Über das Buch

Sloan Monroe ist auf dem Weg zum Grab ihres Verlobten, als ein Hund mit Nimm-mich-mit-Blick durchs kaputte Sonnendach ihres Autos springt, und mit ihm ändert sich alles. Denn nach einigen Wochen ohne Antwort auf ihre Kontaktversuche meldet sich Tuckers Herrchen – Rockstar Jason Waters, gerade noch auf Tournee in Australien. Und er will Tucker zurück, wenn er wiederkommt. Aus nüchternen Nachrichten werden Flirts, dann lange Telefonate, denn Jason ist sexy, nett und witzig. Und bekannt für seine wilde Affäre mit der Sängerin Lola Simone. Als Sloan und Jason sich endlich gegenüberstehen, prickelt es gewaltig. Aber kann Sloan riskieren, sich ein zweites Mal das Herz brechen zu lassen?

»Die perfekte Romance: herzzerreißend und witzig!« Kirkus

 

 

 

 

Dieses Buch ist meinem Mann und
meinen Kindern gewidmet.
Danke, dass ihr mein Herz immer wieder neu
zum Glühen bringt.

1
SLOAN

IN THE MOURNING | PARAMORE

»Soll ich mit zum Friedhof kommen, Sloan?«

Kristen machte sich Sorgen um mich.

Ich schüttelte den Kopf in Richtung des Handys, das auf der Mittelkonsole meines Autos lag und auf laut gestellt war. »Ist schon okay. Ich fahre hinterher noch zum Markt«, antwortete ich – in der Hoffnung, dass sie dann beruhigt war.

Ich hielt an der roten Ampel einer Straße mit heruntergekommenen Läden und durstigen, eigentlich dürre-erprobten Eichen, die aussahen, als ob die lange Trockenheit ihnen schließlich doch den Rest gegeben hätte. Ich schwitzte in der sengenden Sonne. Mein offenes Schiebedach hatte vor ein paar Wochen zu Ostern den Geist aufgegeben und ich hatte mich bisher nicht darum gekümmert. Damit blieb ich meiner alten Gewohnheit treu, an dieser uralten Schrottkiste nichts zu reparieren.

»Zum Markt ? Hast du vor, was zu kochen?« Kristens Stimme klang hoffnungsvoll.

»Nein. Nur bisschen Salat vielleicht«, entgegnete ich, als die Ampel auf Grün schaltete. Ich kochte nicht mehr. Ich tat eine ganze Menge nicht mehr.

»Ach so. Soll ich nachher bei dir vorbeikommen?«, fragte sie. »Ich bring lecker Plätzchenteig und Schnaps mit.«

»Nein. Ich will … Oh mein Gott!« Ein rötliches Fellknäuel schoss unvermittelt auf die Fahrbahn und ich stieg auf die Bremse. Dabei flog mein Handy wie ein Projektil gegen das Armaturenbrett, und meine Handtasche fiel vom Beifahrersitz, wodurch massenweise Tampons und kleine Kaffeesahne-Döschen herausfielen.

»Sloan! Was ist los ?«

Mit rasendem Herzen umklammerte ich das Lenkrad. »Kristen, ich muss Schluss machen. Ich … ich glaub, ich hab gerade einen Hund überfahren.« Hastig beendete ich das Gespräch, schnallte mich ab, legte meine zitternde Hand an den Türgriff und wartete auf eine Lücke im Verkehr, damit ich aussteigen konnte.

Bitte lass es schnell und schmerzlos gewesen sein. Bitte.

Das gab mir endgültig den Rest. So was hatte mir heute gerade noch gefehlt. Ausgerechnet an diesem verfluchten Tag den schlaffen Kadaver eines Hundes, der irgendjemandem gehörte, unter den Rädern meiner Rostlaube hervorzuziehen, würde mir das letzte Fünkchen Lebensfreude rauben.

Ich hasse mein Leben.

Es schnürte mir die Kehle zu. Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, heute nicht zu weinen. Ich war fest entschlossen gewesen 

Da bellte es plötzlich.

