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Axel Kassegger

Energiepolitik und Elektrizitätswirtschaft in Österreich und Europa

WETTBEWERBSFÄHIGKEIT • NACHHALTIGKEIT VERSORGUNGSSICHERHEIT

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Leopold Stocker Verlag
Graz – Stuttgart

 

Umschlaggestaltung: Werbeagentur Rypka GmbH, 8143 Dobl/Graz, www.rypka.at

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ISBN 978-3-7020-1884-9

© Copyright by Leopold Stocker Verlag, Graz 2020

Layout und Repro: Werbeagentur Rypka GmbH, 8143 Dobl/Graz, www.rypka.at

INHALT

ÜBERBLICK UND KURZBESCHREIBUNG

EU-ENERGIEPOLITIK UND ELEKTRIZITÄTSWIRTSCHAFT

Einleitung

Europäische Energiepolitik 1951 bis 1973

Europäische Energiepolitik 1973 bis 1986

Einheitliche Europäische Akte 1986

Vertrag von Maastricht 1992: Die Europäische Union (EU)

Energiepolitik als Angelegenheit der Europäischen Union

Grünbuch der Kommission vom 20. November 2000

Die Umsetzung des Energiebinnenmarktes bis 2009

Das 1. Energiebinnenmarktpaket 1996/98

Das 2. Energiebinnenmarktpaket 2003

Grünbuch der Kommission vom 14. Juni 2006

Der Vertrag von Lissabon 2007

Der Gesetzgebungsprozess in der EU nach Lissabon 2007

Das 3. Energiebinnenmarktpaket 2009

Die Umsetzung der Versorgungssicherheitsziele bis 2016

Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele 1997 bis 2016

Richtlinien zur Nachhaltigkeitspolitik 2000–2006

Rat am 9. März 2007: Die integrierte EU-Energie und Klimapolitik 2010–2020

Das EU-Klimapaket 2009

Energy Roadmap 2050 der Kommission

Rat am 22. Oktober 2014: Der EU Klima- und Energierahmen 2020–2030

Europäische Kommission 2016 – Saubere Energie für alle Europäer

Vorrang für Energieeffizienz

Erreichen einer globalen Führungsrolle bei den erneuerbaren Energien

Ein faires Angebot für die Verbraucher

Flankierende Maßnahmen

Clean Energy Package 2018: Das EU-Winterpaket

Erneuerbare-Energie-Richtlinie

Energieeffizienz-Richtlinie

Verordnung zur Governance der Energieunion

Verordnung zur Gründung einer Agentur der Energieregulierungsbehörden (ACER)

Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie

Elektrizitätsbinnenmarkt-Verordnung

Richtlinie zur Gebäudeeffizienz

Verordnung über die Risikovorsorge im Elektrizitätssektor

Regulatoren und Behörden

ENTSO (Strom)

EU-VNBO

ACER

Koordinierungsgruppe „Strom“ der Europäischen Kommission

ELEKTRIZITÄTSWIRTSCHAFT IN ÖSTERREICH

Energiepolitik – Regierungsprogramm 2017

Relevante Institutionen der österreichischen Elektrizitätswirtschaft

Verbund und Landesenergieversorger

Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid AG

Regulatoren und Behörden

E-Control Austria

OeMAG Abwicklungsstelle für Ökostrom AG

Umweltbundesamt GmbH

BMNT: Sektion VI – Energie und Bergbau

Sonstige Stakeholder und Interessensverbände

Oesterreichs Energie

Dachverband Erneuerbare Energie Österreich (EEÖ)

Industriellenvereinigung – Bereich Infrastruktur, Transport, Ressourcen, Energie

Wirtschaftskammer Österreich

ÖSTERREICHISCHE LANDESVERTEIDIGUNG

Umfassende Landesverteidigung – Art. 9a B-VG

Militärische Landesverteidigung

Wirtschaftliche Landesverteidigung

Zivile Landesverteidigung

Geistige Landesverteidigung

SICHERHEITSPOLITISCHE KONZEPTION DES ÖBH

Aufgaben des ÖBH

Militärische Landesverteidigung

Sicherheitspolizeilicher Assistenzeinsatz

Katastrophenassistenz

Teilnahme an Auslandseinsätzen

Österreichische Sicherheitsstrategie 2013

Gefahr durch Cyberattacken und hybride Kriegsführung

E-WIRTSCHAFT UND VERSORGUNGSSICHERHEIT

Auftrag aus ULV 1975 und Sicherheitsstrategie 2013

Netzstabilität – Ist-Situation 2019 und aktuelle Herausforderungen

Das Europäische Stromnetz

System Adequacy – System Security

Die Aufgaben der Netzbetreiber – Systemdienstleistungen

Übertragungsnetzbetreiber

Verteilernetzbetreiber

Die vier Systemdienstleistungen der Netzbetreiber

Netzstabilität – Frequenzhaltung bei 50 Hertz

Markt für Regelenergie

Notmaßnahmen bei Frequenzabfall

Notmaßnahmen bei Frequenzanstieg

Europäische Network Codes und Guidelines (NCs/GLs)

Herausforderung örtliche Disparität Nachfrage und Erzeugung

Herausforderung zeitliche Disparität Nachfrage und Erzeugung

Grundlast – Mittellast – Spitzenlast

Ein guter Sommertag

Ein kritischer Wintertag

Extremfälle und Fehlentwicklungen

Extremfall 1: Frankreich im Januar 2017

Extremfall 2: Photovoltaik macht CO2

Blackout

Folgen eines mehrtägigen Blackouts

Informations- und Kommunikationstechnologie

Transport und Verkehr

Wasserversorgung und Abwasserentsorgung

Lebensmittelversorgung

Gesundheitswesen

Öffentliche Ordnung und Sicherheit

Blackouts in den vergangenen Jahren

Österreichweite Blackout-Übung „Helios“

NACHHALTIGE ENERGIEPOLITIK DES 21. JAHRHUNDERTS

Das Zielportfolio moderner Energiepolitik

Die Ziele der Vereinten Nationen

Kyoto-Protokoll 1997 und COP 18 Doha 2012

Pariser Abkommen 2015 – COP 21

Die Energie- und Klimaziele der Europäischen Union

Die Ziele des Clean Energy Package bis 2030

Die strategischen EU-Ziele zur Reduktion der THG-Emissionen

Das EU-Emissionshandels-System (EU ETS)

