Lutz Gaudig

Leben wir in einer Illusion?

LUTZ GAUDIG

LEBEN WIR
IN EINER ILLUSION?

Das holografische Universum

Inhalt

Motto

Prolog

Unsere Welt ist schön

Leben wir in einer Illusion?

Vom Faustkeil zur Allgemeinen Relativitätstheorie

Lange vor unserer Zeit

Was die alten Griechen schon wussten

Das Imperium braucht anwendbare Wissenschaft

Wiedererweckt

Die Welt wird wissenschaftlich – und infrage gestellt

Maxwell – das Problem

Relativitätstheorie – Nichts ist mehr absolut

Quantenphysik

Die andere Welt

Die paradoxe Welt der Quantenphysik

Heisenberg’sche Unschärferelation

Spukhafte Fernwirkung

Quantentheorie verstehen – Das Doppelspaltexperiment

Unser Bewusstsein verändert die Vergangenheit

Ist die Quantenphysik von dieser Welt?

Kosmologie

Der Geburtsschrei unserer Welt

Probleme mit der schönen neuen Welt

Dunkle Materie

Dunkle Energie

Schwarze Löcher und Quantenfluktuationen

Das holografische Universum

Das holografische Gehirn

Philosophie

Wie weiter? – Eine philosophische Deutung

Ein Besuch bei Albert Einstein und Richard Feynman

Geistige Dimension – Zeit ohne Bedeutung

Supergravitation

Stringtheorien

Schleifenquantengravitation

Warum ist das alles so schwierig?

Heim, das schwierige Genie

Wiederholung der Geschichte?

Die Heim’sche Quantengravitation

Das Heim’sche Weltbild

Bewertung der Heim’schen Theorie

Antworten auf unsere Fragen

Leben wir in einer Illusion?

Wie geht es weiter?

Die Heim’sche Theorie für Fortgeschrittene

Die Heim’sche Quantengravitation – vertiefende Betrachtungen

Die Heim’sche Quantengravitation – die Aussagen im Einzelnen

Das Heim’sche Weltbild

Anhang

Danksagung

Personenregister

Literatur- und Quellenverzeichnis

Für meine Familie

Was, wer und wie ich bin – alles verdanke ich meiner Familie.

Höchstwahrscheinlich war es nicht immer einfach mit mir.

Ich glaube nicht, dass ich mich jemals dafür bedankt habe.

Dieses Buch soll das nachholen.

Ich habe es ausschließlich für euch geschrieben.

Das Buch soll euch helfen,

das Dasein und die Zukunft als Mensch

gelassener und positiver zu sehen.

Es ist eine befreiende Alternative.

Viel mehr kann ich nicht zurückzahlen.

Ich hoffe, es reicht.

Motto

Eines der größten Probleme unserer heutigen Kosmologie liegt in den Berechnungen Jacob Bekensteins.

Etwa zur gleichen Zeit wie Stephen Hawking befasste er sich in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts mit den „modernen“ Schwarzen Löchern. Jacob Bekenstein, von der Hebräischen Universität in Jerusalem, berechnete den Informationsgehalt eines solchen Monsters.

Überraschenderweise ist dieser nur proportional der Oberfläche seines zweidimensionalen Ereignishorizontes.

Der Ereignishorizont ist die gedachte Kugelfläche, hinter der jede Masse, also alle Materie, unwiederbringlich in das Schwarze Loch hineingezogen wird.

Dies gilt auch für das Licht, sodass das Schwarze Loch nicht zu sehen ist, eben schwarz.

Bekensteins Rechenergebnisse hatten unser Weltbild zum Wanken gebracht, lange bevor die meisten Physiker oder Kosmologen das erkannten.

Das Problem lag darin, dass theoretisch der dreidimensionale Informationsgehalt einer Kugel viel größer ist, als dass er auf ihre zweidimensionale Oberfläche passen würde.

Die theoretischen Physiker Gerard ’t Hooft und Leonard Susskind schlossen Ende der Neunzigerjahre vom Einzelfall eines Sternes auf das gesamte All. Sie postulierten, dass die vollständigen Informationen über unser Universum auf dessen gigantischer zweidimensionaler Oberfläche gespeichert sind.

Sämtliche dreidimensionalen Informationen befinden sich demzufolge auf einer Fläche.

Auf einer Fläche wie bei einem Hologramm, auf einem Geldschein oder einer Ihrer Kreditkarten.

Zugegebenermaßen ist dieses Hologramm etwas größer und Milliarden Lichtjahre entfernt.

Die Idee vom „holografischen Universum“ war geboren.

Daraus würde folgen, dass unsere vierdimensionale Welt lediglich die Projektion aus höheren Dimensionen ist.

Stephen Hawking und Leonard Mlodinow hatten dies bereits 2010 vermutet. Im Jahr 2013 konnte ein japanisches Forscherteam genau dieses „holografische Prinzip“ mathematisch untermauern.

Sollte unsere Welt tatsächlich holografisch sein, stellen sich sehr interessante Fragen.

Wer oder was sind wir dann eigentlich?

Was ist unser Bewusstsein?

Das Bewusstsein, das die Wirklichkeit abbildet?

Was ist mit dem Bewusstsein, das im quantenphysikalischen Bereich über die Daseinsform der Materie befindet und sogar Entscheidungen in deren Vergangenheit verändert?

Die quantenphysikalischen und philosophischen Aussagen hinter unseren Fragen sind so skurril, dass sie die optimale Grundlage für wissenschaftliche Fantastik bilden.

Die Erklärung der fantastischen Wissenschaft durch die moderne Philosophie gebärt eine atemberaubende neue Welt.

Vielleicht ist das Buch auch eine kleine Liebeserklärung an die Wissenschaft, die ich studiert habe.

„Leben wir in einer Illusion?“ ist kein Sachbuch im üblichen Sinne.

Es ist essayistisch geschrieben, ohne Formeln und Mathematik.

