Gewidmet den Menschen, die mein Leben begleiten.

Danksagung:

Einen herzlichen Dank gebührt Philip M. Fleischmann für verschiedene Zahlenbeispiele und Anregungen.

Herrn Dr. Rudolf Frieling (†) sei für die Matrizendarstellungen und entsprechender Beispiele zu den Bilanzen gedankt.

Impressum:

Die im Buch genannten Markennamen, Gebrauchsnamen und Handelsnamen sind in der Regel geschützte Bezeichnungen. Die freie Verwendung dieser Namen ist daher immer von der Zustimmung des Rechteinhabers abhängig.

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Herstellung und Verlag: BoD - Books On Demand GmbH, Norderstedt

1. Auflage: Alamogordo, New Mexico, USA, 2003

2. Auflage: Zülpich, Deutschland, 2021

ISBN: 9783753492926

Bibliografische Information der deutschen Nationalbibliothek

Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.

Kontaktadresse des Autors: BerndPesch@Pesch-Consult.de

Bernd Pesch

Grundlagen der Metrologie

Ermittlung der Messunsicherheit

Zweite, überarbeitete Auflage

Messunsicherheitseinflüsse Messunsicherheitsanalyse und -bilanzen, Verteilungen, Konformitätsaussagen,
Entscheidungsregeln, Paradigmenwechsel, Messungen verstehen und beschreiben, Messmethoden,
Einflussgrößen, Informationsquellen, Modellierung der Messung, Empfindlichkeitskoeffizienten und
Gewichtungsfaktoren, Messunsicherheitsanalyse, Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen, Systematische
Einflüsse, Korrelation, Mehrdimensionale Aufgabenstellungen, Ergebnisse darstellen, Vergleich von
Ergebnissen, Erweiterungsfaktor, Optimierungspotentiale, Monte Carlo Simulation

Diverse Beispiele und ausführliches Glossar

»Man misst eigentlich immer falsch. Man muss nur wissen, wieviel«

David Packard

Pionier der Hochfrequenzmesstechnik und Mitbegründer von Hewlett Packard

INHALT

Zielgruppe

Personen, die Messungen planen, dokumentieren und bewerten müssen

Vorkenntnisse

Kenntnisse um metrologische Verfahren sind wünschenswert.

Inhalte

Dieses Buch erläutert die – vor wenigen Jahren noch - neuen Paradigmen der Messunsicherheitsbestimmung. Es stellt den Übergang von der alten Arbeitsweise zur neuen Methode dar. Viele exemplarisch gerechnete Beispiele bieten Hilfen für die Ermittlung der Messunsicherheit in der Praxis.

Ein weiteres Augenmerk wird auf die Optimierung von Messungen gelegt. Dies bedeutet nicht, dass versucht wird, Messergebnisse schön zu rechnen. Es bedeutet vielmehr, dass auf der Basis erkannter Messunsicherheitseinflüsse Maßnahmen ergriffen werden können, um mit vergleichsweise geringem Aufwand zuverlässigere Ergebnisse zu erzielen: Messunsicherheit kostet nicht nur Geld. Die Kenntnisse um die Unsicherheit von Messungen spart auch Ressourcen.

Die formalen Rahmenbedingungen, welche sich aus dem über einhundert Seiten umfassenden JCGM 1001, oder der DIN EN ISO/IEC 17025 herleiten lassen, werden besprochen.

Und erstmalig behandeln wir anhand verschiedener Beispiele die unterschiedlichen Anforderungen zwischen der Messunsicherheit einer realen Messung, der kleinsten angebbaren Messunsicherheit und dem Transfer auf fiktive Messbedingungen.

Weitere Schwerpunkte wie die Monte Carlo-Simulation, die mehrdimensionale (multivariable) Betrachtung, Bereichskalibrierungen oder die Bedeutung der Messunsicherheit für die Konformitätsaussagen haben ebenfalls ihren Platz gefunden.


1 GUM Framework

Inhaltsverzeichnis

  1. EINFÜHRUNG
  2. DIE IDEALE MESSUNG
  3. MESSUNGEN WERDEN UNGENAU – MESSUNSICHERHEITSEINFLÜSSE
  4. BESTIMMUNG DER MESSUNSICHERHEIT
  5. EIN ALTERNATIVES BERECHNUNGSVERFAHREN: DIE MONTE CARLO SIMULATION
  6. BEISPIELE ZUR BESTIMMUNG DER MESSUNSICHERHEIT
  7. FRAGEN UND BESONDERHEITEN ZUR MESSUNSICHERHEIT
  8. OPTIMIERUNG DER MESSUNG
  9. DOKUMENTATION DER MESSUNSICHERHEIT
  10. ANHANG
  11. DEFINITIONEN UND GLOSSAR
  12. INHALTE UND BEZÜGE

1 EINFÜHRUNG

»Metrologie ist das unsichtbare Rückgrat der Globalisierung.«

Dr. Hans Koch

Leiter der PTB Außenstelle Berlin, Berlin 2013

1.1 Vorwort

Als wir im Jahre 2003 die dreijährige Arbeit zur ersten Auflage abschließen konnten und acht Jahre nach der Vorstellung des „GUMs 2 “, dem Guide to the Expression of Uncertainty in Measurements erstmalig ein Praxisbuch für Messtechniker herausgaben, dachten wir noch nicht daran, dass aus der ursprünglich ungeliebten Methode zur Ermittlung der Messunsicherheit ein Standardverfahren werden konnte.

Die Resonanz auf die erste Auflage des Buches war groß und verschiedene Anregungen konnten wir aus der praktischen Arbeit, aus Fachausschusstätigkeiten und aus der Rückmeldung unserer Seminare sammeln. Im Laufe der Zeit haben Überarbeitungen der grundlegenden Dokumente3 kleinere Änderungen bei den Fachbegriffen ergeben. Leider ist zu beobachten, dass in den wichtigsten Dokumenten noch kein einheitlicher Sprachgebrauch zu sehen ist.