Vor meiner Stoßstange tauchte ein Hundekopf mit Schlappohren auf und schnüffelte in die Luft. Ehe ich richtig verarbeiten konnte, dass er offensichtlich noch am Leben war, sprang er auch schon auf meine Motorhaube. Er kläffte mich durch die Scheibe an, biss in den Scheibenwischer und fing an, daran zu zerren.

»Was zum …« Ich legte den Kopf schief und musste sogar ein bisschen lachen. Die beteiligten Muskeln waren völlig eingerostet, weil sie kaum noch zum Einsatz kamen. Und einen kurzen Moment lang – nur für einen winzigen Augenblick – vergaß ich, was heute für ein Tag war.

Ich vergaß, dass ich auf dem Weg zu einem Grab war.

Mein Handy meldete mehrere neue Textnachrichten. Vermutlich von Kristen, die vor Sorge ganz aus dem Häuschen war.

Genau aus diesem Grund stand ich sonst nie so früh auf, weil das nichts als Chaos mit sich brachte.

Eine Hupe ertönte und aus einem vorbeifahrenden Cabrio zeigte mir jemand den erhobenen Mittelfinger. Nun ja, ich parkte mitten auf der Straße im fließenden Verkehr und auf meiner Motorhaube hockte ein Hund …

Ich entschloss mich zu einer gewagten Rettungsmission. Schließlich wollte ich nicht riskieren, dass das Kerlchen wieder losrannte und angefahren wurde. Deshalb wartete ich erneut auf einen günstigen Moment, die Tür zu öffnen, während der Hund sich auf die Hinterbeine setzte und mich durch meine Frontscheibe ankläffte. Kopfschüttelnd sah ich zu, wie er ein Stück zurückwich, den Kopf schief legte, dann die Scheibe hochstürmte und kurzerhand durch mein Schiebedach sprang.

Das wilde vierbeinige Bündel aus wehendem Fell landete direkt auf mir. Als seine Pfote in den Ausschnitt meines Tanktops rutschte und mir dabei einen langen Kratzer vom Schlüsselbein bis zum Bauchnabel bescherte, stieß ich nur ein erschrockenes Umpf hervor. Der Hund dagegen machte es sich auf meinem Schoß bequem und leckte mir das Gesicht ab, als ob wir zusammen aufgewachsen wären und uns seit Ewigkeiten das erste Mal wiedersahen.

Ich stieß einen Schrei aus, als wollte man mich auffressen.

Dann hievte ich ihn keuchend, zerzaust und eingespeichelt von mir herunter auf den Beifahrersitz, gerade als mein Handy klingelte. Ohne nachzudenken nahm ich das Gespräch an.

»Sloan, alles okay bei dir ?«, fragte Kristen, noch ehe ich das Handy richtig am Ohr hatte.

»Mir ist gerade ein Hund durchs offene Schiebedach ins Auto gesprungen!«

»Was ?«

»Ja.« Mit einem Zipfel meines Tanktops wischte ich mir die Wange ab. »Er … sitzt jetzt neben mir auf dem Vordersitz.«

Der Hund lächelte mich an. Er grinste förmlich, während er freudig mit dem Schwanz wedelte. Dann senkte er den Kopf und würgte einmal kurz. Entsetzt musste ich mit ansehen, wie er einen schleimigen Ball aus Gras erbrach – direkt in meinen Getränkehalter und auf meinen noch unangetasteten Latte Macchiato.

Und dann … tauchte im Rückspiegel auch noch ein Polizeiauto mit Blaulicht auf.

»Das kann doch wohl nicht wahr sein«, flüsterte ich und schaute hilflos zwischen dem Erbrochenen, dem Hund und dem Lichtgeflacker im Spiegel hin und her.

Ich fing an zu kichern. Das passiert mir öfter, wenn ich sehr gestresst bin. Außerdem begann mein Augenlid zu zucken. Und beides zusammen ließ mich leicht irre wirken.

Der Polizist hinter mir war offenbar nicht zu Scherzen aufgelegt.

»Kristen, ich muss dich später zurückrufen. Jetzt kommt auch noch die Polizei.« Ich lachte.

