wird sie richten! –
Darf kein Jüd den Ort betreten.
RAHEL singt.
La la la la.
ISAAK.
Hörst du nicht denn?
RAHEL.
Ei, wohl hör ich.
ISAAK.
Nun, und weichst nicht?
RAHEL.
Hör und weiche doch nicht.
ISAAK.
Je, je, je! was sucht mich Gott?
Gab doch meinen Deut den Armen,
Hab gebetet und gefastet,
Weiß nicht, wie Verbotnes schmecket,
Je, und dennoch sucht mich Gott!
RAHEL zu Esther.
Ei, was zerrst du mich am Arme?
Und ich bleib und gehe doch nicht.
Ich will mal den König sehen;
Und den Hof und all ihr Wesen,
All ihr Gold und ihr Geschmeide.
Soll ein Herr sein, weiß und rot,
Jung und schön, ich will ihn sehn.
ISAAK.
Und wenn dich die Knechte fangen?
RAHEL.
Ei, ich bitte mich wohl los.
ISAAK.
Ja, wie deine Mutter, gelt?
Die sah auch nach schmucken Christen,
War nach Misraims Töpfen lüstern.
Hielt ich sie nicht streng bewacht,
Glaubt ich – nu, Gott wird verzeihen! –
Deine Torheit stamme dorther,
Sei ein Erbteil schnöder Christen.
Da lob ich mein erstes Weib,
Zu Esther.
Deine Mutter, brav wie du,[451]
Wenn auch arm. Was nützte mir
Auch der Reichtum jener zweiten?
Hat sie nicht damit geschaltet,
Schmaus und Gastgebot gehalten,
Schmuck gekauft und Edelstein?
Schau! sie ist wohl ihre Tochter!
Hat sie sich nicht rings behangen,
Prangt sie nicht in stolzen Kleidern,
Als ein Babel anzusehn?
RAHEL singend.
Bin ich nicht schön,
Bin ich nicht reich?
Und sie ärgern sich,
Und mich kümmerts nicht. La la la la.
ISAAK.
So geht sie auf reichen Schuhen;
Nützt sie ab, frägt nichts darnach,
Jeder Schritt gilt einen Dreier.
Hat im Ohr ihr reich Geschmeide,
Kommt ein Dieb und nimmt ihrs ab,
Fällts in Busch, wer findets wieder?
RAHEL ein Ohrgehänge abnehmend.
Sieh, so schraub ichs los und halt es.
Wie das blitzt und wie das flimmert!
Und doch acht ichs so geringe,
Wenn mirs einfällt, schenk ichs dir,
Zu Esther.
Oder werf es von mir. Sieh!
Sie macht mit der Hand eine fortschleudernde Bewegung.
ISAAK nach der Richtung des Wurfes laufend.
Weh, o weh! Wo flog es hin?
Weh, o weh! Wie find ichs wieder?
Er sucht im Gesträuche.
ESTHER.
Ei, was kommt dich an? Das Kleinod –
RAHEL.
Glaubst du denn, ich sei so töricht
Und verschleuderte das Gut?
Sieh! ich habs, halts in der Hand,
Häng es wieder in mein Ohr,
Weiß und klein, zum Schmuck der Wange.
ISAAK suchend.
Weh! Verloren![452]
RAHEL.
Vater, kommt nur!
Seht, das Kleinod ist gefunden.
's war ja Spaß nur.
ISAAK.
Daß dich Gott –!
So zu spaßen! Und nun komm!
RAHEL.
Vater, jedes, nur nicht dies.
Ich muß mal den König sehen
Und er mich, ja, ja, er mich.
Wenn er kommt und wenn er fragt:
Wer ist dort die schöne Jüdin?
Sag, wie heißt du? – Rahel, Herr!
Isaaks Rahel! sprech ich dann.
Und er kneipt mich in die Backen.
Heiße dann die schöne Rahel.
Mag der Neid darob zerplatzen.
Wenn sies ärgert, kümmerts mich?
ESTHER.
Vater!
ISAAK.
Wie?
