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Außerdem von Thomas Feibel im Carlsen Verlag lieferbar:

Facebook und andere Netzwerke

Ich weiß alles über dich

Like me – Jeder Klick zählt

 

Dies ist ein Roman. Alle Ereignisse und Personen sind frei erfunden.

Originalausgabe

Veröffentlicht im Carlsen Verlag

August 2016

Copyright © 2016 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Umschlagbild: shutterstock © Ollyy

Umschlaggestaltung: formlabor

Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-646-92780-1

Samstag ist der einsamste Tag in der Woche

Nach Hause kann ich nicht. Meine Mutter hat Besuch. Männerbesuch. Das zweite Date mit ihren Internetbekanntschaften findet immer samstags bei uns statt und läuft meistens gleich ab: Erst muss ich warten, bis der Typ endlich aufkreuzt. Dann soll ich ihm Hallo sagen und brav die Hand schütteln, damit er gleich das komplette Paket kennenlernt.

»Das ist Joshua, mein Großer«, stellt mich Katja vor. Anschließend schiebt sie mich eilig zur Haustür hinaus. Vor dem späten Abend brauche ich gar nicht wiederzukommen. Meinen Schlüssel darf ich auch nicht benutzen, sondern ich soll auf jeden Fall läuten.

»Drei Mal«, betont sie jedes Mal. »Damit ich weiß, dass du es bist.«

Wie ich den Samstag draußen verbringe, bleibt allein meine Sache. Meistens hänge ich in der Stadt im Einkaufszentrum rum. Zwar drückt mir meine Mutter ab und zu zehn Euro in die Hand, damit ich ins Kino gehe oder so, aber ich spare das Geld lieber für meinen großen Traum: einen eigenen Motorroller, wie Alex ihn besitzt. Dreihundertzwanzig Euro habe ich bereits in einer alten Zigarrenkiste unter meinem Bett beiseitegelegt. Knapp die Hälfte davon stammt vom Verkauf meines roten Rennrads. Allerdings schulde ich Alex noch vierzig Euro für seinen alten Helm. Dass der ganz schön verkratzt ist, macht mir wenig aus. Zumindest der Führerschein wird kein Problem. Das Geld dafür will mir mein Vater zum Geburtstag schenken. Falls er das nicht wieder vergisst.

Und so streife ich jetzt ziellos durch die überfüllte Mall. Noch bis vor kurzem saß ich regelmäßig bei McDonald’s – wegen der kostenlos nachfüllbaren Cola und dem WLAN. Den Laden betrete ich allerdings nicht mehr, seitdem sich Ringo aus meiner Schule mit seinen aufgepumpten Schlägerkumpels dort breitmacht. Auch das Eiscafé im ersten Stock meide ich, damit ich nicht meinen shoppinggeilen Mitschülerinnen begegne, die unter falschen Palmen Latte macchiato schlürfen und aufgeregt ihre Einkäufe vergleichen. Stattdessen spiele ich im Kaufhof eine Weile Xbox gegen zehnjährige Knirpse. Später gönne ich mir im Erdgeschoss einen Billigdöner und lasse mich auf einer der Sitzinseln nieder.

Mir gegenüber stopfen sich gerade zwei etwa zwölfjährige Mädchen mit Tiramisu aus dem Eiscafé voll. Weil sie anscheinend die Löffel vergessen haben, schaufeln sie das schaumige Zeug mit ihren angeklebten Nägeln aus einer Plastikschale. Unauffällig mache ich ein Foto davon, wie die beiden ihre künstlichen Krallen ablutschen. Dabei rieseln mir Zwiebeln und Salatblätter aus dem Pitabrot. Als ich versuche die Bilder bei Friendbook zu posten, bleibe ich wieder einmal auf Rikkis Profilseite hängen.

