Paul Heyse
Kleopatra
Paul Heyse
Kleopatra
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-67-9
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(1865)
Wer jene Park-Vorstadt durchwandert, deren Paläste mitten in die Waldstille des alten Berliner Tiergartens alle Schätze der Kunst und des Reichtums verpflanzt haben, bemerkt noch hie und da in der Reihe der glänzenden Villen neuesten Datums eines jener älteren Landhäuser bescheideneren Stils, die nicht auf den Prunk gebaut, meist von der Straße etwas zurückgezogen, unter dem Schutz alter Ahorn- und Akazienbäume liegen und es verschmähen, mit Springbrunnen und Statuen den Vorübergehenden anzulocken. Ein starkes Eisengitter trennt den wohlgepflegten Rasen mit wenigen Blumengruppen von dem Fahrweg. Erst hinter dem Hause ist es dem Gärtner erlaubt, seine Kunst zu zeigen und den selteneren Flor der Treibhäuser um die Veranden und Ruhesitze anzubringen, dem echt aristokratischen Grundsatze getreu, dass der beste Geschmack darin bestehe, »nicht aufzufallen«.
Vor einem dieser seltenen Häuser aus der guten alten Zeit hielt eines schönen Sommerabends ein eleganter Wagen, aus dem ein junges Paar leicht heraussprang, um dann einer schwerfälligen alten Dame sorgsam den Arm zu bieten. Draußen am Gitter waren müßige Nachbarn stehen geblieben, um die Herrschaften aussteigen zu sehen; man konnte aus ihren Reden erfahren, dass der stattliche junge Herr mit dem leichten Bärtchen und dem dichten krausen Haar ein Freiherr von L., die blonde junge Dame seine Cousine und Braut, und die ältere ihre Pflegemutter, ein hochadliges Fräulein sei, das ehemals Hofdame bei einer königlichen Prinzessin gewesen und sich dann auf ihre Güter zurückgezogen habe, um sich der Erziehung ihrer Nichte zu widmen. Der Freiherr sei ebenfalls Rittergutsbesitzer, habe aber vor wenigen Monaten auch dieses Grundstück gekauft, um hier bei der Stadt ein Absteigequartier zu haben; wer das Haus früher gesehen – im Innern – und jetzt wieder betreten, konnte nicht genug sagen, mit wie viel Geschmack und Aufwand die ganze Einrichtung von Grund aus umgeschaffen worden sei.
So redeten die Leute noch, als die drei Menschen, die ihre Neugier beschäftigten, schon längst in der reich mit immergrünen Gewächsen umrahmten Tür verschwunden waren. Der Bräutigam führte die alte Dame am Arm, das schöne Mädchen ging mit schwebenden Schritten neben ihnen her. Sobald sie den Fuß über die Schwelle des Hauses gesetzt hatte, das nun in wenigen Tagen ihr Haus sein sollte, hatte sie in lieblicher Verwirrung den Strohhut abgenommen, als würde es ihr zu heiß, und ihre Hand suchte heimlich die Hand ihres Verlobten, um sie nach einem verstohlenen Druck wieder freizugeben. Ihr ganzes Wesen schwamm in einer süßen seligen Munterkeit; es war als fühle sie sich beständig versucht, die Formen der aristokratischen Welt, in denen sie sich doch ohne Zwang bewegte, zu durchbrechen und in fröhlichem Mutwillen etwas Törichtes zu begehen, um ihrem übervollen Herzen Luft zu machen. Sie hatte diesen Mann geliebt, seit sie denken konnte. Als ein entfernter Cousin war er zu ihren Eltern gekommen, als sie noch mit Puppen spielte, er damals ein bartloser junger Fähnrich, der sie kaum beachtete, da er schon ein gesuchter Tänzer war und an ganz andere Eroberungen dachte. Dann war er ihr freilich lange aus den Augen verschwunden, aber nicht aus dem Sinn; denn als er vor mehreren Jahren bei der Tante eintrat, unangemeldet, nun als ein reifer Mann und in Zivilkleidern, hatte sie allein ihn auf der Stelle erkannt und sogleich wieder den alten kindischen Ärger empfunden, dass sie scheinbar so wenig Eindruck auf ihn machte. Warum war er so zerstreut, so fremd und einsilbig? Es mochten ihm wohl seine vielen Geschäfte durch den Sinn gehen, da er im Begriff stand, Güter zu kaufen, um das eben von den Eltern ererbte große Vermögen sicher anzulegen. Und wieder zwei Jahre Trennung, während deren er nur selten schrieb, immer an die Tante, und der Nichte nur mit einem flüchtigen Gruß gedachte. Als er aber zum dritten Mal kam, da sollte die