Das Effort-Sharing-System

Die EU-Langfristziele bis 2050

Die Ziele der österreichischen Energiepolitik

ÖSTERREICHS ENERGIEPOLITISCHES ZIELDREIECK

Ökologische Nachhaltigkeit, Ausbau erneuerbarer Energien

Herausforderung 1: Ersatz der fossilen Energieträger

Herausforderung 2: 100 % Strom aus erneuerbaren Energiequellen bis 2030

Versorgungssicherheit, Energieinfrastruktur und Netzstabilität

Herausforderung 3: Netzstabilität bei Volatilität von Windkraft und Photovoltaik

Herausforderung 4: Speicherung von sauberem Strom

Herausforderung 5: Sektorkopplung

Herausforderung 6: Dezentralisierung, Prosumer, Digitalisierung

Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Leistbarkeit

Allgemeines

Herausforderung 7: Wirtschaftlichkeit, Leistbarkeit für Haushalte und Unternehmen

Regierungsprogramm 2020

Ein Ausblick in die Zukunft

LITERATURVERZEICHNIS

Literaturquellen

Onlinequellen

ANHANG

Relevante Rechtsgrundlagen Europäische Union

Richtlinien

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE

Verordnungen

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE

Sonstige relevante Dokumente

https://publications.europa.eu

Relevante Rechtsgrundlagen Österreich

Relevante Gesetze und Novellen

https://www.ris.bka.gv.at

Verordnungen zum Thema Strom

https://www.e-control.at/recht/bundesrecht/strom/verordnungen

Verordnungen der E-Control

Netzkodex mit Netzanschlussbestimmungen für Stromerzeuger (gem. Verordnung (EU) 2016/631 – RFG Verordnung)

Systemnutzungsentgelte-Verordnung (SNE-V)

Elektrizitäts-Monitoring-Verordnung – EMo-V

Netzbenutzerkategorien-Verordnung – NB-V

Großhandelsdaten-Verordnung – GHD-V

Clearinggebühr-Verordnung 2018

Datenformat- und VerbrauchsinformationsdarstellungsVO (DAVID-VO)

Elektrizitäts-Energielenkungsdaten-Verordnung

Intelligente Messgeräte-Anforderungs-Verordnung (IMA-VO)

Netzdienstleistungsverordnung Strom

Netzengpassentgelt-Verordnung

Stromkennzeichnungsverordnung

Strom-NBK-VO

Wechselverordnung 2014 (WVO 2014)

Verordnungen von Ministern

Intelligente Messgeräte-Einführungsverordnung (IME-VO)

Elektrizitätsstatistikverordnung 2016

Ökostrom-Einspeisetarifverordnung 2018

ÜBER DEN AUTOR

ÜBERBLICK UND KURZBESCHREIBUNG

Das vorliegende Buch basiert auf einer vom Autor im August 2019 im Rahmen des Ausbildungsganges zur Erlangung des Dienstgrades Brigadier in der Generalstabsabteilung des österreichischen Bundesheeres eingereichten militärwissenschaftlichen Seminararbeit. Es beschäftigt sich mit der europäischen und österreichischen Energiepolitik seit dem Zweiten Weltkrieg mit Schwerpunkt auf der Entwicklung der Elektrizitätswirtschaft in den letzten drei Jahrzehnten. Diese war, so wie die Gaswirtschaft, über Jahrzehnte für die europäischen Institutionen von völlig untergeordneter Bedeutung. Die Aufmerksamkeit Europas galt den Sektoren Erdöl, Kohle und Atomkraft. Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung in der Elektrizitätswirtschaft lagen lange Jahrzehnte in nationalstaatlicher Hand, die Elektrizitäts- und Gasmärkte waren sehr oft von monopolartigen Strukturen mit dominierenden Eigentümerschaften der öffentlichen Hand geprägt.

Auf zweiter Ebene beschäftigt sich diese Arbeit mit der Rolle und den Aufgaben der Elektrizitätswirtschaft in Österreich im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung eines stabilen Stromnetzes und einer ausreichenden Stromversorgung und der Bedeutung dieser Aufgabenerfüllung für die wirtschaftliche Landesverteidigung im Rahmen der umfassenden Landesverteidigung. Die Energiewirtschaft im Allgemeinen und die Elektrizitätswirtschaft im Besonderen hatten und werden immer einen sehr hohen Stellenwert in der sicherheitspolitischen Betrachtung auf Ebene der Nationalstaaten haben.

Aus der Perspektive der Sicherstellung und Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit der österreichischen Elektrizitätsversorgung bietet die Arbeit eine Darlegung, Analyse und Beurteilung eines doppelten Spannungsfeldes: Zum ersten jenes möglicher Zielkonflikte zwischen den mit dem Grünbuch der Kommission vom 14. Juni 2006 „Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie“ klar definierten drei primären Zielen europäischer Energiepolitik für die nächsten Jahrzehnte „Nachhaltigkeit – Wettbewerbsfähigkeit – Versorgungssicherheit“, insbesondere vor dem Hintergrund einer politisch erwünschten Wende in der Energieversorgung, weg von fossilen Primärenergieträgern hin zu aus erneuerbaren Energieträgern gewonnener Energie.

Zum zweiten das Spannungsfeld der Allokation von Kompetenzen und Verantwortung zwischen Europäischer Union und Nationalstaaten bei der Meisterung bestehender und zukünftiger Aufgabenstellungen im Energiesektor im Allgemeinen und im Elektrizitätssektor im Besonderen.

