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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74091-874-3
W a n t e d.
Für die Ergreifung des Mörders Cliff Hitting zahlt die Staatskasse des Staates Texas
jedem Bürger 5000 Dollar Personenbeschreibung:
Hitting ist einssechsundachtzig groß, blauäugig, hat welliges silber- blondes Haar und eine kleine Nar- be auf der linken Wange.
Der Mann, auf den diese Perso- nenbeschreibung paßt, gleitet aus dem Sattel einer Rotfuchsstute, schiebt sich gelassen eine Zigarette zwischen die Lippen und tritt näher an den Steckbrief heran, der an ei- nem Baum angeheftet ist.
Eine leichte Falte des Unmuts liegt auf seiner sonst glatten Stirn, die Augenbrauen haben sich zu ei- nem Strich zusammengezogen. Es scheint, daß sein leicht erregbarer Zorn jeden Augenblick zum Aus- bruch kommen wird.Aber dann ver- lieren sich rasch wieder die Falten auf der Stirn. Seine Blauaugen lächeln kühl und gelassen.
Er löst das Blatt vom Baumstamm und mustert fast neugierig die Un-
terschrift. »Fred Harper, Deputy- Sheriff, Dallas«, brummt er vor sich hin und schiebt dann denAnschlag in die Brusttasche seiner Lederweste.
Er dreht den Zigarettenstummel an der Rinde des Weidenbaumes aus und klettert in den Sattel. Liebko- send fährt die schlanke Rechte über das glänzende Fell der Stute. »Ob wir diesem Fred Harper nicht mal guten Tag sagen sollen und ihn bei dieser Gelegenheit davon überzeu- gen, daß Cliff Hitting kein Mörder ist? Ich hoffe, dieser Deputy-Sheriff wird ein Einsehen haben und bald merken, daß Cliff Hitting ein fairer Kämpfer ist und jedem Mann seine Chance läßt.«
Die Stute schüttelte den Kopf, so, als zeige sie Bedenken gegenüber dem Vorhaben ihres Herrn. Doch Hitting lacht dazu nur spöttisch.
»Alte Unke.« Gutmütig klopft die Rechte wieder das seidenweiche Fell. »Hast wohl Angst, daß dieser Fred Harper ein Dickkopf ist und mich einfach einbuchten wird. Holla, Mädchen, du müßtest doch wissen, daß dies nicht ganz so einfach ist.
Dein alter Freund weiß sich ver- dammt gut seiner Haut zu wehren. Also, go on, Miß Jenny, nach Dallas sind es nur ein paar Meilen. Möchte wetten, das Nest liegt gleich hinter dem Höhenzug vor uns.«
*
Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten, als Hitting eine kleine Talsenke erreicht.
Nur wenige Schritte von ihm ent- fernt liegt mit weit ausgestreckten Armen ein Mensch. Er scheint tot zu sein. Zwei Geier lauern in einiger Entfernung auf Beute.
Hitting zieht sein Schießeisen aus dem Halfter. Mit einer geschickten Bewegung, die auf große Erfahrung und Routine schließen läßt, streicht sein Daumen über den Abzugshahn. Eine harte, kurze Detonation er- schüttert die lastende Einsamkeit. Krächzend heben die beiden Geier erschreckt ab, um mit mächtigen Flü- gelschlägen in den blauen Himmel
aufzusteigen.
»Verdammte Brut«, knurrt der Schütze und gleitet gewandt aus dem Sattel. Er beugt sich vor und durch- sucht die Taschen des armen Teufels. Doch es ist nichts zu finden.
Er hätte doch wohl besser eine an- dere Richtung wählen sollen.
Als Hitting sich aufrichten will, peitschen drei, vier Schüsse durch die Senke. Sie reißen Staub und Stei- ne zu Hittings Füßen auf und zeigen dem Gunner, daß der andere es noch nicht auf ihn abgesehen hat. Es sind nur Warnschüsse.
»Streck die Hände zum Himmel«,
befiehlt eine helle Stimme in seinem Rücken.
Hitting hebt gehorsam beide Hän- de über den Kopf, ehe er sich dem Sprecher zuwendet.
Der Jüngling, den Hitting vor sich zu sehen glaubt, entpuppt sich als ein Mädchen, jung, frisch und braun- gebrannt. In der Hand hält sie einen mächtigen Schießprügel.
Das Girl ist höchstens siebzehn und bildhübsch, denkt Hitting und grinst. Mit dem Daumen deutet er über die Schulter zu dem Toten hin.
»Ich habe ihn eben gefunden.«
»Natürlich schon tot.«
Hitting ist mächtig überrascht, welche Ironie in den wenigenWorten liegt.
»Wie sonst?« braust er auf, »mei- ne Lage ist zwar im Augenblick ver- dammt verfänglich, aber…«
»Schnall die Eisen von den Hüf- ten«, unterbricht es ihn kurz und patzig.
»Die Colts? Kindchen«, sagt er verärgert, »wenn du Spaß an meinen Kanonen hast, mußt du sie dir schon selber…« Die weiteren Worte wer- den von einer Detonation ver- schluckt. Eine grelle Flamme schießt auf den verdutzten Mann zu, ein Blei sägt sich seinen Weg durch seinen neuen Sombrero.
Hittings Finger suchen dieses Loch. Er atmet tief ein, um seinem Ärger Luft zu schaffen. Doch das dreimal verfluchte junge Ding kommt ihm wieder zuvor.
»Damit deine Sturheit einen Weg findet, um aus deinem Schädel zu weichen«, spöttelt das Girl, »also runter mit dem Gurt und drei Schrit- te zurücktreten.«
Wohl oder übel muß Hitting die- ser kategorischen Anweisung Folge leisten. Diese anscheinend kampf- wütige Amazone scheint unbere- chenbar zu sein.
Verfolgt von zwei braunen, wa- chenAugen, nestelt Hitting, innerlich vor Wut fast berstend, den Gurt los. Er möchte dem Girl eine gehörige Lektion erteilen, aber es ist noch sehr jung, und das hemmt ihn, macht ihn richtig verlegen.
Hitting glaubt, eine Erklärung ge- ben zu müssen.
