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Philipp Galen

Der Irre von St. James

Kriminalroman

Philipp Galen

Der Irre von St. James

Kriminalroman

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-954189-44-1

null-papier.de/440

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Inhaltsverzeichnis

1. Ka­pi­tel

2. Ka­pi­tel

3. Ka­pi­tel

4. Ka­pi­tel

5. Ka­pi­tel

6. Ka­pi­tel

7. Ka­pi­tel

8. Ka­pi­tel

9. Ka­pi­tel

10. Ka­pi­tel

11. Ka­pi­tel

12. Ka­pi­tel

13. Ka­pi­tel

14. Ka­pi­tel

15. Ka­pi­tel

16. Ka­pi­tel

17. Ka­pi­tel

18. Ka­pi­tel

19. Ka­pi­tel

20. Ka­pi­tel

21. Ka­pi­tel

22. Ka­pi­tel

23. Ka­pi­tel

24. Ka­pi­tel

25. Ka­pi­tel

26. Ka­pi­tel

27. Ka­pi­tel

28. Ka­pi­tel

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1. Kapitel

Es war in den ers­ten Ta­gen des Juni im Jah­re 1843, als ich, von ei­ner Rei­se nach Schott­land zu­rück­keh­rend, den­je­ni­gen Teil Eng­lands be­trat, in wel­chem das stei­le­re Ge­bir­ge all­mäh­lich in die wel­len­för­mi­gen grü­nen Hü­gel über­geht, die, je mehr man sich dem Sü­den zu­wen­det, nach und nach sich in das fla­che Land ver­lie­ren.

Es war ein sehr war­mer Tag ge­we­sen, und ich hat­te, nach mei­ner Ge­wohn­heit zu Fuß rei­send, viel von der Hit­ze ge­lit­ten, so daß ich mit Sehn­sucht den küh­le­ren Abend­stun­den ent­ge­gensah, die für den Rei­sen­den so er­qui­ckend sind.

Mein Herz, noch er­füllt von den Wun­dern des Hoch­lan­des, wur­de ge­tra­gen von den schö­nen Na­turs­ze­nen, die mich um­ga­ben.

Ich hat­te vie­le frem­de und ent­le­ge­ne Län­der be­sucht, nicht nur, um sa­gen zu kön­nen, ich sei da­ge­we­sen, son­dern ich fühl­te mich als Arzt be­ru­fen, den Men­schen in sei­nem freu­den- und lei­den­vol­len Trei­ben zu stu­die­ren, und ich hat­te es mir dies­mal zur be­son­de­ren Auf­ga­be ge­macht, alle Kran­ken­häu­ser von Ruf, vor­züg­lich aber die Ir­ren­an­stal­ten, zu be­su­chen, die in Eng­land so mus­ter­haft aus­ge­stat­tet sind, daß sie so­gar eine eu­ro­päi­sche Berühmt­heit er­langt ha­ben.

So woll­te ich denn eine der nam­haf­tes­ten die­ser Heil­stät­ten auf­su­chen, die auf mei­nem heu­ti­gen Wege lag, und län­ge­re Zeit dar­in ver­wei­len – ich mei­ne die Ir­ren­an­stalt zu St. Ja­mes. Mit man­cher­lei Emp­feh­lun­gen von Lon­don aus ver­se­hen und schon da­selbst an­ge­mel­det, hat­te ich von mei­nem letz­ten Nacht­la­ger aus mein gan­zes Ge­päck da­hin vor­aus­ge­sandt und hoff­te nun, das alte St. Ja­mes ge­gen Abend die­ses Ta­ges wohl­be­hal­ten zu er­rei­chen.

Gera­de nicht sehr er­mü­det, denn ich hat­te nur eine klei­ne Ta­ge­rei­se ge­macht, sehn­te ich mich doch, als der Abend nä­her und nä­her kam, nach ei­nem Ruheor­te.

Ich war von der ge­wöhn­li­chen brei­ten Land­stra­ße ab­ge­wi­chen, denn ich lieb­te es, auf ei­nem schma­len Fuß­we­ge zu wan­dern, der mich bald durch Wald und Feld, bald über Wie­sen und Moo­re lock­te; noch war ich in den Jah­ren je­ner ju­gend­li­chen Le­ben­dig­keit und Will­kür, der es ein grö­ße­res Ver­gnü­gen ge­währt, bis­wei­len auf ein klei­nes aben­teu­er­li­ches Hin­der­nis zu sto­ßen, als die brei­te Fahr­stra­ße ent­lang zu ge­hen, die nichts als das un­ver­än­der­li­che Ei­ner­lei dar­bie­tet.

So war ich also auch dies­mal mei­ner al­ten Nei­gung ge­folgt und hat­te so­eben einen schma­len Fuß­pfad ein­ge­schla­gen, der, in schne­cken­ar­ti­ger Win­dung bergab füh­rend, mich in ein klei­nes, stil­les, grü­nes Tal brach­te. Ich stand still und blick­te rück­wärts die Höhe hin­auf, von der ich so­eben her­ab­ge­stie­gen war. Die sin­ken­de Son­ne, am un­be­wölk­ten Him­mel lang­sam da­hinglei­tend, war ih­rem Wen­de­punk­te nahe und warf nur noch ei­ni­ge schrä­ge, pur­pur­rot glü­hen­de Strah­len auf die höchs­ten Wip­fel der rie­si­gen Bäu­me je­ner An­hö­he, wäh­rend der brei­te und lan­ge Schat­ten der­sel­ben das tiefe­re Tal schon dunk­ler färb­te.

So mei­ner stil­len Be­trach­tung hin­ge­ge­ben, ließ ich mich am Fuße ei­ner schlank ge­wach­se­nen Tan­ne im fri­schen, duf­ti­gen Moo­se nie­der und zog mei­ne Kar­te her­vor, um zu be­rech­nen, wie weit St. Ja­mes wohl noch von mei­nem jet­zi­gen Ruheor­te ent­fernt sein kön­ne. Doch, wie es mir oft­mals ging, konn­te ich auch dies­mal den Punkt, an dem ich mich ge­ra­de be­fand, nicht ge­nau auf dem Pa­pier fin­den, und ich war in ei­ni­ger Ver­le­gen­heit, ob ich nicht ganz vom rech­ten Wege ab­ge­kom­men sei, als ich zu mei­ner Be­ru­hi­gung ei­ni­ge Men­schen­stim­men ver­nahm, die von je­ner schon er­wähn­ten Höhe zu mir ins Tal her­nie­der­tön­ten.

Bei ge­nau­e­rem Hin­hor­chen ver­nahm ich bald, daß es zwei Kna­ben­stim­men wa­ren, die, einen Dop­pel­ge­sang aus­füh­rend, mit ih­ren kla­ren Brust­tö­nen an­mu­tig zu wett­ei­fern schie­nen. Bald auch trenn­te sich un­fern des Gip­fels der Höhe das brei­te Ge­büsch, und ich sah, wie ich ver­mu­tet, zwei Kna­ben, die vor­sich­tig her­ab­stie­gen und eine Last auf­zu­hal­ten be­müht wa­ren, die den Berg hin­ab auf sie nie­der­zu­stür­zen droh­te. Es war ein Wa­gen, der ei­gen­tüm­lich ge­baut, je­nen Krä­mer­kar­ren glich, wie man sie so häu­fig in Eng­land von Hun­den oder ei­nem al­ten trä­gen Pfer­de fort­schlep­pen sieht.

Lang­sam ka­men sie her­an, und jetzt ge­wahr­te ich auch hin­ter ih­nen einen äl­te­ren Mann, der mit fes­tem Schrit­te und si­che­rer Hand den Kar­ren auf­hielt, da­mit er nicht, die Kna­ben über­wäl­ti­gend, den ziem­lich stei­len Ab­hang hin­ab­schie­ße.

Als der von wei­tem et­was aben­teu­er­lich aus­se­hen­de Zug ganz in mei­ne Nähe ge­langt war, so daß ich ihn ei­ner ge­naue­ren Prü­fung un­ter­wer­fen konn­te, rief der eine der Kna­ben, der au­gen­schein­lich der äl­tes­te von Bei­den war, in­dem er von dem Wa­gen fort­sprang und sich auf das Moos, ziem­lich dicht an mei­ner Sei­te, nie­der­warf: »Hier wol­len wir ein Weil­chen ras­ten, Va­ter – das war ein ab­scheu­li­ches Stück Ar­beit, den Berg her­ab!«

Die Kna­ben, in Jäck­chen und Bein­klei­dern von grau­er Lein­wand ge­klei­det, auf dem Kop­fe ein klei­nes Mütz­chen von grü­nem Tu­che tra­gend, sa­hen ein­an­der sehr ähn­lich und wa­ren Brü­der, ob­wohl der äl­te­re, der un­ge­fähr sech­zehn Jah­re zäh­len moch­te, von bei wei­tem stär­ke­rem Mus­kel­bau und auf­fal­len­de­rem Ge­sichts­aus­druck war als sein jün­ge­rer Ge­fähr­te. Es lag et­was Ent­schie­de­nes, Keckes auf sei­nem wohl­ge­form­ten Ge­sicht, das einen kräf­ti­gen und tüch­tig sich ent­wi­ckeln­den Geist ver­riet, wäh­rend der an­de­re, etwa zwei Jah­re jün­ge­re Bru­der mit sei­nen hell­blau­en Au­gen und blond­ge­lock­ten Haa­ren wei­che, kind­li­che­re Züge dar­bot, die, eben­so of­fen und fröh­lich wie die des an­de­ren, doch eine viel zar­te­re, fast weib­li­che Or­ga­ni­sa­ti­on ver­rie­ten.