Zudem haben sich im Laufe der Jahre einige Schwerpunkte deutlich verschoben. Ist man bei den Beispielen von 1995 bis 2005 noch oft davon ausgegangen, dass Korrelationen, Unlinearitäten und systematische Einflüsse im Rahmen der Messunsicherheit nicht so wichtig sind, sind diese Punkte deutlich in den Fokus gerückt. Dies führte dazu, dass das Monte Carlo Verfahren zur Ermittlung der Messunsicherheit häufiger genutzt wird.

Um den Leser langsam an die doch recht umfangreiche Materie heranzuführen, haben wir unsere Beispielsammlung ergänzt, um mehr Facetten der Berechnungen zeigen zu können.

Die Berücksichtigung der Messunsicherheit ist bei Konformitätsaussagen nach der Neufassung der DIN EN ISO/IEC 17025 im Jahre 2017 (2018), [1], und des ILAC Guides G8:2019, [2], unentbehrlich geworden.

Ich darf nochmals Dank all jenen aussprechen, die geholfen haben, die Inhalte der ersten Ausgabe zu optimieren und konstruktive Beiträge zur Neuauflage beisteuerten.

Zülpich im Jahre 2021

1.2 Arbeiten mit diesem Buch

Notation

In diesem Buch werden ergänzende Begriffe und Formelzeichen genutzt, die nicht im Basisdokument des „Guide to the expression of uncertainty in measurement“ (JCGM 100, [3]) und nachgeordneten Dokumenten beschrieben sind, aber hierzu auch nicht im Widerspruch stehen.4

Exkurse

Verschiedene Abschnitte wurden als Exkurse gekennzeichnet. Diese Kapitel sind zur Anwendung der Messunsicherheit nicht erforderlich. Sie dienen dem tieferen Verständnis und weiteren Erläuterungen.

Glossare und Formelsammlungen

Es wurde versucht, ein weitgehend selbständig nutzbares Buch zu schreiben, welches Informationen bis zur nächsttieferen Ebene enthält, um aufwendiges Suchen von Grundlagen zu vermeiden.

Nähe zum „Guide to the Expression of Uncertainty in Measurement“

Bei der Nähe zum Grundlagendokument ist an verschiedenen Punkten eine Gratwanderung zu vollziehen. Der „GUM5“ ist ein sehr gut geschriebenes Grundlagendokument. Bei der Umsetzung in die Praxis sind aber Kompromisse und Ergänzungen notwendig. Wo immer möglich wurde auf diese Unterschiede hingewiesen.

Darstellung von Bilanzen und Messunsicherheitsanalyse

Die in diesem Buch genutzte Form der Bilanzen ist ausführlicher als üblicherweise gefordert. Zudem werden im Rahmen der Messunsicherheitsanalyse die Einflussgrößen umfassend behandelt, um Rechenschritte und Annahmen zu verdeutlichen. Eine entsprechende Darstellung ist auch für die eigene Nachweisführung sinnvoll.

Querverweise

Sei weit es möglich war, wurden Querverweise in die Fußnoten genommen, um den Lesefluss im Haupttext einfacher zu halten.

Mathematische Grundlagen

Um den Anteil mathematischer Grundlagen in den Kapiteln zur Bestimmung der Messunsicherheit zu begrenzen, wurden einige Grundlagen in „Exkurse“ ausgelagert, die auch als solche gekennzeichnet sind.

1.3 Notation

(a) Das Dilemma mit der richtigen Notation

In kaum einen Bereich der Metrologie ist die korrekte Verwendung von Fachbegriffen derart abhängig von den jeweils zugeordneten Adjektiven, wie bei der Bestimmung der Messunsicherheit. Manche Begriffe ändern durch die Adjektive ihre Bedeutung maßgeblich.

Nicht einfacher wird die, weil das internationale Wörterbuch der Metrologie6 – auf welches sich die Sprache der Messtechnik abstützt – in der Vergangenheit verschiedene Änderungen erfahren hat. Parallel hierzu werden in manchen Fachnormen noch immer Begriffe verwendet, welche allgemein schon seit vielen Jahren vermieden werden sollten.

Beispiel: Begriffsklärung (Erweiterte) Messunsicherheit

Früher und leider auch noch heute lernt man im Studium den Begriff des Messfehlers kennen. Heute nennt man dies Messunsicherheit.

Diese gibt es als einfache Messunsicherheit, wobei das Wort „einfach“ in der Regel auch weggelassen wird und als erweiterte Messunsicherheit. Das Adjektiv deutet schon darauf hin, dass die Messunsicherheit auf irgendeine Art und Weise erweitert – also vergrößert – wurde. Dies geschieht mit festen Faktoren, die je nach Anwendungsfall variieren können.

In der Metrologie wird üblicherweise die erweiterte Messunsicherheit angegeben, die einen Messwert mit einer annähernd 95 prozentiger Wahrscheinlichkeit beinhaltet.

Beispiel: Begriffsklärung (Kombinierte) Standardunsicherheit

Anstatt Messunsicherheit liest man auch oft gleichbedeuten den Begriff Standardunsicherheit (der Messung). Dies deutet vergleichend auf eine Standardabweichung hin, welche stellvertretend für die mögliche Streuung von Messwerten um einen richtigen Wert steht. In vielen Fällen sind die Begriffe inhaltlich gleichbedeutend.

Mit dem Adjektiv „kombiniert“ findet man dann eine zusammengeführte Standardunsicherheit. Hier wird gezeigt, dass diese (als die Messunsicherheit) durch Kombination verschiedener betrachteter Einflüsse gebildet wurde.

Die kombinierte Standardunsicherheit ist noch nicht erweitert; also keine kombinierte, erweiterte Standardunsicherheit.

Beispiel: Begriffsklärung Standardabweichung

Die Standardabweichung ist (sprachlich) zumeist die Kurzform der empirischen Standardabweichung, wie sie üblicherweise in der Statistik definiert wird.

Im Umgang mit Messunsicherheiten wird die Standardabweichung auch auf den Mittelwert einer Reihe bezogen. Diese Größe wird für die Bestimmung der Wiederholpräzision und der Vergleichspräzision benötigt.

