Corinna Griesbach (Hrsg.)

DIE ZUKUNFT

und andere verlassene Orte

Ein HALLER-Buch

 

 

Außer der Reihe 45

 


Corinna Griesbach (Hrsg.)

DIE ZUKUNFT

und andere verlassene Orte

Ein HALLER-Buch

 

Außer der Reihe 45

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© dieser Ausgabe: Juli 2020

p.machinery Michael Haitel

 

Titelbild: Sebastian Schwarz

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat: Corinna Griesbach

Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

 

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

 

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 197 6

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 889 0

 


In diesem E-Book sind Fotografien von Sebastian Schwarz enthalten. Sie wurden vierfarbig und in Originalgröße eingefügt, werden jedoch aus technischen Gründen in einem E-Book-Reader nur in ganz besonderen Ausnahmefällen – der E-Book-Reader ist DIN-A5-formatig oder größer; er kann Vierfarbfotos darstellen – ihre volle Wirkung entfalten. Wer neben den Geschichten auch Wert auf die Fotos legt, wird um den Kauf des gedruckten Buches nicht herumkommen. Das Buch kann im Buchhandel, im Internet oder direkt beim Verlag erworben werden. Wer direkt beim Verlag bestellt und nachweist, dass er das E-Book gekauft hat, bekommt das gedruckte Buch von uns mit 20 % Rabatt geliefert.

 


Fotograf: Sebastian Schwarz

 


Vorwort | Corinna Griesbach

 

Im Jahr 2012 erschien die Literaturzeitschrift HALLER mit der Ausgabe 7 und dem Titel »Verlassene Orte«. Im gleichen Jahr erschien »Verlassene Orte. Ein HALLER-Taschenbuch« in der Reihe »Außer der Reihe« im Verlag p.machinery. Die Zeitschrift und das Taschenbuch zeigten Bilder aus der Lost-Places-Reihe des Aachener Fotografen Sebastian Schwarz.

Nun, acht Jahre später, freue ich mich, ein weiteres HALLER-Buch »außer der Reihe« herausgeben zu können, das sich den »verlassenen Orten« widmet, Orte auf dieser Welt, in anderen Welten, in uns und ganz nah bei uns.

Das vom Verlag gewählte Format (das nicht das gewohnte Format des HALLER ist und auch einem Taschenbuch nicht ähnlich sieht) wird den Bildern von Sebastian Schwarz in besonderer Weise gerecht. Hier stehen seine Bilder mehr als zuvor gleichberechtigt den Geschichten gegenüber.

Die neuen »verlassenen Orte« finden sich wiederum »außer der Reihe« in zwei Büchern voll Geschichten – ich mache es kurz und lade Sie zum Lesen und Schauen ein:

 

»Das Nirgendwo ist ein riesiger Parkplatz neben den Ruinen eines nie fertiggestellten Gewerbegebietes.«

Manfred Lafrentz

 

Corinna Griesbach

Monschau, Frühjahr 2020

 


Hamburg | Dieter Steinhäuser

 

Ja, nun stehe ich nach dreißig Jahren wieder hier. Hier in meiner Heimatstadt Hamburg.

Die Elbe, grau und schmutzig wie immer, sie riecht immer noch nach Ferne und Teer. Ich habe diesen Geruch immer gemocht und vermisst. Sie plätschert leise, und wenn große Pötte vorbeifahren, auch viel lauter, an die Schwimmpontons. Hier an den Landungsbrücken. Die Pontons, auf denen ich stehe und von denen aus ich in die Ferne schaue, sind immer noch grau und schaukeln langsam gemütlich hin und her. Genauso wie vor dreißig Jahren, als ich das letzte Mal hier stand.

Eigentlich wollte ich nicht wieder herkommen. Niemals, das hatte ich mir damals geschworen. Es waren sehr persönliche Gründe, die mich dazu bewogen. Aber nun bin ich wieder da, weil ich nicht anders kann. Der Tod nimmt auf Schwüre und Versprechen keine Rücksicht. Wenn der Vater stirbt, dann muss man all seine Aussagen vergessen und kommen, ob man will oder nicht. Vor allem wenn die Mutter noch da ist, alleine dasteht, Hilfe und Trost braucht, und völlig unselbstständig gehalten wurde. Von ihm. Nichts durfte sie, alles wurde ihr vorgeschrieben und von ihm gemacht, abgenommen.

Und nun steht sie da und weiß nicht weiter. Was für eine Grausamkeit von ihm.

Und meine Schwester Iris? Die lebt und arbeitet in Köln als Produktionsleiterin beim Fernsehen, konnte mal wieder nicht weg. Eine große Produktion steht an, sagte sie. Da brauchen sie mich, unbedingt.

So bin ich nun allein dran. Wie in den vergangenen Jahren immer wieder. Den Kontakt mit meinem früheren Zuhause, mit meiner Mutter und das Wiedersehen, will ich, wenn es geht, so lange wie möglich hinausschieben. Morgen ist früh genug.

Erst mal ins Hotel, dann Abendessen irgendwo. Dann telefoniere ich mit ihr und sage ihr, dass ich da bin.

 

Der Wind hat hier am Hafen aufgefrischt, ist wie immer stark, stärker als in anderen Städten und durchsetzt mit leichten Regentropfen. Das typische Hamburger Schmuddelwetter zur Begrüßung. Und kalt ist es geworden. Ich ziehe fröstelnd meinen Schal fester um meinen Hals. Bin diese durch alle Kleider gehende Kühle nicht mehr gewohnt.

Bevor ich gehe, schaue ich nochmals nach links und rechts über den Fluss, der träge an mir vorüberfließt. Heute nur leichte Dünung, mehr nicht. Ich will mir alles einprägen, das neue Hamburg. Links die neue Elbphilharmonie, die über allem protzig und glänzend ragt. Sieht sehr kostspielig aus, was sie auch ist. Gelesen habe ich immer darüber. Im Vordergrund davor liegt die Cap San Diego, das Museumsschiff, dann die vielen kleinen Barkassen, die im Sommer die vielen Touristen durch den Hafen schippern. Jetzt liegen sie ruhig an ihren Plätzen und warten auf schöneres Wetter. Und ganz nahe vor mir der grüne Segler Rickmer Rickmers. Schön sieht das aus. Ich fühle mich fast wieder wie zuhause.

Gegenüber auf der anderen Flussseite haben sie zwei neue Theater gebaut. Genau geradeaus. Sie sind hell beleuchtet. Hamburg hat ja viele Musicals. Hier sind sie. Dafür habe ich mich nie interessiert. Und bei meinem Blick in die andere Richtung bleibt er an den großen Kränen hängen, die sich hoch hinter der Werft Blohm und Voss im Vordergrund am Horizont in Reih und Glied aufgestellt haben. Hamburg ist fleißig. Ganz weit hinten, fast da, wo die Elbe schon in die Nordsee mündet, sehe ich noch ein großes rotes Haus hervorragen, eine Senioreneinrichtung für betuchte Leute. Mein Herz klopft laut und ich bin berührt, ob ich will oder nicht.

