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Paul Heyse

Novellen vom Gardasee

Paul Heyse

Novellen vom Gardasee

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-88-4

null-papier.de/522

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Wid­mung

Ge­fan­ge­ne Sing­vö­gel

Die Macht der Stun­de

San Vi­gi­lio

Ent­sa­gen­de Lie­be

Eine ve­ne­zia­ni­sche Nacht

An­ti­qua­ri­sche Brie­fe

Dan­ke

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Widmung

Mei­ner lie­ben Freun­din
Emma Kling
zu­ge­eig­net.

Gefangene Singvögel

(1901)


Mut­ter, lie­be Mut­ter,
Hü­ter stellst du mir?
Hüt’ ich mich nicht sel­ber,
Hilft kein Hü­ter dir,

(Spa­ni­sches Lied­chen.)

Dass vor mehr als hun­dert Jah­ren, ge­nau­er ge­sagt am 11. Sep­tem­ber 1786, der Gar­da­see ent­deckt wor­den ist, von kei­nem Ge­rin­ge­ren als un­se­rem größ­ten Dich­ter, weiß Je­der, der Goethe’s »Ita­lie­ni­sche Rei­se« ge­le­sen hat.

Frei­lich ging es mit die­ser Ent­de­ckung wie mit man­cher an­de­ren, die für den Kul­tur­fort­schritt der Mensch­heit noch wich­ti­ger war: sie wur­de bald wie­der zu­ge­deckt, noch ehe die Welt so recht von ihr er­fah­ren hat­te; wie eine Quel­le, die frisch zu Tage dringt, ein Weil­chen fort­fließt, dann aber bald von lo­cke­rem Erd­reich wie­der auf­ge­so­gen wird. Denn ob­wohl Goe­the den Gar­da­see »eine herr­li­che Na­tur­wir­kung«, »ein köst­li­ches Schau­spiel« ge­nannt, und von dem, was jetzt Ri­vie­ra heißt, der Stre­cke zwi­schen Gar­gna­no und Salò, er­klärt hat­te, »kei­ne Wor­te drücken die An­mut die­ser so reich be­wohn­ten Ge­gend aus«, war von dem Zau­ber des al­ten Benacus, von dem schon Vir­gil ge­rühmt hat­te, dass »sei­ne Bran­dung wie Mee­res­wo­gen rauscht und braus’t«, das fol­gen­de Jahr­hun­dert hin­durch un­se­res Wis­sens kaum die Rede. Man­zo­ni’s »Ver­lob­te« und Tor­wald­sen’s »Alex­an­der­zug« hat­ten den Co­mer­see in­ter­essant ge­macht, die Bor­ro­me­i­schen In­seln lock­ten große Frem­den­schwär­me in ihre Gär­ten, und die Schlacht von San Mar­ti­no war ge­schla­gen wor­den, ohne dass Sie­ger und Be­sieg­te für den zau­ber­haf­ten Aus­blick nach dem Mon­te Bal­do hin­auf Au­gen und Sinn ge­habt hät­ten.

Da war es vor etwa ei­nem Vier­tel­jahr­hun­dert ei­nem Land­schafts­ma­ler vor­be­hal­ten, den Gar­da­see von neu­em zu ent­de­cken.

Von ver­schie­de­nen Herbst­aus­flü­gen kehr­te mein Freund Bern­hard Fries mit ei­ner wohl­ge­füll­ten Map­pe vol­ler Skiz­zen und Öl­stu­di­en zu­rück, die er mit sei­nem hei­te­ren Ju­pi­ter­lä­cheln vor mir aus­brei­te­te. Er war noch ein Künst­ler der al­ten Schu­le, die der Na­tur ge­gen­über den Be­griff der Schön­heit ge­gen den der Stim­mung noch nicht ver­tauscht hat­te. Da­mals war frei­lich die »An­dacht zum Un­be­deu­ten­den«, die Ar­me­leut­ma­le­rei, der hys­te­ri­sche Hang zur Dis­so­nanz in Kunst und Li­te­ra­tur noch nicht auf­ge­kom­men. Im­pres­sio­nis­mus, schran­ken­lo­ser In­di­vi­dua­lis­mus und wie die Stich­wor­te der neu­en Kunst­an­schau­ung sonst noch hei­ßen, tön­ten noch nicht von den Lip­pen der nach Neu­em be­gie­ri­gen jun­gen Welt, und der Kult der schö­nen Li­nie, der fest­ge­glie­der­ten Form, der kräf­ti­gen Lo­kal­far­be wur­de erst etwa zehn Jah­re spä­ter als aka­de­mi­scher Zopf ver­höhnt.

Bern­hard Fries aber er­leb­te den An­bruch der neu­en Zeit noch, und wenn er dann in Aus­s­tel­lun­gen und Kunst­ver­ei­nen die­ser mo­der­nen Kunst be­geg­ne­te, be­trach­te­te er sie mit stil­lem Kopf­schüt­teln, wür­dig­te hie und da das Ta­lent, wen­de­te sich dann aber ru­hig ab und sag­te: Ich bin kein Kon­su­ment da­für.

Dann kehr­te er in sein be­schei­de­nes Ate­lier zu­rück, zu dem er ein Zim­mer sei­ner Woh­nung ein­ge­rich­tet hat­te, und fuhr fort, sei­ne Bil­der zu ma­len, wie es ihm ums Herz war, un­be­küm­mert, ob sich, trotz der sieg­rei­chen neu­en Rich­tung, »Kon­su­men­ten« da­für fin­den wür­den.

Dass ei­nem so ge­ar­te­ten Künst­ler das Herz auf­ge­hen muss­te ge­gen­über ei­ner Na­tur, »de­ren An­mut kei­ne Wor­te aus­drücken kön­nen«, be­greift man leicht. Auch war es kein Wun­der, dass er mit sei­ner Be­geis­te­rung mich an­steck­te. Ich hat­te auf frü­he­ren Ita­li­en­fahr­ten ei­ner eif­ri­gen Land­schafts­pfu­sche­rei ge­frönt. Da ich kein ei­gent­li­ches ma­le­ri­sches Ta­lent be­saß, auch einen Stim­mungs­ein­druck her­vor­zu­brin­gen mit mei­nem be­schei­de­nen Zei­chen­stift nicht hof­fen konn­te, wa­ren mir land­schaft­li­che Mo­ti­ve die liebs­ten, in de­nen sich’s um reiz­vol­le fes­te Li­ni­en des Ter­rains und, was die Ve­ge­ta­ti­on be­traf, um die ge­schlos­se­nen Kon­tu­ren der Pi­ni­en, Zy­pres­sen, Pal­men und Oli­ven­stäm­me han­del­te.

Das al­les fand ich nun in den Gar­da­stu­di­en mei­nes Freun­des bis auf die hier kaum vor­kom­men­de Pi­nie aufs schöns­te bei­sam­men. Und so wi­der­stand ich der Ver­su­chung nicht, auch mei­ner­seits ein paar Herbst­wo­chen als ein künst­le­ri­scher Frei­beu­ter an die­sem ge­seg­ne­ten Ge­sta­de her­um­zu­strei­fen und da­bei viel­leicht in mei­ner di­let­tan­ti­schen Kun­st­übung einen klei­nen Fort­schritt zu ma­chen.

Freund Fries hat­te mir als das Stan­d­quar­tier, von dem aus er sei­ne Streif­zü­ge un­ter­nom­men, Tos­co­la­no be­zeich­net, und die ein­zi­ge Her­ber­ge in dem klei­nen Nest, das Ca­val­lo bian­co, we­gen ih­rer Rein­lich­keit und Bil­lig­keit ge­rühmt.

Das Lob die­ser bei­den Tu­gen­den soll­te ich bei nä­he­rer Be­kannt­schaft durch­aus ge­recht­fer­tigt fin­den. Tos­co­la­no selbst aber schi­en mir den Vor­zug vor den nach­bar­li­chen Nes­tern Gar­gna­no und Ma­der­no nicht so recht zu ver­die­nen.

Ich war mit dem Schiff von De­senza­no her­ge­kom­men, in der rei­nen Herbst­son­ne des drit­ten Ok­to­ber, vor­über an Salò, dem da­mals noch un­be­rühm­ten Gar­do­ne Ri­vie­ra und dem hei­te­ren Ma­der­no. Zwar die Stra­ße von hier aus durch die hohe Lor­beer­al­lee ent­zück­te mich. Als ich aber Tos­co­la­no er­reich­te, fühl­te ich auf der Wan­de­rung durch die ein­zi­ge son­nen­lo­se Gas­se eine ge­wis­se schau­ri­ge Be­klem­mung, die mich schon be­reu­en ließ, dass ich mei­nem ers­ten Ein­druck nicht ge­folgt und in Ma­der­no ge­blie­ben war.

Doch der freund­li­che Empfang des Wir­tes vom »Wei­ßen Roß«, des­sen bie­de­res dickes Ge­sicht ein ge­müt­vol­les Lä­cheln über­flog, als ich ihm den Gruß des al­ten Gast­freun­des Sor Ber­nar­do be­stell­te, söhn­te mich bald mit dem Quar­tier, das er mir emp­foh­len, aus.