Die­ser an­ge­neh­me Ein­druck, den die Be­trach­tung der bei­den Kna­ben her­vor­rief, wur­de nicht ver­min­dert durch den Hin­blick auf die ath­le­ti­sche Ge­stalt und die auf­fal­lend scharf ge­zeich­ne­te Ge­sichts­bil­dung des sie be­glei­ten­den Va­ters, der von Be­ruf ein Krä­mer zu sein schi­en und über die mitt­le­ren Jah­re hin­aus war, ob­schon sein dich­tes dun­kel­brau­nes Haar noch kei­ne der ge­wöhn­li­chen Spu­ren her­an­na­hen­den Al­ters zeig­te. Der Um­fang sei­nes Ar­mes ver­riet eine be­deu­ten­de Mus­kel­kraft, und der ei­gen­tüm­lich knap­pe An­zug, den er trug, hob die­sen schö­nen, kräf­ti­gen Wuchs nur noch mehr her­vor.

Im Gan­zen war er wie sei­ne Söh­ne ge­klei­det, nur hat­te er, zum Un­ter­schied von ih­nen, einen dun­kel­ro­ten, von wol­le­nem Zeu­ge ge­web­ten, hand­brei­ten Gür­tel um den Leib ge­schlun­gen, der vorn von ei­ner großen Schnal­le zu­sam­men­ge­hal­ten wur­de und Pa­pie­re oder Geld si­cher auf­zu­be­wah­ren be­stimmt schi­en. Sei­nen star­ken Haar­wuchs be­deck­te eben­falls eine klei­ne Müt­ze von grü­nem Tu­che ohne Schirm, wo­durch nur noch mehr das Ad­ler­ar­ti­ge sei­nes Ge­sich­tes her­vor­ge­ho­ben wur­de. Die­ses Ge­sicht aber, männ­lich, ernst, mit scharf aus­ge­präg­ten, sonn­ver­brann­ten Zü­gen, war wie von ei­nem dunklen Rah­men in einen sehr star­ken Ba­cken­bart ein­ge­faßt, der mit ei­nem großen Schnurr- und Spitz­bart um Kinn- und Mund­win­kel zu­sam­men­lief. Sei­ne große schot­ti­sche Nase ver­lieh die­sem Ge­sicht den Aus­druck von Schär­fe und Kraft, der den Hoch­län­dern so ei­gen­tüm­lich ist, und wür­de noch mehr auf­ge­fal­len sein, wenn er nicht durch die Gut­mü­tig­keit und Bie­der­keit, die aus sei­nen dun­kelblau­en, of­fe­nen Au­gen un­ver­kenn­bar her­vor­leuch­te­te, ge­mil­dert wor­den wäre. Es lag eine Art von ge­müt­li­cher und durch nichts zu be­sie­gen­der Hei­ter­keit auf die­sem merk­wür­di­gen Ant­litz, das so­gleich Ver­trau­en er­weck­te; auf­fal­len­der aber wur­de es bei ge­nau­e­rem Hin­blick noch durch einen um sei­nen Mund mit den kern­ge­sun­den Zäh­nen und die wohl­ge­bil­de­ten, flei­schi­gen Lip­pen lie­gen­den An­flug von mo­men­ta­ner Weh­mut, der einen nicht un­an­ge­neh­men Ge­gen­satz zu je­ner Hei­ter­keit bil­de­te und ihr ge­wis­ser­ma­ßen einen Zü­gel an­zu­le­gen schi­en.

Auf dem Hin­ter­teil des klei­nen vier­räd­ri­gen Wa­gens, den die­se drei Per­so­nen zu mir her­an­lei­te­ten, stand ein ziem­lich ho­hes, kor­bar­ti­ges Gerüst, von star­ken Wei­den­ru­ten ge­floch­ten; den vor­de­ren Raum nah­men meh­re­re klei­ne Kas­ten und in Wachs­lein­wand ein­ge­schla­ge­ne Pa­ke­te ein.

Als der Mann in mei­ne Nähe ge­kom­men, nahm er sei­ne Müt­ze ab und sag­te, in­dem er sich an mei­ner Sei­te im Moo­se nie­der­ließ, mit freund­li­chem Ton:

»Gu­ten Abend, Sir! Wenn es er­laubt ist, set­ze ich mich zu Ih­nen – in Wahr­heit, ein war­mer und schö­ner Abend nach ei­nem hei­ßen Tage!«

»Ja­wohl!«, er­wi­der­te ich und gab den Gruß eben­so freund­lich zu­rück. »Ihr habt da eine schwe­re Last zu zie­hen, wie es scheint, denn Ihr seid samt Eu­ren Kna­ben in Schweiß ge­ra­ten!«

»Ja!«, rief der äl­te­re der Kna­ben, »schwer ge­nug für uns, zu­mal wenn es so heiß ist!«

Der Va­ter lä­chel­te und schi­en mit Wohl­ge­fal­len auf den dreis­ten Bur­schen zu se­hen.

»Bob!«, sag­te er, »du kannst dich jetzt aus­ru­hen, wir sind bald, wo wir sein wol­len. – Wo­hin führt Sie Ihr Weg, Sir?«

»Nach St. Ja­mes, mein Freund; und es wür­de mir lieb sein, wenn Ihr mir sa­gen könn­tet, ob ich auf dem rech­ten Wege da­hin bin.«

Der Mann sah mich mit ei­nem ei­gen­tüm­li­chen Blick an, den ich mir nicht zu deu­ten wuß­te, und er­wi­der­te so­gleich:

»Bra­vo! da sind wir Rei­se­ge­fähr­ten, denn ich will eben­falls dort­hin, und es wun­dert mich, daß Sie ge­ra­de den nächs­ten Weg ge­fun­den ha­ben, wenn Sie hier nicht be­kannt sind.«

»Wie weit ha­ben wir noch?«

»Nun, vier Mei­len kön­nen es noch sein. Aus die­sem Tale kom­men wir auf einen grü­nen An­ger. Dann stei­gen wir eine klei­ne An­hö­he hin­auf und len­ken wie­der in die Land­stra­ße ein, wo dann das Haus dicht vor uns liegt. Sie sind noch nicht in St. Ja­mes ge­we­sen, Sir?«

»Nein, es ist das ers­te Mal, ob­gleich ich viel da­von ge­hört habe und brief­lich schon mit ei­ni­gen der Be­am­ten da­selbst be­kannt bin.«

Mein neu­er Ge­fähr­te ließ ein nach­denk­li­ches Hm! hö­ren und stütz­te den Kopf auf sei­ne bei­den Hän­de. Ei­nen Au­gen­blick noch schi­en er nach­zu­sin­nen, dann sprang er rasch auf und rief mit lau­tem, fast bar­schem Ton:

»Bob! – Will! – Marsch vor­wärts – wir kom­men vor Mon­den­schein nicht an. Tum­melt euch, ihr Jun­gen! Wenn es ge­fäl­lig ist, Sir, so ge­hen wir zu­sam­men.«

Ich stand auf; die Kna­ben nah­men die Zug­lei­nen um die Brust und er­faß­ten die Deich­sel des Wa­gens. Wir Äl­te­ren aber schrit­ten lang­sam hin­ter­her.

Wie mein Beglei­ter es ge­sagt, das klei­ne Tal, in dem wir ei­ni­ge Mi­nu­ten ge­ruht hat­ten, mün­de­te in einen wei­ten grü­nen An­ger, der, un­ge­fähr zwei Mei­len weit sich er­stre­ckend, den schöns­ten wei­chen Moor­grund bot. Wir wa­ren eben etwa bis zur Mit­te ge­kom­men, als wir die Kna­ben, hin­ter de­nen wir, in gleich­gül­ti­gem Ge­spräch be­grif­fen, zu­rück­ge­blie­ben wa­ren, ste­hen­blei­ben sa­hen. Wir nä­her­ten uns lang­sam, und als wir dicht bei ih­nen wa­ren, be­merk­ten wir, daß sich Bob auf die Erde ge­wor­fen hat­te und Will auf der Deich­sel saß.

»Nun, warum geht ihr nicht vor­wärts?«, frag­te des Va­ters erns­te, aber freund­li­che Stim­me.

»Weil wir nicht mehr kön­nen!«, ant­wor­te­te Bob mit ei­nem tro­ckenen Tone, wäh­rend sein sanf­te­rer Bru­der ihm einen be­schwich­ti­gen­den Blick zu­warf.

»Hoho, mein Jun­ge! Sprichst du so! Auf­ge­schirrt! An die Deich­sel, Bursch, und im­mer vor­wärts!«

»Ja!«, er­wi­der­te Bob mit ei­nem deut­li­chen Schmol­len in Ge­bär­de und Ton, »du hast gut re­den! Du schlen­derst ge­mäch­lich hin­ter­her und dei­ne ar­men, schwa­chen Kna­ben müs­sen die gan­ze La­dung al­lein zie­hen. Der Kuckuck hole den Wa­gen! Aber ich däch­te, du könn­test es dir und uns be­que­mer ma­chen, wenn du dir einen al­ten Gaul oder ein Paar Dog­gen zu­leg­test; sol­che Hun­de­ar­beit ist nicht für Men­schen, und umso we­ni­ger für Kin­der!«

»Da ha­ben wir’s!«, rief der Va­ter, und sah mich mit ei­nem erns­ten, aber im­mer noch nicht un­freund­li­chen Blick an. »Der Jun­ge ist wahr­haf­tig wie sei­ne Mut­ter, die sich die But­ter nicht vom Bro­te neh­men ließ – Gott ma­che sie se­lig! – Im­mer Feu­er und Flam­me; und das kommt ihm in der Tat zu Hil­fe, sonst soll­te es ihm dies­mal schlimm er­ge­hen! Bist du auch so müde, Will?«

»Nun, es geht!«, sag­te zö­gernd der sanf­te­re Kna­be und senk­te er­rö­tend sei­nen lo­cki­gen Kopf, so daß man ihm an­merk­te, er sei we­nigs­tens eben­so er­mü­det wie sein äl­te­rer Bru­der.

