FORTSETZUNG FOLGT in: Falk Band 10 - Schatten der Vergangenheit

 

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Impressum

 

Originalausgabe Juni 2021

Charakter und Zeichnung: Falk © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators

Text © Melanie Brosowski

Copyright © 2021 der E-Book-Ausgabe Verlag Peter Hopf, Minden

 

Redaktionelle Betreuung: Ingraban Ewald

Umschlaggestaltung: etageeins, Jörg Jaroschewitz

Hintergrundillustration Umschlag: © ihervas – Fotolia.com

 

ISBN ePub 978-3-86305-304-8

 

www.verlag-peter-hopf.com

 

Hansrudi Wäscher wird vertreten von Becker-Illustrators,

Eduardstraße 48, 20257 Hamburg

www.hansrudi-waescher.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

 

 

Inhalt

 

VORWORT

 

DER GEHEIMNISVOLLE FLÖTENSPIELER

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

 

DIE TEUFEL VON RODENAU

ACHT

NEUN

 

 

 

Vorwort

 

WÄSCHER 2.0 –

DIE RÜCKKEHR DER HELDEN

 

Der vorliegende Band stellt in der Reihe der Roman-Adaptionen der Comics von Hansrudi Wäscher ein Novum dar: Erstmals stammt zumindest ein Teil der Vorlagen nicht mehr aus der klassischen Ära des Lehning Verlags!

Diese hatte bekanntlich im Mai 1968 ein für den Künstler wie für seine treuen Leser gleichsam überraschendes Ende gefunden, und wenn auch Wäscher mit dem Bastei Verlag schon bald einen neuen, zuverlässigen Arbeitgeber fand, so konnten die dort von ihm gezeichneten, stets abgeschlossenen »Buffalo Bill«-Hefte für seine Fans niemals ein Ersatz für die geliebten Helden ihrer Kindheit wie Sigurd, Falk oder Nick sein.

Vor allem in den 1970er Jahren bekamen die alten Lehning-Ausgaben deshalb immer mehr Kultstatus und erzielten schon bald beachtliche Liebhaberpreise. Wohl kaum jemand konnte sich damals aber wohl vorstellen, dass die alten Helden noch einmal in großem Stil auferstehen und neue spannende Abenteuer erleben würden.

Die sich entwickelnde Sammlerszene indes war auch ein guter Nährboden für jemanden wie Norbert Hethke, der, zunächst selbst nur privater Fan, binnen weniger Jahre zum ambitionierten Händler und schließlich zum exklusiven Verleger von Lehning-Nachdrucken aufstieg. Und 1982 konnte Hethke dann seinen größten Coup landen: er brachte Hansrudi Wäscher dazu, eigens für seinen Verlag kreierte neue Comics zu zeichnen!

Nach dem extra zu diesem Zweck geschaffenen neuen Helden Fenrir war es ab 1984 endlich soweit: nach mehr als 15 Jahren Pause starteten auch Sigurd, Nick & Co. im Hethke Verlag wieder neu durch! Die Freude bei den Fans war riesengroß – wenn es auch deutliche Unterschiede zu der alten Zeit gab: die Zeichnungen waren jetzt viel detailreicher und opulenter, die Plots der Geschichten dafür weniger episch angelegt. Letzteres lag vor allem in der Veröffentlichungsform begründet: die neuen Abenteuer wurden in der Regel in vier Ausgaben von Hethkes Magazin »Die Sprechblase« vorveröffentlicht und dann, abzüglich etwaiger redundanter Übergangsseiten, zu einem 46-seitigen Album zusammengefasst, das, zumindest in den ersten Hethke-Jahren, ein abgeschlossenes Abenteuer enthielt.

Was nun unseren FALK angeht, so dauerte es, vom Lehning-Ende an gerechnet, sogar mehr als 18 Jahre, bevor seine große Stunde bei Hethke schlug. Ab Herbst 1986 wurde in den »Sprechblase«-Ausgaben 79 – 82 endlich seine Story beendet, die, nach 17 Heften der zweiten, gelben Piccolo-Serie, seinerzeit im spannendsten Moment abrupt abgebrochen worden war! Hansrudi Wäscher verstand es wie immer geschickt und routiniert, die alten Fäden wieder aufzunehmen und das Abenteuer um einen unheimlichen Vampir und eine groß angelegte Intrige gegen den Grafen Dino del Monte zu einem packenden Finale zu führen.