Frei­lich, das Haus selbst lag nicht son­ni­ger als alle an­de­ren. Es glich mehr dem, was wir in uns­rem zi­vi­li­sier­ten Va­ter­land einen Auss­pann nen­nen, als ei­nem rich­ti­gen Al­ber­go, selbst nach ita­lie­ni­schen Be­grif­fen. Auch war das ein­zi­ge Zim­mer, das ge­le­gent­lich einen Frem­den be­her­berg­te und auch mei­nem Freun­de zur Woh­nung ge­dient hat­te, nur ein großer, kah­ler, weiß ge­tünch­ter Raum ohne an­de­res Mo­bi­li­ar, als das brei­te, mit gro­ben, blüh­wei­ßen Lein­tü­chern über­zo­ge­ne ei­ser­ne Bett, einen ein­zi­gen Stroh­stuhl, ein Wasch­be­cken in ei­nem ei­ser­nen Ge­stell und ein wack­li­ges Tisch­chen. Statt des Schran­kes und der Kom­mo­de dienten ei­ni­ge Ha­ken und Nä­gel an der Tür. Und doch war’s, wie man in der Schweiz sagt, ein »froh­mü­ti­ges Zim­mer«. Denn von dem ein­zi­gen Fens­ter aus hat­te man den Aus­blick über einen klei­nen Hof hin­weg in das Gärt­chen, das noch vol­ler Ge­or­gi­nen und spät blü­hen­den Ro­sen war, hin­ten ab­ge­schlos­sen durch eine lan­ge »Ser­re«, aus der eine Üb­er­fül­le gel­ber Li­mo­nen her­vor­leuch­te­te, und über dem Gan­zen die schön ge­run­de­ten Berg­gip­fel, die eben in der Abend­glut brann­ten.

Üb­ri­gens war ich ja auch nicht hie­her ge­kom­men, um im Zim­mer zu sit­zen, son­dern soll­te in die­sem nur die Stät­te fin­den, wo ich nach der er­quick­li­chen Ta­ge­s­strei­fe­rei mein Haupt nie­der­leg­te.

Mein Hand­köf­fer­chen war bald aus­ge­packt – das Tisch­chen und die Tür­ha­ken reich­ten voll­kom­men zur Un­ter­brin­gung mei­nes leich­ten Ge­päckes aus –, mit dem Wirt wur­de ein al­ler­dings sehr mä­ßi­ger Pen­si­ons­preis ver­ein­bart, und ehe die Son­ne noch ganz hin­un­ter war, hat­te ich das Skiz­zen­buch ein­ge­weiht, in­dem ich dar­in vom Fens­ter aus die Um­ris­se des Gar­tens und der Ber­g­land­schaft ent­warf.

Noch den­sel­ben Abend mach­te ich die Be­kannt­schaft der üb­ri­gen Wirts­fa­mi­lie, die her­auf­kam, als ich in dem zwei­ten, et­was grö­ße­ren Zim­mer, das bis auf den Tisch in der Mit­te ganz ohne Mö­bel war, mei­ne fru­ga­le Cena, mit Hil­fe ei­nes recht trink­ba­ren Wei­nes ein­nahm.

Zu­erst kam der Sohn des Hau­ses, Bat­ti­sta, ein treu­her­zi­ger jun­ger Mensch von etwa drei­und­zwan­zig Jah­ren, der sich als einen großen Kunst­freund zu er­ken­nen gab, von den Stu­di­en des Sor Ber­nar­do mit Be­wun­de­rung sprach und auch mir, nach­dem er die an­ge­fan­ge­ne Skiz­ze be­trach­tet hat­te, sei­ne Hochach­tung be­zeig­te. Als ich spä­ter ein­mal im Hof einen Esel zeich­ne­te, der, an einen Pfahl ge­bun­den, ein we­nig Fut­ter zu sich nahm, trat er re­spekt­voll hin­ter mich und brach in die sach­ver­stän­di­gen Wor­te aus: Ah! Pit­tu­ra di ca­rat­te­re!

Die Mut­ter war eine ein­fa­che Frau, sehr schweig­sam und über­aus höf­lich, die mich neu­gie­rig be­trach­te­te und die Lein­wand mei­ner Leib­wä­sche zwi­schen zwei Fin­gern prüf­te. Die Mus­te­rung schi­en sie be­frie­digt zu ha­ben, sie war nun über­zeugt, dass ich kein Land­strei­cher, son­dern ein Si­gno­re und Galan­tuo­mo sei.

Ei­nen Au­gen­blick zeig­te sich auch die Toch­ter des wa­cke­ren Paars, eine lan­ge, dür­re Fi­gur, auf der ein sehr reiz­lo­ses Ge­sicht saß, be­krönt von ei­nem Berg blon­der Flech­ten, eine Turm­fri­sur, mit der sich da­mals auch in Ita­li­en die hüb­sche­s­ten Ras­se­köp­fe ent­stell­ten, wäh­rend sie den Häss­li­chen den An­strich lä­cher­li­cher Vo­gel­scheu­chen lieh.

Die In­ha­be­rin die­ses Haar­ge­bäu­des schi­en aber über den Ein­druck, den sie auf un­be­wach­te Män­ner­her­zen mach­te, durch­aus nicht in Zwei­fel zu sein. Sie ging nur ein­mal mit ih­ren im­po­san­ten Schrit­ten durchs Zim­mer, in­dem sie mei­nen Gruß mit ei­nem leich­ten Kopf­ni­cken von oben her­ab er­wi­der­te, und warf mir von der Schwel­le aus einen Blick zu, der deut­lich sag­te, dass sie über­zeugt sei, ich wür­de in kur­z­em den Wi­der­ha­ken des Brand­pfeils, den sie mir zu­ge­schleu­dert, in mei­ner Brust ver­spü­ren.

Die­se nächs­te Nacht je­doch schlief ich ohne die ge­rings­te Beun­ru­hi­gung und blieb auch wäh­rend der fer­ne­ren Tage ge­gen die Ge­fahr ge­wapp­net, selbst nach­dem ich spä­ter ein­mal gut­mü­tig ge­nug ge­we­sen war, das Por­trät der Toch­ter für ihre El­tern zu zeich­nen. Auch eine Schö­ne­re hät­te mir’s nicht an­ge­tan; war ich doch der Land­schaf­ten, nicht der Staf­fa­ge we­gen, an den ge­prie­se­nen See ge­kom­men, der nicht ge­ra­de durch einen be­son­ders an­mu­ti­gen Men­schen­schlag aus­ge­zeich­net war.

Am an­de­ren Mor­gen aber, als ich in al­ler Frü­he an das Seeu­fer hin­un­ter­wan­der­te und mich in dem Öl­wald er­ging, der hier an der Stät­te auf­ge­spros­sen ist, wo vor Ur­zei­ten das alte Benacus ge­stan­den ha­ben soll, ging mir das Herz auf, und ich rief in Ge­dan­ken dem Freun­de, der mir die­se Wege ge­wie­sen, eine über­strö­men­de Dan­kes­hym­ne zu. Es war in der Tat eine Sze­ne­rie von so über­schwäng­li­chem Glanz des Lich­tes und der Far­ben, der Mon­te Bal­do drü­ben ruh­te so fei­er­lich über dem fast un­wahr­schein­lich pur­pur­blau­en See­spie­gel, den die Ora noch nicht kräu­sel­te, die Well­chen, die am Stran­de ver­rausch­ten, blitz­ten wie flüs­si­ges Gold in den ers­ten Mor­gen­strah­len und ein Traum schi­en die sil­ber­nen Wip­fel der Oli­ven­hal­de zu wie­gen, da sonst kein Lüft­chen zu spü­ren war. Nur der Kum­mer be­fiel mich, dass all dem Zau­ber ge­gen­über mein grau­er Blei­stift noch ohn­mäch­ti­ger als sonst sein muss­te, auch nur einen Hauch die­ser »herr­li­chen Na­tur­wir­kung«, wie der Dich­ter es ge­nannt, auf ei­nem wei­ßen Blat­te fest­zu­hal­ten. So ver­zich­te­te ich zu­nächst auf al­les an­de­re Stu­di­um, als durch die Au­gen, und ge­noss, der Küs­te ent­lang wan­dernd, un­ter den ho­hen Lor­beer­wip­feln, wel­che die Stra­ße über­nick­ten, un­ver­ge­ss­li­che Stun­den.

Als ich ge­gen Mit­tag zu mei­nem dunklen »Wei­ßen Roß« zu­rück­kehr­te, trat der Wirt mir aus der Kü­che ent­ge­gen, auf je­der Hand ein ro­hes Stück Fleisch, mit der Fra­ge, wel­ches von bei­den, das vom Rind oder vom Kal­be, ich zu ver­spei­sen vor­zö­ge. In die­ser zwang­lo­sen Art ver­han­del­te er auch an den fol­gen­den Ta­gen mit mir über das pran­zo. Ich war aber so kunst- und schön­heits­hung­rig, dass ich nur sel­ten mich für mei­ne leib­li­che Nah­rung in­ter­es­sier­te und noch heu­te nicht weiß, ob die Kü­che des Hau­ses hö­he­ren An­sprü­chen ge­nügt ha­ben wür­de.

Nur dass auch die ein­ge­bo­re­nen To­s­ka­ner von sehr ge­nüg­sa­mer Art wa­ren, konn­te mir nicht ent­ge­hen, als ich am ers­ten Mor­gen nach mei­ner An­kunft in dem ein­zi­gen Café des Or­tes zu früh­stücken dach­te.