Kapitel 2 gibt einen Abriss der Entwicklung der europäischen Energiepolitik mit besonderer Berücksichtigung der Elektrizitätswirtschaft seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahr 1951. Lange Jahrzehnte lag das Interesse auf europäischer Ebene fast ausschließlich auf dem Bereich der fossilen Energieträger Erdöl, Erdgas und Kohle.

Spätestens mit Schaffung der Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht im Jahr 1992 fand auf europäischer Ebene ein Paradigmenwechsel statt. Die Elektrizitätswirtschaft und auch die Gaswirtschaft rückten in den Mittelpunkt des Interesses der Union. In den 17 folgenden Jahren stand die Schaffung eines gemeinsamen Strombinnenmarktes und das damit verbundene Bestreben, die dazu erforderlichen Kompetenzen auf Unionsebene zu bringen, an sehr hoher Stelle auf der europäischen Prioritätenliste.

Mit dem Grünbuch der Kommission vom 14. Juni 2006 „Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie“ wurden klar die drei primären Ziele europäischer Energiepolitik für die nächsten Jahrzehnte definiert, nämlich Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit.

Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 wurden erhebliche Kompetenzen in der Elektrizitätswirtschaft auch primärrechtlich in den Bereich der Europäischen Union verschoben, der Strombinnenmarkt wurde mit Verabschiedung des 3. Binnenmarktpakets im Jahr 2009 in seinen wesentlichen Zügen verwirklicht, andererseits wurden mit der Gründung eines Europäischen Verbands der Übertragungsnetzbetreiber für Strom, dem European Network of Transmission System Operators for Electricity ENTSO-E, und der Gründung der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) zwei supranationale Organisationen auf europäischer Ebene installiert und mit entsprechenden Aufgaben und Kompetenzen ausgestattet. Mit der 2012 ins Leben gerufenen Koordinierungsgruppe „Strom“ der Europäischen Kommission kam eine weitere supranationale Organisation hinzu.

Durch die schrittweise Schaffung eines gemeinsamen Strombinnenmarktes in der EU wurden einerseits Akzente gesetzt, die der Versorgungssicherheit dienlich sind, andererseits aber auch Regelungen getroffen, die die Einflussmöglichkeit der Nationalstaaten auf die Energiepolitik im eigenen Land reduzieren. Allerdings kann die EU gemäß Artikel 194 Abs. 2 AEUV gegen den Willen eines Mitgliedstaates nicht Maßnahmen erstellen, die die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung regeln.

Aus der fortschreitenden europäischen Energiebinnenmarktintegration, sekundiert durch internationale Vereinbarungen wie z. B. das Pariser Klimaübereinkommen, besteht somit insbesondere für das Thema Versorgungssicherheit das Spannungsfeld zwischen internationalen Verpflichtungen, EU-Kompetenzen und nationalen Kompetenzen weiter.

Die nächsten Jahre von 2014 bis 2018/19 waren auf europäischer Ebene von der prioritären Verfolgung des energiepolitischen Ziels der Nachhaltigkeit gekennzeichnet. Startpunkt war die strategische Zielvorgabe des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs vom 22. Oktober 2014, welche den Klima- und Energierahmen bis 2030 und die drei Kernziele bis zum Jahr 2030 festlegte:

Das Ziel, die Treibhausgasemissionen in der EU um 40 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken,

das Ziel, in der EU 27 % des Energieverbrauchs durch erneuerbare Energien zu decken, wobei für die Mitgliedstaaten Einzelziele gelten,

das Ziel, 27 % des prognostizierten Energieverbrauchs einzusparen, also die Energieeffizienz um 27 % zu verbessern.

Über den Zwischenschritt der Mitteilung der Kommission vom 30. November 2016 „Saubere Energie für alle Europäer“ erfolgte die legislative Umsetzung der Ziele mit dem insgesamt 8 Rechtsakte umfassenden so genannten „Clean Energy Package“ in den Jahren 2018/19.

Mit der Verabschiedung zahlreicher europäischer Netzkodizes und Leitlinien in den Jahren 2015 bis 2017 wurden für die Elektrizitätswirtschaft wichtige Verbesserungen hinsichtlich der Versorgungssicherheit und Aufrechterhaltung der Netzstabilität beschlossen.

Aufgrund der Tatsache, dass Verordnungen der Europäischen Union unmittelbar in den Mitgliedstaaten verbindlich anzuwendende Rechtsakte sind, Richtlinien der Europäischen Union von den Mitgliedstaaten binnen bestimmter Fristen in nationales Recht umzusetzende Rechtsakte darstellen und dass seit dem Vertrag von Lissabon 2007 wesentliche Teile der Energiepolitik in die Kompetenz der Europäischen Union fallen, kann man eigentlich nicht mehr wirklich von selbständiger nationalstaatlicher Energiepolitik und Energiegesetzgebung sprechen; die legislative Tätigkeit der Nationalstaaten bestand in den letzten zwölf Jahren im Wesentlichen in der legistischen Umsetzung von auf europäischer Ebene Beschlossenem.

Kapitel 3 kann sich daher auf eine Beschreibung der relevanten Institutionen der österreichischen Elektrizitätswirtschaft beschränken und gibt darüber hinaus einen Überblick über die energiepolitischen Ziele im Regierungsprogramm der von 2017 bis 2019 amtierenden österreichischen Bundesregierung.

Die Kapitel 4 und 5 verknüpfen das Thema Energiepolitik und Elektrizitätswirtschaft mit dem aus dem Ansatz der Umfassenden Landesverteidigung resultierenden Teilaspekten der wirtschaftlichen und der zivilen Landesverteidigung und geben einen Überblick über die aktuellen Aufgaben des Österreichischen Bundesheeres.