 

Dann wende ich mich ab, betrete vorsichtig die stark befahrene Straße vor der U-Bahn-Station. Ich suche ein Taxi. Es dauert auch nicht lange, dann sitze ich in einem Wagen. Ein Türke fährt mich. Ich sage mein Ziel und los geht die Fahrt. Ich fahre durch ein inzwischen dunkler werdendes Hamburg. Vieles erkenne ich nicht wieder, neue Gebäude und Häuser, anderes wiederum ist noch genauso, wie ich es noch kenne. Alles ist hell erleuchtet. Die Fahrt dauert nicht lange. Ich bezahle und trete in eine neue Welt.

Hauptbahnhof. Oh, was für ein Treiben. Was für ein Krach. Menschen hasten mit und ohne Koffer hin und her und wollen zu ihren Zügen.

Heute früh bin ich hier mit dem Zug angekommen und war völlig irritiert. Alles war anders. Ladenpassagen, in denen Menschenmassen strömten. Ich war völlig erschlagen ob dieses Chaos. Die vielen Menschen, die hin und her liefen. Ich wurde nervös. Erst als ich nachfragte, fand ich zu meinem Hotel. Es liegt genau gegenüber des Bahnhofs. Ich habe nur mein Gepäck abgestellt. Das Zimmer war noch nicht frei. Und dann wieder los, sehen, was ich zurückgelassen habe.

Meine Stadt.

 

Und jetzt: Jetzt nehme ich mein Zimmer in Beschlag. Etwas aufgewühlt schließe ich leise die Zimmertür hinter mir. Endlich allein. Nur schnell frisch machen und dann etwas essen gehen. Als ich eben aus dem Taxi stieg, habe ich unten ein bekanntes Steakhaus gesehen, da werde ich hingehen. Mein Magen macht sich kurz bemerkbar. Es wird Zeit. Der Hunger.

Plötzlich klingelt mein Handy. Als ich auf das Display schaue, sehe ich, dass es meine Mutter ist.

»Lucas, ich bin’s. Wann kommst du? Oder bist du schon in Hamburg?«

Was soll ich ihr nun antworten?!

»Heute nicht, ich komme morgen!«

 


Der Turm | Ralph Bruse

 

Weit fliegt der Blick – weit ins windgekämmte Land. Das wogende Gras schimmert dunkelblau. Hier der Deich, der fast schnurgerade zum Himmel führt. Da hinten Salzwiesen, die allein den Seevögeln gehören. Und dann nichts mehr, außer einem Fetzen ruhenden Meeres.

Ebbe.

Die Flut – wo bleibt die Flut? Irgendwann wird sie schon kommen – stumm, unmerklich, und mit ihr fahren die Fischer nach Hause zurück. Doch jetzt herrscht große Stille.

Ein Tag im August. Der Wind wartet auf die Stunde seines Erwachens. Die Sonne brannte auch schon mal stärker.

Da oben, auf dem Deich, schiebt jemand sein Fahrrad.

Ein Mann?

Ja, es ist ein Mann, so um die dreißig, vielleicht auch älter.

Was treibt er da oben?

Was soll er schon treiben. Nichts – er lässt sich treiben – spaziert, weil er keine Eile hat. Vielleicht weiß er demzufolge auch nicht, wohin er will.

Zur Landseite hin erhebt sich ein Turm. Die Einheimischen nennen ihn Ochsenturm, weil er schief dasteht, wie ein krummer Finger, der immer noch standhaft jedem Sturm trotzt – stur wie ein Ochse eben.

Der Turm ist die einzige Erhebung weit und breit.

Wer will es dem Fremden verübeln, dass er sich wieder aufs Rad schwingt, deichabwärts saust, eine Schar Schwalben im Rücken, Richtung Turm. Auf ihn!, ruft er dem Wind zu.

Die Fahrt wird immer schneller. Zwei Schwalben kreuzen übermütig seinen Weg, lassen ihn vor, überholen, zisch, wenden, um das Spiel zu wiederholen. Der Mann jubelt im Rausch der rasanten Fahrt; nur leider vertreibt sein Jubeln schließlich die Schwalben. Nicht so schlimm, denn der Turm kommt näher, wird größer, beinah erschreckend groß, und dann verstellt der »krumme Finger« ihm den Weg. Da, wo dieses Ungetüm von einem Turm aufsteigt, ist der Weg zu Ende, und der Mann erwischt sich bei dem Gedanken, dass hier gar das Ende der Welt sein muss, was ja beinah auch stimmt, weil die Gegend augenscheinlich an großer Einsamkeit stirbt.

Er überlegt schon, ob er umkehren soll – da sieht er eine junge, in sich vertiefte Frau, die zu Füßen des Turms das Grab ihrer Verstorbenen pflegt. Zögernd geht er näher. Dann kann er sehen, dass hangabwärts, unweit der Frau, weitere Grabsteine aufragen. Die Steine sind brüchig; ihre Inschriften zum Teil unlesbar.

 

Auf Friedhöfen zu wandeln ist sicher nicht jedermanns Sache. Aber hier, an diesem vergessenen Ort, fern jeder Siedlung, abseits von Lärm und Zänkereien, der Selbstfindung ganz nah – da läuft man nicht einfach so weg, nur weil man ein Fremder ist. Die Stille schlingert um den Turm, wacht über bleiche Gräber, raunt vom Himmel und in Wiesen. Stumme Engel schweigen auf moosigen Gräbern. Manche sind weiß; die Mehrheit aber ist grau, rissig, ohne Arme und Köpfe, die der stramme Seewind wegriss.

So, oder so – jeder Stein würde seine Geschichte erzählen, ließe man sie nur. Jan Braase, zum Beispiel … der ruht unter einem grob gemeißelten Speckstein, gleich neben der Turmmauer. Er war Wärter – der Wächter des Turms. Achtzig ist er geworden. Von diesen achtzig Jahren war er keinen Tag weniger in diesem Turm. Braase war hier Kind, Junge, Mann, Vater, Großvater. Als er starb, weinten viele um ihn.

Die Frau an seinem Grab wischt sich Tränen vom Gesicht.

Jetzt wirft sie den Kopf herum, weil die knirschenden Schritte des Fremden nicht mehr zu überhören sind.

Guten Tag, sagt der Mann ruhig, in der Hoffnung, sie wird ihr jähes Erschrecken recht schnell bezwingen. Er zögert, weil er den noch abweisenden Blick ihrer Augen erkennt. Doch dann stapft er einfach noch näher und reicht ihr wohlgesonnen die Hand. Sie reibt ihre Hand zwar kurz an seiner, sagt aber nichts. Dass sie ihm – immerhin – nicht gänzlich misstraut, deutet er als gutes Zeichen.

Sie widmet sich wieder ihrer Arbeit.

