Es war ein ganz kleines Häuschen mit so tief liegenden Fenstern und so weit an den Bürgersteig vorgebauter Mauer, daß man in Gefahr stand, sie beim Vorüberschreiten mit dem Körper zu streifen.
Begegneten sich einmal zwei Wagen in der engen Gasse, so konnte es sich wohl ereignen, daß die Fußgänger den Scheiben den Rücken zuwenden mußten, und daß sie dadurch den fleißig hinter den blühenden Topfgewächsen arbeitenden Frauen die Aussicht nahmen.
Das Häuschen erschien mit seinen niedrigen, beschränkten Räumen und seiner sauberen, blitzenden Nettigkeit wie eine aufs Land versetzte Kajüte. In der Tat war der Erbauer ein Schiffskapitän gewesen, der vor nun acht Jahren gestorben war und seine Frau und eine erwachsene Tochter hinterlassen hatte. Jedes Kind in Kappeln kannte dieses Haus und seine Bewohner. In der titelsüchtigen Welt fand auch die Witwe Lassen Gefallen daran, sich Frau Kapitän nennen zu lassen, obgleich ihr verstorbener Gatte nur auf einem kleinen Personendampfer, der täglich den Fluß auf und ab gefahren war, dermaleinst seine Herrscherrechte ausgeübt hatte. Er hatte zu jenen braven, kernfesten, etwas eigensinnigen Menschen gehört, wie eine derartige Beschäftigung sie ausbildet. Er sammelte etwas Vermögen, vermehrte es durch Sparsamkeit und starb eines Tages, den Kautabak noch linksseitig im Munde, am Schlage. So plötzlich ereignete sich dies, daß seine gute Frau noch nicht einmal auf den Gedanken gekommen war, daß auch ihm Lebensgrenzen gesteckt seien.
Doppelt hart erschien sein Tod, da kurz darauf sein einziger unverheirateter Bruder, ein wohlhabender Exporteur in Hamburg, das Zeitliche segnete und seine Nichte Christine zur alleinigen Erbin einsetzte. Durch diesen Vermögenszuwachs hätte der Kapitän den Rest seiner Jahre sorgenfrei und in jener behaglichen Ruhe verleben können, die dem Alter so wohl zu gönnen ist.
Frau Lassen stammte aus einer ehrsamen Bürstenbinderfamilie, hatte nicht eben viel Bildung, aber besaß Herz und eine eigene, durch allerlei frommen Aberglauben geförderte Originalität. Ganz Kappeln kannte sie wegen ihrer Misch-Masch-Sprache, die sich aus Platt und Hochdeutsch zusammensetzte.
Christine war ein schon reifes, aber immer noch schönes, sanftblickendes und dabei kluges Mädchen von etwa dreißig Jahren, die in der höheren Kappelner Mädchenschule seinerzeit eine vortreffliche Erziehung genossen und später das Bedürfnis gefühlt hatte, sich weiter fortzubilden. Man verstand nicht, wenn man mit ihr in Berührung trat, daß die Welt sich nicht mehr um sie bemühte, und daß sie selbst sich nicht mehr unter Menschen begab. Wie's denn so ist, daß auch einmal die schönsten Blumen nur ein flüchtiger Blick streift, und daß sie unbeachtet sich entblätterten.
Jedermann war durch ihr sicheres, feines und liebenswürdiges Wesen überrascht. Aber nach irgendeinem gelegentlichen öffentlichen Hervortreten verschwand sie dann wieder auf Jahr und Tag und zog sich in die Einsiedlerei zu ihrer Mutter zurück. Die beiden Frauen glichen Murmeltieren, die ihren Winterschlaf abhalten.
Nichts konnte für jemand, der nicht im vornehmen Prunk der Schönheit Reiz erkennt, anziehender sein als dieses kleine Häuschen. An der hölzernen, schneeweiß angestrichenen, durch hervorspringende Balken gezierten Decke des Flurs hing ein kleines, vollkommen ausgerüstetes Schiff mit Masten, Leinensegel und allem Zubehör. Zu beiden Seiten desselben schwebten zwei große, ausgestopfte Stachelfische mit ihren weibisch dummen Mäulern. Die weißlackierten Flurwände waren über und über mit netten Seestücken in schwarzem Rahmen bedeckt, und an der geradeaus nach dem Hofe gehenden Tür erschienen die messingne Klinke und der messingne Beschlag wie in der Sonne glänzendes Gold.
Der sorgsam gescheuerte Fußboden war mit weißem Sande bedeckt. Über der besten Stube zur Rechten war ein großes rotes Korallengewächs angebracht, und die Wohnstube mit dem spiegelglatten, braun gebohnten Fußboden, in hellgrüner Ölfarbe gestrichen, war mit hübschen, altertümlichen Mahagonimöbeln und vielen sauber gehaltenen Bildern geziert. Sie duftete stets nach Bohnerwachs und nach Blumen, die in zierlichen, mit silbernen Rändern geschmückten weißen Töpfen am Fenster standen und mit ihren Köpfen auf die Straße nickten.
Ungewöhnlich groß, funkelnd-glänzend war der Spucknapf in der Ecke und ebenso in die Augen springend die blankgeputzte Tür in dem hochaufgebauten Ofen, dessen Kacheln in mattblauen Zeichnungen auf weißem Grunde abwechselnd Rebekka am Brunnen und Kain und Abel vorführten. Auf einigen hatte Rebekka ihr Näschen durch den Zahn der Zeit eingebüßt, und Kain fehlte das eine Bein. Abel aber starb überall ohne vorhergegangenen Verlust an Gliedmaßen, und ohne Widerstand zu leisten, durch des Bruders Hand.
An dieses Wohnzimmer stieß ein allerliebstes Schlafzimmer mit hohen Alkovenbetten, die aber selbst um die Sommerzeit mit so vielen Federdecken bepackt waren, daß einem bei ihrem Anblick die Atemnot ankam.
Nach dem Hof hinaus lag die Küche, ein wahres Schatzkästlein von Sauberkeit und Zierlichkeit. -
In dem Wohngemach nun saß eines Abends, um die Zeit der jüngst beschriebenen Gesellschaft, Tibertius mit bescheidener Miene, aber geläufiger Zunge. Wie seine Annäherung an die Kapitänsfamilie sich so recht eigentlich gemacht hatte, darüber war sich der Provisor selbst nicht klar. Der Zufall hatte dabei sein Spiel getrieben, und Tibertius war nicht müßig gewesen, ihn zu unterstützen. Christine hatte einige Male die Apotheke besucht und Einkäufe gemacht. Jedesmal war sie von Tibertius bedient worden, und daher stammte die erste Bekanntschaft.
Er erinnerte sich genau, daß sie englisches Pflaster und Goldkrem gefordert hatte, eine Bezeichnung für Cold-cream aus ihrem Munde, die Tibertius anfänglich etwas stutzig gemacht und ihn schon auf ihren mangelnden Bildungsgrad hatte Schlüsse ziehen lassen. Ein andermal brachte sie ein Rezept und verlangte gleichzeitig Räucherwerk.
»Pulver oder Kerzen? Rote oder schwarze?«
»Ich bitte, lieber rote; die letzten schwarzen verlöschten so leicht«, erwiderte Christine mit ihrer sympathischen Stimme, indem sie ein aus weißer Perlmuttermuschel gearbeitetes Portemonnaie hervorzog.