Ausgehend von den in der Österreichischen Sicherheitsstrategie 2013 definierten politisch-strategischen Zielen ergibt sich im Rahmen der wirtschaftlichen Landesverteidigung unter anderem der Auftrag, im Bedrohungsfall die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern sicherzustellen. Elektrische Energie oder jene Energieträger, aus denen elektrische Energie gewonnen wird, inklusive deren Bevorratung, oder daraus gewonnene und gespeicherte Energie in Form anderer Energieträger zählen jedenfalls in einer modernen, energieintensiven Gesellschaft zu den lebensnotwendigen Gütern in diesem Sinne.

Die zivile Landesverteidigung verlangt unter anderem den Schutz der Bevölkerung und die Sicherung der Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen durch nichtmilitärische Mittel. Das Konzept der umfassenden Sicherheit nach der Österreichischen Sicherheitsstrategie 2013 geht davon aus, dass zivile und militärische Sicherheitsaspekte auf das engste verknüpft sind und die Erhaltung bzw. Wiederherstellung von umfassender Sicherheit über den Rahmen der klassischen Sicherheitsressorts hinausgeht.

Der Elektrizitätswirtschaft kommt insbesondere bei der Umsetzung des gesamtstaatlichen Konzepts zur Steigerung der Resilienz Österreichs und der Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit von Staat und Gesellschaft nach Krisen sowie zum Schutz kritischer Infrastrukturen eine besondere Bedeutung zu, da die Elektrizitätsinfrastruktur in diesem Zusammenhang unbestritten besonders kritisch ist.

Kapitel 6 widmet sich ausführlich der Aufgabe der Sicherstellung und Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit im Bereich des Betriebs von Stromnetzen. Ausgehend von der Feststellung, dass das europäische Stromnetz ein gesamtzusammenhängendes, sich über 6.000 Kilometer ausdehnendes Verbundnetz ist, untersucht der erste Teil des Kapitels die Aufgabenstellung der Aufrechterhaltung einer stabilen Frequenz von 50 Hertz im europäischen Wechselstromnetz.

Den für diese Aufgabe verantwortlichen Übertragungsnetzbetreibern stehen dafür verschiedene Instrumente zur Verfügung, wobei die grundsätzliche Eignung des Gesamtsystems langfristige Versorgungssicherheit zu gewährleisten, die System Adequacy, immer zwei Dimensionen aufweist, nämlich die Generation Adequacy (die ausreichende Verfügbarkeit von Kraftwerkskapazitäten) und die Transmission Adequacy (ausreichende Netzkapazitäten zur Übertragung des Stroms). Versorgungssicherheit kann demnach nur bei ausreichenden Netz- und Kraftwerkskapazitäten sichergestellt werden.

Nach einer Beschreibung des aktuellen Marktes für Regelenergie werden Möglichkeiten und Vorgehensweisen der Übertragungsnetzbetreiber in einer zukünftig immer wichtiger werdenden Zusammenarbeit mit den Verteilernetzbetreibern zur Gegensteuerung bei unerwünschtem Abfallen oder Ansteigen der Frequenz im Netz analysiert. Es werden die Herausforderungen zeitlicher und örtlicher Disparität von Nachfrage und Erzeugung untersucht und die grundsätzlich diesbezüglich kontraproduktiven Effekte von Erzeugungsanlagen aus erneuerbaren Energieträgern Sonnenkraft und Windkraft aufgezeigt. Weiters wird untersucht, welches Portfolio an Kraftwerkstypen für die Erzeugung von Strom zur Abdeckung der Grund-, Mittel- und Spitzenlast erforderlich ist.

Nach einer Untersuchung eines typischen Sommertages und eines kritischen Wintertages aus dem Blickwinkel eines Verteilernetzbetreibers und der sich insbesondere bei letzterem aus Gesichtspunkten der Versorgungssicherheit und Netzstabilität ergebenden Probleme und der Beschreibung tatsächlich aufgetretener extremer Fehlentwicklungen endet das Kapitel mit einer Analyse der Folgen des „worst case“-Szenarios, eines Zusammenbruchs des Stromnetzes. Ein derartiger Blackout hätte binnen weniger Tage dramatische unerwünschte Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens.

Das Kapitel 7 widmet sich der Entwicklung und den aktuellen Zielen der internationalen, europäischen und österreichischen Energiepolitik. Dabei wird festgestellt, dass ein energiepolitisches Ziel in den letzten 20 Jahren weltweit und auch in Europa in den Mittelpunkt des Interesses und der Bemühungen gerückt ist: das Ziel der Nachhaltigkeit.

Erstmals international verbindlich artikuliert auf der Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimakonvention in Kyoto 1997 (COP 3) fand seitdem eine kontinuierliche Weiterentwicklung internationaler Energie- und Klimaziele statt. Auf Ebene der Vereinten Nationen wurde das „Kyoto-Protokoll“ aus dem Jahr 1997 vom „Pariser Abkommen“ abgelöst, das auf der COP 21 im Jahr 2015 in Paris beschlossen wurde. Es geht dabei insbesondere um die drastische Reduzierung der Emission klimaschädlicher Treibhausgase in den entwickelten Industrienationen.

Auf Ebene der Europäischen Union fasste der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs am 9. März 2007 den Beschluss, die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2020 um 20 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken, und entschied sich am 22. Oktober 2014, die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2030 um 40 % gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren.

Das zu diesem Zweck auf Ebene der Europäischen Union implementierte Emissionshandels-System (EU ETS), das auf der Vergabe und dem Handel von Zertifikaten beruht, die den vom System erfassten Erzeugungsanlagen gleichsam das Recht zubilligen, eine bestimmte Menge an CO2 zu emittieren, wird kritisch analysiert.

Zum einen wird überhaupt nur bestenfalls die Hälfte aller Emissionen in Europa von diesem System erfasst, wesentliche Bereiche, wie etwa die gesamten Sektoren Verkehr, Gebäude oder Landwirtschaft, fallen gar nicht unter das System.

Zum anderen funktioniert das System nach dem Prinzip des so genannten „burden sharing“ was bedeutet, dass das 20-%- bzw. 40-%-Reduktionsziel nur kumulativ für die gesamte EU gilt. Wirtschaftlich hochentwickelte Mitgliedstaaten der Union, so auch Österreich, müssen seit 2012 deutlich mehr Emissionen reduzieren als weniger entwickelte Länder, die zum Teil sogar nach wie vor nicht einsparen müssen, sondern mehr Emissionen verursachen dürfen.