Der Mann wirkt eher froh als betrübt. Hier, in der Einöde, ist ihm auch nicht sonderlich nach Reden zumute. Also tritt er langsam den Rückzug an, verabschiedet sich, schnappt nach dem Fahrrad an der Mauer, will gerade das Weite suchen, als sich der Himmel urplötzlich schwärzt und Gewitterblitze aufs Land niederkrachen. Schon fallen dicke Regentropfen. Der Wind erwacht. Schwalben fliehen ans Ufer, bestürmen das sichere Turmdach. Möwen schreien. Wiesen rauschen. Mauern ächzen. Und die zwei Menschen – was tun sie? Sie reißen fast gleichzeitig die schwere Turmtür auf, retten, schütteln sich – schütteln sich wie nasse Hunde, kichern, und die ersten, scheuen Worte hallen gespenstisch von den hohen Mauern wider. Zarte Vertrautheit legt unsichtbare Arme um sie. Sie reden, lächeln mitunter, sprechen langsam, vertieft, unerklärliche Traurigkeit in den Stimmen – es ist ein Wechselspiel von Heiterkeit und Melancholie.

Erst als eine kurze Pause eintritt, steigen sie die knarrigen Holzstufen zur Turmspitze hoch. Die Frau vorneweg, der Mann schnaufend dahinter. Ihm ist das nasse, wurmstichige Holz nicht geheuer.

 

Die Frau lacht jetzt. Ihm ist nicht danach. Erst als sie zusammen auf der wackelnden Empore des Turms stehen – dreiundachtzig Meter über den Gräbern –, müht sich ein Lächeln in seinen Mundwinkeln.

Der Turm stöhnt unter der Wucht des schweren Regens. Einmal glauben sie sogar, lose Backsteine in die Tiefe krachen zu hören. Oder war es nur die tosende Brandung, ein übermächtiges Grollen, das haltlos an Land stürmt?

Während sie – genau wie die Schwalben unterm Turmdach – dicht aneinander gedrängt ihre Blicke in die regenschwere Ferne schweifen lassen, sagt sie mehr zu sich: Ich bin oft hier. Eigentlich war ich nie weg, von hier …

Erzählen Sie mir davon, bittet er.

Sie schweigt – aber nicht sehr lange.

Dieser Raum war mein Zimmer.

Sie zeigt zur Seeseite hin.

Hier, genau hier, wo wir jetzt stehn, saß Vater auf Wache … Tagein, tagaus. Ich erinnre mich nicht, ihn je an einem andern Platz gesehn zu haben. Manchmal ist er eingenickt, aber meist war er hellwach. Dann hat er mir Geschichten von früher erzählt, als er selbst ein kleiner Junge war. Mein Aussichtszimmer war ja auch schon seins. Er war ganz stolz, dass es ihm allein gehörte. Sein ganzer Reichtum, wie er sagte.

In seinen Geschichten ging es immer um vorbeifahrende Schiffe, um Winde, Gezeiten. Er wurde es nie leid – und ich auch nicht. Wenn Mutter die weißblaue Bettwäsche zum Turmfenster raushängte, dann wusste jeder im Umkreis, dass in der letzten Nacht wieder ein Schiff im Sturm gesunken war.

Vater war ein wortkarger Mann, was auch nicht weiter verwundert, wenn man unaufhörlich zu tun hat, Schiffen mit Leuchtfeuern den Weg zu weisen. Wenn trotz menschenmöglichster Wachsamkeit dennoch ein Schiff sank, dann wurde Vater gänzlich stumm; aß, trank nichts; schob alle Schuld auf sich.

Von Zweifeln zerrissen, blieb er einfach hier sitzen, starrte abwesend vor sich hin, ließ keinen zu sich – Stunde um Stunde; manchmal für Tage.

Sie stockte; atmete tief ein und aus.

Irgendwann sprach er überhaupt kein Wort mehr, oder allerhöchstens noch mit sich selbst. Er wurde krank. Mutter hängte nun jeden Tag das Bettzeug zum Fenster raus, was soviel bedeutete, wie: Einem Familienangehörigen geht es sehr schlecht … Nach und nach kamen sie alle, die weit verstreut lebenden Leute aus der Gegend. Alle wünschten ihm ehrlichen Herzens baldige Genesung. Aber in ihren Augen konnte man lesen, dass sie Abschied von dem alten Herrn nahmen. Sie gingen davon, und kurz darauf starb Vater.

 

Sie bebte; stampfte sich die Trauer aus dem Leib.

Hier ist er gestorben. Hier, wo wir jetzt sind!

Das wütende Stampfen ihrer Beine wollte nicht enden.

Da unten sind alle begraben. Vater, Mutter, und … und … und … all die namenlosen Seeleute, beeilte sie sich zu sagen.

Unendlich mutlos hielt sie inne. Ihre Tränen brachen in kleinen Bächen hervor. Der Mann zog sie an sich – sanft, ganz behutsam.

 

Das Gewitter verzog sich.

Die dampfende Luft klarte auf.

Zeit zu gehen. Er hätte ihr gern noch etwas Aufmunterndes gesagt, doch sein Kopf war so schwer vom Erzählten, dass er nur mitfühlend hinabsank, in ihr Haar; in das feuchte, nach Seetang riechende Haar.

Einige Minuten vergingen noch. Sie lösten sich voneinander, stiegen schweigend die Stufen hinab. Unten angekommen sah er linker Hand zur Außentür eine in die Wand eingelassene Schrifttafel, die ihm vorhin nicht aufgefallen war. Er las:

 

Hier lebte einst die Familie Braase. In einer Winternacht des Jahres 1962 löschte der geisteskrank gewordene Jan Braase gewaltsam das Leben seiner Frau, seines Kindes und schließlich sein eigenes Leben, durch den Sturz vom Turmdach, aus.

Erst Wochen später fanden Bauern aus der weiteren Umgebung die nackten Gebeine der beiden Alten.

Die Gebeine des Kindes jedoch blieben bis heute unauffindbar.

 

Darunter der nüchterne Hinweis:

 

Trotz der tragischen Umstände soll dieser Turm als Aussichtspunkt erhalten bleiben. Für fortlaufende Instandsetzungsmaßnahmen benötigen wir auch Ihre Spende.

Das Bürgermeisteramt in Vietow

 

Der Mann spürte deutlich das beginnende Zittern seiner Glieder. Er starrte die Wand an – ungläubig, verwirrt, griff nach der zarten Hand, neben sich.

Doch er griff ins Leere.

Er sah die Frau davonrennen.

Sein Rufen half nicht.

Müde vor Kummer fuhr auch er davon.

 

Am nächsten Tag kam er wieder. Auch am übernächsten. Aber der Turm war verwaist. Unermüdlich suchte er wieder und wieder den verlassenen Ort auf.

Nichts. Keine Menschenseele ließ sich blicken; erst recht keine junge Frau, die in seiner Erinnerung so schön war und unglücklich, dass er schließlich selbst tieftraurig wurde. Dermaßen bedrückt und bald auch ohne jede Lebensfreude, bestieg er am Tag der Abreise den Turm, um sich hinunterzustürzen.

Da vernahm er hinter sich ein leises Wispern – nein, ein Kichern, wie er es schon einmal gehört hatte …

Das war ihr Kichern!

Sein Kopf flog herum.

Sie war nicht da.

Die Traurigkeit packte noch härter zu.

Er trat auf die Empore.

Noch einen Schritt.

Da war der Himmel – zum Greifen nah. Und unten, der Friedhof.

 

Er entschied sich für den Himmel, rannte die Treppen runter – zwei, drei Stufen auf einmal, aufs Rad, jagte ihr nach – von Schwalben flankiert, durch den Wind, jeden Sturm – ihr hinterher!