»Ja, nun spricht er nicht!«, rief Bob laut aus, »aber mir hat er es ge­sagt, daß er kaum noch fort kann!«

»Die Kna­ben sind in der Tat er­mü­det«, sag­te ich ver­söh­nend, »der Grund ist weich und die Rä­der schnei­den tief ein.«

»Ei ja doch, Sir, ich glaub’s ja! Ich habe nichts da­wi­der. Wenn er mir vor­her ein gu­tes Wort ge­gönnt hät­te, wäre ihm schon längst ge­hol­fen, aber der Bob ist ein Ei­sen­kopf und ein Brau­se­wind! Auf, Bob! Auf, Will! ich wer­de mit Hand an­le­gen!«

Die Kna­ben er­ho­ben sich lang­sam und gin­gen wie­der an ihre Ar­beit. Der Va­ter schob hin­ten an der einen Sei­te des großen Kor­bes, ich an der an­de­ren, und so ging es leicht und rasch vor­wärts. Nach ei­ner Wei­le aber wur­de der Weg wie­der et­was ab­schüs­sig, der Wa­gen roll­te fast von selbst und un­se­re Hil­fe war nicht mehr nö­tig.

Der Va­ter wink­te mir, ei­ni­ge Schrit­te zu­rück­zu­blei­ben, und sag­te dann in lei­sem Tone:

»Glau­ben Sie nicht, Sir, daß ich zu­viel von mei­nen Kna­ben ver­lan­ge. Ich habe das Ein­se­hen, daß sie über ihre Kräf­te nichts leis­ten kön­nen, aber die Um­stän­de brach­ten es dies­mal so mit sich; ich habe es auch schon über­legt, daß ein Paar tüch­ti­ge Dog­gen schnel­ler und dau­er­haf­ter sind als die­se Kin­der. Über­dies sehe ich ein, daß es zu ih­rem ei­ge­nen Bes­ten ist, wenn sie eine re­gel­mä­ßi­ge Schu­le be­su­chen; ich habe sie aber lan­ge Zeit nicht bei mir ge­habt und konn­te es nicht über mein Herz brin­gen, mich so­gleich wie­der von ih­nen zu tren­nen. Tren­nung tut weh. Wenn sie aber ein­mal bei mir sind und es sich ge­ra­de so fügt, so müs­sen sie et­was zu tun ha­ben. Der Jun­ge, der Bob, schlägt sonst über die Strän­ge, und da habe ich ihm denn dies­mal die Ar­beit ei­nes Zug­pfer­des be­stimmt. Üb­ri­gens ist es das ers­te Mal, und un­ge­wohn­te Ar­beit ist sau­re Ar­beit! Den Kar­ren habe ich erst ges­tern ge­kauft, bis­her trug ich mei­ne paar Sie­ben­sa­chen sel­ber auf dem Rücken; da ha­ben Sie mei­ne Be­kennt­nis­se.«

»Ihr habt Recht, die Kin­der zu scho­nen und sie et­was ler­nen zu las­sen; sie schei­nen mir Bei­de An­la­gen zu ha­ben, und es wäre scha­de, wenn auf Kos­ten ih­res Geis­tes ihr Leib al­lein an­ge­strengt wür­de.«

»Das ist auch mei­ne Mei­nung, Sir! Und so ist es denn jetzt be­stimmt, sie sol­len in die Schu­le, ich habe schon mei­ne Ge­dan­ken dar­über; aber, se­hen Sie den schö­nen Abend, und da kommt der Mond schon lang­sam her­vor, wir ha­ben heu­te Voll­mond, den­ke ich!«

Wir blie­ben einen Au­gen­blick ste­hen und be­trach­te­ten still­schwei­gend die Ge­gend, die sich bei der abend­li­chen Be­leuch­tung in der Tat höchst ma­le­risch aus­nahm. Die Luft war mil­de und er­qui­ckend ge­gen den so heiß ge­we­se­nen Tag.

»Halt!«, rief der Va­ter sei­nen Söh­nen zu. »Halt! setzt euch ein we­nig und se­het den schö­nen Voll­mond her­auf­stei­gen.«

Wir gin­gen lang­sam vor­wärts und hat­ten die Kna­ben bald wie­der ein­ge­holt.

»Sir!«, fing der Va­ter an, als wir auf dem grü­nen Ra­sen­tep­pich sa­ßen und nach dem lang­sam sich he­ben­den Feu­er­ball vol­ler Span­nung und Be­wun­de­rung em­por­blick­ten, »Sie ha­ben mir ge­sagt, Sie gin­gen nach St. Ja­mes. Darf ich wis­sen, wel­ches Ge­schäft sie da ha­ben? Sie ver­zei­hen mei­ne of­fen­her­zi­ge Fra­ge, aber ich den­ke, weil ich selbst kei­ne Grün­de habe, mei­nen Be­ruf zu ver­schwei­gen, er­ge­he es An­de­ren eben­so.«

Die­se Wor­te wur­den gut­mü­tig und treu­her­zig vor­ge­bracht, daß ich sie gar nicht übel deu­ten konn­te, ob­wohl sie eine große Neu­gier­de ver­rie­ten, und ich er­wi­der­te da­her:

»Nun wohl, da Ihr of­fen­her­zig zu sein Euch rühmt, so macht den An­fang und er­zählt mir Euer Vor­ha­ben und nennt mir Eu­ren Na­men, dann will ich ge­gen Euch ein Glei­ches tun.«

»Das ist sehr ein­fach, Sir, und bald ge­sagt. Ich bin, wie Sie se­hen, zur Zeit ein Krä­mer und hei­ße Phil­lipps. St. Ja­mes ist ei­ner der vie­len Orte, wo ich einen Han­del zu ma­chen ge­den­ke, denn ich habe die Er­laub­nis, von Zeit zu Zeit da­selbst ein­zu­spre­chen.«

»So will ich denn eben­so kurz sein wie Ihr«, ent­geg­ne­te ich. »Ich bin Arzt. Ich rei­se zu mei­nem Ver­gnü­gen und zu mei­ner Be­leh­rung und be­su­che des­halb alle Ir­ren­häu­ser, wo ich sie fin­de, denn ich habe, was man in der Welt eine Pas­sion nennt, für die ar­men Kran­ken dar­in. St. Ja­mes aber ist eins der be­rühm­tes­ten der Art, und ich den­ke, da­selbst vor­treff­li­che Stu­di­en zu ma­chen.«

Ich blick­te ver­wun­dert den Mann an, zu dem ich die­se Wor­te sprach; er hing mit of­fe­nem Mun­de an mei­nen Lip­pen und sein Auge flog mit ei­nem auf­fal­len­den, halb über­rasch­ten, halb zu­frie­de­nen Blick über mein Ge­sicht. Als ich zu Ende war, stieß er sein ein­sil­bi­ges, dies­mal un­ge­mein me­lan­cho­lisch klin­gen­des Hm! her­vor.

»Was fin­det Ihr da­bei, Ihr scheint Euch zu wun­dern?«

»Wun­dern, Sir? Wa­rum das? Wo es lei­der Ver­rück­te gibt, muß es auch, Gott sei Dank! Ärz­te ge­ben, die sie zu hei­len ver­su­chen; es muß aber eine schwe­re Auf­ga­be sein, ob­wohl höchst in­ter­essant. Hm.«

»Ge­wiß höchst in­ter­essant, und be­leh­rend oben­drein!«

»Und es ist auch ein gu­tes Werk, Sir, sol­chen Un­glück­li­chen den ver­lo­re­nen Ver­stand wie­der zu ver­schaf­fen.«

»Ge­wiß!«, sag­te ich, »aber ge­hen wir wie­der wei­ter, sonst kom­men wir zu spät an.«

Und wir bra­chen als­bald wie­der auf. Wir wa­ren aber noch kei­ne hun­dert Schrit­te ge­gan­gen, als Mr. Phil­lipps wie­der das Wort nahm:

»So­viel ich weiß«, sag­te er, »gibt es sehr vie­le be­leh­ren­de Fäl­le da un­ten, Sie wer­den da auch den – den Ir­ren von St. Ja­mes ken­nen­ler­nen, den­ke ich.«

Die­se Wor­te, ziem­lich un­be­fan­gen an sich, wur­den doch mit ei­nem ge­wis­sen Nach­druck vor­ge­bracht und schie­nen mir et­was, um mich so aus­zu­drücken, lau­ernd ge­spro­chen zu sein.