Dasselbe Prinzip gilt auch für die nicht unter das Emissionshandels-System fallenden Sektoren, die mehr als 50 % der Emissionen verursachen. Auch hier müssen entwickelte Industrienationen zur Erreichung des EU-weiten Gesamtreduktionsziels deutlich mehr Emissionen reduzieren als weniger entwickelte Länder. Die große, beispielhafte Übung europäischer Solidarität wird in diesem Bereich „effort sharing“ genannt.

Kapitel 8 widmet sich der Umsetzung der auf globaler und europäischer Ebene in den wesentlichen Grundzügen vorgegebenen energiepolitischen Ziele in Österreich und der von der zum Zeitpunkt der Verfassung dieser Arbeit nicht mehr im Amt befindlichen Bundesregierung verfolgten Strategie der ausgewogenen, immer einen harmonischen Ausgleich sicherstellenden Bestrebungen nachstehender dreier zentraler energiepolitischer Ziele:

Ökologische Nachhaltigkeit und Ausbau erneuerbarer Energien

Versorgungssicherheit, Energieinfrastruktur und Netzstabilität

Wirtschaftlichkeit, Leistbarkeit und Wettbewerbsfähigkeit

Zentraler Inhalt dieses Kapitels ist weniger die Beschreibung und Analyse dieser drei Ziele als vielmehr die sich in der Verfolgung und Umsetzung derselben ergebenden Herausforderungen. Folgende sieben große Herausforderungen werden spezifiziert und dazu jeweils die besonderen Problemstellungen analysiert und entsprechende Lösungsansätze konzipiert.

Herausforderung 1: Ersatz der fossilen Energieträger

Herausforderung 2: 100 % Strom aus erneuerbaren Energiequellen bis 2030

Herausforderung 3: Netzstabilität bei Volatilität von Windkraft und Photovoltaik

Herausforderung 4: Speicherung von sauberem Strom

Herausforderung 5: Sektorkopplung

Herausforderung 6: Dezentralisierung, Prosumer, Digitalisierung

Herausforderung 7: Wirtschaftlichkeit, Leistbarkeit für Haushalte und Unternehmen

Ergänzt wird dieses Kapitel durch eine kurze Beschreibung der relevanten Passagen im Regierungsprogramm 2020 der aktuellen Bundesregierung zwischen ÖVP und Grünen.

Kapitel 9 verzeichnet die verwendeten Literaturquellen und Onlinequellen. Eine umfangreiche Erfassung der Rechtsgrundlagen in Kapitel 10 listet themenrelevante Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union und Gesetze und Verordnungen der Republik Österreich auf.

EU-ENERGIEPOLITIK UND ELEKTRIZITÄTSWIRTSCHAFT

EINLEITUNG

Die Elektrizitätswirtschaft hat sich in Europa über einen Zeitraum von über 100 Jahren zuerst in den Städten und in der Folge auf regionaler und nationaler Ebene entwickelt. Die Energiewirtschaft im Allgemeinen und die Elektrizitätswirtschaft im Besonderen haben in der Vergangenheit und der Gegenwart und werden auch in der Zukunft immer einen sehr hohen Stellenwert in der sicherheitspolitischen Betrachtung auf Ebene der Nationalstaaten haben. In diesem Zusammenhang ist das Vorhandensein entsprechender Kompetenzen zur Wahrung der sicherheitspolitischen Interessen der Nationalstaaten von nicht unerheblicher Bedeutung.

Wenn man sich der Frage der Kompetenzverteilung zwischen nationalstaatlichen Institutionen und supranationalen europäischen Institutionen in den obengenannten Bereichen Energiewirtschaft und Elektrizitätswirtschaft nähert, lohnt sich zum besseren Verständnis der heutigen Situation ein Blick auf die historische Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg.

Einleitend darf festgestellt werden, dass der Bereich der Elektrizitätswirtschaft/Strom neben dem Bereich der Gaswirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg für lange Jahrzehnte auf europäischer Ebene nicht im Geringsten interessiert hat und lange Jahrzehnte zur Gänze Sache der Nationalstaaten war. Für den Bereich Elektrizitätswirtschaft/Strom brachten der Vertrag von Maastricht 1992 hinsichtlich der Tatsache, dass die Europäische Union sich des Bereiches erstmalig inhaltlich annahm, und der Vertrag von Lissabon 2007, der die Grundlage für weitreichende Änderungen im Rahmen des 3. Energiebinnenmarktpakets darstellte, die einschneidendsten Zäsuren.

EUROPÄISCHE ENERGIEPOLITIK 1951 BIS 1973

Die europäische Energiepolitik der 1950er- und 1960er-Jahre war geprägt von den Anforderungen des Wiederaufbaus Europas nach dem Zweiten Weltkrieg und der Sicherstellung der dafür notwendigen Ressourcen im Energiebereich. Sie fokussierte sich deshalb auf die Energieträger Kohle, Erdöl und Nuklearenergie.

So kam es 1951 zur Gründung und 1952 zum Inkrafttreten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)1, oft auch „Montanunion“ genannt, als erster supranationaler Organisation und Vorläuferin der heutigen Europäischen Union. Ziel war es, für Kohle und Stahl als wichtigste Ressourcen für den Wiederaufbau Europas Bedingungen einer Freihandelszone ohne Zölle zu schaffen. Mit der „Hohen Behörde“, die gemeinsame Regelungen für alle Mitgliedstaaten treffen konnte, wurde erstmalig eine supranationale Institution mit Entscheidungskompetenzen geschaffen. Der EGKS-Vertrag wurde 1952 für eine Zeitdauer von 50 Jahren geschlossen und lief 2002 aus.