Er sah sich fliegen, lachte hell, rief, schrie – bis er sie – und sich selbst am Horizont erkannte. Und plötzlich weiß er, dass er nicht abreisen wird. Nie mehr!

 


Fotograf: Sebastian Schwarz

 


Das dicke Ende der Maiburger Würste | Bodo Rudolf

 

Von der alten Stadt Maiburg an der Ach zeugen verfallene Mauern, auf dem einstigen Marktplatz sprießt Löwenzahn zwischen den Pflastersteinen und in den Ruinen des Rathauses modert der Pilz. Das Flüsschen Ach floss einst durch eine fleißige Stadt, an beiden Ufern lebten rechtschaffene Leute, und so emsig, wie sie schafften, aßen sie auch – Berge von Wurst vertilgten die Maiburger. Und weil all die links- und rechtsachischen Bürger nichts mehr fürchteten als einen wurstlosen Tag, errichteten sie eine Wurstfabrik auf dem Gelände des städtischen Schlachthofes.

 

»Katharina’s Grill« am Markt war einer der großen Abnehmer der Wurstfabrik; von morgens bis spät am Abend hing der Duft gebratener Köstlichkeiten über dem Platz und stieg in die Nasen der Passanten. Der eilige Gast ließ sich die Wurst in die Semmel klemmen, beißfaulen Gourmets und Freunden fernöstlicher Küche schnippelte Katharina mundfertige Happen in Pappschälchen, über die sich aus einer Plastikflasche rülpsend eine grützrote Tunke ergoss. Die Liebe zu gebratener und gesottener, gerauchter und roher, kalter und heißer Wurst einte die Maiburger Gesellschaft in kulinarischer Harmonie.

»Vor der Currywurst sind alle gleich!«, sagten die Bürger. Bis zu den wunderlichen Ereignissen, von denen nun die Rede sein wird.

 

Es geschah an einem späten Samstagvormittag. Um einen der Stehtische hatte sich wie jeden Wochentag ein Freundeskreis rüstiger Rentner versammelt. Der zweite Tisch war von Wochenmarktbesuchern umringt. Ihre gefüllten Taschen und Körbe verstauten sie unter den Tischen und freuten sich auf eine Bratwurst mit Senf und eine Büchse Bier. Kaum hatten die Gäste in ihre Wurst gebissen, verspürten sie ein Zwicken in den Rippen und ein Kneifen in der Brust, ein Ziehen im Nacken und ein Zwacken in den Gedärmen, leise knisterte es in den Ohren, ganz maria-magdalenisch wurde es den Leuten zumute. Verwundert gaben sie dem eiskalten Bier die Schuld, dann aber schrumpften ihre Taillen, die Haut straffte sich über den Bäuchen und Backen und Wangen, ganz zum Vorteil einiger. Die willkommene Verjüngung währte jedoch nur kurz. Mit einem Geräusch, als entweiche ein letztes Quäntchen Luft aus einem Luftballon, hatten sich Katharinas Grillbesucher selbst in Würste verwandelt, in Würste mit Armen und Beinen, Händen mit Wurstfingern, dicken Hälsen und Köpfen. Hochnotpeinlich berührt standen sie nun Wurst an Wurst, blickten betreten gen Himmel und machten sich nach einer Weile wortlos auf den Heimweg. Ob des gespenstischen Anblicks wandelnder Würste leerte sich der Marktplatz im Nu.

Alle noch unverwursteten Maiburger und Maiburgerinnen ereilte am Abend, sei es zu Hause vor den leergeputzten Hausmacherplatten, sei es im Restaurant bei der Metzelsuppe, ausnahmslos dasselbe Geschick. In den Wohnungen der Hundehalter kam es augenblicklich zu mörderischen Kämpfen. Mit Mühe, Not und Glück gelang es Herrchen und Frauchen, ihre geifernden Lieblinge auszusperren. Vielstimmiges Hundegeheul erfüllte die erste Nacht der Maiburger Verwurstung, unbedarfte Nachtschwärmer verschwanden spurlos.

Sonntagfrüh wurden zweiunddreißig gutgläubige Kirchgänger ungeachtet der nächtlichen Kakofonie – »ach, die wollen doch nur spielen« – von den herrenlosen Bernhardinern, Doggen, Schnauzern und Terriern angefallen und aufgefressen. Einige Unglückliche ereilte das Schicksal vor dem Besuch des Gottesdienstes, andere, wohlversehen mit dem Segen, danach.

Die ob des Massakers alarmierte Polizei, nunmehr Landjäger, wusste sich nicht anders zu helfen, als in die mittelalterliche Asservatenkammer derer von Maiburg einzudringen und sich in die Ritterrüstungen zu zwängen. Mithilfe der Hellebarden und Morgensterne gelang es, die Tiere, einschließlich einiger Katzen, aus der Stadt zu treiben. Die Stadttore wurden geschlossen.

Montagfrüh eilten einige mutige Bürger ins Rathaus und erhielten von der Obrigkeit die Empfehlung, Ruhe zu bewahren, im Großen Sitzungssaal tage bereits der Rat, Experten seien geladen, sich zu der Sache zu äußern. Die Bürger waren beruhigt und ließen sich auf den Zuschauerbänken nieder.

Nun hatte sich ja im Maiburger Stadtrat übers Wochenende im politischen Sinne nichts geändert, die Zungenwürste hatten das Sagen und gemeinsam mit den Sülzwürsten die Mehrheit, auf den Oppositionsbänken saßen zwei Rotwürste, ein weißer Schwartenmagen, eine Leberwurst, ein Saurer Zipfel und eine tätowierte Blutwurst.

Zunächst befragte der Rat den bekannten Maiburger Arzt Doktor Boudin. Der Internist erklärte, er habe seine Patienten schon immer eindringlich vor der wurstlastigen Ernährung gewarnt und mediterrane Küche empfohlen. Für den Doktor war die Sache klar: »Die Gründe für die Verwurstung liegen auf der Hand. Körperzellen altern, schrumpfen und gehen den Weg alles Irdischen. Würden die Zellen nicht umgehend ersetzt, schnurrte der Körper in sich zusammen, übrig blieben nur Haut und Knochen. Durch die Nahrung nehmen wir jedoch stets frische Zellen zu uns, in unserem Falle Fleisch, Fett, Zwiebeln und verschiedene Gewürze. Die Innereien sorgen für den Stoffwechsel – neu gegen alt –, als Trägerflüssigkeit dienen Wasser, Bier oder trockene Weine. Ein Späßchen, meine Damen und Herren.«

Niemand lachte.

»Sind die Zellen mehrheitlich ausgetauscht«, führte Doktor Boudin weiter aus, »erreicht der Körper einen kritischen Zustand. Ein Scheibchen Schinkenwurst, ein Fitzelchen Krakauer genügen«, der Doktor spitzte den Mund, »und es macht ›fffft‹, fertig ist die Wurst.«

»Alle am selben Tag?«, zweifelte eine Zungenwurst.