Der Zusatz in Christinens Worten veranlaßte Tibertius zu bedauernden Äußerungen und gab den Vorwand zu einem kurzen Gesprächsaustausch. Nachdem die Tochter der Witwe empfangen, was sie wünschte, neigte sie freundlich verlegen den Kopf und errötete leicht und dankte verbindlich, als Tibertius rasch um den Ladentisch bog und die gerade sich etwas klemmende Tür behende und unter tiefen Komplimenten öffnete. -
Als Fräulein Lassen zum drittenmal die Apotheke betrat, fragte sie zu Tibertius' Überraschung nach dem Gehilfen Kordes. »Er sei in der Materialienkammer. Er könne geholt werden.« »Das sei nicht nötig; sie danke sehr; aber er habe vielleicht die Güte, ihm ein Billett einzuhändigen?«
»Gewiß! Ich werde es ihm sogleich übergeben, mein Fräulein. Haben Sie etwa sonst noch etwas zu bestellen?«
Christine dankte freundlich, neigte wieder mit einem bezaubernden Ausdruck in den Mienen das Haupt und entfernte sich. -
»Kordes!«
»Herr Tibertius?«
»Hier ist ein Briefchen von Fräulein Lassen.«
»Danke!«
Kordes ergriff diesen Schatz gleichgültig wie ein Rezept, öffnete, las und ging so gelassen wieder an seinen Mörser, als ob höchstens eine Brummfliege durch die Apotheke geflogen sei.
Der Vorfall mit dem Billett schien sich also an frühere, ähnliche Vorgänge anzulehnen! Das veranlaßte den vor Neugierde brennenden Provisor zu der Frage, ob Kordes die Familie kenne. Aber so geschickt verbarg Tibertius seine Gefühle, daß er während des Sprechens mit dem Wischtuch über den Rezeptiertisch fuhr und sich den Anschein gab, als ob die Sache eine Unterbrechung selbst der gleichgültigsten Dinge keineswegs erheische.
Kordes, getreu seiner Auffassung, daß die Sprache höchstens dazu da sei, um sich gelegentlich über den schlecht aufgebrühten Tee und die dünnen Leberkäsescheiben Stines zu beklagen, nickte nur mit dem Kopfe und fügte in einem gelangweilten Ton noch einige Worte hinzu. »Ja, - sehr gut!« - sagte er.
»Wohl eine Einladung?« forschte Tibertius weiter und holte mit einem breiten Messer Latwergemus aus einem Porzellanhafen.
»Ja, zu Sonntag; Lassens sind weitläufige Verwandte meiner Mutter.«
»Hm, hm! So so -«
Am Sonnabend nach diesem für Tibertius bemerkenswerten Besuch Christinens war eine alte Botenfrau erschienen und hatte »etwas gegen Rheumatismus« für die alte Lassen gefordert.
Als sich nun Kordes am folgenden Tage zum Fortgehen zu Lassens rüstete, gab der Provisor ihm ein Stück einer eben in den Handel gelangten Gichtwatte mit der Aufforderung in die Hand, er möge bestellen, daß diese bei rheumatischem Leiden von bester Wirkung sei. Wenn Frau Kapitän nach dem Preise fragen würde, solle er nur sagen, es käme bei alter Kundschaft auf diese Kleinigkeit nicht an. Diesem Paketchen fügte er auch noch einige Liebenswürdigkeiten für Kordes bei, so daß dieser, ganz benommen von der guten Laune seines Vorgesetzten, den Besuch bei Lassens antrat. Es werde bei letzterem sicher von ihm die Rede sein, überlegte Tibertius, und Freundlichkeit gegen den Gehilfen könne für alle Fälle nicht schaden. So junges Volk urteile nach gerade in ihnen haftenden Eindrücken, und so werde auch Kordes ihn, Tibertius, bei der Familie in das beste Licht stellen. Am Ende, der Provisor war auch ein Mensch, der nicht gerade andere mit Steinen bewarf, wenn er etwas von ihnen wollte.
In der Tat berichtete Kordes am nächsten Tage von dem akuten Eindruck, den diese Sendung auf seine Verwandten gemacht habe; aber außer sich hätte Tibertius über den Gehilfen geraten können, als dieser ihn bei sonstigen Anspielungen verständnislos anglotzte, sein allerdümmstes Gesicht machte und statt der sehnlich erwarteten Aufschlüsse hinwarf:
»Ach, es ist da immer gräßlich langweilig bei den alten Schachteln. Aber meine Mutter will ja, daß ich manchmal hingehe.«
Einige Tage waren verflossen.
»Hören Sie, Kordes,« hub Tibertius eines Mittags nach Tisch an, »wenn Sie einmal wieder mit Ihren Verwandten zusammenkommen. lassen Sie doch so nebenbei fallen, daß ich den Damen einen Besuch machen möchte. Vielleicht an einem Sonntag -«
»Ja, das kann ich ja gern«, erwiderte der junge Ahnungslose, und so recht in dem Tone eines Menschen, der solche Absichten ganz unbegreiflich findet.
Indessen ganz glatt sollte die Sache doch nicht verlaufen.
»Na, was sagten sie?« hub der Provisor an, als er den Bericht über diesen Auftrag aus Kordes herausholte.
Der Gehilfe kratzte sich verlegen hinter dem Ohr und schwieg. Endlich sagte er, einen Groschen über den Ladentisch weg in die Kasse streichend und von einem Kunden zurücktretend, der eben Frostsalbe gefordert hatte: »Ja, Frau Kapitän meinte, - daß - daß - daß sie nicht - recht - wüßte, warum und wieso?«
Eine einfache, etwas provinzielle Ausdrucksweise, aber am Ende eine mit ein wenig Scharfsinn nicht wohl mißzuverstehende Antwort! dachte Tibertius; doch war er gleichzeitig entschlossen, deshalb die Hoffnung nicht sinken zu lassen.
»Warum? Wieso? sagten sie, Kordes? Verstehe ich nicht -« knüpfte er wieder an.
»Ja, Christine meinte auch, wie sie das nehmen sollten. Sie sprachen ziemlich lange davon, und dann - dann zuletzt -«
Da trat abermals Störung ein. Ein kleines Mädchen forderte für zwei Pfennig Lippenpomade.
»Gibt's nicht für zwei Pfennig.«
Das Kind ging.
»Und dann zuletzt?« drängte Tibertius.
»Sollte ich bestellen, daß es ihnen sehr angenehm sein würde, wenn Sie meinten, daß -«
»Nun?«
»Daß es mit zwei einzelnen Damen doch sehr langweilig wäre -«
»Hm!«
»Sie erkundigten sich auch -«
Schon wieder trat jemand in die Apotheke. Nicht einen Augenblick hatte man Ruhe! Der Tischler sollte einen Knopf, den er vom Drechsler besorgt hatte, in eine Schublade einfügen. Für Drechslerarbeit läßt man bekanntlich einen Tischler kommen. Auch damals schon war's in der Welt so!
»Na, erzählen Sie weiter, Kordes«, drängte Tibertius mit gedämpfter Stimme.