Ricarda ›Rikki‹ Morales ist vielleicht der einzige Lichtblick in meinem Leben. Sie geht in meine Klasse. Rikki ist klug, ehrlich, völlig uneitel und vor allem einfach echt. In der Schule wage ich nur verstohlene Blicke. Denn kaum sehe ich in ihre dunklen Augen, gerate ich aus dem Tritt. Entweder stolpere ich ungeschickt über eine Taschenschlaufe oder ich kippe mir versehentlich heißen Kaffee über die Schuhe. Spricht sie mich an, was eher selten passiert, kommt aus meinem Mund nur unverständliches Gebrabbel. Alles superpeinlich, alles schon vorgekommen. Nur auf Friendbook kann ich sie mir ungestört ansehen: Rikki beim Training in ihrem Schwimmverein, die langen schwarzen Haare unter einer Kappe verborgen. Rikki mit spöttischem Lächeln und Siegermedaille. Oder mein Lieblingsbild, das ausgedruckt an der Magnetwand in meinem Zimmer hängt: eine strahlende Rikki, die ihre jüngeren Brüder José und Felipe fest an sich drückt.

Wie sie heute den warmen Septembertag verbringt, erkenne ich an dem Bild, das in diesem Augenblick hochlädt: Rikki am Badestrand. Gut gelaunt winkt sie in die Kamera. Im Hintergrund ziehen die anderen aus unserer Klasse alberne Grimassen.

Alex feiert seinen Geburtstag und hat bei diesem Superwetter alle zu Lagerfeuer, Würstchen und Bier am Keilsee eingeladen. Alle. Nur mich nicht. Dabei haben wir uns den Sommer über noch fast täglich getroffen und richtig gut verstanden. Aber seit gut sechs Wochen geht jeder von uns wieder seiner eigenen Wege. Natürlich könnte ich trotzdem am See aufkreuzen. Einfach so. Rein zufällig. Nur wäre das doch irgendwie erbärmlich.

Ausgerechnet in diesem Moment beginnt der Akku meines Handys zu spinnen. Zwei Minuten später gibt es ganz den Geist auf. Das Ladekabel liegt natürlich zu Hause. Entnervt gehe ich in die Stadtbibliothek im zweiten Stock und logge mich an einem frei gewordenen Internetplatz auf Friendbook ein. Sofort poppen noch mehr fröhliche Partybilder von Paolo, Doppel-D und den anderen auf. Alex selbst muss natürlich auch mächtig rumposen: In Badehose hockt er auf seiner schwarzen Vespa mit dem silbernen Pussycat-Schriftzug. Seine dunkelblonden Haare fallen ihm in die Stirn. Eine riesige, spiegelnde Sonnenbrille verbirgt seine blauen Augen.

Aber es ist das Kopf-an-Kopf-Selfie von ihm und Rikki, das mir einen heftigen Stich versetzt. In unserer Klasse hat bestimmt schon jeder mitbekommen, dass Rikki Alex mag. Und damit ist sie nicht allein. Dem gut aussehenden, lässigen Alexander Schwarz fliegen einfach sämtliche Herzen zu.

Auf einmal frage ich mich, ob die beiden möglicherweise längst ein Paar sind und es nur geheim halten. Rikkis Beziehungsstatus ist jedenfalls unverändert. Aber wie das bei Alex aussieht, kann ich nicht feststellen: Weil er mich schon vor einiger Zeit entfreundet hat, komme ich nicht mehr an seine Seite ran.

Mein Verdacht lässt mir keine Ruhe. Um mir Klarheit zu verschaffen, versuche ich mich in Alex’ Namen auf Friendbook einzuloggen. Seine E-Mail-Adresse kenne ich, mir fehlt nur sein Passwort. Ich probiere es mit Schach, einem Insiderwitz zwischen uns beiden. Bloß funktioniert das leider ebenso wenig wie Schachmatt. Nachdenklich schaue ich mich in der Bibliothek um. Alex mag es nicht so kompliziert. Keine Zahlen, keine Sonderzeichen. Darum muss es ein ganz einfacher Begriff sein. Trotzdem funktionieren weder Rikki noch Interpol, aber mit Pussycat klappt es überraschenderweise – auf einmal bin ich drin.