»Ein Blei fehlt, Kindchen.«
»So?« kommt es wieder ironisch zurück, und in den Augen blitzt se- kundenlang Triumph, »ich werde es schon zu finden wissen.«
»Ich glaube nicht.« Hitting wirft einen schnellen Blick zu dem Toten. Das Mädchen mißversteht diese Be- wegung. Oder aber sie versteht sie recht gut.
»Klar, Cliff Hitting, in Tom Me- nards Kopf.«
»Du kennst mich?«
»Ich hatte lange Zeit, darüber nachzudenken.«
»Und wer bist du?«
»Ich heiße Jenny Harper, wenn dir das etwas sagt, Hitting.«
»Komisch, Jenny heißt auch mein Gaul. Er hat wirklich genauso treue braune Augen wie du. Und Harper, komisch, ich war gerade auf dem Weg zu einem gewissen Harper in Dallas.«
Die vollen Lippen des Girls ver- ziehen sich zu einem spöttischen Lächeln. »Dann haben wir ja den gleichen Weg, Hitting. Ich bin näm- lich Fred Harpers Tochter.«
Das war ein Volltreffer, und er
bringt Cliff Hitting einen Augenblick aus dem Gleichgewicht.
*
Cliff Hitting hat nun in der Zelle viel Zeit, über sein Pech nachzuden- ken.
Seine Lage ist verflucht ernster, als er es zuerst anzunehmen wagte, weil ihn Harpers Tochter bei einem Erschossenen antraf.
Harpers Tochter. Damned, ein wirklich hübsches Girl, aber auch ein kleines Biest. Hitting hat den Marsch von den Bergen nach Dallas noch nicht vergessen. Er mußte zu Fuß ge- hen. Der Tote lag auf seinem Pferd.
Hitting springt von der Pritsche auf und tritt zur Tür. Durch die zoll- starken Stäbe beobachtet er den bul- ligen Sheriff, der, hinter seinem Schreibtisch hockend, gerade einen Bericht abfaßt.
»He, Harper, wie steht meine Sa- che?« fragt er halblaut.
Sheriff Harper hebt den Kopf und grinst. »Wenn du gestehst, gut, Gun- ner. Wir könnten dich dann schon in zwei Tagen hängen, und alles wäre bestens erledigt.«
»Hätte ich nur etwas zu gestehen, ich würde es verdammt sofort tun«, seufzt Hitting, »gib mir eine Zigaret- te.«
Sheriff Harper steht auf und tritt näher. Er reicht Hitting tatsächlich eine Zigarette und dazu auch noch Feuer.
»Nun sei mal vernünftig, Gunner, und glaube nur ja nicht, wir seien blinde Hühner. Du hast vor vier Wo- chen Larry Hopkins am Highpaß
überfallen und ausgeraubt. Larry war der Mann, der die Lohngelder für die Farm holte.«
»Ich kenne keinen Larry Hop- kins«, brummt Hitting.
Harper nickt, als hätte er ganz selbstverständlich diese Antwort er- wartet. »Klar, aber Larry lebte noch und Dickson, der ihn fand, konnte mir dann nachher berichten, daß Larry eine genaue Personenbe- schreibung geben konnte, ehe er zum Teufel in die Hölle fuhr.«
»Wer ist denn dieser Dickson?«
»Du wirst ihn schon noch kennen- lernen. Drei Tage später fanden wir in der Burnetschlucht Tom Hico mit einem Loch im Schädel. Auch dafür gibt es einen Tatzeugen.«
»Ich bin ja völlig überrascht«, iro- nisch bläst Hitting einige Rauchringe zur Decke, »wer war es denn dieses Mal?«
»Dickson.«
»Damned, ich bin noch mehr als überrascht. Wie kommt es denn ei- gentlich nur, daß ausgerechnet die- ser mir völlig unbekannte Dick- son…«
Harper winkt rasch ab. »Dickson hat am Paß eine Ranch.«
»Und da hat er wirklich nichts an- deres zu tun, als ausgeraubte und er- schossene Lohnboten zu suchen? Überhaupt, wie kommt ihr denn ge- rade auf mich?«
»Gibt es vielleicht eine noch bes- sere Beschreibung, die gerade auf dich allein paßt, Hitting? Dein Äuße- res ist eben doch zu auffallend.«
»Klar, weil ich mich nicht selbst machen konnte.«
»Das ist eben dein persönliches Pech. In den folgenden Wochen star-
ben noch mehr Männer an deinem Blei.«
»Und dieser ominöse Dickson war wieder der Zeuge?«
Lächelnd schüttelt Harper den Kopf. »No, Boy, dieses Mal waren es andere Männer, ehrenwerte Siedler des Tales, die dich beobachteten.«
»Die Psyche von Cliff Hitting muß sich wohl schon zu einer wahren Seuche ausgebreitet haben, daß man bei jedem Toten ausgerechnet einen Cliff Hitting fand. Und wie komme ich zu den fünftausend Dollar auf meinen Kopf?«
»Oh, das geht doch ganz automa- tisch. Dafür steht eben der Senat ein.«
»Aber ich kann unter keinen Um- ständen deine Zeugen akzeptieren. Ich möchte glatt mit dir wetten, sie haben die armen Teufel selbst umge- legt und schieben mir nun einfach die Schuld in die Schuhe.«
»Du hast einen schlechten Ruf, dir traut man diese Schandtaten zu. Übrigens, was hältst du von meiner Tochter?«
»Sie ist ein hübsches Girl«, erwi- dert Hitting, »aber ein bißchen zäh für mich. Willst du sie mir vielleicht andrehen?«
»Unsinn«, braust da aber Harper auf, »sie wär’ ’ne Witwe, ehe die Flit- terwochen begännen. Ich möchte nur wissen, ob du sie für eine glaub- würdige Zeugin hältst.«
»Warum denn nicht?«
»Na also«, Fred Harper lächelt. schon wieder, »so wird das Gericht auch wohl urteilen. Sie hat dich näm- lich, über den toten Menard gebeugt, überrascht.«
»Das war doch ein reiner Zufall.«
»Und die fehlende Kugel im Colt?«
»Mein Gott, Sheriff, wie oft soll ich dir nur sagen, daß ich damit zwei verdammte Aasgeier vertrieben habe.«
»Aber die Kugel, die der Doc aus Menards Schädel holte, paßt genau in dein Eisen.«
»Klar, weil meine Eisen aus der Fabrik von Samuel Colt kommen. Was glaubst du wohl, wie viele Fünf- undvierziger er im Jahre macht? Wie viele von den Eisen allein in deinem County zu finden sind? Reichen da tausend?«
»Bestimmt nicht«, sagt Harper gleichmütig.