»Sie erkundigten sich auch - auch - nach - so nach Ihnen, - wo Sie eigentlich zu Hause wären und meinten, Sie gingen ja nun bald weg von hier -«
»So? das wußten sie?«
»Ja!«
»Na, und was sagten Sie zu alledem?«
Kordes starrte den Provisor an: »Ich!«
»Ja, ja, was Sie erwiderten?«
Der Gehilfe brütete vor sich hin, als ob er sagen wollte: »Na, ob die Fragerei wohl nun bald ein Ende kriegt?«
Es war auch weiter nichts aus ihm herauszubringen, und im Grunde genügte es ja. -
Am nächsten Sonntag hielt Tibertius nach vorhergegangenem Besuch seinen Abendeinzug in die Kajüte. Die erste Viertelstunde war so peinlich, daß er die ganze Sache zu verwünschen im Begriff stand. Als aber die Frauen, das Gastrecht gewissenhaft übend, sich in Aufmerksamkeiten erschöpften, verließ ihn die Befangenheit. Er mußte den alten Aquavit probieren und die gebratenen Fische kosten; auch sollte er nur etwas tief mit der Gabel in die Anchovistonne »herunterlangen«.
»Lassen Sie mich, lassen Sie mich!« rief die Alte und holte einige dickbäuchige, an den Schwanzenden tropfende Fischchen heraus und legte sie Tibertius auf den Teller. Er mußte endlich auch eine Flasche Rotwein - noch von des Kapitäns bestem - entkorken. Zudem war es nach Tisch so gemütlich und durch die liebenswürdig beschämende Aufmerksamkeit, welche die beiden gutherzigen Frauen ihm erwiesen, so anheimelnd, daß der Provisor sich in einem wahren Glückstaumel befand. Zwar die Alte war im Reden bisweilen ein wenig derb und geradeaus und hatte hin und wieder sogar einen etwas mißtrauischen Ausdruck im Auge. Aber Christine war so einfach zutunlich und lauschte des Provisors Erzählungen mit so gespannter Aufmerksamkeit und so großem Interesse, daß sich sein Herz immer mehr für sie erwärmte.
Christinens weibliches Gefühl fand bald heraus, daß er ein braver und guter Mensch sei, und sein vielseitiges Wissen machte Eindruck auf sie. - Das lebendige Wort klang anders als der tote Buchstabe in Zeitungen und Büchern, aus denen sie bisher fast ausschließlich ihre Kenntnisse vervollständigt hatte. Mit den Bekundungen ihrer Teilnahme und ihres Verständnisses wuchsen auch bei Tibertius die Fähigkeiten, sich mitzuteilen. Hier war jemand, der seine Eigenart würdigte und mit Beifall nicht zurückhielt. Tibertius war niemals an seinem Wissen und Können irre geworden, aber sein geringes Selbstvertrauen hatte ihm allezeit zugeflüstert, daß ihm sonst zuvielerlei fehle, um gleichberechtigt neben anderen auftreten zu können. -
Der Provisor verkehrte nun schon seit fast zwei Monaten in dem Hause der Familie Lassen und konnte kaum die Stunde der Einkehr dort erwarten. Wie verschieden war doch der Menschen Geschmack! Kordes dankte Gott im Himmel und allen Engeln dazu, daß er nicht mehr aufgefordert wurde, an den einzigen freien Abenden sich den Kopf an der niedrigen Decke »der alten Baracke« einzustoßen. wie er Frau Lassens Häuschen nannte, während Tibertius in denselben Räumen einen Vorgeschmack der Himmelsseligkeit zu spüren vermeinte. -
Und während dieser Zeit ereignete sich eines Abends in der Kajüte etwas ganz Außerordentliches.
Die Alte, welche gerade ihren unruhigen Tag hatte, hantierte in der Küche und bereitete das Abendbrot vor, Christine häkelte zu den schon unzählig vorhandenen kleinen und großen Schutzdecken, welche die Polstermöbel schmückten, eine neue, und hörte freundlich zu, was Tibertius von der jungen, lieben Frau Heinrich erzählte.
»Die sind wohl nicht recht glücklich? Man spricht so allerlei« - äußerte sie teilnehmend, aber auch nicht ohne etwas Neugierde, der sich vielleicht sogar ein durch den unfreiwilligen Verzicht auf Heiratsglück hervorgerufenes Spürchen Befriedigung über die Tatsache beimischte.
»Leider«, erwiderte der Gast. »Um so trauriger, als die Frau ein wahrer Engel ist. Ich habe kaum je eine, wie sie ist, gesehen.«
»Man hört es allgemein«, bestätigte Christine, fügte aber etwas einschränkend hinzu: »Dieses Ehebündnis war überhaupt doch ein Wagnis, wenn nicht eine große Torheit! Das blutjunge Mädchen mit dem alten Junggesellen! Die Menschen müssen doch im Alter einigermaßen zueinander passen, sonst entstehen fast immer Mißverhältnisse.«
Tibertius nickte und schnitt immerfort mit einer kleinen Stickschere in ein kleines Läppchen Seidenzeug, das auf dem Tische lag.
»Darf ich die Schere haben?« bat Christine in ihrem sanften Tone, als er auf den letzten Satz gar nichts erwiderte. Sie suchte einen Anlaß zur Belebung des Gesprächs, weil er so stumm blieb.
Da trafen sich ihre Blicke. Der zauberische Schatten eines vorüberhuschenden Liebesgottes flog über beider Angesicht, und ebenso rasch stieg eine Flamme in ihnen auf.
Tibertius drängten sich hundert Worte auf die Zunge, und doch sprach er nicht eines. Zuerst schaute er auf die Tür, weil er sich einredete, jetzt gerade könne die alte Frau ins Zimmer treten. Er sah auf die weißgehäkelte Decke und sah sie doch nicht; er schaute auf sie, die mit gesenkten Wimpern still und sittsam vor ihm saß. Hatte sie eine Ahnung, daß er sie liebte? Durfte er ihre freundlichen Blicke deuten, wie er wünschte? Er zitterte bei dem Gedanken, sie könne ihn nicht erhören. Bange Zweifel huschten durch seine Seele. In der Lampe knisterte es leise; die Dinge ringsumher, die Bilder, die Möbel, die Farben hatten einen so leuchtenden Schein. Alles guckte ihn so hell an. Ach, wenn doch Dunkelheit herrschte, damit er ihr Gesicht nicht zu sehen brauchte, während er das lebendige Liebeswort sprach. - Und dann kamen plötzlich andere Vorstellungen. Was war er? Ein Junggeselle ohne Vermögen, in vorgerückten Jahren, in Abhängigkeit, ohne Aussichten! Und sie? Sie war eine reiche Erbin, die neben dieser Eigenschaft noch viele besaß, die sie berechtigten, Anträge von Männern zu erwarten. Nein! Es ging nicht! Es war noch zu früh. Er mußte erst sicherer sein! Er wollte Dora bitten, für ihn hinzuhorchen, sie sollte als Brautwerberin auftreten! -
So sann er hin und her, ohne den Mut zum Reden zu finden; ja, er drückte die Entschlüsse, welche er bereits gefaßt hatte, gewaltsam nieder.
Keiner von beiden sprach. Noch einmal schaute Christine empor. Dann stand sie auf und ging, seine Zustimmung mit freundlich verlegener Miene einholend, an den Nebentisch, um etwas zu suchen.