Vor Aufregung klopft mein Herz. Plötzlich juckt es mir in den Fingern, Alex einen kleinen Streich zu spielen. Ich könnte zum Beispiel seinen Namen von Alex Schwarz in Alex Schwanz ändern. Fast lache ich laut los. Da ich dafür bloß einen einzigen Buchstaben austauschen muss, dürfte das auf den ersten Blick niemandem auffallen. Und wie ich Alex kenne, fände er es wahrscheinlich auch noch lustig – im Gegensatz zu Rikki, die dumme Machosprüche hasst.

Während ich nach den Einstellungen suche, stolpere ich über eine ungelesene, mit einem roten Herzen markierte Nachricht.

Alex, als Zeichen meines Vertrauens sende ich dir dieses Foto! Damit du siehst, wie sehr ich dich mag! Anna

Ungläubig starre ich das Bild an. Alex und andere aus meiner Schule schicken sich ständig irgendeinen Pornokram über Smartchat oder Friendbook. Ich selber besitze ebenfalls einige solcher Aufnahmen. Was mich jedoch richtig umhaut, ist, dass ausgerechnet Anna so etwas an Alex schickt.

Sonst gibt sich unsere totenblasse Klassenstreberin wahnsinnig gehemmt: Jeden Tag trägt sie hochgeschlossene Klamotten, die nie mehr Haut zeigen als nötig. Sogar im Sommer. Beim Sport zieht sie sich alleine auf dem Klo um. Ein Handy besitzt sie auch nicht. Angeblich kommt sie aus einem tiefreligiösen katholischen Elternhaus. Deshalb hat ihr auch vor ewigen Zeiten jemand den Spitznamen »Nonne« verpasst.

Sofort lasse ich meinen Alex-Schwanz-Plan fallen und kümmere mich auch nicht mehr um seinen Beziehungsstatus. Denn ich habe eine bessere Idee: Ich teile Annas Bild in Alex’ Namen mit all seinen Friendbook-Kontakten. Dabei gebe ich mir Mühe, den großmäuligen Tonfall zu treffen, der so typisch für ihn ist.

Leute, falls ihr euch das jemals ernsthaft überlegt habt: So sieht unsere geile Nonne also oben ohne aus. Hahaha.

Jetzt muss ich nur noch warten.

Langsam schlendere ich zu dem Park in der Nähe unseres Wohnblocks zurück, wo ein graues Mietshaus dem anderen gleicht, und setze mich auf eine Schaukel. Das Foto dürfte längst die Runde machen. Ich stelle mir vor, wie sich auf Alex’ Party seine Leute darüber kranklachen. Nur Rikki wird vielleicht ihre Sachen zusammenraffen, wütend abrauschen und mit Alex nichts mehr zu tun haben wollen.

Irgendwann ist es endlich Zeit, nach Hause zu gehen. Dort klingele ich. Drei Mal.

Der Duft von Schach

Am Anfang des Sommers stiegen Alex und ich eines Nachts heimlich in eine geschlossene Imbissbude ein, um uns ein paar Burger zu braten. Nur hatte der Eigentümer des Hühnerhugo dummerweise sämtliche Kühlschränke und auch die Vorratskammer verriegelt.

»Was soll der Scheiß?« Alex ließ das dicke Vorhängeschloss gegen die Tür knallen. »Ich schwör dir, beim letzten Mal gab’s diese verfluchten Dinger noch nicht. Wovor haben die bloß solche Angst?« Grinsend drehte er sich zu mir um. »Etwa vor Einbrechern?«

Allein diese Bezeichnung jagte mir einen Riesenschreck ein, aber Alex liebte den Nervenkitzel. Schon seit Wochen führte er mich zu den seltsamsten Plätzen: Wir schlichen uns zum Beispiel in das alte Kommunalkino, kletterten über eine Luke aufs Dach und quatschten dort oben stundenlang. Oder wir spielten Billard und tranken Bier in ranzigen Clubs, wenn die Ruhetag hatten.