Frei erfundene Geschichten um physikalische Entdeckungen und Entdecker haben dennoch einen realen örtlichen oder historischen Hintergrund.

Die darin beschriebene Physik steht mit beiden Beinen auf dem festen und bewiesenen Fundament der grundlegendsten Wissenschaft unserer Welt.

„Leben wir in einer Illusion?“ ist geschrieben für jedermann und fast jede Bildungsstufe.

Niemand sollte Angst vor „dieser Physik“ und „dieser Philosophie“ haben.

Nur das „Verstehen-Wollen“ ist wichtig.

„Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“1

Albert Einstein

Um dieses Buch verstehen zu können, müssen wir jedoch unseren gesunden Menschenverstand komplett über Bord werfen und mit ihm unsere Erfahrungen.

Ohne dies zu tun, werden wir die neue Welt nicht betreten.

Wir müssen offen sein für das Neue.

„Leben wir in einer Illusion?“ zeigt die wissenschaftliche Entwicklung vom „Faustkeil über die Allgemeine Relativitätstheorie“ bis zu den ersten Vorschlägen für eine „Quantengravitationstheorie“, die „Theorie von Allem“.

Die dazugehörigen Weltbilder beginnen mit „Aaron, dem Großen Bären“.

Der hatte die Welt gemacht, damals in einer Steinzeithöhle.

Und sie enden heute in den ersten physikalischen und philosophischen Antworten zum „holografischen Universum“.

Prolog

„Der größte Feind des Wissens ist nicht die
Unwissenheit, es ist die Illusion, wissend zu sein.“2

Stephen Hawking

„Wir müssen unbedingt Raum für Zweifel lassen, sonst gibt es
keinen Fortschritt, kein Dazulernen. Man kann nichts Neues
herausfinden, wenn man nicht vorher eine Frage stellt. Und
um zu fragen, bedarf es des Zweifelns. Naturwissenschaft
ist der Glaube an die Unwissenheit der Experten.“3

Richard P. Feynman

Die griechischen Naturphilosophen waren Gelehrte, die ohne moderne Messungen und Computer, durch reines Denken zu Schlussfolgerungen und Ergebnissen kamen, die grundsätzlich heute noch gültig sind.

Dabei folgten sie konsequent der den Wissenschaftsbereichen zugrunde liegenden Logik.

Das ist auch der Weg für uns, die heutige Welt zu hinterfragen.

Ein Weltbild, das sich im Gleichgewicht der Spannungen zwischen moderner Physik und Kosmologie einerseits und den entsprechenden theologischen Richtungen andererseits herausgebildet hat.

„Leben wir in einer Illusion?“ soll Physik und Kosmologie und ihre Entwicklung in unterhaltsamer Weise bis zum heutigen Erkenntnisstand – und ein Stück darüber hinaus – erzählen.

Den erhobenen Zeigefinger überlasse ich Ihren eigenen Antworten.

Vorbild für populärwissenschaftliche Darstellungen schwieriger physikalischer Zusammenhänge ist der britische Physiker Stephen Hawking:

„Um das Universum auf fundamentalster Ebene zu verstehen, müssen wir nicht nur wissen, wie sich das Universum verhält, sondern auch, warum. Warum gibt es etwas und nicht einfach nichts? Warum existieren wir? Warum gibt es dieses besondere System von (Natur-)Gesetzen und nicht irgendein anderes?“4

Die nachfolgenden Zusammenstellungen und Aussagen erheben keinerlei Anspruch, in den wissenschaftlichen Analen dieser Welt veröffentlicht zu werden.

Sie sind lediglich eine Liebeserklärung an die Physik.

Das Buch beansprucht, lesbare Literatur auf wissenschaftlicher Basis zu sein. Es soll Sie unterhalten, damit Sie das „Physikbuch“ mit Freude und Erwartung bis zu Ende lesen.

Was ich außerdem erreichen möchte, ist, dass Sie die Faszination der modernen Physik und Philosophie erleben.

Dass Sie erkennen:

Unsere Welt ist viel fantastischer, hat viel mehr Möglichkeiten, als wir, gefangen in unserem dreidimensionalen Verstand, auch nur vermuten können.

Ich möchte Sie inspirieren.

Sie sollen sich, losgelöst von allen gesellschaftlichen Dogmen, die Fragen nach dem

Woher,

dem Wohin

und vor allem nach dem Warum

stellen

und sie immer wieder neu beantworten.

Als Inbegriff des Universalgenies gilt zweifelsohne Leonardo da Vinci.

Gottfried Wilhelm Leibnitz war einer der letzten Universalgelehrten – ein Gelehrter, der einen Überblick über den Stand der gesamten Wissenschaften hatte.

Das ist heute nicht mehr möglich.

Selbst der Überblick über einzelne Wissenschaftsdisziplinen gelingt nur noch sehr wenigen.

Eine zusammengefasste Meinung, gestützt auf Primärliteratur, quasi „vom Faustkeil bis zur Quantengravitation“, ist schier unmöglich.

Will man sich dem Problem dennoch nähern, muss man auf die Zusammenfassungen der Wissenschaftsbereiche durch die sogenannte „Sekundärliteratur“ zurückgreifen.

Ebenso wichtig ist, dass die Informationsquellen des vorliegenden Buches für Nichtphysiker einem breiten Leserspektrum zugänglich sind.

Denjenigen, die sich in die einzelnen Kapitel tiefer einlesen wollen, sei gesagt, dass bis auf wenige Abweichungen alle Informationen auf der deutschen und englischen Internetplattform Wikipedia zu finden sind. Die anderen Stellen sind mit Quellenangaben versehen.

Unsere Welt ist schön

Es ist Sommer.

Langsam erklimmen wir mit unseren Strandutensilien den Deich.

Der Wind streicht lau über das Gras, das wieder einmal gemäht werden müsste.

Flirrend liegt die Luft über dem Radweg auf der Krone.