»Moment mal, was ?«

»Ich stehe mitten auf der Straße, und schon hält hinter mir ein Streifenwagen.«

Ich legte auf, und der Polizist ließ ungehalten die Sirene aufheulen. Im Schritttempo fuhr ich los, bis ich auf das Gelände von einem kleinen Einkaufszentrum einbiegen konnte. Ich schaute an mir herunter, zupfte mein Oberteil zurecht und schüttelte den Kopf, während ich abwechselnd über verantwortungslose Hundebesitzer vor mich hinschimpfte und verrückt kicherte.

Ich überlegte, ob ich gut genug aussah, um einen Strafzettel abzuwehren. Doch da hatte ich wohl schlechte Karten.

Zu einer anderen Zeit, in einem anderen Universum, hatte ich mit diesem Gesicht Schönheitswettbewerbe gewonnen. Nun sah ich aus, als ob ich mit einem Waschbären erfolglos um eine Pizzakruste gerauft hätte.

Die Hundekrallen hatten lange Kratzer auf meinen Armen hinterlassen, und ich war über und über mit rötlichen Härchen bedeckt, sodass ich selbst etwas hundeähnlich aussah. Meine blonden Haare trug ich zu einem unordentlichen Knoten gebunden, der sich durch das Gerangel halb gelöst hatte. Die Yogahose samt dem farbverschmierten T-Shirt wirkten auch nicht sonderlich ansprechend. Mein völlig ungeschminktes Gesicht sah blass und müde aus.

Diese Müdigkeit begleitete mich nun schon seit zwei Jahren.

»Dann müssen wir jetzt mit inneren Werten punkten«, raunte ich dem Hund zu. Er grinste mich mit heraushängender Zunge an und ich warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. »Deine Besitzer sind mir echt eine Erklärung schuldig.«

Ich ließ die Scheibe herunter und reichte dem Polizeibeamten meinen Führerschein und die Zulassung, noch bevor er mich dazu aufforderte.

»Das war aber ein riskantes Manöver …«, er schaute auf meine Fahrzeugpapiere, »… Sloan Monroe. Es ist verboten, den Verkehr zu behindern«, teilte er mir in gelangweiltem Tonfall mit.

»Tut mir leid, aber ich konnte nichts dafür. Dieser Hund hier ist auf die Straße gerannt und mir dann durchs offene Dach ins Auto gesprungen.«

In seiner Fliegersonnenbrille konnte ich mein Spiegelbild sehen. Weil mein Augenlid zuckte, kniff ich es zu und blinzelte ihn einäugig an. Meine Güte, bestimmt sah ich völlig bescheuert aus.

»Ich bin kein Anfänger, junge Frau. Suchen Sie sich für Ihr nächstes YouTube-Video einen Ort, wo Sie nicht den gesamten Verkehr aufhalten. Sie können froh sein, wenn ich Ihnen nur einen Strafzettel wegen Verkehrsbehinderung ausstelle und Sie nicht auch noch dafür belange, dass Ihr Hund unangeleint unterwegs war.«

»Moment mal. Sie denken, das ist meiner ?« Ich zupfte ein Fellbüschel von meinem Mund. »Ich kann mir schon vorstellen, dass es so aussieht, als ob er zu mir gehört, wenn er so einfach durchs Dach in mein Auto springt, aber ich schwöre Ihnen, dass ich dieses Tier noch nie zuvor gesehen habe.« Als ich hinunterguckte, musste ich sofort wieder lachen. Denn der Hund lieferte eine oscarreife Vorstellung als »mein Hund« ab und hatte seinen Kopf seelenruhig auf meinen Schoß gelegt. Dabei sah er mich mit treuherzigem Blick an.

Ich prustete los und konnte mich gar nicht wieder beruhigen. Dabei hielt ich mit dem Finger mein zuckendes Augenlid fest.

Heute. Ausgerechnet heute muss so etwas passieren.

Der Beamte musterte mich mindestens eine halbe Minute in all meiner Crazyness. Die Hundekotze im Getränkehalter tat vermutlich ein Übriges. Obwohl sie irgendwie zum zweifelhaften Erscheinungsbild meines schrottigen Wagens passte, den ich seit zwei Jahren nicht mehr gewaschen hatte.