Das Haus, über des­sen Erd­ge­schoss auf ei­nem schma­len Schil­de zu le­sen war: Lu­i­gi Ca­ra­mel­la, Cafè e Li­quo­ri, lag mei­nem »Wei­ßen Roß« schräg ge­gen­über. Aus dem Fens­ter des Vor­der­zim­mers hat­te ich am Abend ein klei­nes Häuf­lein Ho­no­ra­tio­ren vor dem of­fe­nen Ein­gang zu dem Kaf­fee­lo­kal sit­zen se­hen, rau­chend und aus schma­len Glä­sern ver­schie­de­ne Ge­trän­ke, rote, gel­be und grü­ne schlür­fend, da­bei in eif­ri­gem Dis­put, von dem ich, auch wenn ich in ih­rer Mit­te ge­we­sen wäre, na­tür­lich kei­ne Sil­be ver­stan­den hät­te, da sich alle im Ort, auch der Herr Pfar­rer und der Schul­leh­rer, des Dia­lekts be­dien­ten, der an den schwer ver­ständ­li­chen Bre­s­cia­ner an­klingt. Ge­gen Zehn hat­ten die Her­ren sich er­ho­ben, der Wirt aber war noch auf­ge­blie­ben, hat­te eine Man­do­li­ne ge­holt und dar­auf ei­ni­ge Volks­lied­chen be­glei­tet, die er zu mei­ner Ver­wun­de­rung in der reins­ten nea­po­li­ta­ni­schen Mund­art sang.

Als ich nun am an­de­ren Mor­gen in das Café ein­trat – ich kann­te ja die ita­lie­ni­sche Sit­te, das Früh­stück nicht im Ho­tel ein­zu­neh­men –, stell­te sich mir Herr Gig­gi Ca­ra­mel­la so­fort als einen ech­ten Sohn der bel­la Na­po­li vor, mit­ten in San­ta Lu­cia zur Welt ge­kom­men, ein schlan­kes, schwarz­brau­nes Kerl­chen, des­sen klei­ne Feu­er­au­gen von Ver­schmitzt­heit und Spitz­bü­be­rei fun­kel­ten, sehr an­ders, als man es in lom­bar­di­schen Ge­sich­tern zu se­hen ge­wohnt war.

Er er­zähl­te mir in den ers­ten fünf Mi­nu­ten sei­ne Le­bens­ge­schich­te, wie er in Ge­schäf­ten sei­nes äl­te­ren Bru­ders, der am Po­si­lip große Re­ben­gär­ten be­sit­ze, nach Ge­nua ge­kom­men sei, um dort ih­ren Wein ab­zu­set­zen. Von da habe er an den Gar­da­see einen Aus­flug ge­macht und sei hier hän­gen ge­blie­ben, denn der Be­sit­zer des Cafés sei ge­ra­de mit Tod ab­ge­gan­gen, und er habe ge­dacht, sich als sein Nach­fol­ger auf­zu­tun, nicht so­wohl der Café­gäs­te we­gen, an de­nen nicht viel zu ver­die­nen sei, als um hier oben eine Fi­lia­le für das brü­der­li­che Wein­ge­schäft zu grün­den. Da­mit sei er denn auch gut ge­fah­ren; sein vi­no del Ve­su­vio sei rasch be­liebt ge­wor­den; ob ich ihn nicht auch ver­su­chen wol­le, da man im Ca­val­lo bian­co ge­gen ihn feind­lich ge­sinnt sei und den Gäs­ten dort nur das ei­ge­ne säu­er­li­che Ge­wächs vor­set­ze.

Ich dank­te zu­nächst für die­sen zu so frü­her Stun­de un­ge­wohn­ten Ge­nuss und bat um Kaf­fee. Dazu zu ge­lan­gen, schi­en sei­ne Schwie­rig­kei­ten zu ha­ben. Erst nach lan­gem War­ten brach­te mir der ge­schwät­zi­ge jun­ge Mann das Ge­wünsch­te in ei­nem ver­bo­ge­nen Zinn­känn­chen, ein trü­bes, dickes Ge­bräu, auf ei­nem Schüs­sel­chen ver­staub­te Zucker­stück­chen, ein alt­ba­cke­nes Bröt­chen ne­ben der et­was de­fek­ten Tas­se. Wenn ich Milch wün­sche, müs­se er erst da­nach fort­schi­cken. Sei­ne Kun­den trän­ken den Kaf­fee nur schwarz, zö­gen über­haupt mehr die üb­ri­gen bi­bi­te, li­quo­ri, aqua ga­zo­sa vor, von de­nen er mir eine lan­ge Lis­te zur Aus­wahl vor­hielt.

Hienach ver­zich­te­te ich dar­auf, mein Früh­stück wie­der im Café ein­zu­neh­men, und ließ mir et­was, was ei­nem Milch­kaf­fee ähn­lich sah, von mei­nen Haus­wir­ten be­rei­ten.

Die frü­hen Mor­gen­stun­den wa­ren aber so ein­zig schön, dass ich mich nicht lan­ge mit Früh­stücken auf­hielt, son­dern un­ge­dul­dig ins Freie streb­te. Es war kein Hü­gel, kei­ne Hal­de oder ein­sa­mes Ge­höft im Um­kreis zwi­schen Mon­te Ma­der­no und dem wei­ßen Kirch­lein von Gai­no hoch oben zwi­schen sei­nen jun­gen Zy­pres­sen, die ich nicht mit spä­hen­den Au­gen nach ma­le­ri­schen »Mo­ti­ven« durch­forscht hät­te. Auf’s Pa­pier kam das We­nigs­te. Ich war ein­sich­tig ge­nug, mich da­vor zu hü­ten, die­sen Wun­dern Got­tes mit un­be­hol­fe­ner Pfu­sche­rei Ge­walt an­zu­tun.

Da­ge­gen kam statt der di­let­tan­ti­schen Land­schaf­te­rei mei­ne ei­gent­li­che Mu­sen­kunst bes­ser zu Ehren. In je­nen un­ver­gleich­lich schö­nen Ta­gen füll­te sich mein Skiz­zen­buch mit al­ler­lei ly­ri­schen »Land­schäft­chen mit Staf­fa­ge«, zu de­nen mir die »Mo­ti­ve« von al­len Sei­ten, aus Luft und See und den Wip­feln der Lor­bee­ren zu­ström­ten. Ich hat­te einen glück­li­chen An­fall aku­ter Ly­rik, die wie ein der Lie­be ähn­li­ches Fie­ber mir in den Adern glüh­te. Und vollends, wenn der Tag in rei­nem Gol­de hin­ter dem fer­nen Salò zur Rüs­te ging, sang und klang es in mir wie in der ju­gend­lichs­ten Zeit des »fah­ren­den Schü­lers«.


Laut­los fal­tet nun zu­sam­men
Der Ge­birgs­wind fei­ne Flü­gel.
Der Zy­pres­sen dunkle Flam­men
Lo­dern still em­por am Hü­gel.

Die­se in­ne­re Mu­sik er­füll­te mich so ganz, dass ich es wie eine miss­tö­ni­ge Stö­rung emp­fand, wenn vorm Schla­fen­ge­hen die Gas­sen­hau­er Gig­gi Ca­ra­mel­la’s, so rein er die Me­lo­di­en sang, in das of­fe­ne Fens­ter mei­nes Zim­mers her­über­klan­gen.

An­de­re mu­si­ka­li­sche Ta­len­te lie­ßen sich nicht ver­neh­men.

Was an Vo­gel­ge­sang etwa im Früh­ling zu hö­ren ge­we­sen war, trotz der Jagd­flin­ten, Sch­lin­gen und Leim­ru­ten, mit de­nen man den ar­men klei­nen Sän­gern nach lan­des­üb­li­cher ita­lie­ni­scher Sit­te nach­stell­te, war jetzt im Herbst hier wie über­all ver­stummt. In den Häu­sern des Or­tes, beim Spinn­ro­cken und Web­stuhl, er­klang kei­nes der Ri­tor­nel­le, die im süd­li­che­ren Ita­li­en die Ar­beit der Wei­ber be­glei­ten. Auch in den Re­ben­gär­ten und Oli­vet­ten sah ich die Män­ner ohne Sang und Klang ihre Ge­schäf­te ver­rich­ten, und die Fuhr­leu­te, die oben auf ih­ren schwer be­la­de­nen Kar­ren aus­ge­streckt la­gen, ga­ben kei­nen an­de­ren Laut von sich, als den Knall ih­rer Peit­sche, mit der sie die keu­chen­den Esel und Maul­tie­re an­trie­ben.

Es ging über­haupt nicht lus­tig zu in dem al­ten son­nen­lo­sen Nes­te, und au­ßer dem grin­sen­den La­chen Gig­gi Ca­ra­mel­la’s sah ich nur erns­te, gräm­li­che Mie­nen, selbst un­ter den Mäd­chen und Kin­dern.

Von mei­nem Wirt er­fuhr ich den Grund die­ser all­ge­mei­nen ge­drück­ten und ge­dämpf­ten Stim­mung. Die letz­ten drei Jah­re wa­ren schlech­te We­in­jah­re ge­we­sen, und auch die Oli­ven hat­ten nur einen ge­rin­gen Er­trag ge­ge­ben. Das hat­te Man­chen, der frü­her auf der fau­len Haut ge­le­gen, dazu ge­bracht, in der Pa­pier­fa­brik drü­ben in der Schlucht von Tos­co­la­no für sich oder sei­ne Kin­der Ar­beit zu su­chen, die schlecht be­zahlt wur­de und den Men­schen, das Eben­bild Got­tes, zu ei­ner Ma­schi­ne mach­te. Die Fa­brik sei über­haupt ein wah­rer Land­scha­den. Wie vie­le gin­gen an Leib und See­le da­durch zu Grun­de, bloß da­mit die Ei­gen­tü­mer sich be­rei­cher­ten. Und wozu brau­che man über­haupt so viel Pa­pier? Bü­cher gebe es schon ge­nug in der Welt, in den Zei­tun­gen wer­de doch nur ge­lo­gen, und an­stän­di­ge Mäd­chen, wie sei­ne Ma­ri­et­ta, schrie­ben kei­ne Lie­bes­brie­fe. Wenn es kein Pa­pier gäbe, könn­te der fried­li­che Bür­ger nicht durch Steu­er­zet­tel be­un­ru­higt oder ein Kon­trakt ihm prä­sen­tiert wer­den, den er in ei­ner schwa­chen Stun­de zu sei­nem Nach­teil un­ter­zeich­net hat­te. Pa­pier sei da­her eine Er­fin­dung des Teu­fels, die der Hei­li­ge Va­ter in Rom al­len gu­ten Chris­ten ver­bie­ten soll­te.