»Den Ir­ren von St. Ja­mes?«, frag­te ich. »Wer ist das?«

»Ein Ver­rück­ter, Sir, ohne Zwei­fel, wie es de­ren vie­le in dem Hau­se gibt – was weiß ich!«

»Aber Ihr nennt ihn den Ir­ren von St. Ja­mes, warum wird er so ge­nannt? Es muß doch sei­ne Be­wandt­nis ha­ben, ge­ra­de ihn den Ir­ren von St. Ja­mes zu nen­nen, da es doch da­selbst der Ir­ren vie­le gibt.«

»Nun, Sir! Das wer­den Sie ja selbst se­hen, wenn Sie ihn ken­nen ler­nen. Ich für mei­ne Per­son, der ich dar­über nur eine un­ter­ge­ord­ne­te Mei­nung habe, den­ke, man nennt ihn so, weil er ein ganz ei­gen­tüm­li­cher, ge­bil­de­ter und oft ganz ver­nünf­ti­ger Mann ist, der nur bis­wei­len sei­ne tol­len An­fäl­le hat, und weil so ein ge­wis­ses, ge­heim­nis­vol­les Dun­kel um ihn schwebt, doch las­sen Sie es gut sein; wenn Sie sich aber, nach­dem Sie ihn ge­se­hen ha­ben, viel­leicht für ihn in­ter­es­sie­ren soll­ten, und das dürf­te leicht mög­lich sein, so könn­te es ganz gut für ihn sein.«

»Wie­so gut für ihn?«

»Nun, las­sen wir das, las­sen wir das, Sir! Sa­gen Sie mir lie­ber, wo Sie Ihr Eng­lisch ge­lernt ha­ben; Sie spre­chen es sehr gut, und doch höre ich, daß Sie kein Eng­län­der sind.«

»Ihr seid auch kei­ner, mein lie­ber Mr. Phil­lipps!«, sag­te ich lä­chelnd.

Der Mann sah mich auf­merk­sam von der Sei­te an, dann lä­chel­te er eben­falls und er­wi­der­te:

»Sie ha­ben ein gu­tes Ohr, ich hät­te es nicht ge­dacht, denn ich spre­che für einen Schot­ten ein ziem­lich rei­nes Eng­lisch; ja, ich ge­ste­he es, ich bin ei­gent­lich ein Schot­te, oder viel­mehr nur ein hal­ber, denn mei­ne Mut­ter war so gut eng­lisch wie die Mut­ter die­ser Kna­ben, aber mein Va­ter«, setz­te er mit ei­nem ge­wis­sen Stolz hin­zu, »war echt schot­tisch, und das konn­ten Sie mir ei­gent­lich gleich an­se­hen.«

»Das habe ich auch mehr ge­se­hen als ich es ge­hört habe, mein Freund«, er­wi­der­te ich. »Ihr habt eine echt schot­ti­sche Phy­sio­gno­mie, aber ich will eben­so of­fen­her­zig sein wie Ihr, ich bin ein Deut­scher von Ge­burt.«

»Ah!«, rief der Mann, »habe ich es mir doch ge­dacht!«, und er be­trach­te­te mich zu mei­ner Ver­wun­de­rung noch ein­mal so freund­lich wie vor­her.

»Nun, ist es et­was so Sel­te­nes, einen Deut­schen in Eng­land rei­sen zu se­hen?«

»Nein, durch­aus nicht, aber es freut mich, Sir, es freut mich sehr, und ihn wird es noch mehr freu­en!«, setz­te er halb­laut und mit ei­gen­tüm­lich wei­chem Tone hin­zu.

»Wel­chen ihn?«, frag­te ich.

»Nun, nun, war­ten Sie die Zeit ab, ich will da­mit nur sa­gen, daß ich auch ei­ni­ge Jah­re in Deutsch­land war und daß ich auch et­was von Ih­rer schwe­ren Spra­che ver­ste­he, ich bin mit mei­nem frü­he­ren Herrn da­ge­we­sen, ja, Sir, so ist es!«

»Ei, das ist mir ja ganz au­ßer­or­dent­lich lieb!«, rief ich aus und bot ihm die Hand, die er kräf­tig schüt­tel­te. »Ihr glaubt nicht, wie gern man in frem­den Län­dern sei­ne Mut­ter­spra­che hört, und wenn es Euch recht ist, un­ter­hal­ten wir uns jetzt Deutsch.«

»Ich bin da­bei!«, rief der Krä­mer Phil­lipps auf Deutsch aus, das er, wie ich in der Fol­ge der Un­ter­hal­tung sah, ziem­lich ge­läu­fig, ob­wohl mit­un­ter falsch sprach, und nun un­ter­hiel­ten wir uns von Deutsch­land, und konn­ten nicht müde wer­den, mein schö­nes, stil­les Va­ter­land zu lo­ben und uns un­se­res Zu­sam­men­tref­fens zu freu­en.

Das Ge­spräch wur­de durch Bob un­ter­bro­chen, der jetzt im Ernst klag­te, daß er und Will vollends müde sei­en.

»Noch eine hal­be Stun­de, mein Jun­ge!«, sag­te der Va­ter, »und wenn du sie ohne Mur­ren er­trägst, so ist dir ein hal­ber Schil­ling ge­wiß.«

»Das ist sehr gut!«, er­wi­der­te Bob mit ei­nem ei­gen­tüm­lich zwei­fel­haf­ten Kopf­schüt­teln. »Wenn ich ihn nur erst hät­te!«

»Da­mit du dei­nen Lohn si­cher hast, Bob«, sag­te ich, »so hast du von mir hier für’s Ers­te einen gan­zen Schil­ling, und du, klei­ner Will, nimm auch einen.«

»Dan­ke, Sir!«, sag­ten Will und Bob zu­gleich. »Ich wer­de es Ih­nen einst ein­ge­denk sein!«, füg­te aber Letz­te­rer hin­zu.

»Was führt der al­ber­ne Jun­ge für när­ri­sche Re­den!«, rief der Va­ter. »Hal­ten Sie es ihm zu­gu­te, Sir, er ist ein Na­se­weis und Wild­fang!«

»Sei doch still, Bob, und fass’ tüch­tig an, wir sind ja bald da!«, flüs­ter­te Will lei­se.

Wir bei­den Er­wach­se­nen hal­fen jetzt noch ein­mal den Wa­gen vor­wärts­schie­ben, denn es ging bergan. Nach ei­ni­gen Mi­nu­ten hat­ten wir den Gip­fel der An­hö­he er­reicht und be­fan­den uns jetzt auf der Land­stra­ße, die mit Pap­peln ein­ge­faßt war. Jetzt ging der Mond hel­leuch­tend auf, wir stan­den still und sa­hen vor uns in eine of­fe­ne, la­chen­de, vom sanf­ten Mond­licht lieb­lich be­leuch­te­te Ge­gend.

Un­ge­fähr eine gute Büch­sen­schuß­wei­te vor uns, we­nigs­tens schi­en es mir so nahe zu sein, lag in der Mit­te ei­nes wei­ten Kes­sels, zum Teil hin­ter großen Baum­grup­pen ver­bor­gen, ein un­ge­wöhn­lich lan­ges und ho­hes Ge­bäu­de, des­sen hel­le Far­be bei dem jet­zi­gen Abend­lich­te dem Be­schau­er bei­na­he glän­zend ent­ge­gen­trat. Sei­ne drei deut­lich zu un­ter­schei­den­den Stock­wer­ke wa­ren, so­weit man die Fens­ter durch die Schat­ten der Bäu­me er­bli­cken konn­te, sämt­lich und gleich­mä­ßig hell er­leuch­tet, was einen über­aus freund­li­chen An­blick in die­ser stil­len Abend­land­schaft ge­währ­te. Vor dem Ge­bäu­de lehn­te sich an die vor uns lie­gen­de Wand die­ses großen Kes­sels ein wei­ter, mit vie­len Bäu­men und Busch­werk be­setz­ter Raum, der mir eine park­ar­ti­ge Ein­rich­tung zu ver­ra­ten schi­en; we­nigs­tens kam es mir vor, als wenn ich in dem un­be­stimm­ten glit­zern­den Mond­licht mit hel­lem Kies­san­de be­wor­fe­ne Wege und hie und da zer­streut lie­gen­de, weiß an­ge­stri­che­ne Ru­he­sit­ze wahr­näh­me. Rings um die­sen Park her­um lief eine hohe stei­ner­ne Mau­er, an wel­cher sich in ziem­lich gleich­mä­ßi­ger Ent­fer­nung von­ein­an­der klei­ne Häu­ser­chen oder viel­mehr Türm­chen be­fan­den, aus de­ren run­den Fens­tern hier und da ein schwa­cher Licht­schein her­vor­brach. Auch konn­te man, ob­wohl nur sehr un­deut­lich, einen Gra­ben hin­ter der Mau­er un­ter­schei­den, der mit Was­ser an­ge­füllt war, über wel­chen bei je­dem Türm­chen eine klei­ne, höl­zer­ne Brücke führ­te.

Das Gan­ze hat­te so­mit das An­se­hen ei­ner Fes­tung, wel­che ab­sicht­li­che Ein­rich­tung durch spä­te­re Wahr­neh­mung noch deut­li­cher her­vor­tre­ten soll­te.

Al­les die­ses be­merk­te ich je­doch nicht im ers­ten Au­gen­blick mei­nes Hin­schau­ens, denn das auf­fal­len­de Be­neh­men mei­ner Beglei­ter, be­son­ders des äl­te­ren, lenk­te mei­ne gan­ze Auf­merk­sam­keit zu­nächst auf die­se hin.

Wir wa­ren näm­lich auf der höchs­ten Spit­ze des Ber­ges an­ge­langt, von wo aus man das er­leuch­te­te Ge­bäu­de zu­erst wahr­neh­men konn­te, als er in ei­nem aus Freu­de und Trau­er ge­misch­ten Tone aus­rief:

»Ach! da ist es ja, das alte St. Ja­mes!«

Dann aber sei­nen Söh­nen einen lei­sen Wink ge­bend, den die­se so­gleich ver­stan­den und be­folg­ten, nah­men sie alle drei ihre klei­nen Müt­zen ab und, in tie­fem Still­schwei­gen ver­har­rend, das Auge vor­wärts ge­wen­det, schie­nen sie ein kur­z­es Ge­bet zu ver­rich­ten.