Trotzdem schien der Beamte einen Rest von Glaubwürdigkeit in meinem Gesicht zu erkennen, denn er sagte: »Okay. Dann rufe ich kurz bei der Tieraufsicht an.« Er neigte den Kopf in Richtung des Funkgeräts an seiner Schulter. »Damit Sie diesen gefährlichen Streuner schleunigst wieder loswerden.«

Schlagartig bekam ich einen klaren Kopf und nahm den Finger von meinem Auge. »Nein! Sie dürfen ihn auf keinen Fall ins Tierheim bringen!«

Seine Hand verharrte auf dem Mikro, und mit hochgezogener Augenbraue fragte er: »Weil er doch Ihnen gehört ?«

»Nein, weil er dort traumatisiert wird. Kennen Sie denn diese Tierschutz-Spots nicht ? Mit den traurigen Hunden im Zwinger ? Und dem Song von Sarah McLachlan?«

Lachend ging der Polizist zum Streifenwagen, um meinen Strafzettel auszustellen.

Als ich mit dem Hund nach Hause kam, klemmte ich den Zettel mit dem Flipflop-Magneten an den Kühlschrank, den Brandon und ich aus Hawaii mitgebracht hatten. Strafzettel und Magnet bescherten mir umgehend einen Kloß im Hals, doch im selben Moment schob der Hund seinen Kopf unter meine Hand, wodurch ich es irgendwie schaffte, nicht in Tränen auszubrechen. Es war zehn Uhr morgens an DIESEM bewussten Tag, und bisher hatte ich es tatsächlich geschafft, mich an meinen Vorsatz zu halten und nicht zu weinen.

Super gemacht.

Ich rief Kristen an, die wahrscheinlich schon total am Rad drehte und gerade einen Suchtrupp zusammenstellte, weil ich auf ihre letzten fünf Anrufe nicht reagiert hatte. Gleich beim ersten Klingeln nahm sie ab. »Was zur Hölle ist los bei dir ? Alles okay?«

»Ja, alles gut. Ich hab den Hund mitgenommen. Er ist jetzt bei mir zu Hause. Ich hab einen Strafzettel gekriegt, weil ich mitten auf der Straße halten musste.«

»Echt jetzt ?«

»Leider ja«, antwortete ich erschöpft.

»Tsss«, gab sie zurück. »Du hast deine Möpse nicht richtig zur Geltung gebracht, oder ? Nächstes Mal setzt du bitteschön deine Vorzüge ein.«

Ich schaute in den Ausschnitt meines Tanktops und musterte genervt die Kratzer zwischen meinen Brüsten. »Na, schönen Dank auch. Da nehm ich lieber den Strafzettel und behalte den letzten Rest meiner Würde.«

Ich nahm eine blaue Plastikschüssel aus dem Schrank, füllte sie mit Wasser und sah dann zu, wie der Hund sich gierig darauf stürzte, als ob er schon seit Tagen nichts zu trinken bekommen hätte. Dabei schob er die Schüssel über den Fliesenboden meiner in die Jahre gekommenen Küche und veranstaltete eine mittlere Überschwemmung. Ich rieb mir die Schläfen.

Mann, was für ein ätzender Tag.

Das war eindeutig zu viel Aufregung für mich. Normalerweise verließ ich nur noch selten das Haus. Und zwar aus genau diesem Grund. Zu viele Leute und anstrengendes Zeugs. Wenn es nach mir ginge, hätte ich die Sonne angefaucht und wäre geradewegs wieder im Bett verschwunden.

»Ich rufe jetzt erst mal die Nummer an, die an seinem Halsband steht. Melde mich später wieder.«

Ich legte auf und schaute auf das Schildchen. Komische Vorwahl. Und dann stand da noch: Tucker, ein ganz Braver.

»Ein Braver bist du also? Soso, das wage ich aber zu bezweifeln. Na, dann wollen wir doch mal hören, was sich deine Besitzer als Ausrede einfallen lassen, warum sie dich ohne Leine auf der Straße rumlaufen lassen«, murmelte ich und tippte die Nummer in mein Handy.

Umgehend sprang eine Mailbox an und eine tiefe Männerstimme sagte: »Jason. Hinterlasst einfach eine Nachricht.«

Ich gab meine Kontaktdaten durch und legte auf. Dann sah ich kopfschüttelnd zu, wie der Hund weiter Wasser auf meinem Küchenboden verteilte. »Wahrscheinlich hast du auch Hunger, oder ? Tja, Hundefutter hab ich natürlich nicht hier, also müssen wir wohl mal bei PetSmart vorbeifahren.«

Möglicherweise lag noch irgendwo ein angebissenes Stück Zitronenkuchen von Starbucks im Auto, was aber wahrscheinlich längst steinhart war.

