Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Jeder Anfang ist schwer …

Molly möchte ihr geerbtes und neu renoviertes Hotel »Maple Lake Inn« vermieten und erhält ein lukratives Angebot der Aria-Hotelkette. Aber bei den Bedingungen, die der große Konzern stellt, steht sie vor einer schweren Entscheidung: Ist ihr Tante Gynnies Andenken wichtiger oder ein großartiges Angebot, das Molly von allen finanziellen Sorgen befreit?

Da macht Nats Schwester Pamela, die erst vor kurzem zurück nach Maple Creek gezogen ist, Molly einen Vorschlag, der alle Probleme zu lösen scheint. Aber Pamela ist nicht ohne Grund vor Jahren aus Maple Creek weggezogen. Jetzt, da sie für immer bleiben will, belastet sie ihr lang gehütetes Geheimnis mehr und mehr …

Nat hat Bedenken gegenüber seiner Schwester, die es bisher nie lange an einem Ort ausgehalten hat. Zudem nehmen Mollys und Nats Jobs und die Sorgen um das Hotel immer mehr Raum in ihrem Leben ein, und für die Liebe bleibt kaum noch Zeit.

Dunkle Wolken liegen über Maple Creek und seinen Bewohnern. Werden sie es gemeinsam schaffen oder werden ihre Pläne vom Leben durchkreuzt?

Über Olivia Anderson

Hinter dem Pseudonym Olivia Anderson verbirgt sich die Bestsellerautorin Gerlinde Friewald. Sobald sie lesen konnte, hat Gerlinde Friewald gelesen. Sobald sie schreiben konnte, hat sie geschrieben - im wahrsten Sinne des Wortes. Was früher nebenbei geschah und auch in ihren Beruf in der Werbung und PR naturgemäß einfloss, betreibt sie seit über zehn Jahren als Hauptpassion: Schreiben. Mit ihrer Familie lebt sie im Süden Wiens in Österreich. Gerlinde Friewald ist in verschiedenen Genres der Unterhaltungsliteratur beheimatet. Besonders wichtig sind für sie - ob Krimi, Thriller oder Liebesroman - die Spannung und das Gefühl für die Menschen in der Geschichte.

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Olivia Anderson

Neuanfang in Maple Creek

Inhaltsübersicht

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Kapitel 1

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Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Impressum

Kapitel 1

Versonnen blickte Molly auf den See hinaus. Die Morgensonne ließ die Wasseroberfläche funkeln. Es sah aus, als würden Tausende von kleinen Diamanten auf dem Wasser tanzen. Noch zeigte sich der See in einem dunklen Blau, aber schon bald würde seine Farbe zu dem intensiven Blaugrün wechseln, das sie so liebte.

Es erinnerte sie an Nats Augen.

Als hätte er geahnt, dass sie an ihn dachte, erschien Nat mit zwei Kaffeetassen in der Hand auf der Terrasse.

Er setzte sich zu ihr. »Seit wann bist du wach?«

Molly nahm eine Tasse entgegen und nippte an dem Kaffee. »Ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Vielleicht seit einer Stunde oder so.«

»Vermisst du New York?«

Molly hörte die leise Unruhe in seiner Stimme. Seit sie sich entschlossen hatte, ihr Leben in den USA aufzugeben und nach Maple Creek zu ziehen, hatte Nat ihr diese Frage bereits einige Male gestellt. Noch standen sie am Anfang ihrer Beziehung, und Molly wertete seine Erkundigungen als Sorge, dass sie letzten Endes doch nicht restlos überzeugt war. Aber Molly trug keine Zweifel in sich. Sie hatte aus Überzeugung und einem tiefen Gefühl heraus gehandelt.

»Ich bin genau da, wo ich sein will und wo ich hingehöre.« Sie lächelte. »Bei dir und in Maple Creek. Ich bin überglücklich.«

Nat setzte zu einer Antwort an, wurde jedoch von Pamelas fröhlichem »Guten Morgen, meine Lieben« daran gehindert.

Er drehte sich seiner Schwester zu. »Sind die Frauen in meinem Haus plötzlich allesamt Frühaufsteherinnen? Normalerweise tauchst du doch nicht vor neun Uhr auf.«

»Ich habe ein Bewerbungsgespräch. In einem Hotel in Sankt Myersville suchen sie einen stellvertretenden Direktor. Als Hausdame bin ich zwar nicht hundertprozentig dafür qualifiziert, aber ich möchte es zumindest versuchen. Das Haus ist nicht allzu groß, also habe ich eine reelle Chance. Und danach sehe ich mir dort in der Nähe eine kleine Wohnung an. So schön du das Haus unserer Eltern renoviert und umgebaut hast, kann ich doch nicht ewig bei dir wohnen bleiben.« Pamelas Blick schwenkte zu Molly. »Ich muss dir mal Fotos von früher zeigen. Nat hat wirklich ein Wunder vollbracht. Allein der Wintergarten und die Terrasse sind ein Traum, finde ich.«

Molly nickte. Nats Haus und Garten zählten zu den schönsten Anwesen in Maple Creek. Sie erinnerte sich genau, wie überwältigt sie gewesen war, als er sie zum ersten Mal hierher gebracht hatte.