»Na also.« Hitting atmet auf.
»Nichts, na also, Gunner«, Harper tritt zurück, »bei dem toten Menard waren aber nur zwei Colts. Sie gehörten, wie du selbst zugibst, dir, und aus einem von ihnen fehlte ein Blei, dasselbe Blei, das im Schädel des Ermordeten steckte.«
»Bin ich denn in einem Narren- haus?« brüllt ob dieser Logik Hitting los und zerrt an den zollstarken Git- terstäben.
»Nein, Hitting, aber in einem si- cheren Knast. Mach dir also keine Mühe und spare deine Kräfte, kannst sie noch gebrauchen, die Gitter be- wegen sich doch um keinen einzigen Zoll. Sie halten sogar Cliff Hitting stand.« Lächelnd wendet Harper sich ab und setzt sich dann hinter sei- nen Schreibtisch, um die unterbro- chene Arbeit wieder aufzunehmen.
Cliff Hitting wird plötzlich ganz ruhig.
»Hör zu, Harper«, sagt er, »nenn mir doch mal die verschiedenen Da-
ten, an denen ich gemordet haben soll. Vielleicht kann ich dir dann be- weisen, wo ich zu derselben Zeit war. Nenne mir wenigstens einen Fall aus jüngerer Zeit.«
Kurz blickt der Sheriff einmal hoch und winkt dann ab.
»Du kannst das alles bei der Ver- handlung vorbringen. Und nun störe mich nicht mehr. Richter Lenner wartet auf die Anklageschrift.«
Damit ist für Harper die Sache endgültig abgetan. Verärgert hockt sich Hitting auf die Pritsche.
Tiefe Stille herrscht in dem Office, das nur von dem Kratzen der Feder in Harpers Hand von Zeit zu Zeit un- terbrochen wird.
*
Die Verhandlung gegen den Gun- ner Cliff Hitting ist eine verdammt einseitige Sache, denn Geschworene und Richter sind von der Schuld des Angeklagten fest überzeugt. Nach- einander marschieren auch die Zeu- gen auf.
Die Rancher Dickson und Spen- cer, die Cowboys Leyers und Kins- ley.
Sie alle sagen unter Eid aus, daß der angeklagte Cliff Hitting mit dem Mörder von Hopkins, Hico, Earst und Korten identisch sei. Es beste- hen keine Zweifel an den Aussagen der Männer, da sie als angesehene Bürger des Countys gelten.
Hittings Einwände werden gar nicht beachtet. Er ist nun mal ein be- kannter Gunner. Ihm gebührt keine Gnade, kein Erbarmen und kein Mit- gefühl.
Es bedurfte eigentlich gar nicht mehr die Aussage der Tochter des Sheriffs, um Hitting als überführt zu betrachten. Es ist also eine reine Formsache, daß Jenny Harper im Zeugenstand erscheint. Und sie, die man gut kennt, kann nur die Anga- ben der übrigen Zeugen bestätigen. Sie fand Hitting über den toten Men- ard gebeugt, sie sah, wie er dessen Taschen durchsuchte, und sie deutet auf die Bleikugel auf dem Richter- tisch und bezeugt, daß in Hittings Ei- sen eine einzige Kugel fehlte.
Und mit der festen Überzeugung, einen gerechten Richterspruch getan zu haben, fällt Richter Lenner das Urteil:
»Tod durch den Strang.«
Hittings verzweifelte Protestrufe gehen im wilden Geschrei der em- pörten Zuhörerschaft unter. Eine sechs Mann starke Eskorte begleitet den Gefangenen in seine Zelle zu- rück.
»Hör zu, Harper«, sagt Hitting, als der Sheriff ihm das Abendessen bringt, »ich bin zwar ein Gunner, aber kein Mörder. Ich schwöre dir, bei allem, was mir heilig ist, du wirst die wahren Mörder jener armen Teu- fel zu sehen bekommen, und du wirst dabei noch so manche Überra- schung erleben.«
»Wenn du hängst, wird wohl alles vergessen sein.« Mitleidig lächelt der Sheriff, der vergebens versucht, sein weiches, mitfühlendes Herz hinter einem grimmigen Gesicht zu verber- gen.
»Ich hänge noch nicht, Harper, und du wirst es auch bestimmt nicht erleben.«
»Zwei Tage werde ich wohl noch
älter werden, hoffe ich«, brummt der Sheriff etwas spöttisch und wendet sich ab.
*
Ein Mensch, der den Tod vor den Augen sieht, erkennt plötzlich, wie schön und begehrenswert das Leben doch eigentlich ist.Auch Cliff Hitting teilt diese Ansicht.
Die Nacht ist ruhig, und das Licht des Mondes spiegelt sich geisterhaft fahl auf den Straßen der schlafenden Stadt wider. Reglos steht der zum Tode verurteilte Mann an dem klei- nen vergitterten Fenster und starrt auf den Vorplatz.
Soll er, der stets kaltlächelnd der Gefahr ins Auge blickte, nun so ein- fach sein junges Leben verschenken, damit ein anderer ungestört weitere Verbrechen begehen kann?
Zounds, nein. Er ist nicht der Sün- denbock eines unbekannten, gewis- senlosen Mörders.
Langsam wendet er sich ab. Tiefe Dunkelheit liegt über dem Office. Selbst die Gitterstäbe der Tür ver- schwinden konturenlos im Dunkel der Nacht.
Hitting hockt sich auf die Pritsche.
