Roy Rockwood

Bomba auf der Jaguar-Insel

Band 4

 

 

 

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1 Was der Blitz enthüllte

Gewaltig und mit dämonischer Kraft tobte das Dschungelgewitter. Sturzbäche von Regen rauschten herab — der Donner schmetterte wie mit überirdischen Fanfaren — und die Bäume neigten sich, von den unsichtbaren Armen der Sturmdämonen gepackt und niedergezwungen.

Bomba kauerte im Schutze eines überhängenden Felsens und lauschte. Da war noch ein anderes Geräusch — ein leises Rascheln und Knacken, das nicht von den Windstößen herrührte. Nur das Ohr des Dschungeljungen hörte den schwachen Laut aus dem Toben des Gewitters heraus. Nur Bombas scharfe Augen erkannten im bengalischen Licht aufflammender Blitznetze die dunklen Gestalten, die im Buschwerk dahinglitten.

Tiefer kauerte sich Bomba in den Schatten des Felsens, und seine Rechte glitt zum Griff der Machete. Immer wenn er den Messergriff unter den Fingern spürte, überkam ihn ein Gefühl der Ruhe und Sicherheit. In vielen gefährlichen Lagen war das zweischneidige, rasiermesserscharfe Buschmesser sein Helfer und Retter gewesen. Es war gut, sich daran zu erinnern.

Ein Blitz zuckte zur Erde. Ein Donnerschlag folgte, als spalte eine Riesenaxt die Welt. Grell und deutlich, wie von Scheinwerfern angeleuchtet, waren jetzt wieder die Gestalten zu sehen gewesen.

Mit einem unterdrückten Ausruf ließ sich Bomba zur Seite gleiten. Auch ihm konnten die zuckenden Blitzstrahlen gefährlich werden. Ebenso wie er die Gestalten der Eingeborenen sah, mochte er von ihnen entdeckt werden, sobald sie den Blick wandten.

Hinter dem Felsen war eine kleine Schlucht, die jetzt bis zur halben Höhe mit Wasser gefüllt war. Das Buschwerk am Rande bot guten Schutz gegen Sicht, und dort verbarg sich der Dschungelboy.

Was er gesehen hatte, machte ihn abwehrbereiter und aufmerksamer als der Anblick einer schleichenden Raubkatze. Die dunklen Feinde, die er entdeckt hatte, waren die gefährlichsten des Urwaldes — gefährlicher als die riesige Anakonda, gefährlicher als der fauchende Puma oder der blutdürstige Jaguar. Es waren Kopfjäger — grausame, verschlagene Wilde aus dem Stamme des gefürchteten Häuptlings Nascanora.

Drei Krieger hatte Bomba im schnellen Aufzucken des Blitzes gezählt. In vorgebeugter Haltung waren sie wie erstarrt dagestanden, die Hände um die Speerschäfte gekrallt. Ihre Augen hatten das Dunkel zu durchdringen versucht, das unter dem überhängenden Felsen herrschte.

Während Bomba in sicherer Deckung lag, bedrängten Zorn und Furcht sein Herz. Er hatte keine Angst um sein eigenes Leben, aber er musste an Cody Casson, seinen alten Gefährten, denken. Bomba wusste, dass die Kopfjäger den weißen Naturforscher in diesem entlegenen Gebiet suchten. Immer noch lastete der finstere Aberglaube über dem Stamme Nascanoras, dass Cody Casson ein ‚Mann des Bösen’ wäre. Alle Krankheiten und Widrigkeiten, die Nascanoras Leuten zustießen, wurden dem harmlosen, kranken Greis und seiner angeblichen Zauberkunst zugeschrieben.

Es war sicher, dass die Wilden auf Cassons Fährte waren. Sie würden versuchen, ihn gefangen zu nehmen, ihn in ihr Dorf zu verschleppen und dort zu martern. Wenn der Tod seinen Leiden ein Ende bereitet hätte, sollte sein Kopf Nascanoras Wigwam zieren.

