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Paul Heyse

Neue Moralische Novellen

Paul Heyse

Neue Moralische Novellen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-82-2

null-papier.de/520

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Wid­mung

Jo­rin­de

Ge­treu bis in den Tod

Die Kai­se­rin von Spi­net­ta

Das See­weib

Die Frau Mar­che­sa

Dan­ke

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Widmung


Mei­nen lie­ben Freun­de
Theo­dor Storm
zu­ge­eig­net.

Jorinde

(1878)

Vor ei­nem der al­ten Fes­tungs­to­re der Stadt Augs­burg stand noch in den ers­ten Jahr­zehn­ten un­se­res Jahr­hun­derts ein Häu­schen mit­ten in ei­nem großen, ver­wil­der­ten Gar­ten, den schon seit Men­schen­ge­den­ken Nie­mand mehr be­tre­ten hat­te. Eine hohe Mau­er, de­ren Be­wurf von Re­gen und Schnee zer­nagt kaum noch hie und da an den Stei­nen hing, lief in wei­tem Vier­eck um das öde Grund­stück her­um, und nur durch das schwe­re ei­ser­ne Git­ter­tor zwi­schen den bei­den mit Wap­pen­lö­wen ge­krön­ten Mit­tel­pfei­lern konn­te man einen ver­stoh­le­nen Blick in das In­ne­re wer­fen. Man sah von dem Häu­schen, das nur Ein Stock­werk hat­te, nichts als ein Stück des ver­wit­ter­ten Schin­del­da­ches über die Ta­xus­he­cke her­vor­ra­gen, die gleich hin­ter dem Ein­gang ge­pflanzt dazu be­stimmt schi­en, neu­gie­ri­ge Bli­cke ab­zu­weh­ren. Jahr um Jahr wuchs die­se He­cke, an der so lan­ge schon kei­ne Gärt­ner­sche­re ge­stutzt hat­te, und Jahr um Jahr schi­en die schwar­ze Dach­li­nie des Gar­ten­häus­chens tiefer hin­ab­zu­sin­ken, so­dass man den Tag kom­men sah, wo hin­ter den ros­ti­gen Schnör­keln des al­ten To­res nur noch eine dun­kel­grü­ne Wild­nis zu schau­en sein wür­de.

Eine halb ver­schol­le­ne un­heim­li­che Ge­schich­te knüpf­te sich an die­sen Gar­ten. Ein vor­neh­mer Herr – nach An­de­rer Mei­nung gar ein ho­her Kir­chen­fürst – hat­te das Häu­schen für eine Dame, die er lieb­te, bau­en und mit al­lem üp­pi­gen Haus­rat, wie er in den Lust­sch­lös­sern der Ro­ko­ko­zeit zu fin­den war, aus­stat­ten las­sen. Die Herr­lich­keit soll­te nicht lan­ge wäh­ren. Der Ge­mahl – oder war es ein Bru­der – der un­glück­li­chen Schön­heit, die hier von der Welt ver­ges­sen zu wer­den hoff­te, hat­te ih­ren Ver­steck aus­fin­dig ge­macht und mit ei­nem Pis­to­len­schuss sei­ne be­su­del­te Ehre rein­ge­wa­schen. Seit­dem war das Haus un­be­wohnt ge­blie­ben. Es gehe dar­in um, raun­ten sich die Leu­te zu. Ei­nem klei­nen Bür­ger der Stadt hat­te der Be­sit­zer die Schlüs­sel an­ver­traut, un­ter der Be­din­gung, dass er Nie­mand den Ein­tritt ge­stat­te. Dar­über wa­ren vie­le Jah­re ver­gan­gen. Über den Ge­s­pens­tern der fran­zö­si­schen Schre­ckens­zeit hat­te man den Spuk in der Nähe ver­ges­sen. Doch wirk­te das Un­heim­li­che, das je­der Verödung an­haf­tet, noch im­mer so stark, dass selbst un­ter dem Em­pi­re, als die Blut­scheu auf den großen Schlacht­fel­dern gründ­lich er­stickt wur­de, Nie­mand sich fand, der Lust ge­habt hät­te, das so schön ge­le­ge­ne Gar­ten­grund­stück zu er­wer­ben und den Mot­ten und Mäu­sen die Herr­schaft in dem ver­fal­le­nen Häu­schen strei­tig zu ma­chen.

Um so grö­ßer war das Er­stau­nen der ge­sam­ten Augs­bur­ger Bür­ger­schaft, als plötz­lich die Neu­ig­keit durch die Stadt lief, das ver­wun­sche­ne Haus sei wie­der be­wohnt, und zwar von zwei ein­zel­nen Frau­en­zim­mern, ei­ner jun­gen wun­der­schö­nen Per­son und ei­ner ält­li­chen, wel­che die Kam­mer­frau, Haus­häl­te­rin, Kö­chin und Gärt­ne­rin der Jun­gen vor­stel­le. Denn au­ßer ei­nem in Augs­burg ge­mie­te­ten Lauf­mäd­chen, das die nö­ti­gen Ein­käu­fe in der Stadt be­sor­gen und täg­lich mit ei­nem Körb­chen zum Bä­cker und Metz­ger wan­dern müs­se, zei­ge sich kei­ne mensch­li­che, ge­schwei­ge männ­li­che See­le im Be­reich der ge­mie­de­nen Mau­ern. Der alte Schlüs­sel­be­wah­rer, den man um Aus­kunft be­stürm­te, konn­te nichts wei­ter be­rich­ten, als dass vor et­li­chen Wo­chen die alte Per­son ihn mit der Fra­ge an­ge­gan­gen, ob das Häu­schen samt dem Gar­ten ver­mie­tet wer­de. Er hat­te sich um In­struc­ti­on für die­sen bis­her un­denk­ba­ren Fall an die Er­ben des frü­he­ren Be­sit­zers ge­wen­det, die gern ge­gen einen mä­ßi­gen Zins ihre Ein­wil­li­gung ge­ge­ben. Dann sei­en ei­nes Mor­gens die bei­den Frau­en­zim­mer in ei­nem klei­nen Wa­gen vor dem Git­ter­tor er­schie­nen, hät­ten ein Köf­fer­chen und ei­ni­ge Schach­teln vom Kut­scher ab­la­den las­sen und so­fort von dem Hau­se Be­sitz er­grif­fen, das wun­der­sa­mer­wei­se trotz der lan­gen Ver­nach­läs­si­gung sich noch in ziem­lich wohn­ba­rem Zu­stan­de ge­zeigt habe.

Auf sei­ne Fra­ge, wen er denn der Herr­schaft als Mie­te­rin zu nen­nen habe, sei ihm von der Jun­gen, die da­bei ein Paar un­glaub­lich schö­ner schwar­zer Au­gen so fest auf ihn ge­hef­tet, dass er den Blick kaum habe er­tra­gen kön­nen, in gu­tem, nur et­was fremd­ar­ti­gem Deutsch die Ant­wort ge­wor­den, sie hei­ße Ma­de­moi­sel­le Jo­rin­de La Hai­ne und ge­den­ke je­den­falls Jahr und Tag hier woh­nen zu blei­ben.

