Paul Heyse
Der Kreisrichter
Novelle
Paul Heyse
Der Kreisrichter
Novelle
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-31-0
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Ihr
Jürgen Schulze
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Am hellen Nachmittag rollte mein Wägelchen über das etwas unsanfte Pflaster der sauberen kleinen Stadt und hielt vor dem Wirtshause zum roten Engel. Schon unterwegs, auf der fünfstündigen Fahrt durch das schöne ebene Land in heiterer Herbstsonne, hatte ich es meinem Freunde Dank gewusst, dass er mich zu dieser Abschweifung von der trostlos geraden Eisenbahnlinie veranlasst hatte. Ich trug eine Vollmacht von ihm in der Tasche, den Verkauf eines ihm vererbten Weingärtchens in der Umgegend der kleinen Kreisstadt abzuschließen, und einen Empfehlungsbrief an den Herrn Kreisrichter. Die Bekanntschaft des Mannes wird dich nicht gereuen, hatte mein Freund gesagt, und die Bekanntschaft der Gegend lohnt sich wahrlich auch. Wer weiß, ob ich das Stück Land, das mir jetzt zur Last ist, nicht einmal zurückkaufen werde, wenn ich um einen Winkel der Welt verlegen bin, wo man sich ohne Hass vor ihr verschließen und das Restchen Leben friedlich tropfenweise ausschlürfen kann.
In der Tat schien mir der Ort gleich auf den ersten Blick wohl dazu angetan. An der Schwelle der gelinde ansteigenden Vorberge lag der bescheidene Häuserhaufen schon von fern gesehen in großer Behaglichkeit da, während die Winzerhütten und kleinen Landhäuser sich lachend im Grünen über die Abhänge zerstreut und die weitere Aussicht in Besitz genommen hatten.
Der Wein, der hier wächst, ist unberühmt, aber, wie manche geringere Landweine, von einem sehr bestimmten Geschmack und zarter hellroter Farbe. Wer ihn nur einmal flüchtig gekostet, pflegt ihn hinfort unter die Getränke zu rechnen, die nicht die Gabe haben, das Menschenherz zu erfreuen. Die Landesünder und Andere, die sich in ihn hinein getrunken haben, verspüren dann und wann in der Gesellschaft der edelsten und kostbarsten Weine aller Zonen ein Heimweh nach ihm, das ich an mir selbst erleben sollte.
In der Gaststube zum »roten Engel« war es um diese Stunde leer, wie denn auch die Gassen in tiefer Nachmittagsruhe lagen, als mein Gefährt hindurchrasselte. Der Wirt aber hatte sich tapfer sein Schläfchen abgebrochen und zu mir gesetzt, auch der Gelegenheit wahrgenommen, ein höfliches Glas mitzutrinken. Nach mancherlei Kriegs-, Staats- und Erntegesprächen kam er auf das Neueste vom Jahr, eine große Hochzeit der Bürgermeistertochter mit dem Sohne des hiesigen größten Kaufmanns, dessen Laden mir, wie ich dem Wirt zu seiner nicht geringen Befriedigung sagen konnte, durch die Mannigfaltigkeit der ausgestellten Produkte und eine stattliche Spiegelscheibe, die einzige im Orte, im Vorüberfahren aufgefallen war. Das junge Paar ist gestern verreist, sagte der Wirt. Das ist ja die leichtsinnige neue Mode, während es sonst für das Beste galt, den Ehestand im eignen Nest anzufangen. Da bleibt nichts übrig, wenn das ledige junge Volk nicht um sein Tänzchen kommen soll, als eine Nachhochzeit, wie sie heut Abend drüben beim Brautvater gehalten wird. Die meisten meiner Abendgäste sind zwar geladen, aber ich fahre dennoch nicht schlecht dabei, fügte er pfiffig hinzu. Man hört die Musik über den Markt her deutlich genug, und wir lassen die Fenster auf. Es wird auf den Abend voll werden im roten Engel, aber ein Plätzchen am Fenster soll Ihnen aufgehoben sein. Wäre jetzt noch ein Schöpplein gefällig?
Ich dankte, seinen Wein belobend, und bat ihn, mir den Weg zum Hause des Herrn Kreisrichters zu sagen, da ich mein Geschäft mit ihm bald zu erledigen wünschte. – Warten Sie, unterbrach sich mein Mann in einer sehr gewissenhaften Wegweisung, da kommt mein Heinrich eben aus der Schule und soll Sie begleiten. Der Herr Kreisrichter hält was auf ihn, wie er überhaupt hübsche Kinder und sauberes junges Volk gern um sich hat. Die Bürgermeistertochter, die gestern geheiratet hat, war sein Augapfel, und alle jungen Mädel hat er am kleinen Finger, obwohl er schon in Jahren ist und sein Lebtag nicht war, was man eine schöne Mannsperson nennt. Schönheit vergeht, Hässlichkeit besteht, heißt’s im Sprichwort. Als er jung war, mögen sie sich nicht so arg um ihn gerissen haben.
Damit rief er seinen Buben, der draußen über den Flur gelaufen kam. Es war ein krausköpfiger lebhafter Junge mit schönen schwarzen Augen. Zutraulich fasste er meine Hand und wir wanderten zusammen unseres Weges.
Sie werden den Onkel jetzt zu Hause treffen, sagte mein kleiner Führer. Wenn die Birnen erst reif sind, geh’ ich jeden Nachmittag mit Hans, dessen Vater nebenan wohnt, von der Schule aus an Onkels Garten vorbei. Sobald er uns sieht, ruft er uns herein, und wir dürfen sogar auf den Baum steigen. Hernach geht er wieder aufs Gericht, bis an den Abend.