Doch Bombas Lebensmut ließ es nicht zu, sich lange mit düsteren Vermutungen zu beschäftigen. Er vertraute der Schnelligkeit seiner Füße, der Sicherheit seines Blickes und der Kraft seiner Arme. Oft hatte er schon gegen Nascanoras Krieger kämpfen müssen. Jedes Mal war der Sieg am Ende auf seiner Seite gewesen. Auch diesmal fürchtete er sich nicht davor, seine Kraft gegen ihre Stärke einzusetzen — seinen Verstand mit ihrer indianischen List zu messen.

Mit schattenhafter Lautlosigkeit glitt Bomba am Rande der Schlucht entlang. Er hörte kein Geräusch, das auf eine Verfolgung schließen ließ. Trotzdem wusste er nicht genau, ob ihn die Feinde entdeckt hatten. War ihnen die Gestalt im Felsschatten so deutlich vor Augen getreten, wie ihm die Silhouetten ihrer Körper? Wenn sie ihn noch nicht entdeckt hatten, lag der Vorteil auf seiner Seite. Er hatte einen Vorsprung, und es konnte ihm gelingen, rechtzeitig die Hütte zu erreichen, in der Casson mit der alten Eingeborenen Pipina lebte.

Das Gewitter war dicht über ihm. Unaufhörlich spalteten Blitze den Himmel und erhellten die Umgebung augenblickslang. Die dicken, grünen Seile der Lianen pendelten windgetrieben hin und her. Wie Fächer rauschten die Palmblätter auf und nieder, und der Sturm riss dem Jungen den Atem vom Munde. Tief gebeugt musste er sich vorwärtskämpfen.

Als ein Blitz aufzuckte, erkannte Bomba zur Rechten den dunklen Einschnitt eines schmalen Tretpfades. Hier zweigte der Weg ab, der zur Hütte führte. Auf seinem Wege zu Casson und Pipina war Bomba vom Unwetter überrascht worden, und er hatte unter dem vorspringenden Felsen Schutz gesucht. Von dort aus hatte er die umherschleichenden Kopfjäger entdeckt.

Ein neuer Blitz fuhr schräg aus dem schwarzen Himmel herab und spaltete die Krone eines Baumes. Rauschend und krachend fuhr der Wipfel mit dem abgesplitterten Teil des Stammes durch das Geäst. Dicht vor Bomba sauste der blitzgefällte Baum zu Boden. Einer der Äste streifte ihn und fegte ihn rückwärts, als wäre er nur ein leichtes Blatt. Gleichzeitig prasselte ein Hagel von Castanhanüssen herab.

Bomba erhob sich taumelnd vom Boden und befühlte seine Glieder. Es war noch einmal gut gegangen. Außer Hautabschürfungen und einer kräftigen Beule an der Stirn hatte er keine Verletzungen abbekommen. Etwas hinkend und mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte sich Bomba gegen die Gewalt des Sturmes weiter.

An mehreren Stellen musste er sich mit der Machete mühsam seinen Weg bahnen. Wie Polypenarme griffen die Lianen nach dem Jungen. Mit kräftigen Schlägen schlug er sich seinen Pfad frei.

Dann hielt Bomba plötzlich mitten im Schlag inne. Das schweflige Licht des Blitzes hatte ihm eine Bewegung in den Farnen verraten. Beim Aufleuchten eines hüpfenden Kugelblitzes sah Bomba den flachen, hässlichen Kopf einer Jaracara vor sich. Die bösartige Klapperschlange des südamerikanischen Urwalds hatte den Vorderleib zum Stoß aufgerichtet.

Dieser Anblick der drohenden Gefahr prägte sich Bomba in der Sekundenschnelle des Blitzes ein. Im nächsten Augenblick umgab ihn tiefste Dunkelheit. Aber Bomba wusste, dass die Jaracara jetzt zustoßen würde. Sein Körper machte eine schnelle Bewegung zur Seite. Gleichzeitig griff seine Hand zu. Bomba wusste, wo vor ihm in der Dunkelheit der Kopf der Schlange pendelte. Er wusste auch, dass ein falscher Griff für ihn den Tod bedeutet hätte.