Da ich auch keine Hundeleine besaß, benutzte ich den Gürtel meines schwarzen Morgenmantels von Victoria’s Secret, den mir Brandon in dem Jahr vor dem Unfall zu Weihnachten geschenkt hatte. Tucker fing sofort an darauf herumzukauen.

Na toll.

Als wir bei PetSmart ankamen, ging ich mit ihm als Erstes zur hauseigenen Tierärztin, um zu klären, ob er gechipt war. Das war er tatsächlich, doch die hinterlegte Nummer war die gleiche wie auf dem Schildchen an seinem Halsband. Keine Adresse.

Es klappte einfach gar nichts. Ich kontrollierte immer wieder mein Handy, ob der Klingelton auch wirklich angeschaltet war.

Aber es waren weder Anrufe noch Textnachrichten eingegangen.

Ich wägte gerade meine äußerst begrenzten Optionen ab, als Tucker zur Krönung des Tages im Behandlungsraum auf den Boden pinkelte.

Die Tierärztin ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Ohne von ihren Unterlagen aufzuschauen, nahm sie Papiertücher aus einem Spender und reichte sie mir. Tucker zog sich unter einen Stuhl zurück und sah mich mit schuldbewusstem Hundeblick an.

»Er hat auch Gras gefressen«, sagte ich, während ich mich hinhockte und die Sauerei mit den Papiertüchern aufwischte. »Vielleicht hat er Bauchschmerzen.«

»Es könnte auch eine Blaseninfektion sein. Wir sollten den Urin testen.«

Ich fuhr herum. »Moment mal, ich? Soll ich diesen Test etwa bezahlen? Ernsthaft ? Das ist doch gar nicht mein Hund.«

Sie zuckte die Schultern über ihrem Klemmbrett. »Tja, Sie müssen nur wissen, dass er im Fall einer Infektion unkontrolliert Wasser lässt. Morgen ist schon Wochenende, dann kostet es deutlich mehr, wenn Sie mit ihm noch mal herkommen, falls er nicht abgeholt wird. Außerdem hat er vermutlich Schmerzen. Wenn Sie es sich nicht leisten können, bleibt immer noch der Tiernotdienst. Dort kann er vielleicht behandelt werden.«

Tiernotdienst bedeutete Tierheim, und das kam nicht infrage. Und die Sache mit den Schmerzen machte mir natürlich zu schaffen. Bei meiner momentanen Glückssträhne hatte ich ihn garantiert noch morgen am Hals und musste ihn dann wieder herbringen, damit sie zum doppelten Preis das Pinkeln abstellten. Ich legte einen Finger auf mein zuckendes Augenlid. »Na gut. Dann machen Sie halt den Test. Vielleicht kriege ich das Geld ja vom Besitzer zurück …«

Meine Güte, ich war heute schon so erledigt, dass ich nicht wusste, wie ich bis zum nächsten Tag durchhalten sollte.

Mein Handy machte pling und ich warf einen erschöpften Blick darauf.

Kristen:Hatte der Polizist so einen typischen Pornoschnauzer?

Pling.

Kristen:Du hättest in Tränen ausbrechen sollen. Heulattacken retten mich immer vor Strafzetteln. Nur so zur Info.

Ich grinste. Sie versuchte mich aufzuheitern. Sie und ihr Mann Josh waren heute auf besonderer Sloan-Mission – Alarmstufe rot, besondere Gefahr. Sie behielten mich aufmerksam im Auge, falls ich durchdrehte oder zusammenbrach.

Was vermutlich eine ziemlich gute Idee war.

Zweihundert Dollar und eine Blaseninfektionsdiagnose später wurden wir mit einem Antibiotikum nach Hause entlassen. Zusätzlich zur Tierarztrechnung bezahlte ich für Tucker noch eine Leine und einen kleinen Beutel Hundefutter. Ich brauchte wenigstens so viel Vorrat, um noch über den morgigen Tag zu kommen, falls es auf eine Übernachtungsparty hinauslief. Außerdem nahm ich noch einen Kauknochen und einen Ball mit, damit ich ihn beschäftigen konnte. Denn ich war nicht erpicht darauf, dass dieser Tasmanische Teufel mein Haus kurz und klein knabberte.