ESTHER.
Dort naht der Haufen.
ISAAK.
Herr des Lebens! was geschieht mir?
's ist Rehabeam und sein Volk.
Wirst du gehen?
RAHEL.
Vater, hört doch!
ISAAK.
Nun, so bleibe. Esther, komm!
Lassen wir allein die Törin.
Mag der Unrein-Händge kommen,
Sie berühren, mag sie töten!
Hat sies selber doch gewollt.
Esther, komm!
RAHEL.
Je, Vater, bleibt!
ISAAK.
Immer zu! Komm, Esther, komm!
Er geht.
RAHEL.
Ich will nicht allein sein! Hört ihr?
Bleibt! – Sie gehn. – O weh mir, weh!
Ich will nicht allein sein! Hört ihr?
Ach, sie kommen. – Schwester! Vater!
Eilt ihnen nach.
Der König, die Königin, Manrique de Lara und Gefolge kommen.[453]
KÖNIG im Auftreten.
Laßt näher nur das Volk! es stört mich nicht.
Denn wer mich einen König nennt, bezeichnet
Als Höchsten unter vielen mich, und Menschen
Sind so ein Teil von meinem eignen Selbst.
Zur Königin gewendet.
Und du, kein mindrer Teil von meinem Wesen,
Willkommen mir in dieser treuen Stadt,
Willkommen in Toledos alten Mauern.
Sieh rings um dich und höher poch dein Herz.
Denk nur, du stehst an meines Geistes Wiege.
Hier ist kein Platz, kein Haus, kein Stein, kein Baum,
Der Denkmal nicht von meiner Kindheit Lose.
Als ich vor meines bösen Oheims Wüten,
Des Königs von Leon, ein vaterloser,
Der Mutter früher schon beraubter Knabe,
Durch Feindes Land, es war mein eignes, floh
Und mich von Stadt zu Stadt Kastiliens Bürger
Wie Hehler eines Diebstahls heimlich führten,
Weil Tod bedräute Wirt zugleich und Gast,
Und übrall nun umstellt war meine Spur,
Da brachten mich die Männer, Don Estevan
Illan, den längst der Rasen birgt des kühlen Grabs,
Und dieser Mann, Manrique Graf von Lara,
Hieher, dem Hauptsitz von der Feinde Macht,
Und bargen mich im Turm von Sankt Roman,
Den du dort siehst hoch ob den Häusern ragen.
Dort lag ich still, sie aber streuten aus
Den Samen des Gerüchts ins Ohr der Bürger.
Und als am Tage Himmelfahrt die Menge
Versammelt war vor jenes Tempels Pforte,
Da führten sie mich auf des Turmes Erker
Und zeigten mich dem Volk und schrien hinab:
Hier mitten unter euch, hier euer König,
Der Erbe alter Fürsten, ihres Rechts
Und eurer Rechte williger Beschirmer.
Ich war ein Kind und weinte, sagten sie.
Noch aber hör ich ihn, den gellen Aufschrei,[454]
Ein einzig Wort aus tausend bärtgen Kehlen,
Und tausend Schwerter wie in einer Hand,
Der Hand des Volks. Gott aber gab den Sieg,
Die Leonesen flohn; und fort und fort.
Ich selber, Fahne mehr als Krieger noch,
Inmitten eines Heers, durchzog das Land,
Erfechtend mit des Mundes Lächeln Siege.
Sie aber lehrten mich und pflegten mein,
Und Muttermilch floß mir aus ihren Wunden.
Deshalb, wenn andre Fürsten Väter heißen
Des eignen Volks, nenn ich mich seinen Sohn,
Denn was ich bin, verdank ich ihrer Treue.
MANRIQUE.
Wenn alles, was ihr seid, vieledler Herr,
[Nur unsres Beispiels, unsrer Worte Frucht,]
Dann nehmen wir den Dank und sind des froh.
Wenn unsre Lehren, unsre Pflege sich
In so viel Ruhm, in so viel Taten spiegeln,
Dann ist der Dank so ein als andre Pflicht.
Zur Königin.