Als ihr Ge­bet be­en­det war, schlug der Va­ter sei­ne Arme in­ein­an­der, stütz­te sein Kinn auf sei­ne et­was er­ho­be­ne rech­te Hand, und ich sah, wie er mit un­ge­heu­chel­ter Trau­rig­keit und Rüh­rung schwei­gend auf das vor uns lie­gen­de Ge­bäu­de hin­ab­schau­te. Nach­dem er sein Auge ei­ni­ge Mi­nu­ten lang an dem An­blick des­sel­ben ge­sät­tigt hat­te, ließ er die Hand sin­ken, ein tiefer Seuf­zer ent­quoll sei­ner Brust und kaum hör­bar für mich mur­mel­te er die Wor­te:

»Da bin ich ein­mal wie­der bei ihm, Gott gebe, daß es bald das letz­te Mal sei!«

»Habt Ihr einen Ver­wand­ten oder einen Freund in dem Hau­se, Mr. Phil­lipps?«, frag­te ich teil­neh­mend.

»Ei­nen Ver­wand­ten? Nein!«, er­wi­der­te er und schüt­tel­te trau­rig sei­nen Kopf, »aber einen Freund, einen Freund, ja, mag sein, ich bin ja hier sein ein­zi­ger Freund, ja, ja, den hab ich dort, Sir!«

»Und ist er un­ter den Kran­ken oder un­ter den Ge­sun­den?«

Hier ver­nahm ich wie­der das be­deut­sa­me Hm! wel­ches er je­des­mal aus­zu­sto­ßen schi­en, wenn ich eine be­stimm­te Ant­wort auf mei­ne Fra­ge er­war­te­te. Doch setz­te er dies­mal, ob­wohl et­was zö­gernd und mit un­si­che­rem Tone, hin­zu:

»Ohne Zwei­fel be­fin­det sich der, den ich mei­ne, un­ter der Zahl der Kran­ken.«

»So habt Ihr auch wohl vor­hin für sein Wohl ge­be­tet?«

»Ge­wiß, Sir, in­des­sen, wenn das auch nicht wäre, ich bit­te je­des­mal Gott, wenn ich dies trau­ri­ge Haus sehe und mich eine un­ge­wöhn­li­che Rüh­rung er­greift, mir mei­nen und der Mei­ni­gen Ver­stand zu er­hal­ten, denn Sir, glau­ben Sie mir, es gibt nichts Un­glück­se­li­ge­res, als – als – ver­rückt zu sein. Und nun, Jun­gen«, rief er plötz­lich laut, als er­wa­che er aus ei­nem un­frei­wil­li­gen Trau­me, »nehmt die Deich­sel und marsch vor­wärts.«

Wir schrit­ten alle Vier rüs­tig den Ab­hang auf der Land­stra­ße hin­ab, und es dau­er­te nicht lan­ge, so ka­men wir an die ers­te der höl­zer­nen Brücken, die über den ziem­lich brei­ten und mit Was­ser an­ge­füll­ten Gra­ben führ­te und mit ei­nem star­ken und ho­hen Git­ter, wie man es an ei­nem Stadt­to­re fin­det, ver­schlos­sen war.

»Das ist ja ganz fes­tungs­ar­tig hier!«, sag­te ich.

»War­ten Sie nur ein klein we­nig, das wird noch bes­ser kom­men; jetzt fol­gen noch zwei Brücken und dann erst kommt die zwan­zig Fuß hohe Mau­er, mit ih­ren spit­zen Wi­der­ha­ken höchst künst­lich ver­ziert.«

»Die­se star­ke Be­fes­ti­gung«, er­wi­der­te ich, »setzt eine Be­sorg­nis vor­aus, die mir nicht ganz klar ist.«

»Haha! Ist das nicht klar ge­nug, Sir? Man fürch­tet die Ent­wei­chung. Seit­dem aber die Brücken und die Mau­er und die vie­len Wär­ter und Auf­se­her, die wie Spür­hun­de auf je­den Schritt und je­des Wort pas­sen, und alle die­se Teu­fe­lei­en im Schwun­ge sind, kann kein Mensch un­be­merkt her­aus und hin­ein. Nun, was das Hin­ein be­trifft, frei­lich, das hat gute Wege, aber das Heraus, Sir, das ist ein üb­ler Um­stand. Haha!«

»Aber ich däch­te, so vie­le Vor­keh­run­gen wä­ren kaum nö­tig, um Wahn­sin­ni­ge zu­rück­zu­hal­ten; sie sind doch kei­ne Ge­fan­ge­nen.«

»O ja, doch, Sir! Wir sind in St. Ja­mes, müs­sen Sie be­den­ken. Hier gibt es an die fünf­hun­dert mehr oder min­der Wahn­sin­ni­ge, und die­se Her­ren und Da­men wol­len be­hü­tet sein. Und den­ken Sie nur, wie vie­le rei­che Leu­te dar­un­ter sind und wel­che schö­ne Sum­me jähr­lich für sie ge­zahlt wird, es kos­tet Geld, mit An­stand ver­rückt zu sein, ach! und dies Geld ver­liert man nicht gern. So man­cher Spring­ins­feld von Gent­le­man wür­de sich trotz ih­rer Höhe und trotz der Wach­sam­keit der Auf­se­her doch auf die Mau­er be­ge­ben und sich in Got­tes frei­er Welt ein we­nig um­schau­en wol­len, wenn die al­ler­liebs­te Ver­zie­rung mit den klei­nen, spit­zen Sta­cheln nicht wäre.« Und er ließ wie­der sein bit­te­res Haha! hö­ren, das mehr wie eine ver­hal­te­ne An­kla­ge als eine of­fe­ne Iro­nie klang. – »Aber, heda! al­ter Brumm­bär, sol­len wir denn ewig vor dei­nem Git­ter ste­hen?«, rief er laut und warf et­was un­sanft einen Stein an ein Fens­ter des Türm­chens, worin der Wär­ter wohn­te, vor des­sen ver­schlos­se­nem Ein­gan­ge wir schon eine Wei­le stan­den.

Eine in der Tat brum­men­de Stim­me ließ sich aus dem In­nern des Hau­ses ver­neh­men, und gleich dar­auf trat ein be­jahr­ter Mann, in einen Pelz gehüllt, her­aus, um zu fra­gen, wer da sei.

»Ich bin’s, Phil­lipps, der Krä­mer, mein Jun­ge, und habe Ta­bak mit­ge­bracht, einen Schil­ling das Pfund, wie du ihn längst ge­wünscht hast, mor­gen kannst du ihn kos­ten, he?«

»Das ist brav, Mr. Phil­lipps, aber was zum Teu­fel habt Ihr denn da für ein Ge­spann von jun­gen Eseln mit der selt­sa­men Korb­ta­ke­la­ge?«

»Das kannst du dir auch bei Tag be­se­hen, Dick, die jun­gen Fül­len sind mei­ne Söh­ne und in dem Kor­be sind mei­ne Wa­ren, und hier ein Gent­le­man, ein Be­su­cher, glau­be ich, nicht, Sir?«

»Ja­wohl, ja­wohl, Mr. Phil­lipps!«, sag­te ich, »und ich will zum Be­su­che beim Herrn Di­rek­tor, mein wer­ter Dick«, füg­te ich, zu die­sem ge­wandt, hin­zu.

»Sie kön­nen alle pas­sie­ren, Gent­le­men!«, er­wi­der­te der Mann im Pel­ze und schloß, als wir sein Git­ter über­schrit­ten hat­ten, hin­ter uns wie­der zu.

»Sie ta­ten Recht, daß Sie sag­ten, mein wer­ter Dick«, flüs­ter­te Mr. Phil­lipps, »man kann nicht wis­sen, wie man die­se Leu­te künf­tig ein­mal ge­braucht; ein freund­li­ches Wort zu spre­chen macht so we­nig Mühe und trägt oft hohe Zin­sen. Hol­lah! auf­ge­macht, Vet­ter Jen­kins! ich bin’s, Phil­lipps, der Krä­mer!«

Aber­mals schloß uns ein Mann das Tor auf, und wir wur­den mit den­sel­ben Ze­re­mo­ni­en ein­ge­las­sen. Auf ähn­li­che Wei­se ka­men wir durch ein drit­tes Git­ter und be­fan­den uns nun end­lich in­ner­halb der großen Mau­er, die den Park von St. Ja­mes um­schloß, der hin­ter dem Hau­se lag, wel­ches uns bis jetzt sei­ne Rück­sei­te zu­ge­kehrt hat­te.

Hier ließ Phil­lipps sei­ne Söh­ne mit dem Wa­gen ste­hen, in­dem er ih­nen den Be­scheid gab, auf sei­ne Wie­der­kehr zu war­ten, die so­gleich er­fol­gen soll­te, so­bald er mich zum Di­rek­tor ge­führt ha­ben wür­de. Wir durch­schrit­ten jetzt Bei­de den weit­läu­fi­gen Park und ka­men end­lich an das große Hin­ter­tor des Hau­ses, wel­ches eben­falls ver­schlos­sen und von ei­nem ei­ge­nen Schlie­ßer be­auf­sich­tigt war. Hier er­fuh­ren wir, daß der Di­rek­tor der An­stalt mit sei­ner Fa­mi­lie und ei­ni­gen Be­am­ten im Gar­ten, der vor dem Hau­se ge­le­gen war, beim Abendes­sen sei. Das Vor­der­tor, gleich­falls ver­schlos­sen, ward uns von dem Ober­por­tier ge­öff­net, und wir tra­ten nun in einen, so­viel ich se­hen konn­te, sehr wohl un­ter­hal­te­nen und mit Blu­men­bee­ten und schö­nen Stau­den­ge­wäch­sen ver­zier­ten Gar­ten, aus des­sen ei­nem Laub­gan­ge wir die Stim­men ei­ner mun­te­ren Ge­sell­schaft ver­nah­men, die in ei­nem höchst hei­te­ren Ge­plau­der be­grif­fen zu sein schi­en.