So, nun war doch der Augenblick gekommen! Gewiß, im Halbdunkel klang's anders, wärmer, da ward's ihm leichter! Er rückte mit dem Stuhle; er richtete sich empor. - Eben kehrte sie ihm den Rücken. - Jetzt, jetzt!
»Fräulein Christine -«
Er sagte es wirklich. Es zitterte ihm das Herz. Bei dem Klange seiner Stimme wandte sie sich um. Nie hatte er sie bisher beim Vornamen genannt. Große, warm blickende Augen richteten sich auf ihn. Sie lehnte sich an den Tisch, als ob sie ihm still zuhören wolle. Er hoffte wenigstens, daß er es so deuten dürfe! Es schien auch wirklich der Fall. Nun also denn. Die Zeit flog; jede Sekunde machte sein Herz hörbarer klopfen -
»Seit ich Sie zum erstenmal sah, liebes Fräulein Christine -«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und eine Stimme sagte:
»Weißt du, wo das Teesieb hingekommen ist, Christine?«
»Das Teesieb? Das Teesieb? Nein! - Ja doch, - ja doch, Mutter. - Ich komme -«
Tibertius war allein. »Das Teesieb«, wiederholte er in furchtbarer Enttäuschung, mechanisch vor sich hinsprechend: »Das Teesieb. -«
Heinrich war mit Zustimmung des Arztes zum erstenmal einige Stunden aufgestanden. Er saß aufrecht in seinem Lehnstuhl und führte mit schwachen Händen eine Tasse Bouillon zum Munde. Seine Genesung machte zwar nur langsame Fortschritte, aber immerhin ging es rascher, als mit der Besserung seines Freundes, des Physikus drüben, der sich gar nicht erholen wollte.
Da Heinrich seit seiner Rückkehr von Kiel in Fieberphantasien gelegen hatte, so fehlte ihm bei der Wiederkehr klaren Bewußtseins die rechte Vorstellung über Umfang und Bedeutung seiner Krankheit und infolgedessen auch der Maßstab einer Schätzung der unermüdlichen Ausdauer und Geduld, mit der seine Frau ihn gepflegt hatte. Dora umgab ihren Mann auch jetzt noch mit keiner geringeren Aufmerksamkeit; aber die sanfteren Gefühle, die sich bei dem Anblick des Hilflosen in ihr geregt hatten, wichen in dem Grade, als sie seine verdrießliche Stimme wieder vernahm, sein kalter Blick ihr Auge streifte, sein herrischer Wille wieder die Oberhand gewann.
Und in gleicher Folge und in gleichem Maße wurden auch bei Heinrich die Erinnerungen an die früheren Geschehnisse wieder lebendig, Erinnerungen, die sich ihm um so mehr aufdrängten, als er in seiner Frau keine liebevolle Pflegerin, sondern nur eine stumme und scheinbar völlig teilnahmlose Krankenwärterin um sich zu erblicken wähnte. Vielleicht, wenn jetzt einer von beiden die Gelegenheit ergriffen hätte, ein gutes, versöhnendes Wort zu sprechen, würden sich die hochaufgetürmten Schranken, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatten, wenigstens zeitweilig gelockert haben. Aber keiner bot dem andern die Hand, seiner besseren Natur aufzuhelfen, und so wurden diese schwachen Keime eines Dranges nach Frieden schon im Entstehen erstickt.
Zwar sagte Schübeler eines Tages zu dem Apotheker, als dieser ein freundliches Wort über dessen sorgsame Behandlung fallen ließ, er habe nicht ihm, sondern lediglich der beispiellosen Aufopferung seiner Frau seine Wiedergenesung zu danken; aber Heinrich hielt das mehr für eine der gewöhnlichen Äußerungen des Schmeichlers, als für Wahrheit.
Als Schübeler sich entfernt hatte, war Dora in großer Spannung, ob Heinrich ihr ein anerkennendes Wort gönnen werde. Noch einmal stieg ein leises Hoffen in ihr auf. Aber er blieb jetzt ebenso stumm wie bei ähnlichen Bemerkungen seiner Schwiegermutter. Was aus dieser Unterredung an dankbarem Gefühl für seine Frau in ihm haften geblieben, wurde ausgelöscht durch die Haltung Doras, die zu stolz war, sich ihrer Werke zu rühmen, und sich zu tief verletzt fühlte, um freundlich zu sein oder gar das erste Wort zu geben.
So änderte denn die Krankheit in dem Verhältnis beider nichts; im Gegenteil, Heinrich wurde Dora nur noch verächtlicher als früher.
Der Apotheker hatte sie bisher als ein gutes, aber ziemlich unbedeutendes Frauchen angesehen, das neben sonstigen Mängeln an einer krankhaften Sentimentalität leide. Nunmehr aber schloß er aus ihrem Wesen, daß sie von einem trotzigen Starrsinn beseelt sei, der nur durch die schärfsten Mittel gebrochen werden könne.
Es war an einem Spätnachmittage, als der Physikus nach seiner Dora verlangte, und Frau Paulsen herüber eilte, um ihrem Schwiegersohn während der Tochter Abwesenheit Gesellschaft zu leisten. Nachdem beide eine Zeitlang über allgemeine Dinge gesprochen hatten und dann auch auf Dora die Rede kam, sagte Heinrich plötzlich:
»Was denkt sich Ihre Tochter eigentlich bei ihrem ganzen Benehmen? Schon vor einigen Tagen wollte ich mit Ihnen sprechen. Ich finde keine Worte, um meinen Empfindungen Ausdruck zu geben.«
»Wie, was? Ist wieder etwas vorgefallen?« stieß Frau Paulsen erschrocken heraus. »Ich verstehe nicht, bester Heinrich. Bitte! Erklären Sie sich deutlicher.«
»Was ist da zu erklären? Haben Sie selbst keine Augen und Ohren, verehrte Frau?« erwiderte der Mann in seinem unangenehmsten Tone und zerrte mit nervöser Ungeduld an der über ihm ausgebreiteten Schutzdecke. »Ihre Tochter geht um mich herum, als läge ich in einem öffentlichen Krankenhause, und als sei sie eine bezahlte und dabei überaus mürrische Wärterin.«
»Aber Heinrich!« rief die Doktorin empört und nahm, die gewohnte Klugheit ganz außer acht lassend, eifrig für ihre Tochter Partei. »Hat Dora Sie nicht mit der hingebendsten Sorgfalt während Ihrer Krankheit gepflegt, und haben Sie - ich habe wenigstens nichts davon erfahren - ihr auch nur den leisesten Dank ausgesprochen? Gab sie nicht überzeugende Proben ihrer Pflichttreue und Herzensgüte, zumal nach den traurigen Vorfällen, welche Sie beide einander entfremdeten und Sie im eigenen Hause trennten? Sie müßte ja ohne Selbstgefühl sein, wenn sie nicht eine Dankesäußerung von Ihnen erwartet hätte.«
»Was das nun alles wieder für Reden sind!« rief der Apotheker, den unter den Nachwirkungen seiner Krankheit der kleinste Widerspruch reizte. »Sie tun gerade, verehrte Frau, als ob Ihr Töchterchen ein Ausbund von Tugend sei, - und ich - ich«
»Wir wollen ein andermal weiter reden!« betonte Frau Paulsen, ihre Bewegung niederkämpfend, nicht ohne Würde. »Ich sehe, daß Sie noch zu erregt sind, um eine so wichtige Sache vorurteilsfrei zu besprechen, und da ist es besser -«
Diese Äußerung brachte den Apotheker vollends auf. »Ich bin nicht im geringsten erregt!« unterbrach er die Sprechende. »Ich äußere mich durchaus sachlich und erhebe mit vollem Fug und Recht meine Vorwürfe. Am Ende bin ich doch kein irgend Einer, der in diesem Hause krank ward, sondern der Herr, der Gatte Ihrer Tochter, zudem ein langer, und ich glaube, bewährter Freund der Familie -«
Er hielt inne. Am liebsten hätte er gesagt: »Ich bin der Mann, welcher Sie, verehrte Dame, und Ihren Gatten vor Schimpf und Bankerott bewahrte;« aber er sprach es nicht aus, denn aus den Augen der Doktorin schossen recht unheimliche Blitze.