»Ich muß hier raus«, denkt Cliff Hitting. »Ein Haken steckt in der Decke. Sicher diente er früher zum Aufhängen einer Lampe. Weshalb sollte er mir nicht irgendwie dienlich sein. Und links an der Wand unweit der Tür, hängt ein Lasso. Ich könnte einen Selbstmord vortäuschen. Ich hänge mich an die Decke, so daß Harper beim Eintritt denkt, ich hätte es etwas allzu eilig mit dem Sterben gehabt.«
Cliff Hitting ist plötzlich voller
Hoffnung. Er versucht, das Lasso zu erreichen, doch seine Arme sind zu kurz. Enttäuscht tritt er zurück. Nein, so geht es nicht.Aber aufgeben möchte er den Versuch nicht. Seine Fingerspitzen trommeln nervös auf der harten Unterlage seines Lagers. Sie trommeln und trommeln, bis ihm auf einmal die Erleuchtung kommt.
Eine Leiste des Bettes.
Vorsichtig, jedes Geräusch ver- meidend, löst Cliff eine Leiste. Mit dieser bewaffnet, tritt er noch einmal an das Gitter.
Ohne Schwierigkeiten erwischt er nun das Lasso.
Mit einer raschen Bewegung schiebt er dann zuerst die Leiste unter das Bettgestell, klettert auf das Lager und schiebt dann ein Ende des Stricks durch die Öse oben in der Decke.
Er prüft Haltbarkeit und Höhe. Zwischendurch lauscht er den Lau- ten, die durch die Decke zu ihm her- abdringen. Es ist ein helles Knir- schen, so, als drehe sich ein Mensch in seinen Federn herum, oder so, als stände er auf.
»Sie schläft verdammt schlecht, die kleine Jenny«, denkt Hitting lächelnd und beschleunigt seine Vor- bereitungen.
Endlich hat Hitting seine kunst- volle und etwas komplizierte Arbeit beendet. Zufrieden betastet er sein Werk und schiebt sich eine Zigarette zwischen die Lippen.
Da knarrt irgendwo im Haus eine Tür. Mit einer jähen Bewegung schleudert Cliff Hitting die unge- rauchte Zigarette in die Ecke der Zelle.
*
Jenny Harper spürt ein unruhiges und nagendes Gefühl in sich. Sie weiß, der Vater wurde am Abend noch zu Richter Lenner gerufen, und der Gefangene ist allein in der Zelle. Da sie doch nicht den rechten Schlaf finden kann, kleidet sie sich schnell an, nimmt die Lampe vom
Tisch und geht die Treppe hinunter. An der Tür, die zum Office führt,
bleibt sie eine Weile lauschend ste- hen. Wieder ist es die Unruhe, die in sie dringt. Sie weiß auch plötzlich, was sie nach unten trieb. Ihr Zimmer liegt direkt über Hittings Zelle.Wenn sie in den vergangenen Nächten auf- wachte, und das geschah oft, hörte sie immer wieder seine Schritte, die in gleichmäßigem Rhythmus zu ihr heraufschallten. Sie zählte sie rein mechanisch mit und wußte genau, daß Hitting, unruhig wie ein Puma, mit jeweils vier Schritten die Zelle durchmaß.
Aber am heutigen Abend war es merkwürdig still geblieben unter ihrem Zimmer.
Doch Jenny Harper glaubt nicht, daß Hitting in dieser Nacht, die sei- ne letzte sein soll, ruhig schlafen kann.
Doch es bleibt nur die fröstelnde Stille, das unheimliche Schweigen. Es setzt sich in ihren Gliedern fest und zerrt an den Nerven. Sie erin- nert sich der Worte ihres Vaters, der die Unterhaltung mit Hitting nach der Verhandlung wiedergab. Sie wußte, daß Hitting mit Fluchtgedan- ken spielte. Sollte er nicht mehr in der Zelle sein?
Mit einer jähen Bewegung schiebt das resolute Mädchen nun die Tür auf und tritt über die Schwelle. Sie
hält die Leuchte über den Kopf, da- mit das Licht auch den entferntesten Winkel erhellt. Sie sieht einen Schat- ten zwischen den Gitterstäben. Er hängt in seltsam verkrampfter Hal- tung an der Decke. Ein verzerrtes Antlitz starrt Jenny Harper entge- gen.
Der Schreck krampft ihr das Herz zusammen. Die Leuchte, in ihrer Hand beginnt zu zittern.
Cliff Hitting hat sich selbst gerich- tet.
Deshalb also die Stille, deshalb ihre Unruhe.
Vielleicht ist ihm aber noch zu hel- fen.
Gewaltsam schüttelt sie das Grau- en ab, tastet zum Wandschrank und nimmt dort den Schlüsselbund vom Haken. Dann tritt sie an die Zelle heran.
Ihr Herz pocht zum Zerspringen, als sie den Schlüssel ins Schloß steckt.
Sollte sie nicht lieber doch erst den Vater herbeirufen? Aber nein, vielleicht ist noch ein Funken Leben in Cliff Hitting.
Aber wofür will sie es denn ei- gentlich retten, wenn der Mann mor- gen doch hängen wird?
Um dem Vater Scherereien und Unannehmlichkeiten zu ersparen? Sie weiß aber nur zu gut, daß diese Ausrede eine dumme, einfältige Lüge ist. Nein, es ist etwas ganz an- ders, das sie zu diesem Schritt ver- leitet. Es ist ein Gefühl in ihrer Brust, das sie nicht kontrollieren kann, das sich aber auch nicht richtig deuten läßt.
Sie stellt die Lampe auf die Prit- sche und gleitet fliegenden Atems
hoch. Ganz nahe ist ihr Gesicht dem des Hängenden.
Wacht oder träumt Jenny Harper? Öffnet sich nicht eben das linke Auge des »Toten«, blinzelt Hitting
ihr nicht vertraulich zu?
Da kommt auch schon Leben in die Gestalt des vermeintlichen To- ten. Sein eben noch so verkrampfter Körper streckt sich, die Fußspitzen berühren die Pritsche, eine kurze Handbewegung, und das nur lose ge- schlungene Seil schiebt sich über Hittings Kopf und baumelt leicht hin und her.
Jenny Harper stößt einen spitzen Schrei aus, als Hitting sie lachend in denArm nimmt und von der Pritsche heruntersteigt. Ihre kleinen, aber kräftigen Fäuste trommeln dem Gunner wütend ins Gesicht.