»Du bist so still? Ist alles okay?«, fragte Pamela.

»Ja, entschuldige«, antwortete Molly. »Ich bin in Gedanken nur gerade bei meinem Termin mit Morris. In einer Stunde muss ich in seinem Büro sein. Das liegt mir ein wenig im Magen.«

»Du wirst schon den richtigen Mieter für das ›Maple Lake Inn‹ finden. Morris ist ein erfahrener Immobilienmakler und unterstützt dich, wo er kann. Sei froh, dass laufend Anfragen hereinkommen«, entgegnete Pamela. »So, ich muss jetzt los. Habt einen schönen Tag.« Sie drehte sich um und verließ die Terrasse.

»Ich teile selten eine Meinung mit meiner Schwester, aber was sie sagt, stimmt«, bemerkte Nat.

Molly seufzte. »Es fällt mir nur so schwer, Tante Gynnies Hotel in fremde Hände zu geben. Wenn jemand käme, der nicht alles verändern will, wäre es einfacher für mich.«

»Du wünschst dir einen Mieter, der das Hotel in Gynnies Andenken weiterführt. Das verstehe ich, du wirst gewisse Umgestaltungen jedoch akzeptieren müssen.«

»Tante Gynnie war wie eine Mutter für dich, würdest du denn damit leben können?« Nat hatte eine viel engere und vor allem dauerhafte Beziehung zu ihrer Tante gehabt. Sie selbst konnte nur auf Kindheits- und Jugenderinnerungen zurückschauen.

»Auch wenn du es mir nicht glaubst, haben mich die vergangenen Monate einiges gelehrt. Wir unterliegen einer ständigen Wandlung, und manche Dinge darf man durchaus zulassen. Außerdem muss man hin und wieder über seinen Schatten springen. Ich habe es getan – in so mancher Hinsicht.« Nat zwinkerte ihr zu.

Molly schmunzelte. »Wie lange werde ich noch von dir hören, dass du derjenige warst, der nach unserer Auseinandersetzung den ersten Schritt gemacht hat?«

»Bis in alle Ewigkeit, weil genauso lang werde ich dich festhalten.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stand auf. »Ich muss in die Zimmerei. Sagst du mir dann Bescheid, wie der Termin bei Morris verlaufen ist?«

Molly erhob sich ebenfalls. »Ich sollte auch los. Keinesfalls möchte ich als Letzte in die Besprechung platzen. Sobald alles vorbei ist, rufe ich dich an.«

Nat trat einen Schritt auf Molly zu und zog sie in seine Arme. »Du hast nicht vergessen, dass ich heute erst später mit der Arbeit fertig sein werde?«

»Um achtzehn Uhr hast du ein Treffen mit dem Bauunternehmer.« Sie sah zu ihm hoch. »Je nachdem, wie flott ich mit dem Schreiben vorankomme, gehe ich abends eventuell in die ›Tavern‹.«

»Du gehst?«

Molly zuckte mit den Schultern. »Ich mag mein neues Auto, aber von Tante Gynnies Häuschen mit dem Wagen zur ›Tavern‹ zu fahren, fände ich bei dem wunderbaren Wetter wirklich übertrieben. Obendrein laufe ich gern, wie du weißt.«

Augenblicklich machte sich ein wehmütiges Ziehen in ihr breit. Tante Gynnies Häuschen, in dem sie seit ihrem Umzug nach Kanada wohnte, gehörte zum »Maple Lake Inn«. Sie würde es mit der Vermietung des Hotels verlieren.

Als sie nach Maple Creek zurückgekehrt war, um für einen Monat die Renovierungsarbeiten am »Maple Lake Inn« zu überwachen, hatte sie in diesem Haus zum ersten Mal seit sie erwachsen war das wahre Gefühl von Geborgenheit verspürt. Sie erinnerte sich an all die Kleinigkeiten, die ihr wie von selbst in Fleisch und Blut übergegangen waren: ihr persönlicher Stuhl in der Küche, der feste Platz der Kaffeetasse auf der Tischplatte, ihre Spaziergänge, die sie immer weiter ausgedehnt hatte.

Erst da hatte sie gelernt, die Natur wirklich zu betrachten – sowohl in ihrer Gesamtheit als auch einzelne Elemente. Voller Staunen hatte sie am Waldrand gestanden, hochgeblickt und die riesigen Bäume wahrgenommen. Die Weite der naturbelassenen Wiesen war ihr so kraftschöpfend erschienen, und der Blick auf den See hatte ihr eine innere Ruhe beschert, wie sie sie kaum in Worte zu fassen vermochte.

Unwillkürlich musste sie lächeln. Vielleicht konnte sie nicht weiter in Tante Gynnies Häuschen wohnen, aber alles andere durfte sie jeden Tag hautnah erleben und in ihrem Herzen festhalten.

Kapitel 2

Molly parkte vor Morris’ Immobilienmaklerbüro und stieg aus. Mittlerweile war sie mit dem Wagen eins, anfangs hatte es sie einige Überwindung gekostet, überhaupt mit ihm zu fahren. In New York hatte sie kein Auto gebraucht und war dementsprechend ungeübt gewesen. Außerdem hatte sie sich ein ganz anderes Modell vorgestellt.