Ich hü­te­te mich wohl, dem wa­cke­ren Man­ne zu ver­ra­ten, dass ich selbst von die­ser Er­fin­dung einen aus­gie­bi­gen Ge­brauch mach­te und schon von Be­rufs­we­gen auch an den Fa­bri­ken, wo sie her­ge­stellt wur­de, ein In­ter­es­se hät­te. Ich nahm mir also heim­lich vor, am nächs­ten Tage die in der To­s­ka­ner Schlucht zu be­su­chen. Da ich aber, von Gai­no her­ab­stei­gend, den Weg ver­lo­ren und, hin und her klet­ternd, erst spät die Schlucht er­reicht hat­te, war schon Fei­er­abend an­ge­bro­chen, als ich die al­ten, un­an­sehn­li­chen Fa­brik­ge­bäu­de vor mir lie­gen sah. Für dies­mal muss­te ich dar­auf ver­zich­ten, den Teu­fel am Werk zu se­hen, und schlen­der­te lang­sam die ge­wun­de­ne Stra­ße an der stei­len Fels­wand da­hin, zu mei­ner Rech­ten tief im Grun­de den Ge­birgs­bach, der zu die­ser Jah­res­zeit nur als ein dün­ner Was­ser­fa­den zwi­schen dem Stein­ge­röll hin­sch­lich.

Trotz­dem war eine feuch­te Luft in die­ser Tie­fe, und ich be­schleu­nig­te mei­ne Schrit­te, um wie­der ins Of­fe­ne zu kom­men. Als ich end­lich aus der Schlucht her­austrat, auf die Land­stra­ße, die links in den Ort, rechts nach Ma­der­no führt, weh­te mir ein war­mer Hauch von der Abend­son­ne ent­ge­gen, die eben nie­der­ge­gan­gen war. Ich blieb an der brei­ten Brücke ste­hen, un­ter wel­cher der Bach hin­läuft. Es war hier noch ein we­nig Le­ben. Män­ner in Hem­d­är­meln, die viel ge­flick­ten Ja­cken über die eine Schul­ter ge­hängt, of­fen­bar Fa­brik­ar­bei­ter, stan­den schwat­zend und rau­chend bei­sam­men, jun­ge Wei­ber schlen­der­ten hin und her, zu drei­en und vie­ren un­ter­ge­fasst, nach dem ein­tö­ni­gen Ta­ge­werk in den sti­cki­gen Fa­bri­kräu­men sich in der rei­nen Abend­luft er­ge­hend. Doch durch das ge­dämpf­te Ge­schwirr der Stim­men klang ein hel­ler Ge­sang aus ei­nem Häu­schen, das ganz ein­sam drü­ben an der Stra­ße ne­ben dem tie­fen Bett des Ba­ches lag. Und selt­sam, ich hör­te deut­lich die Me­lo­die des Lie­des, das auch der jun­ge Kaf­fee­wirt aus Nea­pel sang, mit dem schwer­mü­ti­gen Re­frain:


Te vo­glio bene assa­je,
E tu non pi­enz’ a me.

Wel­ches Mäd­chen moch­te bei Gig­gi Ca­ra­mel­la in die Schu­le ge­gan­gen sein?

Ich schritt über die Stra­ße auf das Haus zu, ein al­ter, ein­stö­cki­ger Kas­ten, von des­sen Wand der ehe­mals rosa ge­färb­te Be­wurf in großen Fle­cken ab­ge­brö­ckelt war. Ne­ben der brei­ten Tür un­ten nur ein ein­zi­ges Fens­ter, in dem nied­ri­gen obe­ren Stock­werk zwei vier­e­cki­ge Lö­cher, mit fes­ten Lä­den ge­schlos­sen. Zur Sei­te, an die Mau­er ge­drückt, die von der Hin­ter­wand aus noch eine Stre­cke weit fort­lief, ein Gärt­chen, vorn mit ei­nem ver­wahr­los’ten Zaun ge­gen die Stra­ße ab­ge­grenzt. Es moch­te ehe­mals hübsch ge­we­sen sein, große Bü­sche von Lau­rus­ti­nus und Gra­na­ten um­ga­ben einen klei­nen Gras­fleck, in des­sen Mit­te ein Oran­gen­bäum­chen stand, noch mit Früch­ten be­han­gen, die­se aber, wie alle üb­ri­gen Pflan­zen des Gar­tens, dick be­staubt und in der Son­nen­hit­ze hin­ge­welkt.

Ich sah das al­les nur mit ei­nem flüch­ti­gen Blick, denn mein In­ter­es­se wur­de von ei­ner weib­li­chen Fi­gur ge­fes­selt, die vor dem breit of­fe­nen Ein­gang der Haus­tür auf zwei Stein­stu­fen hock­te, auf den Kni­en ein al­tes Klei­dungs­stück, mit des­sen Aus­bes­se­rung sie be­schäf­tigt war. Ne­ben dem Tür­pfos­ten hin­gen vier höl­zer­ne Vo­gel­bau­er, nicht viel grö­ßer als zwei Hand breit im Ge­viert. In dem vor­ders­ten saß eine schö­ne, ziem­lich große Blau­am­sel – Leo­par­di’s Pas­se­ro so­li­ta­rio –, im zwei­ten eine ma­ge­re Nach­ti­gall, im drit­ten eine klei­ne Mei­se, der vier­te Kä­fig war leer. Von die­sen drei Ge­fan­ge­nen schi­en sich nur die Mei­se ih­rer frü­he­ren Frei­heit zu er­in­nern. Sie al­lein sprang zwi­schen den en­gen Stä­ben, so gut es gehn woll­te, hin und her und stieß ver­zwei­fel­te klei­ne Töne aus. Die bei­den an­de­ren sa­ßen re­gungs­los und stumm auf der kur­z­en Qu­er­stan­ge, ein An­blick, der mir ins Herz schnitt.

Ich war vor dem Hau­se ste­hen ge­blie­ben, wäh­rend der Ge­sang drin­nen nicht ver­stumm­te. Jetzt hör­te ich auch das Lied Pa­re nun so­gno, pare paz­zia, – eben­falls ein Re­per­toire­stück Si­gnor Ca­ra­mel­la’s.

Wie könnt Ihr nur die ar­men Vö­gel so eng ein­sper­ren? frag­te ich jetzt die Be­sit­ze­rin des Hau­ses. Sie hö­ren ja auch zu sin­gen auf, wenn sie sich bei je­dem Auf­flat­tern den Kopf oder die Flü­gel zer­sto­ßen. Gebt ih­nen we­nigs­tens grö­ße­re Kä­fi­ge, wenn Ihr sie ge­fan­gen hal­tet.

Die vor mir Sit­zen­de sah mit ei­nem feind­se­li­gen Blick zu mir auf, wie ein Haus­hund, der ge­gen einen un­vor­sich­tig na­hen­den Frem­den eine dro­hen­de Mie­ne macht. Ich be­merk­te nun, dass sie et­was ver­wach­sen war, der Kopf steck­te ihr zwi­schen den Schul­tern. Die Züge des Ge­sichts aber wa­ren re­gel­mä­ßig und noch nicht alt, sie moch­te nicht über Vier­zig sein, in ih­rem dich­ten schwar­zen Haar zeig­te sich noch kein grau­er Schim­mer.

Erst nach­dem sie mich scharf ge­mus­tert hat­te, er­wi­der­te sie: Grö­ße­re Bau­er habe ich nicht; sie »ver­lan­gen sie auch gar nicht« (so!), und die Nach­ti­gall singt auch im Bau­er, wenn es dun­kel ge­wor­den ist. Die Blau­am­sel ist krank, die wür­de über­haupt nicht mehr sin­gen, auch wenn ich ihr einen haus­großen Kä­fig gäbe. Zit­ta, A­de­le! un­ter­brach sie sich plötz­lich, in­dem sie sich halb um­wen­de­te. Drin­nen brach plötz­lich der Ge­sang ab. Ich sah jetzt, dass die Haus­tür gleich in die Kü­che führ­te, hin­ten am Herd hat­te die Sän­ge­rin zu schaf­fen ge­habt und da­bei ihre hel­le, fri­sche Stim­me hö­ren las­sen. Et­was Wei­ßes be­weg­te sich in dem düs­te­ren Raum hin und her, ein paar auf­zu­cken­de Flämm­chen auf dem Her­de be­leuch­te­ten eine lose Ja­cke und zwei schlan­ke Arme, das Ge­sicht blieb im Schat­ten.

Hört, sag­te ich wie­der, mich dau­ern die ar­men Vö­gel. Die Nach­ti­gall wür­de noch viel schö­ner sin­gen, wenn sie dort in Eu­rem Gärt­chen säße, und die Blau­am­sel könn­te viel­leicht in der Frei­heit wie­der ge­sund wer­den. Ich möch­te Euch die Vö­gel ab­kau­fen, um sie flie­gen zu las­sen. Am Ende sind sie doch auch Ge­schöp­fe Got­tes und ha­ben ja auch nichts ver­bro­chen, wes­we­gen man sie ins Ge­fäng­nis set­zen dürf­te.