Auch erhob sie sich, rückte den Sessel beiseite und sagte: »Ich gehe, Heinrich. Es ist besser so! Eine Bemerkung aber kann ich doch nicht unterdrücken: Seit Wochen beschäftigt meine Tochter und mich nur der eine Gedanke, an Ihnen Pflichten zu üben. Mich leitete die Dankbarkeit, sie der Schwur, den sie Ihnen am Altar leistete. Es war die Pflege um so schwerer, als gleichzeitig noch jemand ebenso krank daniederlag, dem wir unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, nicht minder gedrängt wurden. Taten sprechen, nicht Worte! War Dora ohne Wärme, so sind wahrlich Sie in diesem Falle allein die Ursache, und wenn unter Berücksichtigung alles dessen so harte und ungerechte Worte in so brüsker Form fallen, so kann nur eine krankhafte Reizbarkeit, oder - Doch nein! Ich will nur diesen Beweggrund voraussetzen, Heinrich, keinen andern. Und nun lassen Sie mich gehen, und helfen Sie Ihrer besseren Natur zu einer gerechteren Auffassung.«
Die Frau ging, und der Mann blieb allein. Er saß lange und brütete vor sich hin. Es wurde dunkel; vor seinen Augen verwischten sich die Gegenstände. Er achtete dessen nicht. Allzu lebendig waren seine Gedanken. Dann aber überfiel ihn plötzlich ein Gefühl grenzenloser Einsamkeit, ja ein Gefühl der Angst, - Angst vor seinen alten Tagen - vor dem Tode, dem er doch eben erst entronnen war. Und durch wen? Alle riefen ihm zu, er sei durch die liebevolle Pflege seiner Frau dem Leben zurückgegeben. Eine tiefinnerste Stimme sagte ihm auch dasselbe, und zum erstenmal zogen Gefühle des Zweifels und der Reue in seine Brust, die er vorher nie gekannt hatte. Aber die verflogen ebenso rasch wieder. Der Wunsch, sie zu strafen, zu demütigen, beherrschte allein alle seine Gedanken.
An einem wundervollen, warmen Spätsommernachmittage - einige Wochen nach diesen Ereignissen - eilte eine kleine Gesellschaft an die Schiffbrücke Kappelns, um eine Seefahrt zu unternehmen.
Es waren bekannte Personen, Frau Paulsen und Frau Heinrich, Tibertius und Frau, Sophie, Frau Franzius, Kuchens, Blanka von Tapp und August, der die Apotheke vor einigen Tagen verlassen und einem neuen Provisor Platz gemacht hatte. Die Sozietät mit Tibertius war nunmehr eine beschlossene Sache.
Der Physikus war über Land gefahren, und Heinrich hatte am Morgen unerwartete Geschäfte vorgeschützt. Es war Stadtgespräch, daß er seine Wahl zum Bürgerworthalter betreibe und mit allen erdenklichen Mitteln in der Einwohnerschaft Anhang für sich zu gewinnen suche. Sein gefügiges Werkzeug hierbei war Glitsch, dem er seine Gegendienste bei der nächsten Stadtverordnetenwahl zugesagt hatte. Der Barbier blieb auch nicht untätig, redete, schwatzte, log und kundschaftete, lief bei Heinrich aus und ein und berichtete, daß allen Anzeichen nach der Erfolg ein unzweifelhafter sein werde.
Heinrichs Abwesenheit bei der heutigen Wasserfahrt war allerdings auch von niemand bedauert worden, am wenigsten von Dora. Sie selbst hatte - freilich nur im engsten Kreise - die Anregung zu diesem Ausflug gegeben. Einmal die frische Seeluft wieder einzuatmen. sei ihr höchstes Verlangen, hatte sie ihren Freunden gesagt, und diese beeilten sich, den Wunsch der armen Blinden zu erfüllen.
Erst am Mittage dieses Tages hatten sich auf Anregung der Doktorin Paulsen und ohne Wissen Doras noch Frau Franzius, Kuchens und Blanka von Tapp angeschlossen, und Mile Glitsch und Lene, welche die Proviantkörbe trugen, bildeten den Nachtrab der kleinen Gesellschaft.
Dora schritt an Sophiens Arm einher und ließ einen leisen Unmut über die nachträglichen Einladungen durchschimmern. Überhaupt schien's der alten Dame, als ob Dora etwas besonders Schweres bedrücke; sie ging stumm und in sich gekehrt neben ihr her, und auf die Frage, was sie beschäftige, oder ob ihr etwas fehle, antwortete sie mit wehmütigem Kopfschütteln.
»Stört es dich, Dora, daß die älteren Damen dabei sind?« fragte Sophie. »Ist dir irgend etwas nicht recht? Mich dünkt, du bist heute so verstimmt und genießest nicht, was du so sehnlich herbeigewünscht hast.« - - Aber sie brach ihre Rede schnell wieder ab und drang nicht weiter in die junge Frau. War's doch das erstemal, daß sich die Blinde seit ihrem Unglück wieder in einer Gesellschaft befand, ohne daß ihr Auge die Schönheiten der Natur in sich aufnehmen, ihr Herz sich daran erfreuen konnte. Und überdies lagen qualvolle Tage hinter der armen Dora. Die Zerrissenheit ihres Inneren erhielt immer neue Nahrung durch das empörende Benehmen ihres Mannes. Heinrich hatte ihr in hämischer Weise die Begegnung mit Bernhard vorgeworfen. Zu allen Menschen, die ihm in der Seele verhaßt seien, erhalte sie gerade die engsten Beziehungen, hatte er ihr zugerufen. Er habe es ja immer gesagt, daß sie ein geradezu erstaunliches Talent besitze, jede Voraussetzung, die er seinerzeit an sie geknüpft habe, zuschande zu machen. - Und was der spitzen und grausamen Redensarten mehr waren, mit denen er sie verwundet hatte.
Noch einmal hatte Dora Bernhards Hand in der ihrigen gefühlt, noch einmal den Ton seiner Stimme gehört. Dann setzte er mit seinem jungen Weibe, deren mitleidiger Abschiedskuß der Blinden Inneres mit unsagbaren Qualen durchschauerte, die Hochzeitsreise fort.
Noch einmal - zum letztenmal - - -!