Fast war sie schon so weit gewesen, sich einen Mini Cooper in der Cabrio-Ausführung zuzulegen, als Nat eingegriffen hatte. Sein knappes Argument – »Du lebst nicht in Kalifornien, sondern in Kanada« – war stichhaltig gewesen, und nun saß sie in einem fünf Jahre alten Jeep Wrangler, der zwar bestimmt den Schneemengen und dem Eis im Winter trotzte, aber mit einigen Macken aufwartete.

Bevor Molly die Eingangstür öffnen konnte, zog Morris sie bereits von innen auf. »Komm herein. Jim ist auch schon da. Und der Interessent wird jeden Moment eintreffen.«

Jim saß an dem kleinen Besprechungstisch und hatte einige Unterlagen ausgebreitet. Cicero lag zu seinen Füßen.

Molly beugte sich vor und streichelte Jims Hund. Mindestens einmal in der Woche begleitete sie die beiden bei ihren ausgedehnten Spaziergängen. Sie genoss die Gespräche mit Jim, und in Ciceros Augen war sie inzwischen zum Familienmitglied aufgestiegen. Als untrügliches Zeichen dafür apportierte er freudig jedes Stöckchen, das sie ihm warf. Normalerweise rührte er nur Gegenstände an, die Jim ihm vorgab.

Molly setzte sich neben Jim. »Ich bin schon richtig nervös. Danke dir, dass du mich nicht allein lässt.«

Er tätschelte ihre Hand und lächelte. »Ich bin immerhin dein Anwalt.«

Morris, der über seinen Schreibtisch gebeugt stand, drehte sich ihnen zu. »Und ich bin auch noch da. Vergiss mich nicht.«

Molly zwinkerte ihm zu. »Du musst …«

Er lachte und nahm ebenfalls Platz. »Danke für den kleinen Seitenhieb. Das höre ich von Elisabeth seit zwei Wochen ständig, sofern ihre Stimmbänder es zulassen: Du musst nachfragen, du musst besser zuhören, du musst, du musst …«

»Wie geht es Elisabeth eigentlich? Erholt sie sich langsam?«, erkundigte sich Jim. Der Hauch von Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Morris hob die Hände. »Meine Frau ist der Gerüchteumschlagplatz Maple Creeks. Was denkt ihr, wie sich eine handfeste Kehlkopfentzündung auf ihr Gemüt auswirkt? Ich halte ihre Leidensmiene und das Gekrächze kaum noch aus. Bald werde ich Geschichten erfinden, um sie zufriedenzustellen.«

Molly sagte nichts dazu. Morris’ Frau gehörte zur Gemeinschaft, und im Grunde konnte sie Elisabeth auch gut leiden. Aber sie würde ihr nie verzeihen, dass sie durch ihre Neugierde und ihr Geschwätz daran beteiligt gewesen war, dass Nat und sie beinahe kein Paar geworden wären.

Abrupt wurde das Gespräch durch die sich öffnende Tür unterbrochen. Zwei Männer traten ein.

Unwillkürlich lief Molly ein Schauer über den Rücken. Sie wünschte sich so sehr, dass jemand das Hotel übernehmen würde, der zumindest einen Funken Liebe und Herz für das Haus und seine Vergangenheit mitbrachte. Sie stellte sich vor, wie der neue Mieter mehr über Tante Gynnie erfahren wollte und daraufhin in ihrem Gedenken die Geschicke des »Maple Lake Inn« lenkte. Natürlich war ein solcher Wunsch illusorisch, aber zumindest sollte der Pächter zum Hotel und zu Maple Creek passen.

Diese beiden Männer jedoch verhandelten im Namen der Aria-Hotelkette. Nicht sie mussten zum Haus passen, sondern das Haus zu ihnen.

Molly dachte an Nats Worte. Er hatte recht, das Leben veränderte sich ständig, und sie musste diesen Traum loslassen, andernfalls würde sie nur enttäuscht werden. Das »Maple Lake Inn« so gewinnbringend wie möglich zu vermieten, hatte oberste Priorität – egal, wie sie es drehte und wendete.

Mit ihrem Umzug hatte sie auch ihre Festanstellung bei der NY Woman aufgeben müssen. Zwar schrieb sie für die New Yorker Frauenzeitschrift nach wie vor eine monatliche Kolumne, aber diese war zeitbegrenzt und brachte weitaus weniger Geld ein als ihr früherer Fulltime-Job.

Es galt, ihre Gefühle im Zaum zu halten und den wirtschaftlichen Aspekt in den Vordergrund zu rücken. Und hierfür war das Angebot der Aria Hotels von unschätzbarem Wert.

Seit der Erstbegehung des Hotels, die Morris mit den beiden Männern allein durchgeführt hatte, waren sie überaus interessiert. Diese Chance durfte sie wegen ihrer Empfindungen nicht in den Sand setzen.

Molly lächelte gezwungen und begrüßte Mister Rowling und Mister Greenwood mit aller gebührenden Höflichkeit.

