Lucius Annaeus Seneca: Medea
Übersetzt von Wenzel Alois Swoboda
Vollständige Neuausgabe.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Charles André van Loo, Miss Clairon in Medea, 1760
ISBN 978-3-8430-6124-7
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-7865-8 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-7872-6 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden um 56 n. Chr. Der Text folgt der Übersetzung von Wenzel Alois Swoboda.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
Medea
Jason
Kreon, König von Korinth
Medeas Amme
Ein Korinther als Bothe
Chor korinthischer Frauen
Zwey Kinder der Medea
Gefolge des Kreon
Bewaffnete
Der Schauplatz ist in Korinth.
MEDEA allein.
Ihr Götter all', die Eh'n ihr schützt! Lucina,
Des freudenreichen Torus Hütherinn!
Und, die den Wogenbändiger Tiphys du
Das Schiff, dieß neue Wunder, lenken gelehrt!
Du auch, der Meerestiefen stürm'ger Herr!
Du Titan, der Welten spendet des Tages-Licht!
Und, die dem schweigsam-ernsten Opferbrauch
Die Leuchte stellt, so kundig niederschaut,
Du dreygestalt'ge Hekate!
Ihr all', zu den mir Jason einstens schwur!
Und ihr, die nur Medea rufen darf:
Du Urgewirr der ew'gen Nacht, du Thron
Der himmlischen Feind', unsel'ge Geister ihr
Du Herr des Trau'rreichs, und Herrinn du,
Von treu'rer Lieb' entführt: ich rufe euch,
Ruf' euch mit unglücksschwerem Ruf.
Herbey des Meineids Rächerinnen ihr,
Herbey mit grausig-losem Schlangenhaar,
In blut'ger Hand die düst're Fackel schwingend,
Wie schreckenvoll an meinem Brautbett ihr
Gestanden, Göttinnen, so kommt, bringt Tod
Der neu erkohrnen Braut, dem Schwieger Tod,
Und Tod dem ganzen Königsstamm!
Mich lehrt ein grasser Weh', das dem Bräutigam
Ich bieth': – Er leb', in der Fremde irr' und arm,
Geächtet, scheu, verhaßt und heimathlos.
Mich müss' er dann zur Gattinn sich erfleh'n;
Doch wandern zu fremder Schwelle, o ein arg
Erprobter Gast. Und, wo ich schwerer nicht
Zu fluchen weiß: ich fluch' ihm Söhne an,
Dem Vater gleich, der Mutter gleich. – Geboren,
Geboren ist die Strafe. Ich bin ja Mutter!
Was ruf' ich hier, was klag' ich noch umsonst?
Ha, sollt' ich etwa schonen meinen Feind? –
Die Fackel entschüttl' ich der Hand, dem Himmel sein Licht!
Mag Titan dieses schau'n – er meines Stamm's
Urvater, und er leuchtet noch? und fährt
Geruhig in dem Wagen sitzend fort,
Die alte Bahn am klaren Himmel? kehrt
Zum Aufgang nicht? mißt nicht den Tag zurück? –
Laß, Vater, laß auf deinem Wagen mich
Durch Lüfte fahren, gib die Zügel mir,
Und lasse lenken mich am Flammenzaum
Dein gluthensprühendes Gespann; ha! und Korinth,
Wie d'ran die Doppelbrandung schlägt, beut dir
Verglüther Meere zween!
Was bleibt mir sonst? die Fackel trüge ich,
Ich selbst wohl vor zum duft'gen Brautgemach,
Und nach den Festgebethen müßte ich
Die Sühnungsopfer schlachten am Altar? –
Durch Herzens Grund such' dir zur Rache Bahn,
Lebst du, mein Wuth; und blieb dir etwas noch
Von alter Kraft, so scheuch' die weib'sche Furcht, und
In den unwirthbar'n Kaukasus hülle dich. –
Was je für Missethat der Phasis sah
Und Pontus, soll entsetzt nun der Isthmus schau'n.
Ha! wildes Unheil, gräßlich, unerhört,
Dem Himmel schreckhaft wie der Erde, kreis't
In seinen Tiefen mein Geist; und sinnet Wunden
Und Mord und Tod, durch alle Glieder starr.
Viel zu Gelindes sag' ich noch, das übt' ich
Als Jungfrau, schwerer treffe nun mein Arm.
Wohl ziemt, die Mutter worden, wild're That.
Auf! gürte dich mit Zorn, und rüste dich
Mit aller Wuth zur todesvollen Rache;
Dem Brautfest rühme man deine Scheidung gleich. –
Wie, scheidest du von deinem Mann? Wie du
Dich ihm ergabst. – Auf! brich die träge Weile!
Den Bund, den Gräu'l geknüpft, zerreiße Gräu'l.
CHOR KORINTHISCHER FRAUEN tritt auf, und singt unter begleitenden Tänzen den Hochzeitsgesang des Jason und der Kreusa.
Strophe.
Zu dem bräutlichen Fest, Götter! der Könige
Kommet segnend, die ihr Himmeln und Meeren herrscht;
Volk auch, löblichen Brauchs, wahrend der Zunge Recht!
Und dem Donnerer, der schwinget den Stab der Macht,
Beut vor allen ein Stier, hellweiß, das stolze Haupt.
Nie gespannet in's Joch, sühne Lucina'n die
Rindinn schneeigten Fell's. Ihr, die des stürmischen
Mavors blutige Faust bindet, und feindlichen
Völkern, flammend im Krieg, biethet den Friedenszweig,
Die dem Füllhorn entstreut reichliche Segnungen,
Ihr, der zarteren, bringt zarteres Opfer auch.
Du auch, welcher du schwingst sittiger Fackel Gluth
In heilkündender Hand, scheuchend die finst're Nacht;
Hierher, trunkener Knab', komme mit Taumelschritt,
Komm', mit Rosengezweig heiter die Stirn gekränzt!
Du, des wechselnden Lichts freundlicher Bothe, komm',
Stern, der immer zu spät Liebenden wiederkehrt;
Mütter rufen nach dir sehnend, die Bräute auch,
Daß dein lieblicher Schein blinke ja bald herab!
Gegenstrophe.
Weit verdunkelt der Fürstenbraut
Liebreitz alle die Bräut' Athens,
Und die an des Taygetus
Joch wie Jünglinge üb't die Stadt,
Die verschmähet der Mauern Wehr;
Die auch, so in dem stillen Quell
Dirce's baden der Glieder Schnee,
Und im heiligen Alpheus,
Ihm, dem Heldenkind Äsons, weicht,
Wollt an Bildung ihr messen ihn,
Des unheimlichen Donners Sohn,
Der die Tieger in's Joch gebeugt,
Und, der waltet dem Tripus, der
Strengen Jägerinn Bruder er.
Pollux weichet und Kastor ihm,
Die geschickt nur zum wilden Kampf.