Doch Hitting lacht nur übermütig. Er freut sich, daß sein Trick gelungen ist, und weil es die kleine, schnippi- sche aber resolute Jenny Harper war, der er ja seinen Aufenthalt im Knast und seineVerurteilung zu verdanken hatte, die nun auf sein Spiel herein- fiel.
Er lacht aus vollem Hals, als er die wütend um sich schlagende und strampelnde Amazone auf die Beine stellt und ihr die Hände festhält.
»Gemach, gemach, Kindchen«, sagt er, »der gute Onkel beißt doch nicht, der gute Onkel ist auch nicht tot, wie du wohl glaubtest. Er ist le- bendig und quietschfidel und hat nur noch den einzigen Wunsch, dich zu küssen und dann frische Luft zu at- men.«
»Wagen Sie es bloß nicht, mich an- zurühren«, keucht Jenny, und eine Zornesflamme schlägt ihr ins Ge-
sicht. »Gehen Sie sofort zurück in Ihre Zelle, damit ich Sie wieder einschließen kann.«
»Ich bin doch froh, daß ich dort heraus bin«, erwidert Cliff Hitting,
»aber warum denn so förmlich, Jenny.Wir waren doch schon von der ersten Minute unseres Zusammen- seins an per du. Weshalb also jetzt das kalte und förmliche ›Sie‹. Es bringt doch nur einen Mißklang in unser bisher so harmonisches Ver- hältnis.«
Hitting beugt sich zu dem Mäd- chen herab.Vielleicht um sie zu küs- sen, vielleicht auch nur, um noch einmal ihre klaren Züge zu sehen. Doch die kleine Jenny ist eine ver- flucht streitbare und auch mutige Amazone. Ihre kleinen, starken Fäu- ste treffen Cliff Hitting mit ganz empfindlicher Härte. Dazu macht Jenny einen Sprung zum Wand- schrank hin, der halb offensteht. Doch Hitting ahnt ihre Gedanken. Noch ehe Jennys Hände das Schieß- eisen aus der Stellage reißen kön- nen, ist Hitting schon da. Er biegt ihre Arme auf den Rücken, dann beugt er sich rasch vor und küßt ihre vollen Lippen.
Jenny Harper bäumt sich auf. Sie windet sich wie eine Schlange in der Umklammerung des starken Mannes und erkennt dann, daß sie in seinen Armen schwach und hilflos ist.
Eigentlich, durchzuckt es Jenny, haßt sie diesen frechen Hitting gar nicht. Den Kuß, der auf ihren Lippen brennt, findet sie nicht einmal unan- genehm.
»Sie, du«, keucht Jenny, als der Mann den zwingenden Griff etwas lockert, »du elendes Scheusal.«
»Dabei strengte ich mich doch so an«, sagt Hitting scheinheilig und nimmt mit der freien Linken seinen Gurt aus dem Schrank. »Du liebst mich doch, Jenny. Ich habe es beim Küssen gemerkt.«
»Das ist nicht wahr«, zischt Jenny, und ihre Augen fliehen gehetzt um- her. Sie darf Hitting unter keinen Umständen entkommen lassen.
»Laß es gut sein, Kindchen«, sagt Hitting, der ihre Gedanken rät und gibt sie endgültig frei, »dein Alter wird dir noch einmal dankbar sein, daß du mir zur Freiheit verholfen hast. Das County wird einen ordent- lichen Tanz erleben, und es dürfte so einige Männer geben, denen es ver- dammt unangenehm dabei sein wird. Grüß mir Fred Harper, Jenny. Sag ihm, daß mich seine Bekanntschaft verdammt gefreut hat. Es war einmal eine ganz besonders nette Art, sei- nen Schwiegervater auf diese Weise kennenzulernen.Wir geben ganz be- stimmt ein gutes und ideales Paar ab, Jenny. Nun sage nicht, daß du mich nicht magst. Gewisse Sympathien kannst du nicht ableugnen, und das genügt ja schon fürs erste.«
»Für einen Mörder habe ich noch nie etwas empfunden«, zischt Jenny grimmig.
»Dann habe ich ja die allerbesten Chancen, Kindchen. Wir werden ein Paar, noch ehe ein Jahr vergangen ist. So, das hier nehme ich aber zur Sicherheit mit.« Hitting nimmt den Colt aus dem Wandschrank und schiebt ihn in den Gurt. »Es ist an sich recht traurig und beschämend, daß man noch nicht einmal der eige- nen Braut trauen kann. Bye, bye, Jenny.« Hitting wendet sich zur Tür.
Doch er kehrt noch einmal zurück. Geschickt treibt er das ausweichen- de Mädchen zur offenen Zelle hin. Doch Jenny merkt erst sein listiges Vorhaben, als die Zellentür schnap- pend hinter ihr ins Schloß fällt. Der freche Kerl hat sie in seine eigene Zelle eingesperrt.
»Lange wirst du ja nicht mehr hierbleiben, Jenny«, sagt Hitting grinsend. »Und noch eins, sage dei- nem Vater, daß ich mit den Morden an den Leuten so wenig wie du und er zu tun habe. Als Earl getötet wurde, war ich bei einem Freund in den Bleffert Hills, bei Tom Heard. Er wird es bestätigen können. Und ge- nau vier Tage vorher, als Korten er- schossen wurde, saß ich ganz zufäl- lig bei Lem Ridge in Jacksboro im Knast.
Nicht so erschrecken, Liebling, es war eine ganz harmlose Sache und ging nur um einige Zähne, die je- manden allzu lose in der Futterluke saßen. Vergiß also nicht die Namen. Tom Heard und Lem Ridge. Und nun nochmals, bye, bye, Liebling. Wenn es mir die Zeit erlaubt, komme ich im Laufe der Woche noch einmal vorbei.«
Hitting hatte längst das Office ver- lassen, da hockt Jenny Harper noch immer reglos auf der Pritsche. Wie von einer hypnotischen Kraft ange- zogen, ruhen ihre Augen auf den dunklen Umrissen derTür, die längst hinter dem Flüchtenden ins Schloß gefallen ist.