Nachdem sie Platz genommen hatten, leitete Rowling sofort das Gespräch ein. Er beugte sich etwas vor und fixierte Molly. »Miss Jensen, wie wir Mister Morris bereits mitgeteilt haben, können wir uns das ›Maple Lake Inn‹sehr gut in unserem Programm vorstellen. Für unser neues Konzept Small Finest Arias suchen wir kleinere Hotels mit kanadischem Charme in der richtigen Umgebung, die dem Gast Komfort auf höchstem Niveau bieten.«

Molly neigte den Kopf. Small Finest Arias – das klang doch nicht schlecht, versuchte sie sich einzureden. »Ich habe das ›Maple Lake Inn‹von meiner Tante geerbt, die es lange Zeit mit Umsicht und Liebe geführt hat. Eine Generalsanierung wurde kürzlich von der hiesigen Zimmerei Nat Adams durchgeführt. Mister Adams hat darauf geachtet, das besondere Flair des Hotels zu erhalten.«

»Ja, die Arbeiten wurden absolut zufriedenstellend durchgeführt. Mister Morris …« Myers nickte Morris knapp zu. »… war so freundlich, uns die diesbezüglichen Unterlagen zu übermitteln. Bei der Besichtigung hat uns im Übrigen die Veranda ausnehmend gut gefallen, sehr gediegene Atmosphäre.«

Mollys Lächeln wurde ehrlich. »Das freut mich. Es wäre schade, das Gesamtbild zu zerstören.«

Greenwood strich sich über das Kinn. »Dennoch müssten wir einige Modifikationen durchführen, vor allem im Innenbereich. Das Exterieur bliebe weitgehend unverändert.«

Wieder übernahm Rowling. »Die Zimmer benötigen eine komplett neue Einrichtung, die Aufenthaltsräume ebenfalls. Einige Zimmer müssen zusammengelegt werden, wir brauchen Suiten. Bei Küche und Rezeption ist auch ein Umbau erforderlich.«

Jim richtete sich in seinem Stuhl auf. »Ich möchte darauf hinweisen, dass Miss Jensen keine weiteren Änderungen auf ihre Kosten durchführen wird. Die Vermietung erfolgt gemäß den aktuellen Gegebenheiten.«

Rowling winkte ab. »Dafür tragen wir die Verantwortung. Wir planen im Falle einer Einigung darüber hinaus den Steg auszubauen und am Ufer einen Liegeplatz einzurichten.«

Molly hörte den Ausführungen mit steigendem Interesse zu, und das bedrückende Gefühl in ihr schwand zusehends. Natürlich mussten die Zimmer und anderen Räume für das Vorhaben der Aria Hotels auf ein höheres Niveau gebracht werden. Tante Gynnie hatte das Hotel im Bereich der Mittelklasse gehalten.

»Das klingt sehr gut. Die Fläche vor dem Hotel eignet sich hervorragend für einen solchen Liegeplatz«, antwortete sie.

Greenwood setzte eine gewinnende Miene auf. »Das Hotel gefällt uns wirklich gut, und wir sehen großes Potenzial darin. Ich möchte hinzufügen, dass wir trotz der eben angesprochenen Investitionen auf eine Mietpreisreduktion verzichten.« Er faltete die Hände. »Dieses kleine Haus unweit des Hotels gehört zum Mietkomplex, wie Mister Morris uns erklärte und aus den Dokumenten ersichtlich ist.«

»Ja, meine Tante hat darin gelebt. Es ist für den Direktor sehr praktisch, nahe dem Hotel zu wohnen, und ich stelle es wie angegeben zur Verfügung.«

»Wir haben uns den Grundriss angesehen und sind zufrieden. Auf die Zimmeranzahl ausgerichtet reicht es hinlänglich für einen Massage- und Beautybereich. Umfassende bauliche Änderungen werden notwendig sein und ebenfalls von uns übernommen.«

Molly erstarrte. Es war Tante Gynnies Zuhause gewesen und jetzt ihres. Das Häuschen gehörte zum Hotel, und sie würde es aus diesem Grund bei Bedarf schweren Herzens für den neuen Betreiber räumen – das war von Anfang an klar gewesen –, aber dort den Beauty-Bereich einzurichten, lag außerhalb ihrer Vorstellungskraft.

Was würde mit ihrem Lieblingsplatz in der Küche geschehen und mit der Kammer, in der sie schon als Kind während ihrer Besuche geschlafen hatte? Kein Raum in Tante Gynnies Haus könnte bestehen bleiben, wenn dieses Vorhaben durchgeführt werden würde. Alles wäre mit einem Schlag ausgelöscht.

Jim räusperte sich. »Ihr Angebot ist großzügig. Wir werden es prüfen und Ihnen unsere Entscheidung mitteilen.«

»Die Vorbereitung des Objekts wird eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Wir benötigen einen baldigen Zuschlag. Small Finest Arias startet am ersten März des kommenden Jahres, zur Frühlingssaison«, erwiderte Rowling.

»Reicht Ihnen unsere Antwort bis Mittwoch nächste Woche?«, fragte Morris.

»Das ist für uns in Ordnung«, entgegnete Greenwood und lehnte sich sichtlich zufrieden zurück.