Nach die­sen Mit­tei­lun­gen konn­te es nicht feh­len, dass die Neu­gier, zu­mal der jun­gen Welt, zu ei­nem wah­ren Fie­ber ge­stei­gert wur­de und die­se sonst so ein­sa­me Ge­gend des al­ten Stadt­wal­les zu al­len Stun­den des Ta­ges von Spa­zier­gän­gern zu wim­meln an­fing. Ja selbst in der Nacht konn­te man jun­ge Bür­ger aus den an­stän­digs­ten Fa­mi­li­en, die sonst kei­ne Nacht­schwär­mer wa­ren, das Git­ter­tor hier au­ßen um­schlei­chen und wohl gar, wenn sie sich un­be­merkt glaub­ten, an der bröck­li­gen Mau­er hin­auf­klet­tern se­hen, um in die Ta­xus­we­ge und zu dem Häu­schen hin­über­zu­spä­hen. Auch schie­nen sich alle Di­let­tan­ten auf der Gui­tar­re und im Ge­sang plötz­lich ver­schwo­ren zu ha­ben, ihre Küns­te vor dem ge­heim­nis­vol­len Gar­ten zu üben. Es war ge­ra­de Som­mer und die Näch­te warm und duf­tig, da der Jas­min eben zu blü­hen be­gon­nen. Wer die Wor­te, die da ge­sun­gen wur­den, nicht ver­stand, konn­te sich nach Ita­li­en ver­setzt glau­ben.

Al­les aber blieb ver­lo­re­ne Mühe, und schon be­gann die Neu­gier zu er­kal­ten und selbst in den aben­teu­er­lichs­ten Köp­fen die Ah­nung zu däm­mern, dass es eine große Tor­heit sei, um eine ewig Un­sicht­ba­re sich den Schlaf ab­zu­bre­chen, als ei­nes schö­nen Sonn­tag­mor­gens, da ge­ra­de der Wall von ge­putz­ten Kirch­gän­ge­rin­nen und spa­zie­ren­den jun­gen Bür­gern schwärm­te, das ei­ser­ne Parktor sich öff­ne­te und die rät­sel­haf­te Frem­de, be­glei­tet von ih­rer Die­ne­rin, her­austrat. Ihre Er­schei­nung, wie sie die son­ni­ge Stra­ße zwi­schen ih­rem Gar­ten und dem von ho­hen Bäu­men über­schat­te­ten Wall mit ru­hi­gen Schrit­ten kreuz­te, war so wun­der­sam und wie aus ei­ner frem­den Welt, dass das ge­sam­te lust­wan­deln­de Pub­li­kum auf Ei­nen Schlag be­trof­fen still­stand, nicht die Ju­gend al­lein, son­dern auch be­jahr­te Ma­tro­nen und ehr­wür­di­ge Grau­köp­fe, die bis­her zu al­len Er­zäh­lun­gen von der selt­sa­men Frem­den die Ach­seln ge­zuckt und ge­mur­melt hat­ten: es wer­de auch an Die­ser nicht viel Sau­be­res sein, gleich­wie an ih­rer Vor­gän­ge­rin in dem spuk­haf­ten Häu­schen. Jetzt stan­den sie alle mit of­fe­nen Au­gen und Mäu­lern und starr­ten der schlan­ken Ge­stalt ent­ge­gen, wie man Spa­lier bil­det, um ir­gend eine fürst­li­che Per­son ehr­er­bie­tig vor­bei­zu­las­sen. Das Fräu­lein war in ein schwar­zes, som­mer­li­ches Ge­wand ge­klei­det, das, nach der Mode der Zeit hoch un­ter der Brust ge­gür­tet, den schöns­ten ju­gend­li­chen Wuchs er­ken­nen ließ, wäh­rend ein fei­ner ro­ter Shawl die blo­ßen Schul­tern und Arme nur wie ein schma­ler Strei­fen um­schlang. Ihr rei­ches, ganz ei­gen auf­ge­steck­tes Haar war un­ter einen ho­hen Stroh­hut nur not­dürf­tig ge­bän­digt, und eine lose schwar­ze Lo­cke fiel ihr auf den Bu­sen, den sie, gleich­falls der herr­schen­den Sit­te ge­mäß, ziem­lich frei der Som­mer­luft preis­gab. Statt der Schu­he – und dies war das Ein­zi­ge, worin sie völ­lig von der Mode ab­wich, – trug sie klei­ne hoch­ro­te Saf­fian­pan­töf­fel­chen, ohne hohe Ha­cken, in de­nen sich ihre schma­len Füße aufs Zier­lichs­te be­weg­ten. Sie schritt, als ob das Gaf­fen der Men­ge sie nicht das Min­des­te an­gin­ge, den Weg zum Wall hin­an in ei­ner Hal­tung, die nicht züch­ti­ger und harm­lo­ser hät­te sein kön­nen, ihre Die­ne­rin in ei­nem ehr­ba­ren grau­en Klei­de mit großer Hau­be dicht an ih­rer Sei­te, von Zeit zu Zeit ein Wort an ihr Fräu­lein rich­tend, das im­mer freund­lich er­wi­dert wur­de. Wäh­rend sie nun rasch durch die ste­hen ge­blie­be­nen Grup­pen hin­schritt, konn­te die Neu­gier, die so lan­ge hat­te fas­ten müs­sen, sich recht an ih­rem An­blick sät­ti­gen, und man hör­te von al­len Sei­ten die be­wun­dern­den Aus­ru­fe und ge­flüs­ter­ten Be­kennt­nis­se, dass sie noch weit schö­ner sei, als man sie sich vor­ge­stellt, ja dass man über­haupt nie und nir­gend, au­ßer in Bil­dern, et­was Ähn­li­ches ge­se­hen habe. Selbst den al­ten Leu­ten, de­ren Blut zahm und schläf­rig in den Adern floss, schi­en sie es wie durch einen Zau­ber an­ge­tan zu ha­ben; sie rühm­ten in die Wet­te ih­ren An­stand, ihre gra­zi­en­haf­te Art, das Haupt auf den schö­nen Schul­tern zu tra­gen, die schlich­te Ho­heit, wo­mit sie etwa einen Gruß er­wi­der­te, ohne dass je ein Lä­cheln über ihr Ge­sicht ging, auch den Ge­schmack in ih­rer wun­der­lich ge­wähl­ten Klei­dung. Dass die Ju­gend vollends, die weib­li­che wie die männ­li­che, von der Frem­den ganz er­füllt war und in lei­den­schaft­li­chem Ei­fer, frei­lich in sehr ver­schie­de­nem Sin­ne, ihr plötz­li­ches Er­schei­nen be­sprach, wird Nie­mand Wun­der neh­men.

Sie aber, die An­stif­te­rin die­ses Volks­aufruhrs, schi­en von der Wir­kung ih­rer jun­gen Rei­ze nicht die ge­rings­te No­tiz zu neh­men. Sie war an eine Stel­le ge­langt, wo sie un­ten in dem brei­ten Was­ser­gra­ben, der trä­ge zwi­schen Wall und Stadt­mau­er hin­schleicht, die En­ten­häus­chen se­hen konn­te und die zahl­rei­che jun­ge Brut, die sich da­zwi­schen auf der schlam­mi­gen Wel­le hin- und her­trieb. Da blieb sie ste­hen, zog ein Bröt­chen aus der Ta­sche und fing an ein­zel­ne Bro­cken den gie­ri­gen Vö­geln hin­un­ter­zu­wer­fen, die sich so­fort nach der Stel­le hin­dräng­ten, um das sel­te­ne Fut­ter sich strei­tig zu ma­chen. Dies dau­er­te eine Wei­le, zu sicht­ba­rer Be­lus­ti­gung der Spen­de­rin. Als aber der Vor­rat er­schöpft war, wink­te sie ih­nen nur noch mit ih­rer klei­nen Hand, die zur Hälf­te in ei­nem schwarz­sei­de­nen Fi­let­hand­schuh steck­te, gleich­sam einen Ab­schieds­gruß hin­un­ter, zog den ro­ten Shawl, der tief her­ab­ge­fal­len war, wie­der um ihre Schul­tern und trat den Heim­weg nach ih­rem Gar­ten an, die dich­te Zuschau­er­men­ge furcht­los durch­wan­delnd, als wä­ren es eben so viel Sträu­cher und Bäu­me.