Sie sollte nun eigentlich mächtig um Hilfe schreien, aber ihre Stimme scheint wie gelähmt. Sie denkt nur an die beiden Namen, die eben fie- len. Tom Heard in den Bleffert Hills,
Lem Ridge, der Sheriff von Jacks- boro.
»Wenn es nur stimmen würde«, murmelt sie und lauscht unbewußt dem Hufgetrampel, das sich allmäh- lich in westlicher Richtung verliert,
»wenn es nur stimmen würde.«
Und erst, als sie genau annehmen kann, daß Hitting in Sicherheit ist, hebt sich ihre Stimme zu gellenden Hilfeschreien.
*
Nur matt und verschwommen wirft der Kerzenstummel sein Licht in den einzigen Raum der niedrigen Hütte. Aus dem hier herrschenden, dicht geballten Grau treten kontu- renhaft die Gesichter der um den Tisch Herumsitzenden hervor.
Drei Männer sind es, die die ein- same, halbzerfallene Hütte am Greenpaß als nächtlichen Ort ihrer Zusammenkunft wählten, Männer, die zum Teil in einem sehr guten Ruf stehen, vor denen man am Tage ehr- furchtsvoll den Hut zieht, weil man nichts von ihrem heimlichen Treiben bei Nacht weiß.
Da ist der ehrenwerte, fette Mister Dickson. Ein biederer, allseits geach- teter Rancher im Tal, ein guter Zeu- ge gegen Cliff Hitting. Da ist weiter Mister Spencer, der hagere, hochauf- geschossene Rancher der Drei-Kro- nen-Ranch, ein Mann mit völlig ma- kelloser Vergangenheit. Niemand weiß, daß unter dem ängstlich und gut verschlossenen Rock der Vergan- genheit eine recht dreckige Weste sich verbirgt. In Frisco, in New Or- leans würde man ihn weder mit Mi- ster noch mit Spencer ansprechen.
Dort ist er einfach »Karo Bube«. Und die Vergangenheit eines gewis- sen Spielers Greenford, der kurz
»Karo Bube« genannt wurde, aufzu- decken, hieße die Nacht zum Tage machen.
Greenford weiß ganz genau, wes- halb er sich im Westen vergrub, und den unverfänglichen Namen Spen- cer annahm, denn »Karo Bube« er- warten im Osten etliche Jahre Ker- ker.
Der dritte Mann ist der Cowboy Leyers. Er arbeitet bei Dickson.
Die Männer erwarten hohen Be- such. Einen Mann, den sie alle zu fürchten scheinen, denn von Zeit zu Zeit richtet sich einer der Handlan- ger auf, tritt durch die windschiefe Tür ins Freie, um dann nach einiger Zeit achselzuckend wieder zurück- zutreten.
»Der Boß läßt sich aber heute ver- dammt viel Zeit«, brummt Spencer und schiebt sich eine dicke Zigarre zwischen die Lippen, »fühle mich erst wieder wohl, wenn ich zwischen den eigenen vier Wänden meines Hauses hocke. Möchte nur wissen, weshalb er uns heute so völlig un- programmgemäß hier herauslotste.«
»Vielleicht ist etwas in der Stadt nicht in Ordnung«, erwidert sein Nachbar Dickson.
»Was sollte da schon schiefgehen. Dieser Hitting wird morgen früh baumeln, und die ganze Geschichte hat damit ihren Abgang gefunden.«
»Während der ganzen Verhand- lung fühlte ich mich verdammt nicht sonderlich wohl, Alan. Wer aber konnte auch wissen, daß der Zufall uns gerade diesen Cliff Hitting be- scherte. Ein Glück, daß Harpers
Tochter ihn rechtzeitig erwischte, sonst hätte die Geschichte ein ver- dammt böses Nachspiel haben kön- nen. Bin zwar nicht sonderlich ängst- lich, aber Cliff Hitting…« Dickson macht eine bezeichnende Bewegung mit dem Kopf.
Die anderen nicken.
»Ist es dir nicht entgangen, daß Hitting uns während der Verhand- lung ziemlich frech und eindringlich beobachtet hat?«
»Sicher. Vielleicht grub er in sei- nen Erinnerungen nach, wo er unse- re Visagen schon einmal gesehen hat.«
Spencer kichert. »Hoffentlich fällt es ihm nicht noch vor morgen ein, daß ich in Carson City mal eine große Partie mit ihm spielte.«
»Du kennst ihn also?«
»Nur ganz flüchtig«, erklärt Spen- cer, »so wie alle meine früheren Kunden.« Er beugt sich dann weit zu seinem Nachbarn hin. »Weißt du, Dick, ich gäbe fünftausend Dollar, wenn ich endlich die Visage des Bos- ses kennen würde. Es ließe sich al- lerhand Kapital daraus schlagen.«
Erschreckt zuckt Dickson zusam- men. »Damned, Alan, das ist ein Wunsch, den der Satan selbst dir ein- geimpft haben muß. Denke bloß an Earst. Auch er wollte sein Gesicht kennenlernen. Bestimmt kannte er es auch. Aber er konnte sein Wissen dann nicht mehr verwerten. Der Boß hat ihn bestraft.«
»Neugierde bringt nicht immer Früchte!« Diese mahnenden Worte kommen von irgendwoher aus dem dunklen Raum. Sie lassen die Män- ner hochschrecken.
»Der Boß«, haucht Spencer mit
einem Frösteln in der Stimme. Seine Augen fliehen erschrocken umher, und er gewahrt im Hintergrund eine mit einem weiten schwarzen Mantel bekleidete Gestalt. Spencer ver- schluckt einen wütenden Fluch. Er schimpft sich selbst einen ganz ver- dammten Narren, daß er seine ge- heimsten Gedanken laut werden ließ. Er mußte doch wissen, daß der Boß noch stets so unheimlich er- scheint, wie er es versteht, genauso plötzlich und unauffällig zu ver- schwinden.
»Leyers, halte draußen Wache«, befiehlt der Boß, »ich möchte vor Überraschungen sicher sein.«
Gehorsam erhebt sich der Cow- boy und verschwindet schleunigst nach draußen.