Gleichwohl gibt es aber wenigstens einen Anhaltspunkt dafür, dass die Fortsetzung damals, fast zwei Jahrzehnte zuvor, einen anderen Verlauf genommen hätte: im Piccolo-Heft 17 wird nämlich als Folgetitel »Der verborgene Dolch« angekündigt – während in der schließlich realisierten Version ein solches Handlungselement nirgends mehr eine Rolle spielt!

Fast genau sechs Jahre nach dem nun mit »Grafschaft der Angst« betitelten Story-Abschluss hatten Falk und sein Freund Bingo in dem Kurzabenteuer »Die Teufel von Rodenau« dann einen weiteren Auftritt in der »Sprechblase«, diesmal sogar auf sechs Ausgaben verteilt. Und um die klassischen Fans vollkommen zu befriedigen, wurden beide Geschichten später auch noch auf das Piccolo-Format umgearbeitet und an die zweite Serie angeschlossen (Heft 18 – 22 bzw. 23 – 26). Ende gut, alles gut!

Ende? – Nein! Denn trotz der langen Pause bewies Hansrudi Wäscher auch bei seinen Hethke-Geschichten Kontinuität: Falk und Bingo waren immer noch auf dem Rückweg von ihrer großen Reise in den Süden, zu der sie schon kurz nach ihrem Kennenlernen 1960 aufgebrochen waren. Also musste es nun mindestens noch ein weiteres Abenteuer geben, in dem die Gefährten endlich Falks nördliche Heimat wieder erreichen würden!

Um diese schließlich im Jahr 2000 unter recht ungewöhnlichen Bedingungen entstandene »Heimkehr-Story« soll es dann im nächsten und letzten regulären Band dieser Buchausgabe gehen …

 

Ingraban Ewald

 

 

 

MELANIE BROSOWSKI

Grafschaft der Angst

Falk Band 9

 

 

 

Erster Teil

DER GEHEIMNISVOLLE FLÖTENSPIELER

 

 

EINS

 

Ritter Falk von Steinfeld und sein Freund Ritter Bingo della Rocca waren von einer langen, abenteuerlichen Reise in den Süden nun wieder auf dem Heimweg. Dank Bingos ›einzigartiger‹ Ortskenntnis hatten die Freunde sich verirrt.

Falk hatte das schon vor Tagen geahnt, bisher aber geschwiegen. Bingo reagierte bei Vorwürfen bisweilen sehr ungehalten. Irgendwann jedoch reichte es Falk, auch wenn er diesen schönen Tag damit vermutlich ruinieren würde. Als sie Seite an Seite einen kaum noch erkennbaren Weg entlangritten, platzte es aus ihm heraus. »Ich wette zehn Goldstücke, dass du keine Ahnung …«

»Einen Augenblick, Falk!«, unterbrach Bingo ihn, als wüsste er, in welche Richtung das Gespräch laufen würde. Er seufzte und fasste in seine Satteltasche. Das Metall war kühl in seinen Händen. Die Münzen klapperten leise, als er sie herausholte und Falk hinhielt, der diese mit einer gewissen Genugtuung nahm. »Hier sind die zehn Goldstücke. Es zerreißt mir das Herz.« Er gestikulierte dramatisch mit weit ausholenden Handbewegungen. Die Feder an seinem Barett wippte. »Aber der großartige, einmalige, unfehlbare …«

Falk verdrehte leicht genervt die Augen.

»… Bingo ist durch widrige Umstände …«

Widrige Umstände?, dachte Falk amüsiert.

»… leider nicht in der Lage zu sagen …«

»Halt, halt!« Falk lachte. »Sag es kurz und ohne Umstände: Ich habe recht!«

Theatralisch schlug Bingo sich mit der Linken gegen die Stirn und schloss für einen kurzen Moment die Augen. »Es ist so! Entsetzlich!« Seine Stimme wanderte eine Oktave höher. »Wo legen wir unsere müden Häupter nieder?«

»Vielleicht kommen wir vor Anbruch der Nacht doch noch in ein Dorf.« Noch hatte Falk die Hoffnung nicht ganz aufgegeben.