Als seine Finger sich um den glatten Schuppenhals dicht unterhalb des Schlangenrachens schlossen, spürte er für kurze Zeit Widerwillen und Ekel. Doch sein Griff lockerte sich nicht. Er lockerte sich auch nicht, als der Schlangenleib sich mit peitschenden Bewegungen um seinen Arm wand. Mit aller Kraft und mit der Geschmeidigkeit ihres schlüpfrigen Leibes versuchte die Jaracara, sich der tödlichen Umklammerung zu entziehen.

Vergeblich! Allmählich wurden die schlagenden und zuckenden Bewegungen des Schlangenkörpers schwächer.

Es kam der Augenblick, in dem die Klapperschlange nur noch wie ein dickes, lebloses Seil zwischen den Fingern des Jungen herabhing. Bomba hob den Arm und schlug den Kopf der Giftschlange mit aller Kraft auf einen Stein. Dann warf er den Leib des Reptils mit dem zertrümmerten Kopf weit von sich in die Büsche.

Bomba hatte das wichtigste Gesetz des Dschungels beachtet: er war schneller gewesen als sein angreifender Feind — schneller als die zischende und zustoßende Jaracara.

Hastig eilte er weiter. Die Sorge trieb ihn vorwärts. Casson war allein und schutzlos, und er musste so bald wie möglich die Hütte erreichen.

Doch ein anderes Geräusch hemmte seinen Schritt. Es war nicht das sanfte Plätschern des Regens, nicht der Sturm, der die Äste knarrend hin und her bewegte. Es waren Körper, die sich durch das dichte Unterholz zwängten.

Der Wind stand günstig, aber er trug nicht die Witterung von Raubtieren. Menschen waren es, die vor Bomba durch den Urwald glitten. Er hatte gehofft, seine Feinde hinter sich gelassen zu haben, und jetzt musste er erkennen, dass sie auch vor ihm waren.

Wieder befanden sich die Kopfjäger auf dem Kriegspfad. Der kleine Trupp zuvor war nur eine Nachhut gewesen. Von nun an musste Bomba mit doppelter Vorsicht seinen Weg suchen. Er verharrte kurze Zeit, um einen gewissen Abstand zu seinen Feinden zu erlangen.

Dann ging Bomba weiter. Er wollte die Kopfjäger umgehen, um vor ihnen bei der Hütte zu sein. Immer wieder lauschend, bahnte er sich seitwärts seinen Weg. Plötzlich erhellte ein Blitz die Umgebung.

Als hätte ihn selbst der Blitzstrahl getroffen, ließ sich Bomba mit einem Sprung zur Seite fallen. Nicht weiter als zehn Meter von ihm entfernt, hatte er drei kriechende Gestalten erkannt.

In dem einen jähen Atemzug der Helligkeit — in dieser Schrecksekunde des grellen Lichtes hatte Bomba die drei schwärzlich glimmenden Augenpaare der Wilden auf sich gerichtet gesehen. Er hatte die gelbe Kriegsbemalung auf ihren Leibern erkannt und die dunklen Köpfe — vorgereckt und mit lauernd-bösem Gesichtsausdruck. Drei Speerspitzen waren auf ihn gerichtet. Drei Speerspitzen funkelten in dem einen Augenblick der Helligkeit auf und deuteten auf sein Herz.

4 Schreckliche Kiefer

Ohne Zeit zu verschwenden, änderte Bomba sofort seinen Kurs. Er glitt in die Strömung und schwamm flussabwärts schräg auf das nahe Ufer zu. Noch konnte er hoffen, dass der Kaiman schliefe. Aber das Näherkommen des dunklen Fleckes und die sich dahinter teilende Kiellinie belehrten ihn bald, dass das furchtbare Reptil hellwach war. Beide schwammen sie zum Ufer auf den gleichen Punkt zu — der Kaiman und Bomba. Wer würde zuerst dort ankommen? Wenn ihm der Alligator den Rückweg ans Ufer abschnitt, war Bomba verloren, das wusste er.