Während sich die ersten Beispiele noch logisch herleiten ließen, sind andere Begriffe und Änderungen nicht so offensichtlich. Dennoch ist auch hier eine korrekte Notation notwendig. Nicht nur weil diese normativ gefordert wird, sondern auch, um die Darstellung von Messergebnissen interpretationsfrei werden zu lassen.

Beispiel: Begriffsklärung Messunsicherheitsbilanz

Bis zur vorletzten Ausgabe des Wörterbuches der Metrologie, [4], sprach man noch von Messunsicherheitsbudgets. Nun sind es quasi über Nacht Messunsicherheitsbilanzen geworden. Auf dem ersten Blick ist der Grund dieses Namenswechsels nicht offensichtlich. Aber wenn man sich vor Augen hält, dass eine Budgetierung beispielsweise das Hinterlegen eines Projektes mit Geld ist und die Bilanzierung das nachträgliche Ermitteln von Sachverhalten („ich ziehe Bilanz“) ist, kann man nachvollziehen, dass man versucht, die metrologische Sprache stringent den üblichen Definitionen der Umgangssprache anzunähern.

(b) Notation und Formelzeichen

Leider sind die Begriffe und Formelzeichen der Messunsicherheit nur selten genormt. Sie stammen meist aus Richtlinien (Guidelines) oder haben sich durch die regelmäßige praktische Anwendung manifestiert. Üblich sind beispielsweise die nachfolgenden Anwendungen:

Formelzeichen
μ Erwartungswert (entsprechend dem Mittelwert einer Funktion)
∂/∂x Differentialoperator zur Darstellung der partiellen Ableitung7
σ2 Varianz einer Reihe
√G Gewichtungsfaktor (Formfaktor der angenommenen → Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion).
C Empfindlichkeitskoeffizient8. Andere Darstellungen in der Praxis sind ci oder c(xi).
DX, DX(x) Distribution. Ein Funktionsbegriff zur Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion. Der Begriff und das Formelzeichen sind in der Mathematik geläufiger als in der Metrologie.
EN Normalized Error Ratio. Größe zum Vergleich von Messwerten und ihren Messunsicherheiten.
EX Erwartungswert (einer Messung). In der Regel der Messwert. Begriff aus der Mathematik.
k (Wählbarer) Erweiterungsfaktor zur Erreichung einer vorgegebenen Überdeckungswahrscheinlichkeit
σ Empirische Standardabweichung
u Standardmessunsicherheit eines Messunsicherheitseinflusses9 oder eines Ergebnisses. Zur Unterscheidung wird für die Messunsicherheitseinflüsse xi auch u(xi) benutzt und für die Standardmessunsicherheit des Ergebnisses u(y), da gilt, y = f(x1, x2, …, xi,xn).
U, U0,95 Erweiterte Messunsicherheit in absoluten Größen. Üblicherweise wird U als erweiterte Messunsicherheit mit Index für die Überdeckungswahrscheinlichkeit (Beispiel U0,95) genutzt.
w Relative Standardmessunsicherheit. Bezogen auf den Messwert.
Anmerkung zum Formelzeichen u
W, W0,95 Erweiterte Messunsicherheit in relativen Größen. W wird üblicherweise als erweiterte Messunsicherheit mit Index für die Überdeckungswahrscheinlichkeit (Beispiel W0,95) genutzt.
xi Halbbreite der jeweiligen Messunsicherheitseinflüsse. x wird für die pauschale Darstellung der verschiedenen Messunsicherheitseinflüsse einer Messung verwendet. Mit → y als Ergebnis einer Messung gilt der funktionale Zusammenhang:
y Ergebnis einer Messung10. Das Ergebnis ist abhängig von den verschiedenen Einflussgrößen xi:
Δ Platzhalter für eine numerisch bekannte Einflussgröße (also kein Messunsicherheitseinfluss) oder einen entsprechenden Korrekturwert. Die Verwendung weiterer Symbole und Indizes entspricht der Nutzung von δ-Termen.
δ Platzhalter für einen bis dato noch nicht numerisch definierten Messunsicherheitseinfluss mit zusätzlichen Informationen und Indizes
νeff [griech: ny]: Formelzeichen für den effektiven Freiheitsgrad einer Einfluss- oder Ausgangsgröße (Ergebnis einer Bilanz)

Tabelle 1.3-1: Wichtige Formelzeichen zur Messunsicherheit


2 JCGM100 („GUM“), [3]

3 Der Leitfaden JCGM100 („GUM“), [3], wurde 2008 aktualisiert und zum Wörterbuch der Metrologie (JCGM 200, [4]) gibt es seit 2012 eine neuere Version, die aber zum Zeitpunkt unserer Überarbeitung dieses Buches noch nicht endgültig übersetzt ist.

41.3, Notation, Seite →

5 JCGM100, [3]

6 VIM, oder JCGM 200, [4]

7 Die partielle Ableitung ist die Ableitung einer Funktion mit Abhängigkeit von mehreren Variablen, nach jeweils einer dieser Variablen. Sie wird nach den gleichen Regeln gebildet, wie andere Ableitungen auch.

8 Der „Empfindlichkeitskoeffizient“ wurde auch Sensitivitätskoeffizient genannt.

9 Im GUM wird der Begriff „Einflussgrößen“ genutzt.

10 In den JCGM-Schriften werden kleine und große Symbole für x und y genutzt. Wir nutzen diese Unterscheidung nicht.

2 DIE IDEALE MESSUNG

»Achtung! Jetzt gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder es funktioniert, oder es funktioniert nicht.«11

Lukas in „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“

2.1 Ideale Einflussgrößen

Es gibt vier Klassen von Größenwerten, die ohne (Mess-)unsicherheit verwendet werden:

Beispielsweise ist die Zahl Pi ein fester Wert ohne Unsicherheit. Dass die Zahl nicht mit allen bekannten und unbekannten Stellen zur Anwendung kommt, macht sie nicht unsicher. In der Anwendung kann sich eine Unsicherheit aus einer Rundung ergeben. Dies ist keine Unsicherheit der Konstanten, sondern der Rundung.12

Definitionen sind zumeist auf Grund einer allgemeinen Vereinbarung festgelegte Werte. So ist der Nullpunkt der Temperaturskala auf Basis einer solchen Vereinbarung zu 273,15 K definiert worden. Festlegungen dieser Art sorgen dafür, dass alle mit gleichen Größenwerten arbeiten.