Noch ein paar Schritte, und die Welt hat sich verändert.

Eine leichte Brise weht uns entgegen, et was kühler, gerade noch angenehm.

Die Luft schmeckt nach Salz.

Blaugrün schimmert die Wasserfläche in der Sonne.

Die wenigen hellweißen wattebauschigen Wolken sind nicht in der Lage, das grelle Licht des Strandes zu verdunkeln.

Tang vom letzten Sturm trocknet am Wassersaum.

Es riecht nach Meer.

Noch ein paar Schritte, und wir sind da.

Strandtücher ablegen, Luftmatratze, Sandspielzeug.

Nun schnell noch den Windschutz auf bauen.

Wir beginnen zu schwitzen und zu fluchen und denken, zum wie vielten Male eigentlich, an den Gummihammer, der wie immer im Wirtschaftsraum liegen geblieben ist.

Dann wird getobt mit den Kindern beim Fußball im Sand.

Wir merken, dass ein paar Kilo weniger ganz gut wären.

Im Wasser danach ist es kühler, als wir dachten.

Wir liegen auf dem Rücken und lassen uns treiben.

Hände und Beine korrigieren.

Das Wasser umschließt uns und trägt.

Ein paar Sonnenstrahlen passieren glitzernd die halb geschlossenen Lider.

Wir lächeln.

Später am Strand hinter unserem Windschutz liegen wir auf den Badetüchern, lang ausgestreckt.

Die Sonne wärmt ordentlich und trocknet den Sand an unserem Körper zu einer hellgrauen Kruste.

Zwei Möwen gleiten langsam über das Dünengras.

Das monotone leise Klatschen der kleinen Wellen beruhigt.

Kinderlachen von links, wir atmen tief durch und lächeln.

Wir sind glücklich.

Wir leben in einer wunderbaren Welt.

Wir riechen sie, wir schmecken sie.

Wir können sie anfassen und hören.

Vor allem können wir sie sehen in ihrer wunderschönen Vielfalt.

Wir bewegen uns in ihren drei Dimensionen durch die Zeit.

Wir verändern sie und verändern uns selbst.

Wir sind glücklich mit ihr.

Und dennoch könnte es sein, dass all diese Dreidimensionalität, all das Materielle unserer so vertrauten Welt nur eine große Illusion ist.

Wenn Sie sich Ihre Vorstellung über unsere Welt bewahren und keine Zweifel daran aufkommen lassen wollen, wenn Sie mit ihr zufrieden und glücklich sind, dann schließen Sie jetzt an dieser Stelle dieses Buch.

Sollten Sie sich zum Weiterlesen entscheiden, kann ich Ihnen weiter nichts bieten als möglicherweise ein Stückchen Wahrheit.

Ob Sie das befriedigen wird, kann ich nicht versprechen.

Ich weiß nur, dass Sie danach anders fühlen und denken werden.

Sie werden ständig auf der Suche sein, und die Antworten werden Ihre neuen Fragen nie einholen.

Leben wir in einer Illusion?

Hannover im Jahr 2008.

Schon eine geraume Zeit jagen Physiker am Präzisionsmessinstrument GEO 600 kleinsten Informationseinheiten nach.

Mit ihrem Gerät wollen die Wissenschaftler Gravitationswellen nachweisen.

Das war ihnen bis dato nicht gelungen.

Und es sollte ihnen auch nicht gelingen.

Gravitationswellen wurden erstmals 2015 mit der US-amerikanischen LIGO-Anlage nachgewiesen.

Diese stammten von zwei kollidierenden Schwarzen Löchern.

Aber was die Forscher in Hannover fanden, dieses unerwartete Zittern in ihren Signalen, war nicht minder interessant.

Der Leiter des „Fermilab Institute“ in Illinois, Craig Hogan, vermutete damals, dass es von Quantenfluktuationen ausgelöst wurde.

Diese wiederum würden aus der Pixelung der Raumzeit herrühren. Möglicherweise wird dieses kleine Zittern, diese winzigen Ausschläge auf den Monitoren des GEO 600, unser Weltbild komplett auf den Kopf stellen.

Sollte sich die Vermutung in weiteren Versuchen bestätigen, hätten die Forscher aus Hannover zufällig einen wichtigen Hinweis darauf gefunden, dass wir in einem holografischen Universum leben.

Denn die Pixelung der Raumzeit würde bedeuten, dass unsere Welt nicht kontinuierlich ist, sondern gequantelt.

Das wiederum ist eine Voraussetzung für das holografische Universum.

Unsere Welt und der Rest des Universums wären dann weiter nichts als ein Hologramm.

Unsere Vorstellung von Realität, von all dem, was wir kennen, was uns vertraut und selbstverständlich ist, verschwände in einem Schwarzen Loch.

In ihrem Buch „Der Große Entwurf – Eine neue Erklärung des Universums“ schreiben Stephen Hawking und Leonard Mlodinow 2010:

„Und falls sich das sogenannte holografische Prinzip als richtig erweisen sollte, sind wir und unsere vierdimensionale Welt möglicherweise nur Schatten auf dem Rand einer größeren, fünfdimensionalen Raumzeit.“5

Im Jahr 2013 konnte ein japanisches Forscherteam genau dieses holografische Prinzip mathematisch stützen.

Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse in der Onlineausgabe der Wissenschaftsplattform nature. Unter der Überschrift „Simulation unterstützt die Theorie, dass das Universum ein Hologramm ist“ schreibt nature:6

„Bei einem Schwarzen Loch stößt Albert Einsteins Gravitationstheorie offensichtlich mit der Quantenphysik zusammen, aber dieser Konflikt könnte gelöst werden, wenn das Universum eine holografische Projektion wäre. Ein Team von Physikern hat einige der klarsten Beweise dafür gegeben, dass unser Universum nur eine große Projektion sein könnte.“

Sollte sich das in weiteren Untersuchungen bestätigen, müssten wir begreifen, dass unsere Dreidimensionalität nur Illusion ist.