Zu Beginn der 1950er-Jahre betrug der Anteil der Kohle an der Primärenergieerzeugung in Europa nahezu 90 %. Die steigende Bedeutung des Energieträgers Erdöl in den folgenden Jahren und die durch die Suezkrise 1956 ausgelösten großen Sorgen hinsichtlich der energiewirtschaftlichen Versorgungssicherheit Europas führten in weiterer Folge dazu, die Nuklearenergie in Europa als Alternative ernsthaft zu fördern, um einerseits billige Energie für eine wachsende Wirtschaft zu bekommen und andererseits Europas Abhängigkeit von Ölimporten aus politisch unsicheren Regionen zu minimieren.

Dies führte 1957 mit den so genannten „Römischen Verträgen“2 zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM). Mit dem EURATOM-Vertrag3 wurde ein klares Bekenntnis zur friedlichen Nutzung der Atomenergie abgegeben mit den Zielen, diese Energiequelle künftig effizient zu nutzen, gemeinsame Sicherheitsstandards zu entwickeln und einen Rahmen für die Forschung in diesem Bereich zu implementieren.

Gleichzeitig wurden mit den Römischen Verträgen 1957 zwei weitere für die europäische Integration wichtige Abkommen geschlossen. Erstens der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und zweitens das Abkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften (EG). Mit den Römischen Verträgen 1957 wurden somit als „Dach“ die Europäischen Gemeinschaften (EG) in Leben gerufen, die aus drei Gemeinschaften und gemeinsamen Organen bestanden:

der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS),

der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM),

der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG),

einer gemeinsamen parlamentarischen Versammlung (dem Vorgänger des heutigen Europäischen Parlaments), einem gemeinsamen Gerichtshof und einem gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialausschuss.

Für die Frage der Kompetenzverteilung zwischen nationalstaatlichen Institutionen und supranationalen europäischen Institutionen sind die mit den Römischen Verträgen 1957 neu geschaffenen Kommissionen von EURATOM und EWG von wesentlicher Bedeutung. Die Struktur dieser zwei neuen Kommissionen war im Wesentlichen jene der „Hohen Behörde“ des EGKS-Vertrages 1952, die im Übrigen bereits seit ihrer Gründung auch als „Kommission“ bezeichnet wurde, nachempfunden. Ab 1958 bestanden demnach drei Kommissionen, eine für den EGKS, eine für EURATOM und eine für den EWR. Deren Mitglieder wurden von den Mitgliedstaaten ernannt und wählten aus ihrem Kreis einen Präsidenten4.

Mit dem EG-Fusionsvertrag 19655 wurden alle drei Kommissionen zu einer einzigen zusammengeführt, so wie auch ein gemeinsamer Rat die bis dorthin bestehenden drei Räte zusammenfasste.

Energiepolitisch geschah in den nächsten Jahren auf europäischer Ebene sehr wenig, es wurden zwar einige Strategiepapiere und Empfehlungen der Kommission entwickelt, umgesetzt wurde aber gar nichts. Im Jahr 1969 überholte das Erdöl die Kohle als wichtigster Primärenergieträger in Europa.

EUROPÄISCHE ENERGIEPOLITIK 1973 BIS 1986

Durch Ereignisse außerhalb Europas kam dann aber doch Bewegung in die Europäische Energiepolitik. Der Jom-Kippur-Krieg 1973 zwischen Israel und Ägypten/Syrien – Israel unterstützt von den USA und weiteren westlichen Staaten, Ägypten/Syrien unterstützt von arabischen Staaten und der Sowjetunion – führte unter anderem dazu, dass die in der OPEC6 organisierten erdölproduzierenden Staaten als Reaktion auf die westliche Unterstützung Israels beschlossen, die Ölproduktion dramatisch zu drosseln. Dies führte zu einem enormen Anstieg der Ölpreise, dem ersten „Ölpreisschock“ 1973, der eine veritable Wirtschaftskrise in Europa auslöste. Gleichzeitig traten 1973 Großbritannien, Irland und Dänemark den drei Gemeinschaften bei, was aus Gesichtspunkten der Versorgungssicherheit aufgrund der Erdöl- und Erdgasvorkommen in der Nordsee positiv war.

Als Konsequenz auf das Verhalten der OPEC wurde am 15. November 1974 auf Vorschlag der USA die Internationale Energieagentur (IEA)7 als eine autonome Einheit der OSZE mit Sitz in Paris gegründet. Sie sollte einerseits ein Gegengewicht zur OPEC darstellen, so verfügt sie über strategische Ölreserven, mit denen sie in den Ölmarkt eingreifen kann. Andererseits ist sie eine Kooperationsplattform im Bereich der Forschung, Entwicklung, Markteinführung und Anwendung von Energietechnologien. Der jährlich erscheinende „World Energy Outlook“ der IEA gilt mittlerweile als die „Bibel der Energiewirtschaft“ 8.

Auch auf europäischer Ebene reagierte man auf die Ereignisse des „Ölpreisschocks“ 1973. So stellte die Kommission im Jahr 1974 klar fest, dass die Europäischen Gemeinschaften (EG) eine gemeinsame, abgestimmte Energiepolitik brauchen. Der Rat stimmte dem zu und quantifizierte mit seiner Resolution vom 17. Dezember 19749 erstmals energiepolitische Ziele, die naturgemäß stark von dem Gedanken der Erhöhung der Versorgungssicherheit geprägt waren. So legte man unter anderem als Ziele fest, die Energieimporte aus Drittstaaten bis 1985 auf unter 50 %, wenn möglich auf unter 40 % zu senken. Außerdem sollte der Energieverbrauch generell bis 1985 um 15 % und der Ölverbrauch um 9 % verringert werden.