Die schar­fen blau­en Au­gen der Frau war­fen mir einen arg­wöh­ni­schen Blick zu; die gan­ze Sa­che, das Ge­spräch, das ich mit ihr an­ge­knüpft, der Vo­gel­han­del kam ihr ver­däch­tig vor. Sie schi­en zu glau­ben, dass mir’s um einen an­de­ren Sing­vo­gel zu tun sei, den großen drin­nen im Hau­se.

Die Vö­gel ver­kau­fe ich nicht, sag­te sie mit rau­er Stim­me. Es wür­de ih­nen auch nichts nüt­zen, wenn man sie freilie­ße. Sie wür­den von An­de­ren wie­der ein­ge­fan­gen oder tot­ge­schos­sen wer­den. Im Kä­fig sind sie gut auf­ge­ho­ben, und dass sie nicht mehr Raum drin ha­ben, ist ganz gut, je mehr sie hät­ten, je mehr woll­ten sie. ’s ist wie mit den Men­schen. Zu viel Frei­heit scha­det ih­nen nur, dann ge­hen sie zu Grun­de. Im Klos­ter ist gar kei­ne Frei­heit, und die drin sind, füh­ren das gott­se­ligs­te Le­ben und ha­ben nichts zu be­reu­en.

Da­mit er­hob sie sich has­tig, raff­te ihre Flick­ar­beit zu­sam­men und trat über die Schwel­le, die Tür hin­ter sich zu­schla­gend. Ich hat­te ge­se­hen, dass sie den einen Fuß nach­zog. Vom Rücken be­trach­tet, wo man ihr fei­nes, noch ju­gend­li­ches Ge­sicht nicht sah, er­schi­en sie wie ein buck­li­ges al­tes He­xen­weib­chen.

Ich hat­te schon dar­auf ver­zich­tet, die Toch­ter die­ses un­hol­den We­sens nä­her ken­nen zu ler­nen, da be­geg­ne­te mir gleich am nächs­ten Tage die Alte mit der Jun­gen mit­ten auf der Stra­ße.

Man konn­te kein un­glei­che­res Paar se­hen. Ne­ben der zu­sam­men­ge­krümm­ten hin­ken­den Ge­stalt, die ein dickes schwar­zes Tuch um Kopf und Schul­tern ge­schla­gen hat­te, nahm sich das schlan­ke jun­ge Ge­schöpf, das den Kopf frei auf dem Hal­se trug, dop­pelt rei­zend aus, wie ein Zy­press­chen ne­ben ei­nem knor­ri­gen Wei­den­stumpf. Nur in den Ge­sichts­zü­gen gli­chen sie sich auf­fal­lend. Der Kopf der Jun­gen hat­te aber eine be­son­de­re An­mut durch klei­ne, na­tür­lich ge­rin­gel­te schwar­ze Löck­chen, die über die fei­ne Stirn und die sanft­ge­schwun­ge­nen dunklen Au­gen­brau­en fast bis an die Wim­pern her­ab­hin­gen und bei je­dem Schritt lei­se zit­ter­ten. Auch wa­ren die Au­gen zum Un­ter­schie­de von den blau­en der Äl­te­ren dun­kel­braun, von ei­nem feuch­ten Glanz wie leuch­ten­de Edel­stei­ne.

Bei­de tru­gen, an klei­nen Ket­ten vom Gür­tel her­ab­hän­gend, ziem­lich große blan­ke Sche­ren, wie es hier­zu­lan­de bei den Schnei­de­rin­nen, wenn sie auf Ar­beit aus­ge­hen, Sit­te ist.

Ich grüß­te höf­lich im Vor­bei­gehn, die Jün­ge­re nick­te ein we­nig, die Äl­te­re dank­te mit ei­nem grim­mi­gen Blick und be­schleu­nig­te ih­ren Schritt, of­fen­bar um nicht an­ge­re­det zu wer­den. Dann ver­schwan­den bei­de in der Tür ei­nes der an­sehn­li­che­ren Häu­ser.

Abends, als mir mei­ne Wir­tin im Ca­val­lo bian­co die fru­ga­le Cena her­auf­trug, frag­te ich sie nach dem un­glei­chen Paar ein we­nig aus. Ich er­fuhr, dass die Äl­te­re nicht die Mut­ter, son­dern die Schwes­ter der Schö­nen sei, die äl­tes­te von vier Töch­tern ei­nes Gärt­ners, dem die Frau ge­stor­ben war, nach­dem sie lan­ge mit ihm ge­lebt und ihm noch spät eine vier­te Toch­ter ge­bo­ren hat­te. Da habe die­se äl­tes­te, Gi­u­dit­ta, die drei jün­ge­ren er­zo­gen und nach­dem auch der Va­ter bald her­nach ge­stor­ben, das her­ab­ge­kom­me­ne Haus­we­sen mit Mühe zu­sam­men­ge­hal­ten. Die bei­den mitt­le­ren Schwes­tern hät­ten in der Pa­pier­fa­brik ge­ar­bei­tet und sei­en dort auf schlim­me Wege ge­ra­ten, jetzt schon lan­ge ver­dor­ben und ge­stor­ben. Nun habe die Gi­u­dit­ta nur die um zwan­zig Jah­re jün­ge­re Ade­le üb­rig be­hal­ten und las­se an die­ser Ei­nen al­les an Zucht und Stren­ge aus, was sie als un­wirk­sam an ih­ren Schwes­tern mit Kum­mer und Schan­de habe er­fah­ren müs­sen. Sie dür­fe ihr kaum je von der Sei­te, und ob­wohl sie mit ei­ner fast müt­ter­li­chen Lie­be an ihr hän­ge, pla­ge sie die Schwes­ter doch är­ger als eine böse Stief­mut­ter. Es sei scha­de um das arme Ding, das so hübsch und an­stän­dig sei; ihr ei­ge­ner Sohn, der Bat­tis­ta, habe ein Auge auf sie ge­wor­fen, ihr selbst – der Pa­dro­na – wäre sie auch zur Schwie­ger­toch­ter ganz recht trotz ih­rer Ar­mut, es gehe aber den­noch nicht, aus al­ler­lei Grün­den.

Über die­se Grün­de ließ die Frau sich nicht wei­ter aus. Ich soll­te aber bald noch tiefer in die­se Ver­hält­nis­se ein­ge­weiht wer­den.

Denn am frü­hen nächs­ten Mor­gen, als ich von mei­nem Öl­wal­de un­ten am Stran­de wie­der in den Ort hin­auf­stieg, mein Skiz­zen­buch un­term Arm, in das wie­der ne­ben ei­nem fan­tas­tisch ge­krümm­ten und durch­lö­cher­ten Oli­ven­stamm ein paar Stro­phen hin­ein­ge­kom­men wa­ren, sah ich zu mei­nem freu­di­gen Er­stau­nen sie selbst, die Ade­le, mir ent­ge­gen­kom­men, auf dem Kopf einen fla­chen Korb tra­gend, in dem ein Hau­fen Wä­sche auf­ge­sta­pelt lag. Wie die schlan­ke und doch vol­le jun­ge Fi­gur im Her­ab­schrei­ten sich aus­nahm, mit dem Arm den Korb im Gleich­ge­wicht hal­tend, dazu die bräun­li­chen Wan­gen von der fri­schen Mor­gen­luft sanft an­ge­glüht, wer­de ich mich wohl hü­ten be­schrei­ben zu wol­len.

Ich sah, dass sie durch­aus nicht dar­auf ge­fasst war, auf ih­rem Gang zu dem Wä­sche­rin­nen­platz un­ten am See auf­ge­hal­ten zu wer­den. Doch blieb ich ein paar Schrit­te vor ihr ste­hen, lüf­te­te den Hut und sag­te: Gu­ten Tag, Fräu­lein Ade­le. Ihr wollt zum Wa­schen hin­un­ter. Ich möch­te Euch aber et­was fra­gen.

Sie hef­te­te ihre glän­zen­den Au­gen schwei­gend auf mich, of­fen­bar ver­le­gen, wie sie sich zu be­neh­men hät­te, ob sie ru­hig wei­ter­ge­hen oder mich an­hö­ren soll­te.

Seht, sag­te ich, ich bin ein Ma­ler und zeich­ne in mein Buch, was mir ge­fällt. Nun habe ich schon ges­tern, als ich Euch mit Eu­rer Schwes­ter be­geg­ne­te, ge­wünscht, von Euch ein Bild­chen zu ma­chen, da­mit mei­ne Leu­te zu Hau­se se­hen, dass es auch in Tos­co­la­no schö­ne Mäd­chen gibt. Ich hat­te aber nicht gleich das Herz, Euch an­zu­re­den. Jetzt, da ich Euch hier so al­lein an­tref­fe, möch­te ich Euch fra­gen, ob Ihr mir nicht sit­zen wollt, nur eine klei­ne Stun­de. Ihr wür­det mir einen großen, großen Ge­fal­len tun.

Sie war dun­kel­rot ge­wor­den und hat­te die Au­gen nie­der­ge­schla­gen.

Wa­rum wollt Ihr mich zeich­nen, Herr? sag­te sie end­lich. Ich bin häss­lich!

O Evas­toch­ter! dach­te ich. Auch du ver­stehst dich schon auf das fis­hing for com­pli­ment­s.

Nein, Ade­le, fuhr ich fort, Ihr seid gar nicht häss­lich. Eure Löck­chen schon al­lein sind eine Schön­heit. Seht – und ich öff­ne­te das Buch und zeig­te ihr dar­in ei­ni­ge Frau­en­por­träts – alle die­se Da­men könn­ten froh sein, wenn sie aus­sä­hen wie Ihr. Die Sit­zung dau­ert auch nur eine so kur­ze Zeit, und ich will Euch das Drei­fa­che von dem ge­ben für die­ses Stünd­chen, was Ihr mit Eu­rer Schnei­de­rei an ei­nem gan­zen Tage ver­dient. Mor­gen ist Sonn­tag, da ar­bei­tet Ihr ja wohl nicht und könnt ganz gut zu mir in das Ca­val­lo bian­co kom­men, mei­net­we­gen mit Eu­rer Schwes­ter, wenn Ihr al­lein Euch nicht zu mir ge­traut.