»Zufall«, sagte der Doktor. »Übrigens, es hätte auch schlimmer kommen können. Stellen Sie sich vor, wir hätten uns nur von Kartoffeln ernährt!«

Die Räte fragten sich insgeheim, warum der gute Doktor seine eigenen Ratschläge missachtet hatte, dankten und wandten sich dem gerade erschienenen Literaturwissenschaftler Professor Doktor Aimerling von der Universität Maiburg zu.

 

Der Professor – mit wurstrelevanten Fragen bis dato nur in der Mensa befasst, immer donnerstags – warnte vor Panikmache. In seiner Wissenschaft seien Verwandlungen aller Art an der Tagesordnung und in der Fachliteratur zuhauf beschrieben: »Frösche und Kröten steigen durch einen Kuss in den menschlichen Hochadel auf. Menschen wachen des Morgens verkatert auf und neben ihnen liegt ein fremder Käfer. Oder sie sind selbst der Käfer.«

Über die unzähligen Metamorphosen in der Mythologie – Gottheit zu Tier, um nur ein Beispiel zu nennen – biete er aus dem gegebenen Anlass eine Vorlesungsreihe an, sagte Professor Aimerling, falls Interesse bestehe …

»Verehrter Professor«, unterbrach ihn der Saure Zipfel, »kennen Sie auch Fälle, bei denen sich Würste in Menschen zurückverwandelten?«

»Nein«, sagte der Professor, wegen der unbotmäßigen Unterbrechung indigniert, von reversiblen Würsten habe er noch nie gehört, und fuhr fort: »Die einschlägige Fachliteratur berichtet ferner von sieben Knaben, die als Raben zum Fenster hinausflogen und von einem wilden Bären, der sich in einen schönen Mann verwandelte, ganz in Gold gekleidet. All dies ist von gescheiten Leuten hundertfach bezeugt und in klugen Büchern nachzulesen. Wer sind wir, dass wir Gedrucktes anzweifeln? Apropos Wurst«, schloss der Professor, »meine geschätzten Vorgänger Wilhelm und Jacob Grimm berichteten einst ›Von dem Mäuschen, Vögelchen und der Bratwurst‹. Alle drei fanden ein schreckliches Ende, die Bratwurst durch einen Hund. Konnte ich Ihnen nicht ersparen, aber zweifelsfrei handelt es sich hierbei um ein Märchen.«

Man hatte keine weiteren Fragen, danke.

Die Mittagspause nahte, aber vor Salatbüffet und eilig beschafften Grünkernbratlingen stand noch die Befragung der Biologielehrerin des Maiburger Gymnasiums im Raum. Eine freudestrahlende Oberstudienrätin stellte sich vor – Doktor Melanie Broeslein –, sie habe über den Mutationismus promoviert, derselbe sei eine anerkannte Evolutionstheorie, bei der diskontinuierliche Mutationen die ausschlaggebende Rolle spielten. Die synthetische Evolutionstheorie sei umstritten, ja, ja, ja, wehrte sie ab, obwohl keiner der Anwesenden einen Muckser gemacht hatte. Das hiesige Ereignis – sie bezeichnete es als die »Maiburger Wurstung« – biete ihr persönlich die Chance, buchstäblich in eigener Sache zu forschen, da sei sie sozusagen in ihrem Element. In ihrer Begeisterung verlor Doktor Broeslein den Faden und verdarb mit ihren zoologischen Auslassungen über Verpuppungen und Larven, Häutungen, Kaulquappen, gefräßige Engerlinge und Maikäfer allen Anwesenden gründlich den Appetit.

»Nein«, bestätigte auch sie auf Anfrage, »dies sind keine umkehrbaren Vorgänge, aus einem Schmetterling wird nun mal keine Raupe mehr.«

 

Für den folgenden Tag erhofften sich die Räte – von der Ernährungstheorie des Doktors Boudin nicht gänzlich überzeugt – Klärung über die eigentliche Ursache der Wurstwandlung, die Wurstfabrik sollte angehört werden.

Der Leiter der Forschungsabteilung, ein verstörter Lebensmitteltechnologe, sprach im Namen der Geschäftsleitung sein Bedauern über die Ereignisse aus. Die Wurstproduktion habe man aus ethischen Gründen und des eingebrochenen Absatzes wegen selbstredend sofort gestoppt und die Belegschaft vorsorglich freigestellt. Ein Zusammenhang der Verwurstung Maiburgs mit den Erzeugnissen seines Unternehmens könne er kategorisch ausschließen, seiner Firma sei es immer nur um die gesunde Wurst gegangen, nur auf Herz und Nieren geprüfte Rohstoffe und Zutaten seien zur Verwendung gekommen, auch die kürzlich entwickelte, zeitgemäß genfreundliche Turbowurst sei vor ihrer Markteinführung intensiven Versuchsreihen und strengsten Tests unterworfen worden.

Die Leberwurst rief: »Da haben wir es – Turbowurst, Genwurst, Turbo-Genwurst!«

Der Saure Zipfel sprang auf: »Wir sind vergiftet worden!«

Mit dem Ausruf »Verbrecher« sackte er auf seinen Ratsstuhl zurück. Der Bürgermeister schenkte dem schluchzenden Kollegen ein Kirschwässerchen ein.

 

Die Auslassungen der Schlachthofleitung ergaben ebenfalls keine verwertbaren Erkenntnisse – der zuständige Veterinär versicherte, alle Schweine und Rinder seien auf ihren eigenen vier Beinen in den Hof gelaufen, gesund, aus nachhaltig behüteter und artgerechter Aufzucht, das Fleisch kontrolliere und zertifiziere er selber.

Damit war die Sitzung geschlossen. Zwar hatten die Stadträtinnen und Stadträte ihr Wissen beträchtlich erweitert, waren aber nicht klüger als zuvor.

»Das Leben geht weiter«, sagte der ratlose Bürgermeister unwidersprochen, Nahrungsmittelvorräte habe die Stadt für Monate.

Die Wachen an den Stadttoren wurden verstärkt. Maiburg war fortan von der Welt abgeschnitten, wie die Stadt Oran in den Zeiten der Pest.

Indes kehrte der Alltag in die Stadt zurück. Die vollfetten Würste machten weiterhin gute Geschäfte, vor den Kneipen standen die Rauchwürste und die heimatlosen Bürgerwürste von Katharinas Grill – Katharina hatte »Wegen Umbau’s geschlossen«. Teewürste saßen mit feinen Pinkeln auf den Caféterrassen, Wiener, Frankfurter, Kabanossi und Lyoner, nackte Schwabenwürste und Weißwürste in schmucker Tracht flanierten einträchtig um den Rathausplatz. Die Streichwürste arbeiteten weiterhin als Maler und Lackierer, der Bierschinken braute Maiburger Bock, und in den nunmehr vegetarischen Küchen werkelten die Kochwürste. Die Bregenwürste bekleideten ihrer großen Hirnmasse wegen die gehobenen und höheren Ämter, Landjäger und Schützenwürste sorgten für die öffentliche Ordnung.

Katharina eröffnete nach einigen Tagen wieder, sie hatte umgesattelt auf Tofuklopse. Erleichtert nahmen die Stadtwürste ihren Stammtisch wieder in Beschlag. Das Leben ging seinen Gang, wie es der Bürgermeister vorausgesagt hatte.