Die Fahrt auf dem Wasser war prächtig, obschon der Bootführer einigemal kreuzen, demzufolge die Segel umlegen und dadurch die Gesellschaft wiederholt belästigen mußte. Fast gegen den Wind trotzte das schlankgebaute Boot mit seinen straffen Segeln auf. Hin und wieder spritzten auch an den Planken gebrochene Wellen ihre frischen, boshaften Tropfen in das Innere und veranlaßten die Damen zu jähen Schreckensrufen. Aber vor ihnen die See, so durchsichtig, so vergnügt; ihr Atem so rein und belebend, und ringsum die Ufer im Sommerprangen, im Duft der Schönheit und im Zauber stillen Friedens. See- und Teergeruch in seiner feinen belebenden Mischung drang auf die Bootsinsassen ein, die vergnüglich schwatzten und nun endlich mit vollem Winde dem Ufer am Rotensande zustrebten. Es war derselbe Ort, an dem damals Bernhard und Dora durch stumme Blicke die Fäden ihrer jungen Liebe angeknüpft und unter dem Bann ihres süßen Geheimnisses der Zukunft nicht gedacht hatten. Er ein blutjunger Student, sie fast noch ein Kind!
Traf ihn ein Vorwurf? Schwerlich! Vielleicht wollte er ihr gerade zu einer Zeit nahen, als er erfuhr, daß sie das Weib eines anderen geworden sei. So brach sie gar selbst die Treue? - - Gleichviel! Vorbei! Vorbei! Gewesenes und Künftiges gleich trostlos! Vorüber alles, was sie einst hoffnungs- und freudevoll ans Leben geknüpft hatte.
Zeitig nachmittags war die Gesellschaft aufgebrochen; trotzdem verflogen die Stunden schnell, und der Abend regte sich.
Man hatte sich gleich nach der Ankunft gelagert, Feuer gemacht und Kaffee bereitet. Eine gemütliche Stimmung belebte die kleine Gesellschaft, und Tibertius und August waren voll zarter Aufmerksamkeit gegen Dora. Dann ging's durch den Wald und auf hübschen Umwegen zurück.
Als die Sonne sich neigte und die Herren die Vorbereitungen auf einem Lagerplatz trafen, woselbst das Abendbrot eingenommen werden sollte, richtete Dora an Sophie die Bitte, sie an den Strand geleiten zu wollen.
»Komm, Sophie, ich möchte gern noch einmal drunten am Wasser sitzen und den Wellen zuhören. Auch verlangt es mich auf Augenblicke nach Ruhe. Die lange Wanderung hat mich sehr angegriffen.«
Die alte Dame entsprach bereitwillig den Wünschen Doras, nahm ihren Arm und verständigte die Gesellschaft.
»Willst du nicht lieber ein Tuch um die Schultern nehmen?« mahnte Frau Paulsen, Dora nähertretend. Doch die junge Frau dankte mit einem lebhaften »Nein, nein, Mama,« neigte sich der Sprechenden zu und küßte sie zärtlich.
»Mein liebes, gutes Kind -,« flüsterte die Doktorin, überrascht und erfreut über einen Wärmeausdruck, der ihr neuerdings so selten geworden war.
Nachdem die beiden Frauen eine Weile fast wortlos im weichen Sande gesessen hatten - Dora hielt Sophiens Hand und drückte sie wiederholt -, schien die erstere doch ein leises Frösteln zu befallen. Sie bat deshalb jetzt selbst, daß die Freundin ihr ein Tuch holen möge. Rasch eilte Sophie fort, um den Wunsch zu erfüllen.
Sobald jene den Rücken gewandt, richtete sich das junge Weib empor und ging vorsichtig, aber sicheren Schrittes dem Strande zu. Sie horchte. - - Ringsum alles still! Sie rief mit halblauter Stimme den Bootführer. Keine Antwort. Sie rief nochmals. Nichts! Wohl, er war, wie sie auch hoffte, irgendwo im Walde mit seinem Jungen. Nun lauschte sie nach dem Wasser hinüber.
Sie hörte das knarrende Geräusch der Fahrzeuge an den Pfählen des Brückenstegs. Stets lagen hier Ruderboote. Dem Geräusch folgend, schritt sie geradeaus und suchte das Brückengeländer zu erreichen. Nun faßte sie es, tastete sich langsam vorwärts, gelangte bis ans Wasser, beugte sich hinab, suchte, fand und ergriff die eiserne Bootkette, die lose um den Pfahl gelegt war. Kräftig zog sie das Fahrzeug heran, glitt hinein, achtete nicht des Falles, den sie tat, suchte vielmehr nach einem Ruder und stieß, nachdem sie dieses einigemal vergeblich ins Wasser getaucht, vom Lande ab.
Alles gelang, als ob ein Sehender, vielleicht nur im Bootfahren Unbewanderter gehandelt hätte.
Der Gedanke, welcher die Blinde beherrschte, schärfte ihre übrigen Sinne und ersetzte durch sie gleichsam die Sehkraft.
Zunächst gehorchte das Boot nur unvollkommen, bald ward es aber von einer Brise erfaßt und trieb langsam in die offene See hinaus.
Nun eben trat Sophie wieder aus dem Gehölz hervor und wandte den Blick nach dem Strande. Und da sah sie auf dem Meere das Fahrzeug und darin, hoch aufgerichtet, eine Frauengestalt!
Wie? Was? Ging eine Täuschung vor? War's nicht Dora in ihrem hellen Sommerkleide? Grenzenlos beunruhigt spähte die alte Dame mit ihren Blicken am Ufer entlang. - Und dann ein jäher Aufschrei! - Die junge Frau war fort. Kein Zweifel, - Dora war es, sie war es, die da -
Ein furchtbarer Gedanke, der durch Sophiens Brust raste, wurde ihr zur Gewißheit. - Zurück! Zurück! »Dora! Dora! Hil-fe! Hil-fe! -« schrie sie und eilte zum Strande.
Die Blinde hörte die Töne, und ihre Gestalt schien heftig zu beben. Dennoch bewegte sie ein weißes Tüchlein. Es flatterte - ein letzter Abschiedsgruß -, scharf sich abzeichnend, durch die unbewegte Luft.
Und immer weiter schwamm das Boot, und immer angstvoller erklangen die jetzt vereinten Rufe der vor Schreck fast erstarrten Frauen am Ufer, während die Männer atemlos eilend an die Brücke stürzten.
Inzwischen war das einsame Boot in einen breiten Goldstreifen gelangt, den die Abendsonne auf das Meer gesenkt hatte. In eigenartiger Schönheit hob sich das dunkle Fahrzeug ab von dem Feuerstrom, der aus der See hervorgequollen schien, und regungslos stand es in der goldenen Flut.
Und nun senkte Dora das Tüchlein und zugleich - jetzt - jetzt - auch den Körper! Sie kniete nieder, erhob betend die Hände zum Himmel und - glitt dann sanft hinab in die Tiefe.
Für Sekunden durchdrang ein heiliger Schauer die Brust der Freunde; denn wie ein hehres Wesen, das von Sehnsucht überwältigt wird zurücksinken in den goldenen Feuerquell des Sonnenlichtes, das einst seinen Lebensfunken geweckt hat, tauchte die Gestalt in die brennende Glut. Und dann hallte ein einziger vereinter Schreckensruf vom Ufer her über das Wasser, und die aufgestörte Woge zog weite, immer weitere geheimnisvoll kreisende Ringe.