So ver­schwand sie hin­ter ih­rem ei­ser­nen Park­git­ter, das die alte Die­ne­rin sorg­fäl­tig mit ei­nem großen ros­ti­gen Schlüs­sel hin­ter ih­nen ver­schloss.

Von die­sem Tage an war die aus­län­di­sche De­moi­sel­le, wie die äl­te­ren Leu­te sie nann­ten, oder die schö­ne Jo­rin­de, wie sie bei der Ju­gend hieß, durch vie­le Wo­chen das Haupt­ge­spräch der gu­ten Stadt, in wel­cher vor ei­nem hal­b­en Jahr­hun­dert noch sehr klein­städ­ti­scher Brauch herrsch­te. Die jun­gen und al­tern­den Töch­ter der gu­ten Bür­gers­häu­ser führ­ten dies Ge­spräch mit ver­hal­te­ner Ge­reizt­heit, die mehr und mehr in of­fe­ne Er­bit­te­rung aus­ar­te­te. Vä­ter und Müt­ter, die an­fangs nur dar­an ein Är­ger­nis ge­nom­men hat­ten, dass die Frem­de nie eine Kir­che be­such­te, über­haupt die Stra­ßen der Stadt nie­mals be­trat, als ob eine an­ste­cken­de Seu­che dar­in um­ge­he, wur­den von die­sen feind­se­li­gen Ge­füh­len mit der Zeit eben­falls er­grif­fen und fin­gen ih­rer­seits an, das schö­ne We­sen als eine ge­mein­schäd­li­che Per­son zu be­trach­ten, ja auch im Stil­len auf Mit­tel zu sin­nen, wie man sie aus ih­rem stil­len Gar­ten ver­trei­ben könn­te. Das Al­les ein­zig und al­lein, weil die ge­sam­te männ­li­che Ju­gend je län­ger je un­ent­rinn­ba­rer dem Zau­ber ver­fiel, den die Be­woh­ne­rin des ver­wun­sche­nen Häu­schens um sich her ver­brei­te­te.

Sie er­schi­en, nach­dem sie ein­mal die Schwel­le ih­rer Gar­ten­pfor­te über­schrit­ten hat­te, all­täg­lich zu der näm­li­chen Stun­de auf dem Wall, um ih­ren Spa­zier­gang zu ma­chen, meist mit der Al­ten, zu­wei­len auch al­lein. Im­mer trug sie das­sel­be Kleid, den ro­ten Shawl und Stroh­hut und die Saf­fian­pan­töf­fel­chen, und nie wur­de an ihr das ge­rings­te Schmuck­stück be­merkt, au­ßer ei­nem klei­nen Kreuz von ro­ten Koral­len an ei­nem schwar­zen Sam­met­ban­de, das die Wei­ße ih­res Hal­ses und Bu­sens nur noch leuch­ten­der her­vor­hob. In ei­nem Körb­chen trug sie re­gel­mä­ßig das Fut­ter für ihre Pfleg­lin­ge un­ten im Wall­gra­ben und gab sich die­ser Be­schäf­ti­gung so ernst­haft und eif­rig hin, als voll­bräch­te sie da­mit ein wich­ti­ges Ta­ge­werk. In der Tat sah man sie auch in ih­rem Gar­ten, als man spä­ter sie dort auf­su­chen durf­te, nie mit ir­gend ei­ner weib­li­chen Ar­beit be­schäf­tigt, noch schi­en sie je ein Buch zu le­sen. Gleich­wohl konn­te man in dem schö­nen Ge­sicht nie einen Zug von Lan­ger­wei­le ent­de­cken, wenn auch frei­lich noch we­ni­ger von Mun­ter­keit, wie man bei ei­nem so jun­gen We­sen, das alle Welt be­wun­der­te, wohl hät­te er­war­ten dür­fen. Es war et­was Kal­tes, Stil­les und doch wie­der Küh­nes und Trot­zi­ges in den kind­lich wei­chen Zü­gen, und ge­ra­de die­ser rät­sel­haf­te Wi­der­spruch reiz­te die jun­gen Leu­te mehr als das sü­ßes­te Lä­cheln und die zier­lichs­te Ge­fall­sucht an­de­rer glat­ter Lärv­chen. Schon am fol­gen­den Tage fass­te sich der reichs­te und auf sei­ne schö­ne Fi­gur ei­tels­te jun­ge Herr, der Sohn des Bür­ger­meis­ters, ein Herz, die Frem­de auf dem Wal­le an­zu­re­den. Sie ant­wor­te­te ohne jede Ver­le­gen­heit, ver­mied aber auf eine fei­ne Wei­se, über ihre per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se ir­gend nä­he­re Aus­kunft zu ge­ben; nur so­viel ließ sie durch­bli­cken, dass sie, von deut­schen El­tern ge­bo­ren, län­ge­re Zeit in Frank­reich ge­lebt habe und jetzt ganz al­lein in der Welt ste­he. Auf die Fra­ge, warum sie ein schwar­zes Kleid tra­ge, er­wi­der­te sie un­ver­le­gen, es sei dies ihr ein­zi­ger gu­ter An­zug, sie habe eben kein großes Ver­mö­gen und müs­se an ih­rer Gar­de­ro­be spa­ren, um sich ohne Schul­den durch­zu­brin­gen.

Als die­ses of­fe­ne Be­kennt­nis un­ter den jun­gen Bür­gerssöh­nen her­um­kam, be­stärk­ten sie sich dar­an in der fre­chen Hoff­nung, an die­sem frem­den Meer­wun­der, das sie nun für nicht viel Bes­se­res als eine Aben­teu­re­rin hiel­ten, einen be­que­men Fang zu ma­chen. Sie soll­ten aber un­sanft ent­täuscht wer­den. Denn so frei­en Zu­tritt die Schö­ne Je­dem ver­stat­te­te, der auf dem Wall sich ihr vor­stell­te, oder gar die Klin­gel an dem Parktor zog, um ihr auf ih­rem ei­ge­nen Grund und Bo­den eine Vi­si­te zu ma­chen, so we­nig konn­te sich ir­gend Ei­ner rüh­men, auch nur die Spit­ze ih­res klei­nen Fin­gers ge­küsst zu ha­ben, oder auf eine ver­we­ge­ne Rede ohne die ge­büh­ren­de Ab­fer­ti­gung ge­blie­ben zu sein. Je­nen Haup­t­hahn im Kor­be der jun­gen Augs­bur­ge­rin­nen, den Sohn des Bür­ger­meis­ters, hat­te sie so­gar ein für al­le­mal von ih­rem Ant­litz ver­bannt, weil er in ei­ner vom Wein be­feu­er­ten über­mü­ti­gen Stun­de sich un­ter­stan­den hat­te, den Arm um ihre Hüf­te zu le­gen. Er wag­te es, ob­wohl sei­ne Lei­den­schaft bis zu völ­li­ger Verzweif­lung em­por­lo­der­te, nicht mehr, die Schwel­le ih­res Gar­tens zu be­tre­ten, wäh­rend er so viel an­de­re, be­scheid­ne­re Be­wer­ber den hal­b­en Tag dort aus- und ein­ge­hen sah.

Denn es war bald Sit­te ge­wor­den, gleich nach Mit­tag der schö­nen Jo­rin­de sei­ne Cour zu ma­chen, die es auch nicht un­gnä­dig auf­zu­neh­men schi­en, und de­ren erns­te schwar­ze Au­gen im­mer selt­sa­mer zu blit­zen an­fin­gen, je grö­ßer der Schwarm ver­lieb­ter jun­ger To­ren ward, der durch die ver­schlun­ge­nen Kies­we­ge um das Häu­schen her­um, bei der al­ten, längst ver­lechz­ten Fon­tä­ne, un­ter der Trau­er­wei­de und bei dem Tem­pel­chen hin­ten im dich­teren Teil des Parks der an­ge­be­te­ten Grau­sa­men nach­zog.