 

Eines Nachmittags umringte eine Schar bunter Würste Katharinas Grill. Eine Gelbe Wurst, zwei Paar Kumpel im Naturdarm, eine Schwarzgeräucherte mit senfgegelten Haaren, drei Rote Würste und zwei Dunkelfarbene im Kräutermantel genehmigten sich ein kühles Pils. In der Rathausgalerie gegenüber lärmte ein Dutzend junger Blutwürste, hörbar vorgewärmt, und schlenderte in Richtung Katharina.

»Hier stinkt’s, euer Verfallsdatum ist wohl abgelaufen!«

»Was wollt ihr Hanswürste!«, erwiderten die Schwäbischen Nackten.

Die Blutwürste schlugen los: »Aus euch machen wir Aufschnitt!«

Spaziergänger mischten sich ein: »Es darf ruhig ein bisschen mehr sein!«

»Wurstfinger weg!«, schrien die Roten.

»Rotwurst verrecke!«, hallte es über den Rathausplatz.

Die Stadtwürste am Nebentisch machten, dass sie wegkamen. Die Bunten wehrten sich erbittert, die Gelbwurst konnte flüchten und die Landjäger alarmieren. Als diese eintrafen, lag eine Rote Wurst mit geplatzter Haut auf dem Kopfsteinpflaster und musste notärztlich versorgt werden.

Die Gelbe Zeugin sagte aus, und so konnten die Landjäger die Schlägerwurst noch am selben Abend im »Wurstkessel«, dem Stammlokal der Blutwürste, verhaften und nach der Entnahme einer Blutprobe im nutzlos gewordenen Kühlhaus festsetzen.

Eine Rangelei unter jungen Leuten sei aus dem Ruder gelaufen, stand im Pressebericht der Landjäger, die Rote Wurst sei bereits auf dem Wege der Besserung. Der oberste Jäger versicherte der Bevölkerung, Maiburg sei und bleibe sicher, trotz vorübergehend geschlossener Tore habe sich die Stadt ihren weltoffenen Charakter bewahrt. Einen rassistischen Hinter- oder Vordergrund der Tat schloss er aus.

 

Der Chefredakteur des Lokalblattes schickte eine Volontärin auf den Marktplatz, Volkes Stimme zu lauschen – »vox populi«.

»Jetzt macht mal kein Geschiss wegen der paar Fettspritzer!«, ereiferte sich die erste Volksstimme, die ihren Namen nicht nennen wollte.

»Geschieht diesen Roten ganz recht, gell, Herr Nachbar«, meinte die zweite Stimme. »Jawohl«, sagte der, »diese Nullbockwürste liegen den ganzen Tag auf der faulen Haut, alles auf unsere Kosten!«

Eine vierte Stimme rief: »Auf den Grill mit diesen arbeitsscheuen Saumägen!«

Von der Blutwurst könne man sich eine Scheibe abschneiden, meinte eine weitere Volksstimme, die einfache Wurst auf der Straße erlebe den Anblick dieser herumlungernden farbigen Gestalten mit ihren Mayofrisuren als Angriff auf das gesunde Volksempfinden.

»Nehmen uns die Arbeitsplätze weg«, sagte eine gerade hinzugekommene Wurst.

Die erste Namenlose bekam das letzte Wort: »Wer sich bei uns anständig aufführt, dem passiert nix! Schreiben Sie das, junge Frau!« – Beifall.

 

Die Volontärin kehrte in heller Aufregung in die Redaktion zurück. Der Redakteur vom Dienst sagte: »Vox Rindvieh«, und schickte die Dame unverzüglich ins Rathaus – die Stadtverwaltung hatte eine Notverordnung erlassen. Im Wortlaut: »Angesichts dramatisch zunehmender Unfallraten ist der Gebrauch von spitzen Gegenständen wie Messern, Gabeln, Nadeln, Nägeln, Taschenmessern, Eierpiksern und Bleistiften genehmigungspflichtig.«

»Endlich wird durchgegriffen«, sagte Volkes Stimme.

Maiburg aß nunmehr mit Fingern und Löffeln – Anlass für das Feuilleton, über die Kulturgeschichte des Essens und Trinkens nachzudenken. Als händischer Esser befinde sich der Maiburger nunmehr historisch gesehen in allerbester Gesellschaft, schrieb die Zeitung, schon Ramses III. griff mit den Fingern in die Steingefäße, auch der alte Nero langte mit der Hand in die Töpfe. Noch Ludwig XIV. lehnte die Gabel ab und aß mit den Fingern – seinen eigenen. Ganze Kontinente benützten heutzutage die Finger der rechten Hand, schrieb das Feuilleton, man hüte sich vor postkolonialer Überheblichkeit. Der Artikel schloss mit einem wohl nicht ganz ernst gemeinten Ratschlag, im ehelichen Alltag spitze Bemerkungen zu unterlassen.

 

Eine Woche nach dem Überfall auf die bunten Würste entdeckten spielende Kinder die gelbe Tatzeugin der Schlägerei am Achufer. Die Autopsie ergab mehrere nadelfeine tödliche Einstiche, die landjägerlichen Ermittlungen verliefen im Sande der Ach. Die in Untersuchungskühlhaft sitzende Blutwurst hatte für den mutmaßlichen Tatzeitpunkt zwangsläufig ein piekfeines Alibi, wurde unter Meldeauflagen freigelassen und im »Wurstkessel« mit tosendem Beifall empfangen. Mit den Rufen »Freibier für alle« und »Maiburg den Maiburgern« gründete der Freiheitsheld noch an der Theke lehnend eine neue Partei, die Blut-und-Bodenwurst-Bewegung – die BBB – und ernannte sich einstimmig zum obersten Blutwurstführer. Die Ratsblutwurst übernahm das schwere Amt für Presse, Propaganda, Schutz und Trutz. Eh man sich versah, marschierten Vorwärts-vorwärts-Jugend-kennt-keine-Gefahren schmetternde Kolonnen des BBB-Zucht- und Ordnungsdienstes durch Maiburgs Gassen. Ehemalige Schlachthöfler, Wurstfabrikler, Arbeiter aus der Zulieferindustrie und dem Wursthandel – halb Maiburg –, strömten zu der straff organisierten ehrenamtlichen Truppe. Unter dem zackigen Kommando von Blutgruppenführern patrouillierte der Ordnungsdienst durch die Straßen und sorgte für Angst und Schrecken unter den bunten Würsten.

»Und für Ordnung!«, sagten die Leute. »Ordnung muss sein!«

 

Der Bürgermeister betrachtete die Vorgänge um die selbst ernannten und selbstherrlichen Ordnungshüter mit wachsender Sorge und berief eine Dringlichkeitssitzung des Rates ein. Es war nicht unbemerkt geblieben, dass auch mehr und mehr Landjäger und Schützenwürste zu der Schutztruppe übergelaufen waren. Die Leberwurst wiegelte ab.