Richtige Einbrüche waren das eigentlich nicht. Denn Alex hatte immer die entsprechenden Schlüssel bei sich. ›Geborgt‹. Von seinem nichts ahnenden Vater, der eine Reinigungsfirma besitzt. Seine Putzkolonnen machen fast überall in der Stadt sauber.

An diesem Abend im Hühnerhugo stießen wir auf der Suche nach etwas Essbarem nur auf eine riesige Schüssel voller Eier. Das mussten über hundert Stück sein.

»Wozu brauchen die denn so viele Eier?«, staunte Alex. Prüfend nahm er ein Exemplar in die Hand, drückte vorsichtig zu, bis die Schale mit einem leisen Knacken brach. »Hart gekocht«, stellte er fachmännisch fest. »Dann hauen wir uns eben die rein. Was meinst du, Josh?«

»Weiß nicht …« Besonders wohl fühlte ich mich nicht gerade. »Und was machen wir, wenn der Besitzer plötzlich auftaucht?«

Milde lächelnd klopfte mir Alex auf die Schulter. »Keine Sorge, der hat längst Feierabend.«

Nervös blickte ich mich um. Die Stühle waren auf die Tische geräumt, damit die Reinigungsfirma durchwischen konnte. Im ganzen Laden roch es nach kaltem Fett und an der Wand blinkten zwei Spielautomaten. Selbst die heruntergelassenen Metallrollos, die uns vor neugierigen Blicken schützten, schafften es kein bisschen, mich zu beruhigen.

»Schau doch nicht so verschreckt, du alter Schisser! Es wird schon keiner kommen.« Alex klang belustigt. Entspannt ließ er das Ei auf der Hand herumrollen. »Wie wär’s mit einem kleinen Wettessen?« Ohne Vorwarnung warf er mir das Ei so pfeilschnell zu, dass ich es fast nicht gefangen hätte.

Alex griff erneut in die Schüssel, holte zwei weitere Eier heraus und tänzelte damit herum. »Das sind die Regeln«, verkündete er im Tonfall eines Ringrichters beim Boxen. »Die Gegner essen immer gleichzeitig ein Ei, so lange, bis einer aufgibt.«

»Und um was willst du wetten?«, fragte ich lahm.

»Wenn du gewinnst, lass ich dich mal mit meinem Roller fahren.«

Damit hatte er mich. »Einverstanden. Und wenn ich verliere?«

Alex richtete sich zu seiner vollen Größe von ein Meter neunzig auf und verschränkte die Arme. »Dann wirst du meine kleine Pussycat blitzblank putzen. Vielleicht sogar mit der Zunge. Das überlege ich mir dann noch.«

Wir stießen mit zwei Eiern an und legten los.

Die ersten fünf Stück gingen locker rein, auch wenn ich ewig auf dem trockenen Eigelb herumkauen musste. Beim sechsten bekam erst ich einen heftigen Schluckauf, dann erwischte es auch Alex. Hicksend füllte er Leitungswasser in zwei Gläser, das wir dann gierig herunterstürzten. Dadurch quoll die Eiermasse in unseren Mägen allerdings erst richtig auf.

Als es neun zu neun stand, stopfte sich Alex zwei Eier gleichzeitig in den Mund. »Mach mal ’n Foto«, befahl er und spuckte dabei gelbe Brösel. »Das kann ich dann später posten.«

»Das ist, glaube ich, keine so gute Idee«, würgte ich hervor. Beim Schälen meines elften Eis fühlte sich mein Bauch schon an, als hätte ich einen riesigen Medizinball verschluckt.

Alex kaute, kaute und kaute. »Und wieso nicht?«

»Wenn das dein Vater sieht, dann erfährt er doch von deinen ›Besuchen‹.«

»Keine Sorge, mein alter Herr ist garantiert nicht auf Friendbook.« Alex runzelte die Stirn. »Genauso wenig wie du. Wieso eigentlich?«

Das war wieder einmal eine von Alex’ vielen Fragen. Dauernd quetschte er mich aus, wollte alles ganz genau von mir wissen.

Seine typischen Kreuzverhöre klangen ungefähr so:

Alex: Wie heißt dein Lieblingsfilm?