In das In­ne­re ih­res Hau­ses ließ sie Nie­mand. Und je­den Tag, so­bald die Son­ne hin­ter den Rand der Fich­ten­rei­he, die das Grund­stück nach Wes­ten ab­grenz­te, zu ver­sin­ken Mie­ne mach­te, ver­ab­schie­de­te sie ih­ren gan­zen Hof­staat, und die alte Die­ne­rin muss­te war­ten, bis der Letz­te hin­aus war, um das Parktor hin­ter ihm wie­der zu ver­schlie­ßen. Dass Kei­ner aus der Schar sich heim­lich in ei­nem Schlupf­win­kel ver­barg, um, wenn die An­dern ge­gan­gen, die Früch­te sei­ner Kriegs­list zu ern­ten, da­für sorg­te die Ei­fer­sucht Al­ler, die eine ge­naue Lis­te über je­den Mit­be­wer­ber führ­te.

Auch die Hoff­nung, viel­leicht durch die Alte et­was zu er­rei­chen, und wär’ es zu­nächst nur eine ge­naue­re Kun­de über das frü­he­re Le­ben des Fräu­leins, ihr Her­kom­men und warum sie sich ge­ra­de Augs­burg zum Auf­ent­halt er­wählt, auch die­se Hoff­nung er­wies sich als ei­tel. Geld, das man der Al­ten ge­bo­ten, hat­te die­se mür­risch und ver­ächt­lich zu­rück­ge­wie­sen. Da­ge­gen war es um so son­der­ba­rer, dass Jo­rin­de selbst Ge­schen­ke, die man ihr zu­erst nur höchst schüch­ter­ner Wei­se dar­zu­brin­gen ge­wagt, durch­aus nicht ab­ge­lehnt, frei­lich auch kaum mit mehr als ei­nem trock­nen Wort ge­dankt hat­te. Sie sag­te, als dies zum ers­ten Male ge­sch­ah, sie selbst habe kei­ne Freu­de am Be­sitz, doch wis­se sie arme Leu­te ge­nug, de­nen es zu Gute kom­men wür­de, wenn sie die Augs­bur­ger Gold­fa­sa­nen ein we­nig rupf­te. Mög­lich auch, dass sie, wenn sie einen rech­ten Schatz bei­sam­men hät­te, eine Kir­che oder Ka­pel­le da­von grün­den wür­de. Nur kein Klos­ter, des­sen Äb­tis­sin sie selbst wer­den möch­te! rie­fen ei­ni­ge der Jüng­lin­ge scher­zend. O nein, sag­te sie ganz ru­hig, zum Klos­ter­le­ben füh­le sie einst­wei­len nicht den ge­rings­ten Be­ruf. Sie habe fürs Ers­te eine an­de­re Mis­si­on zu er­fül­len. Ge­fragt, worin die­se be­ste­he, ver­stumm­te sie, und ihr Ge­sicht ver­fins­ter­te sich fast un­heim­lich. Dann aber fing sie gleich wie­der an zu sin­gen, eine leicht­mü­ti­ge fran­zö­si­sche Chan­son oder ein trüb­sin­ni­ges deut­sches Volks­lied, und ihre Stim­me, ob­wohl we­der stark noch ge­übt, vollen­de­te den mär­chen­haf­ten Zau­ber, den ihr frem­des und wi­der­spruchs­vol­les We­sen auf je­des Manns­bild aus­zuü­ben wuss­te.

Jene Äu­ße­rung nun war das Si­gnal zu ei­ner wett­ei­fern­den Be­mü­hung um ihre Gunst durch kost­ba­re Ge­schen­ke. Je­der woll­te, wie er sag­te, zur Grün­dung ih­rer Ka­pel­le sei­nen Bau­stein her­bei­tra­gen. Al­les aber, Ju­we­len, kost­ba­re Stof­fe und Gerä­te, sel­te­ne Schau­mün­zen und was die Söh­ne der rei­chen Han­dels­her­ren ir­gend Aus­ge­such­tes aus der Fer­ne ver­schrei­ben moch­ten, häuf­te die Her­rin des Häu­schens in ei­nem ei­ge­nen Zim­mer zu­sam­men und führ­te zu­wei­len ih­ren jun­gen Hof­staat an das Fens­ter, um den mil­den Stif­tern zu zei­gen, dass Al­les wohl auf­ge­ho­ben sei. Sie selbst trug nie we­der eins der teu­ren Ge­schmei­de, noch klei­de­te sie sich in den Sam­met und die gold­durch­wirk­te Sei­de, schi­en viel­mehr die­se ihre Schatz­kam­mer nicht hö­her zu ach­ten, als ob dar­in ein Hau­fen dür­ren Lau­bes auf­ge­schich­tet läge. Eine be­son­de­re Freu­de schi­en ihr über­haupt Nichts auf der Welt zu ma­chen, und selbst wenn sie ein­mal lach­te, klang es un­froh und ver­stimmt, wie ein In­stru­ment, das lan­ge nicht ge­spielt sei­nen har­mo­ni­schen Klang ver­lo­ren hat.

Es konn­te nicht feh­len, dass die Er­bit­te­rung ge­gen ein so ge­fähr­li­ches We­sen bei Al­len, die nicht von Lei­den­schaft zu ihr ver­blen­det wa­ren, im­mer dro­hen­der her­an­wuchs. Mehr als Ein Braut­stand war durch die frem­de Hexe, wie sie nun hieß, zer­rüt­tet, mehr als Ein wa­cke­rer Mut­ter­sohn sei­nem Ge­schäft und rüh­ri­gen Er­werb ab­trün­nig ge­macht wor­den, Die­ser in Schul­den ge­stürzt, Je­ner mit Va­ter und Mut­ter ent­zweit, und wenn noch kein Blut ge­flos­sen war un­ter den Ri­va­len selbst, da sie alle in glei­cher Hoff­nungs­lo­sig­keit hin­schmach­te­ten, so fin­gen doch ei­ni­ge Brü­der von Pa­tri­zi­er­bräu­ten an, Hän­del mit ih­ren künf­ti­gen Schwä­gern zu su­chen, die gleich­falls sich dem ver­zau­ber­ten Schwarm zu­ge­sellt hat­ten, und ein Ehr­sa­mer Rat der Stadt hielt al­len Erns­tes im Stil­len eine Sit­zung, ob nicht Mit­tel zu fin­den sei­en, die­ser Stadt­pla­ge auf gute und ge­setz­li­che Ma­nier los­zu­wer­den. Es kam aber zu Nichts, weil ei­ni­ge der jün­ge­ren Rats­her­ren selbst von der Schlan­ge ge­bis­sen wa­ren und mit al­lem ju­ris­ti­schen Scharf­sinn nach­wie­sen, dass sich kein Pa­ra­graf ih­res Stadt­rech­tes auf die­sen un­er­hör­ten Fall an­wen­den las­se. So gär­te die lei­den­schaft­lichs­te Auf­re­gung, Hass, Lie­be, Furcht und Neid in dunklem Ge­misch Wo­che um Wo­che fort, nicht an­ders als ob man in die fa­bel­haf­ten Zei­ten zu­rück­ge­kehrt wäre, wo hie und da ein Lind­wurm, eine böse Schlan­ge oder sonst ein rei­ßen­des Un­ge­heu­er eine Stadt oder In­sel in Kon­tri­bu­ti­on ge­setzt hat­te.