Betriebsbedingungen sind Vorgaben, die nur endlich gut realisiert werden können. Dies ändert aber nichts an der Vorgabe. Eine Vorgabe für einen Messpunkt könnte zum Beispiel sein, dass bei einem Strom von 1 Ampère eine Ablesung durchzuführen ist. Ein Kalibrator wird diesen Punkt nur bedingt gut darstellen. Unsicherheiten kommen aus der Realisierung der Vorgabewerte; nicht aus diesem selbst.

Offensichtlich ist, dass bei Verkehrszählungen keine halben oder viertel Autos gezählt werden. Daher sind zählbare Größen punktgenau definiert.

Alle anderen Größen in der Metrologie haben eine (Mess - )unsicherheit.

2.2 Modell der idealen Messung (Prozessgleichung)

»Man sucht ein Modell aufzustellen, das Daten „erklärt“ und fragt nach dem einfachsten und plausibelsten Modell.«

Bernd R.L. Siebert

Im JCGM 100 („GUM“), [3], wird die Bestimmung der Messunsicherheit mit der Modellgleichung begonnen. Die hier eingeführte Prozessgleichung kommt im GUM nicht vor. 13 Hingegen ist es hilfreich, über einen Zwischenschritt zur Modellgleichung14 zu gelangen, um sich zunächst mit den theoretischen Grundlagen des Messprozesses vertraut zu machen.15

(a) Die mathematische Beschreibung der Messaufgabe

Der erste Schritt zum Messunsicherheit ist eine mathematisch korrekte Beschreibung des Messprozesses. Die Prozessgleichung enthält noch keine Messunsicherheitsbeiträge. Sie ist ein ideales Abbild der Messung.

Definition 2.2-1: Prozessgleichung

Die Prozessgleichung beschreibt, auf welche Art und Weise eine Ausgangsgröße (oder Ergebnisgröße) von Einflussgrößen in idealer Form abhängig ist.

Häufig ist die Prozessgleichung eine ganz triviale physikalische Aussage.

Beispiel: Einfache Längenmessung

In einer Aussage in der Form...

Gleichung 2.2-1: Beispiel einer Prozessgleichung eines einfachen Längenvergleichs

…stecken bereits mehrere Informationen über den Messprozess:

Beispiel: Komplexe Längenmessung der Länge eines Raumes

Wenn man die Länge eines Raumes mit einem Gliedermaßstab („Zollstock“) bestimmen möchte, kommt man ab einer Länge von zwei Meter nicht mehr mit einer Anlegung aus. Bei einer angenommenen Länge von 5,52 m muss der Gliedermaßstab zwei Mal ganz und zudem bei einer Teilablesung angewendet werden. Eine zugehörige Prozessgleichung könnte wie folgt aussehen:

Gleichung 2.2-2: Beispiel einer Prozessgleichung einer Längenmessung

Länge des Raumes
Gesamtlänge des Gliedermaßstabs
Teillänge der dritten Ablesung

Gleichung 2.2-3: Größenwertgleichung zur Prozessgleichung

Die möglichen Modellgleichungen und die resultierende Messunsicherheitsbilanz müssen sich in Abhängigkeit von der Struktur der Prozessgleichung unterscheiden.

Anmerkung: Konsequenzen aus dem geänderten Messprozess

Um eine korrekte Modellgleichung auf stellen zu können, muss die Prozessgleichung mathematisch und physikalisch korrekt sein .

Sie muss den Messprozess korrekt beschreiben .

Änderungen im Messprozess führe n üblicherweise zu Änderungen in der Prozessgleichung.

Die Modellgleichung folgt den Änderungen in der Prozessgleichung.

(b) Typische Fehler beim Aufstellen der Prozessgleichung

Fehler, die bereits in der Aufstellung der Prozessgleichung gemacht werden, ziehen sich durch die gesamte Modellierung und lassen unweigerlich die Messunsicherheitsbestimmung falsch und wertlos werden.16 17

Beispiel: Das ohmsche Gesetz und die Herleitung einer passenden Prozessgleichung

Der elektrische Widerstand kann nach dem Ohm‘schen Gesetz gemäß gemessen werden. Viele Messmittel nutzen diese Definition auch für den Messprozess, indem eine Konstantstromquelle einen definierten Messstrom vorgibt und der am Kalibriergegenstand18 resultierende Spannungsabfall gemessen wird.

Hingegen darf diese Beziehung nicht eingesetzt werden, wenn ein Widerstand über eine Messbrücke, über Widerstandsverhältnisse oder auf sonstige Art und Weise ermittelt wird. Der Messprozess wäre falsch modelliert. Eine spätere Zuordnung von Messunsicherheitseinflüssen würde an falscher Stelle erfolgen. Dies wiederum verursacht falsche Empfindlichkeitskoeffizienten.19

Viel häufiger sind Prozessfehler in folgender Art zu finden20:

Beispiel: Fehler beim Aufstellen der Prozessgleichung

Mancher Messbereich beginnt in der Praxis nicht an einem definierten Nullwert. Ein Behältnis für Flüssigkeiten weist oft eine nicht unerheblich große Taramasse auf. Für das Messen des Inhalts muss diese Tara-Masse vom Gesamtgewicht des gefüllten Containers abgezogen werden. Der Messprozess zur Ermittlung der Nettomasse des Transportgutes ist keine Direktmessung, sondern eine Differenzmessung. Die Prozessgleichung ist als Differenz darzustellen:

Gleichung 2.2-4: Prozessgleichung einer Differenzwägung (I)

Eine Nullsetzung der Waage bei der Taramessung ist üblich und für die Bestimmung der Nettomasse sinnvoll. Gemessen wird mit einem „Null-Tara“:

Gleichung 2.2-5: Falsche Prozessgleichung einer Differenzwägung (II)

Diese Prozessgleichung ist falsch! Es wird nicht in Differenz zu „0“ gemessen. stattdessen ist eine Taramasse als Referenz zu nutzen. Dies ist bereits eine Teilmessung21. weist eine eigene Messunsicherheit (der Teilmessung) auf.