Wir wären dann lediglich zweidimensionale Informationen – Projektionen auf dem Ereignishorizont unseres Universums.

Doch bevor Sie jetzt entsetzt den letzten Satz für sich zu interpretieren versuchen, sollten wir uns zunächst einen Überblick über die Theorie des holografischen Universums verschaffen und schauen, wie es dazu kam.

Die Idee hierzu hatte ihren Ursprung in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts.

Damals beschäftigte sich Stephen Hawking mit der Theorie der Schwarzen Löcher.

Schwarze Löcher sind die denkbar schlimmsten Monster in unserem Universum.

Kommen Sie in ihre Nähe, werden Sie immer stärker angezogen.

Verpassen Sie es durchzustarten und geraten Sie unter ihren Ereignishorizont, werden Sie unweigerlich hineingezogen.

Zunächst wirkt die enorme Schwerkraft wie eine Streckbank des Mittelalters. Sie werden auseinandergezogen, je weiter Sie dem Mittelpunkt entgegenfliegen, dann regelrecht zerfetzt.

Zum Schluss werden Ihre Atome auf einen einzigen Punkt zusammengedrückt.

Sie müssen jetzt nicht verzweifeln.

Ich versichere Ihnen, dass Sie keinen Schaden erleiden werden, weil Sie nach heutiger Erkenntnis in Ihrem Leben kein Schwarzes Loch erreichen können.

Bei seinen Berechnungen zu Schwarzen Löchern fand Stephen Hawking die sogenannte „Hawking-Strahlung“.

Diese wird von einem Schwarzen Loch abgegeben, enthält aber keinerlei Informationen.

Das steht jedoch im Widerspruch zu dem physikalischen Erhaltungssatz, dass Information nicht verloren gehen kann, analog zum Energieerhaltungssatz.

Also fragten sich die Physiker damals, was passiert mit der Information der ursprünglichen Massen, die in das Schwarze Loch hineingestürzt waren.

Etwa zur gleichen Zeit berechnete Jacob Bekenstein von der Hebräischen Universität in Jerusalem, dass der Informationsgehalt eines Schwarzen Lochs nicht proportional seines Volumens ist.

Überraschenderweise ist der gesamte Informationsgehalt nur proportional der Oberfläche des zweidimensionalen Ereignishorizontes.

Der Ereignishorizont ist die gedachte Kugelfläche um das Schwarze Loch, hinter der jede Masse, also alle Materie, in das Schwarze Loch hineingezogen wird.

Dies gilt auch für das Licht, sodass das Schwarze Loch nicht zu sehen ist, eben schwarz.

So weit, so gut, aber die Erkenntnis von Bekenstein brachte nicht die Erklärung des Widerspruchs, sondern warf nur noch weitere Fragen auf.

Die Hawking-Strahlung selbst konnte später mit den Effekten der Quantenfluktuation im Vakuum erklärt werden.

Das Problem der Rechenergebnisse Bekensteins lag darin, dass der dreidimensionale Informationsgehalt einer Kugel viel größer ist als die Informationsmenge, die auf ihre zweidimensionale Oberfläche passen würde.

Mathematisch stand jedoch widerspruchsfrei fest, dass die kompletten dreidimensionalen Informationen eines Sternes, hier eines Schwarzen Loches, auf dessen Ereignishorizont, einer zweidimensionalen Fläche, gespeichert sind.

Die theoretischen Physiker Gerard’t Hooft und Leonard Susskind schlossen Ende der Neunzigerjahre vom Einzelfall eines Sternes auf das gesamte All.

Sie postulierten, dass die vollständigen Informationen über unser Universum auf dessen gigantischer zweidimensionaler Oberfläche gespeichert sind.

Sämtliche dreidimensionale Informationen befinden sich demzufolge auf einer Fläche, so wie bei einem Hologramm auf einem Geldschein oder einer Ihrer Kreditkarten.

Zugegebenermaßen ist dieses Hologramm etwas größer und Milliarden Lichtjahre entfernt.

Wie Susskind und ‘t Hooft zeigen konnten, sind die einzelnen Informationseinheiten auf der kleinsten denkbaren Fläche, der sogenannten „Planck-Fläche“, gespeichert.

Diese wiederum entspricht etwa dem Quadrat der Planck-Länge 1,616 × 10-35 m, also etwa 2,6 × 10-70 m2, der kleinsten physikalisch möglichen Fläche in unserem Universum.

Bleibt also die Frage: Wo steckt die fehlende Information über die dritte Dimension?

Theoretiker vermuten schon seit geraumer Zeit, dass die Raumzeit nicht kontinuierlich verläuft, sondern körnig ist.

Daraus folgt, sie ist quantisiert.

Die Mindestgröße eines solchen Pixels der Raumzeit ist in etwa die Planck-Länge zur dritten Potenz, also Planck-Länge mal Planck-Länge mal Planck-Länge.

Die fehlende Information könnte dann ganz einfach in vergrößerten Pixeln der Raumzeit gespeichert sein.

Diese gekörnte Raumzeit wiederum würde zu Quantenfluktuationen führen, eben den Quantenfluktuationen, die in Hannover im Jahr 2008 möglicherweise gemessen wurden.

Nun ist dies noch lange nicht der endgültige Beweis dafür, dass wir in einem holografischen Universum leben.

Aber ein erster und ernst zu nehmender Hinweis ist es allemal.

Sollte sich dieses Modell in nicht allzu ferner Zukunft bestätigen, können wir alles vergessen, was wir über unsere Existenz zu wissen glauben.

Wir müssten uns neu erfinden.

An dieser Stelle könnte ich Ihnen nicht einmal erklären, wie ich – was immer auch dieses Ich ist – als zweidimensionale Menge von Informationen eine dreidimensionale Computertastatur bedienen kann, um diese Zeilen zu schreiben.

Vielleicht sollte ich der Einfachheit halber auf Spracherkennung umschalten.