lange Probezeit ein fröhliches Ende finden. Da hatte er sie eines Tages gefragt, ob sie ihm noch so gesinnt sei, wie vor zwölf Jahren, und als sie betroffen erwiderte, was er denn von ihren achtjährigen Gefühlen wisse, hatte er ihr eine alte Geschichte erzählt, die sie selbst fast vergessen, wie sie einst, als Gesellschaft bei ihren Eltern gewesen, aus der Kinderstube an die Saaltür geschlichen sei, um nach dem jungen Fähnrich zu horchen, der eben am Klavier eine Romanze sang, und wie sie dort von der Gouvernante ertappt mit glühendem Gesicht gebeten habe, nur noch das Lied aushören zu dürfen. Er gestand ihr, als sie sich lachend und errötend herauszuwinden suchte und auf seine frühgereifte Eitelkeit schalt, dass ihm dieser Sieg über ihr junges Herz damals ziemlich leicht gewogen habe. Doch habe er oft in späteren Jahren an die kleine Lauscherin zurückgedacht und es sei ihm wunderlich gewesen, bei seinem ersten Besuch nach langer Zeit dasselbe Lied auf ihrem Flügel zu finden. Mit Gesang sie zu erobern, könne er jetzt nicht mehr hoffen. Er habe diese fröhliche Kunst über ernsteren Dingen völlig vernachlässigt. Aber zugleich sei ihm auch die Selbstgewissheit der Jugend abhanden gekommen, und wenn er zwei Jahre seitdem geschwiegen, sei es nur geschehen, weil er die ernstlichsten Zweifel gehegt habe, ob er es wert sei, diesen Schatz zu gewinnen. Da hatte sie zwischen Lachen und Weinen ihre Arme zutraulich wie ein Kind um seinen Hals gelegt und ihm zugeflüstert, dass sie nie von einem anderen Glück geträumt habe, als die Seine zu werden.
Auch heut, als sie zum ersten Mal das schöne Haus mit ihm betrat, das er während der Brautzeit heimlich hatte einrichten lassen, schweiften ihre Augen nur zerstreut an den glänzenden Wänden hin, nicht als nähme sie all diese Herrlichkeiten wie ihr künftiges Eigentum in Besitz, sondern als werde nichts in diesem Zauberschlösschen ihr so eigen gehören, wie der Herr des Hauses selbst. Sie nickte halb zerstreut, als er in dem heiteren Treppenflur auf dem dicken Teppich stehen bleibend sie fragte, ob es sich nicht freundlich und einladend mache, die schöne graue Marmorstiege mit dem vergoldeten Geländer, der luftige Raum, von oben durch das bunte Kuppelfenster erhellt, unten im Flur die Rauch’schen Victorien zwischen den blühenden Granatbüschen und Palmen in großen Kübeln von gebranntem Ton. Ein Diener öffnete die Flügeltür dem Eingang gegenüber, und man trat in den kühlen Speisesaal, zu dessen Fenstern der Garten hereinsah. Schon war die Sonne hinter die obersten Ahornwipfel gegangen, aber die Tageshelle noch kaum gedämpft. Lass uns erst noch in den Garten, bat sie, ehe die Vögel still werden! – Die Tante schalt, dass sie für eine künftige Hausfrau nicht begieriger sei, ihr eigentliches Reich bis auf Küche und Keller zu besichtigen. Aber sie war schon auf den geräumigen Perron getreten, nach dem die hohe Glastür des Saales sich öffnete, und hüpfte den Andern voran die wenigen Stufen in den Garten hinab.
Was ist das? sagte sie, plötzlich stehen bleibend, mit dem Ausdruck der höchsten Überraschung. Sie hatte die Hände mit einer reizenden Gebärde des Entzückens zusammengeschlagen, öffnete sie aber im nächsten Augenblick, um ohne alle Rücksicht auf die Tante ihrem Geliebten um den Hals zu fallen.
Hab’ ich’s getroffen? sagte er und küsste ihre klare Stirn. Ich wusste doch, dass du gegen die schönsten Bilder und Statuen, mit denen ich unser Häuschen zu schmücken suchte, noch eine ganze Zeit lang eine kleine Barbarin bleiben würdest, und dass der armseligste Spatz, der hier auf dem Perron herumnascht, dir wichtiger ist, als alle geflügelten Victorien. Da du nun auf unserem Gut an Hühnern, Enten und Gänsen des gewöhnlichen Schlages keinen Mangel finden wirst, so hab’ ich dir einiges fremde Federvieh in diesen schmucken Käfig gesteckt.
Du Einziger! sagte sie und fasste seine Hand, um ihn zu dem hohen Vogelhause hinzuziehen. Mir ist zu Mut, wie in einem Märchen von Tausend und Einer Nacht. Ist es wahr? diese Wundervögel sollen mein sein? Ich soll sie füttern und pflegen?