Als Bomba Grund unter den Füßen fühlte, trennten ihn nur noch wenige Meter von dem aufgerissenen Rachen der beutegierigen Echse. Mit einem wuchtigen Stoß seiner Beine warf er sich in einer letzten Kraftanstrengung dem Ufer entgegen in das seichte Wasser. Ruckartig schnellte er auf. Jetzt waren seine Chancen in einem Kampf besser geworden. Er riss den Bogen von der Schulter und einen Pfeil aus dem Gürtel. In einer einzigen fließenden Bewegung war er Schussbereit. Der Pfeil verließ schwirrend die Sehne.

Auf dem Wasser lag der Widerschein der brennenden Hütte, und der Kopf des Alligators war ein gutes Ziel gewesen. Mitten in eines der tückischen schiefen Augen traf der Pfeil. Wie ein Delphin schnellte sich das Reptil hoch aus dem Wasser. Das Schwanzende peitschte durch die Luft und traf Bombas Bein.

Der Junge wurde wieder in den Fluss hinausgeschleudert. Seine Freude über den Sieg war jedoch im Augenblick so groß, dass er nicht auf den Schmerz achtete. Aber noch hatte der Fluss ihn nicht freigegeben. Von rechts näherte sich ein zweiter Kaiman. Wieder begann ein Wettschwimmen auf Leben und Tod. Diesmal war das Ufer jedoch näher. Als Bomba Grund spürte, rannte er durch das seichte Wasser an Land.

Auch diesmal war er keine Sekunde zu früh auf das rettende Ufer gekommen. Hinter ihm rauschte das Wasser gurgelnd auf. Dann hörte er das Zuklappen der schrecklichen Kiefer und ein böses, heiseres Bellen. Als er sich umwandte, hatte Bomba den Kopf des Alligators dicht vor sich. In ihrem Ansturm war die Bestie halb aus dem Wasser geklettert. Sie gab jedoch die Verfolgung auf. Ein Instinkt sagte ihr wohl, dass sie diese zweibeinige Beute auf dem Lande nicht erjagen konnte.

Im ersten Impuls hatte Bomba einen weiteren Pfeil auf die Sehne gelegt, doch seine Vorsicht mahnte ihn, seine Pfeile zu sparen, da er seine Geschosse wahrscheinlich nötiger brauchen würde. Eilig wandte er sich dem Buschstreifen zu, der zwischen dem Ufer und der Hütte lag.

Das brennende Blockhaus stand mitten auf einer Lichtung. Bomba war sicher, dass die Kopfjäger noch in der Nähe sein mussten, die die Hütte angezündet hatten. Sie würden aus sicheren Verstecken ihr Zerstörungswerk bewundern. Wenn Bomba jetzt über die Lichtung eilte, würde er ein gutes Ziel für ihre Pfeile sein.

Dennoch waren die Unruhe und Angst des Jungen so groß, dass er den gefährlichen Lauf wagen wollte. Er dachte an Casson und Pipina. Wären sie noch in der Hütte? Er musste versuchen, sie zu retten, koste es, was es wolle!

In vier gewaltigen Sprüngen war Bomba fünfzehn Meter weit auf die vom Feuerschein erhellte Lichtung gesprungen. Er ließ sich flach in das hohe Gras fallen. Hinter ihm bohrten sich mehrere Pfeile in den Boden. Bomba hatte also richtig vermutet. Er hatte die Zeitspanne ausgenutzt, die ihm die Verblüffung der Indianer gelassen hatte.

Ehe die Kopfjäger Zeit fanden, einen neuen Pfeil auf den Bogen zu legen, war Bomba wieder aufgesprungen und hatte im Zickzacklauf weitere fünfzehn Meter zurückgelegt. Seitlich von ihm ging der Pfeilregen nieder.

Sofort sprang Bomba auf und hetzte weiter. Doch diesmal war einer der Indianer schneller gewesen. Ein Pfeil streifte Bombas Fußknöchel, als er sich zu Boden warf. Wenn es ein Giftpfeil war, konnte das den Tod bedeuten.

Im Augenblick hatte er keine Zeit, sich um seine Verwundung zu kümmern. Vorwitzig hatte einer der Indianer seine Deckung hinter dem Buschwerk verlassen. Ein Pfeil war im Nu auf Bombas Bogen. Die Sehne straffte sich, und der Pfeil schnellte davon.