»Tiefer hängen«, sagte sie, »in wenigen Wochen ist der Spuk vorbei.«

Sie wusste ja nicht, die gute Leberwurst, wie recht sie hatte. Der Sprecher der Sülzwürste wollte im Namen seiner Fraktion nicht gänzlich in Abrede stellen, dass nicht vielleicht doch ein gewisser Handlungsbedarf bestehe, plädierte aber zunächst – in Übereinstimmung mit den Hirnwürsten – für eine sachliche, sich am Inhaltlichen orientierende Auseinandersetzung mit den neuen Gedanken, denen man sich ja nicht von vorneherein aus ideologischen Gründen verschließen dürfe. Man setze sich dafür ein, sagte die Sülzwurst, die berechtigten Sorgen und Nöte der kleinen Wurst auf der Straße ernst zu nehmen und sich lösungsorientiert mit der Thematik zu befassen.

»Meine Rede!«, sagte der Saure Zipfel.

Als die Blutwurst forderte, die bunten Würste zu ihrer eigenen Sicherheit in präventive Schutzkühlhaft zu nehmen, kam es zu einer kurzen Rangelei mit den Rotwürsten.

Der Vorschlag der Zungenwürste, einen interfraktionellen Arbeitskreis einzusetzen, wurde ohne Gegenstimme angenommen.

 

Zur Gedenkfeier und Einäscherung der Gelbwurst fanden sich Angehörige, Maiburger Honoratioren, bunte Freunde und drei Stadtwürste von Katharinas Stammtisch ein. Eine Hirnwurst als Vertreterin des Rates verurteilte die Tat auf das Schärfste und versicherte den Trauernden das Mitgefühl der Obrigkeit – alles Wurstmögliche werde getan, den Fall aufzuklären. Der Pfarrer, Urgestein der Maiburger Friedensbewegung, erinnerte an den Aufstieg der faschierten Würste: »Wehret den Anfängen!«

»Anfänge, Anfänge«, flüsterte eine der Stadtwürste, »wir sind mittendrin.«

Zum Schluss seiner Predigt fand der Pfarrer doch noch versöhnliche Worte: »Lassen Sie uns weiterhin an das Gute in der Wurst glauben. Amen.«

 

Nach der Trauerfeier trafen sich die drei Stammtischler auf ein dunkles Bier.

»Gegen die Blut-und-Boden-Pest gibt’s keine Mittel«, sagte der Erste.

»Die befällt urplötzlich das Hirn, aus heiterem Himmel«, meinte der Zweite.

»Das sind kranke Gedanken, ansteckende«, sagte Nummer drei.

»Die Gedanken sind frei!«, bestätigte der Erste. »Da helfen keine Mauern!«

»Eben«, meinte wiederum der Dritte, »auch kranke Gedanken sind frei!«

Eine Rotte blutjunger Zucht- und Ordnungswürste marschierte schneidig über den Platz, die Stiefel dröhnten auf dem Pflaster und ihre Bierfahnen flatterten voran.

»Heil, Blutwurst, heil!«

»Ekelhaft, dieses Gebrüll«, tuschelten die drei hinter ihren Tofuklopsbrötchen.

»Als kleine Wurst kannst du nichts machen«, sagte der dritte Stammtischler und leerte seinen Becher.

 

Ein Presssack, eine Rote und eine Gelbe Wurst beschlossen, dem Schrecken zu entfliehen, zwängten sich durch eine Schießscharte der Stadtmauer und wurden im trockenen Stadtgraben von einem Rudel Hunde zerrissen und verschlungen.

 

Die interfraktionelle Arbeitsgruppe hatte unterdessen mehrfach getagt und empfahl, umgehend Neuwahlen zum Stadtrat abzuhalten. Es sei doch offensichtlich, sagten die Experten, und belegt durch Umfragen, dass die Zusammensetzung des Rates nicht mehr den Volkswillen repräsentiere. Es hob sich ein Sturm der Entrüstung. Auf fünf Jahre sei man gewählt, demokratisch, keinesfalls dürfe man dem Druck der Straße nachgeben. Der Saure Zipfel sprach einer Politik der harten Hand das Wort und schlug vor, zur Verstärkung der verbliebenen Landjäger auswärtige Hotdogs anzufordern.

»Ausgerüstet mit Harzer Knüppeln!«, empfahl der Schwartenmagen.

Die Leberwurst hatte die Königsidee: »Blutegel! Blutegel aussetzen, und das Problem ist gelöst.«

Die Ratsblutwurst schwieg, was den Ratskollegen wohl im Nachhinein verdächtig vorgekommen wäre, hätte es denn ein Nachhinein gegeben.

Ob man vergessen habe, dass Hilfe von draußen nicht zu erwarten sei, sagte ein resignierter Bürgermeister.

Die Räte blickten ratlos zur Decke, da flog die Tür auf, der Blutwurstführer stürmte, mit einer Hutnadel fuchtelnd, in den Saal und schrie: »Schluss mit dem demokratischen Wurstsalat, der Rat ist abgesetzt, alle Mann in den Keller.« Ratsblutwurst und Blutwurstführer verriegelten gemeinsam die Kellertür, beorderten eine Zucht- und Ordnungswache vor das Rathaus und eilten in den »Wurstkessel«. Dort harrte eine brodelnde Wurstsuppe ihres Führers, der geplante Putsch war seit Tagen offenes Geheimnis. Der »Kessel« platzte schier aus den Schweißnähten, Freibier floss in Strömen, und gegen den Hunger gab’s Braunkohl und Rouladen.

Endlich ertönte der Ruf – »Heil, Blutwurst, heil« –, der Blutwurstführer schritt unter den Klängen des Filetiermarsches durch ein Spalier von Blutgruppenführern, erklomm das Rednerpult und ergriff das Wort.

»Blutwürste!«, rief er in den ergriffenen Saal. »Nach schweren Kämpfen ist das Rathaus in unserer Hand. Blut- und Bodenwürste! Jetzt wird aufgeräumt, ich dulde kein fremdes Gekröse in meiner Heimatstadt!«

»Heil, Blutwurst, heil!«, brauste der Schlachtruf durch den siedenden »Kessel«, »Rotwurst verrecke!«

Während sich der Führer mit Braunkohl stärkte, peitschte die Propagandawurst die Menge auf: »Kameraden, ab heute stehen wir wie eine Wurst hinter unserem geliebten Führer!«

Krachend stürzten Bierbänke um, die Kameraden riss es empor, voll glühender Begeisterung stürmten sie die Bühne, hinter dem Kohl speisenden Führer wurde es eng. Der Blutwurstführer legte den Löffel ab und erhob sich, augenblicklich herrschte atemlose Spannung.

»Heil euch!«, schrie er in den »Kessel«. Aber statt des erhofften Heils ertönte ein Donnerschlag, unter dem Druck des blähenden Braunkohls zerbarst der Führer in tausend Fetzen. Die Detonationswelle und die herumfliegenden Führerwurstzipfel brachten die Blutgruppenführer in den vordersten Reihen zum Platzen, das Platzkonzert setzte sich fort bis in die hinteren Ränge. Nach dem letzten Rums-Bums ebbte der Lärm ab und nun schwappten die Wurstmassen blubbernd aus den Kaldaunen wie Lava aus dem Inneren der Erde. Geistige Flatulenzen, unverdaute Gedanken und halb vergorene Ideen, Faulgase und Alkoholdämpfe schwängerten die Luft. In einem der Aschenbecher musste wohl noch ein Funke Begeisterung geglommen haben, das gesättigte Gasgemisch entzündete sich und der »Wurstkessel« flog in die Luft. Der glühende Kesseldeckel landete im Dachstuhl des Rathauses und setzte das Gebälk in Brand, die Flammen griffen auf die Nachbargebäude über und fraßen sich durch die engen Gassen. Der Feuersturm ließ die Mauern einstürzen, fette schwarze Wolken und beißender Gestank verkohlter Wurst hingen über dem Tal der Ach.