Wer wir sind, woher wir kommen und vor allem warum wir sind, erschließt sich uns möglicherweise ein Stück weit nach der Diskussion der nachfolgenden Seiten neu.

Aber egal, wie wir die Fragen – jeder für sich selbst – beantworten werden, es scheint einen Grund für unsere Existenz zu geben und dafür, dass wir miteinander kommunizieren.

Vom Faustkeil
zur Allgemeinen
Relativitätstheorie

Lange vor unserer Zeit

Nui lag auf dem Rücken.

Die Hände unter dem Kopf, stierte er auf das flackernde Licht an der Höhlendecke.

Er hatte Feuer wache.

Die Sicherheit der Sippe hing von ihm ab, von dem Feuer zwischen ihm und dem Höhleneingang.

Es durfte nicht verlöschen.

Draußen war der Tiger.

Anu, ihr Anführer, war tot.

Am Morgen hatten sie ihn gefunden, unten am Fluss, das, was von ihm übrig war.

Daneben waren die Spuren, größer als alle, die sie je gesehen hatten.

Sie hatten sie verfolgt, die ganze Sippe sichernd nach allen Seiten.

In der Nähe ihrer Heimathöhle verloren sie sich.

Der Tiger war da draußen.

Nui drehte seinen Kopf zur Seite, sah in die Glut.

Noch eine kleine Weile, dann würde er ein paar dicke Äste nachlegen müssen.

Ein Windstoß von draußen war f zuckend rote Schatten auf die Felswände.

Da waren sie, die Wesen aus der Unterwelt.

Er glaubte, Anki zu erkennen, seinen Vater.

Aber mit dem nächsten Windhauch war er verschwunden.

Nui drehte seinen Kopf zurück und stierte wieder zur Decke in das flackernde Dunkel.

Je länger er versuchte, es zu durchdringen, desto deutlicher und klarer sah er Aaron, den Großen Bären, den Schöpfer der Welt.

Wir wissen heute natürlich etwas, was Nui nicht wissen konnte.

Nicht der Große Bär erschuf die Welt, sondern Gott.

Und zwar in sieben Tagen (in sechs Tagen, am siebten Tag ruhte ER).

Sein Meisterstück war Adam.

Glaubte er zumindest.

Und er glaubte auch zu wissen, was für Adam gut und richtig war.

Deshalb setzte er ihn ins Paradies.

Das Problem allerdings besteht darin, dass diejenigen, die hineingesteckt werden, das Paradies anders empfinden.

Genau so erging es Adam.

Es war langweilig, und er kam sich überflüssig vor.

Gott ließ sich erweichen und schuf Eva aus Adams Rippe.

Jedem halbwegs vernünftigen Gentechniker wird sich hier allerdings die Frage stellen, warum Eva nicht das Spiegelbild von Adam ist.

Gott sei Dank weiß Gott mehr über Gentechnik als unsere heutigen Wissenschaftler.

Nachdem wir nun wissen, wie die Welt entstanden ist, erkennen wir, dass der Mensch versucht, sich selbst und seine Welt um sich herum zu erklären.

Er tut dies in Modellen.

Für Nui und sein Volk war völlig klar, dass der Große Bär die Welt erschaffen hatte.

Das konnten sie jeden Tag sehen.

Denn es gab Pflanzen und Tiere, und die Sonne ging unter und wieder auf, so, wie es der Große Bär gemacht hatte.

Und wenn sie nicht beständig Aaron dankten und ihm Opfer brachten, sandte er den Tiger oder schleuderte den Blitz.

Für uns, die wir lesen können, ist klar, dass dies natürlich völliger Blödsinn ist.

Denn es steht geschrieben, in der Heiligen Schrift, dass Gott die Welt erschuf.

Wir alle zusammen stammen ab von Adam und Eva.

Und es ist ihre Schuld, dass wir nicht mehr im Paradies leben.

Wir wissen das und glauben das, vielleicht bis auf ein paar eingefleischte Gentechniker oder andere Unverbesserliche.

Lassen Sie uns noch einmal zurückkehren in die Höhle mit dem Feuer am Eingang.

Nui hatte inzwischen ein paar trockene Äste nachgelegt.

Der gelbrote Widerschein auf den zackigen Wänden generierte Sicherheit.

Nui legte sich zurück auf sein Bett aus dünnen Fichtenzweigen.

Er sog den harzigen Duft ein und vergaß für eine Weile seine Aufgabe.

Sich dessen bewusst werdend, tastete er erschrocken nach seinem Messer.

Aaron sei Dank, es lag griffbereit neben ihm.

Er hatte es „Messer“ getauft, weil Messer „länger“ bedeutete, und es war tatsächlich deutlich länger, dreimal ungefähr wie die Klingen der üblichen Faustkeile.

Er hatte lange darüber nachgedacht, bevor er sich den Feuerstein suchte, den er dann mühsam schärfte.

Den hinteren Teil des langen, schmalen Dreiecks hatte er mit vier Lagen dünner Lederstreifen umwickelt.

So lag es gut in der Hand und tötete beim ersten Stich.

Nicht wie die normalen Faustkeile der Sippe, wo man fünf- oder sechsmal zuschlagen musste.

Er griff nach dem Messer.

Es gab Sicherheit.

Das Gebrüll des Tigers von Sonnenaufgang her, durch den Spalt des Höhleneinganges, holte ihn zurück, zurück in eine gefährliche Wirklichkeit.

Sein Messer war besser als alle anderen Waffen, die sie besaßen.

Es war besser als alle Faustkeile, alle Fallgruben und langen Schlagstöcke nebst den ledernen Fangseilen.

Ein Tiger – sein Messer könnte ihn töten mit zwei, drei Stichen.

Aber seine Arme waren zu kurz.

In die Reichweite der Pranken des Tieres zu kommen war absolut tödlich. Ein, zwei Hiebe, das war’s.