Ich hatte ganz vergessen, die Tierärztin nach seiner Rasse zu fragen. Er sah aus wie ein zu klein geratener Golden Retriever. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er auch Dachsanteile in sich trug, so wild, wie er sich benahm. Welcher Hund sprang denn auch durch ein Schiebedach?

Was auch immer er war, er hatte heute eigentlich nicht auf meinem Tagesplan gestanden.

Denn heute hatte ich Brandon besuchen wollen.

Eine gute Flasche Whiskey vor seinen Grabstein stellen. Auf einer Decke neben dem Grab sitzen und ihm erzählen, wie sehr ich ihn vermisste, wie traurig die Welt ohne ihn war und wie leer ich mich ohne ihn fühlte. Und dass die Zeit keine Wunden heilte, obwohl mir das doch alle versichert hatten.

Der achte April war der zweite Jahrestag seines Unfalls. Nicht der Tag, an dem er gestorben war – er hatte danach noch einen Monat im Krankenhaus gelegen, bevor er an seinen Verletzungen starb. Doch von dem Tag an war sein Leben vorbei gewesen, und meins ebenfalls. Er war nicht mehr zu Bewusstsein gekommen. Und deshalb würde dieser Tag niemals mehr so sein wie jeder andere.

Das Jahr hindurch gab es noch mehr solcher denkwürdiger Termine. Der Tag im Dezember, als er mir den Heiratsantrag gemacht hatte. Sein Geburtstag. Mein Geburtstag. Feiertage, das Datum unserer Hochzeit, die nie stattgefunden hatte. Im Grunde war der Kalender ein einziges Minenfeld schwieriger Tage. Sobald ich einen davon überstanden hatte, tauchte am Horizont schon der nächste auf, und so blieb das ganze Jahr ein ständiges Auf und Ab.

Ein weiteres Jahr ohne ihn.

Deshalb hatte ich mir vorgenommen, mich heute konsequent abzulenken. Nach dem Besuch auf dem Friedhof wollte ich produktiv sein. Ein paar Bilder fertigstellen. Etwas Gesundes essen. Ich hatte mir vorgenommen, den Tag nicht wie im vergangenen Jahr im Bett zu verbringen. Hatte mir geschworen zu ignorieren, dass der Monat April für mich seither nach Krankenhaus roch, mich an starre Pupillen und piepende Maschinen erinnerte, deren Takt sich niemals änderte.

Wieder schaute ich auf mein Handy.

Nichts.

2
SLOAN

AFFECTION | BETWEEN FRIENDS

Zehn Tage. Wundervolle zehn Tage war Tucker nun schon bei mir, haarte munter meine Bettdecke voll, küsste mich morgens mit feuchter Schnauze wach und wedelte immerzu freudig mit dem Schwanz.

Breit grinsend stand ich vor Kristens Tür und klopfte. Als sie mir öffnete, starrte sie mich ungläubig an. »Du hast das echt durchgezogen.«

»Hab ich dir doch gesagt.« Lachend schob ich mich an ihr vorbei ins Haus. Tucker und ihr Hündchen Stuntman Mike umkreisten sich und beschnüffelten sich gegenseitig die Hinterteile.

Sie schloss die Haustür hinter mir. »Du bist ernsthaft bis hierher zu Fuß gelaufen? Das sind über zehn Kilometer, du verrücktes Huhn.«

»So sieht’s aus«, antwortete ich. Mein Wiedereintritt ins Alltagsleben hatte Freunde und Verwandte in letzter Zeit reichlich verwirrt. »Ich muss mal für kleine Mädchen. Ist Oliver wach?«

»Nein, ich hab ihn vorhin hingelegt.« Sie folgte mir durch den Korridor. »Oh Mann, dieser Hund hat’s dir echt angetan, was ? Da fällt mir ein«, fügte sie hinzu, »ich hab da was für ihn.« Sie verschwand und kam kurz darauf mit einem Leibchen zurück, auf dem der Spruch zu lesen war: ICH BIN SLOAN IN DEN SCHOSS GEFALLEN UND DAS HAB ICH NUN DAVON.