Beispiel: Dämpfungsmessung

Ein ähnlicher Sachverhalt liegt bei Messungen der Einfügedämpfung vor.

In einem ersten Schritt wird die Leitungsdämpfung der Messanordnung ermittelt. Bei einem vorgegebenen Pegel misst der Indikator, welche Leistung am Ende der Messkette ankommt.

Abbildung 2.2-1: Vereinfachte Messkette zur Dämpfungsmessung (Referenzmessung)22

Beispiel: Dämpfungsmessung

Im nächsten Schritt wird die Messkette an der Messebene geöffnet, um ein Dämpfungsglied einzufügen. Der Leistungsmesser wird eine reduzierte Leistung anzeigen.

Abbildung 2.2-2: Vereinfachte Messkette zur Dämpfungsmessung mit eingefügten Kalibriergegenstand

Das Messergebnis kann als Differenz dargestellt werden:

Gleichung 2.2-6: Prozessgleichung einer Differenzmessung

Oder auch als Verhältnismessung:

Gleichung 2.2-7: Prozessgleichung einer Verhältnismessung

Maß der Einfügedämpfung, relativ oder absolut, je nach Definition und Darstellung (linear oder logarithmisch)
Referenzleistungspegel
Reduzierte Leistung nach Einfügen des Dämpfungsglieds

Da jede mathematisch und physikalisch korrekte Darstellung zulässig ist, kann eine Prozessgleichung verschieden dargestellt werden. Diese Formen orientieren sich an üblichen Anwendungsfällen einerseits und persönlichen Vorlieben andererseits23.


11 Werbung: Pesch Consult® analysiert und bewertet Messaufgaben. Hierzu werden die kleinsten angebbaren Messunsicherheiten als eines der maßgeblichen Kriterien mit ermittelt.

127.7, „Messunsicherheit und Rundungen“, Seite →

13 Die Prozessgleichung steht nicht im Widerspruch zum GUM. Sie ist eine logische Ergänzung auf dem Weg der Informationsvorbereitung, um mit dem GUM arbeiten zu können.

144.6, „Die Modellgleichung“, Seite →

15 In der Norm DIN EN ISO 10012, [18], „Messmanagementsysteme“ wird der QM-orientierte Begriff „Messprozess“ genutzt. In Anlehnung an diesen Begriff wird die die mathematische Beschreibung des Messprozesses von uns Prozessgleichung genannt.

16 Es ist schon verwunderlich, dass man selbst von erfahrenen und hochqualifizierten Metrologen Messunsicherheitsbestimmungen sieht, die schlichtweg falsch modelliert wurden. Selbst in normativen Schriften findet man fehlerhafte Modelle. Daher drängen wir mit Nachdruck darauf, vor Aufstellung der Modellgleichung eine Prozessgleichung zu entwickeln.

17 Typischer Fehler: Ungeprüfte Übernahme einer physikalischen Definition einer Größe als Prozessgleichung, wenn das eingesetzte Messmittel die Größe auf andere Art und Weise ermittelt.

18 Kalibriergegenstand: Fachbegriff für „Prüfling“

194.7, „Empfindlichkeitskoeffizienten“, Seite →

20 Wir haben in unserem Buch „Messen, Kalibrieren, Prüfen“, [20], die verschieden Messprozesse und ihre Auswirkungen auf die Messunsicherheit ausführlich beschrieben.

21 Der Begriff: „Segmentmessung“ wird benutzt, weil später die Messunsicherheit in Segmenten ermittelt werden kann.

22 Die Messebene ist der physikalische oder auch numerisch definierte Punkte, an dem eine Messgröße von der Messanordnung dem Kalibriergegenstand zugeführt oder abgenommen wird.

23 Typischer Fehler: Falsche Annahmen zum Messverfahren sind die häufigsten Fehlerquellen bei der Aufstellung der Prozessgleichung. Gerade die Annahme, man hätte eine Direktmessung ist oft falsch. Die Definition des Nullpunktes spielt eine wesentliche Rolle: Ist es ein echtes Null? Oder wird ein beliebiger Punkt der Maßskala als Null angenommen? Im letzteren Falle liegt keine Direktmessung vor. Folglich muss die Prozessgleichung eine Differenz oder ein Verhältnis darstellen.

3 MESSUNGEN WERDEN UNGENAU – MESSUNSICHERHEITSEINFLÜSSE

»Es zeichnet einen gebildeten Geist aus, sich mit jenem Grad an Genauigkeit zufrieden zu geben, den die Natur der Dinge zulässt, und nicht dort Exaktheit zu suchen, wo nur Annäherung möglich ist.«

Nikomachische Ethik I, Kapitel 3, 25, 1094b

3.1 Kernaussagen zur Messunsicherheit

Die ideale Messung, wie sie in → 2 beschrieben wurde, ist eine Wunschvorstellung. In der Praxis wirken vielfältige zusätzliche Einflüsse auf den ganzen Messprozess ein. Diese Einflüsse werden Messunsicherheitseinflüsse genannt und verändern ein Messergebnis.

Im Wörterbuch der Metrologie, JCGM 200 (VIM), [4], wird pauschaler von Einflussgrößen gesprochen, ohne diese den gewünschten Effekten oder der Unsicherheit der Messung zuzuordnen.

Definition 3.1-1: Einflussgröße nach JCGM 200 (VIM), [4], 2.52

Einflussgröße: Größe, die sich bei einer direkten Messung nicht auf die Größe auswirkt, die gerade gemessen wird, aber die Beziehung zwischen der Anzeige und dem Messergebnis beeinflusst.