Die 1980er-Jahre waren energiepolitisch von zwei einschneidenden Ereignissen geprägt: Einerseits dem zweiten „Ölpreisschock“ in den Jahren 1980/81 als Ergebnis drastischer Produktionsverringerungen im Iran und Irak aufgrund der Iranischen Revolution 1979 und dem 1980 beginnenden Krieg zwischen diesen beiden Ländern. (Die Kommission und der Rat reagierten mit weiteren Resolutionen zur Erhöhung der Versorgungssicherheit und der effizienteren Nutzung von Energie, die praktische Umsetzung war jedoch vernachlässigbar.) Andererseits führte der Reaktorunfall im Kernkraftwerk Tschernobyl im Jahr 1986 zumindest zu der Entscheidung des Rates vom 17. Dezember 198710, den Informationsaustausch in frühen Phasen eines atomaren Notfalls zu verbessern.

EINHEITLICHE EUROPÄISCHE AKTE 1986

Die 1980er-Jahre waren auf europäischer Ebene geprägt vom Prozess der Integration, welcher 1992 mit dem Vertrag von Maastricht und der Gründung der Europäischen Union seinen Abschluss finden sollte. Europäische Energiepolitik spielte in dieser Zeit eine untergeordnete Rolle. Das große Ziel der 1980er-Jahre war die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes für die mittlerweile auf 12 Mitglieder angewachsenen Europäischen Gemeinschaften (EG)11.

Ein wichtiger Zwischenschritt auf diesem Weg war die Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) am 17. bzw. 28. Februar 198612 in Luxemburg als Zusatzvertrag zu den bestehenden Gemeinschaftsverträgen einerseits und mit der Schaffung einer rechtlichen Grundlage für die bestehende Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ). Die EEA brachte vor allem Neuregelungen hinsichtlich der Entscheidungsprozesse im Rat, der Befugnisse der Kommission und eine deutliche Aufwertung des Europäischen Parlaments.

Obwohl die EEA 1986 in keinem Teil explizit auf energiepolitische Fragestellungen Bezug nahm, hatte sie indirekt dennoch Einfluss auf die weitere Entwicklung des Energiesektors insoweit, als die hier postulierten Ziele der Förderung der Liberalisierung, des Wettbewerbs, des marktwirtschaftlichen Zugangs und der Erreichung eines europäischen Binnenmarktes in den weiteren Jahrzehnten zu massiven Änderungen im Energiesektor im Allgemeinen und im Bereich der Elektrizitätswirtschaft im Besonderen führen sollte.

Erwähnenswert ist auch, dass mit der EEA 1986 erstmalig der Bereich des Umweltschutzes ein eigenständiger Themenbereich von Bedeutung wurde. In den 1980er-Jahren dominierte bei der Verknüpfung der Themen Senkung des Energieverbrauches und Umweltschutz das Problem Treibhauseffekt. Dies führte am 7. Mai 1990 zur Gründung der Europäischen Umweltagentur (EUA)13, die 1994 ihre Arbeit mit Sitz in Kopenhagen aufnahm.

VERTRAG VON MAASTRICHT 1992: DIE EUROPÄISCHE UNION (EU)

Mit dem Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 199214 wurde der bis dorthin größte Schritt der europäischen Integration gesetzt. Er löste die Römischen Verträge von 1957 ab und führte zur Gründung der Europäischen Union (EU) als übergeordnetem Verbund für die drei Europäischen Gemeinschaften. Darüber hinaus wurde die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres gegründet.

Für die europäische Energiewirtschaft im Allgemeinen und die europäische Elektrizitätswirtschaft im Besonderen hat der Vertrag von Maastricht 1992 erhebliche Relevanz. Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges interessiert sich die europäische Ebene in der Energiepolitik ernsthaft für die Bereiche der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft.

Zwar ist kein eigenes Kapitel des Vertrags explizit der Energiepolitik gewidmet, erstmals wird jedoch das Thema Energie im Primärrecht der Europäischen Gemeinschaften behandelt und mit dem Vertrag von Maastricht 1992 ein Prozess in Gang gesetzt, der insbesondere für den Bereich der Elektrizitätswirtschaft in den folgenden 30 Jahren weitreichende Veränderungen bringen sollte.

Abgeleitet von den vier Grundfreiheiten zur Verwirklichung des Binnenmarktes der Europäischen Union (Freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, Freier Kapital- und Zahlungsverkehr)15 war es Ziel der Europäischen Union, die Grundregeln dieses Binnenmarktes schrittweise auch auf die Elektrizitätswirtschaft zu übertragen16, um diesen Bereich auch von den Vorteilen eines Binnenmarktes profitieren zu lassen. Dies war die strategische Zielvorgabe von 1992, die in den folgenden Jahrzehnten durch insgesamt drei Energiebinnenmarktpakete umgesetzt wurde.

Energiepolitik als Angelegenheit der Europäischen Union

Zu Beginn der 1990er-Jahre waren die meisten Bereiche der Elektrizitätswirtschaft und auch der Gaswirtschaft im Eigentum nationaler Gesellschaften der öffentlichen Hand in einem monopolartig strukturierten Markt. Aufgabe, Kompetenz, Verantwortung und Gestaltungsmacht lagen voll in Händen der entsprechenden politischen Entscheidungsträger und Manager der überwiegend im Eigentum der öffentlichen Hand stehenden Unternehmen.

Es war das 1992 definierte strategische Ziel der Europäischen Union, diese Märkte der Elektrizitätswirtschaft schrittweise für den Wettbewerb zu öffnen, indem:

zwischen Bereichen des Wettbewerbs (z. B. die Versorgung der Abnehmer mit Elektrizität) und nicht-wettbewerblichen Bereichen (z. B. vor allem die Infrastruktur und die Netze) klar unterschieden wird.

Betreiber von Netzen und anderer nicht-wettbewerblicher Infrastruktur Dritten den freien Zugang erlauben müssen.

Barrieren auf Erzeugerseite abgebaut werden müssen.

der Wechsel von Anbietern frei möglich sein muss.

unabhängige Regulierungsbehörden geschaffen werden, die den Sektor überwachen.

Mit dem Ziel, schrittweise den Energiebinnenmarkt zu verwirklichen, war freilich faktisch bereits 1992 die Entscheidung gefallen, mittelfristig die gesamte Energiepolitik zu einer Angelegenheit der Europäischen Union zu machen.