Und tatsächlich, sie hatten Glück. Ein paar Minuten später zügelte Bingo sein treues Pferd. »Oh! Was erspäht meine unfehlbare Pupille? Eine Burg!«

Falk folgte seinem Blick. Burg? Nun, diese Bezeichnung erschien ihm etwas übertrieben, soweit er das von hier aus beurteilen konnte. Die Silhouette war … unvollständig. Ein großer Teil der Festung schien zu fehlen. »Hm. Es scheint mehr eine Ruine zu sein«, meinte er, als sie weiterritten und er mehr erkennen konnte. Die besten Zeiten hatte dieses Gemäuer längst hinter sich.

»Besser ein löchriges Dach über dem Kopf als gar keines, Falk«, entgegnete Bingo pragmatisch. Er gab sich mit allem zufrieden, solange er nicht unter freiem Himmel schlafen musste. »Es ist nicht weit. Da vorne zweigt der Weg ab. Lass uns hinaufreiten!«

Falk war vorsichtig. Wie oft waren sie schon in einen Hinterhalt geraten? Er sah sich aufmerksam um. »Ich bin mehr dafür weiterzureiten. Wenigstens bis hinter den Hohlweg. Von dort hat man bestimmt einen weiten Blick ins Land.«

Bingo schnaubte abfällig. »Das ist Zeitverschwendung! Dort oben finden wir mit Sicherheit ein ruhiges Plätzchen.«

Falk gab nach. Er hatte keine Lust, sich zu streiten. »Na schön.«

 

*

Die zwei Ritter blieben nicht unbemerkt. Jemand beobachtete ihr Näherkommen bereits eine ganze Weile von einem hohen Turm aus. Um genau zu sein von jenem Turm, den Falk und Bingo erspäht hatten. Es war der perfekte Ort, um alles in der Gegend im Blick zu haben.

»Sieh an! Zwei Reiter, die ihre Nasen in Dinge stecken wollen, die sie nichts angehen. Hat Graf Dino del Monte doch noch Dumme gefunden?«

Augenblicke später tönte eine eigenartige, auf einer Flöte geblasene Melodie durch das Gemäuer. Sie brach sich an den Wänden und hallte seltsam wider.

Eine Spinne krabbelte einen der Steine hoch und begann, ihr Netz instand zu setzen.

Eine graue Maus huschte hinaus ins Freie und verschwand unter einem nahe gelegenen Busch.

»Kommt herbei, meine gefiederten Freunde, kommt herbei!«

Drei Adler wandten ihre Köpfe in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Sie waren aufgeregt. Unruhig.

»Tötet die Eindringlinge, meine Freunde! Stoßt auf sie hinab!«

Als hätten die Tiere nur auf einen Befehl gewartet, stoben sie mit kräftigen Flügelschlägen aus dem Turm.

 

*

Bingo entdeckte sie zuerst. »He! Aus dem verfallenen Turm fliegen drei Adler. Der eine ist ja … riesig!« Noch nie in seinem Leben hatte er ein so großes Exemplar gesehen. Es war wirklich gewaltig. Als wäre das Tier einem Albtraum entsprungen.

Auch Falk hatte die Tiere bemerkt. »Donnerwetter, ja!« Er war ebenso beeindruckt wie sein Freund und Gefährte. »Übrigens … mir war, als hätte ich Flötenspiel gehört.«

Bingo nickte zustimmend. »Mir war auch so. Aber das war sicher eine Täuschung. Wahrscheinlich verursacht der Wind, der durch das Gemäuer bläst, solche Geräusche«, vermutete er. Denn wer sollte schließlich schon hier draußen im Nirgendwo rumsitzen und Flöte spielen? »Wir … He! Die Adler!«

»Bei allen … sie fliegen auf uns zu!« Solch ein Verhalten kannte Falk von diesen Tieren nicht. Normalerweise waren sie scheu und machten einen großen Bogen um Menschen. Zumindest die, denen er bisher begegnet war.

Bingo traute seinen Augen nicht. »Sie … sie greifen uns an!«, stieß er überrascht hervor. Warum? Sie hatten ihnen nichts getan.

Die Vögel kamen direkt auf sie zu und stießen dabei schrille Töne aus.

»Das ist ja … seit wann greifen Adler Menschen an, ohne dass sie gereizt wurden oder man ihrem Horst zu nahe gekommen ist?« Falk überlegte fieberhaft, was sie tun sollten.

Bingo hatte sich schon entschlossen. Er zog sein Schwert. »Diese Raubvögel tun es jedenfalls. Zieh auch dein Schwert, Falk!«

Für eine Flucht war es bereits zu spät. Ohnehin gab es außer dem Turm nichts, was ihnen Schutz geboten hätte. Und so folgte Falk Bingos Beispiel.