Beispiel: Endmaß

Wenn die Länge eines Endmaßes bestimmt wird, ist die Messgröße die Länge. Die Temperatur wirkt längenverändernd auf das Endmaß ein. Dies ist eine Einflussgröße, die nicht selbst Gegenstand der Messung ist, aber auf das Ergebnis einwirkt.

Beispiel: Wechselspannungsmessung

Bei der Amplitudenbestimmung einer Wechselspannung ist die Frequenz des Signals eine Einflussgröße. Dies ist nicht zwingend ein Messunsicherheitseinfluss, sondern primär eine Messbedingung.

Die Definition bezieht den Begriff der Einflussgröße ausschließlich auf direkte Messungen und auf Größen, die auf die Messanordnung wirken. Dies schließt viele Messverfahren und Wirkungswege aus. Im JCGM 100 („GUM“), [3], ist diese Einschränkung nicht gegeben. Sinnvollerweise wird die Definition auf alle wirkenden Einflüsse und Wirkungswege verallgemeinert. Dies impliziert auch numerische Wirkungen, beispielsweise über Umrechnungen, auf ein Messergebnis.

Es gelten nachfolgende Aussagen zur Messunsicherheit:

(a) Messergebnis

Ein Messergebnis ist die Schätzung einer Eigenschaft unter Zuhilfenahme technischer Mittel. Als Ergebnis gibt man den bestmöglichen Schätzwert an. Dieser ist nun bedingt genau und mit einer Messunsicherheit behaftet.

Messergebnisse werden aus Ablesungen ermittelt, die entweder direkt dem Messergebnis entsprechen, oder noch (mathematisch) weiter behandelt werden müssen.

(b) Messunsicherheit

Die Messunsicherheit wird der Messung zugeordnet. Sie beschreibt weder eine Eigenschaft eines Kalibriergegenstandes noch ist sie ein Verfahrensmerkmal, oder der Messanordnung zuzuordnen .

De facto kann es kein Messergebnis ohne Messunsicherheit geben. Im Bereich der Bewertung und Weiterverwendung von Messgrößen ist die Messunsicherheit unabdingbar. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein Messergebnis ohne zugeordnete Messunsicherheit wertlos ist.

Man kann die Messunsicherheit nicht berechnen. Sie wird bestmöglich auf der Basis verfügbarer oder berücksichtigter Informationen mathematisch abgeschätzt .

Beispiel: Anpassung zweier Messgrößen aneinander

Wenn die Breite einer Küchenzeile mit 3 Meter angegeben wird und die zur Verfügung stehende Breite einer Küchenwand mit 3,01 Meter, sollten links und rechts von der Küchenzeile jeweils 5 mm Platz sein.

Sollte die Küchenzeile nach Spezifikation eine Breite von 3 Meter ± 2 mm haben und das Maß am Bau hat typischerweise Unsicherheiten von jeweils ± 1 cm24, könnte der Fall eintreten, dass eine Küchenzeile mit einer Breite von 3,002 m in eine Lücke von 2,99 m passen sollte. Das Dilemma ist vorgezeichnet, weil Unsicherheiten der Maße und Spezifikationen nicht zusammenpassen und eine Konformität25 zwischen Küchenzeile und Wandmaß nicht gegeben ist.

Über die Messunsicherheit ordnen wir einem Messergebnis Vertrauen zu. Man nennt dieses Intervall auch „Vertrauensintervall“, oder Überdeckungsintervall. Das Messunsicherheitsintervall hat die und

Alternativ sind auch relative Angaben mit einer Größe w möglich, sofern der Messwert M nicht 0 ist:

Die Messunsicherheit ist eine quantitative Beschreibung der „Genauigkeit“.

(c) Anforderungen an die Messunsicherheit

Nach JCGM 100 („GUM“), [3], muss eine ermittelte Messunsicherheit folgende Bedingungen erfüllen:

Der GUM erfüllt mit dem sogenannten „klassischen“ Modell diese Forderung nicht. Daher wurde es mit der Schrift JCGM 101:2008, [5], um ein weiteres numerisches Modell auf Basis der Monte Carlo Simulation ergänzt.

(d) Definitionn der Messunsicherheit

Es gibt verschiedene Definitionen der Messunsicherheit, die nicht in allen Details deckungsgleich sind und sich im Verlauf der Jahre geringfügig geändert hat.

Definition 3.1-2: Messunsicherheit nach JCGM 200:2008, [4], Pkt. 2.26

Messunsicherheit: nichtnegativer Parameter, der die Streuung der Werte kennzeichnet, die der Messgröße auf der Grundlage der benutzten Information beigeordnet ist

Anmerkung 1 (des Leitfadens)

„Die Messunsicherheit schließt Komponenten ein, die sich aus systematischen Effekten ergeben wie Komponenten, die mit Korrektionen und den zugewiesenen Größenwerten von Normalen zusammenhängen, sowie die Eigenunsicherheit. Manchmal werden geschätzte systematische Effekte nicht korrigiert, sondern es werden stattdessen beigeordnete Messunsicherheitsbeiträge berücksichtigt.“

Anmerkung 2 (des Leitfadens)

„Der Parameter kann beispielsweise sein: eine Standardabweichung, genannt Standardmessunsicherheit (oder ein vorgegebenes Vielfaches davon), oder die halbe Spannweite eines Intervalls mit einer angegebenen Überdeckungswahrscheinlichkeit.“

Anmerkung 3 (des Leitfadens)

„Die Messunsicherheit umfasst im Allgemeinen viele Komponenten. Einige davon können mit Hilfe der Ermittlungsmethode A der Messunsicherheit aus der statistischen Verteilung der Größenwerte aus Messreihen ermittelt und durch Standardabweichungen charakterisiert werden. Die anderen Komponenten, die nach der Ermittlungsmethode B der Messunsicherheit ermittelt werden können, können ebenfalls durch Standardabweichungen charakterisiert werden, ermittelt aus Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen auf der Grundlage von Erfahrungen oder anderer Information.“

Anmerkung 4 (des Leitfadens)

„Im Allgemeinen wird für eine Menge an Information davon ausgegangen, dass die Messunsicherheit einem angegebenen Größenwert beigeordnet ist, der der Messgröße zugewiesen ist. Eine Änderung dieses Größenwerts führt zu einer Änderung der beigeordneten Unsicherheit.“

In der europäischen (kürzeren) Grundlage EA-4/02 M:2013, [3], ist die Definition zwar länger; enthält dafür aber Anteile aus obigen Anmerkungen.