Drüben am Rande der Lichtung warf der Kopfjäger in einer grotesken Bewegung die Arme in die Luft. Er machte einen Sprung nach vorn und fiel mit einem Schrei auf das Gesicht.

Sie haben ihre Warnung, dachte Bomba. Sie wissen jetzt, dass ich schießen kann, und dass ich noch Pfeile besitze!

Bomba hatte einige Sekunden Atempause gewonnen. Er hatte jetzt eine Stelle erreicht, an der neben der Hütte niederes Buschwerk wuchs, und im Schutze dieser Sträucher kroch er weiter.

Wenn er geglaubt hatte, noch in die Hütte eindringen zu können, so musste Bomba jetzt seinen Irrtum einsehen. Heiß wehte ihm der Feueratem des Brandes entgegen. Das Blockhaus brannte lichterloh. Lebend konnte niemand mehr in der Hütte sein.

Bombas Kummer wurde für kurze Zeit so übermächtig, dass er alles ringsumher vergaß. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte er auf die lodernden Flammen, die knisternd und prasselnd das Holz der Hütte zerfraßen. Das war sein neues Heim gewesen! Auch von hier hatten ihn jetzt die Kopfjäger vertrieben. Vielleicht waren Casson und Pipina dem Brande zum Opfer gefallen. Und vielleicht würde er selbst das nächste Opfer der mordgierigen Wilden sein.

Geräusche von der anderen Seite der Lichtung erregten Bombas Aufmerksamkeit. Die Kopfjäger griffen an! Gebückt traten sie aus der Deckung und eilten auf die Lichtung hinaus. Es war ein wüster, furchteinflößender Anblick. Die dunklen Gesichter wurden vom Feuerschein erhellt. Im flackernden Licht der Flammen huschten die Gestalten mit der gelben Kriegsbemalung dahin. Sie hatten sich einen Angriffsplan zurechtgelegt. Zuerst gingen sie in Reihe vor, dann schwärmten sie im Halbkreis aus. Wenn Bomba flüchten wollte, blieb ihm nur der Rückzug zum Wasser, aber dort war er in jedem Falle verloren. Erreichten ihn nicht die Pfeile der Kopfjäger, dann wurde er eine Beute der Alligatoren.

Überall boten sich Ziele für Bombas Pfeile. Doch die Zahl der Feinde war zu groß. Bomba schätzte, dass ihn mehr als zwanzig Kopfjäger angriffen. Aber er wollte sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Er war es gewöhnt, zu kämpfen, und er würde auch diesmal bis zum letzten Atemzuge die Machete schwingen.

Sein Pfeil sauste davon. Ein Krieger griff an seine bemalte Brust und versuchte den Pfeilschaft herauszuziehen. Vergeblich! Mit einem grellen Aufschrei stürzte der Wilde zu Boden.

Die Kopfjäger stürmten vorwärts. Unwillkürlich trat Bomba näher an die Hütte heran. Sofort änderten die Krieger ihre Angriffsrichtung. Jetzt drängten sie ihn auf das brennende Blockhaus zu. Jeder andere Fluchtweg war nun abgeschnitten.

Der nächste Pfeil durchbohrte den Hals eines Wilden. Mit einem röchelnden Stöhnen sank er zusammen. Seine Gefährten kümmerten sich nicht um ihn. Sie waren jetzt bis auf zehn Meter an Bomba herangekommen. Leicht hätten sie ihn mit ihren Pfeilen niederstrecken können — aber es war ihr Ehrgeiz, den Feind lebend zu fangen. Ein toter Gegner versprach kein Marterfest.

Bomba warf den Bogen fort und zog die Machete. Kampfbereit stand er da. Sein Blick war furchtlos und kühl. Vielleicht gab es noch eine Chance für ihn. Irgendeine Unachtsamkeit der Kopfjäger konnte ihm zu Hilfe kommen. Nie durfte man sich verlorengeben, bevor der Kampf zu Ende war.