Aber auch sie verschwanden; die Meeresfläche ward wieder glatt. Ein herrenloses Fahrzeug schwamm hinaus in die offene See, - und die Welt lag im alten Frieden.
Am Morgen nach diesem entsetzlichen Vorfall traf ein Brief an den Physikus ein, der anfänglich ebenso unbeachtet blieb wie alle die andern eingelaufenen Schreiben. Eine unsichere Hand hatte die Adresse auf das Kuvert geschrieben.
Dumpf vor sich hinbrütend, in namenlosem Schmerz, für alles unempfänglich, starrte der Physikus vor sich hin, während Frau Paulsen mit gramzerrissener Seele am offenen Gartenfenster stand und ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben suchte.
Es war die erste ruhigere Stunde nach einer Nacht furchtbarer Aufregung. Endlich griff Paulsen, sich ebenfalls aufraffend, nach den Eingängen und öffnete auch das beregte Schreiben. - Und dann hörte seine Frau hinter sich ein langgezogenes dumpfes Stöhnen; als sie sich umwandte, sah sie, daß ihr Mann wie vernichtet auf dem Sofa hockte, schwere Tränen unaufhaltsam über seine Wangen rollten und seine bebenden Finger ein Blättchen krampfhaft umfaßten. Jetzt preßte er es an seine Lippen. Sie sprang hinzu und ergriff es in fieberhafter Aufregung. Und da stand zitternd geschrieben:
»Liebe, teure Eltern, verzeiht, o verzeiht Eurer Dora, die Euch so unaussprechlich liebte!«
Was die Welt bisher leise geflüstert hatte, was aber in seiner eigentlichen Bedeutung nicht erkannt war, weil die sanfte Dulderin gegen Fremde niemals eine Klage über die Lippen gebracht, wurde nun laut erzählt, wuchs an zu einem allgemeinen Gerede und rief bei allen Gutgesinnten äußerste Empörung hervor.
Heinrich war der Mörder dieser Frau, der niemand nähergetreten war, ohne sie zu lieben, und deren Wert nun, nachdem sie nicht mehr unter den Lebenden weilte, jedem erst zum vollen Bewußtsein gelangte.
Die öffentliche Meinung bäumte sich auf gegen den herzlosen Schurken in der Apotheke. Heftige Stimmen, laute und versteckte Entrüstungsanklagen erhoben sich, und sie wurden so übereinstimmende, daß von einer Wahl Heinrichs zum Bürgerworthalter nicht mehr die Rede war.
Glitsch riet dem Apotheker sogar, ein schweres Unwohlsein vorzuschützen und dem Leichenbegängnisse seiner Frau fernzubleiben.
Wenige Wochen später vernahm man die Kunde von dem Verkauf des Hauses und der Apotheke an Tibertius und August. Der bisherige Besitzer verschwand aus der Stadt, ohne Abschied zu nehmen.
Auch der Physikus und seine Frau zogen nach Veräußerung ihres Grundstücks nach Mecklenburg zu dem Bruder. Weder von ihnen noch von Heinrich hat man wieder in Kappeln gehört.
Als nach Jahresfrist die Stimme eines kleinen Geschöpfes durch die jetzt so hellen Räume der Apotheke klang, beugte sich Tibertius hernieder, hob sein Kind empor und flüsterte seinem Weibe ins Ohr:
»Soll's Christine heißen?«
Aber sie schüttelte den Kopf, umfaßte seinen Hals und raunte ihm zu:
»Nein, Fritz! Dora wollen wir unsern süßen Schatz nennen.«
»Ja, Dora!« leuchtete es in Tibertius' Augen auf, und »Dora!« nickte mit feuchten Augen der Geschäftssozius August Semmler, als man ihm davon Mitteilung machte.
Und »Dora Christine Tibertius« hob der Prediger feierlich an, netzte des Kindleins Stirn und taufte es im Namen der Dreieinigkeit.
Aus den Blumen, die das Taufbecken umrahmten, quoll ein feiner Duft. Heilige Stille erfüllte den Raum, und ein abgeschiedener Geist schien unsichtbar den Ort segnend zu weihen, den jetzt zärtliche Liebe und Übereinstimmung in einen Tempel des Glücks verwandelt hatten.
Die nächsten Tage waren für Tibertius und alle Beteiligten sehr ereignisvoll. Frau Lassen hatte Herrn Heinrich endlich gesprochen, und was sie aus dessen Munde über ihren künftigen Schwiegersohn gehört hatte, war nichts weniger als ermutigend für sie gewesen. Der Apotheker hatte erklärt, daß er eine Verbindung mit dem Provisor für eine Torheit halte, da er nichts besäße und mit Geld nicht umzugehen wisse. Er sei ein unpraktischer Phantast, und ihm ein Kapital anzuvertrauen, halte er für mehr als bedenklich. Wenige Jahre, und alles werde dahin sein! Unter der Leitung einer erprobten Persönlichkeit, als Mitarbeiter, sei er verwendbar, aber nimmermehr als selbständiger Geschäftsmann. Im übrigen könne er ja selbst nur nach seinen Eindrücken urteilen; er ersuche daher, die Äußerungen lediglich als seine persönlichen Ansichten aufzufassen und nicht danach zu entscheiden.
Die alte Frau, die schon weicher und nachgiebiger geworden war und so niedergeschlagene Berichte denn doch nicht erwartet hatte, kam dabei gänzlich aus der Fassung. Sie dankte, knickste und ging. Auf der Gasse bemächtigten sich ihrer die widerstreitendsten Empfindungen. Einmal triumphierte sie! Sie hatte also mit ihrer Ahnung recht gehabt. Es war gut, daß sie Heinrich gesprochen hatte! Und dann trat ihr doch wieder das traurige Gesicht ihrer Tochter vor Augen, und sie grollte dem Auskunftgeber. Ja, einen Moment haßte sie ihn, denn der armen Christine hatte er mit keiner Silbe gedacht.
Zuletzt fühlte sie in dem Schwanken zwischen Zweifeln und Liebe einen brennenden Schmerz im Innern. Sie kannte Christinens Charakter. Bestand sie auf ihrem Willen, so half alles nichts. Der Frau ahnte ein Unglück, wenn sie Widerstand leistete. Schon sah sie sich ihrer Tochter entfremdet und als alte Frau einsam und ungeliebt in ihrem kleinen Häuschen sitzen.
»Tach muß mir raten. Ihn muß ich sprechen,« entschied sie, ihre schweren Gedanken niederkämpfend, zuletzt, und wandte sich zu dem Kontor des Advokaten.
»Ah, Madame Lassen! Seltener Besuch! Nun, was führt denn Sie zu mir?« fragte der kleine Mann in seiner breiten, aus dem Plattdeutschen herübergenommenen Mundart. Dabei schob er ihr einen Stuhl an seinen Arbeitstisch, winkte einem anwesenden Schreiber, sich zu entfernen, und schraubte die nur spärliches Licht verbreitende Lampe höher. Das kleine Gemach war angenehm erwärmt. Es duftete qualmig säuerlich vom vielen Tabakrauchen, hatte aber trotzdem etwas Gemütliches. Alle Wände waren bedeckt mit Bildern oder verstellt mit Repositorien und Schränken.