»Das klingt ganz gut für ein Ir­ren­haus«, dach­te ich, als Phil­lipps zu der Ge­sell­schaft ge­tre­ten war und den Di­rek­tor einen Au­gen­blick her­vor­zu­kom­men bat, wozu wir uns hat­ten ent­schlie­ßen müs­sen, da im Au­gen­blick kein an­de­rer Die­ner in der Nähe war. Der Ge­ru­fe­ne er­schi­en so­gleich und trat nach ei­ni­gen Wor­ten des Krä­mers schnell auf mich zu, wor­auf ich mich ihm vor­stell­te und zu­gleich er­klär­te, wie ich auf mei­ner Rei­se Phil­lipps be­geg­net und von die­sem in den Be­reich sei­nes Ge­bie­tes ein­ge­führt wor­den sei.

Der Di­rek­tor, Mr. El­liot­son, ein hoch­ge­wach­se­ner und wohl­be­leib­ter Mann, der noch nicht fünf­und­vier­zig Jah­re zäh­len konn­te, er­freu­te sich sehr ein­neh­men­der Ge­sichts­zü­ge und ei­nes ge­fäl­li­gen, ob­schon et­was vor­neh­men We­sens, wel­ches sei­ner Er­schei­nung eine ge­wis­se Wür­de ver­lieh. Er drück­te mir herz­lich die Hand, als ich ihm mei­nen Na­men ge­nannt und die mir auf­ge­tra­ge­nen Grü­ße aus­ge­rich­tet hat­te Da­bei gab er mir die Ver­si­che­rung, daß er mich mit Freu­den schon lan­ge er­war­tet und zu dem Ende eine Woh­nung habe ein­rich­ten las­sen. Er ließ mir die Wahl, ob ich mich schon jetzt da­hin zu­rück­zie­hen oder an der Ge­sell­schaft im Gar­ten teil­neh­men wol­le, wo er mich so­gleich sei­ner Fa­mi­lie und ei­ni­gen Be­am­ten des Hau­ses vor­stel­len kön­ne.

Ich wähl­te das Letz­te­re, und so ward ich denn in eine große Geis­blatt­lau­be ge­führt, die durch meh­re­re Lam­pen er­leuch­tet war und in der ich eine ziem­lich zahl­rei­che Ge­sell­schaft bei dem Nach­tisch ei­nes gu­ten kal­ten eng­li­schen Abendes­sens ver­sam­melt fand.

Un­se­re An­kunft und die von Sei­ten Mr. El­liot­sons er­fol­gen­de Vor­stel­lung mei­ner ge­rin­gen Per­son un­ter­brach so­gleich ihre leb­haf­te Un­ter­hal­tung, und sie wa­ren ar­tig ge­nug, ihre Auf­merk­sam­keit von dem Ge­gen­stan­de, der sie be­schäf­tigt hat­te, ab und auf mich zu wen­den.

Ich fand hier die Gat­tin des Di­rek­tors und sei­ne Kin­der, ei­ni­ge Be­am­te des Hau­ses mit ih­ren Fa­mi­li­en, die bei­den un­ver­ehe­lich­ten Ärz­te und den Pre­di­ger. Auch wa­ren noch ei­ni­ge un­ver­hei­ra­te­te Per­so­nen bei­der­lei Ge­schlechts zu­ge­gen, und na­ment­lich zeich­ne­ten sich die Da­men durch eine ge­schmack­vol­le Toi­let­te und ein freund­li­ches Ent­ge­gen­kom­men vor­teil­haft aus, so daß die gan­ze Ver­samm­lung mit ih­rem un­ge­zwun­ge­nen, ver­trau­li­chen We­sen mir bald of­fen­bar­te, wie man auch in ei­nem Ir­ren­hau­se ganz harm­los und be­hag­lich in gu­ter Ge­sell­schaft le­ben kön­ne.

Nach­dem ich einen Im­biß ge­nom­men, wand­te sich das Ge­spräch auf die Ge­gen­den, aus de­nen ich her­kam, auf die Hoch­lan­de, auf mei­ne frü­he­ren Rei­sen und von da höchst freund­lich auf mein gu­tes, ehr­li­ches Deutsch­land, das ich so in­nig lie­be.

Ich sprach, wie es mir im­mer geht, wenn ich warm wer­de und der Ge­gen­stand mein Herz be­schäf­tigt, mit Ei­fer und Leb­haf­tig­keit, und man hör­te mir, wie es schi­en, auf­merk­sam zu. Un­ter al­len Zu­hö­rern be­merk­te ich einen, der mir vom ers­ten Au­gen­blick an auf­ge­fal­len war und der in be­schei­de­ner Ent­fer­nung von der üb­ri­gen Ge­sell­schaft, bald ste­hend, bald sit­zend, einen leb­haf­ten An­teil an dem Ge­spräch nahm, in­dem er kein Auge von mir ver­wand­te und mit sei­nen Bli­cken, wie ge­fes­selt, an mei­nen Lip­pen hing.

Der noch jun­ge Mann, der alle Ei­gen­schaf­ten männ­li­cher Schön­heit auf sei­nem Ge­sich­te trug, saß mir schräg ge­gen­über, et­was seit­wärts von der üb­ri­gen Ge­sell­schaft. Die vom Lam­pen­licht her­rüh­ren­de und nicht ganz vor­teil­haf­te mat­te Be­leuch­tung hin­der­te mich, sei­ne ein­zel­nen Züge ge­nau­er zu stu­die­ren; was ich aber sah, be­frie­dig­te mich nicht al­lein, son­dern for­der­te mich zu ei­ner um­ständ­li­che­ren For­schung auf.

Er war groß, mehr schlank als stark, aber in wun­der­schö­nen Ver­hält­nis­sen ge­baut. Sein blas­ses, schein­bar et­was lei­den­des Ge­sicht, sei­ne hohe, edle, Nach­den­ken ver­ra­ten­de Stirn, sein glän­zend schwar­zes Haupt­haar, vor al­lem aber sein blit­zen­des, tie­fes und in­tel­lek­tu­el­les Auge er­weck­ten so­gleich in mir das Ver­lan­gen, in nä­he­ren Ver­kehr mit ihm zu tre­ten und den Geist, der in die­se schö­ne Hül­le ge­klei­det war, ge­nau­er ken­nen­zu­ler­nen. Er hat­te mich vom ers­ten Au­gen­blick mei­nes Ein­tre­tens an un­auf­hör­lich, bei­na­he auf­fal­lend be­trach­tet und mei­nen Er­zäh­lun­gen eine un­ge­teil­te Auf­merk­sam­keit ge­schenkt. Als ich von Deutsch­land sprach, nick­te er mir ei­ni­ge Male bei­fäl­lig zu, als wenn er mir sein Ein­ver­ständ­nis da­durch an­zei­gen wol­le, so daß ich bei mehr­fa­cher Ge­le­gen­heit mei­ne Wor­te aus­drück­lich an ihn al­lein rich­te­te.

Nichts­de­sto­we­ni­ger aber ant­wor­te­te oder sprach er nie, und doch drück­te sei­ne Mie­ne den An­teil aus, den sein In­ne­res an der Un­ter­hal­tung nahm.

So­weit ich an die­sem Abend be­mer­ken konn­te, war er ei­gen­tüm­lich ge­klei­det, denn er trug ein kur­z­es schwarz­sei­de­nes Jäck­chen ohne Schö­ße; ein fei­nes ba­tis­te­nes Hemd, um des­sen Kra­gen ein bunt­sei­de­nes Tuch nach­läs­sig ge­schlun­gen war, be­deck­te sei­ne brei­te Brust und ließ so den männ­lich kräf­ti­gen Hals wahr­neh­men, der auf den star­ken Schul­tern so vor­nehm stolz ge­tra­gen wur­de. Sei­ne klei­nen wei­ßen ari­sto­kra­ti­schen Hän­de um­gab eben­falls ein schma­ler Ba­tist­strei­fen; den un­te­ren Teil sei­ner Klei­dung konn­te ich nicht ge­nau­er be­trach­ten, doch war sie auch von dunk­ler Far­be.

Bald wur­de das Ge­spräch wie­der ge­teilt, man sprach in Grup­pen ge­schie­den über man­nig­fal­ti­ge Ge­gen­stän­de, bis end­lich der Ablauf der zehn­ten Abend­stun­de der Un­ter­hal­tung ein Ende mach­te und der Di­rek­tor sich freund­lich er­bot, mich auf mein Zim­mer zu füh­ren, das, im un­ters­ten Stock­werk ge­le­gen, mich, den Mü­den, wie er sag­te, mit al­len wün­schens­wer­ten Be­quem­lich­kei­ten er­war­te­te.

Ich ver­ab­schie­de­te mich und stieg mit Mr. El­liot­son ein paar Stu­fen in dem Haupt­ge­bäu­de em­por und be­fand mich bald in ei­nem freund­li­chen Zim­mer, wel­ches die Aus­sicht nach dem Gar­ten dar­bot, den wir so­eben ver­las­sen hat­ten.

»Wenn Sie nun noch ein Be­dürf­nis ha­ben, mein lie­ber Dok­tor«, sag­te mein Beglei­ter, »so zie­hen Sie die­se Schel­le, man wird je­den Ih­rer Wün­sche mög­lichst bald er­fül­len.«

Ich dank­te ver­bind­lichst und Mr. El­liot­son woll­te sich schon ent­fer­nen, als mir noch et­was ein­fiel.