Sie hat­te sich, wäh­rend ich sprach, die Sa­che of­fen­bar ernst­lich über­legt, und auf ein­mal, da ich schon fürch­te­te, ein Nein zu hö­ren, sag­te sie mit großer Leb­haf­tig­keit: Mei­ne Schwes­ter darf nichts da­von wis­sen, die wür­de es nicht er­lau­ben, sie ist so streng. Aber wenn Euch wirk­lich so viel dar­an liegt – gut, ich will kom­men, mor­gen, wenn ich al­lein zur Mes­se gehe, denn die Gi­u­dit­ta muss zu Hau­se blei­ben, weil sie wie­der ihre Gicht hat. Es dar­f’s aber kein Mensch wis­sen, und das Bild dürft Ihr Nie­mand zei­gen, das müsst Ihr mir ver­spre­chen. Wollt Ihr?

Die Hand dar­auf, Ade­le! sag­te ich. Ich dan­ke Euch. Ihr braucht Euch nicht vor mir zu fürch­ten. Ich habe noch kei­nem bra­ven jun­gen Kind was zu Lei­de ge­tan. Ad­dio, Ade­le! Auf Wie­der­se­hen!

Sie nick­te mir zu, jetzt schon ganz ver­trau­lich, und schritt dann rasch an mir vor­bei, sich um­se­hend, ob auch Nie­mand un­ser Ge­plau­der be­lauscht habe. Es war aber ge­wöhn­lich kei­ne Men­schen­see­le zu die­ser Stun­de auf dem Weg nach dem See zu fin­den.

Ich war sehr froh über die­sen ra­schen Er­folg, den ich mir ges­tern nicht hät­te träu­men las­sen, ob­wohl die schö­nen Mäd­chen in Ita­li­en sich durch ein sol­ches An­sin­nen ei­nes »Ma­lers« nie ge­kränkt füh­len und die häss­li­chen erst recht nicht, ganz wie in an­de­ren Län­dern. Aber nicht alle die­se Schätz­chen wer­den von ei­nem arg­wöh­ni­schen Dra­chen, wie Schwes­ter Gi­u­dit­ta, be­wacht.

Die­se Ade­le – das war doch ein an­de­res Mo­dell als mei­ne knor­ri­gen al­ten Öl­bäu­me, das glat­te, röt­lich über­hauch­te »Fell­chen« rei­zen­der als die graue, ris­si­ge Rin­de so ei­nes Oli­ven­stam­mes, selbst in der Abend­son­ne. Frei­lich, hier erst recht hät­te es der Far­ben be­durft. Aber auch die Li­ni­en wa­ren schon eine ent­zücken­de Auf­ga­be, die zu lö­sen ein di­let­tan­ti­scher Blei­stift alle Kunst und Kraft auf­bie­ten muss­te.

In großer Un­ge­duld er­war­te­te ich am an­de­ren Mor­gen die fest­ge­setz­te Stun­de. Ich wuss­te vom vo­ri­gen Sonn­tag, dass die gan­ze Fa­mi­lie mei­nes »Wei­ßen Ros­ses« in die Zehn-Uhr-Mes­se ging; nur der Pic­co­lo, ein zwölf­jäh­ri­ges Bür­sch­chen, blieb zur Be­wa­chung des Hau­ses zu­rück und be­nutz­te die Zeit, um den ver­kürz­ten Nacht­schlaf nach­zu­ho­len. Um Elf kehr­te dann der Wirt, ge­wöhn­lich auch die Wir­tin, aus der Kir­che zu­rück, da sich dann Gäs­te zu ei­nem Frühtrunk ein­fan­den. Aber die­se eine Stun­de, hoff­te ich, soll­te mir und der Kunst ge­hö­ren.

Es schi­en mir dies­mal end­los zu dau­ern, bis sich die Fa­mi­lie in Be­we­gung setz­te. Die Glo­cken hat­ten längst zu läu­ten auf­ge­hört, die Stra­ße war leer ge­wor­den, end­lich sah ich Va­ter, Mut­ter und das Ge­schwis­ter­paar aus dem Hau­se kom­men, Ma­ri­et­ta in ei­nem him­melblau­en Klei­de und wei­ter Kri­no­li­ne, in dem blon­den Lock­en­turm ih­rer Fri­sur so et­was wie einen Pa­ra­dies­vo­gel. Sie warf einen Blick nach dem Fens­ter hin­auf, hin­ter dem ich vor­sich­tig zu­rück­ge­lehnt hin­aus­lug­te, ob ich sie auch in ih­rem Glanz be­wun­der­te. Dann ver­schwan­den sie um die Stra­ßen­e­cke.

Ich blick­te scharf nach der an­de­ren Sei­te, von wo mein Be­such kom­men muss­te. Das Häu­schen der Schwes­tern lag kaum zwei­hun­dert Schritt von mei­ner Her­ber­ge ent­fernt. Es war aber kei­ne Men­schen­see­le zu er­spä­hen. Schon glaub­te ich, auf die Sit­zung ver­zich­ten zu müs­sen – wer wuss­te, ob die Schwes­ter sie nicht aus ir­gend ei­nem Grun­de ein­ge­sperrt hat­te – da hör­te ich ein lei­ses Klop­fen an mei­ner Tür, und sie trat wirk­lich ein, blass vor Auf­re­gung, aber ihre Au­gen leuch­te­ten in dem dämm­ri­gen Raum noch feu­ri­ger als ges­tern in der hel­len Son­ne.

Sie habe sich durch das Sei­ten­gäss­chen ins Haus ge­schli­chen, sei auch Nie­mand be­geg­net, der Pic­co­lo un­ten in der Kü­che lie­ge auf ei­ner Bank und schnar­che. Nun aber sol­le ich rasch an­fan­gen, denn sie habe nur drei Vier­tel­stun­den, dann müs­se sie fort, ehe die Wirts­leu­te nach Hau­se kehr­ten.

Ich er­griff ihre Hand, sie nach dem Fens­ter zu füh­ren – mei­nem Nord­fens­ter –, wo ich schon einen Stuhl für sie, dem Zei­chen­tisch­chen ge­gen­über, be­reit ge­stellt hat­te. Ich fühl­te, wie ihre Hand kalt war und zit­ter­te, und um sie völ­lig zu be­ru­hi­gen, nahm ich eine vä­ter­li­che Hal­tung an, nann­te sie Du und und sag­te ihr, eine mei­ner Töch­ter sehe ihr ein we­nig ähn­lich, was nicht der Fall war, bis auf den Schnitt und die Far­be der Au­gen, Ihre Auf­re­gung ließ dann auch nach, der zar­te jun­ge Bu­sen hob und senk­te sich ru­hi­ger, und sie setz­te sich ge­hor­sam, ganz wie ich es ihr an­gab. Ich wei­de­te mich wie­der an dem rei­nen, lieb­li­chen Oval die­ses Ge­sich­tes, dem ge­ra­den, un­ten leicht ab­ge­stumpf­ten Näs­chen, den fei­nen schwar­zen Lo­cken, die ihr über die Stirn fie­len. Sie ent­schul­dig­te sich, dass sie sich nicht auch so schön fri­siert habe wie die Ma­ri­et­ta, aber ers­tens habe sie kei­nen falschen Zopf, und dann wür­de ihre Schwes­ter Un­rat ge­wit­tert ha­ben, wenn sie sich zur Mes­se so auf­ge­don­nert hät­te.

Ich sag­te ihr, dass ihre ge­wöhn­li­che Haar­tracht tau­send­mal hüb­scher sei als so ein künst­li­cher Auf­bau, dann schwie­gen wir bei­de eine Wei­le, da ich mich sehr zu­sam­men­nahm, die ers­ten Stri­che ganz rich­tig zu ma­chen. Das gute Kind hielt still wie ein ge­mal­tes Ma­don­nen­bild. Auch als ich dann zu plau­dern an­fing, reg­te sie kein Glied und kei­ne Mie­ne.

Die Schwes­ter hält dich wohl sehr streng? frag­te ich.

Ja, Herr. Wir le­ben ganz still und zu­rück­ge­zo­gen.

Aber an Fest­ta­gen gehst du doch wohl ein we­nig zum Tanz?

Sie schüt­tel­te lang­sam den Kopf. Nie­mals! Ich kann gar nicht tan­zen. In Tos­co­la­no ist auch sel­ten Tanz­mu­sik. Und an­ders­wo­hin kom­me ich nicht. Drei­mal in mei­nem gan­zen Le­ben bin ich in Ma­der­no ge­we­sen, ein ein­zi­ges Mal in Gar­gna­no. Was sol­len wir auch da? Wir ken­nen Nie­mand, und wir sind arm, wir müs­sen ar­bei­ten.

Ein tie­fes Mit­leid mit der schö­nen jun­gen Men­schen­blü­te, die so im kal­ten Schat­ten ver­küm­mer­te, über­kam mich.

Da­mit wird aber dein Liebs­ter nicht ein­ver­stan­den sein, Ade­le, fing ich wie­der an. Der wird dich doch Sonn­tags auch ein­mal wei­ter spa­zie­ren füh­ren wol­len, als im­mer um Tos­co­la­no her­um.

Sie wur­de rot wie eine Gra­nat­blü­te.