Der Advokat ließ Frau Lassen sprechen und hörte ihrer langen, umständlichen Erzählung ohne Unterbrechung zu. Während sie redete, schob er nach seiner Gewohnheit den Kopf hin und her und drückte das Unterkinn auf die hochsitzende Krawatte. Der Bart wuchs bei ihm tief unten am Halse und kratzte stets, er scheuerte ihn deshalb gern.
Als sie geendigt hatte, sagte er:
»Ja, was soll ich da viel sagen? So weit man hört, soll der Provisor ein ordentlicher Mann sein, natürlich etwas sonderbar wie häufig die Apotheker, aber - aber« - Und nach kurzem Besinnen fuhr er fort: »Haben Sie denn Herrn Heinrich schon gesprochen? Fragen Sie den doch! Der kann ja die beste Auskunft geben!«
»Bin ich ja gewesen« - preßte die Alte heraus, und, ein vierkantig zusammengefaltetes, weißes Schnupftuch hervorziehend, wischte sie sich mit dem Rand über die von der Kälte tränenden Augen. »Er rät ab! Er meint, Tibertius könnte kein Geld bei sich behalten. Er wäre gar nicht imstande, eine eigene Wirtschaft zu führen.«
»So! So! Das klingt ja gerade nicht einladend. Na, aber Heinrich ist immer superklug. Das will nicht viel sagen. Wenn der Mann sonst tüchtig im Dienste anderer ist, weshalb sollte er es nicht in seinem eigenen Interesse sein? Glauben Sie nur, wenn er nicht zu gebrauchen wäre, hätte Heinrich ihn schon lange weggeschickt.«
»Er hat ihm ja gekündigt, lange bevor der Provisor bei uns ins Haus kam,« erwiderte die Alte stark betonend. »Da muß doch was vorgefallen sein.«
»Und Ihre Tochter?«
»Sie kann nicht von ihm lassen. Sie will durchaus!«
Der Advokat sann einen Augenblick nach. Der Hals war abermals in heftiger Bewegung; auch schob er den widerspenstig sich aufbauschenden und aus der Weste hervortretenden Kragen wiederholt zurück und sagte endlich:
»Na, wenn Christine bloß ihre Zinsen mit in die Ehe bringt, können die Leute ja schon bequem leben. Können Sie das nicht ausmachen, wenn er wirklich so unpraktisch ist?«
Ein Schreiber trat herein und bat um Unterschriften, die eilten. Während Tach mit krummen Fingern seinen Namen malte, saß die Alte ratlos da und grübelte.
»Nun?« hub der Advokat, nach getaner Arbeit den Stuhl wieder nach ihr umwendend, an. »Was meinen Sie?«
»Da läßt sich Christine nicht auf ein.«
»So? Ja, hindern können Sie die Heirat ja doch überhaupt nicht, Frau Kapitän!«
Tach gab Frau Lassen jetzt absichtlich einen Titel. Solche unscheinbare Kniffe hatte er stets bei der Hand. Durch derartige Kleinigkeiten brachte er seine Klienten leichter auf seine Seite und kürzte die sonst langen, nutzlosen Gespräche. Er täuschte sich auch diesmal nicht, denn Frau Lassen sagte:
»Ich weiß, ich weiß; und Sie haben ja auch ein Wort mitzureden. Aber soviel ist gewiß, ich geb' ihm kein Kapital ins Geschäft. Was mein guter seliger Mann mühsam zusammengespart hat, darf nicht verschleudert werden. Wovon soll ich hernach denn auch leben?«
Eine kleine Gesprächspause trat ein. Tach nickte kurz, machte sich an seinem Pulte zu schaffen und schlug sinnend mit der Papierscherenspitze auf seine Akten. Endlich sagte er:
»Ich will Ihnen etwas vorschlagen, Frau Kapitän. Schicken Sie mir den Provisor einmal her. Vielleicht braucht der Mann das Kapital gar nicht. Was will er denn anfangen? Kennen Sie seine Absichten?«
Die Alte bewegte lebhaft den Kopf, besann sich aber plötzlich und suchte, statt zu antworten, in einer Tasche, die in einem unter dem Kleid sitzenden schwarzen Orleans-Rock eingenäht war.
»Gott, Gott! habe ich meinen Geldbeutel verloren?« Sie hob das eben fallen gelassene Kleid in die Höhe, griff in die Falten und zuletzt in ihre Manteltasche. »Ne, ne, ich hab' ihn. Gott sei Dank! - Sie meinten? - Ich kriegte schon Angst. - Ja, so! Das ist es ja gerade, er will partout eine Fabrik anlegen. Ich weiß nicht, was für eine, ich verstehe die fremden Wörter nicht.«
»Also er rechnet auf das Geld Ihrer Tochter?«
Frau Lassen zuckte die Achseln. Tatsächlich war die Angelegenheit zwischen ihr und Tibertius noch gar nicht berührt worden. Sie vermutete nur aus seinen früheren Reden, daß ihre Voraussetzungen zutreffen würden.
»Hm - hm! Na, lassen Sie ihn nur mal herkommen,« entschied der Advokat. »Ich werde mit ihm sprechen und ihnen dann Bescheid geben.«
Die Alte fragte noch allerlei. Endlich aber stand sie auf und hob das Ende ihres bis an die Füße reichenden, beim Eintritt von ihr aufgeknöpften Mantels empor und machte sich dabei zu schaffen. Und dann ließ sie ihn wieder fallen und ging an die obersten Knöpfe, bis sie an den letzten, mittelsten kam. Nachdem diese schwierige Arbeit vollendet war, reichte sie ihrem langjährigen Berater die Hand zum Abschiede.
»Ach, bester Herr Tach, verlassen Sie mir bloß nicht,« sagte sie. »Es gilt doch Christinens Lebensglück. Die Reue kommt zu spät. Ich kenne das. Nachher wird sie es uns vielleicht danken.«
Der Advokat beruhigte die alte Frau, sprach, um sie auf andere Gedanken zu bringen, noch eine Weile über ihre Gesundheit, und dann, die Tür nach dem Kontor öffnend: »Leuchten Sie doch mal Frau Kapitän draußen, Karl! - Nehmen Sie sich in acht, Frau Lassen. Sie wissen ja, es sind zwei Stufen.« - Dann winkte er ihr noch einmal zu, eilte geschäftig in sein Zimmer zurück und begab sich wieder an die Arbeit.
Als die Alte nach Hause kam - es war gegen sieben Uhr -, streifte sie den Physikus. Er stand mit Christine plaudernd im Flur.
»Ah, da ist ja Ihre Frau Mutter!« stieß Paulsen lebhaft heraus und trat ohne Aufforderung ins Wohngemach. Nachdem das Krankheitskapitel erledigt war, ging Doras Vater alsbald aufs Ziel und brachte nach einem geschickten Übergange das Gespräch auf Tibertius.
Dora war in ihn gedrungen, sich der Sache anzunehmen, und nach mancherlei Hin- und Herreden und anfänglichem Widerstand hatte er sich dazu bewegen lassen. Christine verließ, wie von ungefähr, das Wohnzimmer, und die beiden Alten waren allein.