Da ge­sch­ah Et­was, das der gan­zen Welt die Au­gen dar­über öff­nen muss­te, wie groß die Ge­fahr und wie drin­gend ge­bo­ten eine ra­sche Ab­wehr sei.

Un­ter De­nen, die wie ver­blen­de­te Mot­ten um das Licht der frem­den Schön­heit schwirr­ten, be­fand sich Ei­ner, dem Nie­mand je zu­ge­traut hat­te, dass er ei­ner lei­den­schaft­li­chen Tor­heit fä­hig wäre: ein jun­ger Kauf­mann, der die Drei­ßig schon er­reicht, steif und nüch­tern, ganz nur auf sein Ge­schäft be­dacht, das er in großen Flor ge­bracht hat­te, al­len ju­gend­li­chen Lüs­ten und Lieb­ha­be­rei­en ab­ge­kehrt und in der Stadt für einen aus­ge­mach­ten Wei­ber­feind gel­tend. Sein Name war Ge­org Has­lach, und er führ­te das Ge­schäft un­ter der Fir­ma und mit dem Gel­de ei­nes früh ver­stor­be­nen Oheims, der in jun­gen Jah­ren sich durch die leicht­sin­ni­ge Ver­bin­dung mit ei­ner schö­nen Magd einen üb­len Ruf ge­macht hat­te, dann aber, nach­dem er die­se un­glei­che Ehe ge­löst und eine der reichs­ten Pa­tri­zi­er­töch­ter heim­ge­führt hat­te, bei der ge­stren­gen reichs­bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft wie­der zu Gna­den auf­ge­nom­men wor­den war. Sei­nen Nef­fen Ge­org und des­sen Bru­der Wal­ter hat­te er zu Er­ben ein­ge­setzt. Der Letz­te­re, der zu­gleich mit dem noch le­ben­den al­ten Va­ter in der ös­ter­rei­chi­schen Ar­mee diente, war dem äl­te­ren Bru­der durch­aus un­ähn­lich, ein un­ge­bun­den schwär­me­n­des und schwei­fen­des Rei­ter­blut, üb­ri­gens bei Jung und Alt trotz sei­ner wil­den Sit­ten bes­ser ge­lit­ten als der recht­fer­ti­ge, tro­ckene Ge­org, der doch den Kre­dit und Wohl­stand des Hau­ses Has­lach mit rast­lo­ser Ar­beit auf­recht er­hielt. Auch dank­te der Bie­der­mann im Stil­len Gott, dass sein Bru­der fern bei der Ar­mee war, als das ers­te Gerücht von der ge­fähr­li­chen Si­re­ne durch die Stadt lief. Aber sein tu­gend­stol­zer Hoch­mut soll­te de­sto schmäh­li­cher zu Fal­le kom­men. Er war der Frem­den kaum ein­mal auf dem Wal­le be­geg­net, wo­hin er mit dem Vor­satz ge­gan­gen war, sie durch einen ver­ach­tungs­vol­len Blick zu be­lei­di­gen, als er sel­ber, nur ge­streift von ih­rem gleich­gül­ti­gen schwar­zen Auge, ret­tungs­los sich in ih­rem Netz ge­fan­gen fühl­te.

Statt sie zu de­mü­ti­gen, muss­te er nun selbst die nicht ge­rin­ge Schmach er­lei­den, als er das ers­te Mal sich ih­rem Hof­staat bei­ge­sell­te, von den üb­ri­gen Schick­sals­ge­nos­sen, die sonst alle Ur­sa­che hat­ten, sich un­ter ein­an­der zu scho­nen, mit grau­sa­mer Scha­den­freu­de be­grüßt und der jun­gen Dame un­ter an­züg­li­chen Sti­chel­re­den als das in­ter­essan­tes­te ih­rer Op­fer vor­ge­stellt zu wer­den. Jo­rin­de emp­fing ihn nicht an­ders wie je­den An­dern. Nur als sie sei­nen Na­men hör­te, blitz­te et­was wie eine stol­ze Ge­nug­tu­ung über ihre Lip­pen, und sie schi­en ihm in so fern einen Vor­zug vor den An­de­ren zu gön­nen, dass sie ihn mit noch schnei­den­de­rer Käl­te be­han­del­te, als alle sei­ne Ri­va­len.

Er selbst nahm ihre Ge­ring­schät­zung hin wie ein Schick­sal und mach­te, sei­ner stei­fen und un­welt­män­ni­schen Na­tur ge­mäß, kei­ner­lei An­stren­gung, un­ter den glän­zen­de­ren Be­wer­bern sich vor­zu­drän­gen. Im Stil­len aber hoff­te er den­noch, durch un­sin­ni­ge Kost­bar­kei­ten, die er ihr schick­te, und durch wie­der­hol­te Brie­fe, in de­nen er ihr sei­ne Hand an­bot und sich und sein gan­zes Ver­mö­gen ihr zu Fü­ßen leg­te, mit der Zeit al­len An­dern den Rang ab­zu­lau­fen.

Sie nahm sich kaum die Mühe, wenn er wie­der vor ihr er­schi­en, nur mit ei­nem flüch­ti­gen Wort den Empfang der Brie­fe und Ge­schen­ke zu be­schei­ni­gen, so­dass sich ihm der Sta­chel im­mer tiefer ins Herz wühl­te. Und ein­mal, da er es durch­ge­setzt hat­te, sie al­lein zu tref­fen, über­mann­te ihn sei­ne jam­mer­vol­le Lei­den­schaft der­ge­stalt, dass er sie in hef­ti­ger Rede um eine Ant­wort be­stürm­te, ob sie ihm Hoff­nung ma­chen kön­ne oder nicht, je­mals die Sei­ne zu wer­den. Tod oder Le­ben hän­ge an ih­rer Ent­schei­dung.

Sie er­wi­der­te mit ih­rer ge­las­sens­ten Mie­ne, wäh­rend doch ihre Stim­me von ver­hal­te­ner Er­re­gung beb­te: sein Tod oder sein Le­ben habe nicht den ge­rings­ten Wert für sie. Sie sei noch über­haupt nicht Wil­lens, ihre Frei­heit auf­zu­ge­ben. Wenn es aber ge­sch­ehe, wer­de sie lie­ber dem lah­men Bett­ler, der täg­lich an ih­rem Git­ter­tor sei­nen Kreu­zer hole, ihre Hand rei­chen, als Herrn Ge­org Has­lach.

Und als er dar­auf mit müh­sa­mer Stim­me, bleich wie die ge­tünch­te Wand ih­res Häu­schens, die Dro­hung hin­warf, sie wer­de dies Wort be­reu­en, wenn er um ih­ret­wil­len das Le­ben hin­ge­wor­fen wie einen Beu­tel, aus dem ein Ban­ke­rot­tie­rer1 den letz­ten Gul­den aus­ge­zahlt, lach­te sie kalt: ihr sei nicht ban­ge, dass ein Has­lach aus Lie­be ster­ben kön­ne, es sei denn aus hoff­nungs­lo­ser Sehn­sucht nach ei­ner Mil­li­on, die er nicht zu er­lan­gen ver­mö­ge.