»So«, beginnt der unheimliche Unbekannte, »der gute Spencer ist neugierig wie ein kleiner, dummer Schuljunge. Ich könnte dir deinen Wunsch ja leicht erfüllen, mein Freund. Aber ob du dann daraus noch Kapital schlagen würdest, ist äußerst fraglich. Schade, daß du Earst nicht mehr fragen kannst. Übrigens ließ sich auch aus dir eini- ges Kapital schlagen, Spencer. Rich- ter Lenner wäre es bestimmt einTau- sender wert, wenn er erfahren könn- te, wo ›Karo Bube‹ steckt. Wenn mich nicht alles täuscht, war Lenner doch zu deiner Glanzzeit in New Or- leans Bezirksrichter.«
»Es war nur ein dummer Scherz«, sagt der hagere Spencer, und ab- wechselnd jagen Frost- und Hitze- schauer über seinen mageren Rük- ken.
»Klar, ich betrachte es auch als ei- nen solchen. Doch nun zum Ge-
schäft. Cliff Hitting wird morgen früh nicht baumeln.«
»Weshalb?« Erschreckt springen die beiden Rancher auf und stieren in die Ecke, wo sich nur konturen- haft die Umrisse des Anführers ab- zeichnen.
»Er konnte fliehen. Wo aber kein Opfer, da auch kein Henker. Setzt euch.«
»Aber dann wird es für uns aller- hand Schwierigkeiten geben«, sagt Dickson.
»Nicht mehr und nicht weniger als zuvor auch. Es war eben ein Fehl- griff, daß wir ausgerechnet Hittings Name als unser Reklameschild wähl- ten. Aber jeder Mensch begeht ein- mal einen Fehler. Wir konnten nicht wissen, daß der Gunner sich ausge- rechnet in unsere verlassene Gegend verlaufen könnte.«
»Das sagte ich auch schon«, ruft Dickson erregt, »ich wette, er ist jetzt hinter uns her, wie der Teufel nach der armen Seele.«
»Vielleicht«, erwidert der Unbe- kannte, »sicher aber ist, daß Hitting sich im Augenblick nicht mit euch beiden befassen kann, denn hinter seiner Seele ist ein anderer Teufel her. Sheriff Harper und einAufgebot. Wette, sie werden ihm mächtig ein- heizen.«
»Da kennst du aber Hitting schlecht«, mischt sich Spencer ein. Nur zögernd gleitet er auf die Kiste zurück. »Er wird sich die Jagd viel- leicht einige Zeit gefallen lassen. Dann wird er den Spieß aber herum- drehen.«
»Wartet erst einmal ab, wie alles läuft.« Der unbekannte Führer der Verschwörung scheint noch immer
recht zuversichtlich. »Fred Harper wird ihn schon fangen, sonst bin ich auch noch da.«
»Unser Geschäft fällt jetzt sicher ins Wasser«, sagt Spencer ganz mißmutig.
»Nein, es gibt nur eine Unterbre- chung«, korrigiert der Unbekannte.
»Wenn Hitting inzwischen einen von uns umlegt?«
»Zum Donnerwetter«, braust da der Boß auf, »ihr werdet doch wohl noch für euch selbst sorgen können. Oder braucht ihr vielleicht noch eine Amme, die euer Leben beschützt?«
»Natürlich nicht.« Spencer trom- melt unruhig auf der wurmstichigen Tischplatte.
»Was geschieht in der Zwi- schenzeit?« will Dickson wissen, der seinen Dollarstrom im Geiste schon versiegen sieht.
»Inzwischen hütet ihr als biedere Rancher eure Kühe. Ich aber werde nicht ruhen und einen neuen Coup vorbereiten. Habe da bereits eine Sa- che ins Auge gefaßt, die uns allesamt zu reichen Männern machen könn- te.«
»Was ist es?« fragen die beiden Kumpane wie aus einem Munde neugierig.
Der Unbekannte aber scheint höhnisch das Gesicht zu verziehen, denn ein spöttisches Lachen kommt über seine Lippen.
»Nicht so neugierig, Spencer. Die Sache ist noch lange nicht spruch- reif.«
Dann herrscht tiefe Stille im Raum.
»Boß?« fragt Dickson lauernd und streckt unwillkürlich den Kopf vor.
Keine Antwort.
»Er ist verschwunden«, bemerkt Spencer.
»Damned«, braust der andere auf,
»ich möchte nur wissen, wie er das bloß immer wieder schafft. Er ist doch kein Phantom, das durch solide Wände verschwinden kann.«
»Was machst du dir darüber schon groß Gedanken, er kann es eben, und wir sollten nicht so neugierig sein.«
»Wie, auf einmal?« höhnt Dick- son.
»Ja, auf einmal. Verdammt, ich möchte auf jeden Fall noch eineWei- le leben. Seine Warnung war recht deutlich. Komm, reiten wir jetzt nach Hause. Ich glaube, es steht ein Unwetter über den Bergen.«
Nach wenigen Minuten liegt die alte Hütte einsam und verlassen da.
*
Müde, abgekämpft und verärgert über die ergebnislose Jagd kehrt Sheriff Fred Harper am Nachmittag aus den Bergen zurück.
Drei Tage und fast ebenso viele Nächte hetzte die Posse hinter dem flüchtigen Mörder und Ausbrecher her, bis sie dann doch endgültig die Fährte verloren.
Nun hockt Harper mit verbitterter Miene hinter seinem Schreibtisch und starrt wütend auf die Tischplat- te. Er ist zum Umfallen müde und findet dennoch keinen rechten Schlaf, keine Ruhe, weder körperlich noch in seinem wild rumorenden Hirn. Da hatte er endlich einmal ei- nen großen Erfolg, und wer ließ ihn wieder laufen?
Jenny, seine eigene Tochter.
Wie konnte das Kind auch nur so leichtsinnig handeln? Oder hatte sie recht, wenn sie behauptet, Hitting ist es nicht gewesen? Fragen über Fra- gen. Er muß auch anTom Heard den- ken.Vielleicht sollte er zu ihm reiten. Jenny würde ihm sonst die Hölle heiß machen. Aber erst muß er den Richter informieren.