Mit einem betäubenden Triumphgeheul sprangen die Wilden vorwärts. Sie waren jetzt dicht vor Bomba. Noch einen Schritt trat der Junge zurück — und im gleichen Augenblick warf ihn der Luftdruck einer Explosion zur Seite.

Eine scharfe Detonation krachte wie ein Donnerschlag gegen Bombas Trommelfell. Im Fallen sah er noch, wie die Eingeborenen ebenfalls zu Boden geschleudert wurden. Geschosse sausten pfeifend durch die Luft.

Der erste, der seine Geistesgegenwart wiederfand, war Bomba. Er erhob sich vorsichtig auf die Knie und lächelte unwillkürlich bei dem Anblick, der sich ihm bot.

Die Indianer waren im Rückzug. Vorsichtig krochen sie davon. Diesem Zauber waren sie nicht gewachsen! Unsichtbare Hände hatten sie ergriffen und zu Boden geschleudert! Wie sollten sie sich gegen Arme wehren, die sie nicht sehen konnten? Wie das Knattern eines Maschinengewehres folgten weitere Explosionen. Eines der Geschosse musste wohl einen Kopfjäger getroffen haben. Er sprang auf und rannte in wilder Hast davon. Nun waren auch seine Gefährten nicht mehr zu halten. Sie stürzten weiter und hielten erst an, als sie den Waldrand erreicht hatten.

„Böser Zauber!“, grollte einer der Männer.

„Lufthände haben Naula ergriffen und zu Boden geschmettert!“, beteuerte ein anderer.

„Menu auch!“, rief ein dritter dazwischen.

„Alle unsere Krieger sind vom bösen Zauber zu Boden geworfen worden“, meinte der Unterhäuptling. „Das kann nur das Werk des alten Zauberers sein! Nascanora weiß, warum er ihn töten will!“

„Und der junge Zauberer ist auch noch am Leben“, schnatterte Naula erregt. „Da steht der kleine Teufel und grinst herüber!“

Der Unterhäuptling griff zornig nach Pfeil und Bogen. Doch ehe er schießen konnte, klatschte eines der geheimnisvollen Geschosse auf seine Brust. Mit einem Schmerzgeheul sprang der Unterhäuptling mindestens drei Meter rückwärts. Dann wandte er sich zur Flucht. Dieser letzte Beweis für die Zauberkräfte der Weißen war zu deutlich gewesen. Die Kopfjäger verschwanden im Urwalddickicht.

In der Hütte war der Munitionsvorrat für Bombas Revolver explodiert — das war die einfache Erklärung für den geheimnisvollen Vorgang. Diese Explosion zur rechten Zeit hatte Bomba davor bewahrt, in die Gefangenschaft der Kopfjäger zu geraten.

Doch Bomba empfand jetzt keine Freude über seine Rettung. Hinter ihm war die Hütte — brennend und schwelend — bald nur noch ein Rest verkohlter Balken. Wenn Casson tot war, so sollten ihm das die Kopfjäger büßen! Er war voller Wut und Kummer — aber er überhörte nicht die leisen Laute, die aus dem Busch an sein Ohr drangen. Was war das?

Er hob den Kopf und lauschte.

2 Handgemenge mit dem Feind

Bomba sprang auf und warf sich seitwärts in das Unterholz zurück.

Keinen Augenblick zu früh! Mit wildem Geheul sprangen die Kopfjäger vor, und ihre Speere bohrten sich an jener Stelle in den Boden, wo Bomba eben noch gekauert hatte.

Für Bomba wäre es nicht schwer gewesen, seinen Gegnern zu entkommen, wenn sie sich auf glattem Gelände bewegt hätten. An Schnelligkeit kam ihm leicht niemand gleich. Doch jetzt galt es, sich den Weg durch dichtes Unterholz zu bahnen. In diesem Falle waren die Verfolger im Vorteil. Sie hörten den Fliehenden vor sich, und sie konnten den Pfad benutzen, den er sich mühsam bahnen und schlagen musste.