Er brauchte längere Arme.

Vielleicht half es, wenn er jeden Tag an einem Ast hing und die Sippe ihn nach unten zog.

Er dachte an Aaron, betete zu ihm der längeren Arme wegen.

Und Aaron erschien, hob ihn hoch.

Nui umfasste einen quer wachsenden starken Ast und umklammerte ihn, während der Bär an ihm zog.

Seine Arme wurden länger und länger, wie Schlagstöcke, an deren Ende seine Hand das Messer hielt.

Funkensprühend knackte der Kiefernast im Feuer.

Nui schreckte hoch aus seinem Sekundenschlaf, beschämt wegen der Pflichtverletzung.

Sein Blick schweifte durch das rot flackernde Dämmerlicht.

Alles war friedlich.

Die Sippe schlief, einige schnarchten.

Koa erzählte leise im Schlaf, wie so oft.

Nuis Blick blieb in der Ecke hängen.

Dort standen die Schlagstöcke, mannshoch und armstark.

Armstark waren sie und lang.

Er sah seine Hand an deren Spitze.

Die Hand hielt sein Messer.

Leise schlich er hinüber und suchte sich den besten aus.

Es machte erhebliche Mühe, mit dem Feuersteinmesser die Kerbe in das Stockende zu raspeln.

Aber am Morgen war es geschafft.

Als die ersten Sonnenstrahlen in die Höhle drangen, hielt er ihnen seinen „Speer“ entgegen, was „langer Arm“ bedeutete.

Sein Messer steckte in der Spitze des mannshohen, armdicken Stockes. Die Lederbänder des ehemaligen Griffes hielten es im Holzspalt sorgsam fest.

Er trat aus der Höhle und freute sich darauf, dem Tiger zu begegnen.

Ich kann Ihnen beim besten Willen nicht sagen, ob Nui es geschafft hat, seine Sippe von dem Tiger zu befreien, und ob er den Kampf überlebte. Eines aber hat auf jeden Fall überlebt: seine Erfindung und die beiden Prinzipien seines Menschseins.

Wie wir an Nui gesehen haben, zeichnen wir Menschen uns durch zwei wesentliche Eigenschaften vor allen anderen Lebewesen aus.

Wir versuchen, seit unser Bewusstsein zündete, unsere Welt und die Vorgänge darin zu erklären.

Wir tun dies in Modellen.

Ob diese richtig oder falsch sind, zeigt sich daran, ob sie alle neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse widerspruchsfrei erklären können.

Diese Vorgehensweise nennt man „modellhaften Realismus“.

Die jeweiligen Modelle entsprechen immer dem Zeitgeist und dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand der entsprechenden Epoche.

Zweitens sind wir ständig dabei, unsere Welt nach unseren Vorstellungen zu verändern.

Dabei ist es egal, ob wir gerade einen Feuersteinspeer planen oder die Software für ein komplexes Medizinprojekt schreiben.

Beiden Aktivitäten ist gemeinsam, dass es unsere Gedanken sind, die die neue materielle Wirklichkeit vorabbilden und damit letztendlich schaffen.

Die Veränderung in unserer Raumzeit erfolgt erst, nachdem wir den Bauplan dazu in unserem Bewusstsein erarbeitet haben.

Aber am Anfang waren es die intuitiven Lösungen, zufällig und vom Augenblick abhängig.

Es sollte noch sehr, sehr lange dauern nach der Erfindung des Feuersteinspeeres durch Nui.

Es mussten noch viele Tausende von Jahren vergehen, und nicht weniger Generationen mussten kollektives Wissen anhäufen, bevor die Menschheit beginnen konnte, sich das mächtigste Instrument zu schaffen, zu dem sie fähig ist. Ein Instrument, mit dem wir die Welt nach unseren Wünschen verändern können – die wissenschaftliche Forschung.

Was die alten Griechen schon wussten

Blicken wir auf der Zeitskala der Menschheitsentwicklung zurück, dann ist es kurz vor zwölf, als der menschliche, kollektive Geist förmlich explodierte.

Wir befinden uns etwa 500 Jahre vor Christus in Ionien.

Die kleinasiatischen griechischen Kolonien sind wirtschaftlich stark.

Ihre Macht und ihr Einfluss reichen weit nach Westen, bis nach Italien.

Zu dieser Zeit haben Mathematik, Astronomie und Philosophie Konjunktur, sollen sie doch helfen, Wirtschaft und Ansehen zu stärken.

Es entstehen Denkerschulen, die ihre Ideen weit über die griechischen Staaten hinaus verbreiten werden.

Es entsteht die Ionische Wissenschaft.

Zum ersten Mal in der Geschichte versuchen Menschen, Naturereignisse durch fundamentale Gesetze zu erklären.

Thales von Milet war der Erste, der behauptete, dass sich all die komplizierten Ereignisse um uns herum auf einfache Prinzipien zurückführen lassen. Das Wichtigste aber ist: Seine Prinzipien kamen allesamt ohne mystische Zutaten aus.

Nach ihm ist Wasser der Anfang und Urgrund aller Dinge.

Anaximander führte den Begriff des „Kosmos“ ein.

Als bedeutender Astronom seiner Zeit entwarf er als Erster eine rein physikalische Kosmogonie.

Er war der Erste, der die Welt mit dem Wort „Kosmos“ bezeichnete.

Anaximander beschrieb ihn als „planvoll geordnetes Ganzes“.

Und dann entwickelte Empedokles seine „Vier-Elemente-Lehre“.

Danach besteht alles Sein aus den vier Grundelementen Feuer, Wasser, Luft und Erde.

Zusätzlich schrieb er den Elementen aber noch eine Eigenart zu, die unseren heutigen Elementen aus dem Periodensystem entspricht.

Er nahm an, die vier Elemente wären ewig existierende und unveränderliche Grundsubstanzen, die durch Mischung die Vielfalt der Stoffe bilden.