Definition 3.1-3: Messunsicherheit nach der deutschen Übersetzung von EA-4/02 M:2013, [6], Pkt. 2.2

„Die Messunsicherheit ist ein Parameter (≥ 0), der mit dem Messergebnis verbunden ist und der die Streuung der Werte charakterisiert, die der Messgröße vernünftigerweise beigeordnet werden können. Sofern keine Missverständnisse zu erwarten sind, wird „Messunsicherheit“ auch einfach „Unsicherheit“ genannt. […]“

Die ältere Definition aus dem Jahre 1995 in der Norm DIN 1319-1 ist unspezifischer. Sie hat aber die Eleganz, bereits Formelzeichen und Zuordnungen erwähnt werden.

Definition 3.1-4: Messunsicherheit nach DIN 13191:1995

„Kennwert, der aus Messungen gewonnen wird und zusammen mit dem Messergebnis zur Kennzeichnung eines Wertebereiches für den wahren Wert der Messgröße dient.“

Anmerkung 1 (zur Norm)

„Sofern Missverständnisse nicht zu erwarten sind, darf die Messunsicherheit auch kurz „Unsicherheit“ genannt werden.“

Anmerkung 2 (zur Norm)

„Die Messunsicherheit ist positiv und wird ohne Vorzeichen angegeben.“

Anmerkung 3 (zur Norm)

„Ist u die quantitativ ermittelte Messunsicherheit und M das Mesergebnis, so hat der zu diesen Angaben gehörige Wertebereich für den wahren Wert die Untergrenze und die Obergrenze Es wird erwartet, dass dieser Wertebereich den wahren Wert enthält. […]“

Anmerkung 4 (zur Norm)

„Die Messunsicherheit ist ein quantitatives Maß für den nur qualitativ zu verwendendem Begriff der Genauigkeit [...], der allgemein die Annäherung des Messergebnisses an den wahren Wert der Messgröße bezeichnet. […]

(Von zwei Messungen derselben Messgröße ist diejenige genauer, der die kleinere Messunsicherheit zukommt.)“

Anmerkung 5 (zur Norm)

„Weder darf die Messunsicherheit mit der Benennung „Genauigkeit“ versehen werden, noch soll die Benennung „Präzision“ anstelle von „Genauigkeit“ verwendet werden.“

Interessant ist, dass die DIN EN ISO/IEC 17025:2018, [1], weder eine eigene Definition des Begriffs nutzt noch auf eine bestimmte Definition verweist.

(e) Der Guide to the expression of uncertainty in measurement - GUM

Das üblicherweise angewendete JCGM 100 („GUM“), [3], ist an Voraussetzungen gebunden, die geprüft werden müssen, wie die ausreichende Linearität und Stetigkeit des Modells.

Abbildung 3.1-1: Erweiterte Messunsicherheit

Man ist nicht verpflichtet, die Messunsicherheit nach dem GUM zu ermitteln. Gängige Normen, wie die DIN EN ISO/IEC 17025, [1], verlangen die Berechnung nach einem „allgemein akzeptierten Verfahren“, ohne ein spezielles Verfahren vorzuschreiben. Der GUM ist keine Norm, sondern so ein allgemein akzeptierter Leitfaden und erfüllt somit die Forderungen nach DIN EN ISO/IEC 17025.

(f) Wahrscheinlichkeitsniveau

Die Angabe der Messunsicherheit ist keine absolute Aussage, sondern mit einer Wahrscheinlichkeit verknüpft.

Beispiel: Wahrscheinlichkeitsniveau

Üblicherweise gibt man für metrologische Zwecke die Messunsicherheit mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent an. Dies bedeutet, dass man nicht behauptet, dass ein Messergebnis mit absoluter Sicherheit in einem angegebenen Intervall liegt, sondern mit lediglich 95 Prozent.

Dieses Vertrauens- oder Wahrscheinlichkeitsniveau ist für die Messtechnik üblicherweise ausreichend. Für sicherheitsrelevante Belange sind auch höhere Vertrauensniveaus üblich. Für allgemeine Schätzungen und Trends auch mal geringere Angaben.

(g) Die erweiterte Messunsicherheit

Der Messunsicherheit wird eine Überdeckungswahrscheinlichkeit zugeordnet, welche ausdrückt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Messergebnis in den durch die Messunsicherheit beschrieben Grenzen liegt. Hierbei wird die Normalverteilung (Gauß’sche Glockenkurve“) als wahrscheinlichste Verteilung der möglichen Lage des richtigen Ergebnisses angenommen27.

Das Ergebnis der Berechnung der Messunsicherheit hat üblicherweise eine Breite, welche der einfachen Standardabweichung, σ, einer Normalverteilung entspricht. Man sagt, dass Ergebnis ist mit k = 1 erweitert, oder: es ist nicht erweitert. Die zugeordnete Wahrscheinlichkeit beträgt dann etwa 66,7 %, dass sich ein Messwert zwischen diesen Grenzen befindet28. Diesem Wert der Standardmessunsicherheit wird das Formelzeichen u zugeordnet (oder ersatzweise w für relative Darstellungen).

Mit dem Multiplikator k = 2 verdoppelt man dieses Intervall und erhält ein Messunsicherheitsintervall mit einer Überdeckungswahrscheinlichkeit von gerundet 95 Prozent, oder zweimal σ.

Für die erweiterte Messunsicherheit nutzt man üblicherweise zur Unterscheidung von der einfachen Messunsicherheit große Formelzeichen: U anstatt u für absolute Angaben und W anstatt w29 für relative Angaben.

Die Erweiterungsfaktoren und die Wahrscheinlichkeitsniveaus sind nicht fest miteinander verknüpft, sondern können von weiteren Rahmenbedingungen, den effektiven Freiheitsgraden30 des Ergebnisses, beeinflusst werden.