Kaum waren die Brände erloschen, drangen streunende Hunde durch die Mauerbreschen in die Stadt und stöberten nach Überresten.

 


Fotograf: Sebastian Schwarz

 


Verflucht | Nele Sickel

 

»Hier«, flüstere ich und klammere mich an Georgs Hand. »Hier hat er sie erschlagen.«

Georg zieht mich näher zu sich und legt einen Arm um mich. »Dein Vater?«, fragt er.

Ich nicke und vergrabe mein Gesicht an seiner Schulter. Seine Umarmung ist etwas zu eng, zu fest, um angenehm zu sein, aber in diesem Moment bemerke ich es kaum. Innerlich reise ich in die Vergangenheit.

Ich kann sie noch immer schreien hören. Erst meine Mutter, dann meinen Vater, dann wieder meine Mutter – dieses Mal schrill und schmerzerfüllt. Ich höre den dumpfen Schlag, mit dem ihr Körper auf den Boden des elterlichen Schlafzimmers prallt. Die Stille, die darauf folgt. Am meisten erinnere ich mich an die Stille.

 

Damals stand ich nicht im Schlafzimmer. Ich war unten in der Küche, lauschte und traute mich nicht hinauf. Die Stille ängstigte mich mehr als all der Lärm zuvor. Wie erstarrt saß ich da, in einer Hand das Schälmesser, in der anderen eine Rübe. Eigentlich wollte ich beides fallen lassen, aber es gelang mir nicht. Ich wollte aus dem Haus laufen, aber auch das konnte ich nicht. Steif und verloren hockte ich in der Küche und wusste einfach nicht, wohin.

Solange nicht, bis mein Vater nach mir rief. Ich werde nie vergessen, wie verzweifelt seine Stimme in diesem Augenblick klang. Nicht zornig, einfach nur verzweifelt. Das ließ mich den Mut finden, zu ihm zu gehen.

Mit fahrigen Bewegungen stand ich auf und ließ die halb geschälte Rübe auf den Tisch sinken. Ich wollte das Messer danebenlegen, aber eine kaum greifbare Eingebung ließ mich die Hand zurückziehen. Anstatt das Messer wegzulegen, verbarg ich es unter meiner Schürze, ehe ich hinaufging.

Oben fand ich ihn. Gebeugt und zitternd kniete er über dem zertrümmerten Körper meiner Mutter. Rote Striemen leuchteten auf seinen Armen, da, wo ihre Fingernägel ihn erwischt hatten. Er hielt sein Gesicht in beiden Händen vergraben und schluchzte leise.

»Es war der Fluch«, nuschelte er immer wieder durch seine tränenverschmierten Handflächen hindurch. »Der Fluch! Es tut mir leid. Ich liebe sie doch. Es war der Fluch!«

Ich stand einfach nur da und sah ihn an. Nicht ängstlich – wie er da kniete und weinte, hätte ich niemals Angst vor ihm haben können. Auch nicht wütend. Geschockt vielleicht. Taub. Unwirklich. Die ganze Szene kam mir unsagbar unwirklich vor. Ich wusste, dass er meine Mutter nicht geliebt hatte. Nicht richtig jedenfalls. Dennoch glaubte ich ihm. Sie hatten schon so lange zusammengelebt, dass das Leben des einen ohne den anderen längst nicht mehr vorstellbar war. Er konnte sie nicht einfach so getötet haben. Da musste mehr sein als das. Das musste es einfach.

Irgendwann knieten wir beide neben ihr. Wir hielten einander und wir weinten. Selten habe ich mich meinem Vater so nahe gefühlt wie in diesem Augenblick vor all den Monaten.

 

»Wir sollten gehen«, meint Georg und seine Stimme so dicht an meinem Ohr erinnert mich daran, wie nah ich ihm nun bin. Physisch zumindest.

Ich sehe zu ihm auf und nicke langsam. Er fragt nicht nach und ich bin froh darum. Ich will ihm nicht erzählen, wie sie gestorben ist. Wie wir um sie geweint haben. Und noch viel weniger will ich ihm erzählen, wie ich meinem Vater geholfen habe, zu verstecken, was er getan hat. Wie die Polizei es doch entdeckt und meinen Vater ins Zuchthaus gebracht hat. Wie schließlich auch er gestorben ist.

Georg zieht mich mit sich die Treppe hinab. Er hält meine Hand fest in seiner und mich beschleicht das Gefühl, dass er mich auch dann nicht losließe, wenn ich ihn darum bitten würde. Doch ich bitte ihn gar nicht. Ich lasse mich ziehen, die Treppe hinab und hinaus auf den Hof. Die milde Abendluft tut mir gut. Sie macht meine Gedanken etwas klarer und schiebt die Erinnerungen ein wenig zurück.

»Du siehst blass aus«, murmelt Georg und berührt meine Wange. »Lass uns etwas spazieren gehen! Es wird ohnehin noch dauern, bis alles eingeladen ist.«

Ich schaue zu, wie zwei von Georgs Knechten die geschnitzte Anrichte aus meinem Elternhaus tragen. Es fühlt sich eigenartig an, zu sehen, wie das Haus, in dem ich mein gesamtes bisheriges Leben verbracht habe, auseinandergerissen wird. Eigentlich müsste ich froh sein. Immerhin bedeutet es, dass mich all diese Dinge in die Ehe und damit in mein neues Leben begleiten werden. Dinge, die es mir überhaupt erst ermöglicht haben, von hier zu entkommen. Als Waise, ganz auf mich allein gestellt, kann ich mich zweifellos glücklich schätzen, dass mein Verlobter statt einer Mitgift einfach die Güter vom Hof akzeptiert hat, die er für sein eigenes Haus gebrauchen kann. Unser Haus. Ich weiß das und ich will ihm dankbar sein. Aber es ist nicht Vorfreude, sondern Wehmut, mit der ich unserem Aufbruch entgegensehe.

Entschlossen, die trübsinnige Stimmung abzuschütteln, wende ich mich vom Haus meiner Eltern ab. »Ja, lass uns gehen«, erwidere ich auf Georgs Worte und gemeinsam treten wir vom Hof hinaus auf die Straße.

Auch hier ist es still. Genauso wie im Haus und überall im Dorf. Die Häuser stehen verlassen in den Schatten der nahen Bäume. Sanfter Wind zieht an den Ästen, aber es reicht kaum, um auch nur das Laub zum Rascheln zu bringen. Die Ruhe ist schon fast gespenstisch.

Georg legt wieder einen Arm um mich; nimmt mich in seinen festen Griff, von dem ich mir einzureden versuche, dass er Sicherheit gibt, und führt mich die Straße hinab. Ergeben lehne ich mich an ihn.