In der chinesischen Kultur gibt es ein ähnliches Modell, die „Fünf-Elemente-Lehre“ mit den Elementen Metall, Holz, Erde, Wasser und Feuer.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die weitere Entwicklung der Wissenschaft waren die Fortschritte der Mathematik.

Wenn ich heute Menschen an ihren Mathematikunterricht erinnere, wenn ich Sie frage, an was Sie dabei spontan denken, gibt es zwei große Gruppen: Die ersten nennen die Prozentrechnung, andere den Satz des Pythagoras.

Ich vermute, der Gedanke der ersten Gruppe ist auf unseren hohen Pro-Kopf-Verbrauch an Spirituosen zurückzuführen.

Die andere Gruppe hat tatsächlich in Mathe aufgepasst.

Pythagoras war lange Zeit in Babylonien und Ägypten unterwegs.

Er gründete die Schule der Pythagoreer in Samos.

Als erster Mensch überlegte er sich, dass die Erde eine Kugelgestalt hat.

Er konnte dies durch sorgfältige Beobachtungen des Erdschattens auf dem Mond bei einer Mondfinsternis zeigen.

Den mathematischen Lehrsatz des Pythagoras hatten wir ja gerade erwähnt.

Um Pythagoras selbst rankt sich eine Vielzahl von Mythen.

Ob er tatsächlich die Kugelgestalt der Erde entdeckte und den Lehrsatz aufstellte, der nach ihm benannt ist, ist nicht bewiesen.

Möglicherweise ist es mitgebrachtes Wissen von seinen Reisen.

Nichtsdestotrotz und unabhängig davon, wer was entdeckt hat, die alten Griechen wussten bereits Dinge, die unsere Kinder heutzutage in den ersten Schuljahren staunend erfahren.

Später dann im dritten Jahrhundert vor Christus sammelte Euklid von Alexandria das gesamte mathematische Wissen seiner Zeit und fasste es in entsprechenden Schriften zusammen.

Er führte als Erster den mathematischen Beweis ein, der später zum Vorbild für die gesamte Wissenschaft wurde.

Seine Geometrie und seine grundlegenden Ideen wirken noch heute in unsere Mathematik hinein.

Dann kam es zum Quantensprung in der Vorstellung von der Beschaffenheit unserer Welt und uns selbst.

Wobei das eigentlich nicht richtig ist.

Unter Quantensprung verstehen wir landläufig etwas Großes, Gigantisches.

Sie auch?

Wie wir im weiteren Verlauf unserer Besprechungen sehen werden, ist das völlig falsch.

Quantensprünge sind mikroskopischer Natur, wenngleich für unsere Welt und unser Verständnis darüber von immenser Bedeutung.

Also, bleiben wir zunächst bei der Auffassung, hier entstehe Großes.

Eigentlich war alles bestens.

Der recht böige Wind war in seine Abendflaute abgetaucht.

Die Sonne hatte ihren Zenit verlassen und wärmte angenehm, brannte nicht mehr.

Die kleinen wattebauschigen Wolken verdichteten sich am Horizont, der weiß eine scharfe Linie zum Tief blau des Meeres zog.

Demokrit liebte diese Augenblicke und genoss sie.

Aber heute war er nervös, hatte vielleicht Lampenfieber.

Bei diesem Gedanken musste er lächeln.

Dann ging er nochmals seine Argumentation im Geiste durch.

Er wusste, dass seine Glaubwürdigkeit von der logischen Geschlossenheit seiner Argumente abhing.

Nein, er hatte keinen Zweifel mehr.

Er war bestens vorbereitet.

Jetzt konnten sie kommen, seine Schüler und die Kollegen der anderen Schulen.

Er hatte Vorbereitungen getroffen.

Die Ankommenden würden zunächst vorn auf der Terrasse Platz nehmen.

Ein reichhaltiges Abendmahl war vorbereitet.

Jenseits der Tische säumten einige Olivenbäume den steilen Abhang, der am Fuße seicht in den Sandstrand auslief.

Das Meer schickte seine Brise herauf, angenehm kühlend.

Er ging hinüber, begrüßte die Gäste und nahm hier und da einen Happen zwischen den Gesprächen.

Irgendwann sah er hinüber zu Emphasos, seinem Hofmeister.

Der zog zuerst die Augenbrauen hoch, dann seine Schultern.

Er war nicht gekommen, sein wichtigster Gast.

Sodokles war sein Widersacher und auch ein bisschen Freund, der Einzige, der ihn verstand.

Und der war nicht gekommen.

Er hatte es befürchtet.

Aber er konnte nicht länger warten, bat seine Gäste hinüber in den Pavillon.

Für Wein war reichlich gesorgt.

„Wie ihr alle wisst“, begann er seine Rede, „habe ich lange an einer Theorie vom Ganzen gearbeitet.

Einige von euch kennen diesen oder jenen Aspekt, hab e ich doch vieles bereits diskutiert.

Aber alles, alles als Einheit, will ich euch heute zum ersten Mal eröffnen. Also sage ich euch:

Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum.

Jedes dieser Atome ist fest und massiv, aber nicht gleich.

Es gibt unendlich viele Atome: runde, glatte, unregelmäßige und krumme.

Wenn diese sich einander nähern, zusammenfallen oder miteinander verflochten werden, dann erscheinen die einen als Wasser, andere als Feuer, als Pflanze oder als Mensch.

Sinneswahrnehmung und Seelenexistenz entstehen aus atomistischen Prinzipien.

Die Seele besteht aus Seelenatomen.

Stirbt ein Mensch, streuen diese Seelenatome aus und können sich einer neuen Seele anschließen, die sich gerade bildet.

Alles, was sich im Weltall bewegt, gründet entweder auf Zufall oder auf Notwendigkeit.“

Er hatte lange und eindringlich geredet, beschwörend, den Priestern gleich der alten Zeit.

Klatschen!

Erst langsam und von einer Person, dann lauter und vielstimmig.