Das gängige Prozedere war ab diesem Zeitpunkt jenes, dass auf Ebene der EU zuerst seitens der Kommission entsprechende Strategiepapiere entwickelt und zunächst als Grünbuch, in weiterer Folge als Weißbuch17, Mitteilungen oder Empfehlungen veröffentlicht wurden, danach das Trilogverfahren mit dem Rat und dem Europäischen Parlament in Gang gesetzt wurde, das schließlich mit entsprechenden Richtlinien und Verordnungen des Rates und des Europäischen Parlamentes seinen Abschluss fand. Die EU-Verordnungen sind dann auf Ebene der Nationalstaaten unmittelbar gültiges Recht, die EU-Richtlinien sind binnen vorgegebener Frist in nationales Recht umzusetzen.

Grünbuch der Kommission vom 20. November 2000

Am 29. November 2000 legte die Kommission ein Grünbuch mit dem Titel „Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit“ vor. In diesem geht es vornehmlich um die Eindämmung der Gefahr der Importabhängigkeit Europas von fossilen Energieimporten aus Russland und dem Nahen Osten.

Viel interessanter hinsichtlich der Frage der Kompetenzverteilung zwischen Europäischer Union und Nationalstaaten in der Energiepolitik ist jedoch folgender Passus: „Der Energiepolitik ist heute eine europäische Dimension zugewachsen: Die Mitgliedstaaten sind heute sowohl bei Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels als auch im Hinblick auf die Verwirklichung des Energiebinnenmarktes voneinander abhängig. Dieser Umstand spiegelt sich jedoch nicht in neuen Zuständigkeiten der Gemeinschaft wider. Die Einflussnahme der Gemeinschaft kann über Zuständigkeiten in mehreren Bereichen, vor allem in den Bereichen Binnenmarkt, Harmonisierung, Umweltschutz und Besteuerung, erfolgen. Das Fehlen eines politischen Konsenses zugunsten einer gemeinschaftlichen Energiepolitik begrenzt jedoch die Interventionsmöglichkeiten. Es ist zu prüfen, ob nicht eine Erweiterung der Befugnisse der Gemeinschaft im Energiebereich sinnvoll wäre, damit die EU ihre Energieversorgung besser in den Griff bekommen kann.“18

Rechtsgrundlage für gesetzliche Maßnahmen der Europäischen Union im Energiebereich war demnach die aus der allgemeinen Binnenmarktzuständigkeit abgeleitete Zuständigkeit für die Verwirklichung des Binnenmarktes in den Bereichen Elektrizitäts- und Gaswirtschaft. Ziel war es jedoch, die Befugnisse zu erweitern und auf eine direkte primärrechtliche Grundlage zu stellen. Dies sollte mit dem Vertrag von Lissabon 2007 geschehen.

Die untenstehende Grafik bietet einen Überblick der energiepolitischen Schwerpunkte der europäischen Institutionen über die Zeit.

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Quelle: E-Control

Der Weg war mit der Gründung der Europäischen Union 1992 vorgezeichnet. Mit der zunehmenden Bedeutung, den Nachhaltigkeit und Umweltschutz in den späten 1990er-Jahren erlangen sollten19, standen unter dem Dach der Umsetzung des Energiebinnenmarktes bereits um das Jahr 2000 die strategischen Ziele der EU so, wie sie bis zum heutigen Tag verfolgt werden, im Wesentlichen fest:

Nachhaltigkeit

Versorgungssicherheit

Wettbewerbsfähigkeit

Energiepolitik soll in die Kompetenz der EU fallen

Mit dem Beitritt von Finnland, Österreich und Schweden im Jahr 1995 hatte die Europäische Union nunmehr 15 Mitgliedstaaten. Die Umsetzung des Energiebinnenmarktes als integralem Bestandteil des umfassenden europäischen Binnenmarktes erfolgte in drei Binnenmarktpaketen, die im Folgenden beschrieben werden.

DIE UMSETZUNG DES ENERGIEBINNENMARKTES BIS 2009

Am 13. Dezember 1995 veröffentlichte die Kommission das Weißbuch „Eine Energiepolitik für die Europäische Union“20 und beschreibt in diesem 45-seitigen Dokument den Weg zur Verwirklichung des Binnenmarktes im Bereich der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft.

Das 1. Energiebinnenmarktpaket 1996/98

Am 19. Dezember 1996 erließen das Europäische Parlament und der Rat die „1. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie“21, die gemeinsam mit der am 22. Juni 1998 von Europäischem Parlament und Rat erlassenen „1. Gasbinnenmarktrichtlinie“22 das „1. Energiebinnenmarktpaket“ bildete.

Die „1. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie“ setzte erste Schritte in Richtung Verwirklichung des Binnenmarktes und Liberalisierung des Marktes der Elektrizitätswirtschaft. Sie beschäftige sich mit der Regelung der Verfahren für die Genehmigung neuer Erzeugungsanlagen, stellte fest, dass es für das Übertragungsnetz eine verantwortliche Stelle geben muss, bereitete die Trennung von Erzeugung, Verteilung und Vertrieb im Bereich des Rechnungswesens vor, schuf Regelungen hinsichtlich des Zuganges Dritter zum Netz und sah eine unabhängige Streitschlichtungsstelle vor.

Die Richtlinie wurde in Österreich am 18. August 1998 mit dem „Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz“ (ElWOG) 1998 in nationales Recht umgesetzt.23

Das 2. Energiebinnenmarktpaket 2003

Mit dem „2. Energiebinnenmarktpaket“ 200324, dessen beide Richtlinien in der Literatur oft auch als „Beschleunigungsrichtlinien“25 bezeichnet werden, wurde der Prozess der Marktliberalisierung und der Verwirklichung des Energiebinnenmarktes in den Bereichen der Elektrizitätswirtschaft und der Gaswirtschaft beschleunigt fortgesetzt.