Jim nickte. »Dann wollen wir nun sämtliche Modalitäten in Ruhe durchsprechen und Miss Jensen näherbringen.«

Kapitel 3

Geistesabwesend zog Molly die Tür zur »Sycamore Tavern« auf. Seit sie Morris’ Büro am Vormittag verlassen hatte, konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Genau genommen war sie schon während der Besprechung abgeglitten, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als Mister Greenwood die Umgestaltung von Tante Gynnies Häuschen zum Beauty-Center erwähnt hatte.

Das Angebot der Aria Hotels war mehr als großzügig, aber wenn sie darauf einstieg, würden Tante Gynnies Hotel und ihr Heim für immer und ewig verschwinden. Die Änderungen im Innenbereich des »Maple Lake Inn« hatte sie noch positiv aufgefasst, dann war ihr alles jedoch zu viel geworden. Selbst den Namen des Hotels wollten sie ändern: Dreamlake Aria sollte es heißen.

Das Hotel in der neuen Ausrichtung einer First-Class-Unterkunft würde für Maple Creek und viele Menschen hier auf jeden Fall einen gehörigen Aufschwung bedeuten. Sie brauchte nur an Laurie und Tom zu denken. Beide kamen ursprünglich aus der gehobenen Gastronomie und konnten es mit anspruchsvollen Gästen locker aufnehmen. Die »Sycamore Tavern« war stets gut besucht, aber zahlungsfreudige Hotelgäste brachten unweigerlich eine Konjunktur mit sich.

Durfte sie persönliche Gefühle über finanzielle Vorteile – sowohl ihre eigenen als auch die der anderen – stellen? Und würde sie überhaupt nochmals so ein Angebot bekommen?

Ihre Gedanken drehten sich im Kreis.

Bisherige Interessenten hatten ebenso ihre speziellen Vorstellungen und Forderungen gehabt bei einem weitaus schlechteren Angebot. Vielleicht musste sie sich einfach damit abfinden, dass das »Maple Lake Inn« der Geschichte angehörte.

Molly betrat die Tavern und entdeckte sogleich Jim, der wie beinahe jeden Abend an der Bar saß. Wo sollte er auch sonst seine Zeit verbringen? Seine Frau war vor vielen Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, und seine Arbeit als Anwalt hatte er bereits vor längerer Zeit auf die nähere Umgebung beschränkt.

Wie gewohnt steuerte sie auf ihn zu und erklomm den Barhocker neben ihm. »Hi, Jim.«

»Molly, meine Liebe …« Jim sah sich um. »Wo ist Nat?«

»Er hat noch eine Besprechung mit diesem Bauunternehmer, Friedrich.«

Jim nickte. »Langsam nimmt das Projekt endlich Gestalt an. Es wäre ein großer Schritt für Nat.«

»Denkst du, er wird ihn wagen, diesen großen Schritt?«

»Wenn Nat seine Zimmerei als eigenständiges Subunternehmen in die Baufirma integriert, ergeben sich für ihn viele Vorteile und Möglichkeiten. Es müssen nur die Bedingungen passen, und darum kümmere ich mich. Es kann also nichts schiefgehen.« Jim zwinkerte ihr zu. »Du brauchst dich um Nat nicht zu sorgen, er weiß genau, was er tut. Im Augenblick sollten wir uns eher Gedanken über das ›Maple Lake Inn‹ machen.«

»Ich weiß.« Molly stöhnte auf. »Das Angebot ist toll, nicht wahr?«

»Sensationell, wenn du es genau wissen willst. Sie bringen das Hotel auf hohes Niveau und bezahlen den verlangten Mietpreis. Du erhältst sogar zusätzlich eine kleine Umsatzbeteiligung. Nachdem der befristete Pachtvertrag nach fünf Jahren abgelaufen ist, sichern sie sich das weitere Miet- sowie ein Vorkaufsrecht, das ist üblich. Besser geht es nicht.«

»Und Tante Gynnies Häuschen?«

»Ich habe deine Miene bei der Besprechung bemerkt, als das Thema aufgekommen ist. Hast du Angst, keine Wohnung zu finden? Eigentlich hatte ich gedacht, du würdest ohnehin früher oder später zu Nat ziehen. So wäre es möglicherweise ein wenig früher als geplant. Die Aria Hotels drängen auf eine rasche Entscheidung, wie du selbst gehört hast. Sobald sie deine Zusage auf dem Tisch haben, werden sie umgehend mit den Arbeiten beginnen.«

»Nat und ich haben noch nie über ein Zusammenleben gesprochen. An meiner Wohnsituation liegt es auch nicht …«

»Dann ist es wegen des Hauses selbst?«

»Ja. Dass aus Tante Gynnies Heim ein Beauty-Center werden soll, geht mir schlichtweg zu weit. Vom logischen Standpunkt aus ist es in Ordnung, es lässt sich nur nicht mit meinen Gefühlen und Wünschen vereinbaren.«

Jim tätschelte ihre Hand. »Ich weiß. Dir wäre es lieber, du würdest weniger Geld bekommen, dafür könnte alles beim Alten bleiben.«

Tom, der am anderen Ende der Bar mit einem Gast geplaudert hatte, kam zu Molly. »Entschuldige, das Schicksal eines jeden Barkeepers: die Seelenklempnerei. Ein Tom’s Maple für dich?«