Ich prustete los. Kristen betrieb von zu Hause aus eine Firma für Hundezubehör.

Ich ging auf die Toilette und Kristen lehnte sich mit dem Leibchen in der Hand gegen den Türrahmen. Da Josh nicht da war, verfielen wir sofort wieder in unsere frühere WG-Gewohnheit, alle Türen offen zu lassen.

»Er ist unglaublich, ich hab noch nie einen so gut abgerichteten Hund gesehen«, schwärmte ich. »Jemand scheint ausgiebig mit ihm trainiert zu haben.« Ich wusch mir die Hände, betrachtete im Spiegel mein gerötetes Gesicht und klemmte ein paar lose Haarsträhnen hinters Ohr.

»Und von diesem Jason hast du noch nichts gehört ?«

Tuckers Herrchen schwieg nach wie vor beharrlich. In den ersten beiden Tagen hatte Tucker trotz des teuren Antibiotikums ständig in die Ecken gepinkelt, sodass ich quasi fortwährend mit ihm Gassi gegangen war, um meine Teppiche zu schonen.

Es war erstaunlich, wie ungemein motivierend Hundepfützen auf dem Fußboden wirken konnten. Ehrlich, besser als jeder Personal Trainer. Mein Fitnesstracker hatte noch nie so viel aufzuzeichnen gehabt.

Da ich so viel draußen unterwegs war, bekam ich natürlich kein einziges Gemälde zustande. Doch zum ersten Mal seit Ewigkeiten erhielt meine Haut ein wenig Farbe und ich musste zugeben, dass mir die Bewegung guttat. Deshalb behielten wir unsere ausgedehnten Spaziergänge einfach bei, auch nachdem seine Infektion abgeklungen war.

Heute fühlte ich mich besonders unternehmungslustig und hatte daher beschlossen, Kristen und ihren süßen Kleinen zu Fuß aufzusuchen. Falls es mir unterwegs zu viel geworden wäre, hätte ich immer noch ein Uber nehmen können. Aber wir schafften es und ich genoss den Erfolg.

»Nein, dieser Jason hat keinen Piep von sich gegeben«, sagte ich.

An der Kreuzung, wo mir Tucker zugelaufen war, hatte ich Zettel mit seinem Bild aufgehängt und ihn außerdem auf mehreren Websites für vermisste und aufgefundene Haustiere registriert. Sogar beim Tierschutzbund hatte ich ihn gemeldet. Und dazu sprach ich Jason täglich auf die Mailbox. Allmählich hatte ich den Verdacht, dass Tucker bewusst ausgesetzt worden war.

»Aaaalso, ich habe Ihren Hund vorm sicheren Tod bewahrt, und zum Dank dafür kam er wie eine Granate durch mein Schiebedach geschossen. Melden Sie sich bitte, damit wir seine Abholung vereinbaren können. Ich habe so viele Fragen …«

»Hallo, Jason. Ich bin’s wieder, Sloan. Ihr Hund pinkelt mir hier die Bude voll. Er hat eine Blaseninfektion, weil er nicht genug ausgeführt wurde. Es wäre super, wenn Sie ihn bald abholen könnten, damit er stattdessen bei Ihnen weiterpinkeln kann. Danke!«

»Hier sind Sloan und Tucker. Obwohl ich durch Tuckers Vorliebe für teures Essen fast denke, dass wir Zwillinge sind, die bei der Geburt getrennt wurden, kann ich es mir echt nicht leisten, ihn weiter durchzufüttern. Wenn Sie vielleicht mal zurückrufen könnten?«

Ich ging mit Kristen in die Küche und stellte Tucker eine Schüssel Wasser mit Eiswürfeln hin. Dann setzte ich mich auf die Granitarbeitsfläche und sie schob ein Glas Eistee zu mir herüber. »Darf ich dir sagen, wie sehr ich mich freue, dass du wieder rausgehst ?«

Meine gute Laune ließ schlagartig nach und ich sah, wie sie mich mit ihren braunen Augen aufmerksam musterte.