Die Freunde wehrten den ersten Angriff der Raubvögel ab. Doch als die Adler kurz darauf zurückkehrten, scheuten die Pferde. Bingo verlor die Kontrolle und fiel aus dem Sattel, schlug hart auf der Erde auf und stöhnte.

 

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»Bingo!« Falk blieb vor Schreck fast das Herz stehen, als sich einer der Adler sofort auf den am Boden Liegenden stürzte. Ohne seine Waffe, die er verloren hatte, war Bingo dem Tier hilflos ausgeliefert. Immer wieder hieb es mit seinem scharfen Schnabel nach ihm, nachdem es ihm mit seinen spitzen Krallen einige tiefe Kratzer versetzt hatte.

»Hilfe!«

»Ich komme, Bingo! Halte durch! Ich bin gleich bei dir!« Falk sprang vom Pferd und rannte los, voller Sorge um seinen Freund. »Da!« Ein gezielter Hieb gegen den Kopf eines der angreifenden Tiere schleuderte es zur Seite. »Du greifst keinen Menschen mehr an!«

»Hinter dir, Falk! Vorsicht!«

Die Warnung kam in letzter Sekunde. Mit knapper Not entging Falk dem Schnabelhieb. Doch die scharfen Fänge des Raubvogels zerrissen sein Wams und hinterließen schmerzhafte Spuren auf seinem Oberkörper. »Ah!« Wütend ging Falk zum Gegenangriff über. »Jetzt hört die Gemütlichkeit auf! Da und da, du gefiederter Räuber!«

Bingo, der immer noch benommen am Boden lag, bemerkte zu seinem Entsetzen das Näherkommen des dritten Adlers. »Jetzt … hört alles auf, Falk! Der Riesenadler stürzt sich auf uns.« Mühsam rappelte er sich auf. Niemals hätte er gedacht, dass er mal so enden würde. Dahingestreckt von einem Vogel!

Falk nickte. »Wirf dich erst im letzten Augenblick zur Seite, Bingo. Vielleicht zerschmettert er am Boden.«

»Mach ich.«

Doch …

Falks Plan ging nicht auf. Im letzten Moment drehte der Vogel ab.

»Er fliegt davon, Falk!«

»Gott sei Dank!« Erleichtert stieß Falk die Luft aus und lauschte. »Oh! Da ist wieder das Flötenspiel!« Er sah dem Tier nach. »Und der Adler kehrt auf den Turm zurück.

Hm …«

Bingo krauste nachdenklich die Stirn. Auch er vermutete einen Zusammenhang. »Sollte es möglich sein, dass das Flötenspiel eine Art Befehl ist? Ich habe zwar noch nie davon gehört, dass man Adler auf diese Weise abrichten kann …«

»Ich auch nicht. Aber vergiss nicht, man kann sie zur Jagd abrichten wie Falken und andere Raubvögel.«

Bingo legte einen Zeigefinger an sein Kinn. »Auf Hasen … Ja! Aber auf Menschen? Und dann noch mit Musik! Es ist nicht zu fassen! Wie dem auch sei, mit einem Hasen bin ich bestimmt nicht zu verwechseln.« Er klang leicht empört.

»Mir ist nicht zum Scherzen zumute! Komm!« Da ihre Pferde fortgelaufen waren, machte Falk sich zu Fuß auf den Weg. »Unsere Pferde sind durch den Hohlweg geflohen. Hoffentlich finden wir sie.«

»Allmächtiger!« Erst jetzt wurde Bingo die ganze Tragweite bewusst. »Unser Geld und die Begleitschreiben der Grafen und Fürsten, bei denen wir zu Gast waren, sind in den Satteltaschen! Ganz davon zu schweigen, dass ich ungern zu Fuß gehe.«

Nun, wer tat das schon? Noch dazu, wenn man ein Ritter war.

»Außerdem tun mir alle Knochen weh … und die Kratzer und Schrammen brennen …«

Genervt stapfte Falk weiter. »Glaubst du, meine Kratzer bereiten mir Wohlbehagen? Wir können froh sein, dass es noch so glimpflich für uns ausgegangen ist!«, erinnerte er seinen Freund an ihr Glück. »Du hättest ein Auge oder – schlimmer noch – dein Leben verlieren können!«

 

*

Zur gleichen Zeit beobachtete der Fremde auf dem Turm die Rückkehr des gewaltigen Raubvogels, der in seinen Fängen seine toten Artgenossen trug.