Beinahe hätte Molly automatisch Ja gesagt. Sie war schon so an Toms eigens für Maple Creek kreierten Cocktail gewöhnt, dass sie abends in der »Tavern« selten etwas anderes trank. Heute stand ihr allerdings nicht der Sinn danach. Zu sehr war der Tom’s Maple in ihrem Empfinden mit Frohsinn verknüpft. »Zur Abwechslung bitte eine Cola light.«

Tom quittierte die Antwort mit einem Nicken. »Ich war angeln und habe einige wunderbare Exemplare aus dem Wasser gezogen. Es sind zu wenige für alle Gäste, deshalb informiere ich zuerst nur Freunde. Laurie hat pochiertes Gemüse und Rosmarinkartoffeln dazu vorbereitet. Hast du Lust darauf?«

»Klingt wunderbar. Sehr gern.« Wieder dachte Molly an die Vorteile für Maple Creek, wenn sie dem Mietvertrag zustimmte. Einem spontanen Impuls folgend fragte sie: »Tom, wäre es eigentlich ein großer Gewinn für die ›Tavern‹, würden auch Gäste dein Lokal besuchen, die nicht nur wie wir das einfache Abendmenü konsumieren, sondern mehrgängig speisen mit teuren Weinen und Champagner?«

»Man müsste sich darauf einstellen, aber natürlich. Außerdem könnte Laurie ihre Fähigkeiten in der Küche vollends entfalten. Das würde ihr sicherlich Spaß bereiten. Warum willst du das wissen?«

»Die Aria Hotels wollen das ›Maple Lake Inn‹ mieten und ein exklusives Hotel daraus machen«, antwortete sie freimütig.

Als sie nach Maple Creek gekommen war, hatte sie darüber gestaunt, wie offenherzig die Menschen hier miteinander umgingen. Und obwohl sie es als höchst eigenartig empfunden hatte, war es einer der Gründe gewesen, warum sie sich in diesen Ort verliebt hatte. Nun gehörte sie selbst dazu.

Toms Mundwinkel zuckten. »Ich kenne deine Wünsche bezüglich des ›Maple Lake Inn‹, Molly, sei bloß vorsichtig. Große Hotelketten wollen Profit, ihnen sind persönliche Befindlichkeiten egal. Laurie und ich haben lang genug für solche Konzerne gearbeitet. Und auf keinen Fall darfst du an unsere möglichen Vorteile denken. Wir sind glücklich, wie es ist. Was meinst du dazu, Jim?«

»Das Angebot der Aria Hotels ist einwandfrei – ohne versteckte Fallen – und äußerst großzügig.« Er betrachtete Molly nachdenklich. »Ich wünschte, ich könnte dir die Entscheidung erleichtern, aber das ist leider nicht möglich. In diesem Punkt darf ich nur als dein Anwalt fungieren.«

»Und was rätst du mir in dieser Funktion?«

»Als dein Anwalt sage ich: Nimm das Angebot an. Ein besseres wirst du nicht kriegen.«

»Welches Angebot?« Pamela war unbemerkt in die »Tavern« gekommen und hatte sich hinter Molly und Jim gestellt.

»Der Interessent heute hat ein finanziell sehr reizvolles Angebot für Tante Gynnies Hotel abgegeben«, erklärte Molly und fügte hinzu: »Du siehst müde aus.«

»Nur demotiviert«, antwortete Pamela.

»Ist das Vorstellungsgespräch nicht gut gelaufen?«

»Ja und nein. Sie meinen, ich sei durch meine Tätigkeit im Fairmont für die freie Position überqualifiziert. Ich musste weniger mein Können unter Beweis stellen, als zu versuchen, sie zu überzeugen, dass ich den Job nicht nur als kurzen Zwischenstopp erachte.«

»Und die Wohnung?«

Pamela zuckte mit den Schultern. »Die war auch nicht die Offenbarung: klein, verwinkelt, dunkel. Es ist nicht so, dass ich irgendwo unterkriechen müsste. Ich habe gut verdient und einiges gespart. Morris sieht sich ebenfalls für mich um, vielleicht findet er ein geeignetes Apartment.«

»Wenn ich das Hotel mit dem Haus vermiete, brauche ich auch eine Unterkunft. Wir könnten eine WG gründen«, bemerkte Molly.

»Das wird wohl kaum notwendig sein. Wenn ich dich und meinen Bruder beobachte, läuft es eher darauf hinaus, dass du bei ihm einziehen wirst. Ihr seid ein Herz und eine Seele.«

»So lange sind Nat und ich noch nicht zusammen«, entgegnete Molly ausweichend.

Warum nahmen alle mit kategorischer Bestimmtheit an, sie würde bei Nat einziehen? Sie befanden sich am Anfang ihres gemeinsamen Lebensweges, und natürlich sah ihre Zukunft einen solchen Schritt vor, doch es sollte nicht aus einer Notwendigkeit heraus geschehen. Außerdem hatte Nat noch mit keinem Wort etwas erwähnt, das auch nur ansatzweise in diese Richtung ging. Sie verbrachten viel Zeit in seinem Haus, aber genauso nächtigte er bei ihr in Tante Gynnies Häuschen, und an manchen Tagen trafen sie sich gar nicht.