»Noch ein Wort, mein bes­ter Mr. El­liot­son!«, sag­te ich. »Wer ist der jun­ge schö­ne Mann in dem schwar­zen An­zu­ge, mit der ho­hen Stirn und der Ad­ler­na­se?«

»Aha! ge­fällt Ih­nen der? Das glau­be ich wohl, nun, das ist Mr. Sid­ney, ei­ner un­se­rer Pfleg­lin­ge, in der Nach­bar­schaft und von den Be­woh­nern un­se­res Hau­ses ge­wöhn­lich der ›Ir­re von St. Ja­mes‹ ge­nannt.«

»Was!«, rief ich, »es ist ein Wahn­sin­ni­ger?«

»So ist es, lie­ber Dok­tor! – Und nun schla­fen Sie wohl, eine gute Nacht und an­ge­neh­me Träu­me!«

Er ging und ließ mich über die­sen sei­nen un­er­war­te­ten Auss­pruch in tie­fes Sin­nen ver­sun­ken zu­rück.

Das war also der Irre von St. Ja­mes! Ge­rech­ter Gott! so jung, so schön und wahn­sin­nig!

Hier fiel mir, ich weiß nicht durch wel­che Ide­en­ver­bin­dung her­vor­ge­ru­fen, plötz­lich und un­will­kür­lich das son­der­ba­re Hm! mei­nes ehr­li­chen Krä­mers wie­der ein. Ich konn­te nicht un­ter­las­sen, ein eben­so ge­heim­nis­vol­les, ein­sil­bi­ges Hm! aus­zu­sto­ßen und über das schreck­li­che Schick­sal die­ses Men­schen nach­zu­den­ken, der, mit al­len Ga­ben sei­nes Schöp­fers ver­schwen­de­risch aus­ge­stat­tet, der höchs­ten, un­ent­behr­lichs­ten Gabe er­man­gel­te, des ge­sun­den, zum Le­ben vol­ler Selbst­be­wußt­sein un­er­läß­lich not­wen­di­gen un­ge­trüb­ten Ver­stan­des.

2. Kapitel

Ich bin oft­mals im Le­ben, und na­ment­lich in mei­nem Be­ru­fe als Arzt, über den merk­wür­di­gen und un­er­klär­li­chen Ein­fluß er­staunt ge­we­sen, den ein mensch­li­ches Ant­litz in un­se­rer See­le zu­rück­läßt, das nicht al­lein über­aus schön und edel ist, son­dern einen un­klar und ne­bel­haft in uns lie­gen­den Keim zu we­cken scheint und da­durch, wir wis­sen selbst nicht wie und warum, un­se­rer Stim­mung eine Rich­tung gibt, die sie vor­her nicht hat­te. Von je­nem Ein­druck rede ich, der wie ein geis­ti­ger Wink, ein Aus­fluß von oben uns über­rascht, den wir nicht be­zeich­nen, son­dern nur emp­fin­den kön­nen, der, schnell wie der Blitz sich in un­ser Herz gra­bend, uns mit Teil­nah­me er­füllt.

Wa­rum zieht uns die­ser tie­fe, ru­hi­ge, un­be­fan­ge­ne Blick des doch nur mensch­li­chen Au­ges so un­wi­der­steh­lich an? Wa­rum klopft un­ser Herz die­sem auf je­ner Stirn sicht­ba­ren Her­zen ent­ge­gen? Was will die­ser stum­me Mund uns, was wol­len wir der schweig­sam uns ge­gen­über­ste­hen­den Er­schei­nung sa­gen? Je­nes edle, so ru­hi­ge und so schö­ne Ge­sicht schweb­te mir jetzt wie eine we­sen­lo­se Er­schei­nung vor, die ich in mir zum We­sen ge­stal­ten woll­te, und was un­se­re Phan­ta­sie ein­mal erst mit Wär­me er­faßt hat, das hält sie mit dau­ern­der Kraft, nach al­len Sei­ten es aus­for­schend, ent­wi­ckelnd, Um­fang, In­halt und Tie­fe des neu­ge­schaf­fe­nen Pro­blems zu er­grün­den su­chend.

Bei al­ler Er­ge­bung und männ­li­chen Fas­sung, die auf die­sem aus­ge­zeich­ne­ten Ant­litz thron­te, lag et­was auf­fal­lend Trau­ri­ges in sei­nen blas­sen, ich möch­te sa­gen, ein un­se­li­ges Ge­heim­nis ver­ber­gen­den Mie­nen. Das aber war die Trau­rig­keit des Wahn­sinns nicht, die mir so oft in ih­ren stark aus­ge­präg­ten Zü­gen ent­ge­gen­ge­tre­ten war, nein! die­se sanf­te, stil­le und er­ge­be­ne, doch aber nicht stump­fe Trau­rig­keit sah aus, als wenn sie aus ei­ner zwar kum­mer­vol­len und ge­preß­ten, aber doch ent­schlos­sen und nur dem Ge­schick un­ter­lie­gen­den See­le käme. Aus ihr erst moch­te der Wahn­sinn all­mäh­lich ent­sprun­gen sein, nach­dem die Hoff­nungs­lo­sig­keit in Verzweif­lung über­ge­gan­gen war. Ja, nur so konn­te die­ser Mensch ge­fal­len sein, des­sen Zu­stand mir nun kla­rer wur­de. Wenn aber die­se Trau­rig­keit viel­leicht zu he­ben, die­se Hoff­nungs­lo­sig­keit zu er­hel­len und die­se Verzweif­lung zu ver­nich­ten war, konn­te dann nicht auch der Wahn­sinn selbst zu be­sie­gen sein? Ich muß ge­ste­hen, die­ser An­schein hat­te et­was für sich, was mich mit Hoff­nung er­füll­te. Ach! und um die­se mar­mor­ne Stirn, die den Stem­pel des Gött­li­chen so un­ver­fälscht trug, in dem lei­den­den Zuge um den ge­preß­ten Mund, in dem strah­len­den Bli­cke die­ses tief dunklen, eine so kla­re See­le ver­ra­ten­den Au­ges lag et­was so un­aus­sprech­lich Ver­stän­di­ges, Geistrei­ches – Geistrei­ches? Kann ein Wahn­sin­ni­ger geist­reich sein? Gibt es doch vie­le Wahn­sin­ni­ge, die, nur in ei­ner ein­zi­gen Rich­tung ab­ir­rend, im Üb­ri­gen ganz ge­schei­te, au­ßer­or­dent­lich be­gab­te und vor­ur­teils­freie Men­schen sind!

Als ich in mei­nem Zim­mer al­lein war, rief ich mir die gan­ze so­eben ge­hab­te Er­schei­nung wie­der vor Au­gen. Ich brauch­te nicht lan­ge zu ru­fen, sie hat­te schon Bo­den in mir ge­won­nen und saß fest in der Tie­fe mei­nes geis­ti­gen Seins; denn jene hohe, ge­bie­te­ri­sche Stirn stand im­mer­wäh­rend und un­ver­rückt vor mei­nem Auge. Ich be­sich­tig­te mei­ne bei­den Zim­mer, was ich stets auf Rei­sen zu tun pfle­ge, ehe ich mich nie­der­le­ge, aber wenn ich aus dem einen Zim­mer in das an­de­re trat, glaub­te ich die dunkle, große Ge­stalt mit dem duld­sam ge­neig­ten Kop­fe und der un­nach­ahm­li­chen Hal­tung vor mir ste­hen und mich fra­gend an­bli­cken zu se­hen.

End­lich leg­te ich mich nie­der und schloß die Au­gen; da war sie auch da, und erst nach vie­lem Be­mü­hen, den Schlaf zu er­ja­gen, schlief ich end­lich wirk­lich ein, aber ich träum­te von ihr.

War es eine dunkle Ah­nung, die mir an­deu­ten woll­te, wie das Ge­schick je­nes Men­schen mit mei­nem Ver­hal­ten in ei­ner noch un­be­kann­ten Ver­bin­dung ste­he? – ich weiß es nicht, aber es war so, und ich nahm es wil­lig auf, in­dem ich be­schloß, auf­merk­sam und des Au­gen­blicks ge­wär­tig zu sein.

Als ich am nächs­ten Mor­gen nach ei­nem un­ru­hi­gen Schla­fe er­wach­te, fie­len schon die Strah­len der Son­ne in mein Ge­mach. Ich fuhr mit der Hand über die Stirn ich be­sann mich auf Al­les, was ich am Abend vor­her ge­se­hen, ge­dacht und ge­ahnt, was ich im Trau­me zum zwei­ten Male durch­lebt hat­te.

Da klopf­te es an mei­ne Tür und der Di­rek­tor trat her­ein.

»Aha!«, rief er, als er mich noch im Bet­te sah, »Sie sind also ein Lang­schlä­fer, nun, das wird sich bald än­dern. Hier ist man früh wach, denn es gibt viel Ar­beit, und Sie wer­den es schon ler­nen, mit uns des Mor­gens tä­tig zu sein.«

Ich woll­te mich ent­schul­di­gen, als er lä­chelnd er­wi­der­te:

»Sa­gen Sie nichts, ich scher­ze nur. Schla­fen Sie aus, und wenn es Ih­nen ge­nehm ist, kom­men Sie als­dann zu mir hin­über, dann will ich Sie mit der Ein­rich­tung un­se­rer An­stalt be­kannt ma­chen.«

»Ich wer­de so­gleich auf­ste­hen«, ant­wor­te­te ich, »in ei­ner hal­b­en Stun­de ste­he ich zu Ihren Diens­ten.«

»So will ich Ih­nen Ihr Früh­stück sen­den und Sie in ei­ner hal­b­en Stun­de selbst wie­der ab­ho­len. Adieu!«

Bald nach sei­nem Weg­ge­hen er­schi­en ein halb blöd­sin­ni­ger Kna­be, den man mir zum Die­ner ge­ge­ben zu ha­ben schi­en, denn er be­sorg­te auch mei­ne Klei­der und brach­te mein Früh­stück. Nach­dem ich das­sel­be ein­ge­nom­men, kam der pünkt­li­che Mr. El­liot­son wie­der, nahm mei­nen Arm und führ­te mich im Hau­se um­her.