»Diese Teufel!«, fluchte er ungehalten. »Zwei meiner gefiederten Freunde haben sie erschlagen. Gigantos, lege sie vorsichtig nieder!«

»Crieeee!«

»Ja, Gigantos, ich weiß, für dich wäre es ein Leichtes gewesen, die Eindringlinge zu töten. Aber sie hätten dich verwundet oder umgebracht. Nein, nein, ich musste dich zurückholen. Die beiden Männer entgehen ihrer Strafe nicht, Gigantos! Ich werde ihre Namen erfahren und Rache nehmen.«

Der Mann strich zärtlich über die Federn der toten Tiere.

Dafür würden die zwei Fremden bezahlen!

 

*

Sie waren gerade mal ein paar Schritte gegangen, als Bingo den Arm ausstreckte. »Da kommen Bewaffnete herangeritten. Und sie führen unsere Pferde mit.« Bingo grinste. Na, wenn das kein Wink des Schicksals war! Und das vor Einbruch der Dunkelheit.

»Das nennt man Glück!« Falk hob kurz sein Schwert, winkte damit. Ein Lächeln stahl sich auf sein abgekämpftes Gesicht. »Seid gegrüßt! Vielen Dank, dass Ihr unsere Pferde …«

»Eure Pferde?«, unterbrach der Anführer ihn, der sich nicht die Mühe machte abzusteigen, sondern auf seinem hohen Ross sitzen blieb. »Da muss ich aber lachen!« Der Mann trug eine schwere Rüstung und einen roten Umhang. Auf seinem Kopf saß ein Helm mit einer weißen Feder. »Seit wann besitzen zerlumpte Landstreicher wie ihr solch kostbare edle Tiere?«

»Hauptmann?« Einer der Gefolgsleute des Sprechers ergriff das Wort. »Die Kerle sind bewaffnet. Das … das sind bestimmt Räuber, die die Besitzer dieser Pferde umgebr…«

»Bei allen Teufeln!« Der Anführer nickte. In seinen Augen blitzte es auf. »So wird es sein. Außer den Männern, die im Dienst des Grafen stehen, darf niemand Waffen tragen. Werft die Waffen fort!«, fuhr er Falk und Bingo an, und an seine Männer gerichtet: »Fesselt sie!«

»He, hört doch!«, versuchte Falk zu erklären. »Wir …«

Aber der Mann interessierte sich nicht für Falks Worte. »Werft die Waffen fort! Und dann heraus mit der Sprache! Wo sind die Edelleute, denen die Pferde gehören?«

Falk dachte nicht daran, sich zu ergeben. Er hob die Waffe, als die Soldaten sich mit Stricken ihm und Bingo näherten. »Zurück!«

Die Soldaten waren ob der Gegenwehr überrascht und blieben stehen.

»So ist das! Ihr wollt lieber kämpfend sterben als mit einem Strick um den Hals.« Der Anführer der Gruppe nickte. »So sei es! Zurück, Männer! Ich reite die Kerle nieder!«

»Ihr macht einen Fehler, Hauptmann! Wir …« Bingo verstummte.

Der Hauptmann senkte die Lanze und spornte sein Pferd an. »Ihr seid selber schuld! Jetzt mache ich kurzen Prozess mit euch!«

»Er hört ja doch nicht, Bingo. Spare deinen Atem für das, was nun kommt. Wir machen es wie damals.«

Bingo verstand, ohne dass Falk deutlicher werden musste. Sie waren nun schon so lange Gefährten, dass sie sich nahezu wortlos verstanden. »Gut! Der arme Narr wird eine böse Überraschung erleben.«

Bingo stellte sich hinter Falk.

»Gut so! Jetzt kann ich euch beide auf einmal aufspießen.« Der Hauptmann lachte überheblich und preschte los.

Doch die Freunde sprangen im letzten Augenblick auseinander. Die Lanze des Hauptmannes stieß ins Leere. »He!« Er war verwirrt.

Falk und Bingo schnappten sich die Füße des Angreifers.

»Großer Himmel!«, stieß einer der Soldaten aus.

»Was … was ist das?«, fragte ein anderer.