Am fol­gen­den Mor­gen, als die alte Die­ne­rin die vor­de­re Tür des Häu­schens, die auf einen klei­nen Por­ti­kus zwi­schen zwei ver­schnör­kel­ten Säu­len hin­aus­ging, ih­rer Ge­wohn­heit nach öff­nen woll­te, konn­te sie nicht da­mit zu Stan­de kom­men, da et­was Schwe­res sich da­ge­gen stemm­te. Ver­wun­dert muss­te sie zur Hin­ter­tür hin­aus und um das Haus her­um­ge­hen. Da sah sie eine Man­nes­ge­stalt in der klei­nen Vor­hal­le sit­zen, am Bo­den hin­ge­kau­ert und ge­gen die Tür ge­lehnt, und glaub­te, da trotz der Som­mer­zeit ein grau­er Man­tel mit kur­z­em Krü­gel­chen und der tief über die Au­gen ge­drück­te Hut das Ge­sicht ver­barg, ir­gend ein An­be­ter habe zu Nacht im Rausch der Hoff­nungs­lo­sig­keit oder des Wei­nes die Gar­ten­mau­er über­stie­gen, um vor der Schwel­le sei­ner har­ten Her­rin den Tag zu er­war­ten. Wie sie aber hin­zu­eil­te, den Schlä­fer wach­zu­rüt­teln, er­kann­te sie mit Ent­set­zen Herrn Ge­org Has­lach’s ent­färb­tes und vom Tode ver­zerr­tes Ge­sicht. In der star­ren Hand hielt er ein lee­res Fläsch­chen, dar­in noch ei­ni­ge Trop­fen ei­ner brau­nen Flüs­sig­keit, die deut­lich ver­rie­ten, was hier ge­sche­hen war.

Wenn der eher­ne Her­ku­les von sei­nem Brun­nen in der Haupt­stra­ße her­ab­ge­stie­gen wäre und die Trep­pen des Rat­hau­ses hin­an­schrei­tend die Tür zum gold­nen Saal mit sei­ner Keu­le ge­sprengt hät­te, – es hät­te die Stadt kaum in hel­le­ren Aufruhr und tiefe­res Grau­en ver­set­zen kön­nen, als die Nach­richt von die­sem schau­der­haf­ten Ende ei­nes so stil­len und acht­ba­ren Mit­bür­gers. Noch lan­ge, nach­dem der Leich­nam hin­weg und in das Has­lach-Haus auf ei­ner ei­lig er­rich­te­ten Trag­bah­re ge­schafft, die her­zu­drän­gen­de Men­ge des ge­rin­ge­ren Vol­kes wie­der hin­aus­ge­wie­sen und das ei­ser­ne Git­ter­tor fest ver­schlos­sen war, stand die Stra­ße, die an Jo­rin­dens Gar­ten vor­bei­lief, Kopf an Kopf ge­füllt von ei­nem un­heim­lich gä­ren­den Ge­wühl, aus dem sich dann und wann Arme und Hän­de deu­tend und dro­hend ge­gen das In­ne­re des ver­schlos­se­nen Be­zir­kes reck­ten und Stim­men laut wur­den, die nur durch den Macht­spruch ei­ni­ger be­waff­ne­ter Po­li­zei­die­ner sich wie­der be­schwich­ti­gen lie­ßen. Wä­ren die Zei­ten der He­xen­pro­zes­se nicht vor­bei ge­we­sen, so hät­te sich das grau­en­voll auf­ge­reiz­te Volks­ge­müt un­zwei­fel­haft zu den wil­des­ten Ge­walt­ta­ten fort­rei­ßen las­sen.

Ge­gen Mit­tag er­schie­nen Ab­ge­sand­te vom Jus­tiz­amt, die mit der Be­woh­ne­rin des Gar­ten­hau­ses ein Ver­hör an­stell­ten und ein weit­läu­fi­ges Pro­to­koll auf­nah­men. Sie be­rich­te­ten her­nach, dass sie das Fräu­lein in ganz un­er­schüt­ter­ter Fas­sung, von dem furcht­ba­ren Vor­fall schein­bar un­be­rührt ge­fun­den hät­ten, und da ihre völ­li­ge Schuld­lo­sig­keit aus al­len Zeug­nis­sen her­vor­ging, fehl­te auch fürs Ers­te den Vä­tern der Stadt jede Hand­ha­be, um ge­gen sie ein­zu­schrei­ten und ihre Ver­wei­sung aus dem Stadt­ge­biet an­zu­ord­nen.

Auch war zu­nächst das­je­ni­ge von selbst er­reicht, was die be­sorg­ten Müt­ter und die schwer ge­kränk­ten Töch­ter der Stadt aufs Drin­gends­te ge­wünscht hat­ten: auf Ei­nen Schlag war das Ge­fol­ge der un­heim­li­chen Frem­den zer­sprengt und zer­sto­ben. Von all den jun­gen To­ren, die sich je­den Nach­mit­tag in dem Zau­ber­gar­ten die­ser Cir­ce ein­ge­fun­den, wag­te sich kei­ner mehr über die Schwel­le des Park­git­ters, die Ei­nen von dem Grau­en, das hier sei­nen Ein­zug ge­hal­ten, zu­rück­ge­bannt, die An­de­ren nur aus Furcht, von dem Volk, das sich drau­ßen wie zu ei­ner frei­wil­li­gen Wa­che hin und her trieb, ge­schmäht oder gar hand­greif­lich fort­ge­wie­sen zu wer­den.

Man hat­te Va­ter und Bru­der des Un­glück­li­chen so­fort be­nach­rich­tigt, konn­te aber die Be­stat­tung, die oh­ne­hin bei der fre­vel­haf­ten Art die­ses To­des ohne jede Fei­er blei­ben muss­te, nicht so lan­ge hin­aus­schie­ben, bis die bei­den nächs­ten und ein­zi­gen Ver­wand­ten in der Stadt ein­ge­trof­fen wä­ren. Sie hat­ten eine Rei­se von meh­re­ren Ta­gen zu ma­chen, und ob­wohl sie un­ter­wegs täg­lich die Pfer­de wech­sel­ten, lang­ten sie doch erst in ih­rem Hau­se zu Augs­burg an, als das Grab an der Kirch­hofs­mau­er schon eine Wo­che lang mit fla­chem Ra­sen zu­ge­deckt war. Nichts fan­den sie von dem kläg­lich ver­lo­re­nen Sohn und Bru­der, als den An­zug, den er in je­ner To­des­nacht ge­tra­gen, sei­nen grau­en Man­tel und Hut und einen kur­z­en Brief, worin er ih­nen ein ver­zwei­fel­tes Le­be­wohl sag­te.

Der alte Oberst, ein weiß­haa­ri­ger, har­ter Sol­dat, den Nie­mand je hat­te wei­nen se­hen, brach beim An­blick die­ser Über­bleib­sel wie ein ge­knick­tes Rohr zu­sam­men und ver­schloss sich, als er sei­ne Mann­heit wie­der­ge­fun­den, in sei­nem Schlaf­zim­mer, wo die gan­ze Nacht das Licht brann­te und der spo­renk­lir­ren­de Schritt des Al­ten ru­he­los über die Die­len klang. Dem jun­gen Sohn leis­te­te ei­ner sei­ner frü­he­ren Ka­me­ra­den und Schul­ge­nos­sen eine tröst­li­che Ge­sell­schaft, wo­bei ihm Al­les mit­ge­teilt wur­de, was die Stadt­chro­nik über das Un­glück und sei­ne Ur­he­be­rin bis­her ver­zeich­net hat­te. Die Brü­der hat­ten sich nie sehr nahe ge­stan­den. Ge­müts­art und Be­ruf hiel­ten sie in ei­ner küh­len, wenn auch nicht un­freund­li­chen Ent­fer­nung von ein­an­der. Jetzt aber schi­en es dem Über­le­ben­den, als hät­te ihn kein grö­ße­rer Ver­lust tref­fen kön­nen, als müs­se er alle ver­säum­te brü­der­li­che Lie­be und Zärt­lich­keit ge­gen den To­ten mit dop­pel­ter In­nig­keit nach­ho­len. Doch als der Freund um Mit­ter­nacht den jun­gen Ka­pi­tän ver­ließ, fie­len die­sem vor Er­schöp­fung durch den has­ti­gen Ritt und die bit­te­re Trau­er als­bald die Au­gen zu, und er er­wach­te spät aus son­der­ba­ren Träu­men, in de­nen ihm die Ge­stalt sei­nes Bru­ders und ei­ner teuf­li­schen Schön­heit, die ihm nach dem Le­ben stand, in den man­nig­fachs­ten Bil­dern und Sze­nen vor­über­ge­gan­gen war.