Nicht lange, so hatten wir das Ende der Stadt erreicht, und mein Führer machte Miene, auch noch das Tor zu passieren. Wohnt der Onkel draußen? fragte ich.
Freilich, am Wall; es ist nicht mehr weit zu ihm.
Wir bogen links ab und betraten den schattigen Spaziergang, der auf den ehemaligen Schutz- und Trutzwerken des friedlichen Ortes hinlief. An einem altertümlichen grauen Hause stand der Knabe still. Hier! sagte er. Man sah durch eine Gittertür neben dem Hause in den Garten hinein. Vorn in der Tiefe des früheren Stadtgrabens standen prachtvolle Nussbäume, die mit ihren Ästen bis an die oberen Fenster herüber reichten. Keine menschliche Seele außer uns genoss ihren Duft und Schatten zu dieser Stunde. Oben aber hörte man eine Geige aus dem geöffneten Fenster und die Vögel zwitscherten mit hinein.
Ist das der Onkel, der spielt?
Der Knabe nickte. Vater sagt, er spiele besser als unser bester Stadtgeiger. Aber er spielt keine Tänze, und fast immer aus dem Kopf.
Ich gab meinem kleinen Freunde die Hand und stand noch eine Weile unten an den steinernen Stufen, während der Knabe dem Tore zusprang. Meine gute Meinung von dem Onkel wuchs, je länger ich in die Fülle des grünen Laubes starrte. Es war ein überaus einsamlicher, erquickender Ort, und zugleich musste in anderen Stunden eine lustig spazierende wohllöbliche Bürgerschaft die freundlichste Staffage machen.
So erstieg ich endlich, meiner Vollmacht froh, die saubere Treppe. Das untere Geschoss schien unbewohnt, wenigstens hingen die Efeuranken, mit denen die Wände des luftigen Flurs, wohin man blickte, übersponnen waren, wuchernd vor den Türen und hielten Schloss und Türgriff umklammert. Nun erscholl das Spiel der Geige voller in dem geschlossenen Raum des Treppenhauses, und da ich langsam stieg, den verstohlenen Genuss mir nicht selbst abzukürzen, war ich noch nicht zur Hälfte hinauf, als ein verwundertes Gesicht oben an den Stufen erschien. Der Mann hatte offenbar eine kurze Abfertigung auf der Zunge, denn ich sah, wie er mit sehr ungehaltener Gebärde ans Geländer trat und den Besuch, der augenscheinlich die Stunde schlecht gewählt hatte, mit raschem Händewinken zur Umkehr bewegen wollte. Als er ein ganz fremdes Gesicht sah, ergab er sich in die Notwendigkeit einer wörtlichen Verständigung und ließ mich völlig heraufkommen.
Er trug einen langen hellen Sommerrock und Schuhe, und ein grauer Schnurrbart bemühte sich umsonst, den harmlosen Zügen einen martialischen Anstrich zu geben.
Ich fragte nach dem Herrn Kreisrichter und hielt ihm meinen Empfehlungsbrief entgegen.
Sie hören, dass der Herr Kreisrichter spielt, sagte er mit Achselzucken und einem mühsamen Anlauf zur Höflichkeit. Um diese Stunde besucht ihn sonst Niemand, mein Herr; es weiß ein Jeder, dass ich ihn dann nicht stören darf.
Ich entschuldigte mich, dass ich fremd sei und dieser schätzbaren Kenntnis bisher ermangelt habe. Dabei schob ich alle Schuld auf den Wirt und seinen Sohn. –
Diese unnützen Buben! fuhr er auf, gleichwohl die Stimme dämpfend. Von ihnen lässt sich der Herr Kreisrichter Alles gefallen. Wir haben keine eigenen Kinder, setzte er vertraulicher hinzu. Da denkt der Mensch immer Wunder welch ein Segen ihm abgeht, und dankt seinem Nachbarn, wenn der ihm vom seinigen borgt, so oft er ihm lästig wird. Manchmal haben wir den ganzen Garten voll, und die Taugenichtse fallen wie die Heuschrecken über Sträucher und Bäume her.
Ist keine Frau Kreisrichterin im Hause?
Der Alte schüttelte den Kopf. Wir sind nicht verheiratet, sagte er mit dem Tone eines Mannes, der mit Befriedigung, aber ohne Überhebung, sich eingesteht, weiser gehandelt zu haben, als die meisten seiner Nebenmenschen.
Während dieses halblauten Gesprächs an der Treppe wogte der schöne starke Ton der Violine immer auf und ab und fesselte mich so sehr, dass ich ganz vergaß, was mich hergeführt hatte. Der Alte schien durch mein respektvolles Lauschen gewonnen zu werden. Wenn Sie sich ganz ruhig verhalten wollen, sagte er, will ich Sie ins Vorzimmer treten lassen. Da hören Sie besser und können es ruhig abwarten, bis der Herr die Geige weglegt. – Er öffnete vorsichtig die nächste Tür, legte noch einmal den Finger auf den Mund und drückte, nachdem ich eingetreten war, die Tür von außen behutsam wie an einem Krankenzimmer ins Schloss.
Ich befand mich in einem überaus hellen, geräumigen Gemach, dessen drei tiefe Fenster, fast bis auf den Boden reichend, den Blick zwischen den Baumwipfeln über Hügel und fernes Gebirge frei ließen. Die reine Luft wehte herein und bewegte die weißen Vorhänge und die Blätter der hochstaudigen Gewächse, die in den Fensternischen standen. Einige Ses