*
Dort, wo sich drohend die spitzen Kämme des Great Lockout, die Zin- nen des Duffle Peak aus dem grauen Felsmassiv der Bleffert Hills in den blauen Zenit recken, wo der Bergad- ler seinen Horst über den glatten, düsteren Abgründen baut, steht ein- sam in einem kleinen Tal eine Block- hütte. Die duftend-grüneWeide wird eingerahmt von gigantischen Felsen, und durchschnitten von einem sil- berklaren Bach.
Ein schönes Fleckchen Erde inmit- ten einer toten Welt aus Stein.
Nahezu ein ganzes Menschenalter wohnt Tom Heard in diesem Tal. Sei- ne besten Freunde sind die so feind- lich und grimmig dreinschauenden Hills, der sprudelnde Wildbach. Zu seinen Freunden zählen dann noch weiter die beiden Kühe auf der Wei- de, die ihm Milch und Butter liefern, die Ziegen, deren Milch er zu einem kräftigen aber würzigen Käse verar- beitet, die Hühner, deren Produkte einen weiteren Teil zu seinem Le- bensunterhalt bilden und sein zotti- ges Muli, das nichts anderes als Treue und Anhänglichkeit zu bieten hat.
Sam ist Tom Heards Begleiter, wenn er alljährlich einmal die einsa- me Bergwelt verläßt und in der fer-
nen Stadt Salz, Tabak und andere Dinge tauscht. Der Alte fühlt sich glücklich in der Einsamkeit und, wenn das Jahr gut war, die Berge freundlich sind, liefern sie ihm sogar das Fleisch für die langen Winterta- ge.
Sheriff Fred Harper, der, seinen Gaul am Zügel führend, die schmale Serpentine hochsteigt, denkt an Heard. Oft, wenn der Sheriff im Nor- den seines Bezirks zu tun hat, kommt er zu Heard.
Zwei Jahre ist es nun schon bereits her, daß Harper zum letzten Mal die- sen Pfad beschritt. Damals führte ihn nur die Freundschaft zu dem Alten hierher. Heute ist es anders. Er will Cliff Hittings Alibi prüfen und den Alten mit in die Stadt schleppen. Er weiß, daß sein Vorhaben schwierig ist, denn Heard wird sich mit Hän- den und Füßen gegen Harpers An- sinnen sträuben, aber er hofft doch, daß Tom ihm helfen wird, wenn es sich um einen unschuldig Verurteil- ten handelt. Um so mehr, da auch Tom Heard einmal ein unschuldig Verfolgter war.
»Bald haben wir es geschafft, Beß«, sagt Harper und zieht die Stu- te um die letzte Biegung. Merklich erweitert sich hier der Paß, und nach einem letzten, scharfenAnstieg steht Fred Harper in dem kleinen, weltab- geschiedenen idyllischen Tal.
Es ist ein bekanntes Bild, das sich ihm bietet. Inmitten des Tales, nahe beim kleinen Fluß, steht Heards Hüt- te. Nur zieht heute, nicht wie sonst, der Rauch durch den schmalen Ka- min.Aber die Tür steht weit und ein- ladend offen und zeigt, daß Tom zu Hause ist.
Harper klopft der Stute zärtlich den schlanken Hals und klettert in den Sattel.
»Go on, Mädchen, Tom Heard wird sich bestimmt freuen, einen al- ten Freund zu sehen.«
Gehorsam trabt die Stute durch das sattgrüne Gras. Bis auf Rufnähe kommen Roß und Reiter an die Hüt- te heran.
Tom müßte mich doch eigentlich schon längst gehört haben, denkt Harper, und zum ersten Male zieht ein dunkler Schatten über sein ver- branntes, faltiges Gesicht.
Er zügelt die Stute und legt trich- terförmig die Hände um den Mund. Doch gleich darauf schüttelt er den Kopf.
Ich werde ihn überraschen, denkt Harper und gleitet aus dem Sattel. Nachdem er seiner Stute den Gurt etwas gelockert hat, eilt er den Rest des Weges zu Fuß weiter.
Meckernd richtet sich einer der Ziegen auf und blinzelt dem Frem- den entgegen. Auch die Hühner gak- kern erregt.
Seltsam, durchzuckt es ihn ein zweites Mal. Dabei beachtet Fred nicht seine Umgebung und die weni- gen Lebewesen. Seine Augen ruhen unverwandt auf der schwarzgähnen- den Türöffnung, in der sich immer noch nichts regt. Ein warnendes Ge- fühl steigt in ihm hoch.
Fred Harper wird plötzlich unru- hig, er hat es auf einmal mächtig ei- lig. Die letzten Meter nimmt er in schnellem Lauf, setzt ohne Zögern über die Schwelle und zuckt entsetzt zusammen.
Weit zurückgelehnt im Stuhl hockt reglos eine hagere Gestalt. Mit
weit geöffneten Augen, die matt und glanzlos wirken, starrt ihm das Ant- litz eines Toten entgegen. Noch im Tode hat ihm ein unsägliches Entset- zen sein Siegel in die Züge gebrannt.
»Tom Heard«, flüstert der Sheriff erschüttert, und seine Augen können sich nicht von dem großen Blutfleck, der sich deutlich von dem verwa- schenen Hemd abzeichnet, lösen.
»Tom Heard«, haucht er noch ein- mal, und ein Frösteln zieht durch Harpers Glieder.
Nur ganz langsam löst sich die Be- fangenheit von dem Sheriff. Seine Rechte fährt den Schenkel hinunter, seine Augen huschen mißtrauisch durch den Raum und starren schließ- lich wie gebannt auf den Tisch, wo sich, deutlich sichtbar, ein weißer Bogen Papier vom Grau des Tisches abzeichnet.
Er nimmt das Blatt und tritt zur Tür ins Helle.
Höhnisch grinsen ihn die wenigen geschriebenen Worte an. Sie verla- chen und verspotten ihn und zeigen Fred Harper, welch ein einfältiger, dummer Mensch er doch wieder ein- mal war.
»Du bist ein Narr, Harper«, steht in ungelenken Zügen auf dem Pa- pier, »und solltest wissen, daß ein Satan kein Engel sein kann. C. H.«