Ge­gen Mit­tag, als eine ste­chen­de Ge­wit­ter­son­ne die Stra­ße vor Jo­rin­dens Gar­ten öde mach­te, sa­hen die we­ni­gen Men­schen, die im Schutz der Wall­bäu­me vor­bei­schlen­der­ten, mit großem Er­stau­nen einen jun­gen Mann in ös­ter­rei­chi­scher Uni­form sich nä­hern und mit auf­ge­reg­ten Schrit­ten auf das ei­ser­ne Git­ter zu­ei­len. Er riss so hef­tig an dem Glo­cken­zug, dass die lan­ge stumm ge­blie­be­ne Klin­gel gel­lend durch die stil­le Luft tön­te. Als nicht so­gleich Je­mand kam, um das Tor zu öff­nen, läu­te­te er von Neu­em, in­dem er den Hut ab­nahm und sich den Schweiß von der Stirn trock­ne­te, die Au­gen fins­ter und scheu zu Bo­den ge­hef­tet, als fürch­te er ir­gend Wem ins Ge­sicht zu se­hen, der ihn fra­gen könn­te, wie er es übers Herz bräch­te, die­ser Schwel­le zu na­hen.

End­lich er­schi­en die alte Die­ne­rin, den Schlüs­sel in der Hand, und als sie den Un­be­kann­ten drau­ßen ste­hen sah und sei­ne wun­der­lich ver­stör­te Mie­ne ge­wahr­te, frag­te sie durch die Ei­sen­stä­be hin­durch, was er wün­sche. – Mit ih­rer Her­rin zu spre­chen. – Das Fräu­lein habe noch nicht Toi­let­te ge­macht, er möge sich nach Tisch wie­der her­be­mü­hen. – Er sei nicht ge­kom­men, die Rei­ze ih­res Fräu­leins zu be­wun­dern, gab der jun­ge Mann barsch zur Ant­wort, son­dern um über ein Ge­schäft mit ihr zu ver­han­deln. – Wen sie zu mel­den habe? frag­te die Alte wie­der nach ei­ni­gem Zö­gern. – Der Name tue nichts zur Sa­che; er wer­de sich dem Fräu­lein selbst vor­stel­len.

Die Alte schloss nach ei­ni­gem Be­sin­nen kopf­schüt­telnd das Git­ter auf und führ­te den düs­ter bli­cken­den Be­su­cher durch die son­ne­glit­zern­den Kies­we­ge des Gar­tens dem Hau­se zu. Als er die klei­ne Vor­hal­le mit den ge­schnör­kel­ten Säu­len er­blick­te, wo sein Bru­der vor we­ni­gen Ta­gen sei­ne letz­te Nachtru­he ge­hal­ten, über­lief ihn ein Schau­der, er wand­te sich ab und press­te die Lip­pen zu­sam­men, wie um einen Seuf­zer oder eine Ver­wün­schung zu er­sti­cken. Wäh­rend die Die­ne­rin ins Haus ging, ihn zu mel­den, warf er sich in tiefer Er­schöp­fung auf ein Bänk­chen ne­ben ei­ner ho­hen Ta­xus­wand und fuhr sich mit der Hand über die Au­gen, aus de­nen schwe­re Trop­fen roll­ten. Er biss die Zäh­ne in sein Schnupf­tuch, und sei­ne schwer ar­bei­ten­de Brust ver­riet, dass ein schluch­zen­der Krampf ihn er­schüt­ter­te. Plötz­lich hör­te er leich­te Schrit­te vom Hau­se her, kämpf­te sei­ne Be­we­gung ge­walt­sam nie­der und er­hob sich, um mit dem Auf­ge­bot all sei­nes Muts der ver­hass­ten Er­schei­nung die Stirn zu bie­ten.

Was er aber sah, wi­der­sprach so völ­lig Dem, was er zu se­hen er­war­tet hat­te, dass das Er­stau­nen zu­nächst alle an­de­ren Emp­fin­dun­gen sei­nes In­nern nie­der­schlug.

Statt ei­ner kalt­sin­ni­gen Ver­füh­re­rin, die mit al­ler Schlan­gen­kunst der Ge­fall­sucht je­dem neu­en Be­su­cher ent­ge­gen­tritt, stand eine be­schei­de­ne jun­ge Ge­stalt vor ihm, in ein schlich­tes, fast ärm­li­ches Mor­gen­ge­wand ge­klei­det, die Arme nur bis zu den El­len­bo­gen ent­blö­ßt, die rei­chen Haa­re kunst­los auf­ge­steckt, das erns­te, blas­se Ge­sicht durch einen klei­nen lei­ne­nen Son­nen­schirm ge­gen die Mit­tags­glut ge­schützt. Als sie die großen schwar­zen Au­gen un­ter brei­ten Li­dern müde und teil­nahms­los auf ihn hef­te­te und mit ei­ner sanf­ten Stim­me nach sei­nem Be­geh­ren frag­te, war plötz­lich je­des Wort der hef­ti­gen Rede aus sei­nem Ge­dächt­nis; ver­löscht, mit der er sich der Mör­de­rin sei­nes Bru­ders vor­zu­stel­len ge­dacht hat­te.

Doch be­sann er sich end­lich, ließ die Au­gen, gleich­sam um sich ge­gen die­se stil­le Ge­walt zu waff­nen, wie­der nach dem Por­ti­kus schwei­fen und sag­te dann mit dem schärfs­ten Ton, des­sen er fä­hig war:

Sie sind die Her­rin die­ses un­glück­li­chen Hau­ses, Ma­de­moi­sel­le?

Ein leich­tes Kopf­ni­cken war die gan­ze Ant­wort.

Ich bin ge­kom­men, fuhr er fort, Ih­nen ein Han­dels­ge­schäft zu pro­po­nie­ren. Es ist dazu nö­tig, dass Sie mei­nen Na­men ken­nen. Ich bin der Ka­pi­tän Wal­ter Has­lach, Bru­der je­nes Un­glück­li­chen –

Sie trat einen Schritt zu­rück, ihre oh­ne­hin blei­che Wan­ge war to­ten­fahl ge­wor­den, einen Au­gen­blick schi­en sie zu wan­ken oder hin­weg­flüch­ten zu wol­len, fass­te sich aber so­gleich und sag­te, wäh­rend ein tiefer Seuf­zer ih­ren jun­gen Bu­sen hob:

O wie be­kla­ge ich Sie – und ihn – und mich!

Dann ver­stumm­te sie wie­der. Er hat­te schon ein schnei­den­des Wort ver­ächt­li­chen Hohns auf der Lip­pe, um sich je­des ge­heu­chel­te Bei­leid zu ver­bit­ten. Aber das Wort ver­sag­te ihm. Ein Aus­druck wah­ren Schmer­zes lag in Ton und Blick und Ge­bär­de des schö­nen We­sens, dem er sich nicht ent­zie­hen konn­te.