Bomba hatte deshalb die Fluchttaktik der leichtfüßigen Rehe mit der Gewandtheit der Baumbewohner zu vereinigen. Weite und lange Sprünge trugen den Dschungelboy über das niedere Gebüsch hinweg. Er federte sich mit der Kraft seiner schlanken Beine vom Boden ab, und seine Füße streiften über Knüppelholz und Dornenbüsche hinweg.

An einer herunterhängenden kräftigen Liane schwang er sich über einen Wassertümpel. Hinter sich hörte er Platschen, Rufe und Fluchen. Einen Augenblick lang öffneten sich Bombas Lippen, und beim Lächeln zeigten sich zwei schimmernd-weiße Zahnreihen. Für kurze Zeit war es ihm gelungen, seine Verfolger abzuschütteln. Sie hatten den Tümpel in der Hast nicht rechtzeitig gesehen, und waren hineingestolpert. Ehe sie sich aufrafften und aus dem Hindernis herausarbeiteten, hatte der Junge wertvolle Minuten gewonnen.

Stolz und Genugtuung erfüllten ihn. Nun hatte er bereits zwei Trupps der Kopfjäger hinter sich gelassen. Er hoffte für kurze Zeit, dass er keinem weiteren Feind begegnen würde, doch diese Hoffnung sollte sich als trügerisch erweisen.

Plötzlich erklang vor Bomba ein Chor von wilden Schreien. Es waren Signale, die hinter seinem Rücken beantwortet wurden. Er war also hinten und vorn von Feinden umgeben. Der Rückzug war ihm abgeschnitten, und vor ihm lauerte die Hauptmasse seiner Gegner.

Für den Augenblick gab es nur die Flucht nach oben. Mit einem Panthersprung hatte Bomba den untersten Ast eines hohen Baumes ergriffen. Er schwang sich hinauf und in wenigen Sekunden war die dunkle Gestalt des Dschungeljungen im Gezweig verschwunden. Zehen und Finger fanden auch im Dunkeln den geringen Halt, den Bomba brauchte, um nicht hinabzustürzen.

Hoch im Wipfel glitt er auf einen Ast hinaus und legte sich so nieder, dass er im Lichtschein eines Blitzes die Umgebung am Boden beobachten konnte. Er brauchte nicht lange zu warten. Bald hörte er das Knacken von Ästen und das dumpfe Geräusch von laufenden Füßen. Ein Dutzend Indianer eilten unter seinem Baum vorüber. Sie trafen mit den drei Kriegern zusammen, die Bomba verfolgt hatten.

Im Rauschen des Sturmes vermochte er kein Wort zu verstehen, aber er konnte sich denken, dass Wut und Enttäuschung im aufgeregten Palaver der Kopfjäger zum Ausdruck kamen. Eine Weile lang war der Stimmenwirrwar zu hören. Dann entfernten sich die Laute.

Von neuem wurde Bomba enttäuscht. Zwei Blitzkaskaden tauchten dicht hintereinander die Landschaft in magisches Licht. Dabei entdeckte Bombas scharfes Auge einige Gestalten, die sich dicht an den Stamm eines nahen Baumes pressten. Diesen Spähtrupp hatten die Krieger zurückgelassen, um ihm aufzulauern.

Bomba lächelte grimmig. Gute Zeit zum Warten, dachte er. Doch seine Überlegungen wurden jäh unterbrochen von einem fahlen Blitzschlag mit sofort folgendem harten, trockenen Knall. Dann ließ ein schmetternder Donner den Boden erbeben.

Der hohe Baum, unter dem die Indianer standen, war vom Blitz getroffen worden. Der mächtige Stamm schwankte — dann senkte er sich mit majestätischer Langsamkeit und krachte zwischen den anderen Bäumen nieder. Wie von einem Erdstoß wurde der Boden erschüttert, als der riesige Baum aufschlug und die Äste mit großem Getöse zerbarsten.

Dem Fall des Urwaldriesen folgte ein grauenerregender Schrei. Bomba preßte die Lippen aufeinander. Es war nicht der Augenblick, um sich zu freuen. Trotzdem erfüllte ihn eine grimmige Genugtuung. Jemand, der stärker war als er, hatte ihm in dem Kampf gegen seine mörderischen Feinde beigestanden.