Auf jeden Fall würde sie Nat nicht darauf ansprechen. Sie wollte ihn weder in eine unangenehme Lage bringen noch unter Druck setzen. Der erste Anstoß musste von ihm kommen, immerhin handelte es sich um sein Haus. Wahrscheinlich dachte er überhaupt noch gar nicht über einen solchen Schritt nach.

Pamela schien Mollys unbestimmte Antwort richtig aufgefasst zu haben, denn sofort wechselte sie das Thema. »Nach der Wohnungsbesichtigung bin ich ein wenig herumgeschlendert und habe das neue Buch deiner Freundin Dorothy in der Auslage einer Buchhandlung gesehen, ein Plakat mit ihrem Foto hing auch dabei. Sie ist sehr hübsch. Wann kommt sie uns nun endlich besuchen? Ich freue mich darauf, sie kennenzulernen. Nach deinen Erzählungen muss sie eine tolle und spannende Frau sein.«

»Beides ist sie allemal. Wir sind schon dabei, ein Datum zu finden. Noch steckt sie aber in der Arbeit fest. Wegen der Veröffentlichung hat sie viele Termine.«

»Wollte deine Chefin von der NY Woman uns nicht ebenfalls beehren?«, fragte Jim wie beiläufig.

Molly verbiss sich ein Schmunzeln. Nora war etwa in Jims Alter und Single; in ihrer unverblümten Art hatte sie bereits angekündigt, Jim unter die Lupe nehmen zu wollen. Und natürlich hatte Molly ihn vorgewarnt. Seit er davon wusste, schien es jedoch, als wäre er durchaus angetan von dem Gedanken, Nora kennenzulernen.

»Das wird leider noch dauern. Nora arbeitet ohne Unterlass, so wie ich früher. Nur einmal im Jahr nimmt sie sich eine Auszeit und fährt in den Urlaub. Normalerweise lässt sie sich in einem Wellnesshotel rund um die Uhr verwöhnen. Dieses Mal allerdings will sie unbedingt nach Maple Creek reisen.«

»Hoffentlich wird sie nicht enttäuscht sein«, warf Jim ein.

Lag da ein Funken Verlegenheit in seiner Stimme? Gern hätte Molly ihm garantiert, dass er nicht unsicher zu sein bräuchte, falls er die Aussage auf sich bezog. Die zweiundfünfzig Jahre sah man ihm nicht an. Er war ein großer, stattlicher Mann mit sportlicher Figur und männlichen Gesichtszügen, die weich genug gezeichnet waren, um nicht derb zu wirken. Das allein machte seine angenehme Erscheinung aber nicht aus. Jim war ein sprühender Geist voller Herzlichkeit und einer guten Portion Humor.

»Bestimmt genau das Gegenteil: Nora und Sugar werden nicht wieder nach New York zurückwollen«, antwortete sie.

»Wer ist Sugar?«, fragte Pamela.

»Ein Yorkshire Terrier«, gab Jim anstelle von Molly Auskunft. »Die kleine Dame soll wie ihre Besitzerin eine überaus toughe Person sein.«

Unmerklich zog Molly die Brauen hoch. Jim dürfte mehr über Nora nachdenken, als sie angenommen hatte. Er musste wirklich einsam sein. Aber es lag nicht in ihrer Hand, Nora einfach herbeizuzaubern. Von selbst glitten ihre Gedanken wieder zum »Maple Lake Inn«. Auch hier würde sie gern den Zauberstab schwingen. Konnte nicht ein einziges Mal ein Wunder geschehen? Es verblieben nur wenige Tage, um über die Zukunft des Hotels zu entscheiden. Was sollte sie tun? Warten und auf einen geeigneteren Mieter hoffen oder das Angebot annehmen und die Konsequenzen tragen? Die logische Antwort darauf lag wie ein zentnerschwerer Stein auf ihren Schultern.

Reihum blickte Molly in die Gesichter ihrer Freunde – Pamela, Jim, Tom, dabei bezog sie gedanklich genauso Laurie, die in der Küche gerade den Fisch für sie zubereitete, Morris, Dorothy in New York und allen voran Nat mit ein. Er war ihr Freund und Geliebter, zugleich Vertrauter und der Fels in der Brandung.

Keiner von ihnen konnte ihr die Entscheidung abnehmen, aber sie alle waren für sie da und würden sie in jedem Fall unterstützen. Das machte alles ein wenig leichter.

Kapitel 4

Leise zog Pamela die Haustür hinter sich zu und stahl sich durch den Vorraum. Nachdem Nat in die »Tavern« gekommen war, hatten er und Molly sich bald verabschiedet. Bestimmt schliefen sie bereits, und auf keinen Fall wollte Pamela die beiden wecken. Sie selbst war noch länger in der »Tavern« geblieben und hatte mit Jim, später mit Laurie geplaudert.

Obwohl sie wusste, dass Nat ihre Anwesenheit nicht als störend empfand, fühlte sie sich in seinem Haus wie ein Eindringling. Früher hatte sie über so etwas nicht nachgedacht, aber sie war eine erwachsene Frau und wollte nicht mehr einfach in den Tag hineinleben. Sie wünschte sich ihre eigenen vier Wände und einen guten Job, der ihr Freude bereitete. Endlich musste sie zur Ruhe kommen und einen festen Platz für sich finden.