Er schaute hinüber zum ersten Geräusch – Sodokles!

„Ich grüße euch.

Tut mir leid, ich hab e dummerweise den Anfang verpasst.

Was du da beschreibst, Demokrit, ist argumentativ unschlagbar.

Nur, der entscheidende Punkt ist, gibt es deine Atome wirklich, gibt es tatsächlich Teilchen, die nicht mehr teilbar sind?

Ich sage: Das ist Unfug!

Gib mir ein Messer, das scharf genug ist, und ich zerschneide deine Atome.“

Demokrit hatte ihn er wartet.

Und er hatte diese Frage er wartet.

Er hasste ihn wegen seiner Arroganz.

Aber er war eine Institution, gegen ihn ging gar nichts.

Natürlich hatte er die neueste Tunika an, die Tunika von Saanos, dem neuen Stern der Society.

Das war eben sein Stil.

Halt – sein Blick blieb an der Kette hängen, die Sodokles um den Hals trug, eine sehr teure Perlenkette.

„Gib sie mir“, rief Demokrit.

„Was soll ich dir geben?“

„Deine Kette!“

„Wofür?“

„Für meine Antwort auf deine Frage!“

Sodokles kam näher, nahm die Kette vom Hals und reichte sie zögernd Demokrit.

Dieser nahm sie in beide Hände.

„Wie viele Perlen hat sie?“

„Achtundvierzig“, hauchte Sodokles.

„Gut“, sagte Demokrit.

„Ich nehme jetzt das von dir angemahnte unendlich scharfe Messer und beginne zu schneiden.“

Er lachte.

„Natürlich nur theoretisch.

Ich schneide sie in die Hälfte.

Vierundzwanzig Perlen bleiben rechts und links.

Ich schneide links weiter – zwölf bleiben.

Jetzt kommen wir zum nächsten Schnitt.

Sechs bleiben übrig, dann drei.

Nun müssen wir uns entscheiden.

Schneiden wir die eine Perle ab, sparen wir einen Schritt.

Sodokles, eine Perle ist übrig.

Diese Perle ist das kleinste Element deiner Kette.

Würde ich es zerstören, mit deinem unendlich scharfen Messer zerschneiden, würde es das System Perlenkette des Sodokles nie mehr geben.

Wir könnten es nie wieder zusammensetzen.

Wie deine Perlenkette, besteht jedes System aus Einheiten, die du nicht teilen kannst, willst du nicht das System und damit die Schöpfung selbst vernichten.“

Sodokles nahm seine Perlenkette in die Hände, lächelte und sagte: „Demokrit, ich hatte dich unterschätzt.

Du bist der größte Denker aller Zeiten.“

Sie umarmten sich und lächelten.

Demokrit von Abdera war der letzte Naturphilosoph der Geschichte.

Das, was Demokrit im Bereich der kleinsten Dimensionen war, verkörperte ein anderer im Bereich der Kosmologie.

Die revolutionärsten Ideen hierzu fasste Aristarchos von Samos als erster Mensch zusammen.

Er behauptete, dass wir nicht die Auserlesenen, sondern ganz normale Bewohner des Universums seien.

Wir seien nicht dadurch hervorgehoben, dass wir im Zentrum leben, sondern auf einem kleinen Planeten, der sich um die Sonne dreht.

Die Sonne stand für ihn im Zentrum.

Er postulierte als Erster das heliozentrische Weltbild.

Leider ist nur eine seiner Berechnungen überliefert.

Dabei handelt es sich um die sehr sorgfältige geometrische Analyse der Beobachtungen der Größe des Erstschattens auf dem Mond während einer Mondfinsternis.

Aus diesen Daten errechnete er, dass die Sonne viel, viel größer sein muss als die Erde.

Daraus schloss er, dass nicht die kleine Erde der Mittelpunkt unseres Sonnensystems ist, sondern dass sich all die kleinen Planeten um die viel größere Sonne drehen.

Er vermutete: Wenn unsere Erde nur ein Planet unter anderen Planeten ist, dann ist die Sonne nichts anderes als ein Stern unter anderen Sternen, die wir am Nachthimmel sehen.

Oder anders herum sind die sichtbaren Sterne am Nachthimmel nichts weiter als ferne Sonnen.

Aristarchos dachte weit voraus.

Wenn nicht die Erde im Zentrum des Systems steht, sondern die Sonne, so müsste eigentlich eine Parallaxe zu beobachten sein.

Eine Parallaxe verändert das Bild des Sternenhimmels in Abhängigkeit von der aktuellen Position der Erde während ihres Laufs um die Sonne.

Allerdings ist diese Parallaxe sehr, sehr klein.

Selbst bei benachbarten Sternen ist sie kleiner als eine Bogensekunde.

Damit ist sie mit bloßem Auge nicht feststellbar.

Und dieses Auge war nun einmal das alleinige Beobachtungsinstrument der alten Griechen.

Die Fixsternparallaxe wurde erst in der Neuzeit, im Jahr 1838, mit Teleskopen nachgewiesen.

Da die Parallaxe mit bloßem Auge nicht beobachtbar ist, war dies zynischerweise eines der wichtigsten Argumente für die mächtigen Kritiker, das heliozentrische Weltbild abzulehnen.

Aristarchos war einer der letzten ionischen Naturwissenschaftler.

Das Verständnis der ionischen Wissenschaft, dass sich die Natur durch allgemeine Gesetze erklären und auf eine Reihe einfacher Prinzipien zurückführen lasse, konnte seinen Einfluss nur wenige Jahrhunderte ausüben.

Die ionischen Theorien ließen keinen Raum für den Begriff des freien Willens und der göttlichen Intervention in unserem Weltgeschehen.

Das verschreckte damals viele Menschen, genau wie heute.

Mit dem Schwinden der wirtschaftlichen und politischen Macht der ionischen Staaten verlor auch die ionische Wissenschaft ihren Einfluss im Mittelmeerraum.