Josh: ›Donnie Darko‹.

Alex: Und warum?

Josh: Weil er auf eine beunruhigende Art traurig ist.

Alex: Schaue ich mir an. Und deine Lieblingsplatte?

Josh: ›Antic‹ von Interpol. Ist aber von 2004.

Alex: Kenn ich nicht, höre ich mir aber an. Wo hast du die entdeckt?

Josh: Die hat mein Vater damals beim Auszug vergessen.

Alex: Wie kommst du mit deinem Vater klar?

Josh: Geht so.

Alex: Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?

Josh: Ist schon ein paar Wochen her …

Alex: Wieso triffst du ihn nicht häufiger?

Josh: Er ist sehr beschäftigt.

Alex: Was macht er denn von Beruf?

Josh: Er ist Controller.

Alex: Und wo?

Ich habe auf seine zahlreichen Fragen und endlosen Nachfragen immer ehrlich geantwortet. Auch in dieser Nacht im Hühnerhugo. Denn das war sein Versuch, die Welt mit anderen, mit meinen Augen zu sehen und zu verstehen.

»Friendbook ist doch das Letzte«, erklärte ich, wobei ich erfolglos einen Rülpser zu unterdrücken versuchte. »Diese dämlichen Essensbilder und bescheuerten Selfies gehen mir total auf den Sack.«

Alex betrachtete mich amüsiert. »Josh, du bist der schlauste Hund, den ich kenne. Ehrlich. Aber von Friendbook hast du echt keinen Schimmer.« Mit dem Handrücken wischte er sich über den Mund. »Das ist doch die beste Informationsquelle aller Zeiten!«

Ich spülte mir mit einem weiteren Glas Wasser das Eigelb aus den Zahnlücken und sah Alex skeptisch an. »Ach ja? Und wofür?«

»Das ist doch sonnenklar, du Idiot!« Alex schlug sein nächstes Ei mit einem schmerzhaften Klack an meiner Stirn auf. »Gibt es denn in deinem Leben kein Mädchen, auf das du stehst?«

Rikki, dachte ich sofort, sagte jedoch nichts.

Mein Blick war Alex nicht entgangen. »Wusste ich es doch«, jubelte er. »Und? Ist deine Traumfrau auch auf Friendbook

Nervös spielte ich mit dem Glas herum. »Glaub schon«, nuschelte ich.

»Mann, Josh, kapierst du es nicht? Über Friendbook darfst du sie in aller Seelenruhe beobachten. Auf den Fotos siehst du, worauf sie steht, wie sie eingerichtet ist, wie sie sich fühlt oder mit wem sie so befreundet ist. Einfach alles«, schwärmte Alex weiter. »Das sind unschätzbar wertvolle Informationen.« Plötzlich hielt er inne, hob seine Hand und flüsterte: »Warte.«

Erschrocken fuhr ich herum. »Was ist? Kommt jemand?«

Er kicherte nur. »Schach.«

Mein Puls raste. »Schach?!«

»Schach ist mein neues Signalwort«, verkündete er glucksend. »Merk’s dir. Es soll dich warnen.«

»Warnen? Vor was denn warnen?« Und dann roch ich es. »Boah, Alex, das stinkt ja widerlich.«

»Ich kann nix dafür. Diese Eier sind das reinste Kanonenfutter.«

Wir mussten beide so lange lachen, bis uns die Tränen runterliefen. Nachdem wir uns endlich wieder beruhigt hatten, ließen wir uns erschöpft neben einem beachtlichen Berg Eierschalen auf den Boden sinken.

Von einem Moment auf den anderen wurde Alex ganz ernst.

»Alles okay bei dir?«, erkundigte ich mich.