Auch wenn alle sie als rastlos und unstet ansahen, war sie eigentlich kein wankelmütiger Mensch. Sie hatte einen guten Grund gehabt, Maple Creek damals zu verlassen, und ihre häufigen Jobwechsel waren ebenfalls nicht aus purer Gedankenlosigkeit heraus geschehen. Manches Mal hatte sie in der Tat vorschnell gehandelt, das musste sie sich eingestehen, aber es hatte nie mit Langeweile zu tun gehabt, vielmehr war sie unsicher und oftmals zudem irritiert gewesen.

Ob sie jemals den Mut aufbringen würde, ihrem Bruder die ganze Wahrheit zu erzählen? Sie wusste es nicht, wünschte sich jedoch nichts sehnlicher, als dass Nat seine Meinung über sie ändern würde. Er liebte sie aufrichtig, genauso hatte er allerdings ein festes Bild von ihr erschaffen, und dieses war wenig schmeichelhaft. Wie oft hatte er ihr vorgeworfen, unbesonnen und sprunghaft zu sein?

Sie konnte ihn durchaus verstehen. Im Grunde war er noch ein Kind gewesen, als sie fortgegangen war. Erst die Mutter an einen Gehirntumor und dann die große Schwester an die weite Welt zu verlieren, war zu viel für ihn gewesen. Zwar war sie immer wieder zurückgekehrt, aber nur, um bald wieder einen neuen Zufluchtsort und eine neue Herausforderung zu suchen.

Als sie auf Zehenspitzen am Wohnbereich vorbeischlich, hörte sie Gemurmel. Molly und Nat mussten noch an der Küchenbar sitzen. Sie hielt in der Bewegung inne und lauschte. Ein weiteres Geräusch beirrte sie: Molly schluchzte.

Oh nein, Bruder, was hast du nun wieder angerichtet?, dachte Pamela. Vorsichtig riskierte sie einen Blick in die Küche.

Nichts lag ihr ferner, als zu spionieren, aber sie wollte erfahren, was mit Molly nicht stimmte. Schon in der »Tavern« hatte sie bedrückt gewirkt, zudem war ihr rascher Aufbruch seltsam gewesen.

Pamela kannte ihren Bruder in- und auswendig. Er verfügte über wunderbare Eigenschaften, doch hatte sein Verhalten bereits so manche Frau – sie selbst eingeschlossen – zum Verzweifeln gebracht. Sowohl seine Sturheit als auch seine Beharrlichkeit waren beispiellos.

Schon früher hatte Pamela das eine oder andere Mal eingegriffen und versucht, Nat eine alternative Sichtweise darzubringen. Zum Glück war sie auch in Maple Creek gewesen, als Molly und er ihre gemeinsame Zukunft beinahe verworfen hätten. Ihre Intervention war buchstäblich im letzten Augenblick erfolgt. Allein deswegen fühlte sie sich den beiden verpflichtet.

Molly saß nach vorn gebeugt mit dem Rücken zur Tür, Nat umarmte sie und sprach leise auf sie ein.

Das sieht nicht aus wie ein Streit. Er scheint sie vielmehr zu trösten, überlegte Pamela. Erleichtert atmete sie auf. Dennoch blieb sie stehen und spitzte die Ohren. Sie wollte sichergehen. Zudem war sie nun neugierig geworden, warum Molly weinte. Wenn sie erfuhr, worum es sich handelte, konnte sie vielleicht helfen.

Nat sprach leise und Pamela vernahm nur Bruchstücke von dem, was er sagte: »Gynnie … wirst das richtige … ›Maple Lake Inn‹ … ich bin selbst … wird für immer in unseren Herzen … schwere Last … nicht als Bürde …«

Nun doppelt bedacht darauf, kein Geräusch zu machen und damit die beiden zu stören, setzte sich Pamela wieder in Bewegung. Sie stieg die Treppe in den ersten Stock hoch und öffnete die Tür zum Gästezimmer, wo sie schlief.

Es ging also um das »Maple Lake Inn« und die anstehende Vermietung. Pamela wusste, welchen Wunsch Molly in sich trug und wie sie sich die Fortführung des Hotels erträumte. Oft hatten sie in den vergangenen Wochen darüber geredet.

Pamela nahm an dem kleinen Tisch Platz, wo auch ihr Laptop stand, und rieb sich über die Augen. Während der Gespräche über das Hotel und der Suche nach einem Pächter war kurz eine Idee in ihr aufgeflammt, die sie allerdings sofort wieder verworfen hatte.

Gewissermaßen lag direkt vor ihrer Nase eine Aufgabe, die wie geschaffen für sie schien: die Leitung des »Maple Lake Inn«. Damit könnte sie einen Lebensinhalt und ihren Frieden finden, und für Molly würde ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen. Das Haus bliebe in Gedenken an Tante Gynnie in seiner Ausrichtung unverändert.

Beruflich war die Übernahme kein Problem. Auch würde sie nicht mehr davonlaufen, weil sie die Last ihres Lebens in Maple Creek erdrückte. An keinem Ort der Welt war es anders, und sie musste sich endlich den Tatsachen stellen.