»Bei allen …« Der Hauptmann war bemüht, sich im Sattel zu halten. Vergeblich. Falk und Bingo zogen ihn herunter und schleuderten ihn herum. Als sie losließen, flog er einige Meter durch die Luft.

»Wir wünschen Euch …«

» … einen guten Flug, Hauptmann!«, vollendete Bingo den Satz, den Falk begonnen hatte.

»Ah! Hilfe!« Der Hauptmann wusste nicht, wie ihm geschah.

»Allmächtiger!« Den Soldaten schlotterten vor Angst die Knie.

Und noch während der Hauptmann fiel und unsanft auf dem Boden landete, griffen die beiden Freunde wieder zu ihren Schwertern und sprangen auf den benommenen Hauptmann zu.

»Zurück, Männer!«, richtete Falk seine Worte nunmehr an die Soldaten, indes die Spitze seiner Waffe auf den Hals des Hauptmannes zielte. »Sonst habt ihr einen Hauptmann gehabt.«

»Ich habe es schon mit vielen kampfgewandten Männern zu tun gehabt …« Der Hauptmann erhob sich langsam. »… aber ihr schießt den Vogel ab!«

»Ihr habt hat es ungewollt getroffen, Hauptmann. Wenn uns nicht drei Raubvögel so zugerichtet hätten, dann wäre es wohl kaum zu diesem bedauerlichen Missverständnis gekommen.« Falk bedrohte ihn noch immer mit seinem Schwert.

»Wie? Ich verstehe nicht …«

Falk seufzte, begann dann von vorn. »Mein Name ist Ritter Falk von Steinfeld, und dies ist Ritter Bingo della Rocca«, stellte er seinen Freund und Gefährten vor.

Ein erstauntes Raunen ging durch die Gruppe der Soldaten.

»Die beiden Pferde gehören uns. Greift in die Satteltaschen! Dort findet Ihr Briefe, die meine Worte bestätigen.«

»Bei allen …« Der Hauptmann straffte die Schultern und befahl einem seiner Männer, besagte Papiere zu holen. Als er sie in den Händen hielt und überflog, schien ihm bewusst zu werden, welch großen Fehler er begangen hatte. »Großer Himmel! Ich … ich bitte tausend Mal um Entschuldigung!« Seine Stimme war nicht halb so fest wie noch vor ein paar Minuten.

Falk lächelte nachsichtig. »Schon gut, Hauptmann! Aber ich hoffe, das ist Euch für die Zukunft eine Lehre und Ihr werdet Fremde nicht mehr nur nach dem Äußeren beurteilen.«

»Ganz bestimmt nicht. Ich habe aus meinem Fehler gelernt.«

»Mein Freund und ich sind fremd in diesem Land. Wir wollten in der Burgruine dort übernachten.«

»Allmächtiger! Die Burgruine ist verflucht. Ein böser Geist haust darin!«

Der Hauptmann verdrehte die Augen und sah den Soldaten strafend an, der so dreist war, ohne Erlaubnis zu sprechen. »Ich halte das für Unsinn! Und deshalb sind wir hier. Ich will den albernen Gerüchten ein für alle Mal ein Ende setzen. Stellt Euch vor: Die Grafschaft unseres Herrn Dino del Monte lebt seit einigen Wochen in Angst und Schrecken … vor einem Hirngespinst! Auf der Burg, in der Ihr übernachten wolltet, lebte vor vielen Jahren ein sehr grausamer Ritter. Er kam unter geheimnisvollen Umständen vorzeitig ums Leben. Das Volk glaubt, er wäre als Vampir wiedergekommen. Ihr wisst … ein Ungeheuer, das Blut saugt. Das ist natürlich alles Mumpitz.«

Falk nickte. Dem stimmte er voll und ganz zu. Vampire gab es nicht. Das war volkstümlicher Aberglaube. »Selbstverständlich! Aber in der Burgruine hält sich tatsächlich jemand auf. Jemand, der mit seinem Flötenspiel Adler auf harmlose Reisende hetzt.«

Der Hauptmann war überrascht. »Habt Ihr das Flötenspiel wirklich gehört?«, versicherte er sich. »Ich dachte, das sei auch nur ein Gerücht.«

»Nein, das ist es nicht«, widersprach Bingo vehement.

»Auch die Adler! Zwei von ihnen haben wir erschlagen. Ihr seht ja, wie sie uns vorher zugerichtet haben!« Falk deutete auf seine zerrissene Kleidung.