»Kristen? Ist es nicht komisch, dass Tucker ausgerechnet am Jahrestag des Unfalls aufgetaucht ist ? Ich meine, das ist doch verrückt, oder ?«

Sie wartete, dass ich weitersprach, und ließ die Eiswürfel in ihrem Glas kreisen.

»Tucker ist mir buchstäblich in den Schoß gefallen. Und weißt du, was für eine Rasse er ist ? Ein kanadischer Toller. Nova Scotia Duck Tolling Receiver, um genau zu sein.« Bei dem langen Namen tippte ich mit allen fünf Fingern nacheinander auf die Granitplatte. »Ein Jagdhund, Kristen. Für die Entenjagd.«

Kristen begriff die Tragweite auf Anhieb. Die Entenjagd war Brandons Hobby gewesen. Jedes Jahr war er dazu mit Josh extra nach South Dakota geflogen.

»Wenn Brandon ihn mir nun geschickt hat ?«, fragte ich und merkte, wie sich ein Kloß in meinem Hals formte.

Mitfühlend lächelte sie mich an. »Also, ich bin mir auf jeden Fall sicher, dass Brandon nicht gewollt hätte, dass du so unglücklich bist«, sagte sie dann sanft. »Zwei Jahre sind eine verdammt lange Zeit, um derart heftig zu trauern, Sloan.«

Ich nickte und wischte mir mit dem Saum meines Shirts über das Gesicht. Mit glasigem Blick betrachtete ich den Hochstuhl am Küchentisch. Kristens Leben erinnerte mich schmerzvoll daran, wie mein eigenes hätte aussehen sollen. Wenn Brandon noch am Leben wäre und wir wie geplant geheiratet hätten, wäre ich jetzt vermutlich ebenfalls Mutter und mein Kind würde mit dem einjährigen Sohn von Kristen und Josh spielen.

Kristen war seit der sechsten Klasse meine beste Freundin. Ab der Mittelstufe waren wir ein Herz und eine Seele. Alle wichtigen Meilensteine hatten wir gemeinsam erlebt.

Auch Brandon und Josh waren beste Freunde gewesen. Ich hatte immer davon geträumt, gemeinsam im Doppelpack zu verreisen, zur gleichen Zeit im Babyglück zu schwelgen und Häuser direkt nebeneinander zu kaufen. Doch nun war Kristens Weg ohne mich weitergegangen. Ihr Leben nahm seinen geplanten Lauf, während meins seit Brandons Motorradunfall nur noch ein einziger Scherbenhaufen war. Ich war in einer Art Entwicklungshemmung gefangen und steckte in einer Endlosschleife fest, aus der ich mich nicht befreien konnte.

Bis jetzt.

Denn etwas hatte sich bei mir verändert. Vielleicht waren es die strukturierten Tagesabläufe, zu denen Tucker mich zwang, oder die Spaziergänge oder die Sonne. Oder es lag an dem Gedanken, dass dieser Hund ein Geschenk des Mannes war, den ich verloren hatte – ein Signal, es zu versuchen. Seit jeher glaubte ich an solche Zeichen. Es erschien mir unwahrscheinlich, dass es einfach nur Zufall war. Von all den Autos auf der Straße war er ausgerechnet vor meins gerannt. Es war, als ob er mich erwählt hätte.

Ich holte mein Handy hervor. »Das erinnert mich an meinen täglichen Jason-Anruf.«

Seine ruhige Stimme war zum festen Bestandteil meines Alltags geworden. Diesmal teilte mir jedoch eine weibliche Computerstimme mit, dass die Mailbox voll sei.

Wieder so ein Wink des Schicksals ?

Ich sah zu Kristen hinüber, die mich schweigend musterte.

Ja, ganz offensichtlich. Ich fasste einen Entschluss. Zielsicher scrollte ich durch die Fotogalerie auf meinem Handy und suchte ein Bild von Tucker und mir heraus, das ich vor ein paar Tagen aufgenommen hatte. Dann schrieb ich Jason eine Nachricht, hängte es an und schickte sie ab.

»Du hast recht. Brandon würde sich wünschen, dass ich glücklich bin. Und dieser Jason, falls er jemals auftauchen sollte, der kann sich zum Teufel scheren.«