Sie stand an den vergoldeten Drahtgittern und staunte mit leuchtenden Augen in den inneren Raum, der in mancherlei Abteilungen wohl ein Hundert der seltensten großen und kleinen Vögel enthielt. In der Mitte stieg ein künstliches Bäumchen auf, mit vielen blanken Sprossen, durch welche auf und ab sieh die kleinsten Singvögel tummelten, während in eigenen geräumigen Käfigen die größeren Fremdlinge paarweise hin und her schritten. Es war ein Gurren und Zwitschern, ein Schwirren, Huschen und Trippeln, dass man nicht müde wurde, in das bunte Geschwirr hineinzuschauen.
Auf einmal war’s, als ob sich dieser fröhlichen Welt ein allgemeines Entsetzen bemächtige, das alle Federn sträubte, allen harmlosen Gesang einschüchterte und selbst den muntersten Bewohnern des Drahthauses die Luft an ihrem Futter verleidete. Ein großer langhaariger Affe, der in einem offenen Türmchen auf dem Dach der Voliere gekauert und die drei Menschen mit lauernden Augen beobachtet hatte, schien es übel zu nehmen, dass man ihn über seinen schöneren Hausgenossen völlig übersehen hatte. Mit raschem Satz, eine feine lange Stahlkette am linken Vorderarm nachschleppend, hatte er sich über das sanft geneigte Dach herabgeschwungen und kletterte nun geräuschlos an den Drahtgittern entlang nach der Stelle hin, wo das schöne Mädchen stand, das ihn mehr als die Andern anzulocken schien. Sie war gerade in das heitere Familienglück zweier Silberfasanen vertieft, deren erst kürzlich ausgekrochene junge Brut sich um den frisch gefüllten Futtertrog drängte. Plötzlich fühlte sie sich an einem Zipfel ihres weißen Kaschemirburnus gezerrt und stieß einen leichten Schreckensruf aus, als sie sich umsah und das welke grinsende Affengesicht in nächster Nähe erblickte. Sie tat unwillkürlich ein paar Schritte zurück, aber der Affe hielt die weiße Quaste fest in der kleinen Faust, während er sich mit der anderen schwebend ans Gitter klammerte, und nickte ihr mit hämischem Zähnefletschen und allerlei tollen Grimassen beständig zu, ja er wäre ihr sicher noch weiter gefolgt, wenn die Kette ihn nicht zurückgehalten hätte. Er schien, bis auf einige Schadenfreude, nicht irgend böse Gedanken zu hegen, vielmehr nur mit einem gewissen ritterlichen Selbstgefühl der holden Erscheinung seine Huldigung darbringen zu wollen. Im nächsten Augenblick aber verzerrten sich seine scharfen Züge zum Ausdruck des menschenfeindlichsten Hasses. Der junge Mann, dessen Braut er so zudringlich bewunderte, hatte ihn kaum bemerkt, als er ein Stäbchen ergriff, das der Gärtner am Gitter stehen lassen, und es mit einem drohenden Ruf gegen den frechen Schleicher erhob. Das Tier schien nicht geneigt, seine Beute so leichten Kaufs fahren zu lassen. Es hielt den zornigen Blick seines Herrn mit herausforderndem Trotz einige Sekunden lang aus, und seine großen Kinnladen bewegten sich mit einem schnatternden Ton, als ob er die Zähne wetze, um sich zur Wehre zu setzen. Als aber die Gerte pfeifend in einigen scharfen Hieben auf seinen Rücken und den diebischen Arm niedersauste, stieß er ein durchdringendes Geschrei aus, riss in Schmerz und Wut an dem Zipfel, den er gepackt hatte, dass die weiße Quaste sich löste, und entfloh in wilden Sprüngen über das Dach des Vogelhauses in sein unnahbares Türmchen zurück. Hier kauerte er, als wäre nichts vorgefallen, auf der Schwelle seiner Wohnung nieder, betrachtete seinen Raub mit nachdenklichen Gebärden von allen Seiten und schoss nur von Zeit zu Zeit einen tückischen Blick auf seinen Herrn, der die Rute weggeworfen und sich wieder zu den Damen gewendet hatte.
Du bist ganz blass geworden, Cecil, sagte er und ergriff die Hand seiner Braut. Ich sehe schon, dass ich diesem tückischen Gast die Wohnung aufkündigen muss, wenn er dir nicht alle Freude an deinen Vögeln verderben soll. Auch war das Türmchen ursprünglich nicht für seinesgleichen bestimmt. Ich hatte mir einreden lassen, dass sich’s gut ausnehmen wür