Ich weiß nicht, was man Ih­nen von mir ge­sagt ha­ben mag, fing sie end­lich mit ei­ner selt­sa­men Hast wie­der zu re­den an. Man wird mich als ein fluch­wür­di­ges Un­ge­heu­er dar­ge­stellt ha­ben, und in Ihren Au­gen wer­de ich es wohl im­mer blei­ben, ob­wohl ich, so wahr mir Gott hel­fe! an die­sem Un­glück kei­nen Teil habe. Nie habe ich Ihrem Bru­der die ge­rings­te Hoff­nung ge­macht, nie sei­ne Be­wer­bung um mich be­güns­tigt. Wes­halb ich über­haupt – aber wozu ver­schwen­de ich mei­ne Wor­te? Sie hö­ren mich nicht, am we­nigs­ten, wenn ich mein Be­tra­gen zu recht­fer­ti­gen ver­such­te. Wohl ist es wahr – und auch das mö­gen Sie er­fah­ren: ich habe dem To­ten nie et­was Gu­tes ge­wünscht. Wa­rum? Das ist ein Ge­heim­nis; zwi­schen mei­nem Schöp­fer und mir. Sein kläg­li­ches Ende aber war nicht mein Wunsch, so we­nig wie mein Werk. Ich dach­te, ein Has­lach sei ewig schon durch den Geist sei­ner ed­len Fa­mi­lie vor ei­nem so ra­schen, un­se­li­gen Schritt ge­schützt. Es ist nun ge­sche­hen, wie über­haupt Un­glück in der Welt ge­schieht Ich kann es be­kla­gen, aber wenn Sie ge­kom­men sind, es mir ins Ge­wis­sen zu schie­ben, so er­klä­re ich Ih­nen of­fen und ehr­lich, dass ich kei­ner­lei Reue zu emp­fin­den ver­mag. Und so­mit –

Sie trat wie­der einen Schritt zu­rück, als ob sie das Ge­spräch zu en­den wün­sche. Er hat­te, wäh­rend sie sprach, den Blick nicht von ihr ver­wandt, aber sei­ne düs­ter ge­spann­te Mie­ne ließ es un­ge­wiss, ob er ih­ren Wor­ten ge­folgt war.

Ma­de­moi­sel­le, sag­te er jetzt und senk­te die Au­gen in plötz­li­cher Ver­wir­rung, ich bin nicht ge­kom­men – sei­en Sie über­zeugt, dass ich bis auf einen ge­wis­sen Grad mei­nem ar­men Bru­der nach­füh­len kann, – ich ge­ste­he, dass die Vor­stel­lung, die ich mir von Ih­nen ge­macht hat­te –

Er stock­te. Das Blut schoss ihm in die schö­nen, wet­ter­ge­bräun­ten Wan­gen. Er ball­te die Faust krampf­haft um sei­nen De­gen­griff, als ob er sich sei­ner Man­nes- und Bru­der­pflicht er­in­nern woll­te, hier nur das zu spre­chen, was streng mit sei­nem Ge­schäft zu ver­ei­ni­gen war, und sich schäm­te, dass er sich von die­ser sanf­ten Stim­me halb und halb hat­te ent­waff­nen las­sen.

Ich kom­me nicht aus ei­ge­nem An­trieb, brach es end­lich rau und kalt von sei­nen Lip­pen. Mein Va­ter hat mich ge­schickt –

Ihr Va­ter! Ah! er ist hier? –

Ihr Ge­sicht, wäh­rend sie dies sag­te, nahm wie­der sei­nen her­ben, un­gu­ten Aus­druck an.

Mein Va­ter – hat un­ter dem Nach­lass des To­ten et­was ver­misst, was ihm sehr wert ist, einen Ring, der in der Fa­mi­lie seit mehr als hun­dert Jah­ren im­mer auf den äl­tes­ten Sohn fort­ge­erbt hat, einen Ru­bin in Dia­man­ten ge­fasst. Da es be­kannt ist, Ma­de­moi­sel­le, – dass Sie Lieb­ha­be­rin von Ju­we­len sind – dass Sie eine Samm­lung von Kost­bar­kei­ten an­ge­legt ha­ben – (er be­ton­te das Wort mit neu auf­wal­len­der Feind­se­lig­keit) – so glaubt mein Va­ter nicht fehl zu ge­hen – auch die­sen Ring jetzt in Ihrem Be­sitz ver­mu­ten zu dür­fen. Ich weiß nicht, Ma­de­moi­sel­le, –

Jetzt erst hef­te­te er die Au­gen wie­der auf ihr Ge­sicht und be­geg­ne­te ei­nem kal­ten, stol­zen Blick, den er mit Mühe er­trug.

Es kann sein. Ich glau­be so­gar mich be­stimmt zu er­in­nern, dass auf die­sen Ring ein­mal die Rede kam; die an­dern Her­ren frag­ten ihn dar­nach, er sag­te, dass es ein Fa­mi­li­en­stück sei, und zog ihn vom Fin­ger, mich ihn be­trach­ten zu las­sen. Ich gab ihn zu­rück ohne jede Be­mer­kung. Des­sel­ben Ta­ges sand­te er mir ein el­fen­bei­ner­nes Käst­chen mit ver­schie­de­nem Ge­schmei­de, dar­un­ter auch die­sen Ring, den ich eben so wie al­les Üb­ri­ge bei Sei­te tat. Er steht Ih­nen je­den Au­gen­blick wie­der zu Dienst.

Mein Va­ter wird sich be­ei­len, Ih­nen den drei­fa­chen Wert in Gold da­ge­gen zu sen­den! warf der Jüng­ling trot­zig hin, in­dem er sich ver­neig­te.

Sa­gen Sie Ihrem Va­ter, dass ich kei­nen Han­del mit Ju­we­len trei­be. Ihr Va­ter ist zwar Of­fi­zier, aber da er ei­nem al­ten Kauf­manns­hau­se ent­stammt, ist er ge­wiss nicht gleich­gül­tig ge­gen Gold und Gut, und die­ser Ring wird dar­um nichts in sei­ner Schät­zung ver­lie­ren, wenn ich mir je­den Preis da­für ver­bit­te. Fol­gen Sie mir. Sie kön­nen ihn so­fort in Empfang neh­men.

Sie wand­te sich mit der käl­tes­ten Ge­bär­de dem Hau­se zu und ging ihm rasch vor­an. Im höchs­ten Er­stau­nen hat­te er sie re­den hö­ren, selbst das Be­lei­di­gen­de in ih­ren Wor­ten er­füll­te ihn mehr mit ge­hei­mer Ach­tung und Be­wun­de­rung, als mit Un­mut. Kei­nes Wor­tes mäch­tig, ge­senk­ten Haup­tes, wie in ei­ner traum­haf­ten Be­täu­bung schritt er hin­ter ihr her.

Als sie das Haus er­reicht hat­te, blieb sie ste­hen und wand­te sich nach ihm um.

Sie sind der ers­te Mann, der die­se Schwel­le über­schrei­tet, sag­te sie. Ich weiß nicht, wie ich dazu kom­me, mit Ih­nen eine Aus­nah­me zu ma­chen, die mich viel­leicht in Ihren Au­gen her­ab­setzt. Aber es ist nun Al­les gleich. Tre­ten Sie ein.

Er be­trat das klei­ne Ge­mach, in wel­chem der viel be­ru­fe­ne »Schatz« Jo­rin­dens auf­ge­spei­chert lag. Es war ein zier­li­cher Raum mit ver­bli­che­ner matt­blau­er Sei­den­ta­pe­te und schma­len Spie­geln rings an den Wän­den. Auf ei­nem Ro­ko­ko­tisch in der Mit­te stan­den schö­ne Gerä­te, Uhren, Va­sen, Kan­de­la­ber, wie in ei­nem Ba­sar; ein großer Schrank mit halb of­fe­nen Tü­ren ent­hielt Stof­fe und Sti­cke­rei­en, Spit­zen und kost­ba­re Fä­cher. Ein klei­ne­res Mö­bel mit ein­ge­leg­ter Holz­ar­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­