Seht ihn nur an mit euerm holden Blick.
Denn so viel Könge noch in Spanien waren,
Vergleicht sich keiner ihm an hohem Sinn.
Das Alter ist wohl tadelsüchtig sonst,
Auch ich bin alt und tadle gern und viel,
Und oft hab ich, im Rat mit meiner Meinung,
Besiegt von seinem fürstlich hohen Wort,
Geheim erbost – heißt das, auf kurze Zeit –
Bös Zeugnis aufgesucht gen meinen Herrn,
Ihn eines Fehls, weiß Gott wie gerne, zeihend,
Doch immer kehrt ich tief beschämt zurück,
Mir blieb der Neid, und er war fleckenlos.
KÖNIG.
Ei, ei! der Lehrer auch ein Schmeichler, Lara?
Doch wollen wir nicht dies und das bestreiten.
Bin ich nicht schlimm, so besser denn für euch.
Obgleich der Mensch, der wirklich ohne Fehler,
Auch ohne Vorzug wäre, fürcht ich fast.
Denn wie der Baum mit lichtentfernten Wurzeln
Die etwa trübe Nahrung saugt tief aus dem Boden,[455]
So scheint der Stamm, der Weisheit wird genannt
Und der dem Himmel eignet mit den Ästen,
Kraft und Bestehn aus trübem Irdischen,
Dem Fehler nah Verwandten aufzusaugen.
War einer je gerecht, der niemals hart?
Und der da mild, ist selten ohne Schwäche.
Der Tapfre wird zum Waghals in der Schlacht.
Besiegter Fehl ist all des Menschen Tugend,
Und wo kein Kampf, da ist auch keine Macht.
Mir selber ließ man nicht zu fehlen Zeit.
Als Knabe schon den Helm auf schwachem Haupt,
Als Jüngling mit der Lanze hoch zu Roß,
Das Aug gekehrt auf eines Gegners Dräun,
Blieb mir kein Blick für dieses Lebens Güter,
Und was da reizt und lockt, lag fern und fremd.
Daß Weiber es auch gibt, erfuhr ich erst,
Als man mein Weib mir in der Kirche traute,
Die wirklich ohne Fehl, wenn irgend jemand,
Und die ich, grad heraus, noch wärmer liebte,
Wär manchmal, statt des Lobs, auch etwas zu verzeihn.
Zur Königin.
Nu, nu, erschrick nur nicht, wars doch nur Scherz!
Doch soll den Tag man nicht vor Abend loben
Und malen nicht den Teufel an die Wand.
Nun aber, statt zu rechten, laß die Zeit,
Die kurzgegönnte, uns der Ruh genießen.
Die Fehden inner Landes sind gedämpft,
Doch rüstet sich, sagt man, der Maure neu
Und hofft aus Afrika verwandte Hilfe,
Ben Jussuff und sein streitgewohntes Heer.
Da gibts denn neuen Krieg und neue Plage.
Bis dahin öffnen wir die Brust dem Frieden
Und atmen ein die ungewohnte Luft.
Ist keine Nachricht da? – Allein, vergaß ichs?
Du siehst ja nicht um dich her, Leonore,
Und schaust, was wir geschaffen, dir zur Lust?
KÖNIGIN.
Was soll ich sehn?[456]
KÖNIG.
O weh doch, Almirante,
Wir habens nicht getroffen, ob bemüht.
Da graben wir nun tag- und wochenlang
Und hofften diesen Garten umzustalten,
Der nur Orangen trägt und Schatten gibt,
In einen, wie sie England hegt und liebt,
Das strenge Vaterland hier meiner Strengen.
Allein sie lächelt, schüttelt still das Haupt. –
So sind sie nun, Britanniens Kinder, alle.
Trifft man aufs Haar nicht den gewohnten Brauch,
So weisen sies zurück und lächeln vornehm.
Die Meinung mindestens war gut, Lenore,
Und so gib nur ein Wort des Danks den Männern,
Die sich für uns, weiß Gott wie lang, bemüht.
KÖNIGIN.