Im Rahmen der EA31, wurde die Übereinkunft erzielt, dass Kalibrier- und Prüfergebnisse mit einer 95prozentigen Überdeckungswahrscheinlichkeit anzugeben sind. Es gilt nachgeordnet durch den DAkkS32 vorgegeben die Maßgabe, folgenden Satz den Messergebnissen zuzuordnen, sofern keine wichtigen Gründe entgegenstehen:

Beispiel: Aussage zur erweiterten Messunsicherheit

„Angegeben ist die erweiterte Messunsicherheit, die sich aus der Standardmessunsicherheit durch Multiplikation mit dem Erweiterungsfaktor k = 2 ergibt. Sie wurde gemäß EA4/02 M:29013 ermittelt. Der Wert der Messgröße liegt mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % im zugeordneten Werteintervall.“

Es besteht oft die Fehlannahme, dass Überdeckungsintervalle so zu normieren sind, dass sich ein Erweiterungsfaktor von beispielsweise k = 2 ergibt. Dann wäre das resultierende Wahrscheinlichkeitsniveau 95 ,4 Prozent. Diese Interpretation ist falsch. Umgekehrt wird die Aussage korrekt: Es soll das Ergebnis so angegeben werden, dass die Überdeckungswahrscheinlichkeit der zweifachen Standardabweichung entspricht; also 95, 4 %. Dann stellt sich die Frage, welcher Erweiterungsfaktor zum Erreichen dieser Überdeckung notwendig ist . Dies ist üblicher - weise , aber nicht immer k = 2 .

(h) Systematische Einflüsse

Systematische Einflüsse „dürfen“ nach klassischer Sichtweise nicht als Messunsicherheitseinflüsse behandelt werden. Diese Einflüsse sind numerisch zu korrigieren, bevor aus den statistischen Einflüssen die Messunsicherheit berechnet wird. In der Praxis ist dies aber oft nicht möglich. Aus diesem Grund gibt es Festlegungen, wie die systematischen Einflüsse mitberücksichtigt werden können.33

(i) Kleinste angebbare Messunsicherheit

Die kleinste angebbare Messunsicherheit beschreibt die Leistungsfähigkeit eines Labors. Bei der Bestimmung dieser Kenngröße werden optimale Rahmenbedingungen angenommen. Messungen werden an einem bestmöglichen, aber marktverfügbarer Kalibriergegenstand, angenommen. Die angewendeten Messverfahren müssen routinemäßig ausgeführt werden. Prototypen, die nur einem Labor zur Verfügung stehen, können hierbei nicht angenommen werden.34

(j) Konformität

Bei Konformitätsaussagen 35 muss man die Messunsicherheit mit berücksichtigen. Ein vollständiges Messergebnis wird mit festen Spezifikationsgrenzen vergleichen.

Konformitätsaussagen können nur immer mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit ausgesprochen werden.36

(k) Vollständiges Ergebnis

Zum vollständigen Ergebnis gehören neben dem Messwert die erweiterte Messunsicherheit und eine Information über die Rahmenbedingungen der Messaufgabe:

(l) Rückführung einer Messgröße und Messunsicherheit

Die Kenntnis um die Unsicherheit einer Messung ist die zwingende Voraussetzung, um die Rückführungskette der Messgrößen aufbauen zu können.

Ohne Messunsicherheit gäbe es keine rückgeführten Messgrößen.

Durch bestmögliche Vergleiche versucht man auf jeder Stufe der Hierarchie, eine Messgröße möglichst verlustarm auf ein Messmittel oder eine Maßverkörperung der nächsten Ebene zu übertragen. „Bestmöglich“ bedeutet immer, dass die Unsicherheit der Übertragung – der Messung – verlässlich beschrieben werden kann. Für die Verlässlichkeit steht der Nachweis der Fähigkeit eines Labors. Dies geschieht in der Regel durch die Akkreditierung.

An der Spitze der Pyramide steht kein internationales, sondern ein nationales Normal, weil die Festlegung in nationalen Gesetzen erfolgt. Auch internationale Festlegungen werden in nationalen Gesetzen umgesetzt.

Abbildung 3.1-2: Kalibrierhirarchie: Bezeichnung der Normale

Zwischen jeder, der hier abgebildeten Stufen, finden in regelmäßigen Abständen Kalibrierungen zum Transfer der Messgrößen statt. Die verschiedenen Messmittel erhalten somit in einem definierten und kontrollierten zeitlichen Zusammenhang einen Bezug zueinander und zu einem nationalen Normal.

Die mit den rückführbar kalibrierten Messmitteln ermittelten Ergebnisse werden vergleichbar. So kommt am Ende der Kette eine Messunsicherheit heraus, auf die sich der Endanwender verlassen kann. Er kann verlässlich Messungen, Prüfungen, Bewertungen , Erprobungen oder sonstige Tätigkeiten durchführt, die mit einer justiziablen Entscheidung – einer Konformitätsaussage – abschließen.

(m) Messfehler?

Messungen oder Messgeräte machen keine Fehler. Sie sind unsicher, oder haben Messabweichungen!

Aus diesem Grund wird die hier betrachtete Größe auch Messunsicherheit und nicht mehr Messfehler genannt. Die Messunsicherheit beschreibt immer eine fehlerfreie Messung37 und schließt Aussagen zu Messfehlern aus. Man unterscheidet bewusst zwischen Messfehlern im Sinne von „etwas falsch machen“ und Messunsicherheiten in der Bedeutung „etwas nicht sicher zu wissen“.

(n) Persönliche Sicht

Jedes Messergebnis und jede Bestimmung der Messunsicherheit sind Ergebnisse persönlicher Betrachtungen der beobachteten Ereignisse. Verschiedene Beobachter können zu verschiedenen Ergebnissen gelangen.

Die Angabe einer Messunsicherheit ist kein Ausdruck schlechter Kalibrierungen, sondern eines besonderen Qualitätsgedankens bei der Ausführung der Dienstleistung.

3.2 Das Akzeptanzproblem der Messunsicherheit