Ich habe kei­nen Liebs­ten, sag­te sie sanft. Gi­u­dit­ta wür­de es nicht lei­den. Wer soll­te mich auch hei­ra­ten wol­len? Ich habe nichts als ein hal­b­es Dut­zend Hem­den und dies sil­ber­ne Kett­chen, das ich am Hal­se tra­ge.

Nun, sag­te ich, nicht alle Män­ner se­hen auf Geld, wenn sie ei­nem Mäd­chen gut sind. Da ist zum Bei­spiel gleich der Bat­tis­ta, der Sohn vom Ca­val­lo bian­co, von dem weiß ich, dass er sehr glück­lich wäre, wenn er dich ha­ben könn­te.

Der! – sie rümpf­te ein we­nig die Un­ter­lip­pe. Der hat kei­nen Wil­len. Ich weiß wohl, dass ich ihm ge­fal­le. Aber weil sei­ne Schwes­ter mich hasst, wagt er nicht, die Hand nach mir aus­zu­stre­cken. Po­ver­et­to!

Die Ma­ri­et­ta hasst dich? Was hast du ihr zu Lei­de ge­tan?

Sie zuck­te die Ach­seln und schwieg. Drau­ßen vor der Tür mei­nes Zim­mers ra­schel­te et­was. Sie fuhr vom Stuhl auf, als ob sie flie­hen woll­te.

Es wird nur die Kat­ze sein, sag­t’ ich. Im Haus ist ja Nie­mand. Aber wenn du dich fürch­test, will ich die Tür ver­rie­geln.

Nein, nein! bat sie has­tig. Bit­te, se­hen Sie nur nach, dann aber las­sen Sie die Tür of­fen.

Es war wirk­lich nur die Kat­ze ge­we­sen. Das Mäd­chen setz­te sich wie­der, und ich fuhr fort zu zeich­nen. Um den Aus­druck ih­res Ge­sichts le­ben­dig zu er­hal­ten, plau­der­te ich wei­ter.

Wie kommt es, dass du die­sel­ben Lie­der singst wie der Gig­gi Ca­ra­mel­la? Hast du sie von ihm ge­lernt und siehst du ihn öf­ters?

Wie­der über­flog ihr Ge­sicht eine tie­fe Röte.

Ich ken­ne ihn nicht, ge­wiss nicht. Gi­u­dit­ta spricht schlecht von ihm und sagt, er habe kei­nen gu­ten Cha­rak­ter. Das sagt sie aber von al­len Män­nern, und von dem glau­be ich es nicht, weil er im­mer lus­tig ist und so schö­ne Lie­der weiß. Wir ha­ben ein­mal eine Wo­che lang sei­nem Café ge­gen­über ge­ar­bei­tet, der Dok­tor wohnt da, für des­sen Frau hat­ten wir ein Kleid zu ma­chen. Da hör­te ich ihn im­mer sin­gen und habe sei­ne Lie­der be­hal­ten. Un­ten bei Nea­pel, wo er her ist, muss es viel lus­ti­ger sein.

Ein Seuf­zer hob ihre Brust. Sie drück­te die Au­gen halb ein und träum­te vor sich hin. Um sie aus ih­rer Schwer­mut her­aus­zu­rei­ßen, sag­t’ ich: Wer weiß, Ade­le, du kommst auch noch ein­mal nach der Bel­la Na­po­li. Es braucht dich nur ein­mal ein Ma­ler zu se­hen, der nicht, wie ich, Frau und Kin­der zu Hau­se hat, oder ir­gend ein an­de­rer Frem­der, der sich in dich ver­liebt, der hei­ra­tet dich dann, und ihr reis’t zu­sam­men in die wei­te Welt, und du singst den gan­zen Tag die lus­tigs­ten Lie­der.

Sie schüt­tel­te lang­sam den Kopf.

Das wird nie ge­sche­hen. Mei­ne Schwes­ter will, dass ich ins Klos­ter gehe. Wenn sie mich nicht im Hau­se und sonst zur Ar­beit brauch­te, hät­te sie mich auch schon so weit ge­bracht. Denn im Klos­ter kann’s nicht viel trau­ri­ger sein als in dem Le­ben, das ich füh­re. Nun, wie Gott es ha­ben will, so ge­schieht’s auf Er­den.

Ich war eben im Be­griff, ihr die­se zah­me Er­ge­bung in ein freud­lo­ses Schick­sal aus­zu­re­den, als drau­ßen die Glo­cken zu läu­ten an­fin­gen. Sie stand er­schro­cken auf. Mein Gott! sag­te sie, ich habe mich ver­spä­tet. Wenn ich jetzt nur noch un­be­merkt fort­kom­me! Ad­dio!

Sie lief nach der Tür. Ich hat­te kaum Zeit, ihr das Geld, das ich ihr ver­spro­chen, in die Hand zu drücken, das sie auch in der Ver­wir­rung, ohne dar­auf zu ach­ten und ohne Dank zu sa­gen, an­nahm. Dann husch­te sie aus der Tür.

Sie konn­te das Haus kaum ver­las­sen ha­ben, da wur­de wie­der bei mir an­ge­klopft. Zu mei­nem nicht ge­rin­gen Er­stau­nen er­schi­en Fräu­lein Ma­ri­et­ta in mei­nem Zim­mer, die sonst viel zu stren­ge Be­grif­fe von An­stand hat­te, um ei­nem männ­li­chen Gast ih­rer El­tern einen Be­such zu ma­chen.

Sie hat­te einen ro­ten Kopf, und ihre Züge wa­ren von ei­ner hef­ti­gen Auf­re­gung ver­zerrt, wo­bei ihre klei­nen blond be­wim­per­ten Au­gen un­s­tet hin und her lie­fen.

Ver­zei­hen Sie, Herr! sag­te sie mit be­ben­der Stim­me, aber ich woll­te nur fra­gen, ob Sie wirk­lich die­ses – Mäd­chen (sie brauch­te ein be­schimp­fen­des Bei­wort, das ich hier un­ter­schla­ge) zu ei­ner Sit­zung ein­ge­la­den ha­ben, wie sie eben vor­gab. Sie wäre im Stan­de, sich frem­den Her­ren auch ohne eine Auf­for­de­rung an­zu­bie­ten, da sie so ei­tel und scham­los ist, dass sie glaubt, wie eine Prin­zes­sin Je­dem eine Gna­de zu er­wei­sen, dem sie nur er­laubt, sie an­zu­gaf­fen. Und sie ist doch nicht ein­mal hübsch. Vor ei­nem Jahr war ein fran­zö­si­scher Ma­ler hier, der sag­te, ich hät­te das schöns­te Ge­sicht von al­len Mäd­chen und Frau­en in Tos­co­la­no.

Ich bin wahr­haf­tig nicht ei­tel, Jede muss mit dem Ge­sicht zu­frie­den sein, das ihr Gott ge­ge­ben hat, aber dass nun dum­me Leu­te die­ser – (wie­der ein eh­ren­rüh­ri­ges Wort) Ade­le schmei­cheln und ihr den Kopf ver­dre­hen, o! – Sie ball­te eine Faust und schüt­tel­te sie in der Rich­tung, wo das Häu­schen der Schwes­tern stand. Zei­gen Sie mir doch das Bild, wenn es wahr ist, dass Sie sie ge­zeich­net ha­ben.

Ich woll­te nicht Öl ins Feu­er gie­ßen und er­klär­te, die Skiz­ze sei erst an­ge­fan­gen, ich wis­se auch nicht, ob ich dazu kom­men wür­de, sie fer­tig zu ma­chen.

Nun, sag­te sie et­was be­ru­hig­ter, wenn Sie ihr Ge­sicht län­ger stu­die­ren, wer­den Sie wohl da­hin­ter kom­men, dass nichts dar­an ist. Oder et­was doch: das Mut­ter­mal auf der Ober­lip­pe. (In der Tat saß dort ein klei­nes schwar­zes Fleck­chen, das wie ein na­tür­li­ches Schön­heits­pfläs­ter­chen den ro­ten Mund nur an­mu­ti­ger mach­te.) Sie se­hen, Gott hat sie ge­zeich­net, wie er ih­rer Schwes­ter einen krum­men Rücken und einen lah­men Fuß ge­ge­ben hat. Und mit sol­chen ver­wor­fe­nen Krea­tu­ren ha­ben wir uns, wenn es mei­nem Bru­der nach ge­gan­gen wäre, ver­schwis­tern und ver­schwä­gern sol­len? Per la Ma­don­na, so lan­ge ich noch da bin, die Ehre un­se­res Hau­ses zu ver­tei­di­gen, sol­len die­se – (das drit­te Schimpf­wort) nicht über uns­re Schwel­le kom­men!

Sie hob wie zum Schwur ihre ma­ge­re Hand ge­gen die Zim­mer­de­cke und rausch­te aus dem Zim­mer, in der Über­zeu­gung, ein reue­vol­les Be­wusst­sein, wie un­be­son­nen ich mich mit ei­ner so nied­ri­gen Per­son ein­ge­las­sen hat­te, in mir er­zeugt zu ha­ben.

Ich konn­te nicht so frei hin­ter die­ser Fu­rie drein la­chen, wie sie ver­dient hat­te. Das Mit­lei­den mit dem wehr­lo­sen Ge­gen­stan­de ih­res Has­ses mach­te mich trau­rig. Auch der arme ver­lieb­te Bat­tis­ta, den ich tief nie­der­ge­schla­gen im Hau­se her­um­schlei­chen und die Sonn­tags­gäs­te be­die­nen sah, tat mir trotz sei­ner Schwach­mü­tig­keit leid. Das Mäd­chen wäre als künf­ti­ge Pa­dro­na des »Wei­ßen Ros­ses« doch bes­ser auf­ge­ho­ben ge­we­sen, als hin­ter kal­ten Klos­ter­mau­ern.