»Schon.« Er seufzte kurz. »Es ist nur lange her, dass ich mich so lebendig gefühlt habe. Weißt du, als ich damals vor Weihnachten mit diesen irren Kopfschmerzen ins Krankenhaus kam und mich nicht mehr bewegen konnte, war ich mir sicher, dass ich sterben muss.« Er seufzte. »In so einer Situation stellt sich dann raus, wer deine wahren Freunde sind. Keiner kam mich besuchen. Niemand. Bloß warum, das habe ich bis heute nicht kapiert.«

Alex hatte schon immer zu den beliebtesten Schülern unserer Klasse gehört. Er war immer gut drauf, sportlich und absolut furchtlos. So mähte er beim Fußball gnadenlos alle Mit- und Gegenspieler um und donnerte den Ball jedes Mal mit voller Wucht ins Tor. Ging unsere Klasse ins Schwimmbad, stand Alex schneller auf dem Fünferbrett, als wir anderen uns umziehen konnten, und stürzte sich sofort mit lautem Gebrüll in die Tiefe. Sogar unsere Lehrer fanden ihn grundsympathisch, obwohl er oft mit seinen Witzen und blöden Kommentaren den Unterricht störte.

Dann blieb er plötzlich für eine lange Zeit weg: Meningitis, wie unsere Klassenlehrerin uns mitteilte. Frau Dr. Störmer erklärte uns auch, wie gefährlich so eine Hirnhautentzündung ist, dass sie zu Verblödung, Lähmung, Amputation oder sogar zum Tod führen kann.

Wir waren alle total geschockt.

Als Alex nach vier Monaten wieder in die Schule kam, wirkte er anfangs sehr verhalten. Er hatte ein paar Wochen im künstlichen Koma gelegen und musste vieles von vorne lernen. Auf einmal gefiel es ihm gar nicht mehr, im Mittelpunkt zu stehen, und er zog sich zurück.

Umso erstaunter war ich, als er sich in der Schulkantine neben mich setzte und mit mir sprach, zum ersten Mal. Irgendwie verstanden wir uns auf Anhieb ganz gut. Und seitdem verbrachten wir fast jeden Tag miteinander. Und auch besonders viele Abende wie diesen im Hühnerhugo …

Neben mir schob Alex mit einem Fuß die Eierschalen auf dem Boden hin und her. »Vielleicht hatten sie ja Angst, sich anzustecken. Vielleicht ist deshalb keiner gekommen.«

»Das glaube ich nicht«, widersprach ich. »Wir mussten doch alle zum Arzt und vorsorglich Medikamente schlucken.«

»Was hat sie denn dann abgehalten?«

Ich überlegte. »Vielleicht hast du uns alle sterblicher gemacht«, sagte ich nach einer Pause.

»Wie meinst du das?«

»Na ja«, begann ich. »Keiner von uns hat sich davor so richtig Gedanken über den Tod gemacht. Der Tod, das ist was für alte, kranke Leute. Bis zu deiner Meningitis haben wir uns irgendwie für unsterblich gehalten. Du hast allen die Unbeschwertheit genommen.«

Alex nickte. »Das stimmt vielleicht. Und was ist mit dir? Warum hast du mich eigentlich nicht besucht?«

»Das weißt du doch genau, Alex. Ich konnte dich nicht ausstehen.«

Der frühere Alex war echt nicht mein Fall. Seine grölende Stimme kam mir immer einen Tick zu laut vor und sein Draufgängertum ging mir mächtig auf die Nerven. Auf Partys ließ er sich prinzipiell volllaufen.

Nachdenklich pulte Alex mit dem Fingernagel zwischen den Zähnen herum. »Ich weiß selbst auch nicht, ob ich mein altes Ich mag.«

Eine Weile schwiegen wir. Dann sprang er grinsend auf. »Sechzehn zu sechzehn. Gleichstand. Nicht übel! Komm, Josh, noch ein Ei, und der Sieg ist dein!«

»Nein, danke«, stöhnte ich. »Mir kommen die Dinger gleich zu den Ohren raus. Dir etwa nicht?«

Betont gleichgültig schaute er mich an. »Schach und matt!«

Erneut mussten wir vor Lachen losprusten und uns dabei die schmerzenden Blähbäuche halten. Nur die winzig kleine, blinkende Überwachungskamera war weder Alex noch mir aufgefallen.