Ich er­lau­be mir, eine treue Schil­de­rung von dem Zu­stan­de zu ge­ben, in wel­chem ich die­ses we­gen sei­ner Ein­rich­tung und sei­ner um­fas­sen­den Mit­tel mit Recht be­rühm­te Ir­ren­haus an­traf.

Was zu­nächst die Bau­lich­keit des­sel­ben und sei­ne nächs­te Um­ge­bung an­be­langt, so war das Ge­bäu­de, wie ich schon er­wähnt habe, ein sehr großes, durch­aus mas­si­ves, erst vor ei­ni­gen Jah­ren wie­der neu aus­ge­bau­tes Haus, das aus ei­nem Haupt­ge­bäu­de und zwei Flü­geln be­stand, wel­che letz­te­re, vorn und hin­ten weit über die Vor­der- und Hin­ter­front hin­aus­rei­chend, ein Stock­werk mehr tru­gen und so das An­se­hen zwei­er statt­li­cher Tür­me hat­ten.

Die gan­ze rech­te Ab­tei­lung des Ge­bäu­des war für die weib­li­che, zahl­rei­che­re Hälf­te, denn es wer­den über­all mehr Frau­en als Män­ner wahn­sin­nig, die lin­ke für die Män­ner be­stimmt. Über ei­nem sehr wohn­lich ein­ge­rich­te­ten Erd­ge­schoß er­ho­ben sich drei große Stock­wer­ke, de­ren obers­tes mit ei­nem halb­fla­chen Zink­da­che ver­se­hen war, die sämt­lich aber durch große und ver­git­ter­te Fens­ter von glei­cher Grö­ße er­hellt wur­den.

Die un­ge­heu­re Vor­der­front des Ge­bäu­des, von ei­ni­gen vier­zig Fens­tern Aus­deh­nung, sah in den Blu­men- oder Er­ho­lungs­gar­ten der An­stalt, in wel­chem die Män­ner und Frau­en ab­ge­son­dert zu be­stimm­ten Stun­den des Ta­ges die freie Luft ge­nie­ßen und sich an dem rei­zen­den An­blick und dem Duft der Blu­men er­qui­cken konn­ten.

Gro­ße, grü­ne Ra­sen­plät­ze wech­sel­ten an­mu­tig und re­gel­mä­ßig mit buschrei­chen An­pflan­zun­gen ab; an dem zier­lich er­hal­te­nen Kies­weg ent­lang zo­gen sich teils üp­pig grü­nen­de Buchs­baum­he­cken, teils wa­ren sie von ei­nem dich­ten Ge­he­ge duf­ten­der La­ven­del­blu­men ein­ge­faßt.

Schat­ti­ge Lau­ben, mit Bän­ken und Ti­schen ver­se­hen, reih­ten sich zu bei­den Sei­ten an­ein­an­der, und au­ßer ih­nen, eben­falls un­ter ei­nem schat­ti­gen Ge­büsch oder an einen brei­ten Baum­stamm sich leh­nend, bo­ten sich den Er­mü­de­ten be­que­me Sitz­bän­ke dar.

An den äu­ßers­ten Gren­zen die­ses Er­ho­lungs­gar­tens wa­ren zu bei­den Sei­ten brei­te, dunkle Wein­gän­ge ge­zo­gen, die mit ih­rem rei­chen Blät­ter­schmuck über­all die hohe Mau­er ver­deck­ten, die auch hier, wie hin­ter dem Ge­bäu­de, die gan­ze An­stalt um­faß­te.

In der Mit­te die­ses ein­la­den­den Auf­ent­halts­or­tes sprang täg­lich auf ei­nem run­den, mit Was­ser­blu­men be­setz­ten Ra­sen­stücke ein drei­ßig Fuß ho­her Was­ser­strahl, der aus dem großen Was­ser­bas­sin in der Ba­de­an­stalt ge­speist wur­de und von wel­chem aus bieg­sa­me Le­der­schläu­che nach al­len Tei­len des Gar­tens lie­fen, nicht al­lein ihn zu be­wäs­sern, son­dern auch in der hei­ßen Jah­res­zeit die Luft ab­zu­küh­len be­stimmt.

Die­ser Teil der An­stalt war, wie ge­sagt, nur dem Ver­gnü­gen und der Er­ho­lung der Be­woh­ner der­sel­ben ge­weiht.

Hin­ter dem Hau­se aber lag der bei wei­tem grö­ße­re, mit schö­nen ur­al­ten Bäu­men ge­schmück­te, von brei­ten Kies­we­gen durch­schnit­te­ne und eben­falls mit ge­fäl­li­gen Ru­he­plät­zen be­sä­te Park.

In ihm be­fan­den sich, durch He­cken und Zäu­ne von­ein­an­der ab­ge­son­dert, die Räu­me für die Spie­le, die gym­nas­ti­schen Übun­gen und die zur Kur not­wen­di­gen Ar­bei­ten der Ir­ren.

Hier sah man zu­erst einen großen Platz, zum Zer­klei­nern des Hol­zes be­stimmt, eine Ar­beit, die über­all für eine vor­treff­li­che Be­schäf­ti­gung Ge­müts­kran­ker gilt.

Dicht da­ne­ben war die so­ge­nann­te Renn­bahn, ein mit wei­chem San­de be­streu­ter großer Platz. Hier zo­gen die Kran­ken zu ih­rer Be­lus­ti­gung und zur Übung ih­rer Kräf­te das Seil; hier lie­fen sie um die Wet­te, hier üb­ten sie sich im Rin­gen und Sprin­gen.

Dann kam die Ke­gel­bahn, sehr be­liebt und flei­ßig be­sucht. Sie trenn­te die Renn­bahn von dem frei­en Ball­plat­ze, der eben­falls ein großer Lieb­lings­auf­ent­halt für vie­le Spi­el­lus­ti­ge war und von wo aus man denn auch stets ein lau­tes Ru­fen und Jauch­zen ver­nahm.

An den Ball­platz schloß sich der som­mer­li­che Fecht­platz, wo mit De­gen von Holz und Korb­ge­flecht und von Ei­ni­gen, de­nen man grö­ße­res Zu­trau­en schen­ken konn­te, auch mit ei­ser­nen un­ter ste­ter Auf­sicht und An­lei­tung der dazu an­ge­stell­ten Leh­rer ge­foch­ten wur­de.

An die­sen Raum lehn­te sich der all­be­lieb­te Turn­platz, und hier vor­züg­lich war es, wo man die selt­sams­ten Übun­gen, die son­der­bars­ten An­stren­gun­gen und die bis­wei­len vollen­dets­ten Ge­schick­lich­kei­ten der im All­ge­mei­nen scheu­en, nur in ein­zel­nen Fäl­len toll­kühn sich ab­ar­bei­ten­den Men­ge sah.

Nach dem Turn­plat­ze folg­te die Reit­bahn, die im Win­ter über­deckt wer­den konn­te; denn auch für die­se wohl­tä­ti­ge Lei­bes­übung war vor­treff­lich ge­sorgt und die duld­sams­ten Schul­pfer­de stan­den dicht da­ne­ben in den mas­si­ven Stäl­len.

Hin­ter die­sen Spiel- und Übungs­plät­zen la­gen die Kü­chen- und Obst­gär­ten, die meis­ten­teils un­ter An­lei­tung zwei­er Gärt­ner von den Ir­ren selbst be­stellt wur­den. Üb­ri­gens nah­men Män­ner und Wei­ber an die­sen Ar­bei­ten teil; doch nie ar­bei­te­ten die ver­schie­de­nen Ge­schlech­ter zu glei­cher Zeit und an glei­chem Orte.

Ich war von die­ser Aus­stat­tung an­ge­nehm über­rascht und konn­te nicht um­hin, dem Di­rek­tor mei­nen un­ge­teil­ten Bei­fall dar­über aus­zu­drücken. Er schi­en sich über mei­ne Be­mer­kun­gen zu freu­en, und ich er­fuhr von ihm, daß dies nach und nach ent­stan­den sei und je­des Jahr er­wei­tert und den Um­stän­den ge­mäß ver­bes­sert wur­de.

»Aber die Kos­ten, mein lie­ber Sir, wo kom­men die her?«

»Das ist un­se­re ge­rings­te Sor­ge, denn sie müs­sen wis­sen, daß wir von Sei­ten des Staa­tes ein­mal reich be­gabt sind, dann aber auch so­wohl durch reich­li­che Spen­den und Ver­mächt­nis­se zahl­rei­cher Gön­ner, wie auch durch einen vor­treff­lich ver­wal­te­ten Grund­be­sitz un­ter­stützt wer­den; wes­halb denn auch die, Ih­nen viel­leicht über­mä­ßig er­schei­nen­de Be­sol­dung der hier An­ge­stell­ten mög­lich ist. Na­ment­lich sind un­se­re bei­den Arz­te vor­treff­lich ge­stellt. Ärz­te müs­sen gut ge­hal­ten wer­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­