In­des­sen – »wie Gott es ha­ben will, so ge­schieht’s auf Er­den«, hat­te sie selbst ge­sagt. Ich war egois­tisch ge­nug, mich zu freu­en, dass ich we­nigs­tens das lieb­li­che Ge­sicht für mein Buch er­obert hat­te, und so saß ich auch am nächs­ten Mor­gen wie­der an der Zeich­nung, um sie noch ein we­nig aus dem Kopf aus­zu­füh­ren – ich hat­te die Züge ja aus­wen­dig ge­lernt – als es wie­der bei mir an­klopf­te.

Ich rief in freu­di­ger Er­re­gung »He­rein!«, da ich, so un­wahr­schein­lich es war, wirk­lich dach­te, mein Mo­dell von ges­tern habe wie­der den Weg zu mir ge­fun­den; doch in der Tür, die rasch auf­ge­ris­sen wur­de, er­schi­en dies­mal nicht das schlan­ke jun­ge We­sen, son­dern nur ihre miss­ge­stal­te Schwes­ter.

Sie schob sich, müh­sam auf einen Stock ge­stützt, ins Zim­mer hin­ein. Wie mich ihre schar­fen grau­en Au­gen, über die zwei Sträh­nen ih­res schwar­zen Haa­res her­ab­hin­gen – nicht so rei­zend, wie die Löck­chen ih­rer Schwes­ter – un­ter dem schwar­zen Shawl her­vor an­blitz­ten, konn­te ei­nem in der Tat un­heim­lich zu Mute wer­den.

Ich ließ mir aber nichts mer­ken, son­dern nick­te ihr freund­lich zu.

Ah, die Si­gno­ra Gi­u­dit­ta, sag­te ich und stand auf. Was ver­schafft mir die Ehre? Kommt und nehmt Platz. (Ich bot ihr mei­nen ei­ge­nen Stuhl an.) Wie steht’s mit Eu­rer Gicht? Und was ma­chen Eure Vö­gel?

Sie war mit­ten im Zim­mer ste­hen ge­blie­ben und rühr­te sich nicht vom Fleck.

Mei­ne Vö­gel? sag­te sie mit ih­rer rau­en Stim­me. De­nen fehlt nichts. Die sind gut ver­wahrt. Wenn’s alle Men­schen so gut hät­ten, könn­ten sie Gott dan­ken.

Nun, Gi­u­dit­ta, Men­schen brau­chen doch kei­ne Kä­fi­ge, die ha­ben ihre Ver­nunft und kön­nen sich selbst ver­wah­ren.

Sie zuck­te die Ach­seln.

Men­schen brau­chen ihre Ver­nunft bloß, um un­ver­nünf­tig zu sein. War’s etwa ver­nünf­tig, dass die Ade­le ges­tern, statt in die Mes­se zu ge­hen, zu Euch ge­schli­chen ist, da­mit nun die gan­ze Stadt da­von spricht? Denn na­tür­lich, die Ma­ri­et­ta – ques­ta vi­pe­ra di Ma­ri­et­ta! – der ist sie be­geg­net, und die hat’s an die große Glo­cke ge­hängt. Nun zeigt man mit den Fin­gern auf sie.

Je nun, sag­te ich, sie braucht sich nicht dar­um zu ge­nie­ren, wenn sie nichts schlim­me­res auf dem Ge­wis­sen hat. Es ist kei­ne Tod­sün­de, ei­nem Ma­ler zu sit­zen. Die Ma­don­na ist selbst zum hei­li­gen Lu­kas her­ab­ge­stie­gen, da­mit er ihr Bild­nis male.

Ja, die Ma­don­na! Die mag tun, was ihr ge­fällt. Die Ade­le aber ist nur ein ar­mes Ding, das nichts hat als sei­nen gu­ten Ruf, und Ihr, Herr, seid kein Hei­li­ger. Die Sit­zung war ge­wiss nur ein Vor­wand.

Ich nahm das Zei­chen­buch vom Tisch und hielt ihr das Blatt mit dem Bil­de ih­rer Schwes­ter vor die Au­gen. Da seht, sag­te ich. Kaum län­ger als eine hal­be Stun­de ist Ade­le bei mir ge­we­sen, da ist dies Bild zu Stan­de ge­kom­men. Ihr be­greift doch wohl auch, dass da­ne­ben kei­ne Zeit war, per fare all’ amo­re, auch wenn ich ein leicht­sin­ni­ger jun­ger Fant wäre und nicht ein ehr­sa­mer Fa­mi­li­en­va­ter.

Sie starr­te un­ver­wandt auf das Bild, ihre stren­gen Züge wur­den mil­der, die Hand zit­ter­te, mit der sie das Buch an­ge­fasst hat­te.

Ja, sag­te sie end­lich, in­dem sie lang­sam vor sich hin nick­te, sie ist es, bloß die Far­ben feh­len. Ihr fin­det sie also auch schön? Ihr hät­tet aber erst ihre bei­den Schwes­tern se­hen sol­len, die wa­ren noch weit schö­ner, und doch – und eben dar­um – denn es ist falsch, wenn man sagt:


Chi bel­la non è,
For­tu­na non ha!

Gera­de den Schö­nen geht’s schlecht, al­les stellt ih­nen nach, und sie selbst ren­nen in ihr Ver­der­ben mit of­fe­nen Au­gen, weil ihre Schön­heit, von der man ih­nen im­mer die Ohren voll­schwatzt, sie um die Ver­nunft bringt und ihr ei­ge­ner Spie­gel sie ver­blen­det. Glaubt nicht, Herr, dass ich nei­disch auf die ar­men Din­ger ge­we­sen wäre, weil ich sel­ber so plump und gars­tig war von klein auf, wie eine Krö­te. Ich sah früh ein, dass ich da­durch vor al­len Ver­su­chun­gen ge­schützt war, denn die Män­ner sind alle schlecht – bric­co­ni, fur­fan­ti! – und mir gab kei­ner süße Wor­te, da be­hielt ich mei­nen kla­ren Ver­stand, und weil ich die Äl­tes­te war, nahm ich mir vor, mei­ne Schwes­tern vor den Sch­lin­gen und Leim­ru­ten der Vo­gel­stel­ler zu be­hü­ten. Sie sind ih­nen doch ins Garn ge­gan­gen, ich habe sie nicht streng ge­nug be­wacht. Aber die Eine, die mir noch ge­blie­ben ist, die soll nicht das­sel­be Schick­sal ha­ben, das habe ich der hei­li­gen Ma­don­na ge­lobt, und das will ich hal­ten!

Ade­le hat mir er­zählt, dass Ihr eine Non­ne aus ihr ma­chen wollt. Das wäre frei­lich der fes­tes­te Vo­gel­bau­er. Ich fürch­te nur, sie wird ihre hüb­schen Fe­dern an dem Klos­ter­git­ter zer­flat­tern und das Sin­gen ganz ver­ler­nen, wie Eure Blau­am­sel. Dau­ert Euch denn nicht das jun­ge Blut? Könn­tet Ihr nicht einen gu­ten Mann für sie fin­den und selbst noch Freu­de er­le­ben als Tan­te ih­rer Kin­der?

Sie ant­wor­te­te nicht gleich. Nein, nein, sag­te sie dann, es fin­det sich Kei­ner, der so ein ar­mes Mäd­chen nimmt, wie es geht und steht. Nicht ein­mal in je­dem Klos­ter fän­de sie Auf­nah­me ohne Mit­gift. Aber un­ser Pfar­rer hat mir ver­spro­chen, sich da­für zu ver­wen­den. Zum Herbst soll sie ein­ge­klei­det wer­den. Ein gu­ter Mann? So­gar der hät­te sich ge­fun­den, der Bat­tis­ta hier vom Ca­val­lo bian­co, frei­lich ein Tropf und zum Ver­lie­ben nicht eben ge­schaf­fen. Aber er hät­te sie gut ge­hal­ten, und auch die El­tern hat­ten sich dar­ein er­ge­ben, bloß die Ma­ri­et­ta – ques­ta vi­pe­ra di Ma­ri­et­ta! – aus pu­rer Ei­fer­sucht, weil sie kei­ne Schwä­ge­rin woll­te, die schö­ner wäre als sie – bas­ta! Es ist so bes­ser. Im Klos­ter ist sie vor al­len Fall­stri­cken der Ei­tel­keit si­cher und geht end­lich, nach­dem sie se­lig ge­lebt hat, grad in den Him­mel ein. Aber nun ver­zeiht, dass ich Euch so lan­ge auf­ge­hal­ten habe, und ich will ja nun glau­ben, dass Ihr kei­ne schlim­men Ab­sich­ten mit der Ade­le ge­habt habt; aber wenn sie Euch ver­spro­chen hat, noch ein­mal zu Euch zu kom­men, dar­aus kann nichts wer­den.

Auch nicht, wenn Ihr sie zu mir be­glei­tet?

Sie schüt­tel­te den Kopf. Sie soll nicht noch eit­ler wer­den, das taugt nicht für eine künf­ti­ge Braut des Him­mels. Und hier, Herr, nehmt das wie­der –

Sie reich­te mir den Fünf-Fran­ken-Ta­ler, den ich der Ade­le ges­tern in die Hand ge­drückt hat­te.

Seid Ihr toll? sag­te ich. Das Geld ist so red­lich ver­dient, wie wenn Eure Schwes­ter da­für ge­näht hät­te.

Es ist Sün­den­geld, und Ihr müsst’s zu­rück­neh­men. Hand­geld des Teu­fels, wo­mit er See­len fängt. Nehmt, nehmt!

Ich trat ein paar Schrit­te zu­­­­­­­­­­­­­­­­